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Jo hat genug von gut aussehenden Männern ohne Sinn für Romantik. Nach einer schmerzvollen Trennung kommt ihr eine Geschäftsreise nach Rom wie gerufen. Der mediterrane Zauber der Spanischen Treppe und das bunte Treiben auf der Piazza Navona ziehen sie ebenso in den Bann wie die vielen hübschen Gässchen mit ihren gemütlichen Cafés und Restaurants. Und sie lernt dort endlich Corrado kennen, mit dem sie eine Hochzeit in der Ewigen Stadt planen soll: die von Corrados Bruder und Jos Schwester. Corrado ist attraktiv und charmant, glaubt als Wissenschaftler aber nicht an die große Liebe. Doch warum verspürt Jo bei ihren Begegnungen dann immer dieses besondere Prickeln? Ein unvorhergesehenes Ereignis gibt ihren Treffen schon bald eine folgenreiche Wendung ...
"Sonne, Düfte und Aromen des Südens und eine zauberhafte Liebesgeschichte - zum Wegträumen" WHATSBETTERTHANBOOKS
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Seitenzahl: 404
Jo hat genug von gut aussehenden Männern ohne Sinn für Romantik. Nach einer schmerzvollen Trennung kommt ihr eine Geschäftsreise nach Rom wie gerufen. Der mediterrane Zauber der Spanischen Treppe und das bunte Treiben auf der Piazza Navona ziehen sie ebenso in den Bann wie die vielen hübschen Gässchen mit ihren gemütlichen Cafés und Restaurants. Und sie lernt dort endlich Corrado kennen, mit dem sie eine Hochzeit in der Ewigen Stadt planen soll: die von Corrados Bruder und Jos Schwester. Corrado ist attraktiv und charmant, glaubt als Wissenschaftler aber nicht an die große Liebe. Doch warum verspürt Jo bei ihren Begegnungen dann immer dieses besondere Prickeln? Ein unvorhergesehenes Ereignis gibt ihren Treffen schon bald eine folgenreiche Wendung …
»Sonne, Düfte und Aromen des Südens und eine zauberhafte Liebesgeschichte – zum Wegträumen« WHATSBETTERTHANBOOKS
T. A. Williams wurde in England geboren und absolvierte ein Studium der Modernen Sprachen an der Nottingham University. Er ist Autor mehrerer romantischer Beziehungskomödien und hat in der Schweiz, in Frankreich und Italien gelebt und gearbeitet. Gemeinsam mit seiner italienischen Ehefrau lebt er in Devon. Eine Sommerliebe in der Toskana ist sein erster Roman, der auf Deutsch erscheint.
T. A. Williams
Roman
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © T. A. Williams, 2019
Titel der englischen Originalausgabe: »Dreaming of Rome«
Originalverlag: Canelo Digital Publishing Limited, London
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch Johnson & Alcock Ltd., London
Titelillustration: © Sven Hansche/shutterstock; Andrii Marushchynets/shutterstock; Alekcey/shutterstock;Potapov Alexander/shutterstock; © Michael Bhaskar unter Verwendung von Motiven von Shutterstock
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, Münchennach einer Vorlage von © Michael Bhaskarunter Verwendung von Motiven von Shutterstock
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0994-1
luebbe.de
lesejury.de
Für Mariangela und Christina
Wie immer in Liebe
Die Szenerie war zauberhaft, und egal, wohin sie schaute, überall lag Liebe in der Luft.
Außer an ihrem Tisch.
Und das war ihr sehr recht.
Sie saßen unter einem Schirm an der Westseite der Piazza Navona im Zentrum von Rom. Sie trank Prosecco, er ein kaltes Bier. Die Sonne stand tief und schien nicht mehr auf den Platz, aber die Julihitze stieg noch vom Kopfsteinpflaster auf. Dem Obelisken in der Mitte des Vierströmebrunnens verliehen die letzten Strahlen eine rubinrote Spitze, und sein Schatten auf den Hauswänden gegenüber wurde stetig länger. In der Fußgängerzone waren scharenweise gut gelaunte Leute unterwegs, viele Touristen, die plauderten und lachten, aber auch viele Römer.
Ein Römer saß auch bei ihr am Tisch.
Die Unterhaltung zwischen ihnen blieb jedoch zäh. Im Auto auf dem Rückweg in die Innenstadt hatte er kaum ein Wort gesprochen, und Jo hatte ihn nicht vom Verkehr ablenken wollen, während er sich mit seinem Fiat durch die dichten, unübersichtlichen Autoschlangen fädelte, die für die Römer zum Alltag gehörten. Unzählige Male hatte sie unwillkürlich auf die imaginäre Bremse getreten, wenn er sich zuversichtlich auf die Nachbarspur drängte, oft eine von vier oder fünf, oder wenn er knapp dem Zusammenstoß mit einem der Busse entging, die sich raumgreifend voranschoben.
Nach und nach hatte sie sich entspannt, denn er wusste offenbar, was er tat. Trotzdem waren ihre Hände noch feucht gewesen, als sie in der Gasse ankamen, in der er wohnte und sogar eine Garage hatte, in der Innenstadt sicher eine Seltenheit.
Unterwegs hatte sie auch durch seinen Hund immer wieder Mut geschöpft, denn Labrador Daisy hatte schwanzwedelnd hinter ihr gestanden. Die Rückbank war umgeklappt, sodass die Hündin die schwarze Schnauze aus dem Seitenfenster strecken konnte, wenn sie etwas Beachtenswertes entdeckte – meistens einen Artgenossen. Einige Male hatte sie es für nötig gehalten, freundlich oder herausfordernd zu bellen, sodass Jo noch immer das rechte Ohr davon klingelte. Doch die selbstbewusste Art des großen Hundes hatte sie beruhigt, obwohl sie sich nicht hatte ausmalen wollen, was ein nach vorn geschleudertes sechzig bis siebzig Pfund schweres Tier anrichten würde, wenn Corrado ein Manöver falsch einschätzte und auf den Vordermann auffuhr.
Nachdem sie unbeschadet im Zentrum der Ewigen Stadt angekommen waren, durfte Daisy sich von den Ereignissen des Tages erholen und döste ausgestreckt auf dem warmen Pflaster, während die beiden Menschen am Tisch nach einem Gesprächsthema suchten. Corrado war so freundlich gewesen, Jo in die Stadt mitzunehmen, aber anscheinend hatte er das nur aus Höflichkeit getan. Trotzdem musste sie sich weiter Mühe geben, denn er war der Bruder des Mannes, den ihre Schwester heiraten würde, also ihr künftiger Schwippschwager.
»Es freut mich, dass alles so wunderbar gelaufen ist, Corrado. Das Mittagessen war fantastisch.«
»Das musste meine Mutter nicht allein zubereiten. Einer der Köche vom Restaurant ist rübergekommen. Sie haben das zusammen bewerkstelligt.«
Dass ihre Schwester in eine Familie einheiratete, der ein Hotel und ein Restaurant gehörten, hatte seine Vorteile. »Nun, sie haben ein tolles Essen gezaubert. Ich habe noch nie Zucchiniblüten mit Mozzarella und Sardellen gegessen. Es hat ausgezeichnet geschmeckt. Und das Hähnchen mit Paprikaschoten …«
»Du mochtest unser Pollo alla Romana? Das ist eine von Mutters Spezialitäten.«
»Es war köstlich.«
Die Unterhaltung kam wieder zum Erliegen, doch Jo machte das nichts aus. Sie lehnte sich zurück, streckte die Beine von sich, behutsam, um den schlafenden Hund nicht zu stören, und schwelgte in der Atmosphäre der römischen Altstadt. Nach der großen Hitze des Tages war es nun recht angenehm, und sie fühlte sich erfreulich gelöst. Es war anstrengend gewesen, sich mit den künftigen Verwandten ihrer Schwester auf Italienisch zu unterhalten, und deshalb war sie froh, jetzt mit Corrado Englisch sprechen zu können. Und er sprach es sogar fließend.
