Ein Weihnachtslied und mehr - Charles Dickens - E-Book

Ein Weihnachtslied und mehr E-Book

Charles Dickens.

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Beschreibung

Ein Weihnachtslied von Charles Dickens gehört verdientermaßen zur Weltliteratur und wird es wohl auch immer bleiben. Die anderen vierzehn Erzählungen von Dickens und Margarete Lenk stammen aus der gleichen Zeit und sind genauso besinnlich und schön.

 

Inhalt:

Ein Weihnachtslied (Dickens)

Weihnacht auf der See (Lenk)

Die Silvesterglocken (Dickens)

Auf dem Christmarkt (Lenk)

Christkindleins Bild (Lenk)

Jugenderinnerungen einer alten Puppe (Lenk)

Goldchen (Lenk)

Auf der Walstatt des Lebens (Dickens)

Christbäume (Lenk)

Patricks erstes Weihnachten (Lenk)

Rudolfs Geheimnis (Lenk)

Schwarz und weiß (Lenk)

Weihnachtsfeier (Lenk)

Wir haben seinen Stern gesehen (Lenk)

Der Behexte und der Pakt mit dem Geiste (Dickens)

 

Coverbild: dawool / Shutterstock.com

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Charles Dickens, Margarete Lenk

Ein Weihnachtslied und mehr

15 Weihnachtsgeschichten

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zum Buch

Ein Weihnachtslied von Charles Dickens gehört verdientermaßen zur Weltliteratur und wird es wohl auch immer bleiben. Die anderen vierzehn Erzählungen von Dickens und Margarete Lenk stammen aus der gleichen Zeit und sind genauso besinnlich und schön.

 

Inhalt:

Ein Weihnachtslied (Dickens)

Weihnacht auf der See (Lenk)

Die Silvesterglocken (Dickens)

Auf dem Christmarkt (Lenk)

Christkindleins Bild (Lenk)

Jugenderinnerungen einer alten Puppe (Lenk)

Goldchen (Lenk)

Auf der Walstatt des Lebens (Dickens)

Christbäume (Lenk)

Patricks erstes Weihnachten (Lenk)

Rudolfs Geheimnis (Lenk)

Schwarz und weiß (Lenk)

Weihnachtsfeier (Lenk)

Wir haben seinen Stern gesehen (Lenk)

Der Behexte und der Pakt mit dem Geiste (Dickens)

 

Coverbild: dawool / Shutterstock.com

 

 

1. Ein Weihnachtslied – Erste Strophe: Marleys Geist

Marley war tot, damit wollen wir anfangen. Kein Zweifel kann darüber bestehen. Der Schein über seine Beerdigung ward unterschrieben von dem Geistlichen, dem Küster, dem Leichenbestatter und den vornehmsten Leidtragenden. Scrooge unterschrieb ihn, und Scrooges Name wurde auf der Börse respektiert, wo er ihn nur hinschrieb. Der alte Marley war so tot wie ein Türnagel.

Versteht mich recht! Ich will nicht etwa sagen, dass ein Türnagel etwas besonders Totes für mich hätte. Ich selbst möchte fast zu der Meinung neigen, dass das toteste Stück Eisen auf der Welt ein Sargnagel sei. Aber die Weisheit unsrer Altvordern liegt in den Gleichnissen, und meine unheiligen Hände sollen sie dort nicht stören, sonst wäre es um das Vaterland geschehen. Man wird mir also erlauben, mit besonderem Nachdruck zu wiederholen, dass Marley so tot wie ein Türnagel war.

Wusste Scrooge, dass er tot war? Natürlich wusste er’s. Wie sollte es auch anders sein? Scrooge und er waren, ich weiß nicht seit wie viel Jahren, Kompagnons. Scrooge war sein einziger Testamentsvollstrecker, sein einziger Verwalter, sein einziger Erbe, sein einziger Freund und sein einziger Leidtragender. Und selbst Scrooge war von dem traurigen Ereignis nicht so schrecklich mitgenommen, um nicht selbst am Begräbnistag ein vortrefflicher Geschäftsmann sein und ihn mit einem unzweifelhaft guten Handel feiern zu können.

Nun bringt mich die Erwähnung von Marleys Begräbnistag wieder zu dem Ausgangspunkt meiner Erzählung zurück. Es gibt keinen Zweifel, dass Marley tot war. Das muss scharf ins Auge gefasst werden, sonst kann in der Geschichte, die ich erzählen will, nichts Wunderbares geschehen. Wenn wir nicht vollkommen fest überzeugt wären, dass Hamlets Vater tot ist, ehe das Stück beginnt, so wäre durchaus nichts Merkwürdiges in seinem nächtlichen Spaziergang bei scharfem Ostwind auf den Mauern seines eigenen Schlosses. Nicht mehr, als bei jedem anderen Herrn in mittleren Jahren, der sich nach Sonnenuntergang rasch zu einem Spaziergang auf einem luftigen Platz entschließt, zum Beispiel auf dem Sankt-Pauls-Kirchhof.

Scrooge ließ Marleys Namen nicht ausstreichen. Noch nach Jahren stand über der Tür des Speichers „Scrooge und Marley“. Die Firma war unter dem Namen Scrooge und Marley bekannt. Leute, die Scrooge nicht kannten, nannten ihn zuweilen Scrooge und zuweilen Marley; aber er hörte auf beide Namen, denn es galt ihm beides gleich.

Oh, er war ein wahrer Blutsauger, dieser Scrooge! Ein gieriger, zusammenkratzender, festhaltender, geiziger alter Sünder: hart und scharf wie ein Kiesel, aus dem noch kein Stahl einen warmen Funken geschlagen hat, verschlossen und selbstgenügsam und ganz für sich, wie eine Auster. Die Kälte in seinem Herzen machte seine alten Gesichtszüge starr, seine spitze Nase noch spitzer, sein Gesicht runzlig, seinen Gang steif, seine Augen rot, seine dünnen Lippen blau, und sie klang aus seiner krächzenden Stimme heraus. Ein frostiger Reif lag auf seinem Haupt, auf seinen Augenbrauen, auf dem starken struppigen Bart. Er schleppte seine eigene niedere Temperatur immer mit sich herum: In den Hundstagen kühlte er sein Kontor wie mit Eis, zur Weihnachtszeit machte er es nicht um einen Grad molliger.

Äußere Hitze und Kälte wirkten wenig auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn wärmen, keine Kälte frösteln machen. Kein Wind war schneidender als er, kein Schneegestöber erbarmungsloser, kein klatschender Regen einer Bitte weniger zugänglich. Schlechtes Wetter konnte ihm nichts anhaben. Der ärgste Regen, Schnee oder Hagel konnten sich nur in einer Art rühmen, besser zu sein als er: Sie gaben oft im Überfluss, und das tat Scrooge nie und nimmer.

Niemals kam ihm jemand auf der Straße entgegen, um mit freundlichen Blicken zu ihm zu sagen: „Mein lieber Scrooge, wie geht’s, wann werden Sie mich einmal besuchen?“ Kein Bettler sprach ihn um eine Kleinigkeit an, kein Kind fragte ihn, wie spät es sei, kein Mann und keine Frau hat ihn je in seinem Leben nach dem Weg gefragt. Selbst der Hund des Blinden schien ihn zu kennen, und wenn er ihn kommen sah, zog er seinen Herrn in einen Torweg und wedelte dann mit dem Schwanz, als wollte er sagen: „Gar kein Auge, blinder Herr, ist besser als ein böses Auge.“

Doch was kümmerte all das den alten Scrooge? Gerade das gefiel ihm. Allein seinen Weg durch die engen Pfade des Lebens zu wandern, jedem menschlichen Gefühl zu sagen: „Bleibe mir fern“; das war es, was Scrooge gefiel.

Einmal, es war von allen guten Tagen im Jahr der beste, der Christabend, saß der alte Scrooge in seinem Kontor. Draußen war es schneidend kalt und neblig, und er konnte hören, wie die Leute im Hof, um sich zu erwärmen, prustend auf und nieder gingen, die Hände aneinanderschlugen und mit den Füßen stampften. Es hatte eben erst drei Uhr geschlagen, doch war es schon stockfinster. Den ganzen Tag über war es nicht hell geworden, und die Kerzen in den Fenstern der benachbarten Kontore flackerten wie rote Flecken auf der dicken braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Spalte und durch jedes Schlüsselloch und war draußen so dick, dass die gegenüberliegenden Häuser des sehr kleinen Hofes wie ihre eigenen Geister aussahen. Wenn man die trübe, dicke, alles verfinsternde Wolke heruntersinken sah, hätte man meinen können, die Natur wohne dicht nebenan und braue en gros.

Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Kommis beaufsichtigen konnte, der in einem erbärmlich feuchten, kleinen Raum, einer Art Burgverlies, Briefe kopierte. Scrooge hatte nur ein sehr kleines Feuer, aber des Dieners Feuer war um so viel kleiner, dass es nur wie eine einzige Kohle aussah. Er konnte aber nicht nachlegen, denn Scrooge hatte den Kohlenkasten in seinem Zimmer, und jedes Mal, wenn der Kommis mit der Kohlenschaufel in der Hand hereinkam, meinte sein Herr, es sei wohl nötig, dass sie sich trennten. Worauf der Kommis seinen weißen Schal umband und versuchte, sich an dem Licht zu wärmen, was aber immer fehlschlug, da er ein Mann von nicht sehr starker Einbildungskraft war.

„Fröhliche Weihnachten, Onkel, Gott erhalte Sie!“, rief da eine heitere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der so schnell hereingekommen war, dass dieser Gruß das Erste war, was man von ihm bemerkte.

„Pah“, sagte Scrooge, „dummes Zeug!“

Der Neffe war vom schnellen Laufen so warm geworden, dass er über und über glühte; sein Gesicht war rot und hübsch, seine Augen glänzten und sein Atem rauchte.

„Weihnachten dummes Zeug, Onkel?“, sagte Scrooges Neffe. „Das kann nicht Ihr Ernst sein.“

„Es ist mein Ernst“, sagte Scrooge. „Fröhliche Weihnachten? Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund, fröhlich zu sein? Du bist arm genug.“

„Nun“, antwortete der Neffe heiter, „was für ein Recht haben Sie, grämlich zu sein? Was für einen Grund, mürrisch zu sein? Sie sind reich genug.“

Scrooge, der im Augenblick keine bessere Antwort darauf bereit hatte, sagte noch einmal „Pah!“ und brummte hinterher „Dummes Zeug!“

„Seien Sie nicht böse, Onkel“, sprach der Neffe.

„Was soll ich anderes sein“, antwortete der Onkel, „wenn ich in einer Welt voll solcher Narren lebe? Fröhliche Weihnachten! Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten für dich anderes, als eine Zeit, in der du Rechnungen bezahlen sollst, ohne Geld zu haben, eine Zeit, in der du dich um ein Jahr älter und nicht um eine Stunde reicher findest, eine Zeit, in der du deine Bücher abschließest und in jedem Posten durch ein volles Dutzend von Monaten ein Defizit siehst? Wenn es nach mir ginge“, setzte Scrooge heftig hinzu, „so müsste jeder Narr, der mit seinem ,Fröhliche Weihnachten‘ herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Stechpalmenzweig im Herzen begraben werden.“

„Onkel!“, bat der Neffe.

„Neffe“, antwortete der Onkel erbost, „feiere du Weihnachten nach deiner Art und lass es mich nach meiner feiern.“

„Feiern!“, wiederholte Scrooges Neffe. „Aber Sie feiern es ja nicht.“

„Lass mich ungeschoren“, brummte Scrooge. „Mag es dir Nutzen bringen. Es hat dir ja immer schon Nutzen gebracht.“

„Es gibt viele Dinge, die mir hätten nützen können und die ich nicht genutzt habe, das weiß ich“, antwortete der Neffe, „und Weihnachten ist eins davon. Aber ich weiß gewiss, dass ich Weihnachten, abgesehen von der Verehrung, die wir seinem heiligen Namen und Ursprung schuldig sind, immer als eine gute Zeit betrachtet habe, als eine liebe Zeit, als die Zeit der Vergebung und Barmherzigkeit, als die einzige Zeit, die ich in dem ganzen langen Jahreskalender kenne, da die Menschen einträchtig ihre verschlossenen Herzen auftun und die andern Menschen ansehen, als wären sie wirklich Reisegefährten nach dem Grabe und nicht eine ganz andere Art von Geschöpfen, die einen ganz andern Weg gehen. Und daher, Onkel, wenn es mir auch niemals ein Stück Gold oder Silber in die Tasche gebracht hat, daher glaube ich doch, es hat mir Gutes getan, und es wird mir Gutes tun, und ich sage ,Gott segne das Weihnachtsfest!‘“

Der Diener in dem Burgverlies draußen applaudierte unwillkürlich; aber im Augenblick darauf fühlte er auch die Unschicklichkeit seines Betragens, schürte die Kohlen und löschte dadurch die letzten kleinen Funken unwiederbringlich.

„Wenn Sie da drin mich noch einen einzigen Laut hören lassen“, sagte Scrooge, „so feiern Sie Ihre Weihnachten mit dem Verlust Ihrer Stelle. – Du bist ein ganz gewaltiger Redner“, fügte er dann hinzu, sich zu seinem Neffen wendend. „Es wundert mich, dass du noch nicht ins Parlament gekommen bist!“

„Seien Sie nicht böse, Onkel. Essen Sie morgen mit uns.“

Scrooge sagte, dass er ihn erst verdammt sehen wolle; ja wahrhaftig, er sprach sich so deutlich aus.

„Aber warum?“, rief Scrooges Neffe. „Warum denn?“

„Warum hast du dich verheiratet?“, fragte Scrooge.

„Weil ich mich verliebte.“

„Weil er sich verliebte!“, brummte Scrooge, als sei dies das einzige Ding in der Welt, das noch lächerlicher als eine fröhliche Weihnacht ist. „Guten Abend!“

„Aber Onkel, Sie haben mich ja auch vorher nie besucht. Warum soll es da ein Grund sein, mich jetzt nicht zu besuchen?“

„Guten Abend!“, sagte Scrooge.

„Ich brauche nichts von Ihnen, ich verlange nichts von Ihnen, warum können wir nicht gute Freunde sein?“

„Guten Abend!“, sagte Scrooge.

„Ich bedaure wirklich von Herzen, Sie so hartnäckig zu finden. Wir haben nie einen Zank miteinander gehabt, an dem ich schuld gewesen wäre. Aber ich habe den Versuch gemacht, Weihnachten zu Ehren, und ich will meine Weihnachtsstimmung bis zuletzt behalten. Fröhliche Weihnachten, Onkel!“

„Guten Abend!“, sagte Scrooge.

„Und ein glückliches Neujahr!“

„Guten Abend!“, sagte Scrooge.

Trotz allem verließ der Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Haustür blieb er dann stehen, um mit dem Glückwunsch des Tages den Kommis zu begrüßen, der trotz der Kälte dennoch wärmer war als Scrooge, denn er gab den Gruß freundlich zurück.

„Das ist auch so ein Kerl!“, brummte Scrooge, der es hörte. „Mein Kommis, mit fünfzehn Shilling die Woche und Frau und Kindern, spricht von fröhlichen Weihnachten. Ich gehe nach Bedlam ins Irrenhaus.“

Der Kommis hatte, als er den Neffen hinausließ, zwei andere Personen eingelassen. Es waren zwei behäbige, wohlansehnliche Herren, die jetzt, mit dem Hut in der Hand, in Scrooges Kontor standen. Sie hatten Bücher und Papiere unterm Arm und verbeugten sich.

„Scrooge und Marley, glaube ich“, sagte einer der Herren, indem er auf seine Liste sah. „Hab ich die Ehre, mit Mr. Scrooge oder mit Mr. Marley zu sprechen?“

„Mr. Marley ist seit sieben Jahren tot“, antwortete Scrooge. „Er starb heute vor sieben Jahren.“

„Wir zweifeln nicht, dass sein überlebender Kompagnon ganz seine Freigebigkeit besitzen wird“, sagte der Herr, indem er ihm sein Beglaubigungsschreiben überreichte.

Er hatte ganz recht, denn sie waren wirklich zwei verwandte Seelen gewesen. Bei dem ominösen Wort Freigebigkeit runzelte Scrooge die Stirn, schüttelte den Kopf und gab das Papier zurück.

„An diesem festlichen Tage des Jahres, Mr. Scrooge“, sagte der Herr, eine Feder ergreifend, „ist es mehr als sonst wünschenswert, wenigstens einigermaßen für die Armen zu sorgen, die zu dieser Zeit in großer Bedrängnis leben. Vielen Tausenden fehlen selbst die notwendigsten Bedürfnisse, Hunderttausenden die notdürftigsten Bequemlichkeiten des Lebens.“

„Gibt es keine Gefängnisse?“, fragte Scrooge.

„Überfluss an Gefängnissen“, sagte der Herr, die Feder wieder hinlegend.

„Und die Armenhäuser?“, fragte Scrooge. „Bestehen die noch?“

„Allerdings“, antwortete der Herr, „aber doch wünschte ich, sie brauchten weniger in Anspruch genommen zu werden.“

„Tretmühle und Armengesetz sind in voller Kraft?“, sagte Scrooge.

„Beide haben alle Hände voll zu tun.“

„So? Nach dem, was Sie zuerst sagten, fürchtete ich, es halte sie etwas in ihrem nützlichen Gang auf“, sagte Scrooge. „Ich freue mich, das Gegenteil zu hören.“

„In der Überzeugung, dass sie doch wohl kaum imstande sind, der Seele oder dem Leib der Armen christliche Stärkung zu geben“, entgegnete der Herr, „sind einige von uns zur Veranstaltung einer Sammlung zusammengetreten, um für die Armen Nahrungsmittel und Feuerung anzuschaffen. Und wir wählen diese Zeit, weil sie vor allen andern eine Zeit ist, da der Mangel am bittersten gefühlt wird und nur der Reiche sich freut. Welche Summe darf ich für Sie aufschreiben?“

„Nichts“, antwortete Scrooge.

