4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €
Für Sophie bricht von einem auf den anderen Moment eine Welt zusammen, als sie erfährt, dass ihr Mann auf der Autobahn verunglückt ist – zusammen mit seiner Geliebten, für die er sie offenbar verlassen wollte. Verwirrt und wütend steht Sophie vor seinem Grab, so viel hätte es noch zu sagen gegeben und zurück bleiben Leere, Hass, Trauer und Verzweiflung. Zusammen mit ihrem Kater flüchtet Sophie aus dem geordneten Leben in der Schweiz und fährt einfach los. Ihre Reise endet in Cornwall, wo sie von einem älteren Ehepaar aufgenommen wird, das sich rührend um sie kümmert. Sophie will sich von nun an auf ihr eigenes Leben konzentrieren und beschließt, in England zu bleiben und ein Bed and Breakfast zu eröffnen. Dabei lernt sie Lucas kennen, einen bekannten englischen TV-Moderator, der sie mit seiner arroganten Art in den Wahnsinn treibt. Doch dann erweist sich Lucas als Retter in der Not, und Sophie muss sich fragen, ob die große Liebe nicht vielleicht doch in der englischen Provinz zu finden ist ... "Das Buch war so toll, dass ich mich gar nicht davon trennen konnte - und dann war es viel zu schnell zu Ende. Ich hätte noch stundenlang weiterlesen können." (Kerstin73, LovelyBooks) "Eine wunderschöne Geschichte... - ... die sich lohnt zu lesen und gelesen zu werden. Am liebsten würde ich meine Koffer packen und noch heute nach Cornwall ziehen." (Tine, Amazon) Von Alexandra Zöbeli sind bei Forever erschienen: Ein Bett in Cornwall Ein Ticket nach Schottland Die Rosen von Abbotswood Castle Der Himmel über den Black Mountains Der Pub der guten Hoffnung Die Sterne über den Black Mountains
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 553
Die Autorin Alexandra Zöbeli wurde 1970 in der Schweiz geboren und ist im Berner Oberland aufgewachsen. Ein Sprachaufenthalt in London infizierte sie mit dem Großbritannien-Virus, der mit Übernahme des eigenen Gartens vollständig ausbrach. Zusammen mit ihrem Mann lebt sie im Zürcher Oberland und arbeitet als Sachbearbeiterin einer Schulverwaltung. Ihre kreative Seite lebt sie auch beim Seifensieden, Gärtnern, Nähen und Basteln aus. Aber ihr liebstes Hobby ist das Schreiben, weil man dabei die erstaunlichsten Abenteuer und Geschichten erleben kann, ohne dass einem Grenzen gesetzt sind. Ein Bett in Cornwall ist ihr erster veröffentlichter Roman.
Das Buch Für Sophie bricht von einem Moment auf den anderen eine Welt zusammen, als sie erfährt, dass ihr Mann auf der Autobahn verunglückt ist – zusammen mit seiner Geliebten, für die er sie offenbar verlassen wollte. Verwirrt und wütend steht Sophie vor seinem Grab, so viel hätte es noch zu sagen gegeben, und zurück blieben Leere, Hass, Trauer und Verzweiflung. Zusammen mit ihrem Kater flüchtet Sophie aus dem geordneten Leben in der Schweiz und fährt einfach los. Ihre Reise endet in Cornwall, wo sie von einem älteren Ehepaar aufgenommen wird, das sich rührend um sie kümmert. Sophie will sich von nun an auf ihr eigenes Leben konzentrieren und beschließt, in England zu bleiben und ein Bed & Breakfast zu eröffnen. Dabei lernt sie Lucas kennen, einen bekannten englischen TV-Moderator, der sie mit seiner arroganten Art in den Wahnsinn treibt. Doch dann erweist sich Lucas als Retter in der Not, und Sophie muss sich fragen, ob die große Liebe nicht vielleicht doch in Cornwall auf sie wartet …
Alexandra Zöbeli
Roman
Forever by Ullsteinforever.ullstein.de
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin November 2014 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © Finepic® Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-017-8
Alle Rechte vorbehalten.
Sophie saß auf ihrem Bett und blickte mit ausdruckslosem Gesicht zum Fenster hinaus. In ihren zitternden Händen hielt sie den letzten Brief ihres Mannes. Es war noch keine Woche her, seit ihr vor ihrer Tür eine Polizistin mit einfühlsamen Worten die Nachricht überbracht hatte, dass ihr Mann bei einem Unfall auf der Autobahn Richtung Flughafen ums Leben gekommen sei. Er war mit einer Arbeitskollegin in seinem Geschäftsauto unterwegs gewesen, als ein achtzigjähriger Geisterfahrer ihrer beider Leben abrupt beendet hatte. Von einem Moment auf den anderen wurde Sophies Welt aus den Angeln gehoben. Sie hatte die Polizistin ungläubig angesehen und ihr versichert, es müsse sich um einen Irrtum handeln, denn ihr Mann käme in einer halben Stunde nach Hause, so wie jeden Abend. Er hätte zudem am Nachmittag eine Sitzung gehabt und könne unmöglich unterwegs gewesen sein. Die Polizistin hatte sie ins Innere des Hauses zum Sofa begleitet, sich neben sie gesetzt und ihr dann den blutverschmierten Führerschein ihres Mannes gezeigt. »Es tut mir sehr leid, Frau Steiner, aber das ist doch Ihr Mann, oder?«
Sophie glaubte, ihr würde die Kehle zugeschnürt. Sie hatte kein Wort herausgebracht und nur genickt.
»Gibt es irgendjemanden, den ich für Sie verständigen soll? Der sich um Sie kümmern könnte?«, hatte sich die Polizistin einfühlsam erkundigt. An diesem Tag war ihre Schwägerin Barbara bei ihr eingezogen und hat ihr seither geholfen, sich um all die mühsamen bürokratischen Dinge zu kümmern, die bei einem Todesfall anstehen. Sophie war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und fühlte sich mit der kleinsten Aufgabe überfordert. Jürgen und sie waren erst drei Jahre verheiratet gewesen. Sie hatten sich auf einer Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes kennengelernt, waren ein paar Mal miteinander ausgegangen, dann folgte eine stürmische Beziehung, und bereits nach kurzer Zeit waren sie zusammengezogen. Fünf Jahre hatten sie zusammengelebt, bis Jürgen ihr auf einer Ferienreise in Portugal einen Heiratsantrag gemacht hatte. Kurz nach der Hochzeit zogen sie in ein Haus und Sophie erfüllte sich ihren Herzenswunsch, indem sie aus dem Tierheim den jungen Kater Pepe holte. Mit Kindern haben sie sich noch Zeit lassen wollen, da sie ihre Unabhängigkeit noch etwas ausleben wollten.
Und nun war die Seifenblase geplatzt, sie saß allein auf dem großen Bett, den Brief in der Hand und Pepe zu ihren Füßen. Der Kater war in den letzten Tagen kaum von ihrer Seite gewichen, als spürte er ihre Trauer. Morgen sollte die Beerdigung von Jürgen und seiner Arbeitskollegin sein, und Sophie hatte keine Ahnung, wie sie diesen Tag überstehen sollte, vor allem nicht nach diesem Brief. Die Polizei hatte ihr gestern seine restlichen Kleider und privaten Dinge, die sich im Auto befunden hatten, vorbeigebracht. Verwirrt hatte sie Jürgens Koffer und Aktenkoffer entgegengenommen. Sie hatte nichts von einer Geschäftsreise gewusst und schon gar nicht mitbekommen, dass er einen Koffer gepackt hatte. Anscheinend war er am Unglücksmorgen nochmal zurückgekommen, als sie bereits bei der Arbeit war.
Sie hatte dem Polizisten gedankt, dass er ihr die Sachen gebracht hatte. Doch erst an diesem Morgen hatte sie dann die Kraft gefunden, Jürgens Sachen durchzusehen. In seinem Aktenkoffer fand sie seinen Reisepass, Geld, ein paar persönliche Dokumente und einen Umschlag, der an sie adressiert war. Mit zitternden Fingern hatte sie ihn geöffnet. Noch immer konnte sie nicht glauben, was sie da gelesen hatte, und überflog die Zeilen nochmals:
Sophie,
diese Zeilen hier schreibe ich mit meinem größten Bedauern, da ich weiß, wie sehr ich Dich verletzen werde. Wenn Du diesen Brief liest, bin ich bereits auf dem Weg in mein neues Leben. Ich hatte das alles gar nicht beabsichtigt, aber Du weißt ja, wie das mit der Liebe ist: Wenn sie einen erwischt, ist man völlig machtlos. Und glaube mir, ich habe wirklich versucht, gegen meine Gefühle anzukämpfen, aber ich liebe Jeannette aus tiefstem Herzen. Wir haben beschlossen, gemeinsam einen Neustart in einem anderen Land zu wagen.
Natürlich kannst Du vorerst in unserem Haus wohnen bleiben, aber ich wäre froh, wenn wir es gegen Ende des Jahres verkaufen könnten, so dass jeder die Hälfte des Erlöses für sich beanspruchen kann. Selbstverständlich werde ich bei der Scheidung die Schuld auf mich nehmen. Wenn wir uns eingerichtet haben, werde ich Kontakt mit einem Anwalt aufnehmen und die notwendigen Schritte veranlassen, so dass Du Dich um nichts kümmern musst.
