Die Notwendigkeit von Schnee - Paula Roose - E-Book

Die Notwendigkeit von Schnee E-Book

Paula Roose

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Beschreibung

»Sie hatte doch nur mit dem Finger in einen Teich getippt und ein paar Ringe über das Wasser schicken wollen. Nun war eine Flutwelle losgetreten. Und das alles wegen dieses verdammten Schlüssels ...« Warum hat Sandras Mutter ihr die todbringende Krankheit verschwiegen? Jetzt steht sie mit ihren Fragen am Grab, verlassen vom Ehemann und zerrissen zwischen staatlich verordnetem Sparzwang und dem Wunsch, ihren Kindern eine gute Mutter zu sein. Ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit verliert sie ihre Geldbörse und macht damit die Katastrophe vollkommen. Doch dann schenkt ihr ein Fremder einen goldenen Schlüssel. Was zunächst nur ein wenig Geld in ihre Kasse spülen soll, flutet schon bald ihr Leben - mit Antworten einer ganz anderen Art. Es ist eine Geschichte von Trauer und Hoffnung. Vom Glauben an das Leben und vom Glauben an Gott.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 1

Ingrid Schlomeyer. Der Name ihrer Mutter war in Stein gemeißelt. In verschnörkelten Buchstaben stand er da und Sandra fragte sich, ob Grabsteine so groß und schwer waren, weil sie für Trauer standen. Sie könnte diesen nicht einen Zentimeter weit bewegen — genau wie ihren Schmerz.

In der Hand hielt sie die grauen Blütenreste einer Hortensie, der Lieblingsblume ihrer Mutter. Ein schwieriges Grabgewächs. Sie wucherte wild, wenn man sie nicht schnitt, aber schnitt man sie, dann blühte sie im Folgejahr nicht. Sandra riss sie jeden Herbst heraus und pflanzte im Frühjahr eine neue. Das war teuer, aber so schwebten wenigstens ein paar blaue Blütenbälle über dem Immergrün. In diesem Jahr war sie spät dran, hatte nichts, um die Lücke zu füllen, und so konnte sie die Pflanze nur zurückschneiden, denn nackte Hölzer waren immer noch besser als ein Loch. Der Rest der Grabpflege musste aufs Frühjahr verschoben werden.

Glockengeläut riss Sandra aus ihren Gedanken und mahnte sie zum Aufbruch. »Irgendwie haben wir nie genug Zeit füreinander, Mama«, sagte sie, während sie sich erhob. »Vielleicht sollte ich jemanden fragen, wie man Hortensien auf Gräbern zum Blühen bringt. Du hättest es gewusst.« Und in Gedanken fügte sie hinzu: Aber du hast es für dich behalten. Wie alles andere auch. Und warum hätte sie mit ihrer Mutter über Grabbepflanzung reden sollen? Hoffentlich schneite es bald. Schnee war hervorragend geeignet, um das Elend zuzudecken.

Der Herbstnebel hatte sich verflüchtigt und ein paar Sonnenstrahlen wagten sich an den Birkenstämmen und tiefhängenden Ästen der Trauerweiden vorbei, als Sandra zum Ausgang schritt.

Felix stand schon an der Tür und winkte, als sie ihr Fahrrad vor der Kita anschloss.

»Komm schnell, Mama, du musst gucken, was ich gebaut habe.«

Sandra rang sich ein Lächeln ab und ließ sich von ihrem Jüngsten an die Hand nehmen. Der Gruppenraum der Marienkäfer hatte sich bereits geleert. Frau Kaspert saß an ihrem Schreibtisch in der Ecke und warf ihr über den Brillenrand einen Blick zu.

»Entschuldigung«, sagte Sandra. »Ich war noch auf dem Friedhof. Es hat länger gedauert.«

Frau Kaspert seufzte übertrieben. »Tut mir leid, Frau Porath, aber ich muss das mal sagen. Sie sind die einzige Mutter, die ständig zu spät kommt. Und alle anderen sind berufstätig.«

Sandra wollte erwidern, dass es die Erzieherin gar nichts anginge, ob sie Arbeit hätte oder nicht, dass Kinder großziehen schließlich auch Arbeit wäre und überhaupt, andere Mütter interessierten sie nicht. Stattdessen sagte sie: »Entschuldigung! Es kommt nicht wieder vor.«

Felix zog sie in die Spielzeugecke. »Guck mal, ein Raumschiff. So eins wünsche ich mir zu Weihnachten.«

»Toll gemacht, mein Schatz.« Sandra nahm das Wunderbauwerk in die Hand und betrachtete es zufrieden lächelnd von allen Seiten. Felix würde eines bekommen. Sie hatte das ganze Jahr dafür gespart.

