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Als Bee Kingdom in einem Krankenhaus in der Toskana aufwacht, ist ihr Unfall während einer Filmproduktion nur noch eine ferne Erinnerung. Das Angebot der Firma, sich in einer wunderschönen Villa auszukurieren, erscheint ihr verheißungsvoll. Die mediterrane Blütenpracht, die Olivenhaine und das köstliche Essen wirken Wunder. Wie auch die Begegnungen mit dem geheimnisvollen Luca, der mit seinem drolligen Hund Romeo ebenfalls auf dem weitläufigen Gelände wohnt. Am Ende eines magischen Sommers muss Bee die Entscheidung ihres Lebens treffen.
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Seitenzahl: 377
Als Bee Kingdom in einem Krankenhaus in der Toskana aufwacht, ist ihr Unfall während einer Filmproduktion nur noch eine ferne Erinnerung. Das Angebot der Firma, sich in einer wunderschönen Villa auszukurieren, erscheint ihr verheißungsvoll. Die mediterrane Blütenpracht, die Olivenhaine und das köstliche Essen wirken Wunder. Wie auch die Begegnungen mit dem geheimnisvollen Luca, der mit seinem drolligen Hund Romeo ebenfalls auf dem weitläufigen Gelände wohnt. Am Ende eines magischen Sommers muss Bee die Entscheidung ihres Lebens treffen.
T. A. Williams wurde in England geboren und absolvierte ein Studium der Modernen Sprachen an der Nottingham University. Er ist Autor mehrerer romantischer Beziehungskomödien und hat in der Schweiz, in Frankreich und Italien gelebt und gearbeitet. Gemeinsam mit seiner italienischen Ehefrau lebt er in Devon. Eine Sommerliebe in der Toskana ist sein erster Roman, der auf Deutsch erscheint.
T. A. Williams
Roman
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © T. A. Williams, 2019
Titel der englischen Originalausgabe: »Dreaming of Tuscany«
Originalverlag: Canelo Digital Publishing Limited, London
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch Johnson & Alcock Ltd., London
Titelillustration: © irin-k/Shutterstock; Olesia Bilkei/Shutterstock; Julian Elliott Photography/GettyImages; Stock Foto.Touch/Shutterstock; © Olena Hromova/Alamy Stock Photo;© Julian Elliott Photography/GettyImages
Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO München
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0402-1
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Wie immer für Mariangela und Christina
In Liebe
»Beatrice, können Sie mich hören?«
Bee vernahm die Stimme wie durch einen dicken Vorhang. Eine warme Hand fasste ihr an den Unterarm, und die Stimme sprach sie erneut an. Sie gehörte einem Mann, und er klang freundlich.
»Beatrice, können Sie mich hören? Ich bin Doktor Bianchi. Sie sind im Krankenhaus von Siena.« Sein Englisch war gut. Er klang wie ein Italiener, der eine Zeit lang in Amerika gelebt hatte.
Krankenhaus? Als die Bedeutung seiner Worte zu ihr durchdrang, überlegte sie angestrengt, wie sie dorthin gelangt sein konnte, aber es blieb ihr ein Rätsel.
»Ja, ich höre Sie.« Die eigene Stimme kam ihr fremd vor. Sie schüttelte den Kopf, um ihren Verstand in Gang zu bringen, und zuckte vor Schmerzen zusammen. Sehr vorsichtig krümmte sie die Finger und Zehen. Schon ein wenig beruhigt, streckte sie die Arme und dann die Beine. Dabei schoss ihr ein scharfer Schmerz in den linken Oberschenkel und den Rücken. »Autsch.«
»Ich fürchte, Sie haben einiges abbekommen, aber das wird wieder. Am Oberschenkel haben Sie einen großen Bluterguss, gebrochen ist nichts.«
Bee hob den freien Arm und befühlte ihr Gesicht und den dicken Verband. Dann erst öffnete sie die Augen. Sie musste einige Male blinzeln, bis sie begriff, dass alles schwarz blieb. Eine panische Angst erfasste sie, und sie kämpfte dagegen an wie noch nie in ihrem Leben.
»Ich kann nichts sehen.« Sie klang noch sehr schwach, aber der Schrecken war ihr anzuhören.
»Das hat seine Richtigkeit, Beatrice. Sehr bald schon können wir Ihnen den Verband von den Augen nehmen. Ihre Sehkraft sollte völlig intakt sein.«
Ihre Erleichterung war unermesslich. Sie stieß einen langen Seufzer aus und merkte, dass ihr Körper sich entspannte. Bee strich sich über den Kopf und wusste zuerst nicht, was sie da fühlte. Es dauerte tatsächlich mehrere Augenblicke, bis ihr benommener Verstand zu der Erkenntnis kam, dass ihre schönen langen Haare verschwunden waren. Was hatte das zu bedeuten?
»Meine Haare? Was ist damit passiert?«
Sie ertastete Stoppeln und einen Verband.
Der Arzt drückte ihr ermutigend das Handgelenk.
»Keine Sorge, die wachsen wieder. Sie haben bei dem Unfall einen Schlag auf den Kopf bekommen und mehrere Schnitt- und Schürfwunden davongetragen. Ihre Haare sind bei der Explosion versengt worden. Die übrigen mussten wir wegrasieren, damit wir die Wunde nähen konnten. Außer der großen haben Sie etliche kleine, die aber nicht allzu schlimm sind. Ihre Haare werden die Narben bald überdecken, und es geht Ihnen wieder gut.«
Explosion? Eine Bombe? War sie Opfer eines Terroranschlags geworden? Bee schüttelte frustriert den Kopf. Wenn sie sich nur erinnern könnte …
»Beatrice, gibt es jemanden, den Sie anrufen möchten? Freunde? Familie? Wir haben Ihre Mutter erreichen können. Ich habe persönlich mit ihr gesprochen und sie beruhigt. Ich war überrascht zu hören, dass sie Italienerin ist.« Er wechselte ins Italienische. »Heißt das, Sie sprechen auch Italienisch? Ich würde mich nämlich lieber in meiner Muttersprache unterhalten.«
Bee konnte ohne Schwierigkeiten auf Italienisch antworten, wie sie feststellte, und nahm das als gutes Zeichen, dass sie keinen Hirnschaden erlitten hatte. »Ich würde gern bei Englisch bleiben, wenn es Ihnen recht ist. Ich spreche zwar Italienisch, bin mir aber nicht sicher, wenn es um medizinische Ausdrücke geht.« Sie wechselte wieder ins Englische. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mit meiner Mutter telefoniert haben. Vielen Dank, Doktor …?«
»Bianchi. Dario Bianchi. Ich arbeite auf der Unfallstation des Krankenhauses von Siena.«
Bee lehnte den Kopf ins Kissen, und als sie sich entspannte, ließ ihre Benommenheit allmählich nach, und sie fing an, sich zu erinnern. »Siena, sagen Sie? Ich habe in Siena gearbeitet.« Sie konzentrierte sich sehr, und plötzlich kam ein Schwall von Erinnerungen zurück. »Für eine Filmgesellschaft.«
»Das stimmt. Stimmt genau.« Der Arzt klang erfreut und vielleicht auch ein bisschen erleichtert. »Sie waren am Set eines Films, der hier gedreht wird. Wissen Sie noch, was passiert ist?«
Bee dachte angestrengt zurück. Ihr fiel der Name des Films ein und der des Hotels, in dem die Crew und sie untergebracht waren, aber sie wusste nicht mehr, was ihr passiert war. Sosehr sie sich bemühte, der Unfall blieb für sie im Dunkeln.