Sophie, es tut mir wirklich leid, aber ich denke, auf Dauer wäre es nicht gut gegangen mit unserer Ehe. Ich wünsche Dir alles Gute und danke Dir für die schöne Zeit.
Jürgen
Sophies Hände zitterten noch immer, als sie den Brief auf die Bettdecke legte. Wie hatte sie nur so blind sein können!? Sie fragte sich, wie lange die Beziehung zwischen Jeannette und Jürgen bereits gedauert hatte. Hatten sich die beiden womöglich sogar über sie lustig gemacht, wie dämlich sie doch wäre und wie langweilig? Ihr wurde so kalt, dass sie sich eine Fleecejacke überzog, obwohl draußen die Frühlingssonne schien. Doch auch die Jacke wärmte sie nicht, denn die Kälte kam aus dem Inneren ihres Körpers.
Sie hatte Jürgen geliebt – das hatte sie doch, oder? Gut, ihre Beziehung war im letzten Jahr etwas abgeflaut, es fehlte die Leidenschaft, aber das war doch verständlich nach acht Jahren. Beziehungen verändern sich doch andauernd. Mal ist man sich etwas näher und mal eher etwas fremder. Man gewöhnt sich aneinander und der Alltag hält Einzug. Jürgen war die Karriereleiter in der Bank nach oben gestolpert und hatte immer häufiger Auswärtstermine. Langsam begann Sophie, daran zu zweifeln, dass diese Auswärtstermine stets geschäftlicher Natur gewesen waren. Sie selbst arbeitete im Büro eines großen Kaufhauses, und da viele ihrer Arbeitskollegen und -kolleginnen mit ihren Familien während der Osterferien verreist waren, war für sie mehr Arbeit angefallen, so dass sie Überstunden machen musste. In letzter Zeit arbeitete sie häufig auch samstags und Jürgen wiederum wollte an den Sonntagen nicht auf sein Golfen verzichten. Ihr hatte die gemeinsame Zeit mit ihm gefehlt, sie hatte sich aber vorgenommen, sich spätestens Ende April wieder mehr um ihr Liebesleben zu kümmern. Doch dazu würde es nun nicht mehr kommen. Jetzt war alles vorbei.
Wieder blickte sie zum Fenster hinaus und sah, wie eine dunkle Wolke sich vor die Sonne schob. Was sollte sie nur tun? Wie sollte es weitergehen?
Pepe sprang aufs Bett und schlich sich auf ihren Schoß. Völlig mit ihren Gedanken beschäftigt streichelte sie unbewusst über das dicke, hellrot getigerte Fell des Katers, der leise zu schnurren begann.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie aufblicken, ihre Schwägerin Barbara trat ein. Ob sie es wohl gewusst hatte? Hatte auch sie über ihre Naivität und ihre Dummheit gelacht? Sie wandte ihren Blick von ihr ab, sie wollte es gar nicht wissen.
»Sophie, ich habe uns was gekocht. Komm doch rüber ins Esszimmer zum Abendessen.«
Sophie schüttelte nur den Kopf und brachte kein Wort heraus.
»Du hast die letzten Tage schon kaum etwas gegessen.« Sie setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm. »Jürgen würde das gar nicht gefallen, wenn du so vom Fleisch fällst. Du darfst dich jetzt nicht so hängen lassen. Nun komm schon.« Sanft strich sie ihr eine braune Haarsträhne aus dem bleichen Gesicht.
Bei der Erwähnung von Jürgens Namen kroch der kalte Schauer weiter in ihr hoch. Sie fühlte sich, als wäre sie innerlich völlig erstarrt, als hätte sich eine Eisschicht um ihr Herz gelegt.
»Na gut, wenn du nicht willst«, seufzte Barbara und stand auf. »Ich stelle dir einen Teller in die Küche. Wenn du später Hunger hast, kannst du dir das Essen ja in der Mikrowelle warm machen.« Als sie bei der Tür war, drehte sie sich nochmals zu Sophie um. »Sag mal, wollte Jürgen eigentlich verreisen? Ich war völlig erstaunt, als gestern die Polizei seinen Koffer brachte.«
Sophie nickte nur und legte sich mit ihrem Kater aufs Bett, um Barbara anzudeuten, dass sie nun schlafen wollte. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um den Brief, die Affäre ihres Mannes und den Unfall. Sie war völlig durcheinander vor Trauer, Wut und Hilflosigkeit. Und dennoch vermisste sie ihn ganz schrecklich. Wie dumm sie nur war! Sie hätte so gerne mit ihm darüber gesprochen, warum und wieso er denn von ihr weg wollte. Sie hätte alles getan, um ihre Ehe zu retten, aber diese Chance hatte er ihr nicht mehr gegeben.
Die Beerdigung fand bei strahlendem Sonnenschein statt, was Sophie völlig unpassend vorkam. Wie konnte der Himmel lachen, wenn die Menschen so voller Trauer waren? Ihr Blick wanderte durch die versammelten Menschen. Jürgens Mutter schniefte in ein Taschentuch, ihr Mann stand links neben ihr und hatte einen Arm um sie gelegt. Auch er war blass und hatte dunkle Schatten unter den Augen. Barbara stand mit ihrem Mann auf der anderen Seite ihrer Mutter, sie versuchte ihre Tränen unter Kontrolle zu halten, was ihr aber nicht wirklich gelang. Daneben trauerten ein paar Freunde und Kollegen aus dem Büro um Jürgen; die meisten kannte sie nur vage. Ihre eigene Mutter stand neben ihr und sah ebenfalls erschüttert aus. Sophie hatte in der letzten Nacht wieder kein Auge zugetan und fühlte sich völlig gerädert. Sie hörte die Worte des Pfarrers, fühlte sich jedoch völlig unbeteiligt an dem Geschehen, als wäre es nicht ihr Mann, der hier zu Grabe getragen wurde. Keine einzige Träne war seit dem Brief mehr über ihre Wangen gerollt und auch hier auf der Beerdigung blieben ihre Augen trocken. Sie konnte einige Verwandten bereits hinter ihrem Rücken tuscheln hören, wie kaltherzig sie doch sei. Stoisch nahm sie anschließend die Trauerbekundungen entgegen. Noch immer hatte sie kein Wort über die Lippen gebracht und nickte nur. Auch gegessen hatte sie noch nichts, und Barbara machte sich langsam wirklich ernsthafte Sorgen um ihre Schwägerin. Der Verlust des Ehemannes war verständlicherweise ein Schock, aber das Leben ging nun mal weiter, so hart das klingen mag. Im Anschluss an die Beerdigung hatte Barbara einen Leichenschmaus in einem nahegelegenen Restaurant organisiert, und sie hoffte, dass Sophie wenigstens dort einen Happen zu sich nehmen würde. Doch als sie Sophies Mutter gerade ihre Besorgnis mitteilte, nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie Sophie zu ihrem quietsch-orangenen Volvo rannte und davonbrauste.
»Ich werde ihr nachfahren«, meinte Anne, Sophies Mutter, sofort. Doch Barbara hielt sie davon ab. »Vermutlich ist es besser, wir lassen ihr etwas Zeit, damit sie sich beruhigen kann. Die Beerdigung war wohl einfach zu viel für sie. Mach dir keine Sorgen, Anne, ich kümmere mich schon um sie.«
Sophie knallte die Haustür hinter sich zu und schnappte nach Luft. Ihr war, als drücke ihr jemand die Kehle zu. Ihr Blick schweifte durch die Wohnung, traf auf Jürgens Koffer und dann auf ihr Hochzeitsfoto an der Wand. Nein, das hielt ein normaler Mensch einfach nicht aus! Sie rannte nach oben auf den Dachboden und holte zwei Koffer herunter. In Windeseile schmiss sie an Kleidern hinein, was sie gerade greifen konnte, packte Pepe in seinen Transportkorb und griff nach ihrem Pass. Sie wusste nicht, wohin sie wollte, Hauptsache weg, ganz weit weg. Schnell war alles in ihrem Wagen verstaut. Sie packte noch ein paar Dosen Katzenfutter ein und schrieb eine Notiz an ihre Schwägerin, dass sie sich keine Sorgen machen müsse, sie werde sich bald bei ihr melden. Als sie die Tür hinter sich ins Schloss warf, lag Jürgens Brief noch immer auf ihrem Bett.
