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Sie wird auf gar keinen Fall zu einer weiteren Kerbe in seinem Bettpfosten werden! Als Alice ihre neue Stelle als persönliche Assistentin von Gabriel Cabrera antritt, weiß sie um den Ruf ihres Chefs: Eiskalt und berechnend soll er sein und seine bisherigen Sekretärinnen mehr nach dem Aussehen als nach ihrem Können ausgesucht haben. Doch Alice ist gewarnt! Auch wenn Gabriels aufreizende Blicke ihr wahre Schauer der Lust über den Rücken jagen - sie wird ihm bestimmt nicht nachgeben. Schade nur, dass ihre Ablehnung den Millionär immer mehr zu reizen scheint ...
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Seitenzahl: 187
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2015 by Cathy Williams Originaltitel: „To Sin with the Tycoon“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2218 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Anike Pahl
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733706531
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Alice Morgan verlor zunehmend die Nerven. Jetzt war es schon halb elf! Seit eineinhalb Stunden saß sie in diesem Büro, und niemand konnte ihr sagen, wie lange sie hier noch abwechselnd mit dem Fuß wippen und auf die Uhr sehen würde … Zwei Stunden, drei Stunden oder vielleicht den ganzen Tag lang?
Offenbar hatte man sie schlicht vergessen. Mr Big spielte eben nach seinen eigenen Regeln, das hatte man ihr unter der Hand schon verraten. Er kam und ging, wie es ihm passte. Und er tat nur das, was er wollte. Ein unberechenbarer Mann, der seine eigenen Gesetze schrieb. All diese vertraulichen Informationen stammten von der zierlichen, blonden Barbiepuppe, die Alice vor fast zwei Stunden in das leere Büro geführt hatte.
„Vielleicht ist er bei einem anderen Termin?“, hatte Alice hoffnungsvoll gefragt. „Oder er hat vergessen, dass ich um neun komme? Wenn Sie seinen Kalender kurz überprüfen könnten? Dann wüsste ich wenigstens, wie lange ich hier noch auf ihn warten muss.“
Aber, nein! Mr Big hielt sich an keine Terminpläne oder Kalender. Augenscheinlich hatte er das nicht nötig, weil er clever genug war, sich alle wichtigen Dinge im Kopf zu merken. Laut der Barbie war er viel zu brillant, um sich auf schnöde schriftliche Erinnerungen zu verlassen.
Zweimal hatte sie bisher ihren Kopf zur Tür hereingesteckt, entschuldigend gelächelt und ihren kleinen Vortrag wiederholt. Dabei tat sie so, als wären Unpünktlichkeit und Unhöflichkeit vollkommen vertretbar. Und da die gesamte Mitarbeiterschaft es gelassen akzeptierte, wurde das Gleiche auch von Alice erwartet.
Missmutig presste sie die Lippen aufeinander und sah sich um. Aus ihrem kleinen Büro konnte sie durch eine Glaswand in das wesentlich größere, moderne Büro von Gabriel Cabrera blicken.
Als Alice gehört hatte, wo sie als Aushilfe eingesetzt werden sollte, war sie begeistert gewesen. Die Büros lagen nämlich in dem eindrucksvollsten Gebäude der ganzen Stadt. Das Shard war ein Meisterwerk architektonischer Baukunst und bot einen gigantischen Blick über London. Viele Menschen zahlten dafür, einmal nach oben ins Gebäude zu dürfen. Die Bars und Restaurants dort waren regelmäßig auf Wochen im Voraus ausgebucht.
Und nun würde sie dort arbeiten. Gut, ihr Vertrag war auf sechs Wochen befristet, aber es bestand die Chance, dass sie übernommen wurde, wenn sie sich bewährte. Der Chef stand zwar in dem Ruf, genauso schnell Leute zu feuern, wie er sie einstellte – auch das hatte sie von der Barbie erfahren –, aber Alice war gut in dem, was sie tat. Mehr als gut. Und seit sie um Punkt Viertel vor neun einen Fuß in dieses Gebäude gesetzt hatte, stand ihr Entschluss fest: Sie würde alles daran setzen, aus diesem vorübergehenden Aushilfsjob ein festes Arbeitsverhältnis zu machen.