»Arbeitest du in London, Joanne?«
»Ja, und nenn mich Jo. Nur meine Eltern reden mich noch mit Joanne an.«
»Und was arbeitest du, Jo?«
»Bei einer Umweltstiftung.« Sie nannte den Namen, und sein Blick verriet, dass sie ihm ein Begriff war. Er hatte die Sonnenbrille abgesetzt, und da er sie gerade ansah, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass seine tiefblauen Augen etwas Hypnotisches hatten.
»Macht dir der Job Spaß?«
»Das schon, doch mein Chef kann einem ziemlich auf die Nerven gehen.«
»Worin besteht deine Arbeit?«
»Ich schlage dem CEO und dem Vorstand vor, wofür wir unser Geld ausgeben sollten. Wie alle gemeinnützigen Stiftungen haben wir nur begrenzte Mittel, während die Aufgaben rund um den Globus unbegrenzt sind.«
»Das ist eine große Verantwortung für eine junge Frau.«
»So jung bin ich nun auch nicht. In ein paar Wochen werde ich dreißig.«
Das brachte ihn zum Lächeln und hellte sein Gesicht auf. »Jünger als ich.«
Als sein Blick wieder einmal über den Platz schweifte, musterte sie ihn unauffällig. Sie wusste bereits, dass er der ältere von zwei Brüdern war. Sein Bruder Mario war achtundzwanzig, genau wie ihre Schwester. Das war heute bei dem Mittagessen erwähnt worden, mit dem sie die Verlobung von Mario und Angie gefeiert hatten. Jo war aus England gekommen, um ihre Familie zu vertreten. Denn wegen der Hüftoperation ihres Vaters konnten ihre Eltern zurzeit nicht reisen. Seinem Äußeren nach mochte Corrado Anfang bis Mitte dreißig sein, also mindestens zwei, drei Jahre älter als sie.
Das Beunruhigende an ihm war, dass er umwerfend aussah.
Er war groß und hatte hellbraune Haare, für einen Römer ungewöhnlich. Allem Anschein nach ging er regelmäßig ins Fitnessstudio oder trainierte zu Hause, denn er hatte breite Schultern und muskulöse Unterarme. Das teure Polohemd saß wie angegossen an seinem gut modellierten Oberkörper. Sein Gesicht hatte eine leichte Sonnenbräune. Er war zweifellos ein wirklich attraktiver Mann, der auf dem Laufsteg oder der Kinoleinwand nicht deplatziert wirken würde.
Während sie hier saßen, fiel ihr immer wieder auf, dass ziemlich viele Passantinnen ihre Ansicht teilten. Einige lächelten ihn sogar an, obgleich er das nicht erwiderte. Jo beobachtete das entspannt und schmunzelte. Dass Corrado bloß ihr künftiger Schwippschwager war, passte ihr ausgezeichnet. Denn eins stand fest: Für einen Mann, der wie ein Hollywoodstar aussah, war sie nicht zu haben. Sie hatte ein für alle Mal genug von diesem Typ und wusste aus Erfahrung, dass auf solche Männer kein Verlass war.
Seit ihrer Trennung saß sie zum ersten Mal auf einen Drink allein mit einem Mann zusammen, seit nämlich Christian, ihre große Liebe, zu dem Schluss gekommen war, dass sie leider doch nicht seine große Liebe war. Das hatte er ihr vor fünf Monaten klargemacht, indem er sie an einem eisigen Morgen hatte sitzen lassen, um in das noch eisigere Island zu reisen und mit seiner Model-Kollegin Helga zusammen zu sein.
Der Rest des Winters und das Frühjahr waren für Jo hart gewesen. Sie hatte sich in die Arbeit gestürzt und versucht, Christian zu vergessen, aber mit geringem Erfolg. In der Stiftung lief es zu der Zeit gemischt. Sie wurde auf ihre jetzige Position befördert, doch dadurch hatte sie nun täglich mit dem jähzornigen CEO Ronald zu tun, und sie fand das Arbeiten mit ihm äußerst schwierig. Und zu allem Überfluss verfolgten sie, sobald sie mal zur Ruhe kam, die Gedanken an Christian und seine eins achtzig große Isländerin.
Nun befand Jo sich also zum ersten Mal seit Monaten in Gesellschaft eines attraktiven Mannes, stand aber nicht unter dem Druck, ihm zu gefallen. Er war höflich und aufmerksam, doch in seinem Benehmen deutete nichts darauf hin, dass er an ihr ein romantisches Interesse entwickeln könnte, und das war definitiv zu begrüßen.
Von seinem guten Aussehen einmal abgesehen, würde es, gelinde gesagt, »kompliziert« werden, wenn sie mit ihrem künftigen Schwippschwager etwas anfinge. Er trug keinen Ring und war allein zu der Familienfeier auf den Landsitz gekommen, aber sie fragte sich, ob es eine Frau in seinem Leben gab. Wenn ja, wünschte sie ihr Glück. Sich an solch einen Adonis zu hängen war nervenaufreibend und würde unausweichlich zu Liebeskummer führen.
»Und deine Eltern haben einen Bauernhof, Jo?«
»Es ist nur ein Kleinbetrieb in der Nähe von Woodstock.« Wie immer räumte sie gleich ein naheliegendes Missverständnis aus. »Nicht das berühmte Woodstock in den USA, sondern das bei Oxford.«
»Ich kenne es. Ich bin oft im Woodstock Arms etwas trinken gegangen.« Da er ihren überraschten Blick sah, ging er ins Detail. »Ich habe in Oxford studiert und bin am Wochenende meistens zu dem Reiterhof am Rand von Woodstock gefahren und dort geritten.«
»Daher sprichst du also so gut Englisch. Was hast du studiert?«
»Chemie, am Trinity College. Ich bin Chemiker.« Zum ersten Mal wirkte er unsicher. »Entschuldige, das war eine überflüssige Bemerkung.«
Die Unterhaltung flaute schon wieder ab, und Jo sah, dass seine Blicke zwei hübschen jungen Frauen folgten, die Arm in Arm an ihrem Tisch vorbeigingen. Er starrte ihnen auf den Po, bis sie zwischen anderen Passanten verschwanden. Jo musste an sich halten, um ihn ihren Ärger nicht spüren zu lassen. Christian hatte auch immer das Interesse an ihr verloren, sobald eine attraktive Frau auf der Bildfläche erschienen war. Der Chemiker Corrado war anscheinend vom gleichen Schlag.
Resigniert trank sie einen großen Schluck Prosecco. Leider bekam sie die Hälfte davon in den falschen Hals und musste so stark husten, dass sogar der Hund aufstand, eine Pfote auf ihr Knie legte und sie verwirrt anschaute.
»Hast du dich verschluckt?«
Corrado schenkte ihr wieder seine Aufmerksamkeit, doch da ihr die Augen tränten und ihr Gesicht sicherlich rot angelaufen war, wäre es ihr lieber gewesen, er hätte weiter woandershin gesehen, und sei es auf den Po einer anderen Frau. Sie zog ein Taschentuch aus der Handtasche, wischte sich die Augen und schnäuzte sich. Schließlich drückte sie dem Labrador die Pfote, ehe sie antwortete.
»Ja, aber es geht schon wieder.« Sie schaute zu der Hündin hinunter. »Danke für dein Mitgefühl, Daisy. Jetzt kannst du weiterdösen.«
Als sich der Hund wieder hinlegte und einen schweren Seufzer von sich gab, lehnte sie sich verärgert zurück. Es war frustrierend. Christian brachte sie selbst jetzt noch durcheinander, und das erboste sie. Sie putzte sich noch einmal die Nase und verscheuchte die Gedanken an ihren Ex.