Ein Blick zum Briefkasten zeigte ihr, dass der Postbote schon da gewesen war. Sie griff nach den Briefen und legte sie auf den Rücksitz ihres Wagens und schon ging’s los. Schnell war sie auf der Autobahn und fuhr Richtung Basel. Sie beschloss, nach Frankreich in die Normandie zu fahren. Die Landschaft und das Meer würden ihrer Seele guttun. Sie fuhr die ganze Strecke in zehn Stunden durch und hielt nur an, um Pepe eine kurze Auszeit zu gönnen. Sie führte ihn auf den Rastplätzen an der Leine aus, so dass er sein Geschäft verrichten konnte. Die Reise schien ihn nicht groß zu stören, die meiste Zeit schlief er. Sie beneidete das Tier um seinen Schlaf, aber selbst hätte sie noch immer kein Auge zutun können. Es war Nacht, als sie in Calais ankam. Einem inneren Drang folgend, fuhr sie einem Pfeil nach, der in Richtung Eurotunnel nach England zeigte. Eigentlich hatte sie ja nicht vorgehabt, nach England zu reisen, aber jetzt kam ihr der Gedanke verlockend vor. In Coquelles angekommen, ließ sie Pepe im Auto zurück und erkundigte sich nach der nächsten Überfahrt und ob es auch ohne vorherige Buchung möglich wäre, noch ein Ticket zu bekommen. Sie hatte Glück, der nächste Zug fuhr um 03.05 Uhr los, und es war gerade noch ein Plätzchen für sie frei. Sie bezahlte mit ihrer EC-Karte und machte sich dann auf den Weg zurück zum Wagen, um ihn auf den Zug zu fahren. Die Überfahrt dauerte etwas länger als eine halbe Stunde. In dieser Zeit blieb sie im Auto und fütterte Pepe. Erst kurz vor der Ankunft steckte sie ihn wieder in die Box. Auf dem nächsten Parkplatz hielt Sophie an und gönnte sich und ihrem Kater einen Schluck Wasser, bevor sie sich auch schon wieder auf den Weg machte. Sie erinnerte sich, mal als Kind, als ihr Vater noch lebte, mit ihren Eltern in Cornwall Ferien gemacht zu haben, und beschloss, einfach mal in diese Richtung zu fahren. Lizard Village hatte der Ort geheißen. Sie erinnerte sich an gelbe Kornfelder, das Rauschen des Meeres, die kreischenden Möwen, das Muschelsuchen im Sand, die hübschen Cottages und den Geruch des Salzwassers. Ja, da wollte sie erst mal hin. Das Fahren auf der linken Straßenseite war mit ihrem linksgesteuerten Auto nicht ganz einfach, aber auf der Autobahn kam sie flott voran.
Der Leichenschmaus hatte länger gedauert, als Barbara angenommen hatte, und so kam sie erst am frühen Abend völlig gerädert in das Haus ihrer Schwägerin zurück. Ihr Mann war wieder zu ihrem eigenen Zuhause gefahren, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie zurechtkam. Barbara fand es besser, noch ein paar Tage bei Sophie zu verbringen. Sie vermisste ihren Bruder Jürgen auch sehr und konnte die Trauer ihrer Schwägerin gut verstehen. Aber einfach so von der Beerdigung abzuhauen und ihre Mutter und all die anderen Verwandten stehen zu lassen, das ging nun wirklich nicht. Sie wollte mit Sophie reden und sie davon überzeugen, sich wenigstens noch bei Anne zu melden, damit die sich nicht solche Sorgen machen müsste. Doch schon als sie zuhause ankam, bemerkte sie das Fehlen des orangefarbenen Volvos. Beunruhigt ging sie ins Haus und rief nach ihrer Schwägerin. Sie erhielt keine Antwort und fand dann gleich als erstes die Notiz auf dem Küchentisch. Kopfschüttelnd ging sie in Jürgens und Sophies Schlafzimmer. Die meisten ihrer Kleider waren verschwunden und auch Pepe schien nicht hier zu sein. Sie wollte schon hinausgehen, als sie auf dem Bett den Brief liegen sah. Sie wusste, dass es sich eigentlich nicht gehörte, aber da sie sich Sorgen machte, beschloss sie, den Brief trotzdem zu lesen.
»Du verdammter Idiot!«, stöhnte sie auf, als sie zu Ende gelesen hatte. Das erklärte Sophies Verhalten auf der Beerdigung. Wie konnte er nur?! Barbara hatte sich zwar heimlich gewundert, dass Jürgen Sophie geheiratet hatte. Er war schon immer ein kleiner Weiberheld gewesen und sie hatte sich nie vorstellen können, dass er sich irgendwann für immer binden würde. Doch sie hatte Sophie gemocht und sich für ihren Bruder gefreut, dass er sein Leben mit ihr teilen wollte, auch wenn sie eigentlich gar nicht sein Typ gewesen war. Sophie war ruhig, überlegt, hilfsbereit und eben irgendwie häuslich. Ach ja, und Tiere liebte sie über alles, dabei konnte Jürgen Tiere nicht ausstehen. Pepe duldete er nur Sophie zuliebe. Auch äußerlich entsprach Sophie nicht den Frauen, mit denen Jürgen sich früher umgeben hatte. Sein Typ war blond, schlank, vollbusig, halt eben sexy. Sophie war eher der Typ »herzerfrischend«. Ihre grünen Augen funkelten stets unternehmungslustig, die braunen geraden Haare trug sie schulterlang und mit einem Pony. Sie war zwar überhaupt nicht dick, hatte aber auch nicht gerade die Figur eines Models. Sophie war einfach eine stinknormale Frau, mit der man eher Pferde stehlen, als im Baywatch-Kostüm über den Sand preschen konnte.
Barbara schüttelte den Kopf, wenn ihr Bruder nicht schon tot wäre, hätte sie ihm dafür den Hals umgedreht. Dass Jürgen so ein Feigling war, hätte sie nicht gedacht. Sich nicht einmal einem Gespräch zu stellen, sondern einfach abzurauschen in sein sogenanntes neues Leben und dann seiner Frau auch noch das Zuhause wegnehmen zu wollen! Am liebsten hätte sie Sophie an seiner Stelle um Verzeihung gebeten, aber das ging nicht, solange sie nicht wusste, wo sie steckte. Da sie aber Pepe mitgenommen hatte, machte sie sich keine Sorgen, dass sie sich etwas antun würde, denn Pepe war ihr Ein und Alles. Sie würde immer für ihn sorgen und ihm nie etwas antun, dessen war sich Barbara sicher. Sie griff zum Telefon und rief Anne an, um ihr von Sophies Verschwinden zu erzählen. Zusammen beschlossen die beiden abzuwarten, bis Sophie sich meldete. Anscheinend brauchte sie Zeit und eine neue Umgebung, um den Schock zu verarbeiten.
Mittlerweile war der Morgen über Cornwall eingezogen, als Sophie mit ihrem breiten Volvo durch die schmalen Straßen kurvte. Der Himmel war mit Wolken bedeckt und es goss in Strömen. Willkommen in England! Gott sei Dank gab es nicht viel Verkehr, so dass sie bisher keine waghalsigen Manöver fahren musste. Bei der letzten Abzweigung waren nach Lizard Point noch 6 Meilen angegeben gewesen, also musste sie bald ankommen. Sie hatte zwar schon länger kein Hinweisschild mehr gesehen, war sich aber sicher, auf der richtigen Straße zu sein. Sobald sie angekommen war, würde sie sich nach einem hübschen Bed & Breakfast erkundigen, wo man auch ihren Kater tolerieren würde. Sie war froh, einigermaßen gut Englisch sprechen zu können. Da sie Land und Leute während eines Sprachaufenthaltes in London lieben gelernt hatte, hatte es ihr auch Spaß gemacht, anschließend die Sprache weiter zu üben und zu vertiefen. Sobald sie ein Zimmer gefunden hätte und der Wolkenbruch vorübergezogen wäre, würde sie sich mit Pepe ans Meer setzen und sich die frische Brise um die Nase wehen lassen. Damit würde sie ihren Kopf bestimmt wieder etwas frei bekommen.
Sie bog gerade um eine Kurve, als ihr ein Land Rover den Weg versperrte. Sie erschrak heftig, trat aber noch rechtzeitig auf die Bremse. Dann blieb sie stehen, in der Hoffnung, dass der andere Fahrer den Rückwärtsgang einlegen würde. Aber weit gefehlt, der ältere Herr deutete ihr an, sie solle zurücksetzen. Erst dann sah sie, dass hinter seinem Land Rover noch zwei weitere Wagen standen und sie gar nicht anders konnte, als den Rückwärtsgang einzulegen. Sie kurvte langsam rückwärts bis zur nächsten Ausweichstelle, doch anscheinend trat sie etwas zu spät auf die Bremse und landete mit lautem Krachen in der kleinen Steinmauer. Gleich darauf gab es einen heftigen Knall und Pepe und sie schrien beide gleichzeitig auf. Sie zitterte am ganzen Körper und begann, unkontrolliert zu schluchzen. Der Fahrer des Land Rovers hatte die Misere gesehen und seinen Wagen in der Ausweichstelle vor sie hingestellt, damit die anderen an ihm vorbeifahren konnten. Er stieg aus und klopfte an Sophies Fenster. Sie reagierte nicht darauf. Er beugte sich etwas hinunter, um genauer in die Fahrerkabine blicken zu können, und sah, dass sie völlig aufgelöst war. Vorsichtig öffnete er die Autotür. »Alles okay mit Ihnen?«, fragte er. Doch Sophie konnte ihm nicht antworten, sie zitterte am ganzen Körper und durch ihr Schluchzen brachte sie kein Wort hervor. »Aber Mädchen«, meinte nun der Mann in väterlichem Ton, »das ist doch nicht so schlimm. Sie haben nur ein bisschen Ihr Hinterteil an der Mauer gestoßen und einen Platten eingefangen. Da lag wohl noch ein Nagel am Boden. Kommen Sie, steigen Sie mal aus und sehen Sie selbst.« Er half ihr, den Gurt zu lösen und bemerkte dabei, wie sie unaufhörlich zitterte. Als Arzt erkannte er die Anzeichen eines Schocks.
