Ein falscher Freund / In Erwartung - Rainer Bressler - E-Book

Ein falscher Freund / In Erwartung E-Book

Rainer Bressler

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Beschreibung

Das Theaterstück EIN FALSCHER FREUND und das Mini-Drama IN ERWARTUNG handeln von Freundschaft, dem Dasein als Mann, dem Schreiben und dem Ringen um Erfolg und Anerkennung. EIN FALSCHER FREUND basiert auf einer tatsächlichen Auseinandersetzung von Frank Wedekind mit Gerhart Hauptmann im Jahr 1890 und bettet das dokumentierte Geschehen von damals in eine fiktive Geschichte ein.

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Rainer Bressler, Jurist im Ruhestand und Schriftsteller, geboren 1945, ist Schweizer und lebt in Zürich. In den Jahren 1980 bis 1993 profilierte er sich als Hörspielautor, dessen Hörspiele von Radio DRS produziert und ausgestrahlt wurden.

Bisherige Veröffentlichungen:

7 Hörspiele produziert von Radio SRF:

Tom Garner und Jamie Lester; Morgenkonzert; Folgen Sie mir, Madame; Aufruhr in Zürich; Nächst der Sonne; Geliebter / Geliebte; Gaukler der Nacht; Beinahe-Minuten-Krimi

Ausgestrahlt in den Jahren 1979 bis 1993

Geliebter / Geliebte, in Ach & Och. Das Schweizer Hörspielbuch, Haffmans Verlag 1998

Geliebter / Geliebte. 8 Hörspiele, Karpos Verlag, Loznica 2008

Privatzeug 1856 bis 2012. Versuch einer Spurensuche, 5

Bände:

Spur 1 Reisen; Spur 2 Spielen; Spur 3 Schreiben; Spur 4

Dichten; Spur 5 Weben

BoD 2012 bis 2016

Pink Champagne, satirischer Roman, BoD 2020

Schattenkämpfe, Roman, BoD 2020

Kraut & Rüben, Kurzgeschichten, BoD 2020

Reise-Impressionen, Erzählungen, BoD 2020

Fenstersturz, Krimi-Satire, BoD 2020

Texturen, Krimi-Satire, BoD 2020

Theaterstücke Band I bis IV, BoD 2020

Meine verlorene Omi, in Kaddisch zum Gedenken, Till Schaap Edition 2023

Inhalt

EIN FALSCHER FREUND

Erste Szene

Zweite Szene

Dritte Szene

Vierte Szene

Fünfte Szene

Sechste Szene

Siebente Szene

Achte Szene

Neunte Szene

Zehnte Szene

Literatur

Liedtexte (Auszüge

)

IN ERWARTUNG

EIN FALSCHER FREUND

Ein fiktiver Monolog Frank Wedekinds über tatsächliche Vorfälle 1890

Theaterstück

Person

Schauspieler als Frank Wedekind, 26-Jährig, Sprecher

Ort

Wohnung, Grossstadt, öffentliche Verkehrsmittel etc.

Zeit

Gegenwart, bestimmte Ereignisse von 1890 reflektierend

Vorbemerkungen

Das Stück besteht im Wesentlichen aus einem Monolog Wedekinds, wobei einzelne Aussagen von einem in die Handlung nicht involvierten Sprecher kommentiert werden. Möglich ist es, das Stück als Monodrama aufzuführen und die Kommentare des Sprechers akustisch einzuspielen oder den Text als Hörspiel zu verwenden.

Zu Beginn können, zum Beispiel, die zwei Anfangszeilen der Moritat von Mackie Messer, Bert Brecht / Kurt Weil, als Gesang mit musikalischer Begleitung erklingen. „Und der Haifisch, der hat Zähne / Und die trägt er im Gesicht / Und Macheath, der hat ein Messer / Doch das Messer sieht man nicht …“, um dann ausgeblendet zu werden und zu verklingen. Auch können zwischen den einzelnen Szenen wenige Takte einer Klavierversion der Moritat eingeblendet werden.