»Mal sehen. Der Film, den wir drehen, heißt Der dunkle Prinz. Ein Monumentalfilm, der im Mittelalter spielt. Ich wurde als historische Beraterin engagiert. Ich bin seit zwei Monaten in Siena, und der Dreh steht kurz vor dem Abschluss.« Sie schnaubte frustriert. »All das weiß ich noch, aber was den Unfall angeht, habe ich einen Blackout. Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin.«
»Machen Sie sich keine Gedanken, Beatrice. Sie werden sich mit der Zeit erinnern. Der Unfall ist am Set passiert. Es heißt, dass ein Beleuchtungsgerüst auf Sie gestürzt ist und die Lampen explodierten, sodass Sie von fliegenden Scherben getroffen wurden.«
Was er schilderte, löste bei ihr keinerlei Erinnerung aus. »Wurde noch jemand verletzt?«
»Ich fürchte, ja. Mimi Robertson. Sie hat aber mehr Glück gehabt als Sie. Sie wurde nicht am Kopf getroffen, und ihre Schnittwunden waren nicht so ernst.«
»Ach du je.« Mimi Robertson war die berühmteste britische Schauspielerin ihrer Generation und auch in Hollywood eine Größe. Sie spielte in dem Film die weibliche Hauptrolle, und Bee war ihr zu Drehbeginn vor einigen Wochen vorgestellt worden. Seitdem hatten sie aber kaum mehr als ein paar Worte miteinander gewechselt. Die strahlende Schönheit blieb die meiste Zeit für sich, und Bee war ihr klugerweise aus dem Weg gegangen. Denn die anderen Mitglieder der Crew hatten sie gewarnt, sie solle nicht überrascht sein, wenn Mimi – Miss Robertson, wie sie lieber genannt werden wollte – sie ignorierte. Offenbar war sie eine schwierige Persönlichkeit und galt als kühl und unnahbar.
Allerdings war sie auch ein Kassenmagnet.
Bee entspannte sich abermals, erleichtert, weil ihr Gedächtnis sie nicht ganz im Stich ließ. Doch der Gedanke an den Verlust ihrer schönen langen Haare trieb ihr Tränen in die Augen. Ihr Oberschenkel schmerzte stark und brachte sie zu der Frage, ob sich die vielen Verletzungen auf ihr weiteres Leben auswirken würden. Während sie die aufsteigende Panik mit aller Macht niederrang, dachte sie noch einmal an Mimi Robertson. Wie kam sie wohl mit ihren Verletzungen zurecht? Schließlich war die äußere Erscheinung für Filmstars ihres Kalibers enorm wichtig.
Dann fiel ihr ein anderer Name ein: Jamie. Kurz überlegte sie, den Arzt zu bitten, ihn ebenfalls anzurufen und ihm mitzuteilen, dass es ihr gut gehe. Doch dann verwarf sie die Idee wieder. Das mit Jamie war aus und vorbei. Schon vor Monaten hatten sie sich getrennt, und sie erinnerte sich problemlos an die letzte ärgerliche Woche vor der Trennung. Leider. Es wäre ein Segen, wenn ihr Gedächtnis in dem Fall versagte.
Sie war froh, dass ihr Verstand inzwischen besser funktionierte, auch wenn die Ereignisse des Unglückstages am Filmset noch im Dunkeln lagen. Da fiel ihr etwas ein. »Doktor Bianchi, falls Sie Zeit haben, könnten Sie vielleicht jemanden bitten, den Kollegen bei Pan World Bescheid zu sagen, dass ich wach bin.«
»Das ist bereits geschehen. Ich glaube sogar, da war schon jemand, der Sie besuchen will. Die Dame ist im Lauf der Woche immer wieder hergekommen.«
»Im Lauf der Woche …? Wie lange liege ich denn schon hier?«
»Seit fünf Tagen. Wir haben Sie ins Koma versetzt, wegen einer Hirnschwellung, die uns Sorgen machte. Aber erfreulicherweise kann ich Ihnen mitteilen, dass sie vollständig zurückgegangen ist.«
»Fünf Tage? Also haben wir heute …?« Bee war von Neuem durcheinander. »Freitag? Samstag?«
»Samstag. Am Montagmorgen wurden Sie eingeliefert.«
»Und die Hirnschwellung?« Sie tat ihr Bestes, damit ihre Stimme nicht schwankte. »Das hört sich schlimm an.«
»Es hätte ernst werden können, Beatrice, aber Sie brauchen sich deswegen keine Sorgen mehr zu machen. Soweit wir sagen können, haben Sie keinen bleibenden Schaden erlitten.«
»Soweit Sie sagen können?« Der Verlust ihrer Haare erschien ihr auf einmal ganz unwichtig. Wieder musste sie gegen Ängste ankämpfen. Besser, sie lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema.
»Und Miss Robertson? Ist sie auch noch im Krankenhaus?«
»Nein, sie wurde sehr schnell entlassen. Aber wie gesagt, gleich wird eine Ihrer Kolleginnen Sie besuchen. Sie wird Ihnen Genaueres erzählen können. Vorher wollen wir Ihnen noch den Verband von den Augen nehmen und die Visite des Chefarztes abwarten. Nun ruhen Sie sich ein wenig aus. Alles kommt wieder in Ordnung.«
»Danke, Doktor Bianchi.«
»Gern geschehen. Ich gehe jetzt, aber Sie sind nicht allein. Die Schwester ist gerade gekommen und wird hierbleiben, bis der Augenverband entfernt wird.«
Bee hörte ihn leise mit jemandem sprechen, dann Schritte, die sich entfernten, und erst einmal fühlte sie sich sehr allein in ihrer Dunkelheit. Kurz darauf nahm jemand ihre Hand. Es war eine warme, sanfte Berührung, die sie an ihre Mutter erinnerte. Bee griff nach den Fingern und drückte sie, wie sie es früher als kleines Mädchen getan hatte. Das wirkte sehr tröstlich auf sie.
»Hallo. Ich heiße Rosa. Ich bleibe jetzt bei Ihnen. Sie können ganz ruhig sein.« Die Stimme war so warm wie die Hand. Die Krankenschwester sprach Italienisch mit ihr, aber langsam und deutlich, weil sie wohl unsicher war, ob Bee alles verstand.
Bei dieser simplen, freundlichen Geste brachen Bees Dämme. Sie fing an zu schluchzen wie ein kleines Kind, so erleichtert war sie, und zugleich hatte sie Angst um ihre Zukunft.
Rosa strich ihr über die unverbundene Wange, bis die Tränen nachließen. Das dauerte ein Weilchen, aber Bee fand schließlich die Kraft zu sprechen und legte sich ihre Sätze vorher zurecht.
