Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine seltsame Geschichte rankt sich um dieses Lotterie-Los, das ein Seemann beim Untergang seines Schiffes in einer Flasche dem Meer übergibt. Das Los erreicht seine Verlobte als letzter Abschiedsgruß, die es bewahren will. Aber weil ihre Mutter sehr verschuldet ist, muss sie das Los herausgeben. Doch am Tag der Ziehung geschieht ein doppeltes Wunder… Die enthaltene Geschichte Frritt-Flacc! ist eine unheimliche Geschichte um einen gemütskalten Arzt, der mitten in der Nacht zu einem Sterbenden gerufen wird...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 257
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jules Verne
Ein Lotterie-Los
Jules Verne
Ein Lotterie-Los
Frritt – Flacc!
Edition Corsar D. u. Th. Ostwald
Braunschweig
In dem Roman werden Ausdrücke verwendet, die heute nicht mehr üblich sind. Sie wurden jedoch beibehalten um den Stil der Zeit zu bewahren.
Texte: © 2025 Copyright by Thomas Ostwald nach der Ausgabe des Hartleben-Verlages 1887 und der von mir betreuten Taschenbuchausgabe im Pawlak-Verlag 1984 durchgesehen und korrigiert
Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by
Thomas Ostwald
Edition Corsar
Dagmar u. Thomas Ostwald
Am Uhlenbusch 17
38108 Braunschweig
Erstes Kapitel
»Wieviel Uhr ist es?« fragte Frau Hansen, nachdem sie die Asche aus ihrer Pfeife geschüttelt, deren letzte Rauchwölkchen sich zwischen den buntfarbigen Deckenbalken verloren.
»Um acht Uhr, Mutter«, antwortete Hulda.
»Es ist nicht anzunehmen, dass während der Nacht Reisende ankämen; das Wetter ist zu schlecht.«
»Ich glaube auch nicht, dass jemand kommt. Jedenfalls sind unsere Stuben instand gesetzt, und ich würde es gewiss hören, wenn einer von draußen riefe.
»Dein Bruder ist noch nicht zurückgekommen?«
»Noch nicht.«
»Hat er nicht hinterlassen, heute wieder heimzukehren?«
»Nein, Mutter. Joel bringt einen Reisenden nach dem Tinn-See, und da er erst ziemlich spät weggefahren ist, glaub' ich nicht, dass er vor morgen nach Dal zurückkehren kann.«
»Er wird also in Moel übernachte!« - »Wahrscheinlich, wenn er nicht noch bis Bamble fährt, um einen Besuch bei dem Pächter Helmboe abzustatten ...«
»Und bei dessen Tochter?«
»Gewiss, auch um Sigrid, meine beste Freundin, zu sehen, die ich wie eine Schwester liebe!«, erwiderte lächelnd das junge Mädchen.
»Nun, so schließ die Tür, Hulda; wir wollen schlafen gehen.«
»Du bist doch nicht wieder leidend, Mütterchen?« - »O nein, ich denke sogar, morgen recht frühzeitig aufzustehen. Ich muss nun einmal nach Moel ...«
»Nach Moel ... ? Warum?«
»Ei, müssen wir nicht daran denken, unsere Speisekammern für die bevorstehende Jahreszeit gefüllt zu erhalten?«
»So ist der Bote von Christiania mit seinem Wagen voll Speisen und Getränke in Moel schon eingetroffen?«
»Ja, Hulda, diesen Nachmittag«, bestätigte Frau Hansen. »Lengling, der Werkführer in der Sägemühle, ist ihm begegnet und hat es mir im Vorübergehen mitgeteilt. Unsere Vorräte an Schinken und geräuchertem Lachs sind stark zusammengeschmolzen, und ich mag nicht Gefahr laufen, deshalb erst in Verlegenheit zu kommen. Jeden Tag, vorzüglich wenn die Witterung sich bessern sollte, können die Touristen nun ihre Ausflüge durch Telemarken wieder beginnen. Unser Haus1 muss ebenso bereit sein, diese aufzunehmen, wie ihnen alles für ihren Aufenthalt Erforderliche liefern zu können. Weißt du, Hulda, dass wir schon den fünfzehnten April schreiben?«
»Ach ja, schon den fünfzehnten April!«, murmelte das junge Mädchen. »Morgen also«, fuhr Frau Hansen fort, »werde ich alles Nötige besorgen. Binnen zwei Stunden können meine Einkäufe abgemacht sein, die der Bote hierher schaffen mag, während ich mit Joel im Schusskarren zurückkomme.«
»Wenn du dabei den Postkurier träfst, liebe Mutter, so vergiss ja nicht zu fragen, ob er etwa einen Brief für uns hat ... «
»Vorzüglich einen für dich! Das wäre wohl möglich, denn Oles letztes Schreiben ist nun schon einen Monat alt.«
»Ja, einen Monat ... einen ganzen langen Monat alt!«
»Sorge dich darum nicht, Hulda, an einer solchen Verzögerung ist doch nichts zu verwundern. Und wenn der Postkurier von Moel nichts mitgebracht hätte, kann das, was über Christiania nicht eintraf, nicht etwa über Bergen kommen?«
»Gewiss, liebe Mutter, darum härme ich mich auch nicht. Mir wird das Herz nur so schwer, weil es von hier bis nach den Fischgründen von New-FoundLand gar so weit ist. Von dort gilt es ein ganzes Weltmeer zu durchsegeln und obendrein bei schlechtem Wetter. Nun ist mein armer Ole schon fast ein ganzes Jahr lang fort, und wer weiß, ob wir ihn überhaupt in Dal wiedersehen werden ...!«
»Wenn wir nur bei seiner Rückkehr noch hier sind!«, murmelte Frau Hansen, aber so leise, dass ihre Tochter es nicht verstehen konnte.