Ihre letzte Anstellung war in Ordnung und auch anständig bezahlt gewesen. Allerdings hatte es so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten gegeben. Sollte sie sich aber diesen Arbeitsplatz hier langfristig sichern können, würde das ihrer Karriere den ultimativen Schub geben.
Doch im Augenblick sah es aus, als müsste sie irgendwann wieder unverrichteter Dinge in ihr kleines Häuschen nach Shepherd’s Bush zurückkehren – falls ihr neuer Boss nicht doch noch auftauchte. Wie frustrierend! Wahrscheinlich feuerte er seine Sekretärinnen gar nicht am laufenden Band, sondern sie verließen ihn, weil sie ihn und seine vermeintliche Brillanz nicht länger aushielten!
Nachdenklich betrachtete sie sich in der Spiegelwand am hinteren Ende des Büros. Ihre strenges Kostüm und ihr unauffälliges Äußeres passten nicht zu den mondänen, gestylten Mitarbeitern, die ihr bisher auf den Fluren der Geschäftsleitung über den Weg gelaufen waren. Man bekam fast den Eindruck, auf einem Filmset gelandet zu sein. Die Männer trugen lässige, teure Anzüge, und die Frauen waren meistens blond, umwerfend hübsch und nach der neuesten Mode gekleidet. Junge, urbane Karrieremenschen, die Schönheit, Ehrgeiz und Köpfchen in sich vereinten. Selbst die Sekretärinnen und das Empfangspersonal, die für den reibungslosen Ablauf in dem großen Bürokomplex sorgten, wirkten auffallend glamourös.
Alice dagegen …
Braune Augen, braunes schulterlanges Haar, und selbst in ihren flachen Schuhen war sie noch überdurchschnittlich groß. Ihrem grauen Kostüm und der schlichten weißen Bluse fehlten jegliches Flair, obwohl Alice heute Morgen beim Anziehen noch gefunden hatte, dass sie darin ausgesprochen professionell wirkte. Das Outfit war zwar anders als die legere Aufmachung, die an ihrem vorherigen Arbeitsplatz üblich gewesen war. Aber in diesen extravaganten Räumen sah es einfach nur noch langweilig aus!
Hastig verdrängte sie den Anflug von Minderwertigkeitsgefühl. Dies war schließlich keine Modenschau, und sie musste sich optisch mit niemandem vergleichen. Es war nur ein Job, und sie zweifelte absolut nicht an ihren beruflichen Fähigkeiten – allein darauf kam es an. Sie lernte schnell dazu und war in der Lage, eigenständig und gewissenhaft zu arbeiten. Disziplinen, die in jedem Büro zählten.
Karrieretechnisch arbeitete Alice auf den ganz großen Sprung hin. Sie wollte etwas erreichen, je früher, desto besser.
Es war fast Mittag, als sie beschloss, sich noch einmal nach dem Verbleib des Big Boss zu erkundigen, da wurde plötzlich die Tür geöffnet.
Und dort stand er: ihr neuer Chef Gabriel Cabrera. Auf jemanden wie ihn war sie absolut nicht gefasst gewesen! Groß – beeindruckend groß – und attraktiver als jeder Mann, der ihr jemals unter die Augen gekommen war. Sein Haar war einen Tick zu lang, was ihn leicht verrucht aussehen ließ, und sein schönes Gesicht wirkte makellos. Er strahlte Macht und Stärke aus … und eine prickelnde Energie, die Alice für einen Moment sprachlos machte.
Dann riss sie sich zusammen und streckte zur Begrüßung ihre rechte Hand aus.
„Wer sind Sie?“, fragte er und blieb unschlüssig vor ihr stehen. „Und was machen Sie hier?“
Alice ließ die Hand sinken und setzte ein höfliches Lächeln auf. Für diesen Mann würde sie in Zukunft arbeiten, und sie wollte ihre Beziehung nicht auf dem falschen Fuß beginnen. In ihrem Kopf wuchs die Liste mit seinen weniger wünschenswerten Eigenschaften allerdings in diesem Moment um die Eigenschaften rüde und überheblich.