»Wissen Sie was, meine Frau und ich wohnen hier ganz in der Nähe. Ich nehme jetzt Ihre Katze, dann wechseln Sie in meinen Wagen und ich fahre Sie zu meiner Frau Mabel. Die macht Ihnen dann einen heißen Tee.«
Sophie war nicht in der Lage, ihm zu antworten und sah zu, wie er Pepe in seinen Land Rover verfrachtete. Dann kam er zurück und half ihr aus dem Wagen. Da sie so nahe am Straßenrand stand, musste sie auf die Beifahrerseite hinüberklettern, um aus dem Wagen zu kommen. Als sie aufstand, drohten ihre zitternden Knie, sie nicht zu tragen. »Hoppla, meine Liebe«, lächelte der ältere Herr sie an. »Halten Sie sich besser an mir fest. Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin der Arzt hier in der Gegend. Es scheint, als hätten Sie einen kleinen Schock erlitten.«
Eigentlich war er gerade auf dem Weg zu einer Patientin gewesen, aber die müsste sich nun noch ein Momentchen länger gedulden. Auf der Fahrt zu seinem Haus stellte er sich als Dr. James Marlow vor und redete beruhigend auf sie ein. Sophie selbst brachte noch immer kein Wort hervor. Sie konnte die Tränen einfach nicht mehr stoppen und kam sich dabei ziemlich albern vor.
Er bog in eine kleine Straße ein, die laut Wegweiser zur »Marlow Farm« führte. Die Farm bestand aus drei alten Steinhäusern. Vor dem größten hielt er mit dem Wagen an. Er nahm Pepe und führte Sophie ins Innere des gemütlich eingerichteten Hauses.
»Mabel!«, rief er. »Kannst du bitte Teewasser aufsetzen?«
Eine rundliche Frau mit grauen Haaren kam die Steintreppe heruntergeeilt und schaute Sophie mit einem freundlichen Blick an. »James, du Unhold! Was hast du diesem hübschen Wesen bloß angetan?«, fragte sie. Sie legte einen Arm um Sophie und führte sie gleich in die Küche, wo sie sie sanft auf einen Holzstuhl setzte. »Und lass die Katze aus dem Käfig. Ein Schälchen Milch verträgt sie bestimmt auch.«
James tat wie ihm geheißen und ließ Pepe frei, der gleich dankbar schnurrend um seine Beine schlich. Während Mabel Tee aufsetzte, holte er seinen Arztkoffer und maß Sophies Blutdruck und Puls. Soweit er erkennen konnte, waren ihre Pupillen langsam wieder auf Normalgröße geschrumpft. Nur das Weinen und das Zittern wollten nicht aufhören. Irgendwas schien die junge Frau zu einem Nervenzusammenbruch gebracht zu haben und ihm war klar, dass es nicht das Malheur auf der Straße gewesen sein konnte. Deshalb blickte er zu seiner Frau auf, die ihm bereits sanft lächelnd das Zeichen gab, sich zu verziehen. Seine Mabel war schon ein Goldstück und er dankte täglich dem Herrn, dass er sie zusammengeführt hatte. Nun musste er sich aber wirklich auf den Weg zur alten Maeve machen, die bereits seit einer halben Stunde auf ihn wartete.
Mabel stellte eine Tasse dampfenden Tee vor Sophie hin und reichte ihr ein paar Taschentücher. Dann setzte sie sich neben sie und legte den Arm um sie. »Na, Mädchen, was ist dir denn so Schlimmes passiert, dass du der Sintflut unseres Herrn Konkurrenz machen willst? Und du bist ja ganz dürr. Kriegst du denn nichts zu essen, da wo du herkommst? Verstehst du mich überhaupt?« Sophie nickte nur und zwischen zwei Schluchzern kam ein »Es tut mir leid« hervor.
Mabel lächelte. »Das muss es nicht. Wir alle kommen irgendwann mal an den Punkt, wo wir glauben, nichts geht mehr. Und dann, dann tut sich auf wunderbare Weise wieder irgendwo ein Türchen auf und das Leben geht wieder weiter. Aber bis es soweit ist, hol ich dir mal was.« Mabel stand auf und verschwand aus der Küche. Kurze Zeit später kam sie mit einer Flasche Whiskey zurück und schenkte Sophie und sich selbst ein Gläschen ein. »Komm, schluck das mal brav, das wärmt dich ein wenig von Innen.« Sophie folgte der Anweisung und trank den Whiskey gehorsam. Er brannte wie Feuer in ihrer Kehle.
»Also, James hat dir vermutlich bereits erzählt, dass ich Mabel bin. Und wie ist dein Name?«
»So-phie«, schluchzte sie mühsam hervor. Pepe hatte mittlerweile seine Milch aufgeschlabbert und erkundete neugierig die Küche.
»Und woher kommst du, Sophie?«
»Aus der Schweiz. Ich bin gestern einfach losgefahren …« Sie konnte nicht aufhören zu weinen. Mabel drückte sie an sich und fuhr ihr tröstend über den Kopf. »Heul nur, Mädchen, manchmal tut das gut. Ich sag immer, was raus muss, muss raus.« So saßen sie einfach eine Weile da. Mabel bemerkte, dass Sophie langsam weniger zitterte, auch wenn die Tränen noch nicht versiegt waren.
»Weißt du was, Sophie«, meinte sie schließlich. »Du bist bestimmt völlig geschafft von der langen Reise. Wir haben oben ein Gästebett, da kannst du dich erst mal etwas hinlegen. Deinen Kater kannst du bei mir lassen, der ist hier gut aufgehoben. Komm, ich zeige dir das Zimmer.«
»Ich kann nicht schlafen …«, schniefte Sophie.
Mabel schaute sie erstaunt an. »Aber du bist doch völlig erschöpft.«
»Schon, aber seit mein Mann …«, und wieder rannen ihr Sturzbäche die Wangen hinunter.
»Wie lange schläfst du schon nicht, Sophie?«, wollte Mabel nun genauer wissen.
»Eine knappe Woche oder so.«
»Und da hat dir noch kein Arzt etwas verschrieben!?«, empörte sich Mabel. »Also so geht das nun wirklich nicht! Ich habe ein paar Tropfen, die ich dir geben kann, dann schläfst du wie ein Baby. Wenn ich die nehme, höre ich nicht mal mehr wie James schnarcht.« Sie zwinkerte und führte dann Sophie zu dem Gästezimmer. Es war sehr klein, die Wände waren aus Stein und am Fenster hingen fein geraffte, weißblaue, mit Blümchen bedruckte Vorhänge. Ein einfaches Holzbett mit dicker Daunendecke, die mit dem gleichen Blümchenstoff bezogen war sowie ein kleiner Holztisch mit einer alten weißen Porzellanwaschschüssel waren alles, was darin enthalten war. Und trotzdem wirkte der Raum urgemütlich. Mabel holte ihr ein Glas Wasser und die Tropfen, danach schloss sie die Tür hinter sich. Tatsächlich tat das Medikament bald darauf seine Wirkung und Sophie schlief völlig erschöpft ein.
Als James von seiner Visite nach Hause kam, roch er schon das dampfende Mittagessen, das seine Mabel auf dem Herd hatte. Er setzte sich an den Küchentisch, nicht ohne vorher den Kater gestreichelt zu haben. Er liebte Tiere sehr und hielt auf seiner Farm selbst einige. Er besaß drei Kühe, sechs Hühner, ein paar Enten und zwei Ponys. Leider hatte er durch die Arztpraxis viel zu wenig Zeit und so blieb die meiste Arbeit an seiner Frau hängen. Nun war auch noch seine Sprechstundenhilfe ausgefallen, da sie ihr Baby früher als erwartet bekommen hatte. Ihre Nachfolgerin konnte aber erst in drei Wochen ihre Stelle antreten. James wusste noch gar nicht, wie er all die Arbeit ohne Hilfe schaffen sollte. Vielleicht hatte er Glück und Lucas konnte ihm jemanden für Haus und Hof vermitteln, so dass Mabel ihm in der Praxis helfen konnte. Aber darüber würde er später mit ihr reden. Erst mal wollte er wissen, ob es was Neues von der geheimnisvollen Frau gab, die er am Morgen auf der Straße aufgelesen hatte. Mabel berichtete ihm, was sie bisher wusste und dass sie nun oben im Gästezimmer war und mit Hilfe eines Schlafmittels zur Ruhe kam.
