Ein Sommertraum in Verona - T.A. Williams - E-Book

Ein Sommertraum in Verona E-Book

T.A. Williams

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Beschreibung

Die 30-jährige Suzie Cartwright kann ihr Glück kaum fassen - vier Wochen bezahlter Urlaub in Verona, welch herrliche Aussichten! Einzig Lord Tedborns Tochter Alexandra, die sie dorthin begleiten soll, könnte zur Herausforderung werden. Doch entgegen der Aussage des herrischen Vaters ist Alexandra weder launisch noch flatterhaft. Die beiden unterschiedlichen Frauen freunden sich an und lassen sich vom mediterranen Zauber der Stadt verführen. Bei einem Ausflug in geselliger Runde an den Gardasee kommt Suzie dem attraktiven Künstler Michael näher, der etwas vor ihr zu verbergen scheint. Wird sie am Ende eines zauberhaften Urlaubs ihr Herzensglück finden?

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Seitenzahl: 382

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Inhalt

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Über dieses Buch

Die 30-jährige Suzie Cartwright kann ihr Glück kaum fassen – vier Wochen bezahlter Urlaub in Verona, welch herrliche Aussichten! Einzig Lord Tedborns Tochter Alexandra, die sie dorthin begleiten soll, könnte zur Herausforderung werden. Doch entgegen der Aussage des herrischen Vaters ist Alexandra weder launisch noch flatterhaft. Die beiden unterschiedlichen Frauen freunden sich an und lassen sich vom mediterranen Zauber der Stadt verführen. Bei einem Ausflug in geselliger Runde an den Gardasee kommt Suzie dem attraktiven Künstler Michael näher, der etwas vor ihr zu verbergen scheint. Wird sie am Ende eines zauberhaften Urlaubs ihr Herzensglück finden?

Über den Autor

T. A. Williams wurde in England geboren und absolvierte ein Studium der Modernen Sprachen an der Nottingham University. Er ist Autor mehrerer romantischer Beziehungskomödien und hat in der Schweiz, in Frankreich und Italien gelebt und gearbeitet. Gemeinsam mit seiner italienischen Ehefrau lebt er in Devon. Eine Sommerliebe in der Toskana ist sein erster Roman, der auf Deutsch erscheint.

T. A. Williams

Roman

Aus dem Englischen vonAngela Koonen

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © T. A. Williams, 2020

Titel der englischen Originalausgabe: »Dreaming of Verona«

Originalverlag: Canelo Digital Publishing Limited, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch Johnson & Alcock Ltd., London

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München nach einer Vorlage von© Michael Bhaskar unter Verwendung von Motiven von Shutterstock

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-2121-9

luebbe.de

lesejury.de

Wie immer in Liebe für Mariangela und Christina

Wohl wahr, ich rede von Träumen,Kindern eines müß’gen Hirns,von nichts als eitler Phantasie erzeugt,die aus so dünnem Stoff als Luft besteht.William Shakespeare

Prolog

Bestürzt saß Suzie da. Ihr floss der Wein über die Wangen und tropfte ihr von der Nasenspitze, aber sie war zu geschockt, um sich zu rühren. Geistesabwesend hörte sie die Restauranttür knallen, als Alexandra ihren dramatischen Abgang machte. Von da an war sie konzentriert darum bemüht, das niederschmetternde Gefühl der Beschämung zu überwinden. Ihr Gesicht glühte. Wahrscheinlich war sie so rot wie die Tomatenscheiben auf ihrem Teller.

Sie riskierte es, vom Tisch aufzublicken, und sah sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. In dem vornehmen Speiseraum waren alle Augen auf sie gerichtet. Einige schauten ungläubig, andere verwundert und manche ausgesprochen belustigt. Ein paar Gäste flüsterten miteinander. Es konnte kein Zweifel bestehen, dass sie der Gegenstand der Aufmerksamkeit war.

Je mehr sie die Blicke auf sich spürte, desto peinlicher wurde ihr die Situation, und sie war nahe daran, aufzustehen und hinauszulaufen. Nur der Gedanke, dadurch noch jämmerlicher zu wirken, hielt sie davon ab, ihren Platz zu verlassen. Sie senkte den Blick auf ihren Teller und versuchte, wenn auch vergeblich, sich unsichtbar zu machen. Sie wühlte in ihrer Handtasche nach einem Papiertaschentuch, als ein Schatten über sie fiel.

»Entschuldigen Sie, Signorina. Vielleicht hilft Ihnen das.«

Sie hielt sich weiter nach vorn gebeugt, sodass der Prosecco auf Tomaten, Mozzarella und Basilikumblätter tropfte, und sah auf. Vor ihr stand der adrette Kellner, der sie erst vor einer Viertelstunde in dem Hotelrestaurant begrüßt hatte. Mit neutraler Miene hielt er ihr eine frische weiße Serviette hin. Vielleicht war es nicht das erste Mal, dass ein Gast ein Glas Wein ins Gesicht bekommen hatte.

»Bitte nehmen Sie sie. Ich fürchte, Sie verderben sich den Salat, wenn noch mehr Prosecco darauftropft.« Er ließ ein leises Lächeln erkennen.

Sie nahm die Serviette und rieb zuerst die Brillengläser trocken, bevor sie sich das Gesicht abwischte. Das Tuch wurde erstaunlich nass, obwohl der meiste Wein schon auf ihre Bluse geflossen war. Alexandras Glas musste noch voll gewesen sein, als sie ihn über den Tisch geschüttet hatte.

»Kann ich noch etwas für Sie tun, Signorina?« Sein Ton war förmlich, aber mitfühlend.

Suzie schüttelte den Kopf und betupfte sich das Dekolletee. Es war unangenehm zu spüren, wie der Prosecco unter dem leichten Baumwollstoff den Oberkörper hinunterrann, und sie errötete von Neuem. Mit aller Entschlossenheit erwiderte sie das Lächeln des Kellners.

»Danke, ich komme zurecht. Ich bin nur ein wenig geschockt, um ehrlich zu sein. Da habe ich wohl einen empfindlichen Nerv getroffen.« Und sie wusste sehr genau, welchen von Alexandras blank liegenden Nerven sie berührt hatte, doch sie sagte sich ein weiteres Mal, dass ihr keine Wahl geblieben war. Sie rang sich einen optimistischen Ton ab. »Danke für die Serviette. Das war sehr freundlich von Ihnen.«

Der Kellner quittierte das mit einer diskreten Verbeugung und überließ sie ihrem Salat – und der feuchten Serviette.

Während Suzie sich, so gut es ging, trocken tupfte, dachte sie über die Szene nach, die sich soeben abgespielt hatte. Der Wutausbruch markierte eine deutliche Verschlechterung ihres Verhältnisses. Sie seufzte. Es sah ganz so aus, als fände ihr Aufenthalt in Italien ein abruptes, vorzeitiges Ende.

1

»Seine Lordschaft wird Sie jetzt empfangen, Miss Cartwright.«

Suzie stand auf, strich sich den Rock glatt und ging zu der kunstvoll geschnitzten alten Tür. Dort zögerte sie und blickte noch einmal zu der Respekt einflößenden Vorzimmerdame in Twinset und Perlenkette, die an ihrem Schreibtisch saß.

