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Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, leitet in acht Meditationen zu Selbsterkenntnis und spiritueller Erfahrung. Dem Meditierenden wird Einblick in sein Seelenleben, eine Anleitung zu Selbsterfahrung und Wahrnehmung über die elementare Welt hinaus gegeben. "Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen in acht Meditationen" stellt eine Fortsetzung der meditativen Gespräche mit der Leserschaft dar, die Steiner bereits in seinen grundlegenden Werken "Theosophie" und "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?" begonnen hat.
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Seitenzahl: 95
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LUNATA
Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen
in acht Meditationen
© 1912 by Rudolf Steiner
Umschlagbild: Fünftes apokalyptisches Siegel,
Rudolf Steiner
© 2020 Lunata Berlin
Einleitende Bemerkungen
Erste Meditation
Zweite Meditation
Dritte Meditation
Vierte Meditation
Fünfte Meditation
Sechste Meditation
Siebente Meditation
Achte Meditation
Über den Autor
In dieser Schrift ist angestrebt, geisteswissenschaftliche Erkenntnisse über die Wesenheit des Menschen zu geben. Die Darstellung ist so gehalten, dass der Leser in das Dargestellte hineinwachsen mag, so dass es ihm im Verlaufe des Lesens wie zu einer Art Selbstgespräch wird. Gestaltet sich dieses Selbstgespräch so, dass dabei vorher verborgene Kräfte sich offenbaren, welche in jeder Seele erweckt werden können, so führt dann das Lesen zu einer wirklichen inneren Seelenarbeit. Und diese kann sich allmählich zur Seelenwanderschaft gedrängt sehen, welche wahrhaftig in das Schauen der geistigen Welt hineinversetzt. Deshalb wurde das Mitgeteilte in der Form von acht Meditationen gegeben, welche wirklich durchgeführt werden können. Geschieht dies, so können sie geeignet sein, der Seele das durch die eigene innere Vertiefung zu übermitteln, wovon in ihnen gesprochen wird.
Angestrebt ist worden, einerseits demjenigen Leser etwas zu geben, der sich bereits mit der Literatur und den Arbeiten auf dem Gebiete des Übersinnlichen, wie es hier gemeint ist, eingehender bekanntgemacht hat. So wird vielleicht hier der Kenner des übersinnlichen Lebens durch die Art des Dargestellten, durch die unmittelbar mit dem Seelen-Erleben zusammenhängende Mitteilung, etwas finden, was ihm wichtig erscheinen kann. Und andrerseits kann mancher finden, dass gerade durch diese Darstellung auch dem genützt werden kann, welcher den Ergebnissen der Geisteswissenschaft noch ferne steht.
Zu meinen übrigen Schriften auf geisteswissenschaftlichem Gebiete soll diese eine Ergänzung und auch Erweiterung liefern. Doch soll sie auch für sich gelesen werden können.
In meiner »Theosophie« und in meinem »Umriss einer Geheimwissenschaft« ist angestrebt worden, die Dinge so darzustellen, wie sie sich der Beobachtung ergeben, die auf das Geistige geht. Die Darstellung ist in diesen Schriften eine beschreibende, deren Fortgang durch die aus den Dingen sich offenbarende Gesetzmäßigkeit vorgeschrieben war.
In diesem »Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen« ist die Darstellung anders. Es ist in ihr gesagt worden, was eine Seele erleben kann, welche sich auf den Weg zum Geiste hin in einer gewissen Weise begibt. Die Schrift kann deshalb angesehen werden als die Wiedergabe von Seelenerlebnissen. Es muss nur beachtet werden, dass die Erlebnisse, die in solcher Art, wie sie hier beschrieben sind, gemacht werden können, bei einer einzelnen Seele, nach ihrer besonderen Eigenart, eine individuelle Form annehmen müssen. Es ist angestrebt worden, dieser Tatsache gerecht zu werden, so dass man sich auch vorstellen kann, das Geschilderte sei so, wie es dargestellt ist, von einer bestimmten Seele genau durchlebt worden. (Der Titel heißt deshalb: »Ein Weg zur Selbsterkenntnis.«) Eben deshalb kann die Schrift dazu dienen, dass sich auch andre Seelen in dies Geschilderte hineinleben und zu entsprechenden Zielen gelangen. So ist diese Schrift auch eine Ergänzung und Erweiterung dessen, was sich in meinem Buche »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?« findet.
Dargestellt sind nur einzelne geisteswissenschaftliche Grunderlebnisse. Auf die Mitteilung weiterer Gebiete der »Geisteswissenschaft« in dieser Art ist vorläufig verzichtet.