»Er hat Talent«, sagte Frau Kaspert in versöhnlicherem Ton. »Wäre schön, wenn er da gefördert würde.«

»Ich weiß«, antwortete Sandra. »Ich tue, was ich kann.«

»So meinte ich das ja nicht.«

»Ich muss los. Meine Tochter kommt gleich aus der Schule.«

Felix schwang sich auf sein Fahrrad und eilte wie immer voraus. Der Wimpel am Gepäckträger schwang im Takt seiner Bewegungen hin und her. Sandra erinnerte es an ihr Kaninchen aus Kindertagen, wie es mit Freudensprüngen über die Wiese hüpfte, wenn sie es aus dem Käfig gelassen hatte. Ob ihr mal jemand sagen würde, dass sie ihren Job als Mutter gut machte? Statt, dass alle an ihr herummeckerten und nur auf das hinwiesen, was in ihrem Leben fehlte? Das wusste sie doch selbst am besten. Und sie hatte es auch anders gewollt.

Kapitel 2

Sandra öffnete die Etagentür, stolperte über ihre Schuhe, kickte sie unter die Kommode und fiel — kaum dass sie sich umgedreht hatte — über Rucksack und Jacke von Felix, deren er sich an Ort und Stelle entledigt hatte. Ihr Ruf nach Ordnung verhallte an der Kinderzimmertür, hinter der er längst verschwunden war. Seufzend hängte Sandra seine Sachen an die Garderobe und nahm sich vor, ihn ab morgen besser zu erziehen. Heute, das verkündete ihr ein Blick auf die Uhr, war es höchste Zeit für Spaghetti mit Tomatensoße, bevor Marie aus der Schule kam.

Das Wasser füllte rauschend den Topf und gab Sandra für den Augenblick das Gefühl, wieder im Gleichtakt mit der Zeit zu sein. Da klingelte das Telefon.

Alexander war dran. Er wollte die Kinder am Wochenende holen. Nein, es war nicht sein Wochenende, aber er hatte nicht anders Zeit, und wenn es nicht passte, dann eben vor Weihnachten nicht mehr. Also stimmte Sandra zu, um der Kinder willen. Wie sollte sie ihnen auch erklären, dass sie ihren Vater vier Wochen nicht sehen würden? Weil Mama und Papa sich nicht einigen konnten?

Wütend legte sie den Hörer auf. Alexander machte es sich so verdammt einfach. Wie ein Major, der im Hauptquartier die Entscheidungen traf, die sie dann als Soldat an der Front auszukämpfen hatte.

Es klingelte wieder, diesmal war es die Haustür. Sandra öffnete und Marie stürmte herein. Ein

Rosa-Einhorn-Schulranzen landete auf dem Flur und wurde gleich darauf unter einer Jacke begraben.

»Was gibt es zu essen?«

»Spaghetti. Aber es dauert noch einen Moment. Hast du Hausaufgaben?«

»Ach Mann, ich hab aber Hunger.« Marie warf ihre Stiefel in hohem Bogen durch den Flur und stampfte zu Felix ins Kinderzimmer.

Sandras Protest erstickte im schlechten Gewissen. Sie seufzte. Auf der Kommode stand ein Bild ihrer Mutter, die im Badeanzug am Strand saß. Sandra legte es hin. »Jetzt nicht, Mama, jetzt nicht.«

Eine halbe Stunde später saß die Familie in der Küche.

»Das Raumschiff muss ich unbedingt haben«, sagte Felix mit vollem Mund.

