Ein verführerischer Weihnachtswunsch - Janice Maynard - E-Book
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Ein verführerischer Weihnachtswunsch E-Book

Janice Maynard

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Beschreibung

Seit über einem Jahr ist Dani heimlich in ihren sexy Boss verliebt. Und er? Nathaniel Winston sieht in ihr nur seine fleißige Assistentin. Bis am 23. Dezember ein mächtiger Schneesturm in Atlanta wütet und sie beide in seinem eleganten Penthouse eingeschneit werden. Kerzenschein, ein lodernder Kamin - und heiße Leidenschaft in eiskalter Winternacht! Nur der größte Wunsch auf Danis heimlicher Weihnachtsliste scheint sich noch nicht zu erfüllen: dass ihr umwerfend attraktiver Boss auch dann zu seinen Gefühlen steht, wenn der Schnee schmilzt …

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Seitenzahl: 199

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Janice Maynard Originaltitel: „Billionaire Boss, Holiday Baby“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2111 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Monika Paul

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733725518

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

23. Dezember

Auch wenn der Kalender etwas anderes behauptete, für Dani Meadows war heute der längste Tag des Jahres. Dabei hatte er sich ganz manierlich angelassen – business as usual. Dass ihren wortkargen, aber verflixt schnuckeligen Boss so etwas wie Festtagsstimmung packte, hatte sie sowieso nicht erwartet.

Stundenlang hatte Dani Zulieferern hinterhertelefoniert, die natürlich überwiegend schon im Urlaubsmodus waren. Während das ganze Land in der Zeit zwischen den Jahren dichtmachte, suchte Nathaniel Winston, seines Zeichens Geschäftsführer und Eigentümer von NCT, New Century Tech, unermüdlich nach Mitteln und Wegen, um den Wachstumskurs seines Unternehmens weiter zu beschleunigen. Er arbeitete wie ein Besessener, und Dani, seine persönliche Assistentin, zog mit – E-Mail für E-Mail, Geschäftsessen für Geschäftsessen.

Ihre Terminkalender unterschieden sich nur insoweit, als Dani jeden Tag um fünf nach Hause ging, Nathaniel dagegen oft bis spät in die Nacht hinein arbeitete.

Das erwartete er von ihr nicht. Eigentlich war er als Chef extrem fair und verlangte von seinen Mitarbeitern nichts, was den Rahmen gesprengt hätte. Selbst wenn es einmal gar nicht anders ging, verdonnerte Nathaniel nie jemanden zu Überstunden, sondern suchte Freiwillige, die dafür großzügig entlohnt wurden.

Missmutig überflog Dani die Mail, die eben eingetroffen war. Wieder eine Abwesenheitsnotiz, die zwölfte in zwei Stunden.

Warum konnte Nathaniel es nicht einfach gut sein lassen und nach Hause gehen? Leider war das genauso unwahrscheinlich wie das Schneechaos, das laut Wetterbericht am Abend über Atlanta hereinbrechen sollte. In der Hauptstadt des „Pfirsich-Staates“, wie Georgia auch genannt wurde, gab es zwar gelegentlich Frost, manchmal fiel auch ein bisschen Schnee, aber nie, nie, nie geschah das schon im Dezember!

Gestern waren es milde dreizehn Grad, und auch wenn für heute der Durchzug einer Kaltfront gemeldet war, hieß das erfahrungsgemäß nur, dass es ungemütlich nass wurde und die Temperaturen unter fünf Grad fielen. Kein Problem für Dani, die für solche Fälle in einer Tasche unter dem Schreibtisch ein Paar Gummistiefel aufbewahrte. Und ein kleiner Spurt zum Bahnhof, sollte es tatsächlich schütten, würde sie nicht umbringen.

