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Ein Abschied ist eine der unbekannteren Erzählungen von Arthur Schnitzler, doch für Kenner seines Werkes unverzichtbar. Auch für Liebhaber von guter Literatur!
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Seitenzahl: 31
Eine Stunde wartete er schon. Das Herz klopfte ihm und zuweilen war ihm, als hätte er vergessen zu athmen; dann zog er die Luft in tiefen Zügen ein, aber es wurde ihm nicht wohler. Er hätte eigentlich schon daran gewöhnt sein können, es war ja immer dasselbe; immer mußte er warten, eine Stunde, zwei, drei, und wie oft vergebens. Und er konnte es ihr nicht einmal zum Vorwurf machen, denn wenn ihr Mann länger zu Hause blieb, wagte sie sich nicht fort; und erst wenn der weggegangen war, kam sie hergestürzt, ganz verzweifelt, ihm rasch einen Kuß auf die Lippen drücken, und gleich wieder davon, die Treppen hinunterfliegend, und ließ ihn wieder allein. Dann, wenn sie fort war, pflegte er sich auf den Divan zu legen, ganz matt von der Aufregung dieser entsetzlichen Wartestunden, die ihn unfähig zu aller Arbeit machten, die ihn langsam ruinirten. Das ging nun schon ein viertel Jahr lang so, seit dem Ende des Frühlings. Jeden Nachmittag von drei Uhr an war er in seinem Zimmer, bei heruntergelassenen Rouleaux und konnte nichts beginnen; hatte nicht die Geduld ein Buch, kaum eine Zeitung zu lesen, war nicht im Stande einen Brief zu schreiben, that nichts als Cigaretten rauchen, eine nach der anderen, daß das Zimmer ganz in blaugrauem Dunste dalag. Die Thür zum Vorzimmer stand immer offen; und er war ganz allein zu Hause, denn sein Diener durfte nicht da sein, wenn sie kommen sollte; und wenn dann plötzlich die Klingel schrillte, fuhr er immer erschreckt zusammen. Aber wenn nur sie es war, wenn sie es nur endlich wirklich war, da war es ja schon gut! Da war ihm, als löste sich ein Bann, als wäre er wieder ein Mensch geworden und er weinte manchmal vor lauter Glück, daß sie nur endlich einmal da war, und daß er nicht mehr warten mußte. Dann zog er sie rasch in sein Zimmer, die Thür wurde geschlossen, und sie waren sehr selig.
Es war verabredet, daß er täglich bis Punkt sieben zu Hause zu bleiben hatte; denn nachher durfte sie gar nicht mehr kommen – er hatte ihr ausdrücklich gesagt, daß er um sieben immer weggehen würde, weil ihn das Warten so nervös machte. Und doch blieb er immer länger zu Hause und erst um acht pflegte er auf die Straße hinunterzugehen. – Dann dachte er schaudernd an die verflossenen Stunden und erinnerte sich mit Wehmuth an den vorigen Sommer, da er seine ganze Zeit für sich gehabt, an schönen Nachmittagen oft auf's Land gefahren, wo er im August schon in's Seebad gereist, wo er gesund und glücklich gewesen, – und er sehnte sich nach Freiheit, nach Reisen, nach der Ferne, nach dem Alleinsein, aber er konnte nicht weg von ihr; denn er betete sie an.
Heute schien ihm der ärgste von allen Tagen. Gestern war sie gar nicht gekommen, und er hatte auch keinerlei Nachricht von ihr erhalten. – Es war bald Sieben, aber er wurde heute nicht ruhiger. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Das entsetzliche war, daß er keinen Weg zu ihr hatte. Er konnte nichts anderes thun als vor ihr Haus gehen und ein paar Mal vor den Fenstern auf und ab spazieren; aber er durfte nicht zu ihr, durfte Niemand zu ihr schicken, konnte sich bei Niemandem nach ihr erkundigen. Denn kein Mensch ahnte nur, daß sie einander kannten. Sie lebten in einer ruhelosen, angstvollen und glühenden Zärtlichkeit hin und hätten gefürchtet, sich vor Anderen jeden Augenblick zu verrathen. Er fand es wohl schön, daß ihr Verhältniß in tiefster Verborgenheit fortdauerte; aber solche Tage, wie der heutige, waren um so qualvoller.