Zwischen den einzelnen Szenen können auch Wedekind oder der Sprecher zur Auflockerung des Monologs einzelne Strophen von Wedekind-Liedern (z.B. „Lied vom armen Kind“ oder „Marasmus“ – Textauswahl im Anhang!) interpretieren.

Erste Szene

Okay. Ich schlüpfe nun in die Rolle des Schriftstellers Frank Wedekind.

Wedekind steht belämmert im Korridor seiner Wohnung vor der geöffneten Wohnungstüre. Er hält ein Buch in Händen, auf das er schaut, ohne es tatsächlich anzuschauen oder wahrzunehmen. Es herrscht helles Tageslicht.

Was soll das? Danke, Karl! Herzlichen Dank auch. Danke.

Wedekind fasst sich, streckt seinen Kopf aus der Wohnung raus ins Treppenhaus. Die Wohnung befindet sich im fünften Stockwerk des Hauses. Auf steinernen Treppenstufen sind runterrennende hallende, sich entfernende Schritte deutlich zu hören.

Halt, halt, Karl! Was ist? Karl, renne nicht gleich davon. Bleib! Bleibe! Ich muss mich richtig bedanken. Ich muss unbedingt wissen, wie du dazu kommst, mir am frühen Morgen dieses, dieses, dieses Geschenk … (Beginn des inneren Monologs) Idiot! Rennt einfach davon. Sonst nicht Karls Art. Wortlos, weg! In aller Herrgottsfrühe. Trrng, trrng. Da, nimm! Drückt in die Hand. Buch. Und weg ist er. Träume ich? Quatsch, da stehe ich und da bin ich.

Wedekind schmeisst die Wohnungstüre zu. Er wird sich im Laufe der ersten Szene durch die Wohnung bewegen. Geht zur Küche, Er entnimmt dem Kühlschrank eine Tafel Schokolade. Reisst die Verpackung auf. Bricht einen Teil Schokolade ab. Stopft sie sich in den Mund. Redet mit vollem, Mund weiter. Füllt Wasser in den Wasserkocher. Kippt den Hebel, um den Wasserkocher in Funktion zu setzen. Entnimmt einem Schrank eine Tasse und ein Behältnis, dem er einen Teebeutel entnimmt. Leises Geräusch des Wasserkochers, in dem das Wasser zu sieden beginnt.

Mich, Benjamin Franklin Wedekind, Schriftsteller, einfach so, zu nachtschlafendster Stunde mit dem irren Klingeln an der Wohnungstüre aus wohligstem Schlaf aufzuschrecken! Mich, MICH zu stören! Mir so kurz nach Mitternacht einen solchen Schrecken einzujagen. Unverschämt! Karl, Karl, mit graut vor dir.

Okay, okay. Fünf vor Acht. Dennoch, Karl kennt meine Gewohnheiten. Frühestens ansprechbar um Zehn am Morgen. Davor brauche ich meine Ruhe. Gleich nach dem Aufstehen, um Sechs: meine kreativste Zeit. Ernte der mir in der Nacht zugefallenen Ideen. Morgenstunde ist mir heilig. Die Leute, gerade Karl, sollen das, verdammt nochmal, gefälligst respektieren!

Herausgerissen. Mitten aus … Bin gerade dran, eine mir spontan einfallende und so total gelungene Redewendung für die Figur Moritz in meinem im Entstehen begriffenen Theaterstück witzig formuliert aufs Papier zu bringen. Da: trrng, trrng. „Alles vorbei, Tom Dooley, noch vor dem Morgenrot, ist es gesche’n, Tom Dooley, morgen dann bist du tot.“ (Amerikanisches Volkslied, Version Nilsen Brothers aus den 50er-Jahren). Mist, Mist. Mist. Soll einer es wagen, mich beim Dichten zu stören! Mein Werk zu verhindern!