„Alle ausgeflogen!“, rief sie jetzt, um sich gegen das Zischen der Heizkörper Gehör zu verschaffen. „Ich schätze, vor dem neuen Jahr brauchen wir es gar nicht erst wieder versuchen.“

Ein hoch gewachsener, dunkelhaariger Mann steckte den Kopf zur Tür des Büros herein. Nathaniel hätte einen Haarschnitt vertragen, aber an seinem maßgeschneiderten Anzug klebte kein Stäubchen. Die markante Kieferpartie, auf der sich an diesem Spätnachmittag bereits dunkle Schatten abzeichneten, und die ernst blickenden braunen Augen unterstrichen die ausgeprägte Männlichkeit von Nathaniels Erscheinung. Dani schluckte. Normalerweise kam sie zu ihm, nicht umgekehrt.

Er wirkte erschöpft, und dass er sich das anmerken ließ, war so untypisch, dass Dani sofort hellhörig wurde: „Alles okay? Kann ich noch was für Sie tun, bevor ich gehe?“

Er lehnte am Türrahmen und musterte sie. „Sie arbeiten jetzt schon fast zwei Jahre für mich, stimmt’s?“

„Stimmt.“

Stirnrunzelnd sah er sich in dem kleinen, vollgestopften Büro um. „Dann müssen wir schleunigst was unternehmen! Sie brauchen einen neuen Teppich. Und anständige Möbel. Kümmern Sie sich darum, sobald Sie zurückkommen.“

„Geht klar, Chef.“ Auf seinen finsteren Blick hin korrigierte sie sich rasch: „Nathaniel.“

Irgendwie wollte dieser Name nicht über ihre Lippen. Im stillen Kämmerlein nannte sie ihn natürlich Nathaniel, wenn sie an ihn dachte, aber das war etwas ganz anderes, als ihn wirklich so anzusprechen, auch wenn er darauf bestand, von allen Mitarbeitern mit dem Vornamen angeredet zu werden.

Wenn Sie zurückkommen, hatte er gesagt. Sie, nicht wir. Das hieß vermutlich, dass er vorhatte, an den Feiertagen in das verlassene Gebäude zurückzukehren, um zu arbeiten. Soweit Dani wusste, hatte er keine Familie, andererseits: Was wusste sie schon über ihn? Er sprach nie über Privates.

Auf jeden Fall war es Quatsch, ihn zu bemitleiden. Der Mann schwamm in Geld. Wenn er idyllische, besinnliche Weihnachten wollte, brauchte er sich die nur zu kaufen.

Nach einem langen, unbehaglichen Schweigen warf Nathaniel einen Blick auf seine Armbanduhr und verzog das Gesicht. „Ich denke, ich sollte mich unten mal blicken lassen.“ Sein Tonfall ließ den Satz wie eine Frage klingen.

Dani nickte. „Sie werden schon erwartet.“ Sie deutete auf einen braunen Umschlag am Rand des Schreibtisches. „Und vergessen Sie die Schecks nicht.“

„Können Sie die nicht verteilen?“

Er meinte das nur halb im Scherz, deshalb antwortete Dani mit ernster Stimme: „Die Mitarbeiter sehen Sie gerne mal aus der Nähe, Nathaniel. Und es gibt kaum was Schöneres, als mit einer vom Boss höchstpersönlich überreichten Weihnachtsgratifikation in die Ferien zu starten.“

„Was ist mit Ihnen?“

Dani spürte, wie ihre Handflächen feucht wurden. „Für mich ist auch ein Scheck dabei.“

Nathaniel verzog das Gesicht. „Sie hätten viel mehr verdient. Ohne Sie würde der Laden nicht halb so gut laufen.“

„Nett, dass Sie das sagen, aber ich bin mit dem normalen Weihnachtsgeld mehr als zufrieden. Ich fahre nur noch rasch den Rechner runter, dann komme ich nach.“

„Ich warte so lange.“

Aber anstatt draußen im Flur zu warten, wie Dani angenommen hatte, blieb Nathaniel in der Tür stehen und beobachtete sie geschlagene fünf Minuten lang bei den unzähligen kleinen Handgriffen, mit denen sie jeden Arbeitstag beendete. Sie beschloss, weder die Handtasche noch das Portemonnaie mit auf die Feier zu nehmen, sondern später ins Büro zurückzukommen. Deshalb und auch weil sie vertrauliche Unterlagen hier aufbewahrte, steckte sie die elektronische Schlüsselkarte ein, die den Zugang zur Vorstandsetage ermöglichte. So musste sie nicht warten, falls Nathaniel länger feiern wollte.