»Vielen, vielen Dank, Rosa, Sie sind sehr nett! Wahrscheinlich kennen Sie das schon. Tut mir leid, dass der Verband jetzt nass ist.« Sie war froh, dass ihre Stimme normal klang und ihr Italienisch recht fließend kam. Ihre Mutter hatte früher immer Italienisch mit ihr gesprochen, obwohl Bee in London geboren und aufgewachsen war, und nach zwei Monaten in der Toskana waren Gespräche für sie nicht mehr allzu schwierig gewesen.
»Keine Sorge, Beatrice, lassen Sie es raus. Sie haben ein furchtbares Erlebnis hinter sich. Aber hier sind Sie in kompetenten Händen, und es wird Ihnen bald wieder gut gehen.« Nach kurzem Schweigen wechselte die Krankenschwester das Thema, wofür Bee ihr dankbar war. Zunächst jedenfalls. »Wird jemand von Ihren Freunden von zu Hause oder von Ihrer Familie Sie besuchen kommen?«
Bee schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Meine Eltern leben in England. Meine Mutter hat ein Problem mit den Ohren und darf nicht fliegen, und für eine Autofahrt ist es viel zu weit.«
»Gibt es keinen Mann in Ihrem Leben? Einen Verlobten oder einen Ehemann?«
»Nichts dergleichen. Ich hatte einen Freund, aber das ist vorbei. Wir haben uns vor ein paar Monaten getrennt.«
»Das tut mir leid. Haben Sie sich gestritten?«
»Nein, nicht sonderlich. In der letzten Zeit allerdings öfter wegen Kleinigkeiten. Doch wir haben wohl beide erkannt, dass es mit uns nicht weitergehen kann. Zumindest habe ich das so empfunden.« Sie holte tief Luft und versuchte zu überspielen, wie traurig es sie stimmte, dass sich vier Jahre mit James in nichts aufgelöst hatten. »Sich zu trennen war das einzig Vernünftige. Trotzdem ist das für mich ein hartes Jahr gewesen.«
»Machen Sie sich nichts daraus. Sie sind eine sehr hübsche junge Frau. Sie werden bald einen anderen finden.«
Einen Mann wollte Bee in absehbarer Zeit ganz sicher nicht. Erneut betastete sie ihr Gesicht und die Verbände. »Rosa, soll der Verband nur meine Augen schützen, oder wurde ich im Gesicht verletzt?«
»Ich fürchte, Sie haben bei der Explosion einige Scherben abbekommen. Die linke Gesichtshälfte und das linke Ohr waren am schlimmsten betroffen, auch die Kopfhaut oben.«
»Ist es sehr schlimm?« Bees Gedanken rasten.
»Wie ich gehört habe, sind Augenlicht und Gehör nicht beeinträchtigt, doch die Haut an der Wange. Die wird wahrscheinlich ihre Zeit brauchen.«
»Aber dann ist alles wieder in Ordnung?«
»Darüber sprechen Sie am besten mit dem Arzt, Beatrice. Ich weiß das wirklich nicht.«
»Werde ich da für immer Narben zurückbehalten, Rosa?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Beatrice, doch heutzutage können die Ärzte erstaunliche Dinge vollbringen. Sie werden sehen – unsere Chirurgen sind die allerbesten.«
»Oh Gott …«
»Machen Sie sich keine Gedanken, Liebes. Alles wird gut.«
Eine Stunde später wurde ihr der Augenverband entfernt. Das Licht war gedimmt, die Vorhänge waren zugezogen worden, und zuerst sah Bee nur verschwommene Umrisse. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen ans Sehen, und sie konnte alles wieder scharf erkennen. Sie war immens erleichtert. Zwei Ärzte und eine Krankenschwester standen um ihr Bett herum.
»Miss Kingdom … Beatrice, ich bin Doktor Esposito, und das ist mein Kollege Doktor Bianchi.« Er sprach zunächst langsam und wurde zunehmend schneller, sobald er merkte, dass sie ihn verstand. Die Krankenschwester stellte er nicht vor, doch das warmherzige Lächeln sagte Bee, dass sie Rosa sein musste, und sie lächelte zurück, obwohl das durch den Gesichtsverband höchstens halb zu sehen sein konnte.
»Hallo. Danke, dass Sie sich so gut um mich gekümmert haben.«
»Sehr gern. Wir haben nur selten Patienten aus Hollywood bei uns.« Er wiederholte, was Dr. Bianchi ihr schon berichtet hatte, aber Bee beschloss, ihm nicht zu verraten, dass sie noch nie in den Vereinigten Staaten und schon gar nicht in Hollywood gewesen war. »Wir sind alle hocherfreut, dass Sie überlebt haben. Wir waren zunächst ein wenig beunruhigt, doch jetzt machen Sie gute Fortschritte.« Dr. Esposito trat näher und beugte sich über ihr Gesicht. »Können Sie mich klar sehen? Wie viele Finger sind das?«
»Finger? Drei. Ja, ich sehe Sie ganz klar, danke. Und ich höre Sie auch sehr gut, obwohl es in meinen Ohren oft rauscht und pfeift.«
»Die Ohrgeräusche sind kein Grund zur Sorge. Nach solchen Verletzungen war das zu erwarten. Sie werden sich mit der Zeit verlieren, doch ein paar Tage kann es noch dauern.«
Bee nickte beruhigt. »Aber was ist mit meinem Gesicht?«
Die beiden Ärzte wechselten einen Blick, und es war Dr. Bianchi, der antwortete. Hinter ihm gab Dr. Esposito der Krankenschwester ein Zeichen, die daraufhin zum Fenster ging und die Vorhänge öffnete. Das Tageslicht strömte herein, und Bee blinzelte erfreut, weil sie alles scharf sehen konnte.
»Nur die linke Gesichts- und Kopfhälfte sind betroffen. Das Ohr und der Hals waren teils durch die Haare geschützt, aber Kopfhaut und Wange haben Verbrennungen und viele Schnittwunden durch Splitter erlitten, fürchte ich.«
»Werde ich zeit meines Lebens Narben haben?« Bee staunte, wie ausgeglichen sie klang, ganz anders als ihr tatsächlich zumute war.
»Das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, Beatrice. Die Verbände im Gesicht müssen noch eine Weile dranbleiben, bis die Haut zu heilen beginnt, und dann dauert es noch einige Wochen, bis wir das einschätzen können. Doch ich bin zuversichtlich, dass Sie am Ende des Sommers wieder so gut wie neu sind.«
»Aber nicht ganz?«
Wieder wechselten die Ärzte einen Blick. Und wieder gab Dr. Bianchi die Antwort.
»Wir tun unser Bestes, Beatrice. Dennoch wird das ein langwieriger Prozess, und im Augenblick kann niemand wissen, wie das Ergebnis aussehen wird.« Er lächelte sie ermutigend an. »Wir werden vieles tun können, um Ihnen zu helfen, und bedenken Sie, das ist ein rein kosmetisches Problem. Sie haben keine inneren Schäden davongetragen, Ihr Gehirn ist wieder in Ordnung, und Sie können genauso gut sehen und hören wie vorher. Also nehmen Sie es gelassen, und seien Sie versichert, dass wir unser Bestes geben. Sie haben großes Glück gehabt.«
»Du hast großes Glück gehabt. Es sieht überhaupt nicht schlimm aus.«
Großes Glück? Bee brummte irritiert. Warum sagten das alle ständig? Wie sollte man von Glück reden, wenn man einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen hatte und die Wange von Schnittwunden übersät war? Doch sie verbarg ihre bitteren Gedanken und rang sich ein Lächeln ab.
