Ein Tulpenstrauß im Herbst - Christina Gerber - E-Book

Ein Tulpenstrauß im Herbst E-Book

Christina Gerber

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Beschreibung

Ist es möglich, innerhalb von sieben Tagen eine komplett neue Welt in uns entstehen zu lassen? Eine Schriftstellerin macht sich auf die Reise zu einem Besuch bei ihren Eltern, dem Zuhause ihrer Kindheit. Dort angekommen, geht die Reise auf ungeahnte Weise gemeinsam weiter: Jeden Abend liest sie im Kreise Ihrer Familie eine ihrer Kurzgeschichten vor und entfacht damit intensive Gespräche über die Geheimnisse des irdischen Lebens. Was liegt allein in unserer Hand, wo können wir aktiv (mit)wirken und unser Glück bewusst gestalten? Und wann sind Hingabe und Vertrauen gefragt, um inneren Frieden und Heilung zu finden? In "Ein Tulpenstrauß im Herbst" führt Christina Gerber ihre Leser sanft und eindringlich an die zentralen Fragen des Menschseins heran; kraftvoll begleitet von einem unerschütterlichen Glauben an die Sinnhaftigkeit der Schöpfung. Ein Buch zum Nachsinnen, Nachfühlen und Nachschwingen.

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Für Mami, Hapu und Moni

Du legst den Finger in die Wunde, ganz leicht.

Nur eine Geschichte, deine eigene? Wer weiß.

Es finden sich viele wieder, in der Geschichte. Überrascht?

Du hast sie ertappt, du fängst sie auf. Unbemerkt.

Sie beginnen zu denken, halten inne in ihrem Leben.

Manche ändern die Richtung, nur einen Tag lang Immerhin.

Darum machst du weiter, erzählst eine neue Geschichte.

(Christina Gerber)

Inhaltsverzeichnis

Sieben Tage

Montags

Dienstags

Mittwochs

Donnerstags

Freitags

Samstags

Gier

Sonntags

Mitternachts

Nachwort: Danke

Sieben Tage

»Oh, sind die aber hübsch!«

Mit leuchtenden Augen nimmt meine Mutter den bunten Tulpenstrauß entgegen, den ich ihr zur Begrüßung mitgebracht habe – ihre Lieblingsblumen.

»Wo hast du die denn her um diese Jahreszeit?«

Ich lächle und erwidere: »Ich habe sie gesehen und musste an dich denken … es sind sieben Stück, für jeden unserer Tage eine.«

»Wie lieb von dir, vielen Dank! Ich freue mich so sehr, dass du wieder einmal zuhause bist!«

»Ich mich auch!« entgegne ich und nehme sie fest in die Arme. »Ich habe euch noch etwas mitgebracht«, füge ich hinzu. »Geschichten.«

Meine Mutter sieht mich erfreut an: »Von dir?«

»Ja - vielleicht habt ihr Lust, diese Woche ein bisschen darin zu stöbern?«

»Natürlich, gerne! Ich bin schon gespannt! Aber zuerst trinken wir eine schöne Tasse Tee.«

Mit diesen Worten holt sie ihre kristallene Tulpenvase aus dem Wohnzimmerschrank und läuft langsam Richtung Küche, um die Blumen zu versorgen und das Wasser für den Tee aufzusetzen.

»Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.«

(Genesis 1,1)

Montags

Es war eiskalt, Klara fror erbärmlich. Draußen tobten Regen und Schnee. Es war windig und ungemütlich, dieses Aprilwetter. Der Himmel war wolkenverhangen und unheilverkündend, die Heizung war ausgefallen und Klara saß in Winterjacke und mit dickem Schal an ihrem Computer und surfte ziellos im Internet.

Neben ihr standen eine mit heißem, grünem Tee gefüllte Thermoskanne und ein kleiner Teller mit Schokoladenkeksen. Würde ihr Nachbar von gegenüber die Szene von draußen durch das Fenster beobachten, würden ihm gewiss Worte wie heimelig, gemütlich, kuschelig, friedlich einfallen. Zur vollkommenen Idylle fehlte nur noch ein knisternder Kamin in der Ecke.

Leider trog der Schein, wie so oft, auch in diesem Fall. Der Tee kam Klara inzwischen buchstäblich zu den Ohren heraus, die Langeweile brachte sie fast um, und nur ihre selbst auferlegte Beschäftigung, täglich neue Fotoalben mit Tausenden jahrelang gehorteter Fotos zu füllen, rettete sie momentan vor der endgültigen Depression. Ihr Mittagessen war verzehrt, die Küche war aufgeräumt.