„Ich bin Alice Morgan, Ihre neue Sekretärin. Die Agentur, mit der Ihre Firma zusammenarbeitet, hat mich verständigt. Meinen Lebenslauf habe ich auch dabei, und …“
„Nicht nötig.“ Er trat einen Schritt zurück, um sie genauer betrachten zu können. In aller Ruhe verschränkte er die Arme und legte den Kopf schief, während sie diese demütigende Prozedur schweigend über sich ergehen ließ.
Behandelt er etwa alle seine weiblichen Mitarbeiter so unmöglich? Mittlerweile hatte sie ja verstanden, dass er nur tat, was ihm passte. Ganz egal, was andere dazu sagten. Aber das hier ging eindeutig zu weit!
Sie könnte einfach gehen. Dafür hätte die Agentur bestimmt Verständnis, immerhin hatte Alice mehr als zwei Stunden auf ihn gewartet. Andererseits wurde dieser Job außerordentlich gut bezahlt, weit über dem Durchschnitt, und falls sie übernommen würde, bot ihr der langfristige Vertrag erstklassige Konditionen.
Wie auch immer dieser Kerl sich als Chef gebärdete, der Lohn stimmte jedenfalls. Darauf würde Alice sich eben konzentrieren müssen. Seit sie vor drei Jahren von Devon – wo ihre Mutter lebte – nach London gezogen war, wohnte sie gemeinsam mit einer anderen jungen Frau zur Miete in einem kleinen Haus. Sie wünschte sich sehnlichst ihre eigenen vier Wände, aber ihre monatlichen Ausgaben ließen diesen Traum nicht zu.
Am Ende siegte das pragmatische Denken über den Impuls, die Flucht zu ergreifen.
Sie straffte die Schultern. „Ich bin seit Viertel vor neun hier.“
„In dem Fall hatten Sie ja reichlich Gelegenheit, sich über meine verschiedenen Firmen zu informieren.“ Mit dem Kopf nickte er in Richtung eines Aktenschranks, den Alice tatsächlich schon genauer unter die Lupe genommen hatte.
Ihre Nackenhaare stellten sich auf. „Vielleicht können Sie mir einen kurzen Überblick hinsichtlich meiner Pflichten geben?“, bat sie steif. „Normalerweise werde ich am Arbeitsplatz von meiner Vorgängerin in die laufenden Prozesse eingewiesen, aber …“ Aber seine letzte Sekretärin war anscheinend davongelaufen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen.
„Ich habe keine Zeit, Ihnen zu erklären, was hier alles von Ihnen erwartet wird. Sie werden es sich beim Arbeiten selbst aneignen müssen. Ich gehe davon aus, dass die Agentur mir eine kompetente Kraft geschickt hat, die eigenständig zurechtkommt?“
Er beobachtete, wie sich ihre Wangen rot färbten und ihre Haltung noch etwas steifer als vorher wurde.
Alles in allem war das nicht die Reaktion, mit der Gabriel gerechnet hatte oder die er vom anderen Geschlecht gewöhnt war. Andererseits war es ein geschickter Zug der Agentur, ihm zur Abwechslung einmal jemanden zu empfehlen, der am Ende nicht sein Herz an ihn verlor. Miss Alice Morgan wirkte trotz ihrer Jugend nicht wie ein schwärmerisches Mädchen, sondern eher wie eine strenge Gouvernante!
„Punkt eins auf der Agenda ist: eine schöne Tasse Kaffee. Sie werden bald feststellen, dass diese Aufgabe von essentieller Bedeutung ist. Ich trinke meinen stark, schwarz und mit zwei Stück Zucker. Wenn Sie sich mal etwas locker machen und nach rechts drehen, sehen Sie gleich dort drüben eine Schiebetür. Dahinter finden Sie alles, was Sie zum Kaffeekochen benötigen.“
Bisher ging Alice alles, was dieser Mann von sich gab, gewaltig auf die Nerven. Außerdem gefiel ihr nicht, dass er offenbar der Meinung war, sie müsse sich etwas locker machen.
