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In diesem Roman mit autobiographischen Zügen schildert der technikbegeisterte Jules Verne die Überfahrt auf der von Isambard Kingdom Brunel gebauten Great Eastern in die Vereinigten Staaten, die er so tatsächlich im Frühjahr 1867 mit seinem Bruder Paul Verne als Passagier angetreten hat. Da auf der Überfahrt nichts Aufregendes passierte, schmückte Verne seine Erlebnisse aus. Die Great Eastern hatte eine Länge von 211 Metern und überforderte durch ihre bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht dagewesene Größe die Erbauer und den Betreiber. Verne schildert auch eine Reihe von weniger schwerwiegenden Zwischenfällen, die er nur aus Erzählungen kannte. Trotzdem zeigt Verne in dem Roman seine Begeisterung für das Schiff. Er sieht in ihm einen Triumph des menschlichen Geistes. Seine einer Reportage ähnliche Schilderung hat Verne durch eine kleine, dramatische Liebesgeschichte ergänzt. Jules Verne (1828-1905) war ein französischer Schriftsteller.
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Seitenzahl: 217
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Das Verdeck konnte man gegenwärtig einer ungeheuren Werft vergleichen, auf der ein ganzes Heer von Arbeitern beschäftigt war; nichts erinnerte daran, daß man sich an Bord eines Schiffes befand. Mehrere tausend Mann, darunter Handwerker, Schiffsmannschaft, Maschinenbauer, Officiere, Arbeiter und Neugierige gingen so dicht an einander vorüber, daß sie sich mit den Ellenbogen berühren konnten. Die Einen machten sich auf dem Verdeck, die Anderen an den Maschinen zu thun; diese liefen an den Deckzimmern entlang, jene saßen hie und da im Mastwerk verstreut, Alle in einem unbeschreiblichen, wirren Durcheinander. Hier hoben Dampfkrähne große Stücke Gußeisen empor, dort wurden schwere Eisenbohlen mittelst großer Winden in die Höhe gezogen; über dem Maschinenraum schwebte ein eiserner Cylinder wie ein riesiger Stamm von Metall. Vorn stiegen die Segelstangen ächzend längs der Marsmasten empor; hinten erhob sich ein Gerüst, das zweifellos ein in der Errichtung begriffenes Gebäude verbarg. Man baute, takelte, malte, richtete und zimmerte inmitten einer unbeschreiblichen Verwirrung.
Mein Gepäck war mit an Bord geschafft worden, und ich fragte jetzt nach Kapitän Anderson. Der Commandant war indessen noch nicht angekommen; einer der Stewards übernahm es, für meine häusliche Einrichtung zu sorgen, und ließ meine Effecten nach einer der hinteren Cajüten bringen.
»Guter Freund, redete ich ihn an, die Abreise des Great-Eastern war auf den 20. März festgesetzt, aber selbstverständlich können all diese Vorbereitungen nicht in vierundzwanzig Stunden beendet sein. Wissen Sie mir vielleicht zu sagen, wann wir Liverpool verlassen werden?«
Ueber diesen Punkt wußte mir jedoch der Steward keine Auskunft zu geben, und so verließ er mich. Ich beschloß nun, alle Löcher dieses kolossalen Ameisenhaufens zu durchstöbern, und begann meinen Spaziergang, wie ein Tourist die Rundreise in einer ihm noch unbekannten Stadt antritt. Ueberall auf dem Verdeck sah man den eigenthümlichen schwarzen Schmutz, den man in allen britischen Städten findet; übelriechende Bäche schlängelten sich hier und da entlang, und man hätte fast glauben können, daß man sich auf einer der schlechtesten Passagen in der Upper-Thames-Street an den Zugängen der Londoner Brücke befände. – Ich ging weiter und streifte an den Deckzimmern hin, die sich auf dem Hintertheil des Schiffes erstreckten. Zwischen ihnen und den Schanzverkleidungen zeigten sich auf beiden Seiten zwei breite Promenadenwege, auf denen eine zahlreiche Menschenmenge hin-und herging. Endlich gelangte ich zum Mittelpunkt des Fahrzeuges und zu den durch ein System von schmalen Brücken vereinigten Radkasten.