»Sollte ich anklopfen?«

»Das dürfte nicht nötig sein. Seine Lordschaft weiß, dass Sie hereinkommen.«

Dennoch klopfte Suzie sanft an, bevor sie den Knauf drehte und die Tür aufdrückte. Mit einem tiefen Atemzug trat sie ein und blinzelte in die unerwartete Helligkeit. Lord Tedburns Arbeitszimmer war gewaltig. Durch hohe bleiverglaste Fenster strömte das Licht der späten Augustsonne herein, beschien die strengen bärtigen Gesichter auf den Ölgemälden an den eichengetäfelten Wänden und ließ das Parkett glänzen. Der große antike Schreibtisch stand der Tür genau gegenüber, sodass Tedburn die Sonne im Rücken hatte. Zögernd schloss Suzie die Tür hinter sich. Dabei hörte sie seine Stimme.

»Guten Morgen, Miss Cartwright. Gut, dass Sie kommen. Bitte, nehmen Sie doch Platz.«

Er wirkte nicht ganz so einschüchternd wie befürchtet. Sie setzte sich steif auf einen der samtbezogenen Sessel vor dem Schreibtisch und probierte mehrere Sitzhaltungen aus, bis sie nicht mehr von der Sonne geblendet wurde. Sein Gesicht war verschattet, und sie konnte ihn nur in Umrissen erkennen. Er hielt sich stärker gebeugt als in ihrer Erinnerung, aber natürlich war es an die fünfzehn Jahre her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, und in fünfzehn Jahren mochte viel passiert sein. Sie kannte ihn zwar, wie jeder, der in dieser Gegend von Devon wohnte, doch sie hatte noch nie mit ihm gesprochen. Sie faltete die Hände im Schoß und wartete darauf, dass er mit Schreiben aufhörte.

»Sagen Sie mir, falls es Ihnen nichts ausmacht – wie alt sind Sie?« Er legte den Füller hin und blickte sie forschend an.

Beim Antworten spürte sie, dass sie errötete. »Achtundzwanzig. Im Februar werde ich neunundzwanzig.« Sie fragte sich, ob sie am Ende des Satzes ein »Sir« hätte anfügen müssen, doch nun war es dazu zu spät. Sie hatte sonst keinerlei Umgang mit Adligen.

»Laut Ihrem Vater sind Sie Anglistin.«

»Ja, ich habe in dem Fach promoviert … Sir.«

»Auf welchem Gebiet liegt Ihr Hauptinteresse?«

»Ich habe meine Doktorarbeit über Shakespeare geschrieben. Seine Dramen und Gedichte haben mich schon immer interessiert.«

Zu ihrer Überraschung schlug er einen herzlichen Ton an. »Sieh an, da haben wir etwas gemeinsam. Ich besitze in meiner privaten Bibliothek eine schöne Sammlung seiner Werke. Die muss ich Ihnen gelegentlich einmal zeigen.«

»Das würde mir gefallen, Sir.« Aus irgendeinem Grund hatte sie sich Lord Tedburn immer nur jagend, schießend und angelnd vorgestellt. Wahrscheinlich steckte mehr in ihm, als man auf den ersten Blick vermutete.

Er kam wieder zur Sache. »Soweit ich weiß, sind Sie gerade beschäftigungslos.«

»Ja, Sir. Bis zum vergangenen Monat habe ich für eine Stiftung in London gearbeitet. Deren Mittel wurden zurückgezogen, und sie musste ihre Arbeit einstellen.«

»Und Sie sprechen Italienisch.«

»Ja, recht gut. In der Schule hatte ich in dem Fach nur beste Noten, und während des Studiums habe ich die Sommerferien drei Jahre hintereinander an der toskanischen Küste verbracht und dort zehn- bis vierzehnjährige Kinder in einem Ferienlager betreut.« Sie hielt es für besser, das zu erklären. »Damit habe ich mir das Studium finanziert.«

»Gut, gut.« Sein Stuhl knarrte, als Lord Tedburn aufstand. Langsam ging er um die Ecke seines Schreibtischs, sah Suzie jedoch nicht an, sondern blickte durchs Fenster in den Wildpark, um ihr dann sein Angebot zu unterbreiten. »Miss Cartwright, es geht um meine Tochter Alexandra.«

Suzie war sich nicht sicher, ob eine Antwort erforderlich war, und deshalb sagte sie nichts. Es schien unwichtig zu sein. Ein paar Augenblicke später drehte er sich zu ihr um.

»Sie möchte für einen Monat nach Italien reisen, und ich sähe es gern, wenn jemand sie begleiten würde.«

Suzie begriff allmählich, warum er sie herbestellt hatte. Er wollte wohl aus ihrer Erfahrung bei der Kinderbetreuung Nutzen ziehen. Ihre Vermutung sollte sich bestätigen.

»Die Vorstellung, dass sie sich allein dort aufhält, gefällt mir nicht. Daher wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie ihr Gesellschaft leisten, falls Sie nicht anderweitig verpflichtet sind.«

»Wann wäre das, Sir?«

»Ich glaube, sie will Mitte September abreisen. Würde Ihnen das passen?«

»Ja, wahrscheinlich. Ich glaube schon. Das hängt auch von meinen Vorstellungsgesprächen und der weiteren Entwicklung ab. Ich habe mich um einige Stellen beworben.«

Er nickte bedächtig, bevor er darauf einging. »Ich möchte nicht, dass Sie finanzielle Einbußen erleiden. Deshalb hatte ich mich entschlossen, Sie gut für Ihre Zeit zu bezahlen. Darf ich fragen, wie hoch Ihr letztes Gehalt war?«

Sie sagte es ihm und wartete, während er stille Berechnungen anstellte, um ihr dann eine Summe zu nennen, bei der ihr die Luft wegblieb. Er bot ihr für den einen Monat in Italien so viel, wie sie bei der Stiftung in zwei Monaten verdient hatte, und dazu freie Unterbringung und Verpflegung sowie nicht näher bezeichnete Spesen. Das hob ihre Stimmung enorm. Viertausend Pfund auf dem Konto und einen Monat Italien waren nicht zu verachten, selbst wenn sie dabei auf einen eventuell schwierigen Teenager aufpassen musste.

Gerade wollte sie zusagen, als Lord Tedburn mit einigen Details aufwartete, die sie zwangen, ihren Entschluss zu überdenken.

»Sie sollten ein paar Dinge über Alexandra wissen.« Er wandte sich wieder dem Wildpark zu, und sie merkte, dass es ihm schwerfiel, darüber zu sprechen. »Obwohl sie fast sechsundzwanzig Jahre alt ist, legt sie mitunter noch ein sehr unerwachsenes Verhalten an den Tag. Sie scheint nicht fähig zu sein, sich längere Zeit mit etwas zu beschäftigen, ohne dass ihr langweilig wird. Sie ist ungehorsam, wird auch manchmal grob, und ich fürchte, sie ist ein Nachtschwärmer.«

»Ein Nachtschwärmer?« Diesen Ausdruck hatte Suzie schon ewig nicht mehr gehört. Als ihr die volle Bedeutung seiner Worte klar wurde, verfiel sie in Schweigen. Sie hatte angenommen, sie sollte ein junges Mädchen betreuen, keine erwachsene Frau. Wie konnte nur jemand von ihr erwarten, auf eine Frau aufzupassen, die nur zwei Jahre jünger war als sie? Sie hätte gern etwas erwidert, aber zurückhaltend, wie sie war, schwieg sie erst einmal. Und Lord Tedburn hatte zu dem Thema ohnehin noch mehr zu sagen.