»Gayle, du bist eine Hübsche, aber auch eine schlechte Lügnerin. Sag mir ehrlich: Wie sehe ich aus? Man hat mir die Verbände gerade erst abgenommen, um sie zu erneuern, und die Schwester ist gegangen, um mir einen Spiegel zu holen. Ist es schrecklich?«
»Nein, ehrlich, Bee, es sieht nicht allzu schlimm aus. Sicher, da sind noch Bläschen, und es scheint alles ziemlich wund zu sein, aber das wird bestimmt gut verheilen.«
Bee sah ihr prüfend ins Gesicht. »Ich glaube, deine Nase ist gerade ein Stück länger geworden.« Sie blickte suchend an ihr vorbei. »Wo bleibt Rosa mit dem Spiegel? Wenn ich mich nur mal selbst sehen könnte!« Sie fing Gayles Blick auf. »Du hast nicht zufällig einen Spiegel dabei, oder?«
»Tut mir leid, nein.«
Diesmal war sich Bee ganz sicher, dass Gayles Nase gewachsen war. Zum Glück kam Rosa in dem Moment mit einem Handspiegel herein.
»Bitte sehr, Beatrice. Und machen Sie sich keine Sorgen. Es ist noch ein bisschen rot , aber die Ärzte sagen, es heilt gut.« Sie ging wieder hinaus und ließ Bee und Gayle allein.
Bee holte tief Luft und schaute in den Spiegel. Was sie sah, bestätigte ihr, dass Gayle rundheraus gelogen hatte. Es sah schrecklich aus.
Ihr linkes Ohr war knallrot, ebenso die Haut ringsherum bis hinab zum Kragen. Die Wange war am schlimmsten betroffen: Sie war wund und rot, durchsetzt mit Weiß und Gelb, und die wenigen Stellen mit intakter Haut waren dunkelblau mit einem Hauch Violett, vermutlich von einem Bluterguss. Das übrige Gesicht war gespenstisch weiß und die Augen blutunterlaufen. Die Verletzungen an der Wange reichten fast bis an die Nase und den Mund. Sie schluckte schwer und sah noch ein letztes Mal hin, bevor sie den Spiegel weglegte.
»Ein unvergesslicher Anblick, hm?« Sie gab sich Mühe, optimistisch zu klingen, obwohl sie gerade das Gefühl hatte, die Welt bräche zusammen. Sie kämpfte mit den Tränen, konnte sie aber nicht aufhalten. Das war ein weiterer bitterer Höhepunkt in ihrer Pechsträhne, die das Jahr ihr beschert hatte. Behutsam wischte sie sich die Tränen mit dem Deckenzipfel weg, während Gayle sich beeilte, ihr Mut zuzusprechen.
»Ich finde wirklich, es sieht nicht allzu schlimm aus.«
Bee wartete, bis keine Tränen mehr kamen, dann ließ sie die schützende Bettdecke sinken.
»Entschuldige, Gayle. Wie auch immer, es ist in Ordnung. Du brauchst mir nicht länger was vorzumachen. Ich habe es ja selbst gesehen. Mein Gesicht ist halb Mondlandschaft und halb Streuselkuchen.« Sie tat ihr Bestes, um resolut zu klingen, aber das war beileibe nicht einfach. »Jedenfalls freue ich mich, dass du mich besuchst.« Sie schaute an ihr vorbei, und sie waren noch immer allein. »Jetzt erzähl doch mal, wie Mimi Robertson damit klarkommt.«
Gayle dämpfte vorsichtshalber ihre Lautstärke. »Du kannst es dir vermutlich denken. Sie hat geschrien wie eine Furie. Ihr Agent droht mit einer Millionenklage, spricht von strafbarer Fahrlässigkeit, von einer exorbitanten Schädigung für Mimi. Rick sagt, der Vorstand macht sich in die Hose.«
Gayle war die Vermittlerin zwischen dem Produktionsteam in Italien und der Muttergesellschaft in Hollywood, und Bee hatte sie in den vergangenen Wochen während der Filmarbeiten gut kennengelernt. Gayle war zehn Jahre älter als sie und arbeitete schon seit zwanzig Jahren für Pan World. Sie wusste fast alles, was gerade vor sich ging. Wenn sie sagte, der Vorstand »mache sich in die Hose«, dann stimmte das wahrscheinlich.
»Und wo ist sie jetzt? Nach Hause geflogen?«
»Noch nicht. Sie hat sich in eine Suite im obersten Stock des Grand Continental zurückgezogen und weigert sich, an die Tür zu gehen. Auf dem Platz vor dem Hotel campieren Paparazzi.«
»Das ist grauenvoll.« Bee wollte sich ein wenig höher aufsetzen, aber ein stechender Schmerz im Oberschenkel und ein heftiges Pochen im Kopf zwangen sie innezuhalten. »Autsch.«
»Bleib einfach locker, Beatrice. Du brauchst Zeit. Ich bin jeden Tag hergekommen, doch sie wollten mich nicht zu dir lassen. Erst heute. Du hast auf der Intensivstation gelegen, warst an jede Menge Geräte angeschlossen. Um ehrlich zu sein, die Ärzte waren anfangs in großer Sorge. Du wurdest offenbar sehr schwer am Kopf getroffen, und von einem möglichen Hirnschaden war die Rede. Gott sei Dank hat sich das nicht bewahrheitet.«
»Mehr oder weniger. Da wäre noch die Kleinigkeit mit meinem Gesicht …« Bee atmete tief durch und versuchte, ihre Lebensgeister zu aktivieren. Schließlich war sie ein intelligenter Mensch. Was zählte, war der Charakter eines Menschen, nicht sein Äußeres. Das hielt sie sich einige Male vor Augen, aber ohne nennenswerten Erfolg. Wie würde ihr künftiges Leben aussehen, wenn sie ein so stark vernarbtes Gesicht hatte? Würde sie damit zurechtkommen? Die Frage schob sie erst einmal beiseite und schlug einen optimistischen Ton an. »Aber du hast recht. Es hätte viel schlimmer kommen können.«
»Hat dich schon irgendjemand besucht?«
Bee schüttelte den Kopf und wischte sich erneut die Augen. »Nein. Du bist die Erste. Ich kann es noch nicht fassen, dass wir schon Samstag haben. Ich habe fast eine ganze Woche meines Lebens verloren.«
»Doch du hast überlebt. Und du wirst wieder ganz gesund, sagen die Ärzte.«
»Doktor Bianci hofft, dass ich bis zum Ende des Sommers schon viel besser aussehe.«
Gayle neigte sich zu ihr. »Hör zu, Bee, was das angeht: Bei Pan World sind wir uns sehr bewusst, dass der Unfall in unsere Verantwortung fällt, und wir werden uns um dich kümmern. Dein Vertrag sollte zwar in ein paar Wochen auslaufen, aber ich soll dir ausrichten, dass wir dein Honorar weiterzahlen, bis du wieder fit bist.« Sie zögerte kurz und fügte dann hinzu: »Und auch die Spesen übernehmen wir. Also, wie wär’s, wenn du dich entspannt zurücklehnst, bis du wieder gut aussiehst und dich auch so fühlst? Das war ein schlimmer Unfall, weißt du? Du verdienst eine kleine Auszeit.«
»Das ist sehr freundlich, Gayle.«
Bee kam der leise Verdacht, die Filmgesellschaft könnte nur deshalb so großzügig sein, weil sie einer Schadenersatzforderung entgehen wollte, aber sie bemerkte dazu nichts weiter. Unfälle passierten nun mal. Was Pan World ihr für die Beratertätigkeit zahlte, war das Doppelte von dem, was sie als Dozentin an der Uni verdienen würde, und solch ein Honorar noch ein, zwei Monate länger zu bekommen bedeutete für ihre Finanzen einen erheblichen Unterschied. Noch wichtiger fand sie allerdings, wie sie nach diesen zwei Monaten aussehen würde.