„Natürlich.“
„Danach nehmen Sie sich Ihr Notebook und kommen zu mir ins Büro. Dann starten wir richtig durch, ich habe nämlich ein paar große Deals am Wickel. Wahrscheinlich fühlt es sich für Sie an, als würden Sie ins kalte Wasser geworfen. Aber entspannen Sie sich, Miss Morgan! Ich verschlinge prinzipiell keine Sekretärinnen zum Frühstück.“
Nachdem er in seinem eigenen Büro verschwunden war, gelang es Alice endlich, ihre Starre zu lösen und sich in Bewegung zu setzen. Aufgabe Nummer eins: Kaffee kochen. Bei ihrer letzten Anstellung hatte sie ihrem Chef keinen Kaffee gemacht. Dort hatten alle in stillem Einvernehmen zusammengearbeitet, und manchmal war es sogar Tom Davis selbst gewesen, der ihr eine Tasse gebracht hatte. Allerdings war ziemlich deutlich geworden, dass sich Gabriel Cabrera nicht auf diese Art von Gleichberechtigung verstand.
Es lag nicht in ihrer Natur, auf Konfrontationskurs zu gehen. Trotzdem existierte eine kleine rebellische Seite in ihr, die gegen Gabriel Cabreras diktatorische Haltung aufbegehrte. Alice kochte innerlich, während sie sich mit der modernen Kaffeemaschine vertraut machte.
Vor ihrem inneren Auge wollte sein Bild einfach nicht verblassen. Dieses unfassbar attraktive Gesicht mit dem selbstgerechten Ausdruck in den hinreißenden Augen … Sein Verhalten grenzte an Unhöflichkeit. Er war reich, er war schön, und er kannte den Effekt seiner charismatischen Ausstrahlung ganz genau.
Als er gerade vor ihr gestanden hatte, war sie sich wie ein hilfloses Beutetier vorgekommen – belauert von einer Raubkatze. Ob das nun an seiner imposanten Größe und der muskulösen Statur lag oder ihr sein Verhalten den Atem raubte, das konnte sie beim besten Willen nicht beurteilen.
„Setzen Sie sich“, sagte er, als sie sein Büro betrat.
Der Raum war riesig. Dieser Eindruck wurde noch von der deckenhohen Glaswand verstärkt, auch wenn graue Jalousien sie zum Teil verdeckten. Neben einem geräumigen Arbeitsplatz stand noch eine bequeme Sitzecke zur Verfügung, vermutlich für geschäftliche Besprechungen im kleineren Rahmen. Hohe Pflanzen trennten diesen Bereich von der restlichen Büroeinrichtung.
„Verraten Sie mir zuerst, mit welchen Computerprogrammen Sie vertraut sind“, forderte er sie auf und klopfte leise mit einem Füller auf die gläserne Schreibtischplatte. Seine Aufmerksamkeit war komplett auf Alice gerichtet.
Sie stand kerzengerade vor ihm, die Beine fest zusammengepresst, und ihr Blick wich seinem geschickt aus. Gabriel fragte sich schon, ob er sie nicht wieder wegschicken und gegen jemanden auswechseln sollte, der ein bisschen dekorativer daherkam.
Er mochte gut aussehende Frauen, obwohl bei ihnen meistens die charakterlichen und intellektuellen Nachteile überwogen. Aussehen allein reichte eben bei Weitem nicht. Er war ein Mann, der alles haben konnte. Dazu gehörten auch zahllose, austauschbare Sekretärinnen.
Seit Gladys, die sieben Jahre als Assistentin für ihn gearbeitet hatte, mit sechzig nach Australien zu ihrer Tochter ausgewandert war, hatte Gabriel schon unzählige Ersatzkräfte verschlissen. Ihm war klar, dass jede Agentur ihn längst aus der Kundenkartei gestrichen hätte, wenn er jemand anders gewesen wäre. Aber sein Name öffnete ihm alle Türen, und obendrein zahlte er Spitzengehälter. Und war Gier nicht die effektivste Antriebsfeder der Menschen?
