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Mildred gibt sich die größte Mühe, doch ihre Zaubersprüche gelingen selten. Vielleicht ist sie ja tatsächlich die lausigste Hexe der ganzen Schule – aber dafür ist sie die beste Freundin, die man sich nur wünschen kann!
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Seitenzahl: 82
Jill Murphy
Eine lausige Hexe löst den Bann
Aus dem Englischen von Ursula Kösters-Roth
Diogenes
Tropisch heiß knallte die Sonne auf die Schülerinnen von Frau Grausteins Hexenakademie herab, als diese am ersten Tag des Winterhalbjahres im Schulhof zur Landung ansetzten. Nur die Erstklässler stiegen zu Fuß den Berg zur Akademie hinauf, denn sie hatten das Fliegen auf dem Hexenbesen noch nicht gelernt. Alle anderen Schülerinnen und natürlich auch die Lehrer boten einen beeindruckenden Anblick, wie sie, einer Schar Krähen gleich, in elegantem Bogen über die {6}hohe Steinmauer segelten. Da sich das Schuljahr in zwei Halbjahre teilte, bildeten die Wetterbedingungen oft einen krassen Gegensatz zu den Schuluniformen, die die Mädchen zum Beginn eines jeden Halbjahres anziehen mussten.
»Das ist wieder mal typisch«, dachte Mildred Hoppelt und wackelte unbehaglich mit den Zehen, die in den dicken grauen Socken und den warmen, schweren Winterstiefeln schwitzten. »Als wir zum Sommerhalbjahr zurückkehrten, hat es geschneit, und wir wären in unseren Sommerkleidern fast erfroren.«
Mildred war nun in der dritten Klasse. Sie war sehr froh, dass sie überhaupt in die Akademie hatte zurückkehren dürfen, {7}denn in den ersten beiden Jahren war sie von einem Schlamassel in den nächsten geraten, und das unter den wachsamen Argusaugen der unerbittlich strengen Frau Harschmann (auch H.M. genannt), die in den ersten beiden Jahren Mildreds Klassenlehrerin gewesen war. Doch in dieses Schuljahr startete Mildred voller Zuversicht. In den Sommerferien hatte sie einen zweiwöchigen Intensivkurs Fliegen auf dem Hexenbesen besucht und das Erste Besenflieger-Zertifikat verliehen bekommen. Zur Belohnung hatte die Mutter ihr einen nagelneuen Besen geschenkt. Leider zeigte Tapsi, die einzige getigerte Katze der ganzen Schule – alle anderen Katzen waren vorschriftsmäßig rabenschwarz –, kaum Fortschritte, was ihre Geschicklichkeit auf dem Besen betraf; um der Wahrheit die Ehre zu geben, ließen sich beim besten Willen nicht einmal die kleinsten Fortschritte erkennen. Sie hatte sich inzwischen zwar, mehr schlecht als recht, ans Fliegen gewöhnt – immerhin trainierten sie schon seit zwei Jahren –, aber ganz offensichtlich konnte die kleine Katze der ganzen Sache noch immer nichts abgewinnen. Wie ein verängstigtes Meerschweinchen kauerte sie {8}auf dem Besen, oder, was ganz und gar lächerlich aussah, umklammerte manchmal auf der Suche nach besserem Halt, platt ausgestreckt auf allen vieren, das Reisig wie eine Ertrinkende.
Wie auch immer, Tapsi war eine ausgesprochene Schmusekatze und in den langen, kalten Nächten in dem zugigen Schulgemäuer eine willkommene Kuschelgefährtin. Mildred liebte sie heiß und innig.
Mit dem schweren Gepäck, das von dem Besen herunterbaumelte, flitzte Mildred ohne das leiseste Taumeln über die hohe Schulmauer und landete neben dem Besenschuppen.
»Gar nicht so übel, Mildred Hoppelt«, schnarrte es hochnäsig aus dem düsteren Raum. »Offenbar hast du dir über die Sommerferien endlich ein paar Hirnzellen einpflanzen lassen!«
»Oh, hallo Esther«, grüßte Mildred ohne allzu große {9}Begeisterung, als sie das Mädchen im Halbdunkel erkannte. Esther Edel war die beste Schülerin des dritten Jahrgangs, sie glänzte in jedem Fach und war der Liebling fast aller Lehrer. Das allerdings war ihr unglücklicherweise zu Kopf gestiegen, und so hatte sie eine gewisse Neigung entwickelt, ihre Schulkameradinnen zu demütigen und herabzusetzen. Schon seit der ersten Klasse hatte sie es besonders auf Mildred abgesehen, die ihr als ausgemachter Pechvogel immer wieder eine breite Angriffsfläche bot.