Hulda schloss die Tür des Gasthauses, welche auf die Straße nach dem Vestfjorddal hinausführte, nahm sich aber gar nicht die Mühe, den Schlüssel nur einmal im Schloss umzudrehen. In dem gastlichen Norwegen sind solche Vorsichtsmaßregeln entbehrlich. Man hält es hier für selbstverständlich, dass jeder Reisende am Tage wie in der Nacht müsse in das Wohnhaus der Gaards (Gehöfte) oder Säters (Landgüter) eintreten können, ohne dass ihm jemand erst zu öffnen brauche.
Eine Heimsuchung durch Landstreicher oder andere Übeltäter ist hier weder in vereinzelten Pachthöfen noch in den oft weit im Lande verlorenen Weilern zu befürchten, und kein verbrecherischer Anschlag gegen Gut oder Leben hat je die Sicherheit der friedlichen Bewohner gestört.
Mutter und Tochter bewohnten zwei Stübchen an der Vorderseite des ersten Stockwerks der Herberge, zwei kühle, saubere Stübchen, freilich mit einer nur bescheidenen Ausstattung, welche aber nirgends das Schaffen und Walten verständig sorgender Hände vermissen ließ. Darüber und unter dem Dach, das gleich dem einer Sennhütte ein Stück vorsprang, befand sich das Stübchen Joels, welches durch ein mit geschmackvoll geschnitztem Tannenholzrahmen versehenes Fenster erhellt wurde. Von hier aus umfaßte der Blick einen Horizont von mächtigen Bergen und konnte auch bis zum Grund des engen Tales hinausschweifen, das der Maan - halb ein Bergbach, halb ein Flüsschen - murmelnd durchzog. Eine Holztreppe mit festem Geländer und spiegelblanken Stufen führte von der großen Stube des Erdgeschosses aus nach den oberen Stockwerken. Man konnte sich kaum etwas mehr Anheimelndes denken als den Anblick dieses Hauses, in dem der Reisende eine in den Landgasthöfen Norwegens seltene Bequemlichkeit vorfand.
Hulda und ihre Mutter bewohnten also das erste Stockwerk, wohin sie sich, wenn sie allein waren, stets zeitig zurückzogen. Schon hatte Frau Hansen, die einen buntfarbigen Glasleuchter in der Hand hielt, die ersten Stufen erstiegen, als sie plötzlich noch einmal stehenblieb.
Draußen klopfte es an die Tür, und eine Stimme rief: »He, Frau Hansen! Frau Hansen!« Die Angerufene ging wieder hinunter.
»Wer könnte so spät noch kommen?«, sagte sie.
»Es wird doch Joel kein Unfall zugestoßen sein!«, rief Hulda erschrocken.
Sie eilte sofort nach der Tür. Vor derselben stand ein junger Bursche - einer jener halbwüchsigen Jungen, welche häufig als Skydskar/ (Schußknecht) dienen, als welcher sie hinten auf dem Karren Platz nehmen und nach zurückgelegter Fahrtstrecke das Pferd nach der betreffenden Station heimzuführen haben. Dieser hier war zu Fuß gekommen und stand dicht vor der Schwelle.
»Nun, was willst du noch zu dieser Stunde?«, fragte Hulda.
»Zunächst Ihnen einen guten Abend wünschen«, antwortete der Bursche. - »Ist das alles?« - »Nein, gewiss nicht, doch muss man zuerst nicht immer höflich sein?«
»Du hast recht. Doch wer sendet dich?«
»Ihr Bruder Joel schickt mich.«
»Joel ...? Und weshalb?«, ließ sich Frau Hansen vernehmen.
Sie ging dabei mit jenem langsamen, gemessenen Schritt, der den Bewohnern Norwegens eigentümlich ist, nach der Tür zu. In den Adern ihres Erdbodens mag sich vielleicht Quecksilber finden, in den Adern der Leute hier fließt gewiss keines.
Jene Antwort hatte die Mutter aber offenbar etwas beunruhigt, denn sie beeilte sich, ihrer Frage hinzuzusetzen:
»Meinem Sohn ist doch nichts zugestoßen?«
»Doch! Mit dem Postkurier von Christiania ist ein Brief von Drammen eingetroffen ... «
»Ein Brief, der von Drammen kommt?,« fragte Frau Hansen, die Stimme senkend, rasch.