»Ja, ich weiß. Du sagst es mir beinahe im Stundentakt.«

»Was ist ein Stundentakt?«

»Das ist …«

»Und ich wünsche mir das Puppenhaus«, fuhr Marie dazwischen. »Und die Kutsche.«

»Der Weihnachtsmann kommt ja auch bei Papa vorbei«, sagte Sandra und quälte sich ein Lächeln ab. Es war grässlich, auf Alexander zu hoffen. Seit er seine »große Liebe« getroffen hatte, waren die Kinder nur noch ein lästiges Anhängsel für ihn. Plötzlich warf seine Firma nichts mehr ab. Es täte ihm ja auch leid, aber schließlich hätte er ihr alles gelassen, Wohnung und Möbel. Und seine neue »Prokuristin« würde nun mal ’ne Menge Geld kosten. Besonders auf Reisen, fügte Sandra im Stillen hinzu, und im Bett.

Ihr selbst war trotz unzähliger Bewerbungen nur der Gang zum Amt geblieben. Die nett gemeinten Abschiedsworte der Personaler, »Melden Sie sich, wenn Ihre Kinder größer sind«, änderten nichts an Hartz IV.

Nach dem Essen ging Sandra zur Kommode, stellte das Bild ihrer Mutter wieder auf und öffnete die oberste Schublade. Alles, was im Flur verschwinden musste, landete hier. Das perfekte Versteck für ihre Ersparnisse, wer suchte schon unter Schmierzetteln und Werbung nach Geld? Sie wollte es nur kurz in ihren Händen halten, brauchte unter der Last der Weihnachtserwartungen die Säule der Gewissheit, dass es noch da war, und hob die Papiere an — aber dort lag nichts. Erschrocken wühlte sie den Inhalt durch. Dann fiel es ihr ein. Natürlich! Sie hatte das Geld eingesteckt, weil sie eigentlich gleich nach dem Friedhof etwas besorgen wollte.

Erleichtert schaute sie in ihren Rucksack — keine Geldbörse. Jackentasche, Hosentasche… Sandra klopfte über ihren Körper. Irgendwo musste die erlösende Verhärtung unter dem Stoff doch sein. »Bitte nicht«, flüsterte sie. »Nicht mein Portemonnaie.«

»Mama!«, tönte es aus dem Kinderzimmer. »Komm mal!«

Hastig putzte Sandra sich die Nase. »Gleich.«

»Hast du geweint?« Plötzlich stand Marie vor ihr.

»Nein, ich… hab was im Auge. Ich komm gleich.«

»Gehen wir heute ins Schwimmbad?«

»Heute nicht.«

»Dann rufe ich Lisa an. Darf sie zu mir kommen?«

»Muss das sein?«

»Biiittee!«

»Aber ihr geht auf den Spielplatz.«

Kapitel 3

»Verloren?« Andreas Stimme klang entsetzt. »Und nun? Du brauchst doch das Geld.«

»Der Personalausweis ist auch weg.«

»Hast du überall gesucht?«

»Es muss mir aus der Tasche gefallen sein, als ich auf dem Friedhof war.«

»Fahr nochmal hin. Vielleicht wurde es abgegeben.«

»Kannst du die Kinder nehmen?«

»Tut mir leid, bei mir geht es heute nicht. Frag Alexander.«

Sandra verdrehte die Augen. Als wenn ihre Freundin nicht wüsste, was die Stunde geschlagen hatte. »Witzig.«

»Früher war er so nett. Ich würde dir helfen, wenn ich könnte.«

»Weiß ich doch.«

Sandra legte auf. Andrea hatte recht. Sie musste die Geldbörse auf dem Friedhof suchen. Aber mit Kindern war es schwierig und außerdem wollte Maries Freundin kommen.

»Mama, bringst du mich zu Lisa?«

Sandra zuckte zusammen. Sie hatte ihre Tochter nicht kommen hören. »Ich denke, sie kommt hierher?«

»Ich gehe zu ihr. Hab ich dir doch gesagt. Du hast nicht zugehört.«

»Tut mir leid. Ich bringe dich hin.«

Zweimal am Tag zum Friedhof. Das war wie zweimal am Tag zum Zahnarzt. Oder ständig an etwas erinnert werden, das man vergessen wollte, weil man es einfach nicht verstand.

»Was suchen wir denn, Mama?« Felix war eifrig dabei, die Buchsbaumhecke zu durchforsten.

»Meine Geldbörse. Pass bitte mit den Pflanzen auf.«

»Ist die weg?«

»Vielleicht liegt sie hier irgendwo.«

»War dein Geld dadrin?«

»Ja.«

»Alles?«