Corrado versuchte, das Gespräch wieder in Gang zu bringen. »Und was machst du in deiner Freizeit? Angie hat mir erzählt, dass du viel reitest, so wie sie.«
Jo schüttelte den Kopf. »Inzwischen kaum noch. Ich fahre nicht mehr so oft aufs Land, wie ich gern möchte. Ich habe zu viel zu tun, und übrigens konnte ich nie so gut reiten wie Angie.« In ihrem Glas war noch ein Schluck Prosecco übrig, an dem sie weiter nippte. »Wenn ich mal ein bisschen freie Zeit habe, beschäftige ich mich ehrlich gesagt mit Schmetterlingen. Das ist mein Hobby.«
»Lepidoptera? Sieh an. Und hast du schon eine große Sammlung?«
»Ich sammle sie nicht. Es würde mir im Traum nicht einfallen, einen zu töten. Ich finde sie schön und fotografiere sie massenweise, aber für Schmetterlingssammler habe ich kein Verständnis.« Sie hörte selbst, wie hart sie klang, doch das musste einfach mal gesagt werden. »Sammler mit Netzen und Fangglas, das ist total viktorianisch. Fangen, töten, aufspießen. Dabei denke ich an Männer mit Zwirbelbart und Frauen mit langen Röcken, die einen Fuß auf einen erlegten Tiger oder eine Giraffe stellen. Und da wundern sie sich, warum es heutzutage so viele gefährdete Arten gibt.«
Sie fing Corrados Blick auf und musste lächeln.
»Entschuldige. Ich wollte nicht verbittert klingen. Es ist nur so, dass ich kein Tier töten möchte, egal, ob es läuft, fliegt oder schwimmt, und ich verstehe nicht, wie das jemand fertigbringt, solange er es nicht zum Sattwerden braucht.«
»Jetzt ist mir klar, warum du im Umweltschutz arbeitest. Wir richten auf dem Planeten reichlich Schaden an, nicht wahr? Aber wegen der Schmetterlinge solltest du mehr Zeit draußen im Country Club bei Mario und Angie verbringen. Sie verwenden keinen Unkrautvernichter, und alles ist bio. Da gibt es alle möglichen Schmetterlinge. Wann fliegst du morgen zurück? Vielleicht kann ich dich noch mal hinbringen.«
Corrados Familie besaß ein großes Anwesen mit Restaurant, Hotel und Reitställen zwanzig Kilometer außerhalb von Rom, ein großes Unternehmen, und Mario hatte gerade die Geschäftsführung übernommen, da sein Vater sich allmählich zur Ruhe setzen wollte. Angie hatte im vergangenen Jahr dort den Stall geführt und sich in dieser Zeit in Mario verliebt. Soweit Jo wusste, arbeitete Corrado jedoch nicht im Familiengeschäft.
»Danke, das ist nett, doch mein Flug geht sehr früh. Das würde ich also nicht schaffen.«
»Tja, dann nächstes Mal.«
»Genau.«
Die Unterhaltung versiegte, und Jo sah auf die Uhr. Es war kurz nach neun. Sie würde am Morgen wirklich früh aufstehen müssen, um rechtzeitig am Flughafen zu sein. Deshalb beschloss sie, ziemlich bald zum Hotel zurückzukehren. Sie brauchte den Schlaf, denn die kommende Arbeitswoche würde anstrengend werden. Nach dem üppigen Festmahl, das man ihnen zu Mittag serviert hatte, konnte sie an Essen vorerst nicht denken. Deshalb würde das Abendbrot ausfallen. Kaum gedacht, kam Corrado mit einem Vorschlag, als hätte er gemerkt, um was sich ihre Gedanken drehten.
»Wie wär’s mit Abendessen, Jo? Hier ist es zwar ziemlich touristisch, aber das Essen ist sehr gut.«
Sie schüttelte den Kopf und wollte gerade erklären, dass sie keinen Bissen mehr hinunterbekäme, als sie von einer weiblichen Stimme unterbrochen wurde.
»Ciao, Corrado. Come stai, amore?«
Jo blickte auf. Die Sprecherin war sehr hübsch und in den Zwanzigern. Sie schlang die Arme um Corrados Schultern und schien ihm das Ohr anknabbern zu wollen. Er fing Jos Blick auf und besaß den Anstand, wenigstens ein bisschen verlegen zu gucken, bevor er die junge Frau von sich schob und antwortete.
»Ciao, bellissima.«
Jo lehnte sich zurück und hörte zu, während die beiden miteinander redeten. Dabei legten sie ein gehöriges Tempo vor, und sie verstand kaum etwas, obwohl sie Italienisch auf der Schule gelernt hatte und seit einigen Jahren einen Abendkurs besuchte. Nur so viel war klar: »Bellissima« bedankte sich bei Corrado für etwas, was vor ein paar Wochenenden passiert war, und fragte, wann das wiederholt werden könne. Zwar war Jo mit dem verwendeten Vokabular nicht vertraut, man brauchte aber auch nicht besonders qualifiziert zu sein, um zu verstehen, welcher Art jenes Ereignis gewesen war und was sie vorschlug.
Zu Jos Überraschung klang Corrado ausweichend, und seine Bekannte ging schließlich, ohne dass er sich mit ihr verabredet hatte. Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, war sie nicht bloß ein bisschen verstimmt, und zum Abschied schoss sie Jo einen giftigen Blick zu. Wahrscheinlich hielt sie sie für seine neueste Eroberung.
»Entschuldige. Eine alte Freundin.«
Jo nickte, sagte aber nichts. Die Szene hatte in ihr unglückliche Erinnerungen hochgespült. Nach kurzem Schweigen versuchte sie ein letztes Mal, eine längere Unterhaltung anzustoßen.
»Und was für ein Chemiker bist du, Corrado? Wo arbeitest du?«
»In einem Vorort von Rom. Wir haben mit Labortests angefangen, von Schwangerschafts- und Allergietests bis zu Darmkrebstests. Nichts Besonderes, aber sehr wichtig. Zurzeit wenden wir uns allerhand neuen Arbeitsfeldern zu. Es wird dich vielleicht interessieren, woran wir seit Neuestem forschen: an Alternativen zu Plastik für Verpackungen, Trinkgefäße, Trinkhalme und andere Verbrauchsgegenstände.«
»Das ist tatsächlich interessant.«
Er lächelte. »Bei deiner Arbeit für den Umweltschutz stößt du sicher auf alle möglichen Probleme, die durch Plastik verursacht werden. Ich hoffe, dass wir in nächster Zukunft günstige, biologisch abbaubare Ersatzmaterialien haben werden. Einige gibt es bereits, doch es kommt darauf an, die Herstellungskosten zu senken, damit die Industrie nicht weiter zum herkömmlichen Plastik greift.«
»Das klingt großartig.« Und das tat es wirklich. Also arbeitete er in vieler Hinsicht an den gleichen Problemen wie sie. »Unser Hauptgebiet ist der Naturschutz, aber wir setzen uns ganz generell für die Rettung des Planeten ein, und Plastikmüll ist eine der schlimmsten Plagen der modernen Zeit. Ich würde irgendwann sehr gern mehr über deine Arbeit erfahren. Stehst du den ganzen Tag im Labor?«
»Schön wär’s. Mir kommt es vor, als verbrächte ich die meiste Zeit in Konferenzen oder Seminaren oder, noch schlimmer, spräche mit Buchhaltern und Bankern. Die Chemie ist eigentlich meine Leidenschaft, das Unternehmerische kann einem auf den Geist gehen.«
Also war er vermutlich viel mehr als ein einfacher Laborchemiker. Sie nahm sich vor, Angie danach zu fragen. Nach einem weiteren Blick auf die Uhr trank sie ihren Prosecco aus.