»Das kann ich nicht behaupten«, antwortete der Bursche. »Ich weiß nur, dass Joel vor morgen nicht nach Hause kommen kann und dass er mich hierher geschickt hat, um diesen Brief abzugeben.«
»Ist derselbe denn so eilig?« - »Es scheint so.«
»Gib her«, sagte Frau Hansen in einem Ton, der ihre lebhafte Unruhe verriet.
»Hier ist er ganz sauber und unzerknittert, für Sie ist der Brief aber gar nicht.« - Frau Hansen schien erleichtert aufzuatmen.
»Für wen denn?«, fragte sie.
»Für Ihre Tochter.«
»Für mich!«, rief Hulda. »Das ist bestimmt ein Brief von Ole, der über Christiania eingetroffen sein wird. Mein Bruder hat mich auf denselben nicht wollen warten lassen!«
Hulda hatte das Schreiben in Empfang genommen, und nachdem sie den auf einem Tische niedergesetzten Leuchter herbeigeholt, sah sie die Adresse genauer an.
»Ja, es ist von ihm! Es ist wahrhaftig von ihm. Oh, könnte er mir melden, dass der >Biken< nun heimkehren wird!«
Inzwischen sagte Frau Hansen zu dem Burschen:
»Du kommst ja gar nicht herein?«
»Nun, auf eine Minute. Ich muss noch Abend zu Hause zurück sein, da ich morgen früh einen Schusskarren zu fahren habe.«
»So nimm wenigstens den Auftrag mit, Joel zu sagen, dass ich morgen selbst kommen würde; er soll mich erwarten.«
»Abend?« - »Nein, im Laufe des Vormittags. Jedenfalls soll er Moel nicht verlassen, ehe er mich getroffen hat. Wir werden dann zusammen nach Dal zurückfahren.«
»Abgemacht, Frau Hansen.«
»Na, willst du nicht einen Tropfen Branntwein?«
»Mit Vergnügen!«
Der junge Bursche hatte sich dem Tisch genähert und Frau Hansen ihm ein wenig von dem landesüblichen stärkenden Aquavit vorgesetzt, der so vortrefflich gegen die Schädlichkeit der Abendnebel schützt. Jener ließ keinen Tropfen in der ihm dargereichten kleinen Tasse.
»God aften!« sagte er dann.
»God aften, mein Junge!«
So lautet das norwegische gute Nacht, das hier ganz einfach, ohne die geringste Neigung des Kopfes ausgewechselt wurde. Und der junge Bursche zog seines Weges, unbekümmert um die lange Strecke, die er noch zurückzulegen hatte. Bald schwand er unter den Bäumen des Fußsteiges, der den murmelnden Fluss begleitet, aus den Augen.
Hulda betrachtete inzwischen noch immer den Brief Oles, beeilte sich aber gar nicht, ihn zu öffnen. Doch man bedenke nur! Diese gebrechliche Papierhülle hatte den ganzen Ozean überschreiten müssen, um zu ihr zu gelangen, das ganze große Weltmeer, in dem sich die Küsten des westlichen Norwegens verlieren. Sie prüfte die verschiedenen Poststempel. Am 15. März aufgegeben, kam dieser Brief doch erst am 15. April in Dal an; Ole hatte ihn also schon vor einem Monat geschrieben. Was hatte sich nicht alles während dieses Monats ereignen können in der Nähe der Gestade von New-Found-Land - wie die Engländer statt der französischen Bezeichnung Terre-Neuve sagen. War jetzt nicht noch Winter, die gefährliche Zeit der Tag- und Nachtgleiche? Und jene Fischgründe gehören zu den gefährlichsten der Welt, da hier sehr häufig furchtbare Windstöße vorkommen, welche der Pol über die Ebenen Nordamerikas hinabsendet. Oh, es ist ein mühseliges und gefährliches Leben, das des Hochseefischers, welches auch Ole führte. Und den reichen Gewinn davon brachte er nicht einmal für sich selbst heim oder für die Verlobte, die er bei seiner Rückkehr heiraten wollte. Armer Ole! Was schrieb er wohl in diesem Brief? Gewiss, dass er Hulda noch immer liebte, wie Hulda ihn stets lieben würde, dass ihre Gedanken sich trotz der Entfernung begegneten und dass er den Tag seiner Rückkehr nach Dal herbeisehne.
Ja, das musste er sagen, Hulda wusste es gewiss. Vielleicht schrieb er auch noch, dass seine Heimkehr nahe bevorstehe, dass diese Fischereikampagne, welche die Fischer von Bergen ihrer Heimat so sehr weit entführt, endlich zu Ende gehen sollte. Vielleicht berichtete ihr Ole auch, dass der »Biken« nur noch seine Ladung verstaue und sich zum Lichten der Anker rüste, dass die letzten Tage des April nicht vergehen würden, ohne beide wieder in dem glücklichen Haus des Vestfjorddals vereinigt zu sehen? Vielleicht meldete er ihr gar, dass schon der Tag bestimmt werden könne, an dem der Pfarrer von Moel hinüberkommen solle, um sie in der kleinen hölzernen Kapelle zu vereinigen, deren Glockenturm aus einer dichten Baumgruppe einige hundert Schritte von der Herberge von Frau Hansen hervorlugte?