»Ich muss zugeben, eine Auszeit klingt verlockend. Bitte richte deinen Vorgesetzten meinen Dank aus. Das ist sehr großzügig.«
Die Krankenschwester gab ihr für die Nacht ein Schlafmittel, und dadurch wachte Bee am nächsten Morgen gut ausgeschlafen auf und war etwas positiver gestimmt. Sie schaltete den Fernseher ein und fand die BBC News. Nach einem ziemlich langen Bericht über die jüngsten Entwicklungen im Parlament, nach dem sie sich wieder schläfrig fühlte, erschien ein bekanntes Gesicht auf dem Bildschirm.
»Die weltbekannte britische Filmschauspielerin, Mimi Robertson, die bei einem Unfall am Set für den neuen Film Der dunkle Prinz in der Toskana verletzt und in ein Krankenhaus gebracht wurde, erholt sich nach Aussagen ihres Umfelds gut. Ein Sprecher von Pan World Movies sagte unserer Korrespondentin, dass Miss Robertson jetzt aus der Klinik entlassen wurde und die Genesung gut voranschreitet. Sie hofft, in Kürze wieder drehen zu können.«
Während der Meldung wurden Aufnahmen von Mimi gezeigt, die im vergangenen Jahr bei der Oscar-Verleihung entstanden waren. Bee war überrascht, als kurz darauf auch ihr Name fiel.
»Bei dem außergewöhnlichen Unfall wurde außerdem die einunddreißigjährige britische Mediävistin Doktor Beatrice Kingdom verletzt, die bei den Dreharbeiten als historische Beraterin fungiert. Sie wird noch im Krankenhaus in Siena behandelt.«
Verblüfft sah sie, dass eine Nahaufnahme von ihr eingeblendet wurde, die kürzlich am Set entstanden sein musste. Trotz ihrer Sorgen wegen ihres Aussehens flammte eine gewisse Freude in ihr auf, im Fernsehen erwähnt zu werden und auf dem Foto ganz hübsch auszusehen. Mit ihrem Klemmbrett sah sie tatsächlich wie eine Gastprofessorin aus.
»Den Ärzten zufolge hat Doktor Kingdom eine Schädelfraktur und Prellungen erlitten, die aber nicht lebensbedrohlich sind. Allerdings war auch von erheblichen Gesichtsverletzungen und möglicher Narbenbildung die Rede.«
Bee stieß einen tiefen Seufzer aus. Einen Nachrichtensprecher über ihre Verletzungen sprechen zu hören machte das, was passiert war, sehr real. Ihr glitt die Fernbedienung aus den Fingern, und Angst und Sorgen drohten sie zu überwältigen. Die zaghafte Zuversicht, die sie inzwischen gewonnen hatte, löste sich in Luft auf, als ihr der letzte Satz in seiner vollen Bedeutung bewusst wurde und die Folgen für ihre Zukunft in den Blick rückten. Sie würde also höchstwahrscheinlich erhebliche Narben zurückbehalten, und das zweifellos bis an ihr Lebensende. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie fing an zu schluchzen, als die unterdrückten Gefühle sich Bahn brachen. Nachdem sie so tapfer dagegen angekämpft hatte, sank sie nun doch noch in den Abgrund der Verzweiflung.
Eine Stunde später, als Rosa ihr das Mittagessen brachte, hatte Bee es geschafft, sich zusammenzureißen. Wenigstens brachte die Krankenschwester etwas mit, das sie aufmunterte. Etwas, das ihr gehörte. Rosa reichte es ihr mit einer Entschuldigung.
»Wir mussten Ihnen die Kleidung vom Körper schneiden. Sofern Sie die nicht zurückhaben wollen, wird sie verbrannt. Sie sieht schlimm aus, deshalb habe ich sie nicht mitgebracht. Dafür aber Ihre Handtasche und Ihr Handy, die alles ganz gut überstanden haben. Die Tasche ist außen ein wenig angesengt, aber der Inhalt ist unbeschädigt. Bitte sehr …«
Bee nahm die Tasche dankbar entgegen und überlegte. Die Kleidung zu verbrennen wäre kein großer Verlust. Seit sie in der Toskana war, hatte sie die Arbeitstage in Shorts und einem T-Shirt verbracht, und deren Gesamtwert war einschließlich der Unterwäsche nicht höher, als hier eine gute Mahlzeit im Restaurant kostete. Sie schaute in die Tasche und fand Handy, Portemonnaie und den übrigen Krimskrams, den sie immer bei sich trug, und seufzte erleichtert.
»Vielen Dank, Rosa. Ich hatte schon Angst, mein Handy könnte mit sämtlichen Kontakten darin zerstört worden sein. Die Kleidung darf meinetwegen gern verbrannt werden.«
Nachdem sie die überraschend gute Mahlzeit zu sich genommen hatte, fühlte sie sich stark genug, um zu Hause anzurufen und mit ihren Eltern zu sprechen. Es wurde ein langes Gespräch. Sie bemühte sich sehr, die beiden zu überzeugen, dass sie wirklich auf dem Weg der Besserung war, und als sie auflegte, war sie sich ziemlich sicher, sie beruhigt zu haben – obwohl sie das von sich selbst nicht behaupten konnte. Sie legte gerade das Handy beiseite, als es zu summen anfing. Sie kannte die Rufnummer nicht.
»Hallo, hier Beatrice Kingdom.« Da sie in Siena war, begrüßte sie den Anrufer auch auf Italienisch. »Pronto, chi parla?«
»Beatrice, hi, schön, Ihre Stimme zu hören.«
Sie wusste sofort, wer am Apparat war: kein Geringerer als Amos Franklin, der oscarprämierte Regisseur von Der dunkle Prinz. Sie war erstaunt. Während der Dreharbeiten hatten sie oft genug miteinander gesprochen, hauptsächlich über historische Einzelheiten, waren aber sicherlich nie so weit gekommen, ihre Telefonnummern auszutauschen. Er klang ehrlich erfreut, und seit sie aus dem Koma erwacht war, empfand sie zum ersten Mal Freude.