Schließlich richtete sie sich auf und strich ihr raffiniert geschnittenes schwarzes Kleid glatt. Sie hatte bewusst auf weihnachtliche Farben verzichtet und auf schlichte Eleganz gesetzt. Mit ihren wohlgerundeten einsfünfundsechzig wäre sie sich vorgekommen wie eine Christbaumkugel, wenn sie sich ganz in Rot gekleidet hätte.

Nathaniel betrachtete sie stumm. Sein Blick wirkte in keiner Weise aufdringlich, aber Dani war sich bewusst, dass er sie dieses eine Mal wenigstens nicht als Teil des Inventars betrachtete, sondern als Frau wahrnahm.

„Können wir?“ Als sie ihm den Umschlag mit den Schecks reichte, schlug ihr Herz viel schneller, als es sollte. Überhaupt fiel es ihr immer schwerer, sich Nathaniel gegenüber normal zu verhalten. Seine Nähe verunsicherte sie. Wenn nicht bald etwas geschah, würde sie sich furchtbar blamieren.

Kein Mensch würde sich etwas dabei denken, wenn sie den großen Konferenzraum gemeinsam mit dem Chef betrat. Nathaniel Winston wäre jederzeit als Mönch durchgegangen: Seine Beziehung zum anderen Geschlecht war nicht bloß über jeden Zweifel erhaben, es gab sie einfach nicht.

Das hätte Dani eigentlich stutzig machen sollen. Aber sie hatte sich ein bisschen in ihn verliebt und zugelassen, dass sich irgendwo im hintersten Winkel ihres Herzens dieser Wunschtraum eingenistet hatte … Nicht, dass sie den Hauch einer Chance bei ihm hatte, aber dass er Single war, ließ das winzige Pflänzchen Hoffnung einfach nicht sterben. Jetzt konnte sie sich kaum mehr in seiner Nähe aufhalten, ohne sich vorzustellen, wie es wäre, mit ihm zu schlafen.

Mit einem flauen Gefühl im Magen folgte sie ihm zum Aufzug, schweigend fuhren sie zwölf Etagen nach unten. Nathaniel hatte beide Hände in den Hosentaschen vergraben, und wie so oft wünschte sich Dani, sie könnte erraten, was hinter seiner Stirn vorging. Anfangs hätte sie nur gern gewusst, ob er mit ihrer Arbeit zufrieden war, aber seit einer Weile beschäftigten sie persönlichere Fragen: Warum hatte er keine Freundin? Oder hatte er eine, hielt die Beziehung aber geheim? Doch das war unwahrscheinlich. Welche Frau würde sich auf einen solchen Workaholic einlassen?

„Verreisen Sie über die Feiertage?“, fragte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

Er starrte sie irritiert an. „Nein.“

Der Ärmste! Wahrscheinlich hatte sie ihm gerade den Schock seines Lebens verpasst. Was erdreistete sie sich, ihrem Boss eine persönliche Frage zu stellen? Obwohl Dani seine engste Mitarbeiterin war und ihr viele Fragen auf den Nägeln brannten, gelang es ihr normalerweise, selbst den kleinsten Hauch von Vertraulichkeit zu vermeiden.