Um das zu erfahren, hätte es ja genügt, das Siegel des Umschlages zu lösen, den Brief Oles herauszuziehen und diesen unter Tränen des Schmerzes oder der Freude, die sein Inhalt den Augen Huldas eben entlocken mochte, zu lesen. Und ohne Zweifel hätte ein ungeduldigeres Kind des Südens, ja auch ein Mädchen aus Dalarne, aus Dänemark oder Holland schon längst gewusst, was die junge Norwegerin jetzt noch nicht wusste. Aber Hulda träumte eben, und Träume enden bekanntlich nicht eher, als bis es Gott gefällt, sie abzubrechen. Und wie oft bedauerte man sie, dass die Wirklichkeit nicht selten gar so enttäuschend ist!
»Mein Kind«, begann da Frau Hansen, »ist denn der Brief, den dein Bruder dir sendet, wirklich von Ole?«
»Ja, ich erkenne die Handschrift.«
»Und willst du mit dem Lesen desselben etwa bis morgen warten?«
Hulda betrachtete zum letzten Male den Umschlag. Nachdem sie denselben dann ohne besondere Eile geöffnet, entnahm sie daraus einen sorgfältig schön geschriebenen Brief und las wie folgt:
Saint-Pierre Miquelon, 17. März 1862.
Meine liebste Hulda!
Du wirst mit Vergnügen hören, dass wir einen glücklichen Fischfang gehabt haben und denselben binnen wenigen Tagen schließen. Ja, endlich nahen wir uns dem Ende dieser Kampagne! Wie werde ich nach einjähriger Abwesenheit glücklich sein, nach Dal zurückzukehren und die einzige Familie wiederzufinden, die mir noch geblieben und welche die Deinige ist.
Mein Gewinnanteil ist recht beträchtlich und wird für uns zur ersten Einrichtung ausreichen. Die Herren Gebrüder Help Söhne, unsere Reeder in Bergen, sind schon benachrichtigt, dass der >Biken< voraussichtlich zwischen dem 15. und dem
20. Mai zurück sein wird. Du kannst also darauf rechnen, mich etwa zu dieser Zeit, d. h. höchstens nach einigen Wochen, zu sehen.
Teure Hulda, ich hoffe, Dich ebenso wie bei meiner Abreise und ebenso wie Deine Mutter bei bester Gesundheit wiederzufinden. Munter und frisch auch den mutigen und entschlossenen Kameraden, meinen Vetter Joel, Deinen Bruder, der sich nichts Besseres wünscht, als auch der meinige zu werden.
Beim Empfang des Gegenwärtigen grüße mir auch herzlich Frau Hansen, die ich von hier aus in ihrem Holzlehnstuhl nahe dem Ofen in der großen Stube deutlich vor mir sehe. Versichere ihr, dass ich sie zweimal lieb habe, einmal weil sie Deine Mutter und dann weil sie meine Tante ist.
Jedenfalls bemühe Dich nicht damit, mir nach Bergen entgegenkommen zu wollen. Es wäre möglich, dass der >Biken< noch eher einträfe, als ich voraussetze. Doch wie dem auch sei, teuerste Hulda, sicher kannst Du darauf rechnen, mich vierundzwanzig Stunden nach unserer Landung in Dal zu finden, nur erschrecke nicht, wenn ich noch frühzeitiger ankomme.
Wir sind durch die raue Witterung dieses Winters tüchtig umhergeworfen worden; ja, diese war so schlecht, wie unsere Seeleute sie noch kaum erlebt haben. Zum Glück lieferte wenigstens der Kabeljau an der großen Bank einen ausgezeichneten Ertrag. Der >Biken< bringt davon fünfhundert Zentner mit, die in Bergen abzuliefern und durch die Bemühung der Herren Help Söhne schon verkauft sind.
Mit einem Wort, das wird Euch beide ja am meisten interessieren, wir haben einen guten Fang gemacht, und der Ertrag wird auch für mich, der ich jetzt einen ganzen Anteil beziehe, recht gut sein. Bringe ich nun auch nicht gerade Reichtümer mit nach Hause, so hab' ich doch den Gedanken, ja eine Art Vorgefühl, dass mich diese bei der Rückkehr erwarten. Ja, Reichtümer ... ohne des Glücks zu erwähnen! Wie ... ? Das ist mein Geheimnis, liebste Hulda, und Du wirst mir schon verzeihen, ein Geheimnis für mich zu behalten. Es ist ja das einzige, und ich werde es auch Dir noch offenbaren ... Wann ...? Nun, sobald die Zeit dazu gekommen ist - vor unserer Hochzeit, wenn diese durch einen unvorhergesehenen Umstand verzögert werden sollte - nach derselben, wenn ich zur angegebenen Zeit eintreffe und wenn Du in der Woche nach meiner Rückkehr nach Dal mein herziges Weib geworden bist, wie ich das ja von ganzer Seele wünsche.
Ich umarme Dich, meine Hulda, und bitte Dich, an meiner statt Frau Hansen und meinen Vetter Joel zu umarmen. Ich küsse im Geiste Deine Stirn, der die strahlende Krone der Neuvermählten von Telemarken wie ein Heiligenschein stehen wird. Zum letzten Male, lebe wohl, meine teure Hulda, lebe wohl!