»Sie hat nichts weiter im Kopf als ihre Freunde, ihre Kleider und ihr Vergnügen.« Er schaute kurz über die Schulter. »Und ich fürchte, mit ihren Männergeschichten ist es nicht besser. Ihr Geschmack lässt einiges zu wünschen übrig. Anscheinend fühlt sie sich zu den Unangenehmen, Unpassenden hingezogen. In erster Linie verlasse ich mich darauf, dass Sie ein Auge auf sie haben, wenn plötzlich irgendwelche Italiener aus der Versenkung kommen.« Er schüttelte kläglich den Kopf. »Und das werden sie.«

Je mehr sie hörte, desto weniger gefiel es ihr. Zwar war es anständig von ihm, sie über die wahren Verhältnisse aufzuklären, doch es wunderte sie auch, wie abfällig er sich gegenüber einer fremden Person über seine Tochter äußerte. Das weckte ihr Mitgefühl für die junge Frau. Was mochte Alexandras Mutter wohl davon halten?, fragte sie sich, und im nächsten Moment fiel ihr ein, vor einiger Zeit gehört zu haben, dass Lady Tedburn verstorben war.

Sie räusperte sich und wandte einiges dagegen ein, doch er blieb unnachgiebig bei seiner Haltung.

»Kennen Sie Italien gut, Miss Cartwright?«

»Eigentlich nur eine bestimmte Region. Ich bin ein paar Mal mit dem Zug nach Florenz gefahren, als ich in dem Ferienlager gearbeitet habe, und natürlich habe ich mir Pisa und Lucca angesehen, aber darüber hinaus kenne ich Italien kaum. Ich hatte dort sehr wenig Freizeit.«

»Also sind Ihnen Venedig und das Umland unbekannt? Verona, Padua, die Seen?«

Trotz ihrer Zweifel, ob sie den Auftrag annehmen sollte, schlug ihr Herz höher. Die Vorstellung, das märchenhafte Venedig zu sehen, war sehr reizvoll, doch was sie vor allem lockte, war Verona. Sie blickte auf und äußerte sich dazu.

»Den Nordwesten kenne ich überhaupt nicht, aber ich träume schon seit Jahren davon, Verona zu sehen. Seit ich mich mit Shakespeare befasse.«

Im Gesicht seiner Lordschaft erschien ein Lächeln. »Natürlich. Die Stadt von Romeo und Julia. Nun, Sie sollten reichlich Zeit haben, sie nach Belieben zu erkunden.« Er kehrte zu seinem Schreibtischsessel zurück und griff zum Telefon. »Alice? Würden Sie Alexandra bitten herzukommen? Danke.«

Als er aufgelegt hatte, wandte er sich Suzie wieder zu. »Ich werde es meiner Tochter unmissverständlich darlegen. Sie werden meine volle Unterstützung haben, das versichere ich Ihnen. Ich verlange von Ihnen nur eins: dass Sie mich informieren, sobald Sie Alexandras Verhalten beunruhigt. Das ist nur zu ihrem Besten.«

Mittlerweile fühlte Suzie sich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite die Verlockung, Verona zu sehen, auf der anderen Seite ihre ernsten Vorbehalte. War es wirklich zum Besten dieser jungen Frau, wenn sie sie begleitete? Ihr klang es eher danach, als mischte sich ein kontrollsüchtiger Vater in das Leben seiner erwachsenen Tochter ein.

Sosehr sie den All-inclusive-Monat in Italien genießen würde, dachte sie bereits darüber nach, wie sie ihre Absage am höflichsten formulieren konnte. Währenddessen ging die Tür auf, und eine schlanke junge Frau mit kastanienbraunen Haaren kam hereingeschlendert. Ihre Körpersprache schrie ihnen beiden Trotz und Ablehnung entgegen. Noch bevor ein Wort gesprochen wurde, war vollkommen klar, dass Alexandra nicht bei ihnen sein und sicherlich auch nichts mit Suzie zu tun haben wollte.

Ihr Vater blickte auf und schien davon nichts zu bemerken. »Ah, gut, Alexandra, ich möchte dich mit Suzanne Cartwright bekannt machen … du weißt schon, die Tochter des Pfarrers.«

Sie kam zu Suzie und gab ihr so begeistert die Hand, als nähme sie einen verfaulten Apfel aus der Obstschale. »Guten Morgen.« Mehr sagte sie nicht.

Suzie versuchte, möglichst souverän zu klingen, und lächelte sie an. »Guten Morgen, Alexandra. Schön, dich kennenzulernen.«

»Suzanne wird dich nach Italien begleiten. Ich bin mir sicher, ihr werdet euch blendend verstehen.«

Nach Alexandras Miene zu urteilen, wünschte sie sich, Suzie möge vorher auf dem verfaulten Apfel ausrutschen und sich ein Bein brechen. Einen Moment lang schien es, als wollte sie etwas erwidern, stattdessen senkte sie jedoch den Blick und nickte. Dabei sah Suzie noch einen anderen Ausdruck über ihr Gesicht huschen. Sie hatte Empörung und Abwehr erwartet, doch was sich kurz zeigte, war Traurigkeit, dessen war Suzie sich sicher. Trotz ihrer Vorbehalte dachte sie erneut über ihre Entscheidung nach. Lord Tedburn, der das Unglück seiner Tochter nicht wahrnahm oder aber ignorierte, sprach weiter.

»Nun, Alexandra, du sollst hören, wie meine Instruktionen an deine Begleiterin lauten, damit es keine Missverständnisse gibt.« Er wartete nicht ab, ob sie zustimmte, und gab auch Suzie keine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass sie den Job noch nicht angenommen hatte, sondern wandte sich ihr sofort zu:

»Suzanne, während der Zeit in Italien sehen Sie sich bitte effektiv an Eltern statt. Es wird Ihre Verantwortung sein, mich jederzeit zu informieren, wenn Sie Alexandras Verhalten in irgendeiner Weise für unpassend halten. Vor allem muss ich es erfahren, wenn sie sich mit unerwünschten Leuten einlässt, insbesondere mit Männern. Ich muss mich in der Hinsicht auf Sie verlassen können. Das ist Ihnen hoffentlich klar, und auch dir, Alexandra.«

Suzie spürte Alexandras Blick auf sich und beschloss, erst einmal auszuweichen. Konfrontationen waren nicht ihre Stärke, doch sie holte tief Luft und versuchte es. »Ich frage mich, ob es wohl möglich wäre, mich eine Weile mit Alexandra zu unterhalten, damit wir uns kennenlernen, bevor ich den Job annehme. Ich möchte nicht, dass sie sich gezwungen fühlt, ihre Ferien mit jemandem zu verbringen, der ihr unsympathisch ist.« Sie schaute zu Alexandra und fing einen Blick auf, in dem sie Überraschung las.

»Ja, natürlich, Suzanne.« Auch Lord Tedburn wirkte überrascht, überspielte es aber besser. »Wie wär’s, wenn Sie sich dort drüben hinsetzen und plaudern, während ich mich mit meiner Korrespondenz befasse?« Er deutete vage auf das elegante Ledersofa, das ein paar Schritte entfernt stand.