»Hallo, Mr Franklin. Wie nett, dass Sie mich anrufen!«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Und das ist das Mindeste, was ich tun kann. Also, wie geht es Ihnen?«
Sie war tief beeindruckt, weil der berühmte Regisseur sie persönlich anrief. Bee erzählte ihm, wie optimistisch die Ärzte ihre Genesung einschätzten, und schloss mit den Worten: »Also werden sie mich hoffentlich in einer Woche entlassen.«
»Das hoffe ich auch.« Er klang ernst. »Nehmen Sie es gelassen. Schließlich wären Sie beinahe gestorben, wie ich höre.«
»Tatsächlich?« Gayle hatte so ziemlich das Gleiche berichtet. Und die Ärzte waren in Sorge gewesen, das wusste sie, aber »beinahe gestorben« …?
»Das weiß ich von Gayle. Sie meinte, Sie hätten im Koma gelegen.«
»Das stimmt. Und jetzt geht es mir schon viel besser. Doch wie fühlt sich Miss Robertson? Und wurde noch jemand bei dem Unfall verletzt?«
»Nein, nur Sie beide. Mimi geht es gut, glaube ich.« Sein Tonfall war bewusst neutral.
Laut Gayle lechzte Mimis Anwalt nach »Blut«. Das Verhältnis zwischen ihr und dem Regisseur war dadurch sicherlich angespannt. Bee war gut beraten, das nicht zu kommentieren.
»Das freut mich. Haben Sie die Dreharbeiten abschließen können? Ist Miss Robertson auf dem Rückweg nach L.A.?«
»Wir waren so gut wie fertig und haben die letzten paar Szenen ohne sie drehen können, also haben wir alle Aufnahmen, die wir brauchen. Was für Pläne Mimi jetzt hat, weiß ich nicht. Sie weigert sich, mit mir oder jemand anders zu sprechen, und die Ärzte meinen, es wird einen Monat oder zwei dauern, bis von den Gesichtsverletzungen nichts mehr zu sehen sein wird. Daher vermute ich, sie wird sich eine Zeit lang zurückziehen – Sie wissen schon, um den Paparazzi aus dem Weg zu gehen.«
»Zurückziehen?«, wiederholte Bee nachdenklich. Mimi Robertsons Gesicht war so bekannt, da war es fast unmöglich, für längere Zeit unterzutauchen, ohne von den Reportern aufgespürt zu werden.
»Wie auch immer, Beatrice, ich bin froh, dass Sie so munter klingen, und ich wollte mich bei Ihnen bedanken, weil wir dank Ihnen jetzt einen historisch korrekten Film im Kasten haben. Das bedeutet mir viel. Ihre Kenntnis des Mittelalters ist beeindruckend. Ich weiß Ihren Beitrag sehr zu schätzen, und ich freue mich darauf, mal wieder mit Ihnen zu arbeiten. Passen Sie auf sich auf und werden Sie bald gesund. Bis dann.«
Dann fügte er noch etwas hinzu, was sie völlig überraschte:
»Ach, ich soll Ihnen von Joey liebe Grüße ausrichten.«
Am nächsten Nachmittag brachte Gayle ihr einen dicken Strauß Rosen und eine Schachtel mit. Aus der zog sie eine Perücke hervor und gab sie Bee.
»Aus echten Haaren. Luis hat sie in der Garderobe gefunden. Wir haben überlegt, ob sie dir nützlich sein könnte, wenn du entlassen wirst. Du weißt schon, bis deine Haare nachgewachsen sind. Setz sie doch mal auf. Aber nur wenn das nicht auf die Schnittwunden drückt.«
Bee betrachtete die Perücke von allen Seiten. Die Haare waren rotbraun und gerade geschnitten. Sie würden ihr schätzungsweise bis auf die Schultern reichen. Sehr vorsichtig zog sie sie über die Verbände und strich die Haare glatt.
»Wow, du siehst wie ein völlig anderer Mensch aus.« Gayle klang angetan.
Bee griff nach dem Handspiegel, den Rosa ihr dagelassen hatte. Zögernd hob sie ihn vors Gesicht. Gayle hatte recht. Sie war plötzlich ein anderer Typ, und dabei wirkte es ganz natürlich. Und wenn sie den Kopf nach rechts drehte, sah sie fast normal aus. Auf der linken Seite natürlich mehr wie ein Zombie. Sie ließ den Spiegel sinken und schaute mit einem gezwungenen Lächeln zu Gayle hoch.
»Wie Scully aus Akte X.«
»Also, jedenfalls nicht wie du selbst, das steht fest. Eine immense Veränderung.«
»Ich danke dir, und sag auch Luis vielen Dank. Die Perücke wird auf jeden Fall sehr praktisch sein.« Sie nahm sie wieder ab. »Hör mal, Gayle, darf ich dich etwas fragen?« Bee wollte das unbedingt wissen. »Gestern hat Amos mich angerufen, und kurz bevor er auflegte, hat er mir liebe Grüße von Joey ausgerichtet. Ist das reines Hollywood-Getue, oder meinst du, da ist mehr dahinter? Ich mag ihn zwar, aber nicht auf die Art.«
Gayle lächelte. »Mach dir deswegen keine Gedanken. Joey liebt jeden. Er liebt dich, er liebt mich … er liebt Amos. Natürlich, du bist sehr hübsch, Bee, und er steht auf die Hübschen.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Und es gibt viele Hübsche, die auf ihn stehen. Glaub mir, die Schlange seiner Verehrerinnen ist sehr, sehr lang. Das ist einfach seine Art.«
Bee lächelte zurück. Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war eine Affäre, und wenn der Mann noch so reich und gut aussehend sein mochte. Joseph Aquila, bekannt als Joey Eagle, gehörte zu den bekanntesten Gesichtern Hollywoods. Er war groß, hatte markante Gesichtszüge und einen Körper wie ein griechischer Gott. Und das war ihm bewusst. Während der Dreharbeiten hatte die Crew sehr viel von seinem Körper zu sehen bekommen. Bee bewunderte, wie viel Mühe er offenbar investiert hatte, um so fantastisch in Form zu sein. Dass er mit der schönen Mimi Robertson zusammen vor der Kamera stand, hatte die Aufmerksamkeit der Weltpresse erregt, und zweifellos fieberten Millionen Fans dem Film entgegen.
Bee war ihm am Set einige Male begegnet. Er war auf schmeichelhafte Art freundlich gewesen und hatte zu ihrer Verblüffung sogar mit ihr geflirtet. Sie hatte ihn als Schauspieler immer gemocht, und von solch einem Halbgott beachtet zu werden, hatte ihr geschmeichelt. Doch allein sein Ruf als Schürzenjäger hätte sie davon abgehalten, sich mit ihm einzulassen, unabhängig davon, dass sie derzeit an Männern nicht interessiert war. Er war ein Adonis, so viel stand fest, aber was Bee betraf, überließ sie ihn nur zu gern den Hübschen, die auf ihn standen. Amos’ Bemerkung hatte sie kurz beunruhigt, Joey könnte nun sie ins Visier genommen haben, doch jetzt war sie erleichtert. Nach allem, was in den letzten Monaten passiert war, wollte sie im Moment überhaupt kein männliches Interesse auf sich ziehen. Allerdings würde er wohl kaum noch an ihre Tür klopfen, wenn er erst mal ihr Gesicht gesehen hatte.
