Ein Torwart in Valencia - Kerstin Frolik - E-Book

Ein Torwart in Valencia E-Book

Kerstin Frolik

0,0

Beschreibung

Der Ball rollt wieder in Valencia. Doch als Andres, der Torhüter, für lange Zeit ausfällt, sieht die Zukunft nicht rosig aus. Erst als ein Ersatzspieler verpflichtet wird, geht es wieder aufwärts. Und auch Livias Freundin Oxana steht vor keiner leichten Entscheidung. Soll sie ihr Studium in Barcelona fortsetzen oder sich um die erkrankte Mutter kümmern?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 175

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vier Monate später …

Sechs Wochen später …

Epilog

Oxana schloss ihre Bücher und verabschiedete sich von der neben ihr sitzenden Kommilitonin. Sie wollte nicht mit den anderen Studenten an den Strand gehen und feiern. Vor allem auch weil die Temperaturen Mitte Januar nicht ans Meer einluden. Aber das Semester hier in Barcelona war zu Ende und sie fuhr morgen sehr früh mit dem Zug nach Hause nach Valencia. Dort wohnte sie ebenfalls in Strandnähe und arbeitete den ganzen Sommer in einer Strandbar, so dass sie heute nicht unbedingt noch ans Meer musste um sich am Strand von Barcelona in den kalten Sand zu setzen. Vielmehr zog es sie in den Parque Güell. Dort konnte sie zwischen den fantasievollen Gebilden, die der Künstler Gaudi erschaffen hatte, abschalten. Oxana studierte Kunst und Geschichte an der Akademie und konnte sich hier in dem hügeligen Gelände des Parks nicht sattsehen an den Ornamenten, die aus Bruchfliesen von einem grandiosen Architekten zu herrlichen Mosaiken erbaut wurden. Man nannte es auch Gaudis Hommage an die Natur. Natürlich war ihr das am meisten beeindruckende Werk von ihm, die Basilika Sagrada Familia, das Liebste. Auch wenn das Wahrzeichen Barcelonas und das unvollendete Lebenswerk Gaudis das ganze Jahr über von Touristen aus aller Welt völlig in Beschlag genommen war. Trotz alledem hatte es sich Oxana zur Aufgabe gemacht mindestens einmal während eines Semesters einen der acht bisher fertig gestellten Türme der Basilika zu besichtigen. Da in den Fassaden viele Botschaften der biblischen Geschichte versteckt waren, wollte sie sich für einen Besuch viel Zeit nehmen. Dies war aber kaum möglich, wenn einen die nachfolgenden Touristengruppen weiterschoben.

Nachdem sie sich an einem Kiosk eine Flasche Cola gekauft hatte, setzte sie sich auf eine Bank unter eine der riesigen Pappeln, als sie von einem jungen Mann in gebrochenem Spanisch gefragt wurde, ob er sich neben ihr niederlassen könne. Sie bot ihm freundlich den Platz an nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die umliegenden Parkbänke tatsächlich belegt waren. Ohne ihn weiter zu beachten wandte sie sich wieder ihrem Zeichenblock zu um an einer Zeichnung eben jenes Wahrzeichens von Barcelona fortzufahren. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihren Nachbarn, der unaufhörlich in sein Handy quasselte. Und obwohl sie von ihrer Arbeit in der Strandbar einige gängige Fremdsprachen wie deutsch, italienisch und mittlerweile auch ein wenig russisch heraushören konnte, war seine Unterhaltung keiner dieser Sprachen zuzuordnen. In der Hand hielt er einen Reiseführer. Das konnte sie an der typischen Aufmachung des Buches feststellen. Allerdings erkannte sie auch hier nicht, von welcher Ausgangssprache er versuchte sich in Barcelona zurechtzufinden.

Als Oxana ihre Mal-Utensilien einpackte, beendete er gerade sein Telefongespräch und steckte das Buch ebenfalls weg. Sie standen zur gleichen Zeit auf worüber sie beide lachen mussten. Er lief los und als sie feststellte, dass sie denselben Weg hatten, ging Oxana etwas langsamer um nicht unmittelbar neben ihm her zu gehen.