Das hielt Suzie für eine schlechte Idee. Was für ein Gespräch wäre wohl möglich, wenn Alexandras Vater dabei zuhörte? Sie nahm ihren Mut zusammen und machte einen Gegenvorschlag. »Ich frage mich, ob etwas dagegenspricht, wenn wir einen kurzen Spaziergang vor dem Haus unternehmen. Es ist herrliches Wetter, ein viel zu schöner Morgen, um drinnen zu bleiben.« Im ersten Moment schien es ihr, als wäre sie zu weit gegangen.

Lord Tedburns Gesichtsausdruck verriet deutlich, dass er es nicht gewohnt war, Leute um sich zu haben, die sich seinen Anweisungen widersetzten. Doch er beherrschte sich und nickte schroff. »Also gut. Warum nicht? Und anschließend kommen Sie bitte wieder zu mir, Suzanne, damit wir das Vertragliche erledigen können?«

Suzie folgte Alexandra aus dem Arbeitszimmer auf den Gang und schließlich durch den prächtigen Eingangsflur nach draußen. Erst als sie im Freien waren und sich ein Stück von dem Herrenhaus entfernt hatten, ging Alexandra langsamer und wandte sich ihr zu. Sie war eine hübsche junge Frau, aber mit dieser mürrischen Miene ganz bestimmt nicht attraktiv.

»Worüber willst du reden?« Sie klang eher resigniert als streitlustig, jedoch keineswegs freundlich.

Suzie beschloss, möglichst ehrlich zu sein. »Hör zu, Alexandra, es ist mir unangenehm, dass ich gebeten werde, die Rolle der Petze zu übernehmen. Ich habe keine Ahnung, warum dein Vater es für nötig hält, seiner erwachsenen Tochter eine Aufpasserin mitzugeben, und offen gestanden gefällt mir das überhaupt nicht. Ja, der Gedanke, nach Italien zu reisen, in mein Lieblingsland, ist sehr reizvoll, aber nicht, wenn zwischen uns ständig die Fetzen fliegen. Dann solltest du dir besser eine andere Begleiterin suchen, vielleicht eine deiner Freundinnen.«

»Eine Freundin?« Alexandra klang missmutig. »Mein Vater würde nicht im Traum daran denken, mich mit einer Freundin verreisen zu lassen.«

»Das tut mir leid. Dann vielleicht einen Angestellten? Es wird doch sicher jemanden geben, dem er vertraut und den du leiden kannst.«

Alexandra schüttelte den Kopf.

Mit Bedauern kam Suzie zu dem Schluss, dass ihr nichts anderes übrig blieb. »Tja, dann, so leid es mir tut, Alexandra, ich möchte mich da lieber nicht reinziehen lassen. Es wird das Beste sein, wenn ich deinem Vater absage.«

Zu ihrer Überraschung langte Alexandra zu ihr herüber und hielt sie am Arm fest. »Tu das nicht. Bitte sag, dass du mitkommst.« Ihre Stimme hatte einen unerwartet flehenden Beiklang.

»Du möchtest das?« Suzie hörte selbst, wie ungläubig sie klang.

»Ja, bitte.« Alexandra ließ Suzies Arm los. »Wenn du ablehnst, wird mich mein Vater gar nicht verreisen lassen. Ganz einfach. Das hat er schon gesagt. Er vertraut dir, weil dein Vater der hiesige Pfarrer ist, und es gibt niemand anders, den er für geeignet hält. Bitte sag Ja. Damit würdest du mir einen Riesengefallen tun.«

Suzie blieb stehen, um darüber nachzudenken. »Und du hättest keinen Groll gegen mich? Du hast ihn gehört. Ich soll als sein Spitzel fungieren. Das ist widerlich.« Sie hielt Alexandras Blick noch einen Moment lang fest. »Und wenn ich den Job annehme, werde ich tun müssen, was er verlangt. Schließlich bezahlt er mich dafür. Du verstehst, was das bedeutet?«

»Ja, und ich werde dir das nicht übel nehmen. Versprochen. Ich kenne meinen Vater nur zu gut und weiß, dass ich einzig zu seinen Bedingungen von hier wegkomme. Ich gebe dir mein Wort, dass ich mich gut benehmen werde.«

Einen Moment klang sie wie ein kleines Mädchen, und Suzie empfand auf einmal Sympathie und hatte sogar Mitleid mit ihr. Nach kurzem Überlegen kam sie zu einem Entschluss.

»Also gut, ich werde zusagen. Und bitte versuche, immer daran zu denken, dass ich nur tue, was dein Vater von mir verlangt. Mir gefällt das auch nicht, aber ich werde es tun müssen.«

2

Knapp drei Wochen später brachen Suzie und Alexandra nach Italien auf – oder vielmehr erst einmal nach London. Ein Chauffeur holte sie mit einer Luxuslimousine in Devon ab und brachte sie zum Ritz am Piccadilly.

Suzie war oft an dem weltberühmten Hotel vorbeigelaufen, hätte sich aber nie träumen lassen, jemals einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Als die Limousine hinter einem glänzenden schwarzen Bentley vorfuhr, kamen zwei livrierte Portiers heraus und machten sich daran, die Koffer auf einen Gepäckwagen zu laden. Während Suzie sich noch bei ihrem Chauffeur bedankte, verschwand Alexandra wortlos ins Hotel. Der Chauffeur nickte ihr zu, und die Limousine fädelte sich bereits in den Verkehr ein, als Suzie der Gedanke kam, dass sie ihm ein Trinkgeld hätte geben sollen. Sie würde wohl noch lernen müssen, was ihr Job alles mit sich brachte. Im Augenblick hielt sie es für das Beste, sich um die Koffer zu kümmern.

Einer der Portiers deutete auf die Glastür. »Gehen Sie ruhig hinein, Miss. Wir sorgen für das Gepäck.«

Suzie stieg die Handvoll Stufen hinauf. Sie wagte es nicht, den glänzenden Messinghandlauf anzufassen, aus Angst, unschöne Fingerabdrücke darauf zu hinterlassen. Als sie durch die Glastür ins Foyer trat, kam sie sich vor wie eine Hochstaplerin. Ihre Eltern hatten ihr Leben lang sparen müssen, und sie selbst hatte ihr Aufbaustudium mit zwei Jobs finanziert.

Ihre Arbeit in der Stiftung war befriedigend gewesen, aber mit dem Gehalt hatte sie wenig mehr als ein kleines Zimmer in einer überfüllten Wohnung bezahlen können, das sie zudem mit drei Studentinnen teilen musste, denn die Mieten in London waren exorbitant. Und nun begann für sie ein kostenloser Urlaub mit unbegrenztem Luxus in diesem Fünf-Sterne-Hotel. Die Portiers und das Personal an der Rezeption durchschauten sicherlich sofort, dass sie nicht hierhergehörte. Sie war kein Mitglied der feinen Gesellschaft, und dafür hatten diese Leute ein geschultes Auge.

