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"Ein Drama in Mexiko" (auch "Die Lianenbrücke") ist eine Kurzgeschichte des französischen Autors Jules Verne und sein erstes veröffentlichtes Prosawerk. Die Urfassung dieser Kurzgeschichte hat Jules Verne bis 1851 unter dem französischen Titel "L'Amérique du Sud. Études historiques. Les premiers navires de la marine mexicaine" geschrieben und wurde erstmals im Juli 1851 im "Musée des familles" veröffentlicht. Die Kurzgeschichte hatte ursprünglich fünf Kapitel und insgesamt drei Illustrationen von E. Forest und A. de Bar. Diese ursprünglichen Zeichnungen sind später nicht weiter genutzt worden. 1857 wurde die Kurzgeschichte in frei übersetzter Form in dem Familienmagazin "Die illustrirte Welt" im Verlag Eduard Hallberger in Stuttgart veröffentlicht. Der deutschsprachige Titel lautete "Die Lianenbrücke". Der Autor wurde bei dieser Veröffentlichung jedoch anonymisiert und der Originaltitel wurde von "L'Amérique du Sud. Études historiques. Les premiers navires de la marine mexicaine" in "Die Lianenbrücke" geändert. Der Übersetzer hat die Geschichte mehr nacherzählt als exakt übersetzt. Der englische Titel der Kurzgeschichte lautet "A Drama in Mexico".
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Seitenzahl: 37
Am 18. October 1825 gingen die »Asia«, ein großes spanisches Kriegsschiff, und die »Constanzia«, eine Brigg von acht Kanonen, bei der Insel Guajan, einer der Mariannen, vor Anker. Vor sechs Monaten schon hatten diese Fahrzeuge Spanien verlassen und unter den dürftig ernährten, lässig bezahlten und durch Strapazen ermatteten Mannschaften derselben gährten im Verborgenen rebellische Projecte. Verstöße gegen die Disciplin kamen vorzüglich auf der Constanzia vor, deren Commandant, Kapitän Don Orteva, ein Mann von eiserner Energie und unbeugsamem Willen war. Einige schwere und so unerwartete Havarien, daß man sie nur dem Mangel an Achtsamkeit zuschreiben konnte, hatten die Brigg in ihrer Fahrt wiederholt aufgehalten. Jetzt war auch die von Don Roque de Guzuarte befehligte Asia gezwungen, mit vor Anker zu gehen. Eines Nachts zerbrach nämlich der Compaß der Constanzia auf völlig unerklärliche Weise. Ein anderes Mal erwiesen sich die Bardunen und Wanten des Fockmastes so schadhaft, als wären sie mit einem Messer durchschnittengewesen, so daß der ganze Mast mit seiner Takelage umstürzte. Endlich rissen auch zwei Mal die Taue des Steuerruders gerade inmitten eines wichtigen Manoeuvres.
Die Insel Guajan gehört, wie alle Mariannen, zu der General-Kapitänschaft der Philippinen. Hier waren die Spanier also zu Hause und konnten ihre Havarien in jedem Umfange ausbessern.
Während dieses gezwungenen Aufenthaltes am Lande theilte Don Orteva dem Don Roque seine Beobachtungen bezüglich der Erschlaffung der Disciplin auf seinem Schiffe mit, und die beiden Befehlshaber verpflichteten sich gegenseitig zu verdoppelter Wachsamkeit und Strenge.
Don Orteva mußte vor Allem auf zwei seiner Leute, den Lieutenant Martinez und den Mastwächter José, ein Auge haben.
Lieutenant Martinez, der seine Stellung als Officier schon durch manche verdächtige Zusammenkünfte auf dem Vordercastell compromittirt hatte, mußte schon wiederholt bestraft werden; seine Functionen als Lieutenant der Constanzia versah dann während der Zeit seiner Haft der Officiersaspirant Pablo. Der Mastwart José war ein gemeiner, verächtlicher Charakter, der seine Anhänglichkeit nur nach dem empfangenen Lohne abwog. Ihm sah dagegen der sehr ehrenhafte Hochbootsmann Jacopo, der auch Don Orteva's unbedingtes Vertrauen genoß, stets scharf auf die Finger.