Während sie ein paar Schritte hinter ihm trödelte, taxierte sie seine Rückseite, insbesondere die untere Hälfte. Er trug schwarze, am Knie eingerissene Jeans, helle Sneakers und ein weißes T-Shirt unter seiner schwarzen Lederjacke. Er hatte ein ansehnliches Hinterteil stellte sie fest. Und breite Schultern. Nicht übertrieben breit aber irgendwie ansprechend. ›Interessant‹ befand sie. Und als ob er ihre Gedanken lesen könnte, drehte er sich halb zu ihr um und grinste sie an. Peinlich berührt wandte sie sich sofort ab und kniff die Augen zusammen, als würde sie ein besonders schönes Objekt im Park betrachten. ›Tat sie ja auch‹ musste sie insgeheim lachen.

Irgendwann bog er in eine Seitenstraße ab, der er wohl auf dem Navigationsprogramm seines Smart-Phones folgte. Nicht ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen. Aber dieses Mal war Oxana auf der Hut und sah auf ihre Uhr. ›Was glaubte der denn …‹, ging es ihr durch den Kopf.

Mit dem Bus erreichte sie ihre kleine Studentenwohnung in der Nähe des Campus. Am Eingang des mehrstöckigen Hauses saßen einige ihrer Kollegen auf der Treppe und tranken Sekt und Bier. »Tom und Ina fliegen morgen früh um halb sechs nach Helsinki. Da lohnt es nicht mehr schlafen zu gehen. Dafür gehen wir noch ein bisschen aus um etwas zu trinken. Kommst Du mit?« Pedro blieb in den Semesterferien durchwegs in Barcelona und wollte in Ruhe an seiner Diplomarbeit schreiben. Er bot den beiden Studenten aus Finnland an sie durch die Nacht zu begleiten. Oxana war eigentlich müde und wenig erpicht darauf, sich die Nacht in Bars und Kneipen um die Ohren zu schlagen. Allerdings ging ihr Zug ebenfalls am nächsten morgen schon früh um kurz nach sieben Uhr. Sie hatte ihren Kühlschrank bereits ausgeräumt und vom Strom genommen. Da kam es ihr nicht ungelegen, unterwegs eine Kleinigkeit zu essen. Ihre Reisetasche stand fertig gepackt im Flur. »Ok, ich bin dabei. Ich bring nur eben meine Bücher hoch, dann kann es losgehen«, sagte sie und ging ins Haus.

In einer Seitengasse der ›Las Ramblas, der knapp eineinhalb Kilometer langen Promenade in Barcelona, die den Placa de Catalunya mit dem alten Hafen verband, bestand ein kompletter Innenhof nur aus unzähligen kleinen Bars und Lokalen wo man die besten landestypischen Tapas bekam. In einer der Bars spielte meistens eine Band Flamenco-Musik. Hier konnte man das ganze Jahr draußen sitzen und die spanische Kultur leben und pflegen.

Die vier Freunde ließen sich an einem Tisch nieder, an dem bereits zwei weitere Studenten die Semesterferien begossen. Oxana kannte den Kellner, da sie und Pedro schon des Öfteren hier gewesen waren. Das Essen war gut und nicht zu teuer und der Wirt war nicht so sehr ausschließlich auf Touristen fixiert, so dass man nach dem Essen nicht gleich aufstehen und für die nächsten Gäste Platz machen musste.

Nach einer Weile schlossen sich ihnen weitere Studenten an und die Gruppe wurde immer größer und lauter. Aber nachdem keiner betrunken grölte, so dass andere Gäste sich gestört fühlen konnten, beschwerte sich niemand. Im Gegenteil, im anderen Teil des Lokals schien sich ebenfalls eine Ansammlung junger Menschen zu amüsieren. Zudem lief im Hintergrund die obligatorische Kneipen-Salsa-Musik in entsprechender Lautstärke. Oxana sah ein paar Mal in die Richtung, aus der auch Gelächter und Biergesänge kamen, konnte aber keine einzelnen Personen erkennen. Im Grunde ging es in Bars in Spanien grundsätzlich etwas lauter zu als in vielen anderen europäischen Ländern. Das ganze ließ sich noch steigern, wenn Fußball im Fernsehen lief. In diesem speziellen Fall waren dann Beschwerden mehr als unangebracht und wurden nicht geduldet.