»Es war sehr nett, dich kennenzulernen, Corrado, und vielen Dank, dass du mich in die Stadt mitgenommen hast. Ich gehe jetzt zum Hotel zurück, damit ich früh im Bett bin. Ich muss morgen um fünf Uhr aufstehen.«
»Du möchtest ganz sicher kein Abendessen? Nicht mal einen Salat oder eine andere Kleinigkeit?«
»Nein, danke. Ich bin noch vollkommen satt.«
»Dann lass mich dich wenigstens zum Hotel fahren.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist absolut nicht nötig, dass du den Wagen wieder aus der Garage holst. Ich habe drüben am Platz einen Taxistand gesehen. Von dort bin ich im Nu zu Hause. Mein Hotel liegt an der Piazza Barberini, also ganz in der Nähe.« Er schien widersprechen zu wollen, aber sie stand auf und bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. »Wirklich. Bleib ruhig hier und trink dein Bier aus. Außerdem ist Daisy wohl ziemlich erschöpft. Übrigens wollte ich dich schon längst fragen: Wieso hat dein Hund einen englischen Namen?«
Er lächelte. »Zu Ehren meiner alten Vermieterin in Oxford. Sie war genauso eine treue Freundin.«
Als er sich erhob, sprang der Labrador auf und wedelte mit dem Schwanz. »Lass dich von Daisy nicht täuschen. Sie hat eine unerschöpfliche Energie. Nein, ich fürchte, ich muss darauf bestehen, dich wenigstens zum Taxi zu begleiten, wenn schon nicht zum Hotel. Mario hat mir befohlen, auf dich achtzugeben, und versprochen ist versprochen. Deine Schwester würde mich umbringen, wenn dir etwas passiert.«
Er winkte der Kellnerin, die bemerkenswert schnell kam, und drückte ihr lächelnd einen Schein in die Hand, wobei er sie bat, das Wechselgeld zu behalten. Die junge Frau errötete und sah ihm lächelnd in die Augen. Wahrscheinlich weniger wegen des großzügigen Trinkgelds als vielmehr wegen des Kontakts mit seiner Hand, vermutete Jo.
Gemeinsam überquerten sie den Platz, der Hund trabte munter neben ihnen her, und Jo genoss es, ein paar Schritte zu gehen. Als sie am Brunnen vorbeikamen, schlug Corrado etwas anderes vor.
»Dein Hotel ist an der Piazza Barberini. Bis dorthin sind es nur zwanzig Minuten zu Fuß. Meine vierbeinige Freundin braucht heute noch etwas Bewegung. Falls du Lust auf einen Spaziergang hast, würde ich dir gern Gesellschaft leisten. Es ist ein schöner Abend.«
Da hatte er recht. Es war ein herrlicher Abend. Es dämmerte, und ringsherum wurden die Lampen eingeschaltet. Straßenhändler verkauften funkelnde Frisbeescheiben, die hochgeschleudert wie kleine Ufos durch die Luft sausten, und plötzlich wurde der Brunnen aus dem Becken angestrahlt, sodass das Wasser hell leuchtete und schimmerte. Peruanische Musiker in traditioneller Tracht stellten sich gerade mit ihren Instrumenten auf.
Jo hegte keinen Zweifel, dass ein Abend auf dem Platz wunderbar wäre, und kurz war sie versucht zu sagen, dass sie doch noch bleiben und seine Einladung zum Abendessen annehmen würde, doch die Vernunft gewann die Oberhand. Wenn sie heute Nacht nur ein paar Stunden Schlaf bekäme, würde sie die ganze nächste Woche müde sein. Trotzdem, dachte sie, einen kurzen Spaziergang durch die Innenstadt sollte sie sich nicht entgehen lassen, auch wenn sich elegante Absätze und Kopfsteinpflaster nicht vertrugen. Sie trug selten hohe Schuhe, hatte sich jedoch für die Verlobungsfeier chic angezogen und war auf dem unebenen Pflaster daher nicht so gut zu Fuß.
»Das ist eine großartige Idee, Corrado. Ich bin zum ersten Mal in Rom und habe die Stadt bisher nur aus dem Auto gesehen.«
Er blieb stehen und sie ebenfalls. Die Hündin wartete ab, welche Richtung Corrado einschlagen würde. Nach ein paar Augenblicken kam er zu einem Entschluss.
»Schade, dass du nicht mehr Zeit hast! Sonst könnten wir am Kolosseum vorbeigehen. Das liegt zu weit abseits. Wir können aber einen Umweg über das Pantheon machen, und wenn du noch zehn Minuten mehr aufbringen kannst, zeige ich dir den Trevi-Brunnen. So siehst du wenigstens zwei bedeutende Sehenswürdigkeiten, und beide liegen praktisch auf dem Weg zu deinem Hotel.«
»Wunderbar. Danke.«
Er führte sie zur Ostseite der Piazza und in eine schmale Straße. Auf beiden Seiten erhoben sich jahrhundertealte strenge Palazzi mit schmiedeeisernen Gittern vor den unteren Fenstern. Man sah Fassaden in vielen Schattierungen von Rosa, Orange und Ockergelb, durch die Sonne verblasst. Die Menschenströme dünnten sich keineswegs aus, sodass sie nur langsam vorankamen. Jo störte das nicht im Geringsten. Sie genoss die Atmosphäre und nahm sich fest vor, sehr bald wieder nach Rom zu fliegen und viel mehr Zeit mitzubringen, um die Stadt ausgiebig zu besichtigen.
Nach wenigen Minuten gelangten sie auf einen anderen Platz, und sie sah sich der gewaltigen Fassade des Pantheons gegenüber. Dort stand ebenfalls ein großer Marmorbrunnen, und daneben entdeckte sie eine Kutsche mit einem gelangweilt wirkenden Pferd, während der Kutscher sich am Ende eines langen, heißen Tages ausruhte und eine Zigarette rauchte. Straßenlampen an den Häusern und Scheinwerfer am Pantheon beleuchteten die Szene.
Der Platz war voller Touristen, die meisten in kurzer Hose und T-Shirt, obwohl die Sonne hinter den Horizont gesunken war und anstelle der Schwalben nun Fledermäuse am klaren Abendhimmel hin und her sausten. An einem Geschäft zeigte ein Digitalthermometer fast dreißig Grad an, und Jo war froh, dass sie ein luftiges Sommerkleid trug. Trotzdem war ihr noch heiß. Als sie stehen blieb und sich umschaute, hörte sie die Hündin neben sich hecheln. Unter dem glatten schwarzen Fell musste es für einen Labrador in Rom ziemlich unangenehm sein.
Ehrfürchtig bestaunte sie das imposante Bauwerk mit den gigantischen Säulen. Dass es vor fast zweitausend Jahren errichtet worden war und heute noch stand, war in gewisser Weise einschüchternd. Corrados Gedanken gingen offenbar in die gleiche Richtung.
»Soweit ich weiß, wurde es im zweiten Jahrhundert fertiggestellt, steht aber auf einem noch älteren römischen Tempel. Überleg mal: Als das gebaut wurde, war das antike Rom auf dem Höhepunkt seiner Macht und herrschte über einen Großteil der damals bekannten Welt.«
Jo war überrascht und erfreut, ihn auf einmal unbefangen und begeistert reden zu hören. Offenbar interessierte er sich für Geschichte, und die war ein naheliegendes Thema, über das sie sich gut unterhalten konnten. Während sie weitergingen, merkte sie, dass er viel über das alte Rom wusste.