Für immer Dein
Ole Kamp.«
Zweites Kapitel
Dal besteht nur aus wenigen Häusern, von denen die einen längs einer Straße stehen, die eigentlich nur den Namen eines Fußwegs verdient, und die anderen auf benachbarten Anhöhen zerstreut liegen. Sie wenden die vordere Seite dem Vestfjorddal, den Rücken den Bergen im Norden zu, an deren Fuß hin der Maan verläuft. Alle Gebäude zusammen würden etwa einen der im Lande sehr häufigen
»Gaards« bilden, wenn sie von einem einzigen Feldeigentümer oder einem Zinspächter verwaltet würden. Doch wenn nicht den Namen eines Fleckens, so beanspruchen dieselben doch mit Recht den eines Weilers. Eine kleine, 1855 erbaute Kapelle, deren Chorhaube durch zwei schmale Glasfenster unterbrochen wird, erhebt in der Nähe durch das Baumgewirr ihren vierseitigen Glockenturm - alles in Holz. Da und dort sind über die Bäche, welche dem Fluss zueilen, einige kreuzförmig gezimmerte Brückchen geschlagen, deren Zwischenräume von bemoosten Steinen ausgefüllt werden.
Etwas weiterhin hört man das Knarren von ein oder zwei sehr ursprünglichen, durch Bergwasser getriebenen Sägemühlen mit einem Schaufelrade zur Bewegung der Säge und einem anderen zur Fortschiebung des Balkens oder der Planken. Und wiederum in einiger Entfernung scheint das Ganze, Kapelle, Sägemühlen, Häuser und Hütten, in einen weichen Dunst von Grün gebettet, hier dunkel durch Tannen, dort blaugrün durch Birken, in einem Rahmen, den die einzelnen oder in Gruppen stehenden Bäume von den gewundenen Ufern des Maan bis zum Kamm der hohen Berge von Telemarken bilden.
So erscheint der frische und lachende Weiler von Dal mit seinen malerischen, äußerlich farbig angestrichenen Wohnstätten, von denen die einen zarte Farbentöne in Hellgrün oder Lichtrosa, die anderen schreiende Farben wie lebhaftes Gelb oder Blutrot zeigen. Ihre mit Birkenrinde abgedeckten Dächer, überzogen mit frischgrünem Rasen, den man im Herbst abmäht, sind mit natürlichen Blumen geschmückt. Alles das ist reizend und gehört zum herrlichsten Land der Welt. Kurz, Dal liegt eben in Telemarken, Telemarken aber in Norwegen, in Norwegen - mit mehreren tausend Fjords, welche dem Meer gestatten, um den Fuß seiner Berge zu branden.
Telemarken liegt inmitten jenes weit ausladenden, kolbenförmigen Teiles, den Norwegen zwischen Bergen und Christiania bildet. Diese, zu dem Amt Bratsberg gehörige Vogtei hat Berge und Gletscher wie die Schweiz, aber sie ist nicht die Schweiz; die hat großartige Wasserfälle wie Nordamerika, aber sie ist nicht Nordamerika; sie hat Dörfer mit gemalten Häusern und gelegentlich Prozessionen mit Trachten aus verschwundenen Zeiten bekleideter Einwohner wie manche Ortschaften Hollands, aber sie ist auch nicht Holland. Telemarken ist schöner wie diese alle, es ist eben Telemarken, eine durch die natürliche Schönheit, welche sie enthält, vielleicht in der ganzen Welt einzig dastehende Landschaft. Der Verfasser hat das Vergnügen gehabt, dasselbe zu besuchen. Er hat es auf Schusskarren durchstreift und das Pferd an jeder Station gewechselt - wenn solche zu haben waren - und davon einen tiefgehenden poetischen Eindruck mit heimgebracht, der noch heute so lebhaft in seiner Erinnerung ist, dass er dieser einfachen Erzählung wohl einen Anflug davon verleihen zu können wünschte.
Zurzeit, wo diese Geschichte spielt - im Jahre 1862-, war Norwegen noch nicht von der Eisenbahn durchfurcht, welche es heute gestattet, von Stockholm über Christiania bis Drontheim zu reisen. Jetzt ist ein ungeheures Schienenband zwischen den beiden skandinavischen Ländern, die so wenig Neigung zeigen, ein gemeinschaftliches Leben zu führen, ausgespannt. Im Waggon der Eisenbahn eingeschlossen, sieht der Reisende freilich, während er schneller als früher mittels Schuss dahinfährt, nichts oder sehr wenig von der Schönheit der ehemaligen Fahrstraße.
Ihm entgeht damit die hochinteressante Fahrt durch das mittlere Schweden, auf dem Göta-Kanal, dessen Dampfboot, von Schleuse zu Schleuse gehoben, eine Höhe von dreihundert Fuß erklettern. Er verweilt nicht bei den berühmten Trollhättafällen, nicht in Drammen oder Kongsberg, so wenig wie bei den Wundern von Telemarken.