Oxana kam gerade von den Waschräumen zurück und wollte für sich und ihre Gruppe noch eine Runde Getränke bestellen, als sie sich zur gleichen Zeit mit einem Mann an der Bar anstellte, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Er schaute sie ebenfalls neugierig an, bis ihnen beiden einfiel, woher sie sich kannten. Es war der Typ aus dem Park. Er sah Oxana überrascht an und ließ ihr den Vortritt an der Theke. Sie lächelte scheu und bedankte sich. Als sie ihre Bestellung aufgegeben hatte war er an der Reihe. Er sprach spanisch aber als der Kellner etwas zurückfragte, stockte er und verstand nicht. Da bemerkte sie erneut, dass es wohl nicht seine Muttersprache war, zumal er einen eigenartigen Akzent hatte. Langsam wiederholte er seine Bestellung. Nachdem alles geklärt werden konnte bewegten sich beide im selben Augenblick vom Tresen weg und traten sich dabei gegenseitig auf die Füße. Er packte sie an den Armen als sie schwankte: »Oh, ich bitte vielmals um Entschuldigung.« Seine Augen blitzten sie an. Trotz seines dunklen Drei-Tage-Bartes waren seine Gesichtszüge rund und weich. Oxana fiel sofort der für Männer eher untypische volle Kussmund auf. Und seine warmen braunen Augen, die sie unaufhörlich ansahen.

»Nichts passiert«, lachte sie. Und als er sie nicht losließ merkte sie an: »Ich stehe sicher mit beiden Beinen auf der Erde. Lässt Du mich vielleicht wieder los? Danke!«

»Oh, natürlich«, er ließ die Hände fallen um ihr dann wieder seine Rechte entgegen zu strecken: »Ich heiße Ben.«

»Freut mich. Ich bin Oxana.« Sie nahm seine Hand und schüttelte sie heftig. Sie vergaß immer, dass sie einen ziemlich kräftigen Händedruck hatte. ›Wie ein Bierkutscher‹, hatte Carlos, ihr Boss in der Strandbar, einmal zu ihr gesagt. Sie bemerkte es immer erst, wenn ihr Gegenüber zusammenzuckte und so wie Ben jetzt, vermeintlich unbemerkt mit der anderen Hand über seine rechte strich. Das war ihr unangenehm und sie fuhr sich unsicher durch ihre unzähmbaren dunkelblonden Korkenzieherlocken und deutete mit der anderen Hand zu dem Tisch an dem ihre Freunde saßen: »Also, ich geh dann mal …«

Eine Stunde später rückte der Kellner ein paar Tische neben der Gruppe um Oxana zusammen und sie bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich ihre Parkbekanntschaft mit ein paar Freunden und Frauen direkt neben sie setzte. Ihr Blick entsprach wohl sehr deutlich einem Fragezeichen, denn Ben erklärte: »Sie schließen, glaube ich, den hinteren Teil.« Und damit prostete er ihr zu. Sie erhob ihr Glas ebenfalls und trank dann aus. Als er bemerkte dass es leer war, bot er ihr an, noch eins zu holen. Aber sie winkte dankend ab. Wenn sie nicht achtgab, stieg sie in ein paar Stunden sturzbetrunken in den Zug.

Ben und seine Freunde waren schwer in Gespräche mit den ebenfalls am Tisch sitzenden Damen vertieft. Aus Wortfetzen, die herüberflogen, konnte Oxana heraushören, dass sowohl die Damen als auch die Freunde von Ben weder der spanischen noch einer anderen kompatiblen Fremdsprache mächtig waren. Man kommunizierte eher mit Händen und Füßen. Nichtsdestotrotz war der Alkoholfluss am Tisch immens und die Atmosphäre ungeheuer testosterongeschwängert. Einer seiner Freunde, Mikki war wohl sein Name, schien den ganzen Tisch lautstark zu unterhalten. Oxana beobachtete ihn ab und zu. Er war ihr irgendwie unsympathisch.

Kurze Zeit später musste Oxana sich erheben, um Pedro vom hinteren Teil des Tisches aufstehen zu lassen. Dabei rückte die ganze Gesellschaft auf der Sitzbank nach und sie fand sich plötzlich neben Ben wieder. Auf dessen anderen Seite saß eine blonde Frau, die eine Hand auf seinem Oberschenkel liegen hatte.

»Wo kommt der Name Oxana her? Bist du Russin?« sprach er sie an, ungerührt der Finger die auf seinem Bein auf und ab fuhren.

