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Ostpreußen 1909. Das Dienstmädchen Marie ist schwanger, aber ihr Geliebter Karl wollte Spaß und keine Verantwortung. Die Gutsbesitzerin erklärt, dass ein Bastard in ihrem ehrbaren Haus nicht erwünscht ist. Marie muss ihr Kind ins Waisenhaus geben, wenn sie ihre Stelle behalten will. Aber das kennt sie aus eigener leidvoller Erfahrung ...
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Seitenzahl: 84
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Glossar
Marie hob das Daunenbett auf und schüttelte es kräftig. Sorgfältig breitete sie es aus und strich es glatt, bis keine einzige Falte mehr zu sehen war. Als Krönung legte sie die Tagesdecke darüber und betrachtete ihr Werk. Das Eichenbett lud zum Schlafen ein. Ohne Zweifel. Aber sie dachte nicht daran, sich selbst hineinzulegen. Sie war glücklich und zufrieden, ein Dienstmädchen auf Gut Birkenfeldern zu sein. Das war mehr, als sie in ihrer Kindheit vom Leben erwartet hatte.
Während sie das Fenster schloss, schweifte ihr Blick über die Auffahrt des Gutshauses, die in eine lange Allee mündete. Der Sommer hatte seine wärmsten Tage hinter sich, doch heute versprach es, noch einmal heiß zu werden.
Sie drehte den Fensterriegel herum und stutzte. Ein Fremder kam über die Allee auf das Gutshaus zu. Neugierig musterte sie ihn. Er hatte breite Schultern, muskulöse Arme und schwarze Haare.
»Was guckst du denn da?«
Sie zuckte zusammen. »Grete! Was erschreckst du mich?«
»Wir sollen uns beeilen. Heute ist großer Hausputz. Am Wochenende ist die Geburtstagsfeier der gnädigen Frau. Schon vergessen?«
»Ich komme ja!« Sie zog die Gardine zu, als Grete den Fremden entdeckte.
»Ei, guck mal an! Da vertrödelst du die Zeit! Ist wohl ein neuer Landarbeiter. Der scheint aber nicht von hier zu sein.«
»Vielleicht ein neuer Stallknecht?«
»Ob sie den nehmen? Ich glaube, die gnädige Frau mag keine Männer, die mit nackten Armen über die Allee laufen.«
»Bei der Hitze? Wenn er was kann, hat er gute Chancen.«
Jetzt war es Grete, die die Gardine glatt strich. »Schau lieber nicht so genau hin. Wie der aussieht, hat er auf jedem Gut einen Bastard herumlaufen.«
»Ach, was redest du.« Die Bemerkung ihrer Freundin ärgerte sie. Irgendwie hatte Grete ins Schwarze getroffen. Der Fremde zog sie an. Noch nie hatte sie sich für einen Mann interessiert. Und nach ihr hatte auch noch keiner geschaut. Dabei war sie hübsch anzusehen. Sie hatte dunkelblonde Haare, die sie im Nacken mit einem Knoten bändigte. Ihre Figur war rundlich, aber nicht dick. Anders als Grete, die mit ihren geflochtenen Zöpfen und der fast knabenhaften Statur jugendlich aussah, obwohl sie älter war als Marie.
Grete war zur Tür geeilt und drehte sich noch einmal um. »Weißt du, wer morgen den Einkauf macht? Ich fahre doch sonst, aber die gnädige Frau hat mir nicht Bescheid gegeben.«
Marie senkte den Blick. »Also … naja … sie hat es mir gesagt.«
»Dir?«
»Bist du sauer?«
Grete stutzte einen Moment, als wüsste sie nicht, was sie davon halten sollte. Doch dann ging sie auf Marie zu. »Aber nein! Ich bin froh, dass wir beide hier Dienstmädchen sind.«
»Die gnädige Frau meinte, es wird Zeit, dass ich mehr Aufgaben übernehme.«
»Recht hat sie. Du wirst das gut machen.«
Marie umarmte ihre Freundin. »Ach, Grete, ich hatte noch nie eine Freundin wie dich.«
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Die beiden fuhren auseinander und Grete eilte zur Tür. »Komm mit in den Salon!«
Marie schüttelte den Kopf. »Ich wische erst Staub. Bin gleich bei dir.«
Grete huschte hinaus, gerade noch rechtzeitig, ohne der Gutsherrin direkt in die Arme zu laufen.