„Sie wünschen ungenannt zu bleiben?“

„Ich wünsche, dass man mich in Ruhe lässt“, sagte Scrooge. „Da Sie mich fragen, meine Herren, was ich wünsche, so ist eben dies meine Antwort. Ich freue mich selbst nicht zu Weihnachten und habe nicht die Mittel, mit meinem Geld Faulenzern Freude zu machen. Ich trage meinen Teil zu den Anstalten bei, die ich genannt habe; sie kosten genug, und wem es schlecht geht, der mag dorthin gehen!“

„Viele können nicht hingehen, und viele würden eher sterben.“

„Wenn sie eher sterben würden“, sagte Scrooge, „so wäre es gut, wenn sie es täten und die überflüssige Bevölkerung dadurch verminderten. Übrigens, Sie entschuldigen, ich weiß nichts davon.“

„Aber Sie könnten es wissen“, bemerkte der Herr.

„Es kümmert mich nichts“, antwortete Scrooge. „Es genügt, wenn ein Mann sein eignes Geschäft versteht und sich nicht in das anderer Leute mischt. Das meinige nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Guten Abend, meine Herren!“

Da sie deutlich einsahen, wie vergeblich weitere Versuche sein würden, zogen sich die Herren zurück. Scrooge setzte sich wieder an die Arbeit mit einer erhöhten Meinung von sich selbst und in einer bessern Laune als gewöhnlich.

Nebel und Dunkelheit hatten inzwischen so zugenommen, dass die Leute mit brennenden Fackeln herumliefen, um den Wagen vorzuleuchten. Der alte Kirchturm, dessen brummende alte Glocke sonst unverwandt aus einem alten gotischen Fenster in der Mauer listig auf Scrooge herabsah, wurde unsichtbar in den Wolken und schlug die Stunden und Viertel mit einem zitternden Nachklang, als wenn in dem erfrorenen Kopfe droben die Zähne klapperten.

Die Kälte wurde immer schneidender. In der Hauptstraße an der Ecke der Sackgasse wurden die Gasleitungen ausgebessert, und die Arbeiter hatten ein großes Feuer in einer Kohlenpfanne angezündet. Darum herum drängten sich einige zerlumpte Männer und Knaben, die über den Flammen behaglich blinzelnd sich die Hände wärmten.

Aus der eisernen Pumpe, sich selbst überlassen, floss ungehindert Wasser aus, aber bald war es zu Eis erstarrt. Der Lichtschimmer der Läden, in deren Fenstern Stechpalmenzweige und Beeren in der Lampenwärme knisterten, rötete die bleichen Gesichter der Vorübergehenden.

Die Gewölbe der Geflügel- und Materialwarenhändler sahen aus wie ein glänzendes, fröhliches Märchenland, und es schien fast unmöglich, damit den Gedanken an eine so langweilige Sache wie Kauf und Verkauf zu verbinden.

Der Lord Mayor gab in den innern Gemächern des Mansion House seinen fünfzig Köchen und Kellermeistern Befehl, Weihnachten zu feiern, wie es eines Lord Mayors würdig ist, und selbst der kleine Schneider, den er am Montag vorher wegen Trunkenheit und blutrünstiger Äußerungen in der Öffentlichkeit mit fünf Shilling gestraft hatte, rührte den Pudding für morgen in seinem Dachkämmerchen, während seine magere Frau mit dem Säugling auf dem Arm wegging, um das Roastbeef zu kaufen.

Immer nebliger und kälter wurde es, durchdringend, schneidend kalt. Wenn der gute, heilige Dunstan die Nase des Gottseibeiuns nur mit einem Hauch von diesem Wetter gefasst hätte, anstatt seine gewöhnlichen Waffen zu gebrauchen, dann hätte er wohl recht gebrüllt.

Der Inhaber einer kleinen, jungen Nase, an der die hungrige Kälte biss und nagte, wie Hunde an einem Knochen, legte sich an Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtsliede zu erfreuen. Aber beim ersten Ton des Liedes ergriff Scrooge das Lineal mit einer solchen Heftigkeit, dass der Sänger voll Schrecken entfloh und das Schlüsselloch dem Nebel und dem noch verwandteren Frost überließ.

Endlich kam die Feierabendstunde. Unwillig stieg Scrooge von seinem Sessel und gab dadurch dem harrenden Kommis in dem Verlies stillschweigend die Einwilligung zum Aufbruch, worauf dieser sogleich das Licht auslöschte und den Hut aufsetzte.

„Sie wollen morgen den ganzen Tag frei haben, vermute ich“, sagte Scrooge.

„Wenn es Ihnen recht ist, Sir.“

„Es ist mir durchaus nicht recht“, sagte Scrooge, „und es gehört sich auch nicht. Wenn ich Ihnen eine halbe Krone dafür abzöge, würden Sie denken, es geschähe Ihnen Unrecht, nicht wahr?“

Der Kommis antwortete mit einem gezwungenen Lächeln.

„Und doch“, sagte Scrooge, „denken Sie nicht daran, dass mir Unrecht geschieht, wenn ich einen Tag Lohn bezahle für einen Tag Faulenzen.“

Der Kommis bemerkte, dass es ja nur einmal im Jahr geschähe.

„Eine armselige Entschuldigung, um an jedem fünfundzwanzigsten Dezember eines Mannes Tasche zu bestehlen“, murrte Scrooge, indem er seinen Überrock bis an das Kinn zuknöpfte. „Aber ich vermute, Sie wollen den ganzen Tag frei haben? Seien Sie wenigstens übermorgen umso früher hier!“

Der Kommis versprach es, und Scrooge ging mit einem Brummen fort.

Das Kontor war im Nu geschlossen, und der Kommis, dem die langen Enden seines weißen Schals um die Beine baumelten, schlitterte zu Ehren des Festes in einer Reihe von Knaben zwanzigmal Cornhill hinunter; dann lief er so schnell wie möglich in seine Wohnung in Camden Town, um dort Blindekuh zu spielen.

 

Scrooge nahm sein einsames, trübseliges Mahl in seinem gewöhnlichen, einsamen, trübseligen Gasthaus ein, und nachdem er alle Zeitungen gelesen und sich den Rest des Abends mit seinem Bankjournal vertrieben hatte, ging er nach Hause zurück, um zu schlafen.

Er wohnte in den Zimmern, die seinem verstorbenen Kompagnon gehört hatten. Es war eine düstere Flucht von Zimmern in einem niedrigen, dunklen Gebäude, das in seinen Hof so ganz und gar nicht hineinpasste, dass man fast hätte glauben mögen, es habe sich, als es noch ein junges Haus war und mit andern Häusern Versteck spielte, dorthin verlaufen und nicht wieder hinausfinden können. Jetzt war es alt und öde, weil niemand dort wohnte als Scrooge und alle andern Örtlichkeiten als Geschäftsräume vermietet waren. Der Hof war so dunkel, dass selbst Scrooge, der dort jeden Pflasterstein kannte, seinen Weg mit den Händen ertasten musste. Der Nebel und der Frost ballten sich so dick und schwer um den schwarzen alten Torweg des Hauses, als hocke der Wettergeist in trübem Sinnen auf der Schwelle.

Nun steht es fest, dass an dem Klopfer der Haustür ganz und gar nichts Besonderes war als seine Größe.

Auch steht es fest, dass ihn Scrooge jeden Abend und jeden Morgen, seitdem er das Haus bewohnte, gesehen hatte und dass Scrooge so wenig Fantasie besaß, als irgendjemand in der City von London, mit Einschluss des Stadtrats – wenn das zu sagen erlaubt ist –, der Aldermen und der Zünfte.

Man vergesse auch nicht, dass Scrooge, außer heute Nachmittag, keine Sekunde an seinen vor sieben Jahren verstorbenen Kompagnon gedacht hatte.

Und dann erkläre mir jemand, warum Scrooge, als er seinen Schlüssel in das Türschloss steckte, in dem Klopfer, ohne dass dieser sich vor seinen Augen verändert hätte, keinen Türklopfer, sondern Marleys Gesicht sah?

Ja, Marleys Gesicht. Es war nicht von so undurchdringlichem Dunkel umgeben, wie die andern Gegenstände im Hof, sondern von einem unheimlichen Licht, wie ein verdorbener Hummer in einem dunklen Keller. Es blickte ihm nicht wild entgegen oder zürnend, sondern sah Scrooge an, wie ihn Marley gewöhnlich angesehen hatte, die gespenstige Brille auf die gespenstige Stirn hinaufgeschoben. Das Haar stand ihm seltsam zu Berg, wie von Atem oder heißer Luft gesträubt, und obgleich die Augen weit offen standen, waren sie doch ohne jede Bewegung. Dies und die leichenhafte Farbe machten das Gesicht schrecklich: Aber diese Schrecklichkeit schien eher etwas dem Gesicht Aufgezwungenes zu sein, als ein Teil seines Ausdruckes.