Andere gehen locker über solch keine Irritationen des Alltags hinweg. Mir geht das gegen den Strich. Ich bin halt, dem Himmel sei’s getrommelt und gepfiffen, so konstruiert, wie ich eben konstruiert bin. MUSS allem und jedem, insbesondere Irritationen auf den Grund gehen. In der Hoffnung, nicht auf Grund aufzulaufen. Doch den Grund stechend scharf und wahrhaftig zu ergründen. Ich tüftle leidenschaftlich an Fragen herum. Springt eine Frage mich an, lässt sie mir keine Ruhe mehr. Bis ich eine Antwort habe. Die mir als wahr einleuchtet. Verflucht der Denker. Der es einfach nicht lassen kann. Déformation professionelle. Ach, des Schriftstellers.

Wedekinds Blick fällt auf das Buch, das er in Händen hält. Er spielt mit dem Buch.

Karl. Drückt mir wortlos ein schmales Bändchen in die Hand. Fliege, Büchlein, fliege. Hoppla. Beinahe auf dem Boden gelandet. Beinahe zu Bruch gegangen. Bevor ich’s inspiziert habe. Ein Buch. Wo ich Bücher im Überfluss …

Du meine Güte! „Das Friedensfest“. Gerhart Hauptmann. (nachdenklich) Dieses Theaterstück wird in wenigen Tagen in Berlin uraufgeführt. Karl hat mitbekommen, dass die Buchausgabe des Stücks bereits erschienen ist. Ich nicht. Und er überrascht mich damit am frühen …

Ha, Freund Hauptmann! Ist schon ein Teufelskerl. Bloss zwei Jahre älter als ich. Und hat es bereits geschafft. Letztes Jahr „Vor Sonnenaufgang“ in Berlin. Sein erstes Stück. Ein Skandal war das gewesen. Mit einem Schlag ist er, der bis dahin leidlich als Novellist bekannt gewesen war, berühmt. Und nun, nicht einmal ein ganzes Jahr nach seinem ersten Paukenschlag, holt er bereits zum zweiten aus. Er versteht es, die Gunst der Stunde für seinen Ruhm zu nutzen. Und das Theater wittert gute Geschäfte mit ihm. Und ich mit meinem Theaterstück? Absagen, Absagen, Absagen. Vergiss es!

Hauptmann hatte mich bei unserem letzten Zusammensein in Berlin mit der Bemerkung ermuntert, ich hätte Talent. Was er von mir gelesen habe, habe ihn sehr beeindruckt.

(freudig erregt) Jetzt halte ich Hauptmanns neusten Wurf in Händen. Echt gespannt. Karl ist ein Schatz. Checkt, dass „Das Friedensfest“ als Buch erhältlich ist. Sagt mir nichts davon. Eilt. Lässt keine Zeit verstreichen. Klingelt auf dem Weg zur Arbeit an meiner Wohnungstüre. Daher so zeitig am Morgen. Und überrascht mich mit dem Buch, auf das ich, wo ich es in Händen halte, schon etwas neugierig bin. Karl, deine Geste berührt mich. Du bist und bleibst mir mein echter und liebster Freund. Bloss…

(nachdenklich) Warte. Wart. Da war doch was. Was? Die kleine Irritation. Karls Verhalten von soeben. Dass er wortlos abhaut. Diese Eile nehme ich ihm nicht ab. Da steckt etwas dahinter. Normalerweise wäre gerade der auf Klatsch und Tratsch so erpichte Karl darauf erpicht gewesen, Hauptmanns Vielschreiberei zu begackern. Wann er zu seiner Arbeit geht, ist ihm sonst immer egal. Weshalb hat Karl nicht gestern Abend bei mir reingeschaut mit dem Buch! Das Buch hatte er bestimmt gestern Abend bereits gehabt. Wir hätten gemütlich bei einem Bier zusammengesessen. Über die Besessenheit Hauptmanns, der in seiner Selbstherrlichkeit das Vielschreiben nicht lassen kann, getratscht.