Natürlich wollte sie alles über Nathaniel wissen. Dass sie trotzdem die Distanz wahrte, war ausschließlich ihrem Selbsterhaltungstrieb geschuldet. Solange sie den Mann an ihrer Seite in die Schublade mit der Aufschrift „Chef“ packte, konnte ihr nichts passieren. Das redete sie sich wenigstens ein.

Die Aufzugtür öffnete sich mit einem Pling, und durch den Korridor schlug ihnen Partylärm entgegen. „Auf in den Kampf!“, brummte Nathaniel.

Seltsamerweise wirkte er nervös, fand Dani, aber wieso? Er war ein gebildeter, weit gereister und trotz seiner jungen Jahre unglaublich erfolgreicher Mann. Er hatte überhaupt keinen Grund, wegen einer Lappalie wie dem kurzen Auftritt auf der Weihnachtsfeier der eigenen Firma nervös zu werden.

Kaum hatten sie den zum Bersten vollen Raum betreten, verabschiedete sich Dani mit einem zurückhaltenden Lächeln von ihrem Begleiter, der sofort alle Augen auf sich zog. Sie entdeckte eine Gruppe von Frauen, die sie gleich zu Beginn ihrer Zeit bei NCT kennengelernt hatte, aber seit Dani für Nathaniel arbeitete, behandelten sie alle Kollegen mit einer gewissen Zurückhaltung. Das gefiel Dani nicht, aber irgendwie konnte sie es nachvollziehen.

Also holte sie sich nur ein Glas Punsch und beobachtete. Einige Gäste, Männer wie Frauen, hatten offenbar bereits einen über den Durst getrunken. Nicht, dass Dani etwas gegen Alkohol hatte. Sie fand es nur traurig, mitansehen zu müssen, wie manche Leute nach ein paar Gläsern alle Hemmungen ablegten, auch wenn sie das den Job kosten konnte.

Nathaniel hatte sich unter die Menge gemischt, aber seine Körpersprache verriet, wie unwohl er sich fühlte. Dani hätte ihren letzten Dollar darauf verwettet, dass er nur nach außen hin den perfekten Gastgeber mimte, sich in Wahrheit aber weit, weit weg wünschte.

Nathaniel war kein großer Fan der alljährlichen Weihnachtsfeier, aber ihn deswegen mit dem hartherzigen Geizhals Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens zu vergleichen, wäre unfair gewesen. Ja, Nathaniel wirkte er eher kühl und verschlossen, aber er hatte darauf bestanden, dass Dani für die Feier einen exklusiven Caterer organisierte, und dafür gesorgt, dass die Bar mit allem bestückt war, was das Herz begehrte. Tatsächlich herrschte auf der Party, die um vier begonnen hatte, jetzt, zwei Stunden später, immer noch eine Bombenstimmung.

Irgendwann hielt Nathaniel dann eine kurze, mit seinem eigenwilligen, trockenen Humor gespickte, aber überraschend liebenswürdige Ansprache und begann, an besonders verdiente Mitarbeiter Weihnachtsgratifikationen zu verteilen. Auch Dani wurde aufgerufen. Als sie vortrat, um den Umschlag entgegenzunehmen, streiften ihre Finger seine Hand.

„Frohe Weihnachten, Dani“, sagte Nathaniel barsch.

Sie bedankte sich verlegen. Merkwürdigerweise steckte ihr ein dicker Kloß im Hals. Männer gab es wie Sand am Meer, und einen guten Job brauchte sie dringender als eine Affäre mit dem Boss, aber im Lauf der vergangenen anderthalb Jahre – so lange schwärmte sie schon für ihn – war die Zusammenarbeit mit ihm für sie immer problematischer geworden. Ständig spukte der total abstruse Gedanke, mit ihm zu schlafen, in ihrem Hinterkopf herum. Inzwischen war es so schlimm, dass sie erst kürzlich ihren Lebenslauf aufpoliert und ein halbes Dutzend Bewerbungen abgeschickt hatte.