Sekunden später stand Frau Romeike in der Tür. Ihr Körper füllte den Rahmen beinahe vollständig aus, die Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden. Ihr Gesicht trug selten ein Lächeln. »Geh und hilf Grete, Marie«, sagte sie kurz, was so viel hieß wie: Verlasse sofort den Raum.
»Sehr wohl, gnädige Frau.« Marie knickste und beendete mit gekonntem Schwung das Staubwischen. Dann eilte sie zur Tür hinaus und lief in den Salon.
Später sah sie durchs Fenster den Fremden einen Trakehner zum Stall führen. Das Klack-Klack der Hufe hallte über den Hof. Sie spürte, wie ihr Herz beim Anblick des Mannes schneller schlug. Sein Gang war federnd und ein paar Haarsträhnen hingen ihm wild ins Gesicht. Flugs wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
Marie stand in ihrem dunkelblauen Stadtkleid vor Frau Romeike und nahm den Einkaufszettel entgegen.
»Das Fleisch ist vorbestellt. Im Grunde musst du nur alles abholen. Bertha hat sich letzte Woche darum gekümmert.«
Marie knickste. »Sehr wohl, gnädige Frau!«
»Und noch etwas. Der Kutscher Otto ist krank. Unser neuer Stallknecht wird dich fahren.«
Überrascht schaute sie auf. Der Mann vom Vortag? Sie unterdrückte ein Lächeln und knickste erneut. »Sehr wohl, gnädige Frau.«
Auf dem Hof stand der Einspänner bereit und tatsächlich saß der Fremde auf dem Kutschbock. Er hatte tiefbraune Augen, umrahmt von dichten Wimpern und lächelte Marie entwaffnend entgegen. Ihr Herz begann zu pochen. Irritiert sah sie zur Seite.
»Nicht so schüchtern, junge Frau. Bitte nehmen Sie Platz.« Er deute neben sich. »Ich bin Karl, der Stallknecht. Aber heute bin ich Ihr Kutscher, wenn’s recht ist.« Mit diesen Worten tippte er sich an die Mütze.
Sie nickte kurz und zog es vor, hinter ihm zu sitzen.
»Hat das gnädige Fräulein einen Namen oder ist es Dienstmädchen nicht gestattet, mit Stallknechten zu sprechen?« Karl zwinkerte ihr zu.
Da musste sie lachen und schüttelte den Kopf. »Ich bin Marie.«
»Darf ich du sagen?«
»Ja, sicher!«
»Prima! Na, dann los.« Er ließ die Peitsche knallen und die Pferde setzten sich in Bewegung.
Marie liebte die Fahrt über die Allee. Rechts und links erstreckten sich die Weizenfelder, deren Ernte in vollem Gang war. Die Linden boten kühlenden Schatten. Dieser Luxus war den Arbeitern auf dem Feld nicht gegönnt. Ihre Haut glänzte vom Schweiß. Fünf Jahre war es nun her, dass Marie dort draußen gearbeitet hatte. Sie kannte jeden Einzelnen.
»Wo kommst du denn her?«, wagte sie nach einer Weile, zu fragen. »Du bist doch nicht von hier?«
Karl grinste. »Stimmt! Wollte aber gern das Samland kennenlernen.« Sein Blick wanderte ungeniert über ihre Rundungen. »Wegen der schönen Mädchen.«
Sie schnappte nach Luft und spürte, wie sie puterrot anlief. »Na, hoffentlich wirst du nicht enttäuscht.«
»Bis jetzt bin ich ganz zufrieden.«
Verlegen wandte sie den Blick ab und konzentrierte sich auf die Felder. Für den Rest der Fahrt vermied sie ein Gespräch.
Nach einer knappen Stunde erreichten sie Palmnicken. Marie gab Karl Anweisungen, wohin er sie fahren sollte. Zufrieden betrachtete sie nach einer Weile die Einkäufe und überprüfte, ob sie nichts vergessen hatte. Nein, jeder Posten auf ihrem Zettel befand sich auf der Ladefläche. Sie nickte Karl zu. »Dann können wir zurück.«
»Jetzt schon? Ist doch schön hier. Wie wär es mit einer Fahrt über die Promenade?«
»Erbarmung! Die gnädige Frau hat gesagt, ich soll sofort zurückkommen. Wir sind spät dran.«
»Na, dann kommt es doch auf ein paar Minütchen nicht an. Los, komm schon.«
»Nein! So etwas tut man nicht!«
Karl deutete eine Verbeugung an. »Wie gnädige Frau wünschen. Auf nach Birkenfeldern.«
Erleichtert kletterte sie auf den Sitz.