»Also, wenn du ihn triffst, richte ihm auch liebe Grüße von mir aus.«
»Mach ich.« Jetzt wurde Gayle plötzlich ernst. »Hör zu, Bee, ich muss dich etwas fragen.«
»Natürlich.«
»Was für Pläne hast du für die Zeit nach deiner Entlassung?«
»Da bin ich noch unentschlossen. Wenn Pan World mich noch ein Weilchen weiterbezahlen will, dann mache ich vielleicht Urlaub. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich mich nicht besser nach einer neuen Stelle umsehen sollte.«
»Was ist denn mit deiner alten? Mit der Dozentenstelle an der Uni?«
Bee atmete tief durch. »Die habe ich offiziell noch, aber seit Ostern befinde ich mich in bezahltem Sonderurlaub. Da bin ich ziemlich eilig aufgebrochen.«
Gayle brachte das nicht im Mindesten aus der Fassung. In ihrer Welt war es vermutlich normal, dass Leute ihr gewohntes Leben Hals über Kopf zurückließen, wenn Hollywood rief. »Probleme?« Als Bee nickte, hakte sie nach. »Ist bei der Arbeit etwas vorgefallen?«
»Hm, ja.« Bee hatte niemandem erzählt, was da wirklich passiert war, doch sie hatte das Gefühl, Gayle vertrauen zu können. »Ich hatte ein Problem mit meinem Fachbereichsleiter.«
»Welcher Art?«
»Der zudringlichen Art.«
Gayle lächelte grimmig. »Wow, ich dachte, das sei das Privileg meiner Branche.«
Bee schüttelte den Kopf. »Glaub das nicht. Beutegierige Perverse gibt es auch in den düsteren Hallen der akademischen Welt.«
»Und was wurde daraus?«
»Das lief alles sehr britisch ab. Ihm wurde gestattet, das Semester noch zu Ende zu bringen und seinen Posten nächsten Monat zu räumen, wenn das akademische Jahr zu Ende geht, sodass sein Ruf nicht angekratzt wurde. Offiziell geht er freiwillig, und mir hat man bis dahin bezahlten Urlaub gegeben und mich solange aus dem Weg geschafft.«
»Also kommt er im Grunde ungeschoren davon?« Das Lächeln war nun vollständig von Gayles Gesicht verschwunden. »In dem gegenwärtigen Klima durch die MeToo-Bewegung hätten sie doch mehr tun können, oder?«
Bee nickte zustimmend. »Deshalb überlege ich, vielleicht etwas ganz anderes zu machen. Das ist eine gute Universität, und Dozentenstellen sind in meinem Fachgebiet rar gesät, doch ich ahne jetzt schon, dass ich mich dort nicht mehr wohlfühlen werde. Sie hätten sich viel deutlicher auf meine Seite stellen müssen. Außerdem bin ich sowieso bereit für eine Veränderung. Es hat mir ungeheuer gefallen, für Pan World zu arbeiten. Das war frischer Wind in meinem Leben. Es wäre toll, noch mal so einen Auftrag zu bekommen.«
»Und alle sagen, dass du großartige Arbeit geleistet hast. Aber historische Filme werden nur noch selten gedreht. Ich sag dir, Bee, wenn wir dir einen Vollzeitjob anbieten könnten, würden wir das tun, doch vorerst ist kein ähnlicher Film geplant. Wenn Der dunkle Prinz ein Kassenerfolg wird, könnte es eine Fortsetzung geben. Aber da sprechen wir über ungelegte Eier.«
»Verstehe. Nun, jedenfalls kann es nicht schaden, wenn ich mich nach etwas Neuem umhöre.«
»Sicher. Auf jeden Fall wirst du jedoch vor dem Herbst nicht arbeiten, ob im alten oder im neuen Job, richtig?«
Bee nickte.
»Demnach bist du während der nächsten zwei Monate frei?«
Bee fragte sich allmählich, worauf Gayle hinauswollte. Und das sollte sie gleich erfahren.
»Sag mal, Bee: Wie fändest du es, für einige Wochen in einer luxuriösen Villa hier in der Toskana zu leben? Alle Kosten würden übernommen, und natürlich bekämst du dein Honorar weiter.«
»Das klingt wundervoll, aber …«, begann sie langsam, weil ihr sofort eingefallen war, was Amos Franklin über Mimi Robertson und deren Rückzugsabsichten gesagt hatte. Gayle bestätigte ihren Verdacht sofort.
»Mimi möchte eine Zeit lang von der Bildfläche verschwinden, und wir haben überlegt, ob du wohl bereit wärst, mit ihr zusammen unterzutauchen.«
»Was denn, Mimi Robertson und ich?« Das klang ja völlig surreal! Ein Niemand wie sie und ein Weltstar? Ein aufbrausender, verwöhnter Weltstar, wenn man den Geschichten Glauben schenken durfte.
»So ist es. Wir würden dich lediglich bitten, ein Auge auf sie zu haben.«
»Ein Auge auf sie …?«
»Du weißt, wie die Filmstars sind. Sie haben nie Geld bei sich, sie rühren keinen Finger, sie sind komplett hilflos, wenn sich niemand um sie kümmert.« Offenbar deutete sie Bees Gesichtsausdruck richtig, denn sie redete schnell weiter. »Keine Sorge, in der Villa gibt es Personal, das den Haushalt führt, kocht, wäscht und so weiter. Du müsstest nur bereitstehen, um Mimi Gesellschaft zu leisten, und verhindern, dass ihr die Decke auf den Kopf fällt. Außerdem sprichst du Italienisch, und sie braucht jemanden, der für sie dolmetscht.«
»Und wo befindet sich die Villa?« Trotz der sehr beängstigenden Vorstellung, sich um einen Weltstar kümmern zu müssen, schwang in ihrer Stimme ein freudiger Unterton mit.
»Hier. In der Nähe von Siena. Aber praktisch mitten im Nirgendwo, wo keine Paparazzi hinkommen.«
»So etwas gibt es hier? Die Toskana ist doch von Touristen geradezu überschwemmt.«
»Das dachte ich auch. Doch unsere Jungs haben genau das Richtige gefunden. So wurde mir jedenfalls versichert.«
Bee überlegte, wer wohl mit den »Jungs« gemeint war. Gayle hatte immer jemanden an der Hand und konnte wirklich alles arrangieren.
»Also, bist du interessiert, Bee?«
»Natürlich …« Sie schaute ins Leere, während sie sich das Zusammenleben mit Mimi vorstellte. »Es ist nur … Mimi Robertson … ich weiß nicht …«
Gayle nickte. »Ich verstehe, was du meinst, Bee. Ich kenne sie besser als du und weiß, sie steht in dem Ruf, sehr schwierig zu sein. So werden viele der großen Stars mit der Zeit. Furchtbar verwöhnt. Doch unter der biestigen Schale steckt ein gutes Mädchen, glaub mir. Ich kannte sie schon, als sie noch kleine Nebenrollen annahm, und wir sind immer gut miteinander ausgekommen. Du wirst sehen, weit weg von all dem Glamour ist sie ein prima Kerl.«
»Wenn du meinst, Gayle …« Je mehr Bee darüber nachdachte, desto unwirklicher kam ihr das vor.