Neben der Arbeit bei New Century Tech hatte Dani in den vergangenen fünf Jahren ihren MBA gemacht und war für ihre aktuelle Position eigentlich hoffnungslos überqualifiziert. Aber sie verdiente viel zu gut, und das, was sie von Nathaniel lernen konnte, indem sie beobachtete, wie er in der Geschäftswelt auftrat, war mit Geld nicht aufzuwiegen.

Doch das Leben ging weiter, und wer sich nicht bewegt, steckt irgendwann fest. Es wäre wirklich das Klügste, sich der ständigen Versuchung durch ihren Chef zu entziehen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen, um beruflich vorwärtszukommen. Unglücklicherweise konnte sie sich so gut zureden, wie sie wollte: Die wohlmeinendsten Worte machten es nicht leichter, das zu tun, was sie tun musste.

Die Schuldgefühle hatten eingesetzt, nachdem sie vor ein paar Wochen die ersten Bewerbungen verschickt hatte. NCT war ein toller Arbeitgeber, und einen besseren Vorgesetzten als Nathaniel gab es nicht. Hoffentlich hatte sie nichts überstürzt. Denn sie hatte den Eindruck, dass ganz allmählich etwas in Bewegung geriet. Dani war sicher, dass Nathaniel nichts von ihren Gefühlen ahnte. Trotzdem meinte sie, in der letzten Zeit von seiner Seite ein Interesse wahrgenommen zu haben, das nicht beruflich, sondern vielmehr persönlich war.

Das konnte allerdings auch an den Mistelzweigen liegen, die zu dieser Jahreszeit überall herumhingen, oder an ihrer Fantasie, die ihr einen Streich spielte. Falls sie jedoch recht hatte, hatte sie ein Riesenproblem.

Erregte Stimmen von der gegenüberliegenden Seite des Saals rissen sie aus ihren Überlegungen. Man hatte die schweren Vorhänge zugezogen, um den grauen Dezembertag auszusperren, und sie mit Lichterketten behängt, die für festliche Stimmung sorgten. Anscheinend hatte jemand aber gerade einen Blick nach draußen riskiert und eine Überraschung erlebt.

Normalerweise nahm kein Mensch die Unwetterwarnungen der lokalen Wetterstationen ernst, weil sie sich zu oft als falsch herausstellten. Diesmal jedoch sah es so aus, als hätten sie recht behalten: Schneeregen hatte eingesetzt, und die gewöhnlich viel befahrene Durchgangsstraße, die an dem Bürogebäude vorbeiführte, war beängstigend leer.

Nach einem prüfenden Blick nach draußen übernahm Nathaniel auf seine übliche ruhige, aber bestimmte Art das Kommando: „Die Party ist hiermit beendet. Alle, die keine Lust haben, die Feiertage am Schreibtisch zu verbringen, fahren bitte unverzüglich nach Hause.“

Das ließ sich keiner zweimal sagen. Es war Freitag, morgen war Heiligabend, viele Mitarbeiter hatten Urlaubstage angespart, um bis nach Neujahr freizuhaben. Es kam zu einem Massenexodus.

Dani beobachtete, wie Nathaniel dafür sorgte, dass jeder, der etwas getrunken hatte, eine Mitfahrgelegenheit fand. Keine halbe Stunde später war der Saal leer bis auf den Chef, der an der Tür stand und noch die letzten Gäste verabschiedete, und natürlich Dani.

Automatisch fing sie an, die Tische abzuräumen. Viel Essen war nicht übrig geblieben, zum Glück. Sie entsorgte alles in einen großen Müllbehälter, stapelte die Serviertabletts aufeinander und hatte gerade begonnen, die Tischdecken ordentlich zusammenzufalten, als Nathaniel sie von hinten ansprach.