Als Scrooge fest auf die Erscheinung blickte, da sah er wieder einen Türklopfer!

Es wäre eine Unwahrheit, zu sagen, er sei nicht erschrocken oder sein Blut habe nicht ein grausendes Gefühl durchzuckt, das ihm seit seiner Kindheit unbekannt geblieben war. Aber gewaltsam fasste er sich, fasste mit der Hand abermals nach dem Schlüssel, drehte ihn um, trat in das Haus und zündete sein Licht an.

Und doch zögerte er einen Augenblick, bevor er die Tür schloss, und spähte erst vorsichtig dahinter, als fürchte er wirklich, mit dem Anblick von Marleys Zopf erschreckt zu werden.

Aber hinter der Tür war nichts, als die Schrauben, die den Klopfer festhielten, und so sagte er: „Bah, bah“, und warf sie hinter sich ins Schloss.

Der Schall klang wie ein Donner durch das Haus. Jedes Zimmer oben und jedes Fass in des Weinhändlers Keller unten schien mit seinem besonderen Echo zu antworten.

Scrooge war nicht der Mann, der sich durch Echos erschrecken ließ. Er schloss die Tür, ging über den Hausflur und die Treppe hinauf, und zwar langsam, langsam und beim Hinaufgehen das Licht heller machend.

Man mag behaupten, dass sich’s mit einem Sechsspänner eine stattliche alte Treppenflucht hinauf- oder mitten durch ein neues Parlamentsdekret hindurchsausen lasse; ich sage aber, dass man mit einem Leichenwagen, und zwar der Quere nach, mit der Deichsel nach der Wand und mit der Tür nach dem Geländer zu, diese Treppe hinaufgekommen wäre, und zwar ganz bequem. Und das ist vielleicht die Ursache, warum Scrooge glaubte, er sähe einen Leichenwagen vor sich hinaufdampfen. Ein halbes Dutzend Gaslampen von der Straße aus hätten den Eingang nicht hell genug gemacht, und so kann man sich denken, dass es bei Scrooges kleinem Talglicht ziemlich dunkel blieb.

Scrooge aber ging hinauf und kümmerte sich keinen Pfifferling um all das. Dunkelheit ist billig, und das Billige liebte Scrooge. Aber ehe er seine schwere Tür zumachte, ging er durch die Zimmer, um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er erinnerte sich des Gesichts noch gerade genug, um das zu wünschen.

Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer, alles war, wie es sein sollte. Niemand unter dem Tisch, niemand unter dem Sofa; ein kleines Feuer auf dem Rost, Löffel und Teller bereit und das kleine Töpfchen Haferschleim (Scrooge hatte den Schnupfen) auf dem Feuer. Niemand unter dem Bett, niemand im Alkoven, niemand in seinem Schlafrock, der auf eine ganz verdächtige Weise an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie gewöhnlich. Ein alter Kaminschirm, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, ein dreibeiniger Waschtisch und ein Schüreisen.

Vollkommen zufriedengestellt, machte er die Tür zu, schloss sich ein und schob noch den Riegel vor, was sonst seine Gewohnheit nicht war. So gegen Überraschung sichergestellt, legte er seine Halsbinde ab, zog seinen Schlafrock an und die Pantoffeln, setzte die Nachtmütze auf und nahm dann vor dem Feuer Platz, um seinen Haferschleim zu essen.

Es war wirklich ein sehr kleines Feuer, in einer so kalten Nacht so gut wie gar keins. Er musste sich dicht daran setzen und sich darüber hinbeugen, um das geringste Wärmegefühl von dieser Handvoll Kohlen zu erhaschen. Der Kamin war vor langen Jahren von einem holländischen Kaufmann gebaut worden und ringsum mit seltsamen holländischen Fliesen mit Bildern aus der biblischen Geschichte belegt. Da sah man Kain und Abel, Pharaos Töchter, die Königin von Saba, Engel durch die Luft auf Wolken gleich Federbetten herabschwebend, Abraham, Belsazar, Apostel in See gehend auf Butterschiffen, Hunderte von Figuren, seine Gedanken zu beschäftigen, und doch kam das Gesicht Marleys wie der Stab des alten Propheten und verschlang alles andere. Wenn jede glänzende Fliese weiß gewesen wäre und die Macht gehabt hätte, aus den vereinzelten Fragmenten seiner Gedanken ein Bild auf ihre Fläche zu zaubern, auf jeder wäre ein Abbild von des alten Marley Gesicht erschienen.

„Dummes Zeug!“, brummte Scrooge und schritt durch das Zimmer.

Nachdem er einige Male auf und ab gegangen war, setzte er sich wieder. Als er den Kopf in den Stuhl zurücklegte, fiel sein Auge wie durch Zufall auf eine Klingel, eine alte, nicht mehr gebrauchte Klingel, die zu einem jetzt vergessenen Zwecke mit einem Zimmer im obersten Stockwerk des Hauses in Verbindung stand.

Zu seinem großen Erstaunen und mit einem seltsamen, unerklärlichen Schauer sah er, wie die Klingel sich zu bewegen begann: Erst bewegte sie sich so wenig, dass sie kaum einen Ton von sich gab, aber bald schellte sie laut und mit ihr jede andre Klingel des Hauses.

Das mochte eine halbe Minute gedauert haben, oder eine ganze, aber es kam ihm vor wie eine Stunde. Die Klingeln hörten gleichzeitig auf, wie sie gleichzeitig angefangen hatten. Dann vernahm man ein Rasseln tief unten, als ob jemand über die Fässer in des Weinhändlers Keller eine schwere Kette schleppe. Jetzt erinnerte sich Scrooge gehört zu haben, dass Gespenster Ketten schleppen.

Die Kellertür flog mit einem dumpfdröhnenden Knall auf, und dann hörte er das Klirren viel lauter auf dem Hausflur unten, dann wie es die Treppe herauf- und dann wie es gerade auf seine Tür zukam.

„Es ist ja dummes Zeug“, sagte Scrooge. „Ich glaube nicht dran.“

Aber er wechselte doch die Farbe, als es nun ohne zu verweilen, durch die schwere Tür und in das Zimmer kam. Als es hereintrat, flammte das sterbende Feuer auf, als riefe es: „Ich kenne ihn, Marleys Geist!“, und die Glut sank wieder zusammen.

Dasselbe Gesicht, ganz dasselbe. Marley mit seinem Zopf, seiner gewöhnlichen Weste, den engen Hosen und hohen Stiefeln, deren Troddeln in die Höhe standen, wie sein Zopf, und ebenso seine Rockschöße und das Haar auf seinem Kopf.

Die Kette, die er hinter sich herschleppte, war um seinen Leib geschlungen. Sie war lang, ringelte sich wie ein Schwanz und war (Scrooge betrachtete sie sehr genau) aus Geldkassen, Schlüsseln, Schlössern, Hauptbüchern, Kontrakten und schweren Börsen aus Stahl zusammengesetzt. Sein Leib war so durchsichtig, dass Scrooge durch die Weste hindurch die zwei Knöpfe hinten an seinem Rock sehen konnte.

Scrooge hatte oft sagen gehört, Marley habe kein Herz, aber erst jetzt glaubte er es.

Nein, er glaubte es selbst jetzt noch nicht. Obgleich er das Gespenst durch und durch und vor sich stehen sah, obgleich er den erkältenden Schauer seiner totenstarren Augen fühlte und selbst den Stoff des Tuches erkannte, das ihm um Kopf und Kinn gebunden war und das er früher nicht bemerkt hatte, war er dennoch ungläubig und sträubte sich gegen das Zeugnis seiner Sinne.

„Nun“, sagte Scrooge, scharf und kalt wie gewöhnlich, „was wollt Ihr?“

„Viel!“ Das war Marleys Stimme.

„Wer seid Ihr?“

„Fragt mich, wer ich war.“

„Nun, wer wart Ihr?“, fragte Scrooge lauter. „Für einen Schatten seid Ihr ja sonderbar.“

„Als ich lebte, war ich Euer Kompagnon, Jacob Marley.“

„Könnt Ihr Euch setzen?“, fragte Scrooge und sah ihn zweifelnd an.

„Ich kann es.“

„So tut’s.“

Scrooge fragte nur, weil er nicht wusste, ob sich ein so durchsichtiger Geist setzen könne, und er fühlte die Notwendigkeit einer unangenehmen Erklärung, wenn es ihm nicht möglich wäre. Aber der Geist setzte sich auf der anderen Seite des Kamins nieder, als sei er so gewohnt.

„Ihr glaubt nicht an mich?“, fragte der Geist.

„Nein“, sagte Scrooge.

„Welches Zeugnis, außer dem Eurer Sinne, wollt Ihr von meiner Wirklichkeit haben?“

„Ich weiß nicht“, sprach Scrooge.