Wortlos hat Karl mir das Buch in die Hand gedrückt. Haut gleich danach ab. Bevor ich papp sagen kann. Nein, nein, halt! Er hat etwas gesagt. Kurz ein paar Worte gesagt. Worte wie, das, das … Ja: DAS MUSST DU KENNEN! Jetzt fällt es mir wieder ein. Genau diese Worte. Mir geradezu an den Kopf geschmissen. DAS MUSST DU KENNEN. Wumm. Da hast du’s! In einem Tonfall. Diese Worte, dieser Tonfall, sein Verhalten. DAS MUSST DU KENNEN. Befehlend. Vorwurfsvoll. Verächtlich. Und weg ist er!

Mich nicht für dumm verkaufen! Bürschchen, Bürschchen. Als scharfer Zuhörer bin ich auf Zwischentöne getrimmt. Nehme sie wahr. Dann drängen sich mir spontan Interpretationen dessen auf, was hörbar, doch nicht ausgesprochen war.

(scharf überlegend) Also ob er mir … Er muss mir … Sein Verhalten ist kein Versehen, kein Zufall. Er will mir mit seiner Schroffheit etwas sagen. Sagen. Mir. Was wohl? Das Buch. Nicht zufällig von Hauptmann. Gezielt von Hauptmann. Karl gibt mir zu verstehen, schau, schau, unser Freund Hauptmann hat es geschafft. Das geschafft. Was du nicht geschafft hast. Wohl nie schaffen wirst. Geh in dich. Überleg dir. Die Botschaft hör ich wohl, …

Nicht gleich hyperventilieren, Wedekind! Ruhig überlegen, ob an meinem Verdacht etwas dran sein könnte. Gehe ich davon aus, dass dieser Verdacht zutrifft, müsste ich annehmen, dass Karl mir einen Spiegel vors Gesicht hält. Brutal, schonungslos. Du MUSST dich deiner Erfolglosigkeit als Stückeschreiber stellen.

Klar, ich bin mit meinem Stück abgeblitzt. Während Hauptmann, ppphhhuuu … Das zweite Stück in kürzester Zeit. Als ich Karl MEIN Stück „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon“ zu Lesen gegeben hatte, lobte er es über den grünen Klee. Bezeichnete es als brillant. Ich erinnere mich genau: sein Lob hatte mich irgendwie irritiert.

Peinlich berührt. Intuitiv misstraue ich Lob. Vermute dahinter aufgeplusterte, zur Schau gestellte Nettigkeit. Nichts als Nettigkeit. Weil man den Freund nicht verletzen will, sagt man ihm nicht, dass man das, was er geschrieben hat, Scheisse findet. Karl spielt den Enthusiasten überzeugend. Mein Bauchgefühl muss mir bereits damals gesagt haben, dass etwas daran nicht echt ist. Irgendwie hatte er mich nicht verletzen wollen. Hatte es nicht gewagt, dieser Feigling, mir die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Checkt nicht, dass seine Lüge mich nun, wo ich sie durchschaue, unendlich mehr verletzt, als es die Wahrheit damals getan hätte. Ich selber zweifle immer an dem, was ich geschrieben habe. Kritik, selbst vernichtende Kritik haut mich nicht um. Ich kann Kritik ertragen. Doch Lüge von meinem besten Freund, sie ertrage ich nicht. Mit seinem Lob hat er mir etwas vorgelogen. Seine wahre Meinung gibt er mir verklausuliert jetzt, viel später, zu verstehen. Und ich verstehe. Karl, dieser Hosenscheisser, kann und will es mir nicht direkt ins Gesicht sagen. Deshalb ist er nach den bösen Worten gleich abgehauen!