Verächtlich zog er die Mundwinkel herunter. Nein, in diesem Universum gab es nichts, das er nicht haben könnte …
Frauen umschwärmten ihn, wohin er auch ging. Große Geschäftsmänner verfielen in ehrfürchtiges Schweigen, sobald er auftauchte. Die Medien verfolgten jeden seiner Schritte, um keinen spektakulären Finanz-Deal und keinen Aspekt seines Privatlebens zu verpassen. Er war an der Spitze angekommen und beherrschte sein Spiel perfekt. Und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass seine Erfolgssträhne in absehbarer Zeit abreißen könnte.
Warum fühlt sich das Leben manchmal dann so verdammt unbefriedigend an? Manchmal fragte er sich, ob er seine Ressourcen für echte Emotionen während seines hartnäckigen Aufstiegs an die Spitze restlos aufgebraucht hatte. Vielleicht war allein der Kampf um Macht und Geld das ganz große Abenteuer! Aber jetzt, nachdem er das Spiel gespielt hatte und als Sieger daraus hervorgegangen war …
Ist das Abenteuer endgültig vorbei? Nicht einmal die brutalen Anforderungen seiner täglichen Arbeit lieferten ihm noch das Adrenalin, das er früher dabei in sich gespürt hatte. Weshalb noch über sich hinauswachsen, wenn er mittlerweile alles auch ohne Anstrengung erreichte? Früher war es von großer Bedeutung gewesen, sich ständig neu auszuprobieren, aber jetzt …
Die unscheinbare Assistentin war inzwischen in voller Fahrt. Sie erzählte ihm von ihrem letzten Job und ratterte eine lange Liste ihrer dortigen Aufgaben herunter.
In herrischer Manier hielt er eine Hand hoch und unterbrach sie mitten im Satz. „Sie können nur eine Verbesserung gegenüber dem letzten Mädchen sein“, erklärte er gedehnt. „Ich glaube, irgendwo entlang der Strecke hat die Agentur nämlich aus den Augen verloren, dass ich tatsächlich jemanden mit außerordentlichen Qualifikationen suche.“
Alice lächelte höflich und dachte im Stillen, dass die Agentur wahrscheinlich einfach früh begriffen hatte, wie viel Wert er darauf legte, mit außerordentlich hübschen Kandidatinnen zusammenzuarbeiten. Die beruflichen Fähigkeiten waren daraufhin sicherlich als zweitrangig eingestuft worden.
Ihr Lächeln machte Gabriel misstrauisch. Es passte irgendwie nicht zu ihrer abweisenden Haltung. „Auf dem Computer finden Sie den Ordner über den Hammonds-Fall“, erklärte er. „Öffnen Sie ihn, dann sage ich Ihnen, was darin zu tun ist.“
Die nächsten vier Stunden hatte Alice kaum Zeit, den Kopf zu heben. Gabriel hielt sie ziemlich auf Trab. Es gab auch keine Mittagspause, was vermutlich daran lag, dass er erst gegen Mittag aufgetaucht war. Offensichtlich nahm er an, sie wäre nicht hungrig. Er war es offenbar nicht, also warum sollte sie es sein?
Um halb fünf kam er an ihren Schreibtisch. „Sie sind flott dabei“, stellte er fest. „Neue Besen kehren gut, oder darf ich davon ausgehen, dass Sie diese Effizienz beibehalten?“
Im Dauerfeuer seiner permanenten Anweisungen hatte Alice während der vergangenen Stunden ganz vergessen, wie unmöglich sie ihren neuen Boss fand.
„Ich arbeite grundsätzlich hart, Mr Cabrera“, antwortete sie ruhig. „Und normalerweise komme ich mit den Anforderungen, die an mich gestellt werden, gut zurecht.“
Gabriel setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl und streckte die Beine aus. Er wirkte unerträglich selbstbewusst und gelassen. Und sie musste zugeben, dass er obendrein – zumindest in beruflicher Hinsicht – ausgesprochen clever agierte. Seine Gedankengänge waren klug und präzise. Er untersuchte jedes Detail eines Prozesses, bis er an die entsprechende Stelle gelangte, an der sich entschied, ob man am Ende siegte oder versagte. Auch am Telefon führte er seine Gespräche kompromisslos und entschlossen. Kein Zweifel, dieser Mann bekam, worauf er es abgesehen hatte.