Mildred nahm das Gepäck vom Besen und klemmte den Besenstiel in die Halterung, über der ihr Name stand. Sie freute sich immer wieder darüber, zu Beginn eines Schuljahres die Schilder mit ihrem Namen über Mantelhaken, Besenhalter {10}und an der Zimmertür auf sich warten zu sehen, als hielten alle es für die selbstverständlichste Sache der Welt, dass sie zurückkehrte. ›Mildred Hoppelt‹ stand da, als sei sie eine wichtige Persönlichkeit.
»Schöner Besen«, lobte Esther, »aber für dich ja wohl die reinste Verschwendung.«
»Lass mich in Ruhe, Esther.«
»Womit soll ich dich in Ruhe lassen?«, tat Esther unschuldsvoll. »Wirklich, Mildred, du bist empfindlicher als ein Mimöschen.«
{11}Mildred machte, dass sie aus dem Schuppen zurück in den Schulhof kam und blickte sich suchend nach ihren Freundinnen um.
»Maude! Bist du das wirklich?«, rief sie ungläubig, als sie das Mädchen erkannte, das strahlend auf sie zueilte. Ihre beste Freundin hatte plötzlich dicke Lockenzöpfe statt der üblichen glatten Rattenschwänze.
»Aber natürlich bin ich das«, lachte Maude. »Wie findest du meine neue Frisur? Meine Tante hat mir eine tolle Lockenbürste geschenkt. Wenn sie heiß ist, rollt man das Haar darin ein und … Abrakadabra … hat man plötzlich die schönsten Locken. Du kannst sie gerne mal ausprobieren, wenn du Lust hast.«
»Ja, gerne! Ich freue mich ja so, dich wiederzusehen. Das einzig Gute an dieser Schule ist, dass wir beide zusammen hier sind.«
»In den nächsten Jahren werde ich bestimmt nirgendwo anders hingehen«, lachte Maude. »Wir sitzen also im gleichen Boot – es sei denn, du stellst irgendeinen Blödsinn an und sie werfen dich raus.«
»Sag bloß so was nicht«, wehrte Mildred entsetzt ab. »In diesem Jahr werde ich die bravste Hexe der ganzen Welt sein. Du wirst schon sehen. Schau mal, da ist Edith, dort drüben, sie landet gerade an der Mauer. Ach, jetzt läutet es auch schon. {12}Komm, wir gehen. Ich bin wirklich gespannt, wen wir dieses Jahr als Klassenlehrerin bekommen. H.M. kann es ja wohl nicht schon wieder sein.«
Zur sichtlichen Freude der dritten Klasse wurde ihnen nicht H.M. zugeteilt, sondern eine neue Lehrerin namens Frau Granit.
»Herzlich willkommen!« Mit einem freundlichen Lächeln musterte Frau Graustein die Schar der ihr anvertrauten Mädchen, die sich ordnungsgemäß in Reih und Glied im Schulhof aufgestellt hatten. »Ich hoffe, ihr hattet erholsame Sommerferien und seid nun ausgeruht und voller Tatendrang hierher zurückgekehrt. Es wartet viel Arbeit auf uns, insbesondere natürlich auch auf unsere Erstklässler. Aber macht euch keine Sorgen, Mädchen, schon bald werdet auch ihr Loopings um die Türme drehen können.«
{14}Frau Harschmanns linke Augenbraue schoss wie eine Lanze in die Höhe, so sehr missbilligte sie Frau Grausteins offene Herzlichkeit. Die armen Erstklässler blickten plötzlich noch um einiges verängstigter, weil sie nicht mehr wussten, ob sie freundlich lächeln oder eine betroffene Miene aufsetzen sollten. Frau Graustein war zwar die Schulleiterin, aber irgendwie hatte Frau Harschmann es geschafft, sich an die Spitze der Lehrerschaft zu setzen und die Position einer inoffiziellen Vize-Direktorin einzunehmen, die offensichtlich mehr zu sagen hatte als Frau Graustein. Und so landeten die Mädchen immer in der gleichen Zwickmühle: Sollten sie auf Frau Grausteins herzliche Freundlichkeit oder auf Frau Harschmanns offene Missbilligung reagieren? Frau Graustein gab ihren Versuch, eine fröhliche Stimmung zu verbreiten, auf und übergab das Wort an Frau Harschmann.