Alexandra hingegen gehörte definitiv hierher und war es gewohnt, ihren Willen zu bekommen. Sie verhandelte bereits aufgebracht an der Rezeption, als Suzie zu ihr trat. »Nein, wir werden uns kein Zimmer teilen. Die Reservierung lautet auf zwei Einzelzimmer.«

Ein Herr im dunklen Anzug mit einem Namensschild am Revers, das ihn als Assistant Manager auswies, neigte respektvoll den Kopf zu ihr. »Wenn Sie mir einen Moment Zeit geben wollen, Lady Tedburn, ich werde das gleich beheben.« Sobald er Suzie neben Alexandra bemerkte, nickte er ihr zu. »Doktor Cartwright, nehme ich an. Willkommen im Ritz.«

Suzie war mächtig beeindruckt, weil sie mit ihrem akademischen Titel angesprochen wurde. Vermutlich hatte Lord Tedburn seine Privatsekretärin gebeten, die Zimmer zu buchen, und sie über Suzies Qualifikationen informiert. Sie fasste Mut. Ein Doktortitel war nicht so gut wie ein »Mylady«, aber besser als das schlichte »Miss« Cartwright. Sie nickte bestätigend und lächelte ihn an, Alexandra verzog dagegen keine Miene.

Während drei Rezeptionisten vor dem Computerbildschirm die Köpfe zusammensteckten, schaute Suzie sich erwartungsvoll um. In der Nähe stand ein untersetzter, kahlköpfiger Mann mittleren Alters mit einer umwerfend schönen jungen Frau zusammen. Er schien sich mit ihr auf Russisch zu unterhalten. War sie seine Tochter, seine Assistentin oder etwas anderes? Um nicht weiter in diese Richtung zu spekulieren, musterte Suzie nacheinander die leicht gewölbte Decke, die Stuckornamente, die Marmorsäulen und das tadellos gekleidete Personal. Dies war eine andere Welt.

Obwohl in einem Pfarrhaus aufgewachsen, war sie kein religiöser Mensch – wahrscheinlich weil sie solchen übermäßig ausgesetzt gewesen war –, doch sie hatte feste moralische Grundsätze, und so angenehm es für manche Leute sein mochte, sich von vorn bis hinten bedienen zu lassen, sie fand diesen Lebensstil nicht richtig. Jedenfalls solange ein erschreckend hoher Prozentsatz der Weltbevölkerung nicht wusste, wo er die nächste Mahlzeit hernehmen sollte.

Wohin sie auch blickte, sah sie opulenten Luxus, und dabei war dies erst Tag eins ihrer vierwöchigen Reise. Hoffentlich würde sie an einen Punkt gelangen, wo sie das alles nicht mehr befremdete. Andererseits dachte sie, sie sollte sich besser nicht daran gewöhnen, da solch ein Leben für sie selbst unerreichbar bleiben würde.

Nach ein paar Augenblicken war das Problem gelöst, und die Formalitäten waren erledigt. Suzie bedankte sich lächelnd, Alexandra kehrte dem Empfangspersonal kühl den Rücken zu, und eine schicke junge Angestellte, die laut Namensschildchen Anna hieß, geleitete sie zum Aufzug. Auf dem Weg nach oben erklärte sie, dass sie auf verschiedenen Etagen untergebracht seien, und führte zunächst Alexandra zu ihrem Zimmer im dritten Stock. Dort angelangt, drehte Alexandra sich zu Suzie um.

»Wir treffen uns um acht im Restaurant. Wenn wir gegessen haben, fahren wir mit dem Taxi zur Party. Ich möchte da nicht zu früh auflaufen.« Mit einer wegwerfenden Geste wandte sie sich ab. Angesichts ihres Tons stellten sich Suzie die Nackenhaare auf, aber sie biss sich auf die Zunge und nickte nur. Vielleicht würde ihre übellaunige Reisegefährtin mit der Zeit freundlicher werden. Zumindest hoffte sie das.

Am Abend sollte Alexandras Abschiedsparty mit einigen Freunden stattfinden. Lord Tedburn hatte darauf bestanden, dass Suzie auch eingeladen wurde, damit sie seine Tochter im Auge behalten konnte, und Suzie fürchtete sich schon davor. Alexandra machte mit ihrem Benehmen deutlich, dass sie sich durch sie gestört fühlte, und während der Fahrt nach London hatten sie kein Wort miteinander gesprochen. Suzie vermutete, dass diese Freunde nicht in Lord Tedburns Kategorie der »Unpassenden« fielen, und daher fragte sie sich, warum er ihre Anwesenheit für nötig hielt. Seine Tochter stellte sich offenbar die gleiche Frage.

Die Party sollte in einem Weinhaus in Knightsbridge stattfinden. Suzie machte sich keine Illusionen, was es kostete, solch ein Lokal anzumieten. Wahrscheinlich stammten die Freunde aus einem genauso privilegierten oder vielmehr überprivilegierten Elternhaus wie Alexandra. Seufzend betrat Suzie ihr Zimmer. Sie war nicht mehr ausgegangen, seit Rob sich vor einem Jahr aus ihrem Leben verabschiedet hatte, und freute sich nicht darauf, sich als einzige Fremde unter lauter Freunde zu mischen. Dass die außerdem in einer ganz anderen Welt lebten, trug zu ihrer Unlust bei.

Da sie nichts zu Mittag gegessen hatte, war sie um acht Uhr enorm hungrig. Das Dinner im Ritz hätte wunderbar sein können, wäre ihre Begleiterin nicht gewesen. Alexandra erschien in einem bemerkenswert festlichen schwarzen Abendkleid, dem man sofort ansah, dass es sündhaft teuer gewesen war. Was man ebenfalls sofort sah, war die Tatsache, dass Alexandra keinen BH trug, und der Ausschnitt reichte fast bis zum Bauchnabel.

Neben Alexandra kam sich Suzie in ihrem einzigen passablen Kleid definitiv ärmlich vor – wenn auch schnitttechnisch sicherer –, und der Blick, den sie von Alexandra erntete, bestätigte ihr Empfinden nur. Zwar bemerkte Alexandra nichts dazu, und tatsächlich redete sie während des Essens kaum ein Wort mit ihr, doch ihre Geringschätzung für das Outfit war offensichtlich.

Suzie versuchte ein paar Mal, sich mit ihr zu unterhalten, und musste ihr Beef Wellington mit Sellerie und Périgord-Trüffeln am Ende doch schweigend verzehren. Selbst die exquisite Weiße-Schokoladen-Kokos-Mousseline zauberte kein Lächeln auf das Gesicht ihres mürrischen Gegenübers, und Suzie war erleichtert, als sie vom Tisch aufstanden, um zu der Party zu fahren.

Schließlich lächelte Alexandra doch noch, nämlich als sie das Weinhaus erreichten. Drinnen war es rappelvoll und der Lärmpegel hoch. Kaum betrat Alexandra das Lokal, wurde es noch lauter, da sich von allen Seiten Freunde auf sie stürzten und sie mit Wangenküsschen überschwänglich begrüßten. Ein paar begrüßten sogar Suzie, aber da Alexandra sich nicht die Mühe machte, sie jemandem vorzustellen, stand Suzie kurz darauf allein da. Sie nahm sich ein Glas Sekt vom Tablett eines Kellners und setzte sich in eine Ecke, völlig zufrieden damit, das Treiben nur von Weitem zu beobachten.

Sie sollte nicht lange allein bleiben. Es waren kaum zwei Minuten vergangen, da tippte ihr jemand auf die Schulter, und als sie sich umdrehte und hochblickte, sah sie in das Gesicht eines großen Mannes mit kurzen blonden Haaren.