Oxana musste sich konzentrieren, nicht auf die Hand zu schauen, die sich immer mehr seinem Schritt näherte. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie weit die Frau gehen würde. Hier am Tisch. Trotzdem zwang sie sich ihm direkt in die Augen zu sehen und antwortete: »Nein, Du?«

Er lachte: »Nein, ich dachte nur Dein Name sei russisch.«

»Nein, der Name ist nicht russisch. Der Name ist kompromissisch.«

»Wie bitte? Das verstehe ich nicht.«

Da fiel ihr wieder ein, dass spanisch nicht seine Muttersprache zu sein schien und er demzufolge mit Wörtern, die nicht im Duden zu finden waren nichts anfangen konnte. »Der Name ist ein Kompromiss.«

»Ah ja? Das musst Du mir erklären …« Dabei schob er ganz nebenbei die Hand der Dame von seinem Bein und wandte sich Oxana zu.

»Also. Mein Vater wünschte sich eigentlich einen Jungen. Und der sollte dann Oxando heißen,« erklärte sie. »Meine Mutter aber wusste, dass sie ein Mädchen haben würde und das sollte Olalla heißen. Mein Vater hat das nie ernst genommen, weil er sicher war, er bekam seinen Oxando. Als dem nicht so war, hat er sich geweigert, die Geburtsurkunde mit meinem Namen zu unterschreiben. Meine Mutter hat mir erzählt, dass er ein schreckliches Theater veranstaltet hatte und das ganze Krankenhaus daran teilhaben ließ, dass er mit dem Namen nicht einverstanden war. Er hatte auf dem Flur getobt und geschrien, dass er es nicht mit ansehen würde, dass die Kerle irgendwann seiner Tochter ›Olalla‹ hinterherrufen. Es wurden wohl Wetten abgeschlossen, wer sich durchsetzen konnte.«

Jetzt war er neugierig: »Und wie hat er es dann geschafft?«

»Nun meine Mutter ging eben den Kompromiss ein, den Namen abzuändern. Um des lieben Friedens willen. Und sie versprach ihm einen Sohn, den er dann nennen könne, wie er wolle. Pepe, Pope oder Pinocchio. Hauptsache er wisse sich wieder einigermaßen zu benehmen.«

Jetzt musste Ben lachen: »Und hat’s geklappt?«

»Was?«

»Na, mit dem Bruder?«

Da verdunkelten sich Oxanas Augen ein wenig: »Ja hat es.«

»Na dann ist ja alles gut. Aber vielleicht hat dein Vater ja auch recht gehabt. Wer heißt schon Olalla?«

Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Die Frau von Fernando Torres!«

»Wer zur Hölle ist Fernando Torres?«

Obwohl Oxana und Ben jeweils mit ihren eigenen Freunden in der Bar saßen, unterhielten sie sich den ganzen Abend nur noch miteinander. Irritiert bemerkte Oxana, dass Ben seinen Kumpel Mikki die meiste Zeit über im Auge behielt und ihn zwischendurch mehrfach ermahnte nicht noch mehr zu trinken. Obwohl das ihrer Ansicht nach bereits viel zu spät war. Der Junge hatte so glasige Augen, dass sie bezweifelte, dass er auch nur einen Hauch von dem was in der Bar vor sich ging, mitbekam. Auf der einen Seite war er ein interessanter Typ aber irgendwie konnte sich Oxana nicht mit ihm anfreunden. Er war groß und schlank, hatte blonde Haare mit silbernen Strähnchen und sein Teint war sehr blass. Oxana fand, dass er etwas Skandinavisches an sich hatte. Daher vielleicht auch der Dialekt. Aber sein Blick hatte etwas Verlorenes, Verschleiertes. Fast schon Verstörendes. Vielleicht wirkte er auch im Augenblick nur so weil seine Augen aufgrund seines alkoholisierten Zustandes blutunterlaufen waren. Er ignorierte die anderen Jungs und widmete sich ausschließlich den Frauen. Und jedes Mal wenn er den Raum verließ um zum Rauchen nach draußen zu gehen, sah Ben ihm kopfschüttelnd nach.

»Lass ihn doch«, sagte Oxana lachend als sie seinen Unmut bemerkte. »Er nimmt Dich gar nicht mehr wahr. Der kann mit einem Auge zur Tür raus und mit dem anderen auf die Toilette schauen; so weggetreten ist der.«

»Das ist nicht lustig«, brummte Ben. Gab aber keinen weiteren Kommentar dazu ab.