„Warum glaubt Ihr Euren Sinnen nicht?“

„Weil sie die geringste Kleinigkeit stört“, entgegnete Scrooge. „Eine kleine Unpässlichkeit des Magens macht sie zu Lügnern. Ihr könnt ein unverdautes Stück Rindfleisch, ein Käserindchen, ein Stückchen schlechter Kartoffeln sein. Wer Ihr auch sein möget, Ihr habt mehr vom Unterleib als von der Unterwelt an Euch.“

Es war nicht eben Scrooges Gewohnheit, Witze zu machen, auch fühlte er eben jetzt keine besondere Lust dazu. Die Wahrheit ist, dass er sich bestrebte lustig zu sein, um sich zu erleichtern und sein Entsetzen niederzuhalten; denn die Stimme des Geistes ließ ihn bis ins Mark erzittern.

Diesen starren, toten Augen nur einen Augenblick schweigend gegenüberzusitzen, wäre teuflisch gewesen, das fühlte Scrooge wohl. Auch dass das Gespenst seine eigene höllische Atmosphäre hatte, war so grauenerregend. Scrooge fühlte sie nicht selbst, aber doch musste es so sein; denn obgleich das Gespenst ganz regungslos dasaß, bewegten sich sein Haar, seine Rockschöße und seine Stiefeltroddeln wie von dem heißen Dunst eines Ofens.

„Ihr seht diesen Zahnstocher“, sprach Scrooge, seinen Angriff aus dem eben angeführten Grunde sogleich aufs Neue beginnend und von dem Wunsch beseelt, den starren, eisigen Blick des Gespenstes, wenn auch nur für einen Augenblick, von sich abzulenken.

„Ja“, antwortete der Geist.

„Ihr schaut ihn ja nicht an“, sagte Scrooge.

„Aber ich sehe ihn trotzdem“, sprach das Gespenst.

„Gut denn“, antwortete Scrooge. „Ich brauche ihn nur hinunterzuschlucken und mein ganzes übriges Leben hindurch verfolgen mich eine Legion Kobolde, die ich selbst erschaffen habe. Dummes Zeug, sag ich, dummes Zeug!“

Bei diesen Worten stieß das Gespenst einen markerschütternden Schrei aus und ließ seine Kette so grauenerregend und fürchterlich klirren, dass sich Scrooge fest an seinen Stuhl halten musste, um nicht ohnmächtig herunterzufallen.

Aber wie wuchs sein Entsetzen, als das Gespenst das Tuch von dem Kopfe nahm, als wär’ es ihm zu warm im Zimmer, sodass der Unterkiefer auf die Brust herunterklappte.

Scrooge fiel auf die Knie nieder und schlug die Hände vors Gesicht.

„Gnade!“, rief er. „Schreckliche Erscheinung, warum verfolgst du mich?“

„Mensch mit dem irdisch gesinnten Verstand“, entgegnete der Geist, „glaubst du an mich oder nicht?“

„Ich glaube“, sagte Scrooge, „ich muss glauben. Aber warum wandeln Geister auf Erden und warum kommen sie zu mir?“

„Von jedem Menschen wird verlangt, dass seine Seele unter seinen Mitmenschen wandle, in die Ferne und in die Nähe“, antwortete der Geist; „und wenn die Seele dies während des Lebens nicht tut, so ist sie verdammt, es nach dem Tode zu tun. Man ist verdammt, durch die Welt zu wandern – ach, wehe mir! – und zu sehen, was man nicht teilen kann, was man aber auf Erden hätte teilen können und zu seinem Glück anwenden sollen.“

Und wieder stieß das Gespenst einen Schrei aus und schüttelte seine Ketten und rang die schattenhaften Hände.

„Du bist gefesselt“, sagte Scrooge zitternd. „Sage mir, warum?“

„Ich trage die Kette, die ich während meines Lebens geschmiedet habe“, sprach der Geist. „Ich schmiedete sie Glied für Glied und Elle für Elle; mit meinem eigenen freien Willen lud ich sie mir auf und mit meinem eigenen freien Willen trug ich sie. Ihre Glieder kommen dir seltsam vor?“

Scrooge zitterte mehr und mehr.

„Oder willst du wissen“, fuhr der Geist fort, „wie schwer und wie lang die Kette ist, die du selber trägst? Sie war gerade so lang und so schwer wie diese hier, vor sieben Weihnachten. Seitdem hast du daran gearbeitet! Es ist eine schwere Kette.“

Scrooge sah auf den Boden hinab, in der Erwartung, sich von fünfzig oder sechzig Ellen Eisenkette umschlungen zu sehen; aber er sah nichts.

„Jacob“, sagte er flehend. „Jacob Marley, sage mir mehr. Sprich mir Trost zu, Jacob.“

„Ich habe keinen Trost zu geben“, antwortete der Geist. „Er kommt von andern Regionen, Ebenezer Scrooge, und wird von andern Boten zu andern Menschen gebracht. Auch kann ich dir nicht sagen, was ich dir sagen möchte. Ein klein wenig mehr ist alles, was mir erlaubt ist. Nirgends kann ich rasten oder ruhen. Mein Geist ging nie über unser Kontor hinaus –merke wohl auf – m Leben blieb mein Geist immer in den engen Grenzen unsrer schachernden Höhle; und weite Reisen liegen noch vor mir.“

Scrooge hatte die Gewohnheit, wenn er nachdenklich wurde, die Hand in die Hosentasche zu stecken.

Über das nachsinnend, was der Geist sagte, tat er es auch jetzt, aber ohne die Augen zu erheben oder vom Stuhl aufzustehen.

„Du musst dir aber viel Zeit gelassen haben, Jacob“, bemerkte er im Ton eines Geschäftsmannes, obgleich mit viel Demut und Ehrerbietung.

„Viel Zeit!“, wiederholte der Geist.

„Sieben Jahre tot“, sagte sinnend Scrooge. „Und die ganze Zeit über gereist.“

„Die ganze Zeit“, sagte der Geist. „Ohne Frieden, ohne Ruhe und mit den Qualen ewiger Reue.“

„Du reisest schnell“, sagte Scrooge.

„Auf den Schwingen des Windes“, sagte der Geist.

„Du hättest eine große Strecke in sieben Jahren bereisen können“, sagte Scrooge.

Als der Geist dies hörte, stieß er wieder einen Schrei aus und klirrte so grässlich mit seiner Kette durch das Grabesschweigen der Nacht, dass ihn die Polizei mit vollem Recht wegen Ruhestörung hätte bestrafen können.

„Oh, gefangen und gefesselt“, rief das Gespenst, „nicht zu wissen, dass Zeitalter von unaufhörlicher Arbeit unsterblicher Geschöpfe vergehen, ehe sich das Gute, dessen die Erde fähig ist, entwickeln kann. Nicht zu wissen, dass jeder christliche Geist dieses Erdenleben zu kurz finden wird, um alles Nützliche zu tun, und wenn er auch in einem noch so kleinen Kreise wirkt. Aber ich wusste es nicht, ach, ich wusste es nicht!“

„Aber du warst immer ein guter Geschäftsmann, Jacob“, stotterte Scrooge zitternd, der jetzt anfing, das Schicksal des Geistes auf sich selbst zu beziehen.

„Geschäft!“, rief das Gespenst, seine Hände abermals ringend. „Der Mensch wäre mein Geschäft gewesen! Das allgemeine Wohl wäre mein Geschäft gewesen! Barmherzigkeit, Versöhnlichkeit und Liebe, alles das wäre mein Geschäft gewesen! Alles, was ich in meinem Gewerbe tat, war nur ein kleiner Tropfen Wasser im weiten Ozean meines Geschäfts!“

Er hielt seine Kette vor sich hin, als ob sie die Ursache seines nutzlosen Schmerzes gewesen wäre, und warf sie abermals dumpfdröhnend nieder.

„Zu dieser Zeit des schwindenden Jahres“, sagte das Gespenst, „leide ich am meisten. Warum ging ich mit zur Erde gehefteten Augen durch die Schar meiner Mitmenschen und wendete meinen Blick nie zu dem gesegneten Stern empor, der die Weisen zur Wohnung der Armut führte? Gab es keine arme Hütte, wohin mich sein Licht hätte leiten können?“

Scrooge hörte mit Entsetzen das Gespenst so reden und fing an gewaltig zu zittern.

„Höre mich“, mahnte der Geist. „Meine Zeit ist halb vorbei.“

„Ich höre“, hauchte Scrooge. „Aber mach es gnädig mit mir! Werde nicht hitzig, Jacob, ich bitte dich.“

„Wie es kommt, dass ich in einer dir sichtbaren Gestalt vor dich treten kann, das weiß ich nicht. Viele, viele Tage habe ich unsichtbar neben dir gesessen.“

Das war kein angenehmer Gedanke. Scrooge schauderte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Es ist kein leichter Teil meiner Sühne“, fuhr der Geist fort. „Heute Nacht komme ich zu dir, um dich zu warnen, da du noch die Möglichkeit hast, meinem Schicksal zu entgehen. Eine Möglichkeit und eine Hoffnung, die du mir zu verdanken hast.“

„Du bist immer mein guter Freund gewesen“, murmelte Scrooge. „Ich danke dir.“

„Drei Geister“, fuhr das Gespenst fort, „werden zu dir kommen.“

Bei diesen Worten wurde Scrooges Angesicht fast so unglücklich wie das des Gespenstes.