Nur um eine weitere Abwechslung zu generieren, hatte sie vor einer Viertelstunde die Wäsche aus dem Trockner im Keller geholt. Im Flur hatte es wieder einmal nach alter Frau und Kohlsuppe gerochen, eine sehr spezielle Mischung, die Klara jedes Mal aufs Neue einen Würgereiz verursachte.

Nun saß sie in ihrem kleinen Arbeitszimmer und durchforstete wie jeden Tag das Internet nach Arbeitsmöglichkeiten aller Art. Doch sie konnte sich nicht konzentrieren, immer wieder schweifte ihr Blick zu den Wetterkapriolen vor ihrem Fenster hinaus: Inzwischen fielen kleine Schneebälle vom Himmel und die grüne Hecke vor ihrem Fenster hatte ein weißes Häubchen bekommen.

»Arbeitslos«. Klaras persönliches Unwort des Jahres. Es war offensichtlich keine sehr gute Idee gewesen, Politikwissenschaften zu studieren und davon überzeugt zu sein, damit ihren Lebensunterhalt verdienen zu können – und dementsprechend sah ihr Lebenslauf mittlerweile aus. Mit fünf verschiedenen Arbeitgebern in den letzten fünf Jahren war es nicht das Vorzeigeprofil, das ihr bei neuen Stellenangeboten Tür und Tor öffnete. Hinzu kam, dass sie lediglich ein mitleidiges Nicken erntete, wenn sie sich nach langem inneren Kampf dazu entschloss, ihrer Umwelt zu beichten, dass sie sich auf Arbeitssuche befand, und ihr Selbstbewusstsein lag nach diesen vergangenen frustrierenden Wochen inzwischen in Trümmern. Ihr kläglicher Ertrag waren zwei Stellengesuche, auf die sie prompt eine Absage erhalten hatte. So verbrachte Klara ihre Tage mit einkaufen, aufräumen, kochen, waschen, backen, fernsehen, schlafen und im Internet surfen.

Ein Geräusch ließ sie erneut aufblicken: Die kurze Schneeballinvasion hatte sich verzogen und einem sintflutartigen Dauerregen Platz gemacht, der die Sicht bis zum Nachbarhaus fast unmöglich machte. Das waren ja großartige Aussichten. Es war inzwischen halb vier geworden und nach ihrer unergiebigen und gleichermaßen halbherzigen Jobsuche beschloss Klara kurzerhand, dass sie sich eine Pause verdient hatte. Am Vormittag hatte sie sich bei »Großmutters Backstube« ein großes Stück frischen, lecker duftenden Hefezopf gekauft und würde ihn sich nun mit Butter und Pflaumenmarmelade bestrichen schmecken lassen.

Bei diesem Gedanken spürte Klara ihr Herz ein winziges Stück fröhlicher werden. Sie schlurfte langsam ins Wohnzimmer und machte es sich mit einer Tasse heißem Milchkaffee auf dem Sofa gemütlich, biss genüsslich in den unbeschreiblich feinen Hefezopf und griff nach der heutigen Zeitung, die noch ungelesen auf dem Wohnzimmertisch lag – vielleicht gab es darin etwas Neues. Klara tauchte in die wohlige Stille dieses Momentes ein und spürte, wie sie sich mit jedem Schluck Kaffee zunehmend entspannte:Wie schön war das Glück der kleinen Dinge.

Plötzlich wurde ihr Blick erneut abgelenkt, zum Fenster hinaus. Irgendwie änderte sich die Perspektive, fast unbemerkt. Sie konnte ihre Umgebung wieder sehen. Die trübe Stimmung war in Auflösung begriffen, es schien, als wäre draußen etwas im Gange. Klara blinzelte. Ein Hauch von Helligkeit stahl sich durch die schwere Wolkendecke. War es nur eine Sinnestäuschung? Sie wagte kaum zu atmen, um das kleine Licht nicht zu vertreiben. Sie erhob sich langsam und schlich zum Fenster, wohlwissend, dass ihre Reaktion von außen gesehen recht seltsam anmuten musste - doch sie spürte eine gewisse Magie in der Luft. Bewegungslos stand sie da und starrte gebannt zum Himmel bis ihre Augen begannen zu tränen.

Ganz leise kündigte sich die Wandlung an. Der Dauerregen war verstummt und es rieselten nur noch feine Nieseltröpfchen zur Erde. Der stürmische Wind hatte sich gelegt. Alles tropfte und dampfte und Nebelschwaden stiegen in den Himmel hinauf.