Als ihre Gläser längst leer waren, vergaßen sie sich neue Getränke zu bestellen, so vertieft waren Oxana und Ben in ihre Unterhaltung. Er erzählte ihr, dass er zusammen mit seinen Begleitern zur Hochzeit bei einem Kollegen auf der Insel Mallorca eingeladen war und sie nun auf dem Rückweg einen Zwischenstopp in Barcelona machten. In zwei Tagen würden sie zurück in ihre Heimat, nach Liechtenstein, fliegen. Jetzt verstand Oxana auch, warum er mit einem Akzent sprach. Allerdings hatte sie keine Ahnung wo Liechtenstein lag.

»Und wie sieht es mit Dir aus? Bist du auch schon verheiratet?« Oxana versuchte die Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.

»Gott bewahre. Ich bin ganz vogelfrei und fühle mich super damit.« Inwieweit er diese Aussage ernst meinte konnte sie nicht heraushören. Aber er grinste schon wieder. Ben hatte nette Grübchen auf den Wangen wenn er lachte. Auch wenn Oxana das Gefühl hatte, dass das Lächeln seine Augen nicht erreichte.

Als der Wirt wieder einmal vorbei kam und mitteilte, dass die Küche bald schließen würde, fragte Ben, ob sie vielleicht etwas zusammen essen sollten. Oxana willigte gerne ein: »Großen Hunger hab ich zwar nicht aber zu zweit wäre für mich okay.«

»Wir nehmen auf jeden Fall eine Portion Patatas Bravas«, bestimmte er. Das wiederum überraschte Oxana nicht, denn die meisten Touristen liebten die im Fett gebratenen Kartoffeln mit Knoblauchsauce. »Und können wir diesen süßen roten Wein mit den Früchten nehmen?« Ben sah sie fragend an. Da legte sie eine Hand auf seinen Arm: »Gerne. Aber mach bitte keine Fotos vom Essen. Es reicht schon, dass wir wie Touristen bestellen. Wir müssen nicht auch noch als solche auffallen. Ok?« Dabei grinste sie ihn an. Er lächelte betreten zurück: »Schlimm? Ich kann auch noch ein Bier nehmen.« Als Oxana merkte, dass er ihre Ironie bezüglich der wilden Kartoffeln und der Sangria, dem Grundnahrungsmittel der spanischen Küche, nicht verstand, beschwichtigte sie ihn entschuldigend und bestellte eine gemischte Tapas-Platte für zwei, eine Portion Patatas und einen Liter Sangria. Im Geiste überschlug sie ihre Finanzen und hoffte dass sie keinem Gauner aufgesessen war, der sie das Essen bezahlen ließ. Als ihr dieser Gedanke kam spürte sie ein nervöses Kribbeln im Bauch. Sie wollte nicht, dass sie sich in ihm getäuscht hätte, dazu gefiel er ihr zu gut. Sie hatte ja schon festgestellt, dass er gut gebaut war, seine breiten Schulten und die muskulösen Arme durfte sie bereits bewundern. An seinen vollen Lippen konnte sie sich nicht satt sehen und musste sich immer wieder zwingen, den Blick abzuwenden. Dieser Kussmund! Eigentlich eher untypisch für Männer dachte sich Oxana zum wiederholten Mal. Außerdem war er ihr sehr sympathisch.

»Was denkst Du gerade?« Er sah sie fragend an. ›Erwischt‹, fuhr sie erschrocken zusammen. Doch bevor sie zu einer Antwort gezwungen war brachte eine Kellnerin einen schweren Krug mit der Sangria und einen großen Teller mit verschiedenen Tapas zusammen mit einer Riesenportion Kartoffeln.

Gegen zwei Uhr morgens lösten sich die Gruppen langsam auf. Die beiden Studenten, die schon als erste im Lokal gewesen waren, bezahlten und gingen nach Hause. Tom und Ina machten sich auf den Weg in Richtung Flughafen. Pedro und Oxana mussten zurück in das Studentenwohnhaus gehen, von wo aus Oxana den Bus zum Bahnhof nehmen würde. Während sie sich erhoben um sich von Ben und seinen Freunden, die mittlerweile auch nur noch zu viert waren, zu verabschieden, bezahlten diese ebenfalls. Die Blondine war verschwunden.

»Was machst Du heute noch?« wollte Ben von ihr wissen.