»Das ist eine lange Zeit ohne Schlaf! Hmm, hat sie dir erzählt, was da passiert ist?«
»Nein«, Mabel seufzte, »aber ich vermute, es hat was mit ihrem Mann zu tun. Sie hat was angedeutet, aber dann konnte sie vor lauter Weinen nicht mehr weitersprechen. Vielleicht geht es ihr, nachdem sie etwas geschlafen hat, besser. Was geschieht denn nun mit ihrem Wagen? Den kann sie vermutlich nicht da stehen lassen, oder?«
»Nein, das geht nicht. Ich werde gleich noch Lucas anrufen, ob er oder einer seiner Arbeiter ihn heute Nachmittag herbringen kann. Man muss ja nur den Reifen wechseln, die Delle hinten kann sie später reparieren lassen.« James gab seiner Frau einen Kuss. »Hast du gut gemacht, mit Sophie. Bist halt einfach die Beste.«
Mabel lächelte etwas verlegen und knuffte ihm dann liebevoll in die Seite. »Sag schon was du willst. Einfach so schmeichelst du mir schließlich nicht.«
James lachte auf. »Also hör mal?! Aber wenn du schon so nett fragst, hätte ich gerne einen Teller des köstlichen Eintopfs, den ich da rieche. Und dann muss ich tatsächlich etwas mit dir besprechen.«
Er erzählte ihr, dass er Maeve ins Krankenhaus bringen lassen musste und sie vermutlich nicht mehr nach Hause zurück könne. Sie litt an Altersdemenz und Diabetes. Es wurde langsam, aber sicher gefährlich, sie allein zuhause zu lassen. Dann berichtete er von Vivien, seiner Sprechstundenhilfe, die in der letzten Nacht überraschend frühzeitig ihr Baby bekommen hatte.
»Und was machst du nun? Kann ihre Nachfolgerin schon früher anfangen?«, fragte Mabel besorgt. Ihr Mann arbeitete so schon viel zu viel und ohne die Sprechstundenhilfe wäre er wohl völlig überlastet.
»Nein, leider nicht. Aber ich habe mir überlegt, ob ich Lucas frage, ob er mir nicht einen seiner Leute für Haus und Hof abbestellen könnte, so dass du, mein Schatz, mir eventuell einmal mehr in der Praxis aushelfen könntest.«
Mabel schnaubte auf. »Wusste ich’s doch, dass du was im Schilde führst. Natürlich helfe ich dir gerne aus, James, aber von Lucas‘ Bauerntölpeln lasse ich niemanden auf den Hof und schon gar nicht ins Haus! Die sehen in den Tieren ja nur den Braten und von Haushalt verstehen die nun wirklich nichts, und am Ende fehlt dann noch die Hälfte des Silberbesteckes. Nein, kommt gar nicht in Frage! Gib mir noch ein oder zwei Tage Zeit, ich finde schon jemanden, dem ich trauen kann.«
James seufzte. »Ich weiß gar nicht, was du immer gegen seine Jungs hast. Die sind schon in Ordnung.«
Mabel schluckte eine weitere Bemerkung hinunter.
Ein Sonnenstrahl kitzelte Sophies Gesicht. Sie blinzelte und versuchte, sich zu orientieren. Wo war sie? Sie lächelte, als sie Pepe zusammengekringelt zu ihren Füßen schlafen sah. Jürgen hätte ihr nie erlaubt, Pepe ins Schlafzimmer zu lassen. Jürgen … blitzartig fiel ihr alles wieder ein und sie spürte erneut den Kloß in ihrem Hals. Sie schlüpfte aus dem Bett und öffnete das Fenster, um die frische Luft hereinzulassen. Die Sonne stand vermutlich noch nicht lange am Himmel und die Luft war kalt. Sie atmete tief ein und versuchte, gegen den Kloß anzugehen. Es würde sie nicht weiterbringen, sie musste aus diesem Loch herauskrabbeln … irgendwie. Sie schaute sich in dem hübschen Zimmer um und war dankbar, auf Menschen wie James und Mabel gestoßen zu sein. Wer nimmt schon eine Wildfremde einfach in seinem Haus auf? Sie hätte schließlich auch eine Serienmörderin sein können. Auch über sich selbst staunte sie. Wie konnte sie hier einfach einschlafen, bei Menschen die sie nicht kannte? Das hätte sie früher nie getan. Da sie von unten schon Geräusche hörte, zog sie sich rasch an und verließ mit Pepe auf dem Arm ihr Zimmer. Sie wollte den beiden nicht länger als nötig zur Last fallen.
Aus der Küche kam ein feiner Duft von Kaffee und Eiern mit Speck. Als Mabel den Gast in der Tür entdeckte, stellte sie die Pfanne zurück auf den Herd und kam lächelnd auf sie zu. »Na, Sophie, jetzt gefällst du mir schon besser. Hast wieder ein bisschen Farbe ins Gesicht bekommen. Komm, setz dich und frühstücke mit uns.« Sanft bugsierte sie Sophie auf einen Stuhl neben James, der sich bereits über seinen Teller mit Rührei und ein paar Scheiben gebratenen Speck hermachte. »Magst du auch eine Portion?«, erkundete sich Mabel.
Sophie wollte schon wieder aufstehen, doch James hielt ihre Hand fest. »Ihr jungen Leute seid einfach zu hibbelig. Nun mach mich nicht nervös und bleib einfach sitzen.«
»Ich will euch nicht zur Last fallen. Ihr wart bereits so unheimlich nett zu mir und Pepe.«
James nickte. »Pepe heißt der knuddelige Kerl also. Er ist wirklich ein Prachtkater. Du hast uns keine Umstände gemacht. Hast ja eh die ganze Zeit geschlafen. Ich will dich auch gar nicht löchern, was dir denn passiert ist, aber wenn du magst, hören wir gerne zu.«
Sophie flüsterte leise ein »Danke«.
»Was hast du denn nun vor?«
»Ich werde mich wohl um meinen Wagen kümmern müssen. Schätze mal, ich kann ihn da nicht länger stehen lassen, und dann suche ich mir in der Nähe ein Bed & Breakfast, wo Pepe und ich erst mal bleiben können.«
»Also deinen Wagen hat gestern Lucas hergefahren, ein Freund von uns. Er hat den Ersatzreifen montiert, so dass du das orangene Ding wieder fahren kannst. Mit dem Bed & Breakfast könnte es schwierig werden, wenn du ein Tier dabei hast. Kannst du kochen?«
»James!«, rief Mabel entrüstet. Sie ahnte, worauf er aus war.
Sophie nickte.
»Willst du in Cornwall Ferien machen oder könntest du dir auch vorstellen ein wenig zu arbeiten?«
»Jetzt wirst du unverschämt …«, entrüstete sich Mabel. »Du hast überhaupt keine Ahnung, was die Frau durchgemacht hat, und willst sie gleich für deine Zwecke ausnutzen! Ich kenn dich gar nicht mehr!«
Sophie schmunzelte. »Mir gefällt deine direkte Art, James. Ein wenig Arbeit würde mir vermutlich guttun und mich ablenken.« Dann fügte sie etwas stockend hinzu: »Mein Mann … ist letzte Woche bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Es gab noch einige … verwirrende Umstände um den Unfall herum, über die ich noch nicht sprechen möchte …«, sie kämpfte wieder gegen die Tränen an. »Aber wenn ihr mich hier brauchen könnt, werde ich gerne ein paar Tage bleiben.«
Auch Mabel hatte Tränen in den Augen, sie hatte ja bereits vermutet, dass es etwas mit ihrem Mann zu tun hatte. Aber Sophie tat ihr einfach leid. Es musste schrecklich sein, den geliebten Mann von einem Moment auf den anderen zu verlieren. Sie legte ihre Hand auf Sophies Schulter und drückte sie sanft. »Ach, Kindchen. Bleib einfach so noch ein paar Tage hier und erhole dich. Ich habe James bereits gesagt, dass ich jemanden für den Haushalt durch eine Jobvermittlungsagentur herholen werde.« Damit stand Mabel vom Küchentisch auf und holte ein paar Eier aus dem Kühlschrank, um auch für Sophie Frühstück zuzubereiten.
Sophie schaute von James zu Mabel und meinte: »Nein, ich meine es ernst, wenn ihr wirklich Verwendung für mich habt und etwas Geduld aufbringen könnt, dann würde ich gerne mit meinem Kater hierbleiben. Wie kann ich denn überhaupt helfen?« Bevor Mabel etwas sagen konnte, erklärte ihr James die Sachlage mit seiner Sprechstundenhilfe.
»Wir bräuchten jemanden, der sich hier um den Haushalt kümmert, die Kühe melkt und all die Tiere versorgt. Mabel würde mir dann tagsüber in der Praxis aushelfen. Sie war früher die Sprechstundenhilfe meines ärgsten Konkurrenten, der nun aber längst in Pension weilt.« Letzteres fügte er nicht ohne Grinsen hinzu. Schließlich war er auch schon sechzig Jahre alt, und manch einer seiner Kollegen war in diesem Alter bereits im Ruhestand und auf die Kanalinseln gezogen. Aber James liebte seinen Job und auch die Farm, auf der er seit einer halben Ewigkeit wohnte. Er könnte sich ein anderes Leben gar nicht vorstellen. Und seine Praxis lief so gut wie eh und je.
»Kann mich Mabel heute noch einarbeiten?« Sophie war plötzlich ganz erpicht auf die Arbeit.
Mabel setzte ihr den Teller mit Rührei und Speck vor und reichte ihr dazu eine Scheibe Toast und eine Tasse Tee. »Natürlich, aber nur, wenn du das wirklich willst und dich nicht einfach verpflichtet fühlst. Und über die Bezahlung müssen wir auch noch sprechen.«
»Nein, wirklich, ich tue das gern. Mehr als Kost und Logis brauchen Pepe und ich nicht.«
Mabel sah, wie Sophie lustlos im Essen herumstocherte. Noch immer fehlte ihr der Appetit.