»Hallo. Du sitzt hier so allein. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich zu dir komme und mal Hallo sage.«

»Überhaupt nicht. Gehörst du zu Alexandras Freunden?« Sie betrachtete ihn näher. Er sah aus, als wäre er Ende zwanzig, also in ihrem Alter, und er war nicht nur groß, sondern auch unbestreitbar attraktiv. Sehr sogar. Als er sich zu ihr neigte, fiel auf, dass er auch enorm betrunken war.

»Wir sind alle mit Alex befreundet. Ich bin Tommy. Wer bist du?«

Die Komponenten des Alkoholcocktails in seinem Atem waren schwer zu bestimmen, aber hochgiftig. Mit solch einem Atem konnte man höchstwahrscheinlich Tapeten ablösen. Suzie wich einen Schritt zurück, stieß jedoch gegen die Wand und sah sich in der Ecke gefangen. Während sie den Kopf ein wenig zur Seite drehte und tief die unverpestete Luft einatmete, setzte sie ein Lächeln auf.

»Freut mich, dich kennenzulernen, Tommy. Ich bin Suzie.«

»Hi, Suzie.« Eingeengt wie sie war, konnte sie nicht ausweichen, als er sie auf die Wangen küsste, aber zum Glück wurde er nicht noch zudringlicher. Schwankend trat er einen Schritt zurück und sah ihr direkt in die Augen. »Du bist hinreißend.«

Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. In gesellschaftlichem Umgang war sie noch nie besonders selbstbewusst gewesen, und sie hatte auch wenig Erfahrung mit großen, attraktiven – und sturzbetrunkenen – Männern, die sie »hinreißend« nannten.

Suzie fing an, sich zentimeterweise aus der Ecke hinauszuschieben, um ihre Flucht vorzubereiten, doch bald wurde ihr klar, dass sie von Tommy wenig zu befürchten hatte. Er war derart blau, dass er taumelte und vermutlich über kurz oder lang umkippte. Trotz seines Zustands wirkte er recht freundlich, und sie wollte nicht, dass er sich wehtat. Daher machte sie einen praktischen Vorschlag, als sie einen unbesetzten Tisch entdeckte.

»Möchtest du dich vielleicht setzen, Tommy?«

»Gute Idee …«

Er drehte sich zu dem Tisch um, wobei er erfolglos versuchte, einen Rülpser zu unterdrücken, und stand leicht schwankend da. Skeptisch blickte er dorthin, als schätzte er ab, ob seine Beine in der Lage waren, ihn hinzutragen, oder ob der Tisch wie von Zauberhand zu ihm kommen würde. Sie erbarmte sich und nahm ihn beim Arm, um ihn hinzuführen. Schließlich konnte sie ihn auf einem Stuhl mit Seitenlehnen abladen.

Schwer seufzend sackte er darauf zusammen und schloss die Augen. Sie überlegte, ob sie ihn sich selbst überlassen oder sich auf den Platz gegenüber setzen sollte, als sie überrascht aufhorchte, weil jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um. Alexandra kam von der Theke auf sie zu, ein Glas Sekt in der Hand und ein unerwartetes Funkeln in den Augen. Es war das erste Mal, dass Suzie sie glücklich und entspannt erlebte, und damit hatte sie eine ganz andere Ausstrahlung.

»Wie ich sehe, hast du Tommy kennengelernt.« Sie gluckste. »Irgendwie glaube ich, dass es ihm morgen früh furchtbar gehen wird.«

Suzie lächelte sie an. »Er scheint ein netter Kerl zu sein, aber er ist sternhagelvoll.«

Alex nickte. »Er hat Geburtstag. Wahrscheinlich haben die Jungs seine Drinks aufgepeppt. Ich denke, er muss seinen Rausch ausschlafen.«

Beide schauten zu Tommy, und es war klar zu erkennen, dass er damit schon angefangen hatte. Seine Augen waren geschlossen, und er sah so friedlich aus wie ein sattes Baby. Dann überraschte Alexandra sie zum zweiten Mal.

»Komm, ich will dich ein paar Freunden vorstellen.«

Suzie staunte. »Natürlich. Sehr gern.« Als sie mit ihr den Tisch verließ, wagte sie eine direkte Frage. »Sind das in den Augen deines Vaters passende oder unpassende Freunde?«

Alexandra lächelte ironisch. »Passende, muss man wohl sagen.« Dann senkte sie die Stimme. »Mein Vater kennt wahrscheinlich von allen die Eltern, und die, auf die das nicht zutrifft, sind Freunde, die von meinem großen Bruder genehmigt wurden.« Ihr Lächeln wurde grimmig. »Handverlesen, extra für mich.«

Inzwischen kamen sie zu einem Pulk von zehn oder zwölf jungen Leuten. Die Männer trugen die verschiedensten Kombinationen von Jeans und T-Shirt bis zum Straßenanzug; die Frauen hatten sich nach allen Regeln der Kunst aufgebrezelt, und zwei oder drei zeigten tatsächlich noch mehr Haut als Alexandra.

Suzie fand sich kurz darauf mitten in der Runde wieder. Alexandra stellte sie als »meine Freundin aus Devon« vor. Natürlich wollte sie nicht ausposaunen, dass ihr Vater für sie eine Aufpasserin engagiert hatte. Suzie verstand das. Lächelnd schüttelte sie ein paar Hände und bekam sogar einige Wangenküsse, und das nicht nur von Männern.

Der Abend wurde nicht so schrecklich wie erwartet, und Alexandras Sinneswandel war ebenso verblüffend wie willkommen. Die neu entdeckte gute Laune hielt den ganzen Abend an. Erst gegen Ende wurde sie getrübt. Es war kurz vor Mitternacht, und Tommy war zu Suzies Verblüffung noch mal in Schwung gekommen, sodass er pausenlos an ihrer Seite blieb wie ein Schoßhündchen. Er hechelte ihr seine Alkoholfahne ins Gesicht und sagte immer wieder, wie hinreißend sie aussah.

Die Komplimente hätten mehr Gewicht gehabt, wenn sein benebelter Verstand auch mal ein anderes Adjektiv ausgespuckt hätte. Am Ende war sie das ständige »hinreißend« derart leid, dass sie sich entschuldigte und eine Auszeit auf der Damentoilette nahm. Während sie sich dort im Spiegel betrachtete und ihr durch den Kopf ging, dass es höchste Zeit war, ihr frisch verdientes Geld für einen Friseurbesuch auszugeben, wurde die Tür geöffnet, und Alexandra kam hereingestampft. Oder jedenfalls gab sie sich Mühe, mit ihren High Heels zu stampfen.

»Hey, was ist los?«

Alexandra stöhnte. »Nur das Leben …«

»Möchtest du über etwas reden?«

Nach kurzem Zögern schüttelte Alexandra den Kopf, und der vertraute mürrische Gesichtsausdruck kehrte zurück.

»Nein.« Noch einmal hielt sie inne und machte Suzie eine Freude, indem sie ein Wort hinzufügte: »Danke.«

Noch kein Durchbruch, dachte Suzie, aber ein klares Zeichen, dass die Eisprinzessin auftaut.