„Ist das die Möglichkeit und die Hoffnung, die du genannt hast, Jacob?“, fragte er mit bebender Stimme.

„Ja.“

„Ich – ich möchte lieber nicht“, sagte Scrooge.

„Ohne ihr Kommen“, sagte der Geist, „kannst du nicht hoffen, den Pfad zu vermeiden, dem ich nun folgen muss. Erwarte den Ersten morgen Früh, wenn die Glocke eins schlägt.“

„Könnte ich sie nicht alle miteinander hinter mich bringen?“, meinte Scrooge.

„Erwarte den Zweiten in der nächsten Nacht um dieselbe Stunde. Den Dritten in der darauffolgenden Nacht, wenn der letzte Schlag der zwölften Stunde verklungen ist. Schau mich an, denn du siehst mich nicht wieder; und schau mich an, damit du dich um deinetwillen an das erinnerst, was zwischen uns vorgefallen ist.“

Als es diese Worte gesprochen hatte, nahm das Gespenst das Tuch vom Tisch und band es sich wieder um den Kopf. Scrooge merkte es am Geräusch der Zähne, als die Kinnladen zusammenklappten. Er wagte, die Augen zu erheben, und sah seinen übernatürlichen Besuch vor sich stehen, die Augen noch starr auf ihn geheftet und die Kette um Leib und Arme gewunden.

Die Erscheinung entfernte sich rückwärtsgehend und bei jedem Schritt öffnete sich das Fenster ein wenig, sodass es weit offen stand, als das Gespenst es erreicht hatte. Es winkte Scrooge, näher zu kommen, und er tat es.

Als sie noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, hob Marleys Geist die Hand und gebot ihm, nicht näher zu kommen. Scrooge stand still. Mehr aus Überraschung und Furcht, als aus Gehorsam, denn wie sich die gespenstige Hand erhob, hörte er verwirrte Klänge durch die Luft schwirren und unzusammenhängende Töne der Klage und des Leides, unsäglich schmerzlich und reuevoll.

Das Gespenst hörte eine Weile zu und stimmte dann in das Klagelied ein; dann schwebte es in die dunkle, kalte Nacht hinaus.

Scrooge trat an das Fenster, von Neugier fast zur Verzweiflung getrieben. Er sah hinaus.

Die Luft war mit Schatten angefüllt, die in ruheloser Hast klagend hin und her schwebten. Jeder trug eine Kette wie Marleys Geist; einige wenige waren zusammengeschmiedet (wahrscheinlich schlechte Minister), keiner war ganz fessellos. Viele waren Scrooge während ihres Lebens bekannt gewesen. Ganz genau hatte er einen alten Geist in einer weißen Weste gekannt, der einen ungeheuren eisernen Geldkasten hinter sich herschleppte und jämmerlich schrie, einer armen, alten Frau mit einem Kind nicht beistehen zu können, die unten auf einer Türschwelle saß. Man sah es deutlich, ihre Pein war, sich umsonst bestreben zu müssen, den Menschen Gutes zu tun und die Macht dazu auf immer verloren zu haben.

Ob diese Wesen in dem Nebel zergingen oder ob sie der Nebel einhüllte, wusste er nicht zu sagen. Aber sie und ihre Gespensterstimmen vergingen gleichzeitig, und die Nacht wurde wieder so, wie sie auf seinem Nachhauseweg gewesen war.

Scrooge schloss das Fenster und untersuchte die Tür, durch die das Gespenst eingetreten war. Sie war noch verschlossen und verriegelt wie vorher.

Er versuchte zu sagen: „Dummes Zeug“, blieb aber bei der ersten Silbe stecken, und da er von der innern Bewegung oder von den Anstrengungen des Tages oder von seinem Einblick in die unsichtbare Welt oder von der Unterhaltung mit dem Gespenst oder der späten Stunde sehr erschöpft war, ging er sogleich ins Bett, ohne sich auszuziehen, und sank sofort in Schlaf.

 

 

Zweite Strophe: Der erste Geist

Als Scrooge wieder erwachte, war es so finster, dass er das Fenster kaum von den Wänden seines Zimmers unterscheiden konnte. Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Katzenaugen zu durchdringen, als die Glocke eines Turmes in der Nachbarschaft mit vier Viertelschlägen die volle Stunde ankündigte. Er lauschte, um die Stundenschläge zu hören.

Zu seinem großen Erstaunen schlug die Glocke fort, von sechs zu sieben, von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann schwieg sie.

Zwölf! Es war zwei vorübergewesen, als er sich zu Bett gelegt hatte. Das Uhrwerk musste falsch gehen. Ein Eiszapfen musste zwischen die Räder gekommen sein. Zwölf!

Er drückte an die Feder seiner Repetieruhr, um die verrückte Glocke zu kontrollieren. Ihr kleiner lebhafter Puls schlug zwölf und schwieg.

„Was! Das ist doch nicht möglich“, sagte Scrooge. „Ich soll den ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein geschlafen haben? Es kann doch nicht sein, dass der Sonne etwas passiert und es mittags um zwölf ist?“

Mit diesen unruhigen Gedanken beschäftigt, stieg er aus dem Bett und tappte nach dem Fenster. Er musste das Eis erst wegkratzen und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes abwischen, ehe er etwas sehen konnte; und auch nachher konnte er nur sehr wenig sehen.

Alles, was er bemerkte, war, dass es noch sehr neblig und sehr kalt war und dass man nicht den Lärm hin und her eilender Leute hörte, was doch gewiss vernehmbar gewesen wäre, wenn Nacht plötzlich den hellen Tag vertrieben und von der Welt Besitz genommen hätte.

Das war ein großer Trost, weil Bedingungen wie „Drei Tage nach Sicht bezahlen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer Scrooge oder dessen Order“ und so weiter bloße Vereinigte-Staaten-Sicherheiten wären, wenn es keine Tage mehr gab, um danach zu zählen.

Scrooge legte sich wieder ins Bett und dachte darüber nach, konnte aber zu keinem Schluss kommen. Je mehr er nachdachte, desto verwirrter wurde er, und je mehr er sich bemühte nicht nachzudenken, desto mehr dachte er nach. Marleys Geist machte ihm viel zu schaffen. Immer, wenn er nach reiflicher Überlegung zu dem festen Entschluss gekommen war, das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie eine starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück und legte ihm erneut dieselbe Frage vor, die er schon zehnmal überlegt hatte: „War es ein Traum oder nicht?“

Scrooge blieb in diesem Zustand liegen, bis es wieder drei Viertel schlug. Da besann er sich plötzlich, dass der Geist ihm eine Erscheinung mit dem Schlag eins versprochen hatte. So beschloss er wach zu bleiben, bis die Stunde vorüber sei, und wenn man bedenkt, dass er ebenso wenig schlafen wie in den Himmel kommen konnte, war dies gewiss der klügste Entschluss, den er fassen konnte.

Die Viertelstunde war so lang, dass es ihm mehr als einmal vorkam, er müsse unversehens in Schlaf gefallen sein und die Uhr überhört haben. Endlich vernahm sein lauschendes Ohr die Glocke.

„Bim, bam!“

„Ein Viertel“, sagte Scrooge zählend.

„Bim, bam!“

„Halb“, sagte Scrooge.

„Bim, bam!“

„Drei Viertel“, sagte Scrooge.

„Bim, bam!“

„Voll!“, rief Scrooge freudig. „Und weiter nichts!“

Er sprach das, ehe die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit einem tiefen, hohlen, melancholischen Klang tat. In demselben Augenblick wurde es hell im Zimmer und die Vorhänge seines Bettes wurden geöffnet.

Ich sage euch, die Vorhänge seines Bettes wurden von einer Hand weggezogen, und sich aufrichtend blickte Scrooge dem unirdischen Gast, der sie geöffnet hatte, in das Gesicht. So dicht stand er ihm gegenüber, wie ich jetzt im Geist neben euch stehe.

Es war eine sonderbare Gestalt, gleich einem Kind, aber doch eigentlich nicht gleich einem Kind, sondern mehr wie ein Greis, der durch einen wunderbaren Zauber erschien, als sei er dem Auge entrückt und auf diese Weise so klein geworden wie ein Kind.

Sein Haar, das in langen Locken auf seine Schultern herabwallte, war weiß, wie vom Alter, und dennoch hatte das Gesicht keine einzige Runzel, und um das Kinn bemerkte man den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und muskulös, die Hände ebenso, als läge in ihnen eine ungeheure Kraft. Seine Füße, zart und fein geformt, waren entblößt, gleich den Armen.

Der Geist trug einen Talar vom reinsten Weiß; um seinen Leib schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Glanz. Er hielt einen frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war das Kleid mit Sommerblumen verziert.