„Lassen Sie das!“, befahl er. „Das erledigt die Putzfirma morgen früh.“

Dani zog die Augenbrauen hoch. „Glauben Sie wirklich, dass morgen jemand reinkommt, wenn es so heftig schneit, wie angekündigt? Und dieses Chaos wird nicht besser, wenn man es liegen lässt.“

„Glauben Sie denn, dass es so schlimm wird?“

„Schon möglich. Angeblich soll feuchte Luft aus dem Golf von Mexiko auf eine Kaltluftfront treffen. Das heißt, zum Schneesturm kommt noch die Gefahr von überfrierender Nässe.“

„Schöne Aussichten.“ Er verzog das Gesicht, und Dani musste lachen.

„Ach was! So was passiert einmal in zehn Jahren. Es war halt mal wieder dran.“

„Sollten Sie dann nicht zusehen, dass Sie nach Hause kommen?“

„Keine Angst, den Zug um halb sieben erwische ich locker.“

„Außer der Bahnverkehr wird eingestellt.“

Der Gedanke war Dani noch nicht gekommen, und plötzlich wurde sie doch nervös. Ihr Wagen stand auf einem Park-and-Ride-Parkplatz vier Stationen weiter nördlich. Selbst wenn der öffentliche Nahverkehr sie noch dorthin brachte, musste sie noch ein Stück Auto fahren. Sofern das dann noch möglich war.

Diesmal blieb bei der Fahrt im Aufzug keine Zeit für Verlegenheit. Während Nathaniel alles, was er brauchte, aus seinem Büro holte, schlüpfte Dani in ihre Stiefel, zog den Mantel über und verlängerte den Gurt ihrer Handtasche so weit, dass sie sie sich quer über den Oberkörper hängen konnte. Sie wollte beim Gehen die Hände freihaben, um sich notfalls irgendwo festzuhalten.

Draußen herrschte eine unheimliche Stille. Dicke Schneeflocken hüllten die Gebäude ein und dämpften alle Geräusche. Der Anblick entlockte Nathaniel einen leisen Fluch. „Ich fahre Sie zum Bahnhof“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Dani hütete sich, auch nur der Form halber zu protestieren. Normalerweise betrachtete sie den Weg von einer halben Meile als angenehmen sportlichen Ausgleich. Unter den gegenwärtigen Bedingungen aber würde sie nicht nur den Zug verpassen, sondern sich unterwegs auch alles abfrieren.

Die Firma unterhielt ein dreigeschossiges Parkhaus in einem Anbau und in einer Seitenstraße einen Parkplatz mit einem Dutzend Stellplätzen für die Geschäftsführung, der gut zu erreichen war und wo die Gefahr, dass ein unachtsamer Fahrer den Nobelkarossen eine Schramme verpasste, deutlich geringer war.

Nathaniel fuhr einen schnittigen schwarzen Mercedes. Dani war einmal in den Genuss gekommen, mit ihm zu fahren, als sie gemeinsam eine Bekleidungsfirma am anderen Ende der Stadt besuchen wollten, die ihren Onlineauftritt aufpeppen wollte. Als sie jetzt um die Ecke bogen und das Auto entdeckten – das einzige weit und breit –, wurde ihr dann aber doch ein bisschen mulmig. Allem Anschein nach war Nathaniels Angebot, sie am Bahnhof abzusetzen, etwas voreilig gewesen.

Der Mercedes war komplett eingeschneit, und auf dem gesamten Platz waren keine Reifenspuren zu sehen. Entweder hatten die anderen Vorstandsmitglieder heute das Parkhaus genutzt, oder sie waren so früh nach Hause gefahren, dass ihre Spuren schon wieder überdeckt waren. Außerdem wirkte irgendetwas seltsam an dem einsamen Auto.

Nathaniel fasste sich als Erster. „Was soll’s?“, seufzte er und legte die letzten Meter im Laufschritt zurück. Dani blieb ihm dicht auf den Fersen, doch plötzlich blieben beide abrupt stehen.