Hier öffnete sich der Schlund, welcher die Organe der Rädermaschine umschloß, und das bewunderungswürdige Locomotionswerk lag vor meinen staunenden Blicken. Einige fünfzig Handwerker waren über die Oeffnungen des gußeisernen Rahmengestelles vertheilt; diese klammerten sich an die langen, unter verschiedenen Winkeln geneigten Zugstangen, jene hingen an den Pleuelstangen, andere richteten die Excenter, und wieder andere zogen mit ungeheuren Schlüsseln die Muttern der Zapfen an. Der Stamm von Metall, welcher langsam durch die Verdeckluke nach unten ging, war eine neue liegende Welle, die dazu bestimmt war, den Rädern die Bewegung der Kurbelwelle mitzutheilen. Aus diesem Abgrunde drang ein scharfes, disharmonisches Geräusch empor.
Nachdem ich auf diese Regulirungsarbeiten einen schnellen Blick geworfen hatte, nahm ich meinen Spaziergang wieder auf und gelangte bald auf das Vordertheil des Schiffes. Hier waren Tapezierer damit beschäftigt, ein ziemlich großes, mit dem Namen »Smoking-room« bezeichnetes Deckzimmer zu decoriren; es sollte dies die eigentliche Tabagie dieser schwimmenden Stadt werden, ein prächtiges, durch vierzehn Fenster erhelltes Kaffee, mit einem in Weiß und Gold prangenden Plafond und citronenfarbenen Feldern getäfelt. Nachdem ich sodann einen kleinen, dreieckigen Platz überschritten hatte, der den anderen Theil des Verdecks bildete, erreichte ich den Vordersteven, der sich nach der Oberfläche des Wassers neigte.
Von diesem äußersten Punkte des Verdecks aus sah ich, als ich mich umwandte, durch einen nebelfreien Strich der Atmosphäre das Hintertheil des Great-Eastern in einer Entfernung von über zwei Hektometern liegen. Das kolossale Bauwerk verdient wohl, daß man, ihm zu Ehren und um seine Dimensionen abzuschätzen, derartige Maaße anwendet.
Ich machte mich nun auf den Rückweg, indem ich dem Steuerbordgeländer folgte, zwischen den Sälen und den Schanzbekleidungen hinging und achtsam hier einen Flaschenzug, der in der Luft schwebte, dort den Peitschenhieb eines Arbeiters vermied, jetzt den Stößen eines Krahns auswich und mich dann wieder den Funken entzog, die wie ein feuriger Sprühregen von einer Schmiede entsendet wurden. Kaum konnte ich den Gipfel des zweihundert Fuß hohen Mastes aus all dem Nebel und dem dunkeln Rauch herauserkennen, mit welchem die dienstthuenden Dampfer die Luft verdichteten. Nachdem ich an dem großen Shine-Light (Oberlicht, nach dem Verdeck zu) der Rädermaschine vorbeigegangen war, bemerkte ich zu meiner Linken ein kleines Hotel, dann die lange Seitenfaçade eines Palastes mit einer vorspringenden Terrasse, deren Geländer soeben polirt wurden. Endlich erreichte ich das Hintertheil des Dampfschiffes und kam an dem von mir bereits erwähnten Gerüst an. Dort waren Maschinenbauer damit beschäftigt, zwischen dem letzten Deckzimmer und dem mächtigen Gräting, über welchem sich die vier Räder des Steuerruders erhoben, eine Dampfmaschine einzurichten. Dieselbe bestand aus zwei horizontalen Cylindern und bildete ein System von Triebrädern, Balanciers und Druckfedern, das mir außerordentlich complicirt vorkam. Ich begriff zunächst nicht, wozu die Maschinerie bestimmt war, aber auch hier schien es mir, als seien die Vorbereitungen noch sehr fern von ihrer Vollendung.
»Warum, fragte ich mich, all diese Verzögerungen? Warum all diese neuen Einrichtungen an Bord des Great-Eastern, eines verhältnißmäßig noch neuen Schiffes?« Als Antwort auf diese Frage sei es uns gestattet, hier einige Worte einzuschalten.