»Ich gehe zurück in meine Studentenwohnung und hole mein Gepäck.«

»Du verreist?« Ben versuchte Mikki zu stützen, damit dieser nicht der Länge nach auf die Straße fiel. Oxana fühlte sich mit einem Mal unwohl in der Gesellschaft dieser vier Männer, von denen mindestens zwei offensichtlich nicht mehr in der Lage waren aufrecht zu gehen. Gott sei Dank war Pedro bei ihr und sie konnte den Placa de Catalunya schon sehen, von wo aus die ganze Nacht Busse in alle Richtungen fuhren. Außerdem war auf den Ramblas trotz der kühlen Nachttemperaturen noch viel Betrieb, so dass sie sicher zum Busbahnhof gelangen konnten. »Ich muss gehen … vielleicht sehen wir uns mal wieder.« Sie umarmte Ben kurz, küsste ihn dabei auf die Wange und wollte sich gerade abwenden als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und sie sanft auf den Mund küsste. Alles um sie schien sich zu drehen. Dieser Kuss war unerwartet und der Wahnsinn. Oxana rührte sich nicht als Ben sich von ihr löste und sich abwandte. Sie konnte auch nicht mehr hören, wie er leise sagte: »Das wäre schön …«

Vier Monate später …

Carlos Bar eröffnete die Saison am Strand als eine der ersten. Bereits Anfang kamen schon einige Touristen nach Valencia. Es waren Sportler, Wanderer oder Familien, die nicht an Schulferien gebunden waren. Die meisten Urlauber um diese Jahreszeit gingen spazieren, planten eine Radtour oder buchten eine der zahlreich angebotenen Sightseeing-Touren. Ein paar ganz unerschrockene prüften auch schon das Wasser. Besonders gerne an Valencias wunderschönem Naturstrand.

Oxana begann gerade ihre Schicht in der Strandbar und brachte ein Tablett mit Getränken an einen Tisch, als ein braun-weiß gefleckter Hund quer über den Sand auf sie zu rannte. Schnell servierte sie den Gästen ihre Getränke und warf das leere Tablett auf einen freien Tisch. »Bambina, meine Gute!« Sie nahm den Hund fest in den Arm als auch schon ihre Besitzerin auftauchte: »Hallo, was ist mit mir?« Lachend richtete sich Oxana auf und nahm ihre Freundin Livia ebenfalls in den Arm. »Ach, was hab ich das vermisst! Hier stehen und schauen wer vorbeikommt. Komm her!« Die beiden Frauen umarmten und drückten sich fest. Seit drei Jahren waren sie eng befreundet. Livia war Besitzerin einer Frühstücks-Bar an der Straße, die zum Strand führte.

»Der Winter ist einfach zu lange«, seufzte Oxana, »manchmal wünschte ich mir, Carlos würde die Bar das ganze Jahr offen lassen.«

»Da würdest du dir im Januar und im Februar ordentlich die Beine in den Bauch stehen und zwar ganz alleine«, lachte Livia, »es ist schon gut so wie es ist. Auch wenn wir uns eine ganze Weile nicht gesehen haben. Wie geht es Dir, was macht das Studieren? Und die Liebe? Ich will alles wissen, jedes kleine Detail!«

»Huch, ganz schön viele Fragen auf einmal. Mir geht es gut, ich kann mich nicht beschweren. Und das Studium läuft im Grunde ganz gut. Auch wenn mein Vater immer wieder nachfragt, wann ich endlich fertig bin mit dem Gekritzel. Ich hab ihm erst einmal nicht gesagt, dass ich ein Urlaubssemester einlege.« Sie verdrehte die Augen und sah sich um. »Und bei euch?« Seit Livia mit Mats Manning, dem Fußball-Trainer zusammen war, gab es die beiden nur noch im Doppelpack. Wo der eine auftauchte war der andere nicht weit. Oxana hatte sich bereits daran gewöhnt.

»Bei uns ist alles okay. Mats ist heute Nacht spät von einer Champions- League-Reise aus Kasachstan zurückgekommen. Er hat für heute nur ein kleines Lauftraining geplant. Würde mich nicht wundern, wenn er hier noch vorbeikommt.«

»Du liebe Güte, ist da nicht Krieg?« Oxana war entsetzt. Aber Livia konnte sie beruhigen: »Nein, dort nicht. Das verwechselst Du. Aber erzähl von dir, was gibt es Neues? Keine große Liebe in Sicht?«

Oxana schnaubte: »Als hätte ich Zeit für so was …« Bevor sie noch mehr dazu sagen konnte, kamen glücklicherweise weitere Gäste in die Bar und sie musste die Bestellungen aufnehmen.