»Und nun, liebe Mädchen«, erklärte sie geknickt, »wird Frau Harschmann euch die neue Lehrerin vorstellen und die {15}offiziellen Mitteilungen bekanntgeben. Anschließend könnt ihr eure Sachen auspacken gehen. Wir sehen uns dann später bei der Morgenversammlung.«
»Vielen Dank, Frau Graustein«, Frau Harschmann nickte kurz in Richtung der Schulleiterin, bevor sie sich wieder den langen Reihen der Mädchen zuwandte, die unter der sengenden Sonne ächzten. »Nun denn, Drittklässler, das hier ist eure neue Klassenlehrerin, Frau Granit. Edith Nachtschatten, setz sofort deinen Hut wieder auf, so heiß ist es nun auch wieder nicht. Meine Güte, die Kinder heutzutage sind ja so verweichlicht, einfach saft- und kraftlos. Ständig jammern sie herum, mal ist es zu heiß, dann wieder ist es zu kalt.«
Frau Granit hüstelte leise.
»Ach ja. Mädchen! Sagt Frau Granit bitte höflich guten Morgen.«
»Guten Morgen, Frau Granit«, grüßten die Mädchen und versuchten, dabei besonders höflich zu klingen.
Während Frau Harschmann mit den Mitteilungen fortfuhr, starrten die Mädchen der dritten Klasse verblüfft die neue Klassenlehrerin an, die einen höchst seltsamen Anblick bot. Nicht nur, dass jedem diese ungezähmte, orangerote! Lockenmähne sofort ins Auge stach – eine in der Akademie beinahe schon anstößig wirkende Farbe –, nein, fast alles an Frau Granit erweckte bei den Mädchen, die sich mit schwarzen Umhängen, {17}schwarzen Wollsocken und schwarzen Nagelschuhen bescheiden mussten, diesen Eindruck von Ungebührlichkeit. Frau Granit trug eine riesengroße Brille mit rosafarbenen Gläsern und einen kurzen Umhang mit einem hohen Kragen, den sie so aufgestellt hatte, dass das Gesicht kaum zu erkennen war.
»Sieht aus, als hätte sie deine neue Lockenbürste ausprobiert«, flüsterte Mildred Maude zu, die daraufhin kichern musste.
»Mildred Hoppelt! Wenn du einen guten Witz auf Lager hast, dann lass uns alle daran teilhaben«, bellte Frau Harschmann. »Am ersten Tag des langen Winterhalbjahres können die hier Versammelten bestimmt eine kleine Aufmunterung gebrauchen.«
»Entschuldigung, tut mir leid, Frau Harschmann«, murmelte Mildred und lief knallrot an, als sich die Reihen der Mädchen und die Lehrer zu ihr umdrehten.
»Nun, Mildred? Wir warten!«
»Vergessen!«, versuchte Mildred sich herauszuwinden. »Und überhaupt, es war kein guter Witz. Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern.«
»Das ist Mildred Hoppelt«, nutzte Frau Harschmann die Gelegenheit, Frau Granit auf Mildred aufmerksam zu machen. »Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn sie bereits am ersten Tag des neuen Schuljahres so vergesslich ist; dabei hat der Unterricht noch nicht einmal begonnen! Aber das ist, wenn ich mir {18}diese Bemerkung kurz erlauben darf, typisch für Mildred. Ich kann Ihnen nur raten, diese Schülerin im Auge zu behalten.«
Zum ersten Mal an diesem Morgen ergriff nun Frau Granit das Wort und kiekste in einer so unglaublich hohen Stimmlage, dass es den Mädchen schwerfiel, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Selbst Esther blieb vor schierer Fassungslosigkeit der Mund offen stehen.
»Das werde ich, Frau Harschmann, das werde ich«, quietschte Frau Granit.
Mildred warf Edith einen kurzen Blick zu, und schon drohte die beiden Mädchen ein Lachanfall zu übermannen. Maude {19}funkelte Mildred streng an, weil ihre Freundin vor lauter Anstrengung, das Kichern zu unterdrücken, das Gesicht zu seltsamen Grimassen verzog.
»Hör sofort auf damit, Mil«, flüsterte sie. »Verdirb es dir nicht gleich wieder mit der Neuen! Das ist eine einmalige Gelegenheit, noch mal ganz von vorn anzufangen.«
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