»Jetzt iss schon, Mädchen«, knurrte James. »Du siehst noch immer aus, als würdest du bei leichter Brise umkippen. Und wenn du für uns arbeiten willst, musst du bei Kräften sein. Es ist kein Zuckerschlecken, das sag ich dir. Mabel kann eine echte Sklaventreiberin sein.«
Gehorsam schob sie eine weitere Gabel in den Mund. Es schmeckte nicht übel, aber ihr Magen rebellierte gegen die ungewohnt deftige Speise um diese Uhrzeit.
James machte sich kurz darauf auf den Weg in seine Praxis, die im Dorf lag. Und als Mabel sich umdrehte, steckte Sophie Pepe die Speckstreifen zu, über die er sich gleich gierig darüber hermachte.
»Du kannst nachher erst mal deine Sachen vom Auto ins Zimmer schaffen. Dann führe ich dich auf dem Hof herum und zeige dir, was zu tun ist, bevor wir Mittagessen kochen. James kommt immer so gegen halb eins zum Lunch nach Hause.« Mabel drehte sich zu ihr um. »Und du kannst Pepe das Rührei in den Napf geben, den ich für ihn bereitgestellt habe. Aber ich bestehe darauf, dass du wenigstens noch einen Toast isst.«
Sophie lächelte. Den gutmütigen Augen von Mabel schien nichts zu entgehen.
Nach dem Essen half sie Mabel erst mal beim Abwasch, bevor sie hinaus zu ihrem Wagen lief. Sie holte die beiden Koffer und das Katzenfutter heraus und schaffte alles ins Haus. Erst am Ende bemerkte sie den Stapel Post, der noch immer auf dem Rücksitz ihres Wagens lag. Sie nahm ihn ebenfalls heraus und legte ihn in ihrem Zimmer auf den kleinen Tisch. Am Abend würde sie genügend Zeit haben, diesen durchzugehen. Rasch zog sie eine alte Jeans und einen Sweater an und ging wieder hinunter zu Mabel, die sie über den Hof führte. Die beiden anderen Steinhäuser, die sie bei der Ankunft bemerkt hatte, waren Ställe. Der eine beherbergte drei Kühe. Mabel würde ihr am Abend zeigen, wie man diese melkte. Im anderen Stall waren zwei Ponys untergebracht, die sie nun gleich auf die Weide führten. Dann schauten sie bei den Hühnern vorbei, um sie zu füttern und die Eier herauszuholen. Auch den Enten am kleinen Teich hinter dem Haus wurde das Futter aufgefrischt. Neben dem Teich war gut eingezäunt der Gemüsegarten untergebracht. Mabel schien wie fast alle Engländer eine leidenschaftliche Gärtnerin zu sein. Sie hatte Bohnen, Karotten, Kartoffeln, Lauch, Radieschen, Salate, Gurken, Zucchini, Kohlrabi und Tomaten angepflanzt. Das Gemüse war noch jung, genau wie die Jahreszeit. In einer wilden Hecke wuchsen Brombeeren und gleich daneben Himbeeren, Stachelbeeren und Johannisbeeren. Im Sommer musste dies ein Schlaraffenland sein. Natürlich steckte in allem viel Arbeit und Herzblut. Um halb zwölf machten sie sich auf in die Küche und Mabel erklärte ihr, wie man mit einem Gasherd kocht. Zum Mittagessen gab es gewöhnlich nur eine Kleinigkeit. Heute würde es ein Tomatensüppchen mit frischem Salat und Eiersandwiches geben. Während sie den Tisch deckte, erkundigte sich Sophie, wer denn dieser Lucas sei.
Mabel lächelte, als sie von ihm sprach. »Er ist ein ganz lieber Junge. Der Sohn meiner ehemaligen Schulfreundin, weißt du. Seit seine Eltern gestorben sind, ist er wie ein Sohn für uns. Er arbeitet in der City und hat Hilfsarbeiter eingestellt, die sich um seine Farm kümmern. Nur leider hat er ein viel zu gutes Herz und gibt jedem dahergelaufenen Gesindel eine Chance.« Mabel schmeckte die Suppe ab und fuhr dann fort: »Lucas schaut immer mal wieder bei uns vorbei, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.«
Als James dann nach Hause kam, aßen die drei gemütlich den Lunch in der Küche. Am Nachmittag zeigte ihr Mabel, wie die Waschmaschine funktionierte und was es sonst noch so rund ums Haus zu erledigen gab.
»Weißt du, Sophie, es muss nicht alles perfekt erledigt sein. Ich bin schon froh, wenn ich neben der Arbeit in der Praxis nicht noch kochen, waschen und die Tiere versorgen muss. Mach einfach was du machen magst. Du hast schließlich auch noch andere Dinge im Kopf.«
»Mach dir keine Gedanken, Mabel«, lächelte Sophie. »Die Ablenkung tut mir ganz gut. Ich hoffe nur, dass euch mein Essen schmecken wird.«
Mabel gluckste. »Na ja, schlimmer als die englische Küche ist anscheinend nichts.« Sie mussten beide lachen, aber Mabel sah, dass Sophies Lachen nicht ihre Augen erreichte. Die Trauer war ihr deutlich anzusehen.
»Übrigens, das Meer ist hier gleich um die Ecke«, Mabel zeigte auf den kleinen Hügel vor ihnen. »Wenn du da den Pfad über den Hügel läufst, kommst du auf den Coast Path, wo du schöne einsame Buchten findest.«
Am Abend machte Sophie es sich mit Pepe auf dem Bett gemütlich und beschloss, nun ihre Mutter anzurufen, damit die sich keine Sorgen machte. Nach fünfmal Klingeln ging der Anrufbeantworter an.
»Hallo, Mum. Ich wollte mich nur kurz melden, damit ihr euch keine Sorgen macht. Ich bin mit Pepe in Cornwall bei einer netten Familie untergekommen. Es tut mir ganz gut, etwas weg aus der gewohnten Umgebung zu sein. Vielleicht kann ich hier das Geschehene verarbeiten. Ich melde mich bald wieder. Tschüss.« Sophie war ganz froh, dass ihre Mutter nicht zuhause war und sie so ihren Fragen ausweichen konnte. Sie schnappte sich nun den Poststapel und legte gleich die Trauerkarten beiseite. Die wollte sie sich noch nicht zumuten. Dann fand sie ein Schreiben einer Versicherung, deren Namen ihr völlig unbekannt war. Sie öffnete es und las.
Sehr geehrte Frau Steiner,
wir sprechen Ihnen unsere herzliche Anteilnahme zum Tod Ihres Mannes aus. Wie Ihnen bestimmt bekannt ist, hatte Ihr Mann bei unserer Agentur eine Lebensversicherung abgeschlossen, die nun zur Auszahlung fällig wird. Wenn wir von Ihnen keine andere Weisung erhalten, werden wir Ihnen das Guthaben von SFr. 1.000.000.00 auf das von Ihrem Mann angegebene Konto bei der Kantonalbank einzahlen …
Alles Weitere verschwamm vor Sophies Augen. Sie schluckte und las das Schreiben nochmals. Jürgen hatte ihr nie etwas von einer Lebensversicherung erzählt, die er abgeschlossen hatte. Das Finanzielle hatte immer er geregelt. Gehört das Geld nun wirklich ihr? Obwohl er sie an dem Unfalltag verlassen wollte? Was sollte sie damit tun? In ihrem Zimmer wurde es auf einmal stickig und eng. Sophie griff nach ihrer Jacke und lief hinaus zum Gehege der Ponys, wo sie erst mal tief durchatmete. Das Geld machte sie mit einem Schlag zu einer reichen Frau, und der Gedanke jagte ihr einen unheimlichen Schrecken ein. Sie wollte das Geld nicht wirklich, es fühlte sich einfach nicht richtig an. Es konnte Jürgens Verrat nicht wieder gut machen. Und vermutlich war das Geld am Ende gar nicht für sie, sondern für Jeannette bestimmt gewesen. Dass es nun ihr ausbezahlt wurde, war nur den unglücklichen Umständen zuzuschreiben. Es müsste sie eigentlich mit Genugtuung erfüllen, aber das tat es nicht. Das Pony namens Freeze näherte sich ihr und stupste sie sanft an. Gedankenverloren kraulte sie seine Mähne. Da kam James um die Ecke und öffnete das Gatter. Die beiden Ponys trotteten sofort zu ihm hin und er gab jedem eine Karotte, bevor er sie mit in den Stall nahm. Als er wieder hinauskam, sah er Sophie immer noch grübelnd am Zaun stehen.
»Alles klar bei dir?«, fragte James.