Nach etwa zwanzig Fahrten zwischen England und Amerika, deren eine sich durch schwere Unfälle auszeichnete, hatte man die Verwendung des Great-Eastern vorläufig aufgegeben. Das kolossale Transportschiff war somit außer Curs gesetzt und fand sich von den Seereisenden verschmäht und zur Ruhe verdammt. Als dann die Versuche, das transatlantische Kabel zu legen, gescheitert waren, ein Mißerfolg, der größentheils an der Unzulänglichkeit der dazu benutzten Schiffe lag, dachten die Ingenieure zuerst wieder an den Great-Eastern. Er allein hatte die erforderlichen Dimensionen, um die 3400 Kilometer Metalldraht im Gewicht von 4500 Tonnen zu lagern, und nur er konnte, Dank seiner Indifferenz gegen die Gefahren des Meeres, diesen enormen Greling abrollen und versenken. Um das Kabel im Schiffsraume zu stauen, bedurfte man jedoch besonderer Vorrichtungen, und so ließ man zwei der vorhandenen sechs Dampfkessel und einen der drei Schornsteine springen. An ihrer Stelle entstanden ungeheure Recipienten, um das Kabel aufzunehmen, welches seinerseits durch eine Wasserfläche vor den Luftveränderungen geschützt wurde. Der Draht konnte auf diese Weise in’s Meer gehen, ohne der Berührung atmosphärischer Luft ausgesetzt zu sein.
Der Plan gelang, und die Legung des Kabels ging mit Erfolg von Statten; nach diesem Resultat jedoch schien man die Thätigkeit des Great-Eastern abermals als beendet anzusehen, und er wurde von Neuem in seine kostspielige Dienstunthätigkeit versetzt. Sodann zog die Weltausstellung von 1867 am Horizont der epochemachenden Ereignisse herauf, und es bildete sich eine Gesellschaft mit beschränkter Verantwortlichkeit, »Société des Affréteurs du Great-Eastern«1 genannt, die mit einem Capital von zwei Millionen Franken das Riesenschiff zum Transport der überseeischen Besucher verwenden wollte. Aus diesem Grunde wurde es nothwendig, den Dampfer großen Veränderungen zu unterwerfen, die Recipienten auszufüllen, die Kessel wieder herzustellen, die Salons, die mehreren Tausend Personen zur Wohnung dienen sollten, zu vergrößern, und die Deckzimmer, welche zu Dependancen des Speisesaales bestimmt waren, zu bauen; außerdem mußten mit möglichstem Comfort 3000 Betten placirt werden, und hierzu sollten die Seitentheile des riesenmäßigen Schiffsrumpfes dienen.
Der Great-Eastern wurde zum Preise von 25,000 Franken pro Monat gemiethet, und in Folge dessen zwei Contracte mit G. Forrester u. Comp. in Liverpool abgeschlossen. Der erste auf den Betrag von 538,750 Franken lautend zur Einrichtung neuer Kessel für die Schraube; der zweite auf die Summe von 662,500 Franken für allgemeine Reparaturen und sonstige Einrichtungen auf dem Schiffe.
Der Board of Trade verlangte, daß, ehe diese letzteren Arbeiten unternommen würden, das Schiff auf den Helgen gebracht würde, damit sein Rumpf genau untersucht werden könnte. Nachdem diese sehr theure Operation vorgenommen war, wurde ein langer Riß des äußeren Bordes mit großen Kosten sehr sorgfältig reparirt, und dann schritt man zur Einfügung der neuen Kessel; auch mußten die Triebradwellen, welche sich während der letzten Reise verbogen hatten, gerichtet werden. Diese Welle, in der Mitte doppelt gekröpft, um die Lenkstangen der Pumpen aufzunehmen, wurde durch eine mit zwei Excentern versehene Achse ersetzt, wodurch die Solidität dieses wichtigen Theiles, auf welchem die ganze Kraft ruht, als gesichert anzusehen war. Endlich sollte, und zwar zum ersten Mal, das Steuer durch den Dampf bewegt werden.
Diese heikle Aufgabe hatte die vorher erwähnte Maschine zu lösen, welche die Maschinenbauer am hinteren Ende des Schiffes einrichteten. Der Untersteuermann, auf dem Steg des Centrums zwischen den Signalapparaten für die Maschinen der Räder und der Schraube stehend, hatte vor seinem Auge einen mit beweglicher Nadel versehenen Quadranten, der ihm in jedem Augenblick die Stellung des Ruderbaumes angab. Um ihn zu modificiren, brauchte er nur ein kleines Rad von kaum einem Fuß im Durchmesser, das im Bereich seiner Hand vertical aufgerichtet war, zu bewegen. Sofort öffneten sich Ventile; der Dampf schoß aus den Kesseln durch lange Leitröhren in die beiden Cylinder der kleinen Maschine, die Kolben bewegten sich mit großer Schnelligkeit, die Übertragungen spielten, und das Steuer gehorchte augenblicklich den unwiderstehlich fortgezogenen Steuerreepen. Bewährte sich dieses System, so konnte man mit dem Druck eines Fingers die kolossale Masse des Great-Eastern regieren.