München, im August 1912
Rudolf Steiner
Wenn die Seele durch die Sinne und durch ihr Vorstellen an die Erscheinungen der Außenwelt hingegeben ist, dann kann sie bei wirklicher Selbstbesinnung nicht sagen, sie nehme diese Erscheinungen wahr, oder sie erlebe die Dinge der Außenwelt. Denn sie weiß in Wahrheit in der Zeit ihrer Hingabe an die Außenwelt nichts von sich. Das Sonnenlicht, das von den Dingen in vielartiger Farbenerscheinung sich im Raume ausbreitet, das erlebt sich eigentlich in der Seele. Freut sich die Seele über irgendeinen Vorgang, so ist sie in dem Zeitpunkte des Freuens selbst Freude, soweit sie von der Sache weiß. Die Freude erlebt sich in ihr. Die Seele ist eins mit ihrem Erleben von der Welt; sie erlebt sich nicht als etwas, das sich freut, das bewundert, das sich ergötzt oder fürchtet. Sie ist Freude, Bewunderung, Ergötzen, Furcht. Wenn sich die Seele dies immer gestehen wollte, dann erschienen ihr die Zeiten, in welchen sie von dem Erleben an der Außenwelt zurücktritt und sich selbst betrachtet, erst in dem rechten Lichte. Sie erschienen als ein Leben von ganz besondrer Art, die zunächst ganz unvergleichlich ist mit dem gewöhnlichen Seelenleben. Mit dieser besondren Art des Lebens beginnen die Rätsel des seelischen Daseins im Bewusstsein aufzutauchen. Und diese Rätsel sind im Grunde die Quelle aller andern Weltenrätsel.
Außenwelt und Innenwelt stellen sich vor den Menschengeist, wenn die Seele für kürzere oder längere Zeit aufhört mit der Außenwelt eins zu sein und sich in die Einsamkeit des Eigenseins zurückzieht.
Dieses Zurückziehen ist kein einfacher Vorgang, der einmal sich vollzieht und dann etwa in derselben Art wiederholt werden könnte. Es ist vielmehr der Beginn einer Wanderung in vorher unbekannte Welten. Hat man die Wanderung begonnen, dann wird jeder Schritt, den man gemacht hat, die Veranlassung zu weiteren. Und er ist auch die Vorbereitung zu diesen weiteren. Er macht die Seele für die folgenden erst fähig. Und mit jedem Schritte erfährt man mehr über die Antwort auf die Frage: Was ist der Mensch im wahren Sinne des Wortes? Welten eröffnen sich, die vor der gewöhnlichen Lebensbetrachtung verborgen sind. Und doch liegt in ihnen allein dasjenige, was auch über diese Lebensbetrachtung die Wahrheit offenbaren kann.
Wenn auch keine Antwort eine umfassende, endgültige ist, so sind die Antworten, welche durch innere Seelenwanderschaft errungen werden, doch solche, die über alles hinausgehen, was die äußeren Sinne und der an sie gebundene Verstand geben können. Und dieses andre hat der Mensch nötig. Er bemerkt, dass dies so ist, wenn er sich wahrhaftig auf sich selbst besinnt.
Zunächst sind zu dieser Wanderschaft nüchterne, trockene Überlegungen notwendig. Sie geben den sicheren Ausgangspunkt für das weitere Vordringen in die übersinnlichen Gebiete, um die es zuletzt der Seele zu tun ist. Manche Seele möchte sich diesen Ausgangspunkt ersparen und sogleich in das Übersinnliche eindringen. Eine gesunde Seele wird, selbst wenn sie durch Abneigung gegen eine solche Überlegung diese erst vermieden hat, später doch sich derselben hingeben. Denn wieviel man auch über das Übersinnliche von einem andern Ausgangspunkte her erfahren hat, sichern Boden unter sich gewinnt man nur durch Überlegungen von der Art, wie die hier zunächst folgende ist.
Es können im Leben der Seele die Augenblicke kommen, in denen sie zu sich selber so spricht: Du musst dich allem entziehen können, was dir eine Außenwelt geben kann, wenn du dir nicht ein Geständnis abpressen lassen willst, mit dem sich nicht leben lässt, nämlich du seiest nur der sich selbst erlebende Widersinn.
Was du da draußen wahrnimmst, es ist da ohne dich; es war ohne dich und wird ohne dich sein. Warum empfinden sich die Farben in dir, da dein Empfinden für sie doch bedeutungslos sein könnte? Warum bilden die Stoffe und Kräfte der Außenwelt deinen Leib? Er belebt sich zu deiner äußeren Erscheinung. Die Außenwelt gestaltet sich zu dir. Du wirst gewahr, dass du diesen Leib brauchst. Weil du ohne deine Sinne, welche nur Er dir einbilden kann, zunächst gar nicht etwas in dir erleben könntest. Du wärest, so wie du vorerst bist, leer ohne deinen Leib. Er gibt dir innere Fülle und Inhalt.