3

Am späten Nachmittag des folgenden Tages landeten sie auf dem Marco-Polo-Flughafen Venedig. Als die Maschine über das ruhige graugrüne Wasser der Lagune flog, schaute Suzie fasziniert aus dem Fenster. Die Stadt war klar zu erkennen, und sie konnte den Canal Grande, den Markusplatz und den Lido, die lange, schmale Insel zwischen der Lagune und der Adria, mühelos ausmachen.

Alexandra, die neben ihr saß, warf nur ab und zu einen Blick hinaus und kehrte wieder in dieselbe mürrische Haltung zurück, die sie schon den ganzen Tag zur Schau stellte. Während des Fluges hatte Suzie sie einmal gefragt, was am Ende der Party vorgefallen sei, hatte aber nur frostiges Schweigen geerntet und nach dem einen Versuch aufgegeben. Hoffentlich würde Alexandra in bessere Stimmung kommen, wenn sie erst mal italienische Luft geschnuppert hatte! Sie selbst dagegen empfand eine wachsende Vorfreude, denn sie würde zum ersten Mal Venedig und danach ihr lang ersehntes Verona sehen.

Ein auf Hochglanz poliertes Wassertaxi brachte sie vom Flughafen zum Hotel. Das lag mitten im Zentrum am Canal Grande, und soweit Suzie wusste, war es international berühmt, weil da lauter Prominente logierten, vom Hollywood-Adel bis zum echten Adel. Und nun würde auch Suzanne Cartwright aus dem tiefsten Devonshire dort übernachten.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto unwirklicher erschien es ihr. Ihr Zimmer lag neben Alexandras und bot eine Aussicht über das Wasser zur gegenüberliegenden Insel und zum Turm von San Giorgio Maggiore. Die untergehende Sonne überzog den Himmel mit einem zarten Rosa. Als der Portier, der ihren Koffer heraufgebracht hatte, die Tür hinter sich zuzog, ging Suzie ans Fenster und betrachtete das Panorama. Das war zweifellos ein höchst romantischer Ort, wie geschaffen für Liebespaare.

In ihrem Leben allerdings glänzte die Liebe bisher durch Abwesenheit. Während des Studiums und auch danach hatte sie ab und zu einen Freund gehabt, aber da sie von Natur aus zurückhaltend war und sich aufs Lernen und später auf die Arbeit konzentriert hatte, waren gesellige Kontakte auf ein Minimum beschränkt gewesen.

Die einzige Beziehung von Dauer war die mit Rob, dem einzigen Mann, für den sie echte Zuneigung empfunden hatte, doch die war abrupt zu Ende gegangen, als man ihm in Kanada eine Stelle angeboten hatte. Er hatte sie nicht gefragt, ob sie mitkommen wollte, und sie hatte es ihrerseits nicht angeboten. So war ihre Beziehung einen plötzlichen Tod gestorben. Das war im vergangenen Jahr zu Ostern gewesen, und Suzie hatte eine Weile gebraucht, um über ihn hinwegzukommen. Sie könnte nicht behaupten, dass er ihr das Herz gebrochen hatte – so tief waren ihre Gefühle dann doch nicht gegangen –, trotzdem war es hart gewesen.

Alexandra und sie hatten sich für sieben Uhr an der Hotelbar verabredet, und Suzie stellte überrascht fest, dass Alexandra schon da war. Sie unterhielt sich angeregt mit einem dunkelhaarigen Italiener – einem öligen, glattzüngigen Latin Lover in elegantem Anzug, der Alexandra lüstern ansah. Überzeugt, dass der erste Eindruck selten trog, fasste Suzie eine spontane Abneigung. Er musste mindestens zehn Jahre älter sein als Alexandra, und Suzie fand ihn widerlich. Alexandra war offenbar von ihm angetan. Sogar sehr.

Obwohl Suzie ihre Überredungskünste einsetzte, lehnte Alexandra es rundheraus ab, mit ihr im Hotelrestaurant zu Abend zu essen, und stolzierte am Arm des Italieners hinaus, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Suzie konnte nur hoffen, dass sie nichts Dummes tat. So nahm sie allein eine leichte Mahlzeit zu sich und kehrte auf ihr Zimmer zurück.

Am nächsten Morgen frühstückten sie gemeinsam auf der spektakulären Terrasse, von der man über die Dächer und Kanäle der Stadt blickte. Suzie tat ihr Bestes, um Alexandra vor dem Mann zu warnen, und bekam schließlich den Eindruck, dass sie zu ihr durchdrang.

Umso größer war ihre Enttäuschung, als sie sie am Abend mit demselben Italiener händchenhaltend in der Bar sitzen sah. Das war eindeutig ein romantisches Tête-à-Tête. Suzie ging hin und setzte sich zu ihnen, in der Hoffnung, ihre Anwesenheit würde die Atmosphäre zwischen den beiden abkühlen. Leider bewirkte ihre Störung lediglich eine unschöne Szene mit ein paar harschen Worten von Alexandra, nach der sie und ihr Italiener aufstanden und gingen.

Suzie verbrachte einen weiteren einsamen Abend und eine unruhige Nacht, in der sie mit ihrem Gewissen rang. Am nächsten Tag appellierte sie noch einmal an Alexandras Vernunft. Als auch das nichts bewirkte, blieb ihr keine andere Wahl: Sie musste Lord Tedburn informieren, dass seine Tochter sich augenscheinlich mit einem unpassenden Mann einließ. Schweren Herzens sandte sie die Nachricht ab, doch sie fand tatsächlich, dass an dem Kerl etwas faul war. Wenn er ihr sympathisch gewesen wäre, hätte sie vielleicht Alexandra einen Vertrauensbonus gewährt und auf eine E-Mail an ihren Vater verzichtet, aber nicht in diesem Fall.

Auf ihre Textnachricht folgte ein Anruf, nicht von Lord Tedburn selbst, sondern von Alexandras Bruder Rafe. Als sie den Anrufer erkannte, durchlief sie ein Schauder. Als Teenager war sie in ihn verknallt gewesen, seit sie ihn bei einem Gottesdienst in der Kirche ihres Vaters gesehen hatte.

Natürlich war ihr Gefühl, wie so oft bei ihr, unerwidert geblieben, nicht zuletzt weil er gar nicht geahnt hatte, dass es sie gab. Abgesehen von seiner hohen Stellung als künftiger Herr des Familiensitzes war er mindestens drei oder vier Jahre älter als sie und an der chronisch schüchternen Pfarrerstochter mit der Brille und der Zahnspange nicht im Geringsten interessiert. Nun hatte sie ihn seit Jahren nicht gesehen und fand es sonderbar, plötzlich seine Stimme zu hören.