Fünf Tage lang wurden die Arbeiten mit rastloser Thätigkeit fortgesetzt, und obgleich diese Verzögerung den Unternehmern keinen geringen Schaden brachte, konnten diese doch nichts thun, um die Instandsetzung des Great-Eastern noch mehr zu beeilen. Die Abreise wurde auf den 26. März festgesetzt, und am 25. März war das Verdeck des Schiffes noch von dem gesammten Herstellungsgeräth eingenommen.
Endlich wurden während dieses letzten Tages die Laufbretter, die Stege, die verschiedenen Deckzimmer allmälig freier; die Krähne verschwanden; die Aufstellung der Maschinen wurde als beendet erklärt; die letzten Bolzen saßen fest, und alle Schrauben thaten ihre Schuldigkeit. Die glatten Stücke waren mit einem Anstrich von Bleiweiß und Talg bedeckt, der sie unterwegs vor dem Oxydiren durch das Seewasser schützen sollte; die Oelbehälter hatten ihre Füllung erhalten; die letzte Platte ruhte auf ihrem metallenen Lager, und endlich machte sich der Oberingenieur an die Probe mit der Maschine. Eine ungeheure Dampfmenge fluthete in den Maschinenraum und hüllte mich, der ich über das Shine-Light gebeugt stand, so vollständig ein, daß ich Nichts ringsumher mit meinen Augen erkennen konnte; aber ich hörte die langen Kolbenstangen durch ihre Stopfbüchsen hindurchächzen und die dicken Cylinder geräuschvoll auf ihren soliden Zapfen oscilliren. Ein lebhaftes Plätschern entstand unter den Radkasten, als die Schaufeln langsam das dunkle Wasser der Mersey schlugen; am hinteren Ende des Schiffes peitschte die Schraube mit ihrem vierfachen Flügel die Fluth, und beide Maschinen, gänzlich von einander unabhängig, waren bereit, ihre Function zu beginnen.
Gegen fünf Uhr Abends legte eine Dampfschaluppe an, die gleichfalls für den Dienst des Great-Eastern bestimmt war. Ihre Dampfmaschine wurde gelöst und vermittelst der Gangspillen auf das Verdeck gehißt; die Aufnahme der Schaluppe selbst aber bot unübersteigliche Hindernisse dar. Ihr Eisenrumpf hatte ein so enormes Gewicht, daß die Stangen, auf welche man die Taljen geschlagen hatte, sich unter der Last bogen, was indessen jedenfalls zu vermeiden gewesen wäre, wenn man sie mit Schwingseilen unterstützt hätte. Genug, man mußte es aufgeben, die Schaluppe mitzuführen, doch blieben dem Great-Eastern noch sechzehn Boote, die bequem vermittelst Krahnes aufgehißt waren.
An diesem Abend wurden so ziemlich alle Vorkehrungen beendet; die Promenadenwege glänzten in Sauberkeit und Schöne, als das Heer der Straßenfeger darüber hingegangen war; und in den Kombüsen, dem Schiffsraume und den Kammern lagerten Waaren und Lebensmittel. Noch war jedoch der Dampfer nicht bis zu seiner Wasserlinie eingesunken, denn er ging bis jetzt nicht die ihm bestimmten neun Meter tief. Es stellte sich hierdurch ein großer Uebelstand für seine Räder heraus, deren ungenügend eingesenkte Schaufeln natürlich nur eine geringere Geschwindigkeit äußern konnten. Trotzdem war unter diesen Bedingungen ein Aufbruch möglich, und ich durfte mich mit der Hoffnung niederlegen, daß wir anderen Tages in See gehen würden. Am folgenden Morgen, bei Sonnenaufgang, sah ich die amerikanische Flagge an dem Fockmast, die französische am Hauptmast, und die englische Flagge an der Besanstange wehen.