„Höchst empfehlenswert, Ihre Einstellung“, bemerkte er trocken.
„Vielen Dank. Könnten Sie mir bitte sagen, wie lange ich heute im Büro gebraucht werde?“
„So lange, bis ich mit Ihrem Tagwerk zufrieden bin“, gab er kühl zurück. „Ich sehe nicht ständig auf die Uhr, Miss Morgan. Es sei denn, Sie müssen unbedingt um Punkt fünf Feierabend machen, weil Sie dringende Verpflichtungen haben. Ist das der Fall?“
Mit zitternden Händen strich sie sich den Rock glatt. Sie hatte sich im Vorfeld gut über Gabriel Cabrera informiert. Von seinem umwerfenden Äußeren mal abgesehen, war er ein Milliardär, der gewaltigen Einfluss hatte. Und laut der blonden Barbie, mit der Alice heute gesprochen hatte, behandelte er seine Angestellten grundsätzlich, wie es ihm passte.
Zum Beispiel hatte er der Leiterin seiner Rechtsabteilung gerade erst mitgeteilt, dass sie am kommenden Wochenende wegen eines wichtigen Geschäftsabschlusses durcharbeiten müsse und damit die Hochzeit ihrer besten Freundin versäumen würde. Er hatte sich nicht einmal dazu herabgelassen, sich bei der Frau für diese Unannehmlichkeit zu entschuldigen.
Gabriel Cabrera bezahlte seinen Mitarbeitern ein kleines Vermögen, und dafür verkauften diese ihre Freiheit.
Das war ein Zug, auf den Alice nicht aufspringen wollte. Im Augenblick war sie noch eine kleine Aushilfe, was ihr die Möglichkeit verschaffte, ein paar Grenzen zu setzen. Sollte ihr dieser Job auf Dauer angeboten werden, hätte sie nicht mehr die Freiheit, klarzustellen, was sie zu tun bereit war und was nicht. Und Überstunden am Wochenende standen bei ihr definitiv nicht auf der Tagesordnung. Vor allem nicht angesichts der heiklen Situation ihrer Mutter.
„Ich hänge nicht an der Uhr, Mr Cabrera, und ich mache auch gern mal Überstunden, falls nötig. Trotzdem schätze ich mein Privatleben und würde gern im Voraus wissen, ob von mir erwartet wird, dass ich regelmäßig meine Freizeit opfere.“
Gabriel starrte sie an. „Auf diese Weise funktioniert mein Unternehmen nicht.“ Zumindest nicht in seinen Augen. Er tat grundsätzlich, was er wollte, und die Welt akzeptierte es. Das mochte zynisch klingen, aber es war die Realität. Er hatte sich seinen Platz an der Spitze hart erarbeitet und dabei seine Konkurrenz in den Staub getreten. Er war aus dem Nichts gestartet und hatte jetzt alles … und das war schließlich das Ziel des ganzen Spiels: irgendwann alles zu haben. Er war niemandem mehr Rechenschaft schuldig, am allerwenigsten einer Sekretärin, die kaum zwei Minuten in seiner Gegenwart verbracht hatte!
„Soweit ich informiert bin, verdienen Sie hier knapp das Doppelte von dem, was Sie in einer anderen Firma für dieselbe Arbeit erhalten würden, richtig?“
In einer anderen Firma hätte ich auch einen normalen Chef, dachte Alice.
„Das ist korrekt“, gab sie zu.