»Hmm«, Sophie blickte zu ihm auf. »Sag mal, James. Was würdest du tun, wenn du plötzlich eine Million auf dem Konto hättest?«
James lachte laut auf. »Hach, diese Frage stellt sich mir wohl nie ernsthaft.« Als er ihren Blick sah und merkte, dass die Frage ernst gemeint war, lehnte er sich neben sie an den Zaun. »Also, vermutlich würde ich zu einem seriösen Anlageberater gehen, damit das Geld erst mal sicher angelegt ist, und dann, ja dann würde ich mir gut überlegen, welche Wünsche ich mir erfüllen möchte. Denn erfüllt man sich alle zu schnell, so hat man keine Zeit sie zu genießen, und zum Träumen hat man nachher auch nichts mehr. Das Geld läuft einem auf der Bank nicht davon.«
»Ja, das klingt vernünftig. Ich denke, das würde ich wohl auch so machen«, meinte Sophie. »Das Dumme ist nur, dass ich gar nicht mehr weiß, was meine Träume und Wünsche sind und was ich eigentlich machen will. Ich war in meinem Job nie besonders glücklich. Er war für mich lediglich ein notwendiges Übel, um Geld zu verdienen und mir ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Jetzt, wo ich gesehen habe, wie kurz das Leben sein kann, habe ich so gar keine Lust mehr, in dieses Büro und in dieses Leben zurückzukehren.«
James nickte. »Weißt du, meine Liebe, ich habe schon viele Patienten gehabt, die sehr früh aus dem Leben gerissen wurden. Das hält mir auch immer wieder vor Augen, dass man das tun sollte, was einem am Herzen liegt, solange man dabei keine anderen Menschen verletzt. Natürlich gibt es auch Pflichten, denen man nicht ausweichen kann und natürlich sind einem finanzielle Grenzen gesetzt, aber man muss das Leben nach seinem eigenen Gutdünken leben und keine Angst haben, mal ein Risiko einzugehen. Als ich Mabel heiratete, war sie die Tochter eines Knechts und arbeitete in der Arztpraxis eines Kollegen. Meine Eltern hatten aber für mich die Tochter des hiesigen Lords vorgesehen gehabt. Schließlich war ich ein angehender Arzt und meine Eltern waren in der Gesellschaft auch sehr angesehen.« Er lachte. »Sie drohten damit, mich zu enterben und, glaube mir, Sophie, meine Eltern hatten ein riesiges Grundstück. Aber ich liebte Mabel aus tiefstem Herzen und war nicht bereit nachzugeben. So haben wir beide geheiratet und ganz unten angefangen, und wir haben es geschafft, für uns ein kleines Paradies zu erschaffen.«
»Klingt wie im Märchen«, seufzte Sophie.
»Ja, aber es war kein Honigschlecken. Wir mussten am Anfang wirklich hart arbeiten.«
»Haben sich deine Eltern wirklich von euch abgewandt?«, fragte Sophie neugierig nach.
»Ja, wir haben uns völlig verkracht und sie starben leider, ohne dass wir uns versöhnen konnten. Gegen die Sturheit mancher Leute ist einfach kein Kraut gewachsen. Den Entschluss, Mabel gegen den Willen meiner Eltern zu heiraten, bereute ich keinen einzigen Tag.«
Sophie lächelte. »Ja, man sieht euch beiden das Glück auch an.«
James legte ihr den Arm um die Schulter und führte sie ins Haus. »Also, meine Liebe, lege deine Million gut an und überlege dir, wie du damit dein Leben gestalten willst.« Er zwinkerte ihr belustigt zu.
Trotz der Aufregung schlief Sophie in dieser Nacht gut und wachte erst auf, als sie hörte, wie die beiden Marlows bereits herumfuhrwerkten. Schnell schlüpfte sie in ihre Jeans und einen Pullover, duschen könnte sie, wenn die beiden bei der Arbeit waren. Schließlich wollte sie ihren ersten Arbeitstag nicht schon zu spät anfangen. Doch Mabel stand bereits am Herd, als Sophie in die Küche stürmte. »Ich mach das schon, Mabel«, meinte sie und wollte ihr die Pfanne aus der Hand nehmen.
»Nichts da, Mädchen, heute gibt es noch ein englisches Frühstück, das kriegt ihr Festländer einfach nicht hin. Morgen kannst du uns dann auftischen, was ihr so esst.«
»Aber die Küche mache ich anschließend sauber«, beharrte sie, wogegen Mabel nichts einzuwenden hatte.
Sophie knabberte nur an einigen Toasts, da ihr Speck mit Rührei einfach zu deftig war. Belustigt nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie James Pepe ein Stückchen Speck zusteckte.
»Übrigens, Mabel, hast du etwas dagegen, wenn ich aus den Äpfeln in der Früchteschale eine Konfitüre koche?«
Mabel schüttelte mit vollem Mund den Kopf. »Zucker findest du in der Vorratskammer da hinten. Du musst dich bald mal umschauen, was alles da ist. Eventuell musst du morgen ins Dorf fahren, um einkaufen zu gehen.«
»Geht klar.«
Als die beiden dann aus dem Haus waren, gönnte sich Sophie erst mal eine Dusche, bevor sie ihr Bett machte und die Küche aufräumte. Dann ging sie in den Hühnerstall und holte die Eier heraus. Die Hühner waren so fleißig gewesen, dass sie beschloss, heute Gemüseomeletts zum Lunch zuzubereiten. Dazu gäbe es einen Feldsalat, da dieser im Garten bereits vielversprechend aussah. Nach den Hühnern fütterte sie die anderen Tiere und führte die Ponys auf die Weide. Sie war froh, dass James sich bereit erklärt hatte, die Kühe jeweils am Morgen zu melken, denn das traute sie sich wirklich noch nicht zu. Aber das Ausmisten musste sie übernehmen. Mit Schubkarre und Mistgabel begab sie sich in den Stall. Puhhh, was für ein Düftchen. Sie krempelte die Ärmel hoch und machte sich ans Werk. Während der Arbeit musste sie schmunzeln, als sie sich vorstellte, was ihre Arbeitskolleginnen aus dem Kaufhaus wohl sagen würden, wenn sie sie hier mitten im Mist stehen sähen. Sie hatte bereits die Hälfte des Stalls geschafft, als sie draußen ein Auto vorfahren hörte. Sie lehnte die Mistgabel gegen den Balken, um nachzusehen, wer da gekommen war. Ein schwarzer Land Rover stand vor dem Haus, und sie sah einen Mann von hinten, der kurz gegen die Haustür klopfte, diese dann einfach öffnete und »Hallo!« hineinrief.
Waren hier alle so frech? »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Sophie etwas schroff.
Der Mann wandte sich um. Seine Wangen waren leicht gerötet, wie man es bei vielen Engländern sah. Seine Augen hatten die Farbe des Meeres, wie Sophie es sich bei Sturm vorstellte. Goldbraune Haare standen ihm etwas wuschelig vom Kopf, als wäre er mit den Händen zigmal durchgefahren, an den Schläfen war er bereits etwas ergraut. Irgendwie erinnerte er sie an eine etwas ältere Version von Tim aus Tim und Struppi. Alles in allem sah er schnuckelig, aber leicht angesäuert aus. »Sind Sie Sophie?«
»Ähm, ja und wer sind Sie? Hat James Sie geschickt? Braucht er etwas?«
Er machte keine Anstalten, ihr die Hand zur Begrüßung zu geben. Irgendwie hatte Sophie das Gefühl, dass der Typ nicht gut auf sie zu sprechen war.
»Lucas. Lucas Anderson. Ich hatte neulich Ihren Wagen hergebracht.«
»Ach ja, und Sie haben den Reifen gewechselt… vielen Dank dafür.« Sie lächelte und hoffte, von ihm eine ähnlich freundliche Geste zu erhalten.
»Was tun Sie hier, Sophie?«, fragte er direkt.
»Ich miste den Stall aus.«
»Das meine ich nicht«, entgegnete er genervt. »Warum sind Sie hier? Was wollen Sie von James und Mabel?«
Na, der fackelte ja nicht lange. »Ich wüsste zwar nicht, was Sie das angehen sollte, aber die beiden haben mir aus einer Notlage geholfen, und nun versuche ich, mich zu revanchieren, indem ich hier ein bisschen aushelfe.«
Lucas Blick nagelte sie weiterhin fest. »James und Mabel haben den Glauben an das Gute im Menschen, aber ich bin da ein wenig misstrauischer. Ich werde ein Auge auf Sie haben und sollten Sie versuchen, die beiden auszunutzen oder irgendwas aus dem Haus zu entfernen, dann werden Sie mich kennenlernen.«
»Danke«, auch sie blickte ihm nun wütend über diese ungerechte Unterstellung direkt in die Augen, »aber mein Bedarf, Sie kennenzulernen, ist bereits gedeckt. Wenn Sie nichts dagegen haben, in einer Stunde kommen Mabel und James zum Mittagessen zurück und bis dahin habe ich noch einiges zu tun. Und keine Angst, das Silberbesteck zu entwenden gehört nicht dazu!« Mit dieser Bemerkung machte sie auf dem Absatz kehrt und stampfte zurück in den Stall. Was dachte sich dieser ungehobelte Kerl eigentlich?! Wütend griff sie zur Mistgabel, stach in den Mist hinein und wandte sich um, um die triefende Ladung schwungvoll in die Schubkarre zu werfen. Dass Lucas ihr gefolgt war und mittlerweile zwischen ihr und der Schubkarre stand, hatte sie nicht bemerkt. Erschreckt schrie Sophie auf, doch leider konnte sie den Schwung der Gabel nicht mehr bremsen und so flog Lucas der Mist direkt entgegen. Einen Moment lang herrschte völlige Stille, doch dann zuckte es verdächtig um Sophies Mundwinkel. Lucas hob wütend den Zeigefinger: »Wagen Sie es ja nicht, jetzt zu lachen!« Auf seinem Hemd und der Jeans hatte der Mist mehrere braune Flecken hinterlassen und ein paar Strohhalme klebten noch dran. Sophie hob die Hand, um diese wegzuwischen, doch Lucas fing die Hand ab und umklammerte fest ihr Handgelenk. »Lassen Sie das, das macht es nur noch schlimmer!« Er ließ sie los und stapfte zurück zu seinem Wagen. Als sie ihn davonbrausen hörte, entwich ihr ein leises »Puh«. Das war also der von den Marlows hoch angesehene Lucas Anderson mit dem guten Herzen. Wie gut, dass sie nicht vorhatte, lange hierzubleiben, mit dem Kerl würde sie sich nicht gut verstehen, das war schon mal klar.