1 Gesellschaft der Rheder des Great-Eastern.
Der Great-Eastern schickte sich zur Abfahrt an; der Rauch begann spiralförmig seinen fünf Schornsteinen zu entströmen, ein heißer Brodem durchzog die tiefen Räume, welche unmittelbar zu den Maschinen führten; einige Matrosen putzten an den vier mächtigen Kanonen, mit denen wir Liverpool im Vorbeifahren salutiren sollten, und die Matrosen gingen auf den Raaen einher und machten Tauwerk frei. Man zog die Wanten straff auf ihren dichten, an das Innere der Verschanzungen angehakten Jungfern, und gegen elf Uhr schlugen endlich die Tapezierer den letzten Nagel ein, und die Maler waren mit dem Anstrich fertig. Dann begaben sich die Handwerker auf das Lichterschiff, um auf ihm wieder zur Stadt zurückzukehren.
Sobald genügender Druck vorhanden, wurde der Dampf in die Cylinder der das Steuerruder bewegenden Maschine gelassen, und die Maschinenbauer constatirten, daß der sinnreiche Apparat regelmäßig arbeite.
Das Wetter war ziemlich gut; die Sonne brach hie und da in mächtigen Streiflichtern durch die Wolken. Auf dem Meere mußte heute eine kräftige Brise wehen; ein Umstand, der den Great-Eastern glücklicherweise nur wenig zu kümmern brauchte.
Alle Officiere waren an Bord und auf die verschiedenen Punkte des Schiffes vertheilt, um das Lichten der Anker vorzubereiten. Das Officiercorps bestand aus einem Kapitän, dem Obersteuermann, zwei Untersteuermännern, aus fünf Lieutenants, von denen einer, M. H…, ein Franzose war, und einem Freiwilligen, gleichfalls Franzosen.
Kapitän Anderson genießt als Seemann im englischen Handelsverkehr einen großen Ruf; ihm hat man auch die Legung des transatlantischen Kabels zu verdanken, wenn man hiebei auch in Erwägung ziehen muß, daß er unter bei Weitem günstigeren Verhältnissen, als seine Vorgänger, das Unternehmen antrat, da ihm der Great-Eastern zur Verfügung stand. Wie dem jedoch sein möge, sein Erfolg in dieser Operation hat ihm den Titel »Sir« eingebracht, der ihm nach seiner Rückkehr von Ihrer Majestät der Königin verliehen wurde.
Ich fand in Kapitän Anderson einen sehr liebenswürdigen Befehlshaber. Es war ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem Haarwuchs von fahlblonder Farbe, die den Vorzug hat, ihre Nüance bis in’s hohe Alter nicht zu verändern; seine Gestalt war hoch und kräftig, sein Gesicht breit, ruhig und lächelnd von durchaus englischem Schnitt; er pflegte ruhig und gleichmäßig, mit blinzelndem Auge einherzuschreiten und mit sanft gedämpfter Stimme seine Befehle zu ertheilen. Immer elegant in einen mit dreifachen, goldenen Tressen besetzten Ueberrock gekleidet, machte er sich nie des Vergehens schuldig, mit den übrigens jederzeit fein behandschuhten Händen in den Taschen umherzuschlendern.
Als besonderes Kennzeichen mag noch erwähnt werden, daß stets ein Zipfelchen seines weißen Taschentuches aus dem blauen Rocke hervorlugte.
Zu Kapitän Anderson bildete der Obersteuermann einen eigenthümlichen Contrast. Man denke sich ein kleines, lebhaftes Männchen mit auffallend gebräunter Hautfarbe, etwas gerötheten Augen, schwarzem Vollbart und bedenklich einwärts gekrümmten Beinen, die allen Ueberraschungen des Rollens Trotz boten. Ein thätiger, in allen Einzelheiten wohl bewanderter Seemann, gab er rasch mit abgebrochener Stimme seine Befehle, die der Bootsmann dann mit dem heiseren Löwengebrüll wiederholte, das der englischen Marine erb-und eigentümlich ist. Ich hielt diesen Obersteuermann Namens W….. für einen Marine-Officier, der sich besonderer Erlaubniß zufolge an Bord des Great-Eastern befand; er war durch und durch, was man »einen alten Seebären« nennt, und stammte jedenfalls aus der Schule jenes heldenmütigen, französischen Admirals, der seinen Leuten beim Kampfe zurief: »Jungens, aufgepaßt! Ihr wißt, daß ich mein Schiff in die Luft zu sprengen pflege!«
Von diesem Officiercorps abgesehen, standen die Maschinen unter dem Commando des Oberingenieurs, der von acht bis zehn Maschineningenieuren unterstützt wurde. Unter seinem Befehle manoeuvrirte ein Bataillon von zweihundertundfünfzig Mann, unter ihnen Assistenten, Oberheizer, Heizer und Kohlenzieher, die die Tiefen und Abgründe des Schiffes fast nie verließen.