Als sie um das Pantheon herumgingen, wies Corrado auf die traditionell schmale Form der verwendeten römischen Ziegelsteine hin. Viele waren schadhaft, aber ob diese Schäden durch Witterung, Tiere oder Schüsse verursacht worden waren, wussten sie beide nicht. Als sie sich an der Rückseite des Rundbaus nach links wandten, blieb die Hündin unerwartet stehen, sodass Jo über sie stolperte. Sie wäre gestürzt, wenn Corrado sie nicht am Arm abgefangen hätte. Beim Aufrichten stieß sie gegen seine Brust und blickte ihm in die Augen, in denen sich das Licht der Straßenlampen spiegelte.
»Alles okay, Jo? Das tut mir leid. Daisy hat die Angewohnheit, plötzlich dicht vor einem haltzumachen.«
Sein Gesicht war nur eine Handbreit von ihrem entfernt, und der Lampenschein betonte seine markanten Konturen. Während sie sich sammelte und einen Schritt zurückwich, wurde ihr erneut bewusst, dass sie sich in Gesellschaft eines sehr attraktiven Mannes befand. Und ihr war klar, was das bedeutete. Augenblicklich trat sie noch ein Stück zur Seite und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.
»Entschuldige, Corrado. Hohe Absätze sind auf solchem Pflaster nicht ideal. Danke, dass du so schnell reagiert hast, sonst hätte ich mich auf die Nase gelegt.«
»Du kannst dich bei mir einhängen, wenn du möchtest.« Nach seinem Ton zu urteilen, wollte er nur hilfsbereit sein. Trotzdem lehnte sie ab.
»Danke, ich komme zurecht. Ich muss nur etwas aufmerksamer sein.«
Nachdem sie das Pantheon umrundet hatten, lenkte Corrado sie nach rechts in eine andere schmale Straße. Jo überraschte es nicht, dass die Souvenirläden um diese Uhrzeit noch geöffnet waren, denn die Cafés und Restaurants machten mit den vielen Tischen im Freien ein Bombengeschäft, und ringsherum herrschte ein fröhlicher Trubel. Zweifellos brachte der Tourismus in Rom das meiste Geld ein.
Sie schlängelten sich durch die Straßen, bis sie auf der überraschend kleinen Piazza auskamen, auf der der Trevi-Brunnen stand. Auch er war angestrahlt und von Touristen belagert. Corrado fasste sie am Ellbogen und lenkte sie durch die Menschenscharen an den niedrigen Brunnenrand. Sie spürte, dass die Leute von hinten drängelten, und war froh über seine stützende Hand. Als sie dort stand und den Anblick in sich aufnahm, hörte sie dicht an ihrem Ohr seine Stimme.
»Halt deine Handtasche gut fest.«
Obwohl sie sie bereits unter den Arm geklemmt an sich drückte, befolgte sie seinen Rat und hielt sie zusätzlich mit beiden Händen fest. Ihre Hauptsorge galt jedoch dem Umstand, dass seine Lippen einen Moment lang ihr Ohr berührt hatten und das stimulierender wirkte, als ihr lieb war. Hätte sie nicht in dieser dichten Menschenmenge gestanden, hätte sie für ein wenig Abstand gesorgt, nur sicherheitshalber.
»Daisy, nein!«
Die Hündin hatte sich den ganzen Abend einwandfrei benommen und war ohne Leine dicht bei ihnen geblieben. Aber das Wasser war für sie offenbar unwiderstehlich. Corrado bückte sich hastig und packte Daisy beim Halsband, zog sie zurück und befahl ihr, sich zu setzen. Als sie gehorchte, wurde sein Ton milder.
»Tut mir leid, Daisy, leider darfst du nicht im Brunnen planschen. Ich weiß, dir ist heiß. Ich würde selbst gern hineinspringen, aber das ist verboten. In Ordnung? Siehst du den Streifenwagen da drüben? Man würde dich verhaften.«
Daisy blickte zu ihrem Herrn hoch, und fast sah es so aus, als nickte sie. Derweil brachte Jos Unterbewusstsein unerwartet ein Bild hervor, in dem Corrado in Badehose ins Wasser sprang. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend wunderte sie sich über sich selbst und musste sich konzentrieren, um bei der Realität zu bleiben.
Der Brunnen bestand aus einer Felslandschaft, und aus dem Wasser stiegen mythologische Gestalten in all ihrer muskulösen Pracht, »Tritonen«, wie Corrado sagte, begleitet von Meerespferden. Über ihnen stand der Titan Oceanus, der Gott des Meeres, und blickte majestätisch auf sie herab, an seiner Seite zwei schöne Göttinnen. Das beleuchtete Wasser schimmerte helltürkis, und der Grund des Beckens lag voller Münzen. Was es damit auf sich hatte, erfuhr sie sogleich.
»Hier, nimm die.« Corrado drückte ihr ein Geldstück in die Hand. »Wenn du wirklich noch einmal nach Rom kommen möchtest, weißt du, was du zu tun hast.«
Jo zögerte nicht. Sie warf das Eurostück über die Schulter ins Wasser, drehte sich um und sah es gerade noch zum Grund sinken. Neben ihr setzte Daisy zum Sprung an, doch Corrado hatte das vorausgesehen und hielt sie am Halsband fest. Er sah Jo von der Seite an.
»Hast du dir etwas gewünscht?«
»Aber sicher.«
»Du glaubst also, dass du bald wieder herkommst?«
»Nichts wird mich davon abbringen.«
»Wow! Wer ist denn das, Jo?«
Victorias ungläubiger, neidischer Tonfall angesichts des Fotos brachte Jo zum Lächeln.
»Das ist Corrado, der Bruder meines zukünftigen Schwagers. Aber komm gar nicht erst auf Ideen. Ich habe nicht vor, mit einem Verwandten etwas anzufangen. Das Leben ist auch so schon kompliziert genug.«
Victoria zog auf dem Handydisplay das Foto mit den Fingerspitzen groß. Was sie sah, bestärkte sie in ihrer Meinung. »Wahnsinn, Jo! Der absolute Traumtyp! Der siehst noch umwerfender aus als Christian, und das will was heißen.«
»Tja, das findest nicht nur du. Als wir an der Piazza Navona saßen, hat ihm jede zweite Römerin schöne Augen gemacht.«
»Ah, Piazza Navona … ich habe Bilder gesehen. Ich muss wirklich mal den Trip nach Rom organisieren, den wir beide schon so lange vorhaben.«
Victoria und Jo kannten sich seit der Schule und hatten kaum Geheimnisse voreinander. Seit drei Jahren besuchten sie den Italienischkurs und waren im vergangenen Jahr zusammen nach Venedig geflogen. Als Nächstes stand Florenz oder Rom auf dem Plan, oder beides.
»Wenn alles gut geht und Angie und Mario nächstes Frühjahr heiraten, können wir sie besuchen und im Gästezimmer übernachten. Das hat sie schon gesagt.«
»Fantastisch. Ich kann es kaum erwarten. Doch noch mal kurz zurück zu Mr Traumtyp. Habt ihr beide …?«
Jo schüttelte energisch den Kopf und sah ihre Freundin missbilligend an. »Selbstverständlich nicht.«
»Aber er sieht wahnsinnig gut aus, Jo. Und außerdem spricht doch nichts gegen ein kleines Abenteuer zwischen euch beiden. Das ist nicht verboten oder unmoralisch oder etwas in der Art.«
»Das mag nicht verboten sein, Vic, trotzdem wird es nicht passieren. Wie gesagt, wir werden bald verschwägert sein, und wenn ich mich mit ihm einlasse und es geht schief, könnte das meiner Schwester Unannehmlichkeiten bringen.«
»Aber das ist nicht der einzige Grund, oder?« Victoria gab ihr keine Gelegenheit zu antworten. »Du willst es auch nicht, gerade weil er so gut aussieht.« Sie nahm einen ironischen Ton an. Sie kannte Jo viel zu gut.