„Gefällt Ihnen das Gesamtpaket dieser Anstellung nicht? Ich kann es natürlich sofort einstampfen, wenn Sie mit mir jetzt schon über Arbeitszeiten diskutieren wollen. Es ist Ihr erster Tag, und Sie stellen Forderungen?“ Er lachte kurz und schüttelte den Kopf. „Unglaublich!“
So leicht ließ Alice sich nicht einschüchtern und hielt resolut dagegen. „Die Agentur deutete an, dass nach der Probezeit eine Festanstellung möglich ist. Doch soweit ich informiert bin, haben Sie mit Ihren bisherigen Sekretärinnen nicht gerade viel Glück gehabt.“
„Und nach einem einzigen gelungenen Tag glauben Sie, Sie hätten irgendwelchen Einfluss auf mich?“ Allerdings musste er zugeben, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Die meisten ihrer Vorgängerinnen hatten sich nämlich zu wenig auf ihre Aufgaben und zu viel auf ihren Boss konzentriert.
„Ich finde, Sie preschen ein bisschen zu sehr nach vorn“, stellte er fest. „Meinen Sie nicht auch?“
„Nein.“ Alice atmete tief durch und bereitete sich darauf vor, ihre Interessen konsequent zu vertreten, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte.
Ihre Blicke trafen sich, und sie verspürte einen enormen Effekt, so als ob die Luft aus ihrem Körper gesaugt wurde. Einerseits fand sie dieses Phänomen irritierend, andererseits war es ungeheuer belebend. Genauso hatte sie den gesamten heutigen Tag empfunden. Sie war unter dem Druck der neuen Arbeit regelrecht aufgeblüht und hatte schon jetzt Bereiche entdeckt, in denen sie möglicherweise zukünftig mehr Verantwortung übernehmen könnte.
Bin ich wirklich bereit, sechs hervorragend bezahlte Wochen aufs Spiel zu setzen, um Grundregeln für eine Festanstellung zu erörtern, die mir überhaupt nicht angeboten worden ist?
Noch während sie sich diese Frage stellte, wusste sie die Antwort darauf. Sie hatte nicht vor, sich von jemandem ihr Leben diktieren zu lassen, ganz gleich, wie gut sie dafür bezahlt wurde. Niemanden in dieser Firma schien der Verlust der privaten Freiheit zu stören. Die Hälfte der Frauen war wahrscheinlich in ihn verliebt und gab sich deshalb bereitwillig auf, aber sie ganz sicher nicht!
Außerdem brauchte sie dann und wann eine Auszeit von der Arbeit. Das Leben war schon schwer genug, und am Wochenende musste Alice regelmäßig nach Devon fahren, um ihre Mutter zu besuchen. Das ließ sich nicht mit unberechenbaren Arbeitszeiten vereinbaren.
„Ich bitte um Verzeihung?“ Gabriel konnte sich nicht daran erinnern, wann es zum letzten Mal jemand gewagt hatte, ihm offen zu widersprechen. Großer Reichtum bedeutete gleichzeitig große Freiheit und noch größeren Respekt – und war nicht genau das sein Lebensziel gewesen? Die dunklen Tage seiner Kindheit in unterschiedlichen Pflegefamilien, in denen seine Bedürfnisse nichts gezählt hatten, endlich für immer hinter sich zu lassen? Nie wieder sollten andere Menschen über sein Leben bestimmen dürfen!
„Ich bin zwar erst einen Tag hier, Mr Cabrera, aber an diesem ersten Tag musste ich volle drei Stunden auf Ihre Ankunft warten. Zugegeben, das hat mir reichlich Zeit gegeben, mich in die Details Ihrer Firmenstruktur einzuarbeiten. Doch ich war nicht darauf gefasst, meinen Vormittag auf diese Weise allein im Büro verbringen zu müssen.“
„Soll ich mich etwa rechtfertigen und erklären, wo ich heute Morgen gewesen bin?“, erkundigte er sich fassungslos.
An diesem kritischen Punkt hätte sie normalerweise haltgemacht, um sich ihre Chancen auf einen weiteren Tag im Unternehmen beziehungsweise auf die begehrte Festanstellung nicht zu verderben. Doch ihr neuer Boss schien es leid zu sein, ständig neue unfähige Sekretärinnen einstellen zu müssen, auch wenn er ihren schönen Anblick im Büro genoss. Alice war sich ihrer Kompetenz bewusst, darum wagte sie sich auch so weit vor …
„Natürlich nicht. Und mir ist auch bewusst, dass ich nicht in der Position bin, irgendwelche Bedingungen zu stellen …“