Jener Zeit also war die Eisenbahn erst geplant. Noch einige zwanzig Jahre sollten vergehen, ehe man das skandinavische Königreich von einer Küste zur anderen in achtundvierzig Stunden durchfliegen und nach dem Nordkap mit Retourbillett nach Spitzbergen gehen konnte. Da! bildete nun damals - und bildet hoffentlich noch lange Zeit - den eigentlichen Mittelpunkt, der fremde oder einheimische Touristen anlockte, welch letztere übrigens meist aus Studenten von Christiania bestanden. Von hier können dieselben sich leicht über ganz Telemarken und Hardanger zerstreuen, das Vestfjorddal zwischen dem Mjös- und Tinn-See hinabwandern und die wundervollen Wasserfälle des Rjukan erreichen. In genanntem Weiler findet sich freilich nur eine Herberge, aber diese ist so anziehend, wie man sich eine solche nur wünschen kann, und dazu ziemlich geräumig, denn sie enthält vier Zimmer für Fremde - mit einem Worte, es ist das Haus der Frau Hansen.
Einige Bänke umschließen den hinteren Teil seiner rosenfarbenen Wände, die vom Erdboden durch eine solide Grundmauer aus Granit isoliert sind. Die tannenden Balken und Planken seiner »Mauern« haben im Laufe der Zeit eine solche Härte angenommen, dass eine stählerne Axt daran stumpf werden würde. Zwischen diesen vierkantig zugehauenen, waagrecht übereinander gelagerten Balken füllt eine Ansiedlung von Moos mit etwas Tonerde die Fugen aus, so dass selbst der heftigste Winterregen keinen Eingang findet.
In den Zimmern ist die Sparrendecke rot gemalt und sticht damit stark ab gegen die milderen und heitereren Farben des Wandgetäfels. In einer Ecke der großen Stube steht der runde Kachelofen, dessen Rohr nach der Esse über dem Küchenherd mündet. Hier wieder bewegt die große, von einem Holzkasten umschlossene Uhr ihre schön gearbeiteten und spitz auslaufenden Zeiger über ein großes Emaillezifferblatt und bezeichnet jede Sekunde durch ein lautes Ticktack. Dort steht der alte Schreibtisch mit braunem Simswerk vor einem eichenartig angestrichenen, dreibeinigen Sessel. Auf einem Untersetzer prangt ein Leuchter aus gebranntem Ton, der, wenn man ihn umkehrt, einen dreiarmigen Kandelaber darstellt. Die schönsten Möbel des Hauses zieren überhaupt diesen Raum. Der Tisch aus Birkenwurzel mit geschweißten Füßen. Die große Truhe mit verzierten Beschlägen, in der sich der Sonn- und Festtagsstaat befindet. Der große hölzerne Lehnstuhl, der schon mehr einem Kirchstuhl gleicht, die Stühle aus bemaltem Holz; das altehrwürdige Spinnrad, dessen grünliche Verzierungen lebhaft mit dem Rocke der Spinnerinnen kontrastiert. Ferner der Topf für die eingesetzte Butter und die Rolle zum Festrühren derselben sowie der Tabakskasten und die Reibe aus geschnittenem Knochen. Über der nach der Küche führenden Tür endlich blinken auf breitem Gestelle die Reihen von Kupfer- und Zinngeschirr neben Tellern und Schüsseln mit glänzendem Emaille aus Fayence und solchen aus Holz, der kleine Schleifstein, der halb in seinem gefirnisten Behälter verschwindet, der alte und ehrwürdige Eierhalter, der nötigenfalls als Kelch dienen könnte, und dazu die hochinteressanten Wände, welche mit Stickereien in Leinwand bedeckt sind, die in buten Farben Szenen aus der Bibel wiedergeben. Die Zimmer für Reisende sind zwar einfacher in der Ausstattung, doch nicht minder anheimelnd mit ihren höchst sauberen Möbeln; vor den Fenstern mit dem Vorhang aus frischem Grün, der sich von der Kante des berasten Daches herabzieht, mit dem breiten Bett und dessen weißem Linnenzeug, das ein Blumenmuster zeigt, wie mit den Bettwänden, auf denen Bibelsprüche aus dem Alten Testament geschrieben stehen.
Unerwähnt darf hierbei auch nicht bleiben, dass die Dielen des größten Raumes wie die aller Zimmer des Erdgeschosses und des ersten Stockwerks mit Birken-, Tannen- und Wacholderreisig bestreut sind, dessen Blätter und Nadeln das ganze Haus mit erfrischendem Wohlgeruch erfüllen. Könnte sich wohl jemand eine reizendere Posada in Italien, eine entzückendere Fonda in Spanien vorstellen?