»Da hast du wahrscheinlich recht. Ich habe genug von solchen Männern. Ich hätte auf meine Großmutter hören sollen. Sie hat mir geraten, nie mit schönen Männern auszugehen, sondern mir einen auszusuchen, der nur einen Hauch besser aussieht als der Leibhaftige. Je hässlicher, desto besser. Bei den Schönen ist das Risiko zu hoch.«
»Kam der Rat bevor oder nachdem du mit Christian zusammengezogen bist?«
Jo zog ein reuiges Gesicht. »Bevor. Ich habe das da noch für Blödsinn gehalten. Ich hätte auf sie hören sollen. Jetzt weiß ich, dass sie recht hatte.«
»Also hältst du jetzt nach einem Hässlichen Ausschau?« Victoria klang noch ironischer.
»Ich halte nach gar keinem Mann Ausschau, Vic. Ich komme gut allein zurecht.«
Victoria schnaubte. »Sei nicht albern. Du willst dich doch auch verlieben.«
»Das kenne ich schon, hab ich hinter mir, muss ich nicht noch mal haben. Vielen Dank. Liebe ist eine Illusion.« Jo hielt inne und korrigierte sich. »Liebe ist Selbsttäuschung. Du glaubst, was du empfindest, wäre Liebe, aber in Wirklichkeit sind das die Hormone oder Lust oder Gott weiß, was. Ich habe mich einmal getäuscht, und das soll mir nicht noch mal passieren.«
Victoria sah sie an und unterzog sie dem strengen Blick, den sie als Lehrerin so gut beherrschte. »Nur weil es zwischen dir und Christian nicht funktioniert hat, heißt das nicht, dass es dir mit einem anderen genauso ergeht.«
Jo schüttelte den Kopf. »Da liegst du falsch, weißt du? Ich dachte … nein, ich war überzeugt, dass Christian und ich uns lieben und dass es für immer ist. Ich habe mir etwas vorgemacht, und du siehst ja, wohin das geführt hat. Ich habe mich getäuscht, und den Fehler begehe ich kein zweites Mal. Liebe ist bloß eine Erfindung von Schriftstellern und Stückeschreibern, eine vorübergehende Trübung des Verstandes, bei der man die albernsten Dinge glaubt.«
»Du hast dir die Finger verbrannt, Jo. Trotzdem kann es beim nächsten Mal super funktionieren.«
»Es wird kein nächstes Mal geben, Vic. Glaub mir, ich weiß, was ich tue.«
Victoria trank den letzten Schluck aus ihrem Prosecco-Glas aus und stand auf. »Ich glaube dir, Jo. Aber du irrst dich. Noch mal dasselbe?« Ehe Jo antworten konnte, verschwand ihre Freundin schon zwischen den Leuten.
Seit ihrer Rückkehr nach London gab es eine gute Neuigkeit, und die hatte Jo ihr noch nicht erzählt: Sie dachte nicht mehr so oft an Christian. Die ärgerliche schlechte Neuigkeit war jedoch die, dass sie jetzt viel zu oft an ihren neuen Verwandten dachte. Das war so offenkundig das Gegenteil von dem, was sie für sich beschlossen hatte, dass sie sich nur wundern konnte. Ja, Corrado war hinreißend. Ihre Großmutter wäre entsetzt.
»Bitte sehr.« Victoria stellte ihr ein frisches Glas Prosecco hin. »Und ich habe eine Tüte Chips mitgebracht, um den Alkohol aufzusaugen.«
Jo nippte an ihrem Glas, überzeugt, dass Victoria das Thema noch nicht würde ruhen lassen. Sie sollte recht behalten.
»Und? Ist schon ein hässlicher Mann in Sicht?«
Jo grinste sie an. »Überhaupt keiner.« Sie schaute auf die Uhr. Der Vortrag im Naturhistorischen Museum würde in einer knappen halben Stunde anfangen. »Was machst du am Wochenende? Hast du Lust, nach Woodstock mitzukommen? Ich möchte meine Eltern besuchen. Wir könnten mal zusammen reiten.«
Victoria verzog das Gesicht und schüttelte sich. »Nettes Angebot, aber nein danke. Pferde sind groß, haben Zähne, stinken und hinterlassen überall ihre riesigen Äpfel. Dir macht das nichts aus, du bist schon als Kleinkind geritten und hast eine Schwester, die olympische Springreiterin ist. Ich dagegen bin mehr für Katzen. Die braucht man nicht zu reiten.«
»Ich kann Pferde jeden Tag um mich haben. Und Hunde.« Jo lächelte. »Und Schmetterlinge.«
»Du und deine Schmetterlinge! Man könnte dich glatt für einen Nerd halten. Du ziehst mit deinem Notizbuch durch die Gegend und hakst ab, welche du gesehen hast, und findest das toll. Dabei sammelst du sie nicht mal.«
Jo wollte gerade ihre gewohnte Kritik an Schmetterlingssammlern vom Stapel lassen, als ihr einfiel, bei welcher Gelegenheit sie das kürzlich getan hatte. Wie ärgerlich, dass sie schon wieder an Corrado dachte! Kopfschüttelnd verscheuchte sie sein Bild.
»Wie auch immer, ich muss jetzt los. Gleich fängt der Vortrag über die gefährdeten Schmetterlingsarten Europas an, und den will ich nicht verpassen. Möchtest du vielleicht mitkommen? Das könnte auch für dich interessant sein.«
Victoria grinste. »Dazu müsste ich viel mehr Prosecco intus haben. Nein, geh du nur und hab einen schönen Abend. Ich habe zu Hause noch einen Berg Wäsche zu bügeln, und den finde ich mit Sicherheit interessanter als deine Helicoptera.«
»Lepidoptera, Vic.« Jo grinste und leerte ihr Glas, während sie aufstand. »Viel Spaß beim Bügeln. Du weißt nicht, was dir entgeht.«
Ihre Freundin grinste zurück. »Doch, das weiß ich, Jo. Das weiß ich genau.« Sie stand ebenfalls auf und wurde ernst. »Ich könnte schon mal nach Flügen und Hotels für unsere Rom-Reise schauen. Wie wär’s damit?«
Jo nickte. Die Idee, diesen Sommer Rom noch mal wiederzusehen, gefiel ihr gut. Doch dabei kam ihr nicht das Pantheon vor Augen, sondern ein gewisser Römer mit tiefblauen Augen.
Zwei Tage später rief ihr Chef sie um neun Uhr abends zu Hause an. Das hatte er sich angewöhnt, und allmählich ging ihr das auf die Nerven. Er gehörte zu den Leuten, die spät aufstanden, um zehn zur Arbeit erschienen, gegen Mittag munter wurden und am Nachmittag auf Hochtouren liefen. Der Gedanke, dass seine Mitarbeiter ein Leben außerhalb der Arbeit haben könnten, schien ihm völlig fremd zu sein. Natürlich passierte in ihrem Privatleben nicht mehr viel, seit Christian gegangen war. Ärgerlich war das Verhalten trotzdem.
»Ronald, hallo, was kann ich für Sie tun?« Sie knickte die Ecke der Buchseite nach innen, um sie wiederzufinden, und lehnte sich zurück, weil sie auf ein längeres Gespräch gefasst war – oder vielmehr auf einen Monolog seinerseits.
»Jo, ausgezeichnet. Hören Sie, ich habe nachgedacht. Erzählen Sie mir etwas über Seepferdchen, ja?«
Sie war klug genug, sich nicht überrascht zu zeigen. Ein paar Abende zuvor hatte er bei seinem Anruf als Erstes gefragt, wie man einen Seelöwen von einem Walross unterscheiden könne. Während die meisten Leute das im Internet recherchierten, griff er zum Telefon und rief jemanden an, neuerdings immer häufiger Jo. Sie unterdrückte einen frustrierten Seufzer und gab ihm Auskunft.