„Ist das ein … Autositz?“, fragte Dani angesichts des merkwürdig geformten Klotzes neben dem Wagen.

Nathaniel lüpfte die Wolldecke, die über das Ding gebreitet war, und wirbelte herum. „Himmel, das ist ein Baby!“, rief er, während sein Blick bereits die nähere Umgebung absuchte. Auf der Decke lag kaum Schnee, das Kind konnte nicht länger als ein paar Minuten hier gelegen haben.

Auch Dani schaute jetzt unter die Decke und keuchte entsetzt. Ein Kind, etwa ein halbes Jahr alt, schlummerte friedlich in einer Babytragetasche. Es steckte zwar in einem dicken, flauschigen Overall, der auch den Kopf bedeckte, aber bei den eisigen Temperaturen, die heute herrschten …

„Rufen Sie den Rettungsdienst!“ Nathaniels Stimme war so frostig wie die Umgebung. „Ich sehe mich mal um. Wer immer das getan hat, kann nicht weit sein. Wahrscheinlich werden wir beobachtet, damit derjenige sicher sein kann, dass wir uns um das Kind kümmern.“

Dani hielt es für besser, das Kind fürs Erste in der Tragetasche liegen zu lassen, die wenigstens ein bisschen Schutz vor der Kälte bot. Solange das Kind schlief, konnten sie davon ausgehen, dass er oder sie wohlauf war. Aus der Tatsache, dass der Overall pink war, zog Dani die Schlussfolgerung, dass es sich um ein Mädchen handelte. Seine Wangen waren rosig, und seine Brust hob und senkte sich in einem beruhigend regelmäßigen Takt. Seufzend streifte Dani die Handschuhe ab und wählte den Notruf. Sie hoffte, dass sie das Richtige tat.

Nathaniel kochte innerlich. Seit Tagen hatte er von einer Nummer, die er nur zu gut kannte, Nachrichten mit indirekten Drohungen erhalten, aber mit so etwas hätte er in seinen wildesten Träumen nicht gerechnet. Das war so typisch für seine Ex.

Genau genommen, war Ophelia nicht einmal eine richtige Ex. Nathaniel hatte sie vor etwa einem Jahr auf einer Konferenz kennengelernt und zwei Nächte in ihrem Hotelbett verbracht. Mehr war da nicht gewesen. Hatte er wenigstens geglaubt.

Natürlich hatte er verhütet. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das sein Kind war, wie Ophelia in ihren Nachrichten angedeutet hatte. Hätte sie Nathaniel nämlich geradeheraus beschuldigt, der Vater ihres Kindes zu sein, hätte er sich sofort einen Anwalt besorgt und die Vaterschaftsfrage ein für alle Mal geklärt.

Mit einer Hand schirmte er die Augen vor dem Schnee ab und ließ den Blick zu den Fenstern der umliegenden Gebäude schweifen. Ophelia konnte überall sein. Was hatte sie vor?

Nach einer Weile gab er auf. Es war zwecklos. Dani stand da, wo er sie zurückgelassen hatte. „Ich habe eine Nachricht gefunden“, sagte sie und reichte ihm eine Karte aus dickem Papier. „Tut mir leid, aber ich habe sie gelesen.“

Mit einem flauen Gefühl im Magen klappte Nathaniel die Karte auf. Der Text enthielt ziemlich genau das, was er erwartet hatte:

Lieber Nathaniel,

ich kann mich im Moment nicht um unser Kind kümmern. Du bist meine letzte Hoffnung. Sobald ich mein Leben wieder auf die Reihe gebracht habe, melde ich mich.

Immer die Deine,

Ophelia

Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Atmung. Nur nicht aus der Haut fahren! Seit Anbeginn der Zeit benutzten Frauen diesen Trick, um einen Mann an sich zu binden. Aber er hatte sich nichts vorzuwerfen. Und nichts zu befürchten. Wütend knüllte er die Karte zusammen und stopfte sie in seine Tasche.