Das Wunderbarste aber war, dass von seinem Scheitel ein heller Lichtstrahl in die Höhe schoss, der alles ringsum erleuchtete und der gewiss die Ursache war, dass der Geist bei weniger guter Laune einen großen Löschhut, den er jetzt unter dem Arm trug, als Mütze aufsetzte.

Aber selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft. Denn wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell gewesen war, plötzlich dunkel wurde, so verwandelte sich auch die Gestalt selbst, man wusste nicht wie: Bald war es ein Ding mit einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald sah man nur zwei Füße ohne Kopf, bald einen Kopf ohne Leib; und wie einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm in dem dichten Dunkel zurück, das ihn verschlang. Und das größte Wunder dabei war: Die Gestalt blieb immer dieselbe.

„Sind Sie der Geist, dessen Erscheinung mir vorhergesagt wurde?“, fragte Scrooge.

„Ich bin es.“

Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als käme sie nicht aus dichtester Nähe, sondern aus einiger Entfernung.

„Wer und was sind Sie?“, fragte Scrooge, schon etwas mehr Mut fassend.

„Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht.“

„Einer lange vergangenen?“, fragte Scrooge, seiner zwerghaften Gestalt gedenkend.

„Nein, einer deiner vergangenen.“

Vielleicht hätte Scrooge, wenn ihn jemand befragt hätte, nicht sagen können, warum, aber doch fühlte er ein ganz besonderes Verlangen, den Geist unter seinem Hut zu sehen; und er bat ihn, sich zu bedecken.

„Was?“, rief der Geist. „Willst du so bald mit irdisch gesinnter Hand das Licht, das ich spende, verlöschen? Ist es nicht genug, dass du einer von denen bist, deren Leidenschaften diese Mütze geschaffen haben und mich zwingen, durch lange, lange Jahre meine Stirn damit zu verhüllen?“

Scrooge entschuldigte sich ehrfurchtsvoll, er habe nicht die Absicht gehabt, ihn zu beleidigen, und behauptete, nicht zu wissen, dass er irgendeinmal in seinem Leben dem Geist Ursache gegeben habe, sich zu bedecken. Dann war er so frei, zu fragen, was ihn hierher führe.

„Dein Wohl“, sagte der Geist.

Scrooge drückte ihm seine Dankbarkeit aus, konnte sich aber doch nicht des Gedankens erwehren, dass ihm eine Nacht ungestörten Schlafes mehr genützt hätte.

Der Geist musste ihn haben denken hören, denn er sagte sogleich:

„Deine Besserung. Nimm dich in Acht!“

Er streckte seine starke Hand aus, als er dies sprach, und ergriff sanft seinen Arm.

„Steh auf und folge mir.“

Vergebens würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und Stunde seien schlecht geeignet zum Spazierengehen, das Bett sei warm und das Thermometer ein gutes Stück unter dem Gefrierpunkt, er sei nur leicht in Pantoffeln, Schlafrock und Nachtmütze gekleidet und habe gerade jetzt den Schnupfen. Dem Griff, war er auch sanft wie der einer Frauenhand, war nicht zu widerstehen. Er stand auf; aber als er sah, dass der Geist nach dem Fenster schwebte, fasste er ihn flehend bei dem Gewand.

„Ich bin ein Sterblicher“, sagte Scrooge, „und könnte fallen.“

„Lass meine Hand dich hier berühren“, sagte der Geist, indem er die Hand auf das Herz legte, „und du wirst größere Gefahren überwinden als diese hier.“

Als er diese Worte gesprochen hatte, drangen die beiden durch die Wand und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße, rings von Feldern umgehen. Die Stadt war ganz verschwunden. Keine Spur war mehr davon. Die Dunkelheit und der Nebel waren mit ihr verschwunden, denn es war jetzt ein klarer, kalter Wintertag und der Boden mit weißem reinem Schnee bedeckt.

„Gütiger Himmel!“, rief Scrooge, die Hände faltend, als er um sich blickte. „Hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als Knabe.“

Der Geist schaute ihn mit milden Blicken an. Seine sanfte Berührung, obgleich sie nur leise und flüchtig gewesen war, bebte immer noch nach in dem Herzen des alten Mannes. Er fühlte, wie tausend Düfte die Luft durchwehten, jeder mit tausend Gedanken und Hoffnungen und Freuden und Sorgen verbunden, die lange, lange vergessen waren.

„Deine Lippen zittern“, sagte der Geist. „Und was glänzt auf deiner Wange?“

Scrooge murmelte mit einem ungewöhnlichen Mollton in der Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen, wohin er wolle.

„Erinnerst du dich des Weges?“, fragte der Geist.

„Ob ich mich seiner erinnere?“, rief Scrooge mit Innigkeit. „Blindlings könnte ich ihn gehen!“

„Seltsam, dass du ihn so viele Jahre hindurch vergessen hast“, sagte der Geist. „Komm!“

Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Tor, jeden Pfahl, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in der Ferne mit seiner Kirche, seiner Brücke und dem hellen Fluss erschien. Jetzt kamen einige Knaben, auf zottigen Ponys reitend, auf sie zu, die anderen Knaben in ländlichen Wagen laut zuriefen. Alle waren gar fröhlich und laut, bis die weiten Felder so voll heiterer Musik waren, dass die kalte, sonnige Luft lachte, sie zu hören.

„Dies sind nur Schatten der Dinge, die da gewesen sind“, meinte der Geist, „sie wissen nichts von uns.“

Die fröhlichen Reisenden kamen näher und Scrooge erkannte sie jetzt alle und konnte sie alle beim Namen nennen. Warum freute er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein kaltes Auge feucht, warum frohlockte sein Herz, als sie vorübereilten, warum wurde sein Herz weich, wie sie an den Kreuzwegen voneinander schieden und einander fröhliche Weihnachten wünschten?

Was gingen denn Scrooge fröhliche Weihnachten an? Der Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Welchen Nutzen hatte er wohl jemals davon gehabt?

„Die Schule ist nicht ganz verlassen“, nahm der Geist wieder das Wort. „Ein Kind, eine verlassene Waise, sitzt noch einsam dort.“

Scrooge sagte, er wisse es. Und er schluchzte.

Sie verließen nunmehr die Heerstraße auf einem wohlbekannten Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten Backsteinen mit einem kleinen Türmchen auf dem Dach und einer Glocke drin.

Es war ein großes Haus, aber jetzt vernachlässigt und ziemlich verwahrlost, weil die geräumigen Gemächer wenig gebraucht waren, die Wände feucht und grün, die Fenster zerbrochen, die Türen morsch und halb zerfallen.

Hühner gluckten und scharrten in den Ställen und der Wagenschuppen war mit Gras überwachsen. Auch im Innern war nichts übrig geblieben von seiner alten Pracht, denn als sie in den verödeten Hausflur eintraten und durch die offenen Türen in die vielen Zimmer blickten, sahen sie nur ärmlich ausgestattete, kalte, große Räume.

Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft, eine frostige Unbehaglichkeit von allzu häufigem Aufstehen bei Kerzenlicht und nicht allzu reichlichem Essen.

Der Geist ging mit Scrooge über den Hausflur nach einer Tür auf der Rückseite des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte ihnen einen langen, kahlen, unbehaglichen Saal, den Reihen von einfachen hölzernen Bänken noch kahler und unbehaglicher machten.

Auf einer davon saß einsam ein Knabe neben einem schwachen Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und weinte, als er sein eigenes, vergessenes Selbst sah, wie es in früheren Jahren war.

Kein dumpfer Widerhall in dem Haus, kein Rascheln der Mäuse hinter dem Getäfel, kein Getröpfel des halbgefrorenen Brunnentrogs hinten im Hof, kein Seufzer in den blattlosen Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Knarren der vom Wind hin und her bewegten Tür des Vorratshauses im Hof, selbst nicht das Knistern des Feuers war für Scrooge verloren. Alles fiel auf sein Herz wie erweichende Töne und löste seine Tränen.

Der Geist berührte seinen Arm und wies auf sein jüngeres, in ein Buch vertieftes Abbild.

Plötzlich stand draußen vor dem Fenster ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führend.

„Was! Das ist ja Ali Baba!,“ rief Scrooge voller Freude aus. „Es ist der alte, liebe, ehrliche Ali Baba. Ja, ja, ich weiß es noch. Einst zur Weihnachtszeit geschah es, dass dieser verlassene Knabe ganz allein hier saß, und er zum ersten Male wirklich kam, gerade wie er dort steht. Der arme Junge!

Und Valentin“, fuhr Scrooge fort, „und auch sein wilder Bruder Orson, dort gehen sie! Und wie heißt doch der, der mitten im Schlaf vor das Tor von Damaskus gesetzt wurde? Siehst du ihn nicht? Und der Stallmeister des Sultans, der von den bösen Geistern auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er ja auch! Ha, ha, es geschieht ihm schon recht! Wer hieß es ihn auch, die Prinzessin heiraten wollen!“

Scrooge mit vollem Ernst über solche Gegenstände reden zu hören und mit einer zwischen Lachen und Weinen schwankenden Stimme, dann auch sein vor Freude aufgeregtes Gesicht zu sehen: das wäre für seine Geschäftsfreunde in der City gewiss eine große Überraschung gewesen.