»Seepferdchen gehören zur Gattung Hippocampus. Das Hauptmerkmal ist, dass das Weibchen seine Eier in der Bauchtasche des Männchens ablegt und dieses die Jungen austrägt.« Sie beschloss, eine witzige Bemerkung zu riskieren. »Bin mir nicht sicher, ob das bei Menschen sehr beliebt wäre.«
»Menschen …? Oh, ja, natürlich.« Humor war nicht seine Stärke. »Wie auch immer, sind sie eine bedrohte Tierart?«
»Ronald, alle Meerestiere sind inzwischen bedroht.«
»Ausgezeichnet.«
Für den Vorsitzenden einer Stiftung, die sich dem Schutz der Natur widmete, insbesondere dem der Meere, war das eine überraschende Reaktion, doch Jo kommentierte das nicht. Worauf er hinauswollte, wurde rasch klar.
»Gibt es bei den Seychellen Seepferdchen?«
»Auf jeden Fall. Im gesamten Indischen Ozean, hauptsächlich in flachen Gewässern.«
»Ausgezeichnet.«
Jo ahnte allmählich, worauf das hinauslief.
»Denken Sie vielleicht an eine Reise? Eine Forschungsreise?« Es wäre nicht das erste Mal, dass er das »Geschäft«, wie er es nannte, mit einem Urlaub an der Sonne verband.
»Das überlege ich gerade. Ich habe ein Buch über die Inseln im Regal liegen. Augenblick, ich hole es mal schnell.«
Sie hörte ihn aufstehen, dann ein metallisches Knacken, als stiege er eine Leiter hoch, und kurz darauf einen Aufschrei, dumpfes Poltern und Jaulen. Sie drückte sich das Telefon fester ans Ohr.
»Ronald? Ronald, alles in Ordnung?«
Es dauerte ein, zwei Minuten, bis eine zweite Stimme laut wurde. Es war die von Ronalds Frau Deirdre. »Hallo, sind Sie das, Joanne? Ich fürchte, Ronald ist gestürzt. Ich sollte jetzt einen Arzt rufen.« Und damit legte sie auf.
Am nächsten Morgen im Büro erfuhr Jo den ganzen Sachverhalt von Melissa, Ronalds Assistentin.
»Ronald liegt im Krankenhaus. Deirdre hat gerade Bescheid gesagt. Anscheinend hat er sich das Bein gebrochen. Ein komplizierter Bruch. Er wird eine Weile im Streckverband liegen müssen. Die Ärzte sagen, dass er vier bis sechs Wochen außer Gefecht ist.«
Vier bis sechs Wochen ohne Ronald, das ist wie Urlaub. Das war Jos erster Gedanke, doch sie wahrte einen mitfühlenden Ton. »Der Ärmste. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ja. Gerade eben.« Sie grinste Jo an. »Er ist nicht glücklich darüber, wie Sie sich denken können.«
»Soll ich etwas für ihn übernehmen, solange er weg ist?« Es gehörte zu ihren Pflichten, ihn zu vertreten, aber bislang hatte sie nur Aufgaben übernehmen müssen, die er selbst nicht erledigen wollte. Reisen nach New York zur UNO oder zu Empfängen in Brüssel waren nie darunter gewesen.
In den vergangenen Monaten hatte sie bei einem Abfallverwertungsseminar in East London seinen Platz eingenommen, außerdem bei einem Wochenende im belgischen Kohlerevier, um stillgelegte Bergwerke zu besichtigen, und bei einer zweitägigen Schlesien-Reise, bei der es um Luftverschmutzung gegangen war. Ob sie nun die Reise zu den Seychellen antreten würde? Nein, das bezweifelte sie. Trotzdem drückte sie sich die Daumen, dass sein Unfall ihr etwas Aufregendes einbrachte, auch wenn sie sich eher dagegen sträuben würde, auf einem Podium vor Leuten zu sprechen.
»Ja, dies und das. Falls Sie heute Abend Zeit haben, würden Sie an der Cocktailparty in der Französischen Botschaft teilnehmen? Da geht es darum, den Zustand der Meere ins Bewusstsein zu bringen. Sie brauchen nichts zu tun, außer sich sehen zu lassen.«
Jo hatte sich einen ruhigen Abend machen wollen, aber auf ein Glas Wein in der Botschaft zu erscheinen, fand sie ziemlich reizvoll.
»Das kann ich übernehmen. Welche Uhrzeit?«
»Von sechs bis acht. Die Reden werden gegen sieben anfangen. Sie brauchen also erst kurz vorher dort zu sein und können gleich danach wieder gehen.«
»Schön, das werde ich tun.«
»Großartig. Ich werde die Botschaft über die Änderung informieren. Die sind, was die Sicherheit angeht, zurzeit enorm streng, aus offensichtlichen Gründen.«
Jo nickte geistesabwesend. »Noch etwas, wo ich Ronald vertreten soll?«
»Ja, tatsächlich. Er fragt, ob Sie Ende des Monats bei der »Save the Planet«-Tagung für ihn einspringen können. Sie findet in Rom statt.«
»Rom?« Jo durchlief ein Prickeln. »Sehr gern, Mel.«
Melissa wirkte erleichtert. »Wunderbar. Und Sie können das ganz sicher so kurzfristig einrichten? Sie beginnt Montag in einer Woche und dauert fünf Tage.« Sie sah Jo fragend an. »Sie müssen deswegen niemandem absagen?«
Jo schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin derzeit frei und ungebunden.«
»Ach, das tut mir leid. Hat es mit Ihrem Freund nicht funktioniert? Bei der Weihnachtsfeier haben Sie zusammen wahnsinnig gut ausgesehen. Ich dachte, das ist was Ernstes.«
»Ich auch, Mel.« Jo versuchte vergeblich, nicht bitter zu klingen. »Im Februar sind wir auseinandergegangen. Also bin ich jetzt Single, doch ganz zufrieden. Was habe ich bei der Tagung zu tun?«
»Nur da sein und seinen Vortrag halten. Es geht darin um radikale Vorschläge zur Abschaffung von Plastikmüll bis 2030.« Als Melissa Jos besorgtes Gesicht sah, beruhigte sie sie rasch. »Keine Sorge. Sie müssen nicht im großen Saal vor sämtlichen Tagungsteilnehmern sprechen, sondern nur in einem Vortragsraum. Genauer gesagt ist es eine PowerPoint-Präsentation, und sie ist vollständig ausgearbeitet. Sie brauchen nur Ronalds Text abzulesen und die DVD laufen zu lassen. Ich soll Ihnen sagen, dass die Vorträge im Nebenprogramm oft nur eine Handvoll Leute anziehen.«
Jo nickte. Tatsächlich kannte sie den Vortrag auswendig, denn sie hatte ihn geschrieben und auch die Präsentationsfolien vorbereitet. Es war eine von Ronalds weniger liebenswerten Eigenschaften, dass er die brillanten Ideen von Mitarbeitern ein, zwei Monate später unter seinem Namen in Fachzeitschriften veröffentlichte. Die Vorstellung, vor einem Haufen Akademiker zu reden, unter denen einige bekannte Namen sein dürften, erschreckte sie zwar, aber es würde ein gutes Gefühl sein, ihr geistiges Eigentum selbst zu präsentieren. Und außerdem sagte sie sich, dass der Vortrag ein geringer Preis war, wenn sie dafür kostenlos nach Rom reisen konnte.