Der Aspirant Pablo gehörte zu jenen seltenen, offenherzigen und muthigen Naturen, welche ihr Edelmuth zu den hochherzigsten Thaten begeistert. Für seinen Wohlthäter, den Kapitän Orteva, der ihn einst als Waise aufnahm und erzog, wäre er gewiß gernin den Tod gegangen. Im Laufe wiederholter Gespräche mit dem Hochbootsmann Jacopo ließ er oft, dahin gerissen von dem Feuer der Jugend und dem Triebe seines Herzens, die wahrhaft kindliche Liebe durchblicken, die ihn an Don Orteva fesselte, und der wackere Jacopo drückte ihm kräftig die Hand, sein Einverständniß zu besiegeln. Was vermochten aber diese drei Männer gegen die Leidenschaften einer widerspänstigen Besatzung? Während sie Tag und Nacht sich alle Mühe gaben, den auflodernden Geist der Zwietracht zu bändigen, schürten Martinez und José doch immer erfolgreicher die Empörung und den unwürdigsten Verrath.
Der Ankerwart, Lieutenant Martinez, befand sich auf Guajan in einer niedrigen Hütte, zugleich mit einigen Bootsleuten und etwa zwanzig Seeleuten der beiden Kriegsschiffe.
»Kameraden, begann Martinez, Dank den unerwarteten Havarien haben das Linienschiff und die Brigg bei den Mariannen Anker werfen müssen, wodurch mir Gelegenheit geboten wurde, mit Euch unbelauscht zu sprechen.
– Bravo! tönte es schon bei diesem Anfange aus allen Kehlen.
– Sprechen Sie, Lieutenant, riefen mehrere Matrosen, und lassen uns Ihre Absichten hören.
– So vernehmt meinen Plan, erwiderte Martinez. Sobald wir uns der beiden Schiffe bemächtigt haben, steuern wir nach der Küste von Mexico. Ihr wißt, daß der neue Bundesstaat noch aller Seewehr entbehrt. Dort wird man unsere Schiffe unbesehen ankaufen, wodurch nicht nur unsere fehlende Löhnung herauskommt, sondern wir auch noch einen Ueberschuß gleichmäßig zur Vertheilung bringen können.
– Einverstanden!
– Und welches Signal verabreden wir, um auf beiden Schiffen gleichzeitig zu handeln? fragte der Mastwart José.
– Von der Asia wird eine Rakete aufsteigen, erwiderte Martinez. Dann brecht los! Wir sind Zehn gegen Einen, und die Officiere des Linienschiffs und der Brigg müssen überwältigt sein, bevor sie zur Besinnung kommen.
– Wann ist jenes Signal zu erwarten? erkundigten sich einige Bootsleute der Constanzia.
– In einigen Tagen, sobald wir uns auf der Höhe der Insel Mindanao befinden.
– Die Mexicaner werden uns aber mit Kanonenkugeln empfangen, bemerkte der Mastwart José. Wenn ich nicht irre, hat die Bundesregierung ein Decret erlassen, alle spanischen Fahrzeuge strengstens zu überwachen und zu beobachten, so daß uns statt des erhofften Geldes vielleicht eine Ladung Eisen und Blei bescheert wird.
– Darüber beruhige Dich, José! antwortete Martinez, wir werden uns schon von fern her zu erkennen geben.
– Und auf welche Weise?
– Wir hissen an der Gaffel die Flagge Mexicos.«
Bei diesen Worten entrollte der Lieutenant vor den Augen der Empörer ein grün-weiß-rothes Flaggentuch.
Tiefe Stille entstand angesichts dieses äußeren Zeichens der Unabhängigkeit Mexicos.