Gewiss nicht. Und hier hat der Strom englischer Touristen - wenigstens zurzeit, wo unsere Erzählung spielt - noch nicht wie in der Schweiz die Preise in die Höhe geschnellt. In Dal wird die Börse des Reisenden nicht gleich um Guineen und Pfunde Sterling erleichtert, hier bildet der silberne Speziestaler, im Wert von viereinhalb Mark, die größte Münze; meist handelt es sich beim Bezahlen nur um dessen Unterabteilungen, die Mark im Wert von ungefähr siebenundfünfzig Pfennigen, und den Kupferschilling, den man ja nicht mit dem englischen Schilling verwechseln darf, denn jener entspricht nur etwa einem französischen Sous.2 Ebenso wenig ist es die anspruchsvolle Banknote, welche der Tourist in Telemarken stets auszugeben oder zu verschwenden hat. Hier sieht man nur den einfachen Papierspezies von weißer Farbe, das Fünfspezies-Billet (blau), das zu zehn (gelb), das zu fünfzig (grün) und zu hundert Spezies (rot); fehlen also nur zwei, sonst wären alle sieben Regenbogenfarben vertreten.
Ferner - und damit bietet dieses gastliche Haus einen weiteren beachtenswerten Vorzug - ist Speise und Trank hier vortrefflich, was man von den anderen Gasthäusern der Umgebung nicht allemal sagen kann. Telemarken rechtfertigt nur zu sehr seinen Spitznamen des »Landes der geronnenen Milch«. Tief im Inneren, wie in Tineß, Listhuus, Tinoset und an anderen Orten, gibt es fast niemals Brot oder doch nur so schlechtes, dass man besser davon ganz absieht; nichts als eine Art Hafermehlscheiben, das trockene, schwärzliche und wie steife Pappe harte
»Flatbröd« oder höchstens eine Art groben Kuchen, dem gemahlene Birkenrinde, gemischt mit Mais und Häcksel, zugesetzt ist. Nur selten findet man Eier, außer wenn die Hühner vielleicht schon acht Tage vorher gelegt hatten; in Überfluss dagegen ein sehr mittelmäßiges Bier, süße und saure geronnene Milch (Filbunk) und zuweilen etwas Kaffee, diesen aber so dick, dass er mehr einem destillierten Produkt der Mokka-Bourbon- oder Rio-Nunezbohne ähnelt.
Bei Frau Hansen dagegen sind Küche und Keller wohlbestellt, so dass auch verwöhnte Touristen keine Ursache zu Klage haben. Hier gibt es gekochten, gesalzenen und geräucherten Lachs, »Hores«, das sind Binnensee-Lachse, welche niemals im Salzwasser gewesen sind; Fische aus den Flüssen Telemarkens, weder zu hartes, noch zu mageres Geflügel, Eier in Menge, wohlschmeckende Platzkuchen aus Roggen- und Gerstenmehl, Früchte, und vor allem Erdbeeren, Schwarzbrot von seltener Güte, Bier und abgelagerte Flaschen mit schönem Saint-Julien, der den guten Ruf der Gewächse Frankreichs bis in diese entlegenen Gegenden verbreitet.
In allen Ländern des nördlichen Europa steht die Gjestgifveri von Dal auch in bestem Ansehen.
Das erkennt man außerdem sehr leicht beim Durchblättern des Fremdenbuchs mit vergilbtem Papier, in das die Reisenden neben ihrem Namen gern einige Lobsprüche für Frau Hansen eintragen; in der Mehrzahl sind das Schweden und Norweger, die aus allen Teilen Skandinaviens herstammen.
Zudem finden sich auch viele Engländer darunter, und einer derselben, der lange Zeit gewartet hatte, um den Nebel vom Gipfel des Gusta sich auflösen zu sehen, hatte als echter Sohn Albions auf eine jener Seiten geschrieben:
Patientia omnia vincit.3
Auch einigen Franzosen begegnet man wohl, von denen der eine, der hier besser ungenannt bleibt, sich zu schreiben erlaubte:
»Wir haben uns nur lobend auszusprechen über die Aufnahme, die man uns in dieser Herberge >gemacht< hat!«
Auf den grammatischen Fehler kommt hierbei ja nicht viel an. Wenn die Worte mehr lobend als sprachlich richtig sind, so enthalten sie doch eine herzlich gemeinte Anerkennung für Frau Hansen und ihre Tochter, die reizende Hulda des Bestfjorddals.
Drittes Kapitel
Ohne in der Ethnographie allzu sehr bewandert zu sein, kann man doch mit mehreren Gelehrten zu dem Glauben kommen, dass zwischen den Familien der hohen Aristokratie Englands und den alten Familien des skandinavischen Königreichs eine gewisse Verwandtschaft herrscht. Zahlreiche Beweise liefern dafür die altertümlichen Namen, welche in beiden Ländern übereinstimmend vorkommen. Und doch gibt es in Norwegen keine eigentliche Aristokratie; aber wenn hier auch Demokratie herrscht, so verhindert das keineswegs, im höchsten Grade aristokratisch zu sein. Hier sind sich sozusagen alle an Höhe, statt an Niedrigkeit gleich. Bis in die geringsten Hütten findet man noch den hoch in Ehren gehaltenen Stammbaum, der keineswegs dadurch, dass er in plebejischer Erde Wurzel fasste, minderwertig geworden ist. Hier vierteilen sich die Schilder der vornehmen Familien aus der Feudalzeit, von denen diese einfachen Bauern abstammen.