Ihr kam eine Idee. Es wäre gut, bei der Präsentation etwas über die neueste Forschung zu Plastikersatz einfließen zu lassen, die das Problem an der Wurzel packte. Und die fachkundige Person in dieser Frage war natürlich Corrado. Und wenn sie nach Rom reiste, würde sie sich mit ihm treffen und sich auf den allerneuesten Stand bringen lassen. Das war eine sehr verlockende Aussicht.
Ärgerlicherweise fragte ihr Unterbewusstsein sofort, ob ihr Interesse an dem Treffen mit dem gut aussehenden Chemiker rein beruflicher Natur war, aber sie verbannte derlei Gedanken sofort aus ihrem Kopf. Er war der passende Experte, und das genügte. Es war sinnvoll, sich an ihn zu wenden. Ihr Unterbewusstsein überzeugte das nicht.
»Der Vortrag wird sicher gut ankommen, Mel. Geben Sie ihn mir möglichst bald, damit ich vor der Abreise noch alles durchgehen kann.«
Schon so bald wieder nach Rom – das war fantastisch! Als sie in ihrem Büro den PC einschaltete, fiel ihr Blick auf die Nahaufnahme eines violetten, weiß gefleckten Schmetterlings. Darunter stand: Großer Schillerfalter, Apatura iris. Der Dozent im Britischen Museum hatte beklagt, wie selten diese Art in Großbritannien mittlerweile war. Er hatte jedoch erwähnt, dass sie auch in Italien anzutreffen sei. Jo schaute lächelnd auf den Vortragsflyer. Vielleicht hatte sie ja Glück …
Am späten Nachmittag eilte sie nach Hause, duschte und zog sich für den Botschaftsempfang um. Laut Melissa sollte man sich für Veranstaltungen in der Französischen Botschaft schicker kleiden, und deshalb wählte sie das neuere ihrer beiden schicken Kleider. Es war eine Spur zu kurz, aber im Schnitt recht konservativ, und das helle Blau passte zu ihren Augen. Dazu zog sie Pumps mit hohen Absätzen an. Sie betrachtete sich prüfend im Spiegel und fand sich präsentabel. Bevor sie ging, rief sie ihre Schwester in Italien an und erzählte ihr die aufregende Neuigkeit.
Angie klang erfreut. »Das ist wunderbar, Jo. Versuch doch, ein, zwei Tage eher zu kommen, damit du schon das Wochenende bei uns verbringen kannst. Wenn du willst, kannst du bei uns im Country Club übernachten. Mario oder ich holen dich dann vom Flughafen ab.«
»Danke, Angie, doch für meine Unterbringung ist schon gesorgt. Ab Samstag bin ich in einem Hotel im Zentrum untergebracht.«
»Na gut, wir holen dich jedenfalls ab und nehmen dich später mit zu uns zum Abendessen, und am Sonntag können wir beide durch Rom bummeln. Was hältst du davon?«
»Klingt großartig. Die Piazza Navona und den Trevi-Brunnen habe ich schon mit Corrado gesehen.« Jetzt fragte sie sich, ob sie ihn tatsächlich wiedersehen oder ob er jeden Abend mit einer anderen verabredet sein würde. Wie immer, wenn sie an ihn dachte, ärgerte sie sich über sich selbst und beschloss, seinen Namen gar nicht erst ins Spiel zu bringen. Überraschenderweise tat das jedoch ihre Schwester.
»Er sagt, ihr habt euch gut verstanden. Er ist genau dein Typ, oder?«
»Mein Typ?«
»Anscheinend suchst du dir immer wahnsinnig gut aussehende Männer aus. Wie dein Model Christian zum Beispiel.«
Jo spürte, dass sie rot wurde, und beeilte sich, sie von der Meinung abzubringen.
»Nicht mehr, Angie. Von solchen Männern habe ich die Nase voll. Eigentlich generell von Männern, zumindest fürs Erste. Der ganze Ärger lohnt sich nicht.«
Dann sagte Angie etwas Unerwartetes. »Das ist wahrscheinlich gut so. Ich wollte dich sowieso vor Corrado warnen. Nur für alle Fälle. Aber wenn du gar nicht interessiert bist, umso besser.«
»Wieso warnen?«
»Ach, na ja … das ist ein bisschen kompliziert. Das erzähle ich dir, wenn du da bist.«
Nachdem Jo aufgelegt hatte, stand sie ein paar Minuten lang da und dachte über das Gehörte nach. Was für eine Enthüllung stand ihr da bevor? Schließlich schnaubte sie und verließ die Wohnung. Sie schloss gerade hinter sich ab, als Kevin aus Wohnung drei seine Tür öffnete und den Kopf herausstreckte, wie immer frech grinsend.
»’n Abend, Schätzchen. Du siehst hinreißend aus. Kommt dich dein Traumprinz mit seiner gläsernen Kutsche abholen?«
»Hi, Kevin. Hab lieber selbst ein spannendes Leben, anstatt dich in das deiner Nachbarn reinzusteigern.« Jo grinste ihn ebenfalls an. Sie hatte sich in den vergangenen zwei Jahren mit ihm und seinem Partner Justin angefreundet. »Und es gibt keinen Traumprinzen. Das solltest du inzwischen wissen.«
»Was hast du denn vor, dass du so aufgebrezelt bist? Einen Besuch bei der Queen vielleicht?«
»Ich fahre zu einer Cocktailparty in der Französischen Botschaft.«
»Interessant … Wer weiß? Vielleicht lernst du da jemanden kennen. Bestimmt einen attraktiven Franzosen. Hast du auch was Schickes darunter an? Für den Fall, dass du flachgelegt wirst?«
»Nichts, was sich mit deiner Unterwäsche messen könnte. Und ich habe nicht die Absicht, mich flachlegen zu lassen, vielen Dank. Jetzt geh weiter stricken, damit ich von hier wegkomme.«
»Tu nichts, was ich nicht auch tun würde.« Er zögerte und wurde ernst. »Und du siehst wirklich umwerfend aus, weißt du?«
»Du bist Balsam für mein Selbstbewusstsein. Danke, Kevin.«
»Schönen Abend, Prinzessin. Und pass gut auf deine Glaspantoffeln auf.«
In der Botschaft waren überraschend viele Gäste geladen. Wie verlangt traf Jo weit vor sieben Uhr dort ein und fand den großen Festsaal schon gut gefüllt. Sie wollte lieber nicht spekulieren, ob die Leute aus Sorge um die Verschmutzung der Meere gekommen waren oder weil die Botschaft für ihren exzellenten Champagner und die erlesenen Kanapees berühmt war. Sie entdeckte einige Gesichter, die sie schon von anderen Tier- und Umweltschutzevents kannte, aber die meisten Leute sah sie zum ersten Mal.
Gemäß ihren Instruktionen nahm sie ein Glas Champagner vom Tablett eines umhergehenden Kellners und fing an, »sich sehen zu lassen«.
Sie schlenderte stetig durch den Saal, nippte an ihrem Glas und erwiderte jedes Lächeln. Das Namensschild an ihrer Brust sorgte hoffentlich dafür, dass ihre Anwesenheit bemerkt wurde. Ab und zu blieb sie stehen und unterhielt sich mit jemandem, insgesamt mit einer Handvoll Leute, darunter auch mit einem sehr großen, freundlichen Amerikaner mit Pferdeschwanz.
Er trug kein Namensschild, stellte sich aber als Ricky vor und sah kaum älter aus als sie. Wie sich herausstellte, war er der Hauptredner des Abends. Er erwies sich als interessanter Gesprächspartner, und sie verstand sich gut mit ihm. Sie fragte sich, ob er vielleicht auch bei der Tagung in Rom sein würde, konnte ihn jedoch nicht mehr darauf ansprechen, da er in dem Moment zum Podium geholt wurde.