„Da ist ja auch der Papagei“, rief Scrooge, „der mit grünem Leib und gelbem Schwanz, da ist er! Der arme Robinson, er rief ihn, als er von seiner Inselumsegelung wieder nach Hause kam: ,Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‘ Er glaubte, er träume, aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen Bucht. Es gilt das Leben. Hallo, hoh, hallo!“

Dann sagte er mit einem schnellen Wechsel der Gefühle, der seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: „Der arme Knabe!“, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem Ärmelaufschlag die Augen, steckte die Hand in die Tasche und murmelte: „Ich wünschte – aber es ist jetzt zu spät.“

„Was willst du?“, fragte der Geist.

„Nichts“, sagte Scrooge, „nichts. Gestern Abend sang ein Knabe ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben, weiter war es nichts.“

Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand. Dann sagte er: „Lass uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.“

Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer und das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs fielen von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: Aber wie das alles geschah, wusste Scrooge ebenso wenig wie ihr. Er wusste nur, dass alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe, und dass er’s nun wieder sei, der dort allein sitze, während die andern Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen Weihnachtsfeier. Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf und ab.

Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen Kopfschütteln und in banger Erwartung nach der Tür.

Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger als der Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals, küsste ihn und begrüßte ihn als ihren „lieben, lieben Bruder“.

„Ich komme, um dich mit nach Hause zu nehmen, lieber Bruder!“, sagte das Kind, fröhlich mit den Händen klatschend. „Dich mit nach Hause zu nehmen, nach Hause, nach Hause!“

„Nach Hause, liebe Fanny?“, fragte der Knabe.

„Ja!“, antwortete die Kleine in überströmender Freude. „Nach Hause und für immer! Der Vater ist so viel freundlicher als sonst, dass es bei uns wie im Himmel ist. Eines Abends, als ich zu Bett ging, sprach er so freundlich mit mir, dass ich mir ein Herz fasste und ihn fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest; und er sagte ja, und schickte mich im Wagen her, um dich zu holen.

Und du sollst jetzt dein freier Herr sein“, sagte das Kind und blickte ihn bewundernd an, „und nicht mehr hierher zurückkehren; aber erst sollen wir alle zusammen das Weihnachtsfest feiern und recht lustig sein.“

„Du bist ja eine ordentliche Dame geworden, Fanny!“, rief der Knabe aus.

Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte, bis an seinen Kopf zu reichen; aber sie war zu klein und lachte wieder und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie ihn in kindlicher Ungeduld zur Tür, und er begleitete sie mit leichtem Herzen.

Eine schreckliche Stimme im Hausflur rief: „Bringt Master Scrooges Koffer herunter!“ Es war der Lehrer selbst, der Master Scrooge mit brutalhochnäsiger Herablassung anstierte und ihn in großen Schrecken setzte, als er ihm die Hand drückte. Dann führte er ihn und seine Schwester in ein feuchtes, Frösteln erregendes Empfangszimmer, an dessen Wänden Landkarten und in dessen Fenster die Erd- und Himmelsgloben vor Kälte glänzten.

Hier brachte er eine Flasche merkwürdig leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen herbei und regalierte die Kinder schonend sparsam mit diesen auserlesenen Leckerbissen. Auch schickte er eine hungrig aussehende Magd hinaus, um dem Postillion ein Gläschen anzubieten, wofür dieser aber mit den Worten dankte, wenn es von demselben Fass wie das vorige sei, möchte er lieber nicht kosten.

Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf den Wagen gebunden worden, und die Kinder nahmen ohne Rührung von dem Schulmeister Abschied, setzten sich in den Wagen und fuhren so schnell zum Garten hinaus, dass der Reif und der Schnee wie Schaum von den immergrünen Gebüschen hinwegstob.

„Sie war immer ein zartes Wesen, das von einem Hauch hätte verwelken können“, sagte der Geist. „Aber sie hatte ein großes Herz.“

„Ja, das hatte sie“, rief Scrooge. „Ich will nicht widersprechen, Geist. Gott verhüte es.“

„Sie starb als Frau“, sagte der Geist, „und hatte Kinder, glaube ich.“

„Ein Kind“, antwortete Scrooge.

„Ja“, sagte der Geist. „Dein Neffe.“

Scrooge schien unruhig zu werden und antwortete kurz: „Ja.“

Obgleich sie die Schule kaum einen Augenblick hinter sich gelassen hatten, befanden sie sich doch plötzlich mitten in den lebendigsten Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger vorübergingen, wo gespenstige Wagen und Kutschen um Platz stritten und wo das ganze wirre Leben einer wirklichen Stadt herrschte. Am Aufputz der Läden sah man, dass auch hier Weihnachten war; aber es war Abend und die Straßenlaternen brannten.

Der Geist blieb vor dem Eingang eines Lagerhauses stehen und fragte Scrooge, ob er dies kenne.

„Ob ich es kenne?“, sagte Scrooge. „Hab ich hier nicht gelernt?“

Sie traten ein. Beim Anblick eines alten Herrn in einer Stutzperücke, der hinter einem so hohen Pult saß, dass er mit dem Kopf hätte an die Decke stoßen müssen, wäre er zwei Zoll größer gewesen, rief Scrooge in großer Aufregung: „Ha, das ist ja der alte Fezziwig, Gott segne ihn, es ist Fezziwig, wie er leibt und lebt!“

Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah hinauf nach der Uhr, deren Zeiger auf sieben stand. Er rieb die Hände, zog seine geräumige Weste herunter, schüttelte sich vor heimlichem Lachen von Kopf bis Fuß und rief mit einer behäbigen, voll und doch mild tönenden heiteren Stimme: „Hallo, dort! Ebenezer! Dick!“

Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling geworden, trat flink herein, begleitet von seinem Mitlehrling.

„Dick Wilkins, wahrhaftig!“, sagte Scrooge zu dem Geist. „Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr zugetan, der Dick. Der arme Dick! Du meine Güte!“

„Hallo, meine Burschen“, rief Fezziwig. „Feierabend heute. Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Macht die Läden zu, schnell! Ehe einer Jack Robinson sagen kann.“ So rief der alte Fezziwig, munter die Hände zusammenschlagend.

Kaum zu glauben, wie rasch und munter die beiden Jungen darangingen. Sie liefen mit den Läden hinaus – eins, zwei, drei – hatten sie eingesetzt – vier, fünf, sechs – sie zugeriegelt und zugeschraubt – sieben, acht, neun – und kamen zurück, ehe man zwölf sagen konnte, außer Atem, wie Rennpferde.

„Hussahoh!“, rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer Geschicklichkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend. „Aufräumen, Jungens, und macht viel Platz! Hussahoh, Dick! Hallo, Ebenezer!“

Aufräumen! Es gab nichts, was sie nicht wegräumen wollten oder wegräumen konnten, wenn der alte Fezziwig zusah. Es war in einer Minute geschehen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in die Winkel geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen Dienste entlassen; der Flur wurde gekehrt und gesprengt, die Lampen geputzt, Kohlen auf das Feuer geschüttet, und der Laden war so behaglich, so warm und hell wie ein Ballsaal und wie man es nur an einem Winterabend verlangen konnte.

Jetzt trat ein Fiedler mit einem Notenbuch herein, er kletterte auf Fezziwigs hohen Stuhl, machte ihn zum Orchester und begann zu stimmen, als hätte er fünfzigfaches Bauchweh.

Dann kam Mrs. Fezziwig, ein einziges behagliches Lächeln. Dann kamen die drei Miss Fezziwig, freudestrahlend und liebenswürdig. Dann kamen die sechs Jünglinge, deren Herzen sie brachen.

Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Haus einen Dienst hatten: das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker, die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freund, dem Milchmann.

Dann kam der Bursche von gegenüber, von dem man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost; er versuchte, sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhaus zu verstecken, der man nachwies, sie sei von ihrer Herrschaft an den Ohren gezogen worden.

Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige schüchtern, andere keck, einige mit Geschick, andere mit Ungeschick, die zerrend und jene stoßend.

Dann ging es los, zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in zärtlichen Gruppen sich drehend: das alte erste Paar immer an der falschen Stelle, das nächste erste Paar immer zur falschen Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte.

Als sie so weit gekommen waren, klatschte der alte Fezziwig zum Zeichen, dass der Tanz aus sei, in die Hände und rief „Bravo!“, und der Fiedler senkte sein glühendes Gesicht in einen Krug Porter, der besonders zu diesem Zweck neben ihm stand.

Aber kaum war er wieder heraus, als er, obgleich noch keine Tänzer dastanden, wieder aufzuspielen begann, als sei der alte Fiedler erschöpft nach Hause getragen worden und er ein ganz frischer, entschlossen, den alten vergessen zu machen oder zu sterben.

Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück kalter Braten und dann ein großes Stück kaltes Siedfleisch und Fleischpasteten und viel Bier.