»Du musst mir aber versprechen, dass wir den Promenadenspaziergang nachholen.«
Erneut spürte sie, wie sie errötete. »Ich weiß nicht. Das ist keine gute Idee.«
»Hast du denn niemals frei?«
»Doch, natürlich, alle zwei Wochen.«
»Und was machst du an deinem freien Tag?«
»Na, dies und das. Was gerade anliegt.« Oft arbeitete sie an ihrem freien Tag auf dem Gut. Aber das sagte sie lieber nicht.
»Hast du vielleicht morgen frei?«
»Nein. Diese Woche hat niemand vom Hausgesinde frei. Am Samstag ist der Geburtstag der gnädigen Frau.« Sie fand den Gedanken, mit Karl an den Ostseestrand zu gehen, plötzlich verlockend. »Ich habe Mittwoch frei.«
»Gut, dann Mittwoch?«
»Musst du denn nicht arbeiten?«
»Nicht, wenn so ein schönes Mädchen mit mir an den Strand will.« Karl lächelte wieder dieses unverschämte Lächeln und lenkte die Kutsche auf die Allee.
Marie mied es, ihn anzusehen. Sie fürchtete, dass sein Blick ein Fenster in ihrem Bauch öffnen würde und alle Schmetterlinge herauskämen.
Zu ihrer Erleichterung war Frau Romeike mit ihrem Einkauf zufrieden. Und auch die dicke Mamsell Bertha beanstandete nichts außer: »Möchte nur wissen, warum das so lange gedauert hat. Bei Grete geht das fixer.«
»Bei mir in Zukunft auch.«
Marie wusch sich die Hände und band sich ihre Schürze um. »Die gnädige Frau hat mich zum Helfen in die Küche geschickt.«
»Ach was!«, sagte Bertha und strich sich über ihre strähnigen grauen Haare. »Geh Grete zur Hand und dann kommt beide zu mir. Ich habe noch reichlich zu tun.« Bertha war die Einzige vom Gesinde, die Frau Romeike widersprechen durfte. Aber nur, weil ihre Kochkünste unersetzlich waren.
Marie machte eine übertriebene Verbeugung. »Wie Sie wünschen, Gnädigste.« Rasch verließ sie die Küche, bevor Bertha einen Lappen nach ihr werfen konnte.
Grete freute sich, als Marie zu ihr in die Waschküche kam. »Die Tischdecken müssen geplättet werden«, sagte sie, »und danach kannst du zu Auguste laufen und ein Bündel Weizenähren holen. Die gnädige Frau fand meinen Vorschlag gut, den Salon mit Ähren zu dekorieren. Mach das, hat sie gesagt.«
Marie nickte zustimmend. »Das wird hübsch aussehen.«
Sie freute sich darauf, Auguste Baumgart zu treffen, als sie zu den Insthäusern hinüberlief. Auguste und Heinrich hatten Marie als Hofgängerin bei sich aufgenommen, als sie mit vierzehn Jahren das Waisenhaus verlassen musste. Das war für beide Seiten gut. Marie hatte eine Bleibe und das kinderlose Ehepaar eine Hofgängerin, die auf dem Gut mitarbeiten konnte. Aber Maries größtes Glück war es, dass Frau Romeike sie an ihrem achtzehnten Geburtstag als Dienstmädchen in Stellung nahm. Das tüchtige Mädchen mit den guten Umgangsformen war der Gutsfrau aufgefallen.
»Ei, Marjellchen, du bist es. Hat die Grete dich geschickt, ja?« Augustes Augen strahlten, als sie Marie erblickte.
»Hallo! Wie geht es dir, Auguste?«
»Ach, was tun mir die Knochen weh! Taugt nichts, wenn man älter wird. Nimmst du ein Schlubberchen mit mir?«
»Ich bin in Eile. Morgen ist das Fest und ich muss Bertha in der Küche helfen. Ich komme, um das Weizenbündel zu holen.«