Ganz das nämliche war der Fall mit den Hansens von Dal, die, wenn man auch nur entfernt, jedenfalls verwandt sind mit den gleichnamigen, bald nach dem Einfalle Rollons von der Normandie geschaffenen Pairs von England. Nehmen sie auch nicht deren hohen Rang ein und erfreuen sie sich nicht des gleichen Reichtums, so haben sie sich doch mindestens den alten Stolz bewahrt, oder vielmehr eine gewisse Würde, welche ja in jeder gesellschaftlichen Stellung am Platze ist.
Doch das kümmerte sie nicht. Trotz seiner Vorfahren von hoher Geburt war Harald Hansen doch Gastwirt in Dal geworden. Das Haus rührte schon von seinem Vater und seinem Großvater her, an deren Stellung im Lande er sich gern erinnerte. Nach ihm hatte auch seine Witwe das Geschäft in einer Art und Weise fortgesetzt, die ihr die öffentliche Achtung sicherte.
Ob schon Harald bei seinem Geschäft Vermögen erworben, ist nicht bekannt geworden; sicherlich hatte er seinen Sohn Joel und seine Tochter Hulda auf und erziehen können, ohne dass den Kindern ihre erste Lebenszeit zu beschwerlich gewesen wäre. Außerdem hatte er auch den Sohn einer Schwester seiner Frau, Ole Kamp, den der Tod seiner Eltern seiner Sorge anvertraute, ganz wie seine eigenen Sprösslinge erzogen. Ohne seinen Onkel Harald wäre dieser Waisenknabe unzweifelhaft eines jener armen kleinen Wesen geworden, die nur zur Welt kommen, um sie baldigst wieder zu verlassen. Ole Kamp erwies seinen Pflegeeltern dafür auch eine wahrhaft kindliche Dankbarkeit, und nichts sollte je imstande sein, die Bande zu sprengen, die ihn mit der Familie Hansen verknüpften. Im Gegenteil sollte seine Ver heiratung mit Hulda diese nur noch enger schließen und für das Leben befestigen.
Harald war nun vor achtzehn Monaten gestorben. Außer dem Gasthaus in Dal hinterließ er seiner Witwe noch einen kleinen, auf dem Berg gelegenen
»Säter«. Der Säter ist eine Art einzeln liegender Farm von im Allgemeinen geringen, oft ganz verschwindendem Ertrag. Gerade die letzten Monate waren ziemlich ungünstig gewesen. Alle Kulturen hatten darunter zu leiden gehabt, selbst die bloßen Weiden, und zwar infolge jener »eisernen Nächte«, wie der norwegische Bauer sagt, Nächte mit eiskaltem Nordostwind, welche Felder und Wiesen bis tief hinab ausdörren und schon so manchen Bauern von Telemarken und Hardanger dem Untergang nahe gebracht haben.
Wenn Frau Hansen gewiss über ihre Lage klar war, so hatte sie darüber doch gegen niemand, selbst nicht gegen ihre Kinder, etwas fallen lassen. Von kühlem, schweigsamem Charakter, war sie natürlich wenig mitteilsam, was Joel und Hulda oft genug schmerzlich empfanden. Bei der in den nördlichen Gegenden angeborenen Achtung vor dem Haupt der Familie hatten sie jedoch stets hierüber die größte Zurückhaltung bewahrt, so peinlich ihnen das zuweilen sein mochte. Frau Hansen nahm auch nicht gern Rat oder Hilfe an, da sie - nach dieser Seite eine echte Norwegerin - von der Sicherheit des eigenen Urteils unerschütterlich überzeugt war.
Frau Hansen zählte jetzt fünfzig Jahre. Hatte das Alter auch ihre Haare gebleicht, so hatte es doch weder ihre hohe Gestalt gebeugt, noch die Lebhaftigkeit des glänzenden blauen Auges verblassen können, dessen Azur sich in den Augen ihrer Tochter widerspiegelte. Ihr Teint allein hatte den gelblichen Schein von Aktenpapier angenommen, und einige Falten begannen die freie Stirn zu runzeln.
»Die Madame«, wie man von den Frauen niederer Stände in ganz Skandinavien sagt, trug stets einen großfaltigen schwarzen Rock als Zeichen der Trauer, den sie seit dem Ableben ihres Gatten Harald noch niemals abgelegt hatte. Durch den Ausschnitt ihres Leibchens traten die Ärmel eines ungebleichten Leinwandhemdes hervor. Ein dreieckiges Tuch von dunkler Farbe kreuzte sich über ihrer Brust, hier bedeckt von dem Latz der Schürze, die auf dem Rücken mit großen Spangen zusammengehalten wurde. Den Kopf bedeckte stets ein dichtes Seidenmützchen, eine Art Kinderhaube, welche man sonst nur selten sieht. In gerader Haltung auf dem Holzlehnstuhl sitzend, ließ die ernste Gastwirtin von Dal ihr Spinnrad nur aus den Händen, um eine kleine Birkenholzpfeife zu rauchen, deren Wolken sie mit einem leichten Nebel umgaben.
Ohne die Anwesenheit der beiden Kinder hätte das Haus wirklich einen etwas düsteren Eindruck gemacht.