Dieses Bataillon hatte die Aufgabe, die Feuer der zehn Kessel – ein jeder hatte zehn Feuerungen – also im Ganzen hundert Feuer zu beaufsichtigen und zu unterhalten.
Die eigentliche sogenannte Bemannung des Schiffes, wie Proviantmeister, Zahlmeister, Untersteuermänner, Bootsmänner, Matrosen, Schiffsjungen u.+s.+w., umfaßte etwa hundert Mann, natürlich exclusive der zweihundert Stewards, die zur Bedienung der Passagiere engagirt waren.
Jeder befand sich jetzt auf seinem Posten; der Lootse, welcher den Great-Eastern aus dem Fahrwasser der Mersey herausbringen sollte, war bereits seit dem vorigen Abende an Bord. Außer ihm bemerkte ich noch einen französischen Lootsen von der Insel Molène bei Ouessant, der mit uns von Liverpool nach New-York fahren und bei der Rückkehr das Dampfschiff in die Rhede von Brest einlootsen sollte.
»Ich beginne nach und nach daran zu glauben, daß wir heute noch abfahren werden, bemerkte ich gegen den Lieutenant H. …
– Wir warten nur noch auf unsere Passagiere antwortete dieser.
– Ist ihre Zahl bedeutend?
– Zwölf bis dreizehnhundert, immerhin die Bevölkerung eines großen Marktfleckens.«
Um halb zwölf Uhr signalisirte man das Lichterschiff, welches, über und über mit Passagieren beladen, herankam. In den Cajüten eingepfercht, auf den Stegen lehnend, auf Bergen von Collis thronend, auf dem Radkasten ausgestreckt, kamen sie näher und boten unseren Blicken ein buntes Bild wirren Durcheinanders. Es befanden sich, wie ich später erfuhr, unter ihnen Californier, Canadier, Yankees, Peruaner, Südamerikaner, Engländer, Deutsche und zwei oder drei Franzosen. Unter ihnen zeichneten sich aus der berühmte Cyrus Field aus New-York, der sehr ehrenwerthe John Rose aus Canada, der sehr ehrenwerthe Mac Alpine aus New-York, Herr und Frau Alfred Cohen aus San-Francisco, Herr und Frau Whitney aus Mont-Réal und der Kapitän Mac Ph… nebst Gemahlin. Unter den Franzosen befand sich der Gründer derSociété des Affrétteurs du Great-Eastern, Herr Jules D. als Vertreter derTelegraph construction and maintenance Company, die zu dem Geschäft eine Beisteuer von 20,000 Pfund geliefert hatte.
Das Lichterschiff legte am Fuß der Steuerbordtreppe an, und nun begann der Act des Umsteigens von dem Lichterschiff auf den Great-Eastern, der sich jedoch so ruhig und ohne alle Hast vollzog, wie dies der Fall ist bei Leuten, die einen kleinen Umzug in ihrem eigenen Hause vornehmen. Franzosen hätten unter diesen Umständen jedenfalls geglaubt, sie müßten die Treppe wie im Sturm nehmen und sich hiebei wie richtige Zuaven geberden.
Sobald ein Passagier den Fuß auf Deck des Great-Eastern gesetzt hatte, war seine erste Sorge, in die Speisesäle hinabzusteigen und hier einen Platz zu belegen, indem er ihn mit seiner Karte oder sonst einem Stückchen Papier mit darauf gekritzeltem Namen bezeichnete. Da gerade jetzt ein Gabelfrühstück aufgetragen wurde, hatten sich in wenigen Augenblicken die Reisenden um die Tische niedergelassen und lieferten den Beweis, daß Angelsachsen es aus dem Grunde verstehen, die Langeweile einer Seefahrt mit guter Klinge zu bekämpfen.