Plötzlich wurde Klara von einer inneren Unruhe erfasst, die sie sich selbst nicht erklären konnte – es war, als würde sie auf der Stelle dem Ruf der Natur folgen müssen. Sie wollte hinaus! Sie warf die Zeitung achtlos auf den Boden, rannte fast in den kleinen Flur zur Garderobe, schlüpfte in ihre warmen Stiefel und stürzte nach draußen. Auf dem Weg zur Garage sog sie gierig den frischen, erdigen Geruch des nassen Rasens ein. Die Vögel schüttelten sich die Feuchtigkeit aus dem Gefieder und fingen an zu singen. Ungeduldig zerrte Klara ihr Fahrrad aus der Ecke und schwang sich auf den Sattel.

Und plötzlich war die Sonne ist da. Mit voller Kraft und intensiver Wärme erweckte sie die ganze Umgebung aus ihrem Schlaf. Klara spürte, wie mit dieser Wärme auch tief in ihrem Inneren Kraft und Zuversicht erwachten und ihre Zellen sich mit neuem Leben füllten.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie trat fest in die Pedale, schüttelte ihre Zweifel und Sorgen ab und radelte los – einer neuen Freiheit entgegen.Was auch kommen mochte, es war IHR Leben und sie würde es bravourös meistern.

Was war das für ein herrlicher Tag!

»Eine schöne Geschichte«. Vorsichtig legt Mama die Blätter auf den kleinen runden Glastisch an ihrer Seite. »Sie vermittelt Aufbruchsstimmung.« Wir sitzen im Wohnzimmer, draußen ist es dunkel, der Tag ist zur Neige gegangen.

Meine Mutter hat es sich in ihrem Sessel bequem gemacht, ihre Hände ruhen auf der warmen dunkelgrauen Kuscheldecke in ihrem Schoß. Faltig sind sie, ein wenig knotig, von Arthrose gebeutelt. Sie haben viel geschafft in ihrem Leben, gestaltet, beschützt, gekocht, gewärmt, getadelt, getröstet … ja, sie können viel erzählen, diese Hände.

»Woher kommen all deine Geschichten?«, möchte sie wissen.

»Das frage ich mich manchmal auch«, entgegne ich nachdenklich. »Sie sind einfach da und warten darauf, geschrieben zu werden. Es sind so viele, unendlich und vielfältig, bunt und traurig, lustig, nachdenklich, hoffnungsvoll, es gibt kein Ende.«

»Ist das nicht anstrengend?«

Ich zögere kurz und höre in mich hinein. »Nein.« entgegne ich schließlich. »Nein, im Gegenteil, es entspannt mich. So kann ich meine Gedanken besser ordnen.«

»Und was geht dir gerade durch den Kopf?« fragt Mama und ihre wachen, dunklen Knopfaugen ruhen sanft auf mir.

»Gott und die Welt«, lache ich und werde dann ernst. »Ich frage mich manchmal, was ich in meinem Leben schaffe, was ich täglich leiste und ob es wohl genug ist? Gott hat in einer Woche die ganze Welt erschaffen – aber das ist wohl kein Maßstab.« Mit einem etwas schiefen Lächeln schaue ich sie fragend an.

Sie schmunzelt und nickt zustimmend: »Ja, das ist wohl nicht ganz der rechte Maßstab. Davon abgesehen, wer legt denn fest, was ‘genug’ ist in unserem Leben? Du? Ich? Dein Vater? Unsere Nachbarn? Der liebe Gott? Das Universum? Wonach streben wir? Und wer kann uns Zufriedenheit schenken mit dem, was wir erreicht haben?«

»Gute Frage … wahrscheinlich können wir das am Ende nur selbst ...« Gedankenverloren schaue ich in den Garten, im Dunkeln sind nur Schatten zu erahnen. Lediglich der Schein der Gartenlaterne bringt ein wenig Helligkeit. Im warmgelben Lichtkegel sehe ich plötzlich hunderte Schneeflocken tanzen, sanft und leicht fallen sie zur Erde – der Winter kommt. Leise.

Der erste Tag.

»Gott sprach: ‘Es werde Licht.’ Und es wurde Licht.«

(Genesis 1,3)

Dienstags

Das Licht ist dämmrig. Der halb geöffnete Rollladen malt kleine, zarte Lichtpunkte auf die cremeweiß getönten Wände. Durch das geöffnete Fenster dringt vereinzelt das erste Zwitschern der erwachenden Vögel.

Karolin liegt mit offenen Augen in ihrem Bett, starrt an die Decke.