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Kennen Sie die »Hochsommerstille«, in der alles seinen ganz eigenen, gemächlichen Gang zu gehen scheint? Die »stillen Tannen im August« oder einen nebelverhangenen Morgen, an dem in stillen Gärten heimlich die Rosen blühen? Angesichts dieses Friedens lassen sich die großen Fragen des Lebens stellen – Gedanken über das Sein, die Liebe, das Werden und Vergehen. Der vor allem für seine Galgenlieder bekannte Dichter Christian Morgenstern blickt mit tiefem Gefühl und voller Melancholie auf den Sommer. Poesie zwischen Blättergeplauder, Waldwindchören und Farbenglück.
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Seitenzahl: 28
Christian Morgenstern
Verse
Reclam
2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH nach einem Konzept von zero-media.net
Coverabbildung: Bridge in the Mountains – © borojoint/depositphotos
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2023
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962110-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011446-9
www.reclam.de
Ein Sommer
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Nachwort
Der Waldbach rauscht Erinnerung …
An so viel traute Stätten meines Lebens
erinnert mich sein nächtliches Gespräch.
Und wie ich so, den Kopf vergraben, sitze,
da bricht ein Born von Tränen in mir auf
und rauscht mit ihm unhörbar durch die Nacht.
Mir ist, als flösse dieser Bach da draußen
ein heimlich Bette in mir selbst herab
und spülte nun den lange trocknen Grund
zu neuem sonderbaren Leben auf;
wie Moos und Flechte legt’s gelöste Arme
in sein Gefäll, wie klein und große Kiesel
befreit es sich und läuft mit ihm des Wegs; –
mir ist, ich spürte, wie die Welle wühle
und nichts mehr fest und sicher in mir sei,
und fühle mich beunruhigt hingegeben
in eines wunderlichen Spiels Gewalt.
Was fragst du viel! Du hast in diesem Bach
des Lebens selber eingeschränktes Bild.
Des Werdens-Stromes Brausen hörst du nicht,
der Bach, der kleine, findet erst dein Ohr;
und lag die Welt dir gestern starr und still,
so redet sie dir heut aus seinem Mund
von ihres Flusses nimmermüder Flucht,
so hat sich die waagrechte Ebene,
die sie dich gestern dünkte, heut geneigt –
und rauschend reißt der Stunden Fall dich mit.
Du kennst der Küste rege Leuchtturm-Feuer,
die schlaflos ewig wache Wimpern heben,
als seien es des Schicksals Augen selber,
die ruhlos auf der Dinge Wandel rollen, –
Und stehst vielleicht so selber vor den Dingen,
sie immer wieder groß und fragend messend,
indes des Weltmeers ewig gleiche Woge
zu deinen Füßen ihre Rätsel brandet …
Und dann sind noch andre Feuer,
die mit unbewegter treuer Güte
durch das Dunkel schauen,
wie wohl Augen stiller Frauen
flehn: aus schwankenden Bezirken
komm, im Heimischen zu wirken.
Begriffst du schon ein Wunder wie dies eine,
dass die Erde um die Sonne fliegt?
O Nacht, vor deinem Sternenscheine
liegt all mein Menschliches besiegt …
Ein riesenhafter Erdkloß kreist
unaufhörlich um ein großes Feuer:
Da gebiert die Scholle Geist –:
der Mensch wird, Zwerg und Ungeheuer, –
Und ruft, Ausschlag der Bodenrinde,
Erd und Himmel tönend an –
und spielt sein Spiel in Weib und Mann …
gleich einem ewigen Kinde …
Ja, Kinder-Spiel ist, was da ist,
das sagt dir jede stille Nacht,
und nur dein tiefes Kind-Sein macht,
dass du noch weiter fröhlich bist.
Zum Leben zurück!
Verwechsle mir nicht Weg und Ziel!
Wohl ist auch Wandern Glück,
doch leicht wirst du der Füße Spiel.
Mit deinem Erreisten
siedle dich bei Zeiten an,
und strebe zu leisten,
was fördern kann.
So mag sich wieder blinde Nacht
zum reinsten Morgen klären,
sich Lebensglück aus Lebensmacht
in neuem Glanz gebären.
Der Nebel flieht, als ob er Ried
und Wald auf ewig flöhe,
und meine Seele ist das Lied
der Lerchen in der Höhe.
Keine ›Verse‹! Singend Leben,
wie es aus den Bächen tönt!