Und dann können alle die Überlegungen auftreten, ohne welche ein menschliches Dasein nicht bleiben kann, wenn es nicht in gewissen Zeiten, die für jeden Menschen kommen, mit sich in einen unerträglichen Widerspruch geraten will. Dieser Leib - er lebt so, dass er jetzt Ausdruck ist des seelischen Erlebens. Seine Vorgänge sind von der Art, dass die Seele durch ihn lebt und sich in ihm erlebt. Das wird einmal nicht so sein. Was in dem Leibe lebt, wird einmal ganz anderen Gesetzen unterworfen sein als jetzt, da es für mich verläuft, für mein seelisches Erleben. Es wird den Gesetzen unterworfen sein, nach denen Stoffe und Kräfte draußen in der Natur sich verhalten, Gesetzen, die nichts mehr mit mir und meinem Leben zu tun haben. Der Leib, dem ich mein seelisches Erleben verdanke, wird in den allgemeinen Weltverlauf aufgenommen sein und sich in demselben so verhalten, dass er mit allem, was ich in mir erlebe, nichts mehr gemeinsam haben wird.
Eine solche Überlegung kann alle Schauer des Todesgedankens vor das innere Erleben bringen, ohne dass sich in diesen Eindruck die bloß persönlichen Empfindungen mischen, welche in der Seele gewöhnlich mit diesem Gedanken verbunden sind. Solche Empfindungen bewirken, dass ihm gegenüber die ruhige, gelassene Stimmung nicht leicht sich einstellt, die zur erkennenden Betrachtung notwendig ist.
Es ist nur zu begreiflich, dass der Mensch ein Wissen gewinnen will über den Tod und über ein Leben der Seele unabhängig von der Auflösung des Leibes. Die Art, wie er zu den Fragen steht, die hier in Betracht kommen, ist, wie kaum irgend etwas andres in der Welt, geeignet, den sachlichen Blick zu trüben und Antworten als gültig hinzunehmen, welche vom Wunsche eingegeben sind. Man kann aber über nichts eine wahre Erkenntnis auf geistigem Gebiete erhalten, bei dem man nicht wie ein völlig Unbeteiligter das »Nein« ebenso willig hinnimmt wie das »Ja«. Und man wird nur gewissenhaft in sich selbst zu blicken brauchen, um sich völlig klar darüber zu sein, dass man nicht mit demselben Gleichmut die Erkenntnis hinnehmen würde, mit dem Tode des Leibes erlischt auch das seelische Leben, wie die andre, die von dem Fortbestand der Seele nach dem Tode spricht. Gewiss, es gibt Menschen, die völlig ehrlich an die Vernichtung der Seele mit der Auflösung des Leibeslebens glauben, und die mit einem solchen Gedanken sich ihr Leben einrichten. Doch auch für diese gilt, dass sie mit ihren Gefühlen keineswegs unbefangen diesem Gedanken gegenüberstehen. Sie lassen sich durch die Schrecken der Vernichtung allerdings nicht dazu hinreißen, die Gründe der Erkenntnis, welche für sie deutlich sprechen, von dem Wunsche übertönt zu fühlen, der nach einem Fortleben zielt. Insofern sind die Vorstellungen solcher Menschen oft sachlicher als diejenigen der andern, welche, ohne dies zu wissen, sich Gründe für das Fortleben vorspiegeln oder vorspiegeln lassen, weil in ihren geheimen Seelengründen eben die Begierde nach solchem Fortleben brennt. Doch ist bei den Unsterblichkeitsleugnern die Befangenheit eine nicht weniger große. Sie ist nur anders geartet. Es gibt unter ihnen solche, welche sich eine gewisse Vorstellung von dem machen, was Leben und Dasein heißt. Diese Vorstellung führt sie dazu, bestimmte Bedingungen denken zu müssen, unter denen dieses Leben nur allein möglich ist. So wie sie nun das Dasein ansehen, ergibt sich ihnen, dass die Bedingungen des seelischen Lebens nicht mehr vorhanden sein können, wenn der Leib wegfällt. Solche Menschen bemerken nicht, dass sie sich erst eine bestimmte Vorstellung gebildet haben, wie Leben nur sein könne, und dass sie allein deshalb nicht glauben können, es dauere nach dem Tode fort, weil sich aus ihrer Vorstellung heraus keine Möglichkeit ergibt, sich ein leibfreies Dasein zu denken. Sie sind zwar nicht durch ihre Wünsche, wohl aber durch die Vorstellungen befangen, von denen sie nun eben nicht loskommen können. Es gibt noch viele Befangenheiten auf diesem Gebiete. Man kann immer nur einzelne Beispiele dessen anführen, was in dieser Art alles vorhanden ist.