»Suzanne, wir haben Ihre Nachricht erhalten.« Er klang ernst und definitiv verärgert. »Vater und ich haben das besprochen. Ich werde mich morgen in ein Flugzeug setzen, um mit Alexandra zu reden. Vater ist aufgebracht.«

Er selbst klang nicht weniger wütend, und Suzie verspürte einen Anflug von Mitgefühl für seine Schwester. »Bitte seien Sie nicht zu streng mit ihr. Ich war verpflichtet, es Ihrem Vater mitzuteilen, aber sie hat den Mann gerade erst kennengelernt. Vielleicht wird auch gar nichts daraus.«

»Vater wird entschlossen dafür sorgen, dass nichts daraus wird.« Sein Ärger war nicht zu überhören. »Nun erzählen Sie mir alles, was Sie über den Mann wissen.«

Suzie seufzte und tat, was er verlangte. »Er ist Italiener, heißt Carlo Moretti. Er sagt, er lebt in Parma und hat eine Firma, die hochwertige Handtaschen, Gürtel und dergleichen herstellt. Angeblich ist er dreiunddreißig, aber meiner Ansicht nach kann man zehn Jahre draufrechnen.« Sie überlegte, welche Details sie noch über ihn erfahren hatte. »Sie sind sich gestern Abend in der Bar unseres Hotels begegnet, doch er hat hier kein Zimmer. Ich fürchte, mehr weiß nicht.«

»Gut. Ich schreibe Ihnen, sobald ich meine Ankunftszeit weiß. Richten Sie Alexandra aus, dass sie den Mann nicht wiedersehen darf, bis ich bei Ihnen bin.«

Und das war natürlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Alexandra bekam beim Abendessen einen Wutanfall und schüttete ihr den Prosecco ins Gesicht.

Dennoch, trotz Ausraster und Beleidigungen, fühlte Suzie mit ihr. Vielleicht wollte sie sich mit den extravaganten Kleidern und Aufenthalten in Fünf-Sterne-Hotels nur für ihr Unglück entschädigen. Und da sie noch als Kind ihre Mutter verloren hatte, waren die vielen »unpassenden« Männer in ihrem Leben sehr wahrscheinlich der Versuch, Zuneigung zu finden. Ein Psychologe würde zweifellos alles Mögliche aus der Tatsache herauslesen, dass dieser Mann, mit dem sie sich gerade einließ, so viel älter war als sie. Alexandra tat ihr leid, weil sie in ihrem Leben alles bekam, was man sich wünschen konnte, außer Liebe.

Am nächsten Vormittag ging Suzie allein in Venedig spazieren und bestaunte ein architektonisches Juwel nach dem anderen. Erst zur Mittagszeit erhielt sie eine Nachricht von Alexandra.

Komm um eins ins Foyer. Ich muss mit dir reden. A.

Um zehn vor eins begab sich Suzie ins Hotelfoyer und musste zwanzig Minuten warten, bis sie Alexandra aus dem Aufzug kommen sah. Heute trug sie ein winziges, freizügiges Sommerkleid – noch eines aus ihrer offenbar unerschöpflichen Sammlung von Designerklamotten –, und der ältere Mann, der hinter ihr den Fahrstuhl verließ, machte Stielaugen. Seine grauhaarige Gattin missbilligte das sichtlich. Als sich die Aufzugtüren leise hinter ihnen schlossen, hakte sie sich bei ihrem Mann unter und schob ihn auf diese Weise zum Ausgang. Ohne wahrzunehmen, was ihre Aufmachung bei anderen hervorrief, kam Alexandra auf Suzie zu, die sich neben eine große Topfpflanze gestellt hatte.

»Du hast wahrscheinlich gehört, dass mein Bruder heute Abend herkommt?« Kein Wort zur Begrüßung, doch das überraschte Suzie nicht. »Das ist nur deine Schuld!«

Suzie musste dem zustimmen, fand jedoch, sie sollte etwas klarstellen. »Was hätte ich anderes tun sollen? Ich musste das deinem Vater sagen. Dafür bezahlt er mich schließlich, und ich habe es ihm versprochen. Du wusstest das. Und ich habe dich zweimal gewarnt, ehe ich ihn angerufen habe.«

Sie redete rasch weiter, um einer wütenden Entgegnung zuvorzukommen. »Versetz dich doch mal in meine Lage, Alexandra. Er hat mich eigens angestellt, damit ich auf dich achtgebe, und er bestand ganz besonders darauf, informiert zu werden, wenn du dich mit unpassenden Männern abgibst. Du hast ihn das selbst sagen hören.« Suzie holte tief Luft. »Und um ganz ehrlich zu sein, ich finde Carlo unpassend. Bei einem anderen hätte ich vielleicht nichts unternommen, aber es tut mir leid: Er hat etwas an sich, was mich misstrauisch macht.«

Alexandra wurde weder laut noch aggressiv. Stattdessen sah sie zu Boden und sagte eine volle Minute lang kein Wort. Als sie dann aufblickte, hatte sie Tränen in den Augen. »Hast du schon etwas gegessen, Suzie?«

Verblüfft über ihren sanften Ton schüttelte Suzie den Kopf, und Alexandra deutete zur Bar hinüber.

»Wollen wir mal sehen, ob es dort Sandwiches gibt? Wie ich Rafe kenne, wird er heute Abend ein großes Essen mit allem Drum und Dran haben wollen. Doch ich habe seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und kippe gleich um, wenn ich nichts in den Magen bekomme.«

Suzie war einverstanden und folgte ihr durchs Foyer. Die elegante Bar war fast leer, und sie setzten sich zusammen auf ein Ledersofa, weit weg von anderen Tischen. Kaum hatten sie Platz genommen, kam ein Kellner, und Suzie erkannte ihn wieder. Es war derselbe, der ihr im Restaurant die Serviette gebracht hatte, damit sie sich das Gesicht trocken wischen konnte. Falls er überrascht war, sie so friedlich zusammen zu sehen, so ließ er sich das nicht anmerken.

Alexandra bestellte sich Schinken-Käse-Sandwiches und eine Flasche Mineralwasser, und Suzie folgte ihrem Beispiel, um sich dann still zurückzulehnen und zu warten, bis ihre Gefährtin zu reden begann.

»Es tut mir leid, dass ich dir den Prosecco ins Gesicht gekippt habe. Das ist unentschuldbar.« Alexandra schien das ernst zu meinen. »Ich war nur furchtbar wütend, aber nicht deinetwegen. Sondern wegen allem.«

Suzie glaubte nicht, dass Alexandra sich oft entschuldigte, und deshalb war sie bereit, den Vorfall mit einem Schulterzucken abzuhaken.

»Mach dir deswegen keine Gedanken. Es war sowieso nur Weißwein. Der ließ sich gut rauswaschen.« Sie zögerte. »Aber sag mal, was wird denn passieren, wenn dein Bruder hier ist? Wird er ausrasten?«

»Wahrscheinlich nicht. Das ist das Vorrecht meines Vaters. Doch er wird auch nicht gerade freundlich sein.« Sie schaute eher bekümmert als wütend drein – fürs Erste. »Ich weiß, dass du meinen Vater wegen Carlo anrufen musstest. Das hat er vor unserer Abreise ganz klar von dir verlangt. Die Sache ist die …« Sie stockte und holte ein paar Mal tief Luft, wobei sich das altbekannte zornige Funkeln wieder zeigte. »Ich bin jetzt fünfundzwanzig, meine Güte, bald schon sechsundzwanzig. Warum muss mein Vater mich unbedingt wie ein Kind behandeln? Ich bin erwachsen.«

Alexandra redete allmählich lauter und klang dabei schriller, sodass sich ein paar Gäste nach ihr umdrehten. Suzie lächelte ihr verständnisvoll zu. Erleichtert und überrascht stellte sie fest, dass das etwas nützte, denn Alexandra senkte die Stimme auf normale Lautstärke. »Dein Vater schreibt dir bestimmt nicht vor, mit wem du ausgehen darfst.«