»Aber davon mal abgesehen, fändest du einen Monat oder zwei in ländlicher Einsamkeit nicht zu gruselig oder langweilig?«
»Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie ich damit klarkomme, mitten in der Pampa abgesetzt zu werden. Ich habe fast mein ganzes Leben in der Großstadt verbracht.« Dennoch, während sie sich das ausmalte, merkte sie, wie sehr die Vorstellung ihre Stimmung hob. »Andererseits träume ich schon seit Jahren davon, mal in der Toskana Urlaub zu machen. Als ich klein war, war ich einmal mit meinen Eltern in Florenz, und seitdem liebe ich diese Gegend. Von daher finde ich die Idee eigentlich wunderbar, auch wenn ich eine Perücke tragen muss.«
»Du schaffst das mit Mimi, glaub mir, auch wenn sie sehr anstrengend sein kann.«
»Tja, also gut, wenn du meinst. Warum nicht? Im Grunde klingt das fantastisch, und es gibt mir Zeit, um über alles nachzudenken. Und hoffentlich einen neuen Job zu finden.«
»Großartig. Dann werde ich Mimi den Vorschlag unterbreiten und sehen, was sie dazu sagt. Was denkst du, wann du entlassen wirst?«
»Ich weiß nichts Konkretes. Aber vermutlich muss ich hierbleiben, solange die Verbände noch regelmäßig gewechselt werden müssen. Ich werde die Ärzte fragen.«
»Also vielleicht in einer Woche etwa?«
Bee nickte langsam. »Das nehme ich an.«
»Mimi sollte es hier in Siena so lange noch aushalten. Wie lange sie unentdeckt bleiben wird, wenn ihr beide draußen auf dem Land seid, ist eine andere Frage. Ihr Gesicht ist derzeit sogar in der hiesigen Lokalpresse zu sehen. Deines übrigens auch.« Bee musste die Überraschung anzusehen sein, denn Gayle fügte hinzu: »Ihr Glanz strahlt auf dich ab.« Sie grinste. »Genieße den Moment im Rampenlicht. Ich hoffe nur, meine Jungs haben recht, und die Villa liegt wirklich so abgeschieden. Wenn die Paparazzi davon Wind bekommen, dann gute Nacht.«
Bee dachte darüber nach. Für eine eingefleischte Großstadtpflanze wie sie klang ein längerer Aufenthalt fernab von jeglichem Trubel erst mal abschreckend, aber Mimi wäre vor neugierigen Blicken geschützt, und sie hätten beide eine wohlverdiente Auszeit. Bee hatte oft von einem langen Toskana-Urlaub geträumt, doch dabei mehr an Kunstgalerien, Museen und hinreißende Architektur gedacht. Mitten im Nirgendwo festzusitzen war etwas völlig anderes. Die Toskana würde sie dennoch erleben.
»Ich nehme an, es muss in einer einsamen Gegend sein, Gayle. Ohne Geschäfte, Cafés, Kino, Theater. Ich komme sicher damit zurecht. Aber Mimi auch?«
Offenbar spürte Gayle ihre Zweifel, denn sie schlug einen ermutigenden Ton an. »Das wird nicht allzu schlimm werden. Keine Sorge. Meine Jungs sagen, die Villa ist wunderschön und sehr komfortabel. Es gibt natürlich Fernsehen und schnelles Internet. Aber ihr beide werdet etwas finden müssen, womit ihr euch die Zeit vertreiben könnt.«
»Das wird mir nicht schwerfallen. Alles hängt davon ab, wie anstrengend Mimi sein wird. Wenn ich etwas freie Zeit für mich selbst bekomme, kann ich mich auf die Jobsuche konzentrieren und endlich wieder was lesen. Wer weiß, vielleicht beschließt Mimi, ihre Memoiren zu schreiben? Obwohl sie ein bisschen zu jung dafür ist.« Sie fing Gayles Blick auf. »Wie alt ist sie eigentlich?«
Gayle zwinkerte ihr zu. »Neununddreißig. Wie schon letztes Jahr und das Jahr davor.«
»Wow, ich dachte, sie wäre in meinem Alter.«
»Und das wäre?«
»Einunddreißig.«
Gayle lächelte breit. »Mimi ist zehn Jahre älter. Aber ich bin sicher, ihr beide werdet euch gut verstehen. Gib der Sache ein wenig Zeit. Und du tust uns damit einen Riesengefallen. Das werden wir dir nicht vergessen.«
»Deine Jungs haben nicht übertrieben, Gayle. Wir sind hier wirklich im Nirgendwo.«
Gayle hatte den Fahrer des großen schwarzen Mercedes gebeten, oben auf dem Hügel anzuhalten, damit Bee und Mimi ringsherum über die Landschaft blicken konnten, in der sie die nächsten zwei Monate leben würden. Gayles »Jungs« hatten ihnen ein abgeschiedenes Plätzchen versprochen, und das traf auf diesen Ort haargenau zu. Wohin Bee auch schaute, gab es nur Wiesen, Weinfelder und Wald.
Sie drehte den Kopf zu Mimi und schauderte ahnungsvoll. Wie würde es wohl sein, allein mit einer überempfindlichen, exaltierten Schauspielerin in dieser Einsamkeit zu leben? Sie konnte es noch gar nicht fassen, dass sie neben dem Megastar im Auto saß. Wie unerfreulich es werden würde, wenn sie später nur zu zweit waren, das wusste nur der Himmel. Aber Bee war immer wieder von Neuem verwundert, in Gesellschaft einer weltbekannten Persönlichkeit zu sein, die Abermillionen Bewunderer hatte. Der Gedanke, dass ein Großteil dieser Menschen liebend gern mit ihr tauschen würde, hätte ihr Selbstvertrauen stärken können, tat es jedoch nicht.
Langsam stieg sie aus dem Wagen in die drückende Hitze des späten Juninachmittags und streckte dabei ihr schmerzendes Bein aus. Der Bluterguss leuchtete inzwischen in den schillerndsten Farben. Laut den Ärzten heilte die Prellung gut, aber Bee spürte sie noch deutlich, sobald sie die Oberschenkelmuskeln anspannte. Sie lehnte sich an den Wagen und atmete tief durch. Nachdem sie fast drei Wochen in der Klinik verbracht hatte, tat es gut, wieder im Freien zu sein. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, und nach der klimatisierten Kühle im Wagen war es draußen heiß, aber das machte Bee nichts aus. Es war ein herrlicher Tag und eine herrliche Landschaft.
»Es ist märchenhaft schön hier.« Sie schaute zu Mimi, die sich entschieden hatte, die Anonymität der Luxuskarosse zu verlassen, und wagte es zum ersten Mal, sie anzusprechen. »Was meinen Sie, Miss Robertson?«
»Es ist hübsch. Das muss ich zugeben.«
Gayle hatte Bee darauf vorbereitet, dass Mimi nicht zu überschwänglichen Bemerkungen neigte. Das war nicht ihre Art. Aber dass sie in höflichem Ton antwortete und nicht sofort etwas auszusetzen hatte, deutete Bee als einen guten Anfang. Sie entspannte sich ein wenig. Auch Gayle merkte sie eine gewisse Erleichterung an.
Die schaute hoffnungsvoll zu Mimi Robertson. »Du warst ja besorgt, von den Nachbarn erkannt zu werden, Mimi. Wie es aussieht, gibt es hier kaum welche.«