Dani starrte ihn entgeistert an.

„Das ist nicht mein Kind“, erklärte er. „Ich hatte eine kurze Affäre mit einer Verrückten, die seither versucht, mich zu erpressen oder so. Keine Ahnung. Was hat die Polizei gesagt? Wie schnell können sie da sein?“

Dani zuckte mit den Schultern. „Es klang nicht sehr ermutigend. Überall in der Stadt kommt es wegen des Schnees zu Massenkarambolagen.“

„Und das Jugendamt? Schicken die jemanden?“

„Wollen Sie das Baby allen Ernstes Freitag vor einem langen Wochenende irgendeinem Fremden anvertrauen? Ich will ja nichts sagen, aber manches, was man so über Pflegefamilien hört …“ Dani wirkte ziemlich aufgebracht, aber er wusste nicht, ob sich ihre Wut gegen die Situation richtete oder gegen ihn.

Er seufzte. „Na gut. Und was machen wir jetzt? Was schlagen Sie vor?“

„Wir?“ Sie starrte ihn als, als wären ihm plötzlich zwei Köpfe gewachsen. „Ich gehe zum Bahnhof. Mit etwas Glück ist meine Strecke noch offen.“

Der öffentliche Nahverkehr in Atlanta verlief nur teilweise unter der Erde, und im Gegensatz zu anderen Großstädten verfügte die Stadt auch nicht über die technische Ausrüstung, um mit einem Schneechaos dieses Ausmaßes fertig zu werden. Heftiger Schneefall war in dieser Gegend so selten, dass die Ausgaben für einen Winterdienst unmöglich zu rechtfertigen waren.

Nathaniel fühlte, wie seine Handflächen in den Handschuhen feucht wurden. „Sie können jetzt nicht gehen. Ich brauche Sie noch!“ Der Satz wollte kaum über seine Lippen. Er war es nicht gewohnt, irgendjemanden um Hilfe zu bitten. Doch Dani war nicht irgendjemand. Er wusste genau, dass er auf ihr weiches Herz und ihr überdimensioniertes Verantwortungsgefühl zählen konnte.

„Was könnte ich Ihrer Meinung nach denn tun?“ Sie musterte ihn misstrauisch, und er sah ihr an, dass sie am liebsten weggelaufen wäre.

Das Gefühl kannte Nathaniel nur zu gut. Ihm ging es nicht anders. „Sie sind eine Frau. Helfen Sie mir, das Kind in meine Wohnung zu bringen und das Wichtigste zu besorgen. Dann lasse ich Sie natürlich von einem Taxi nach Hause fahren.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, öffnete er die Autotür und schleuderte seinen Aktenkoffer auf die Rückbank.

Der Schlag auf die Schulter, den Dani ihm versetzte, erwischte ihn völlig unvorbereitet. Nathaniel fuhr hoch und stieß sich den Kopf empfindlich an der Autotür. „Autsch!“, stöhnte er. „Wofür war das denn?“

„Sind Sie noch ganz bei Trost? Sie können das Baby doch nicht ungesichert im Auto transportieren! Noch dazu bei diesen Straßenbedingungen!“

Bei all dem Entsetzen darüber, dass Ophelia ihm ein Baby vor die Füße gelegt hatte, hatte Nathaniel das Wetter total vergessen. Jetzt erst nahm er seine Umgebung wieder wahr. Inzwischen lagen mindestens zwanzig Zentimeter Schnee, und es hatte nicht den Anschein, dass es aufhören würde zu schneien. Was für ein Albtraum, dachte er.

Möglicherweise hatte er es sogar laut gesagt. Oder doch nicht? Zumindest blieb er von einem weiteren vorwurfsvollen Blick Danis verschont. Stattdessen lehnte sie wie ein Häufchen Elend an seinem Auto und versuchte, das Baby mit ihrem Körper vom Schnee abzuschirmen.