In seinem Wagen musste Lucas dann über die Situation doch grinsen. Vielleicht hatte er ein bisschen überreagiert. Aber als James ihm von der fremden Frau erzählt hatte und dass sie nun vorhätte, länger bei ihnen zu bleiben, hatte er sich ernsthaft Sorgen gemacht, schließlich kannte sie niemand. Sie hätte eine geflohene Verbrecherin sein können oder sonst was. Und als dann Mabel auch noch berichtete, dass diese Sophie nun allein in ihren vier Wänden herumhantieren würde, wollte er doch mal nach dem Rechten sehen und klarmachen, dass das ältere Ehepaar nicht einfach auszunehmen war. James und Mabel haben ihm so viel gegeben, sie waren mehr als nur Freunde, sie waren für ihn wie Mutter und Vater, die er selbst nicht mehr hatte. Er würde diese Sophie beobachten, bis er sicher war, dass von ihr keine Gefahr für die beiden ausging.
Mit knirschenden Reifen fuhr er vor seiner eigenen Farm vor. Als er hinter sich die Autotür zuknallte und ins Haus rauschte, lief ihm seine Haushälterin über den Weg. »Uhhh … du riechst etwas streng, Lucas. Was ist denn mit dir passiert?«, fragte sie leicht grinsend und wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum.
»Frag nicht!«, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und eilte an ihr vorbei ins Badezimmer.
Das Omelett brutzelte in der Pfanne, der Tisch war gedeckt, aber der Stall noch nicht fertig ausgemistet. Doch das konnte sie auch am Nachmittag erledigen. Sie beschloss, Mabel und James nichts von Lucas Besuch zu erzählen, vermutlich würden sie sich nur aufregen, dass ihr Freund sich so unmöglich benommen hatte. Den beiden schmeckte die Mahlzeit sehr. Sophie hatte das Omelett noch mit Bärlauch gewürzt, welchen sie im Garten gefunden hatte. Viel Zeit blieb den beiden nicht, bevor sie wieder zurück in die Praxis mussten. Am Abend saßen sie nach einem reichlichen Mahl mit Kartoffeln, Steaks, überbackenen Tomaten und Bohnen, und einem Apfelkuchen vor dem Kamin. »Mädchen, wenn du uns weiter so mästest, werden wir in ein paar Tagen nicht mehr zur Tür hineinpassen«, grinste James.
»Du kochst wirklich sehr gut, Sophie. So einen leckeren Apfelkuchen habe ich noch nie gegessen. Die Idee mit der Vanillecreme-Füllung ist bestechend. Du verrätst mir doch noch das Rezept, oder?«
Sophie war froh, den beiden etwas zurückgeben zu können, es war schließlich überhaupt nicht selbstverständlich, eine Fremde einfach bei sich aufzunehmen. »Aber natürlich.«
»Ich habe gesehen, was du heute alles geschafft hast. Es ist nicht nötig, dass du dich so abrackerst. Gönn dir auch ein paar freie Stunden. Geh doch mal ans Meer oder mach einen Spaziergang.«
»Ich werde morgen ins Dorf fahren. Mein Kater braucht noch Futter. Kann man den Weg auch mit dem Fahrrad zurücklegen? Ich traue mir das Fahren auf der linken Seite auf diesen engen Sträßchen nicht wirklich zu.«
James lachte. »Nur weil es beim Zurücksetzen ein bisschen gewumst hat? Meine Liebe, du solltest gleich wieder ins Auto steigen, sonst verlierst du diese überflüssige Angst nicht mehr.«
»Ach, lass sie doch, James«, meinte Mabel verständnisvoll. »Natürlich kannst du auch mit dem Rad ins Dorf. Du kannst meines benutzen, es steht in dem alten Schuppen da drüben.«
Am nächsten Nachmittag, als Sophie ihre Pflichten erledigt und auch noch Apfelmarmelade gekocht hatte, nahm sie Mabels Fahrrad in Augenschein. Es war ein ganz süßes Teil, zwar noch mit alter Gangschaltung, aber ein bisschen Fitness konnte ihr nicht schaden. Es war von Hand grün gestrichen worden, und vorne war am Lenker ein weißes Körbchen befestigt.
Der Weg ins Dorf war wirklich nicht weit und schon bald stöberte Sophie durch den kleinen Dorfladen, wo sie neben ein paar benötigten Lebensmitteln auch Pepes Futter fand. Als sie vor einigen Flaschen Whiskey stand, kam ihr plötzlich die Idee, dass sie damit Lucas ein Friedensangebot machen und sich für das Herbringen ihres Wagens bedanken könnte. Vielleicht sah er dann auch ein, dass sie nicht vorhatte irgendwen auszunutzen, und hier nur wieder zu sich selbst finden wollte. So packte sie also eine Flasche mit einer Grußkarte in ihren Einkaufskorb. Sie würde das Ganze dann am nächsten Tag bei ihm einfach im Briefkasten deponieren, denn auf eine weitere persönliche Begegnung konnte sie im Moment gerne verzichten. Vielleicht würde sich aber auch James bereit erklären, die Flasche vorbeizubringen, schließlich waren die beiden ja befreundet und sahen sich bestimmt öfters.
Zurück bei den Marlows griff sie zum Telefon, um ihre Mutter anzurufen, vielleicht war sie ja jetzt zuhause. Bereits nach dem zweiten Klingeln meldete sie sich am anderen Ende der Leitung. »Ja?«
»Hallo Mum, ich bin’s«, meldete sich Sophie schuldbewusst.
»Sophie! Geht es dir gut?!« Sie hörte, wie ihre Mutter erleichtert aufatmete.
»Ja … ja es geht mir besser. Es tut mir leid. Es ist so viel passiert … ich musste einfach weg, weg von allem.« Dann erzählte sie ihrer Mutter die ganze Geschichte. Bei dem Teil, wie Jürgen sie hat verlassen wollen, liefen ihr wieder die Tränen übers Gesicht. »Ich kann einfach nicht glauben, wie dumm ich gewesen bin, Mum. Dass ich all die Zeit nichts gemerkt habe?!«
»Hach, Sophie.« Auch die Stimme ihrer Mutter zitterte. »Es tut mir alles so leid. Ich hätte Jürgen nicht zugetraut, dass er so hinterhältig und verlogen ist … oder war, sollte ich wohl besser sagen. Barbara hat, nachdem du weg warst, den Brief gefunden und mir davon erzählt. Geht’s dir wirklich gut?«
»Ja, mach dir bitte keine Sorgen. Ich helfe hier einem älteren Paar aus. Es tut gut, die frische Luft hier zu atmen, das Meer, die Farben, die Menschen …«
»Wie lange bleibst du?«, unterbrach ihre Mutter sie besorgt.
»Ich weiß nicht. Vorerst mal bis die Vertretung von der Praxisangestellten von James ihre Arbeit aufgenommen hat und Mabel wieder zuhause arbeiten kann. Es ist so schön hier, Mum. Weißt du noch, wie wir vor Jahren hier in Cornwall Urlaub gemacht haben? Ich habe mich an Lizard erinnert, als ich unterwegs war, und da zog es mich einfach hierhin. Es ist ein Ort, der der Seele guttut.«
Sophies Mutter seufzte, »Ja, das ist er wirklich, ich erinnere mich noch gut an das kleine Dorf, die Küste und diese unglaubliche Weite. Brauchst du noch irgendwas, Liebes? Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Nein, ich habe alles, aber danke. Mach dir bitte keine Sorgen, ich melde mich bald wieder.«
Sie war erleichtert, dieses Telefonat endlich erledigt zu haben. Aber wenn sie daran dachte, irgendwann zurück in die Schweiz fahren zu müssen, überkam sie das nackte Grauen. Daheim würde sie wieder alles an Jürgen und seinen Betrug erinnern. Nein, noch wollte sie daran gar nicht denken.
Am nächsten Tag lachte die Sonne wieder und James blickte grinsend zum Himmel hoch. »Wo sich wohl das englische Wetter hin verzogen hat? Herrlich! Meine Lieben, was habt ihr heute vor?«
»Da heute Samstag ist und du mich in der Praxis nicht brauchst, werde ich etwas im Garten herumwuseln. Dank Sophie muss ich mich ja nicht mal mehr um die Wäsche kümmern. Du bist wirklich ein Segen, meine Liebe.«