Eine schwimmende Stadt - Jules Verne - E-Book

Eine schwimmende Stadt E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Jules Vernes Reisbericht mit dem Luxus-Ozeandampfer 'Great Eastern' nach Amerika ist nicht nur humorvoll geschrieben, sondern enthält auch einige Abenteuer der Reisenden, die man so nicht erwartet hätte. Im zweiten Teil findet sich die Erzählung 'Die Blockade-Brecher' aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Ein englischer Kapitän macht sich auf, um Waffen an die Konföderierten zu liefern und dafür Baumwolle zu erhalten. Aber eine junge Frau bringt alles durcheinander und nun geht es auch noch um eine Gefangenen-befreiung...

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Seitenzahl: 316

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jules Verne

Eine schwimmende Stadt

Die Blockadebrecher

Jules Verne

Eine schwimmende Stadt

Die Blockadebrecher

Edition Corsar D. u. Th. Ostwald

Braunschweig

Texte: © 2025 Copyright by Thomas Ostwald nach der Ausgabe des Hartleben-Verlages 1875 und der von mir betreuten Taschenbuchausgabe im Pawlak-Verlag 1984 durchgesehen und korrigiert

Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by

Thomas Ostwald

Edition Corsar

Dagmar u. Thomas Ostwald

Am Uhlenbusch 17

38108 Braunschweig

[email protected]

Erstes Kapitel. Der Great-Eastern

Am 18. März des Jahres 1867 kam ich in Liverpool an, um mich dort auf dem Great-Eastern, der in einigen Tagen nach New-York abfahren sollte, als Passagier einzuschiffen. Ich wollte auf diesem riesenhaften Dampfer, zu keinem andern Zweck als meinem speziellen Vergnügen, eine Tour über den Atlantischen Ocean machen. Nebenbei hatte ich dann auch die Absicht, dem nördlichen Amerika, diesem von Cooper so sehr gefeierten Lande, einen Besuch abzustatten; aber das war, wie gesagt, nicht der eigentliche Zweck meiner Reise; in erster Linie gedachte ich dem größten Meisterwerk der Schiffsbaukunst, dem Great-Eastern, mein Interesse zuzuwenden. Man kann diesen Dampfer kaum noch ein Schiff nennen; es ist wohl mehr eine schwimmende Stadt, ein Stück Grafschaft, das sich von englischem Grund und Boden loslöst, um nach einer Fahrt über das Meer mit dem amerikanischen Festlande zusammenzuwachsen. Ich stellte mir vor, wie diese ungeheure Masse auf den Fluten einher Gleiten müßte, wie sie mit den ihr gegenüber machtlosen Winden ringen würde; wie kühn durfte solch ein Schiff die Wogen an sich abprallen lassen, wie indifferent bleiben inmitten des Elementes, das einen Warrior und einen Solferino wie Schaluppen auf- und niederschwanken ließ. Auf all diese Eindrücke hatte mich meine Einbildungskraft vorbereitet, und all dies und noch vieles Andere, was nicht mehr in das seemännische Fach gehört, sah ich während meiner Fahrt. Wenn der Great-Eastern nicht nur eine nautische Maschine ist, wenn er einen Mikrokosmos darstellt, der eine Welt in sich trägt, so wird es den Beobachter nicht überraschen, dort, wie auf einem großen Theater, allen Neigungen, Leidenschaften und Lächerlichkeiten dieser Welt zu begegnen.

Als ich den Bahnhof verließ, begab ich mich in das Hotel Adelphi, denn die Abreise des Great-Eastern war erst auf den 20. März festgesetzt. Um jedoch die letzten Vorbereitungen zu derselben genauer verfolgen zu können, suchte ich bei dem Oberbefehlshaber des Dampfschiffes, Kapitän Anderson, um die Erlaubnis nach, mich sogleich an Bord begeben zu dürfen, und erhielt hierzu seine bereitwillige Genehmigung.

So stieg ich am folgenden Morgen zu den Bassins herab, die auf den Ufern der Mersey einen doppelten Saum von Docks bilden, und die Drehbrücken gestatteten mir, den Kai New-Prince zu erreichen. Es ist dies eine Art bewegliches Floß, welches dem Fallen und Steigen der Flut folgt, und das für die zahlreichen Boote aus Birkenhead, einer am linken Ufer der Mersey gelegenen Vorstadt von Liverpool, zum Einschiffungsorte dient.

Die Mersey ist gleich der Themse ein unbedeutendes Wasser, das, obgleich es sich ins Meer ergießt, kaum den Namen eines Flusses verdient. Eigentlich ist sie nichts anderes, als eine mit Wasser angefüllte Senkung des Bodens, ein ungeheures Loch, das sich durch seine Tiefe dazu eignet, Schiffe vom stärksten Tonnengehalt aufzunehmen, und so auch den Great-Eastern, dem die meisten übrigen Häfen streng untersagt sind. Dank dieser natürlichen Beschaffenheit, sahen Bäche wie die Themse und die Mersey nahe an ihrer Mündung unermessliche Handelsstädte, London und Liverpool, emporblühen, und ebenso, oder doch aus ähnlichen Rücksichten entstand Glasgow am Clyde-Fluss.

An der Werft von New-Prince wurde ein Lichterschiff, ein für den Dienst des Great-Eastern bestimmtes kleines Dampfschiff, geheizt. Ich begab mich auf das Verdeck, wo sich bereits viele Handwerker und sonstige Arbeiter befanden, die an Bord des Dampfers gehen sollten, und richtete mich dort ein. Als vom Victoriaturm die siebente Morgenstunde erklang, löste das Lichterschiff seine Anker und folgte eilig der steigenden Flut der Mersey.

Kaum hatte es sich in Bewegung gesetzt, als ich auf der Werft einen hochgewachsenen, jungen Mann mit jener eigentümlich aristokratischen Physiognomie bemerkte, wie sie englischen Offizieren eigen zu sein pflegt. Ich glaubte in ihm einen mir befreundeten Hauptmann im indischen Heere, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, zu erkennen, doch kam ich bald zu der Überzeugung, dass ich mich hierin täuschte, denn Hauptmann Mac Elwin konnte Bombay nicht ohne mein Wissen verlassen haben. Außerdem war mein Freund ein heiterer, sorgloser Mensch, ein munterer Kamerad gewesen, und dieser junge Mann schien von der trübsten Stimmung beherrscht, ja, gleichsam von einem geheimen Schmerze niedergedrückt. Obgleich er äußerlich Mac Elwin sonst sehr ähnlich zu sehen schien, hatte ich jetzt doch nicht Muße, ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken, denn das Lichterschiff entfernte sich mit großer Schnelligkeit, und bald hatte sich der durch diese Ähnlichkeit hervorgerufene Eindruck in meinem Geiste verwischt.

Der Great-Eastern lag etwa drei Meilen stromaufwärts, nahe den ersten Häusern Liverpools vor Anker. Von dem Kai New-Prince hatte man ihn nicht bemerken können, und jetzt, bei einer Wendung des Flusses, zeigte sich plötzlich die imponierende Masse meinen Blicken. Zuerst präsentierte sich der Riesendampfer mit seinem Vorderteil, das der Flut zugekehrt war, und erschien mir wie eine halb im Nebel verschwimmende Insel; aber bald machte der Fluss abermals eine Wendung, und wir bekamen das Gebäude von seiner ganzen Längenseite in Sicht. Es machte einen ungeheuren Eindruck! Drei oder vier Kohlenschiffe von gewöhnlicher Größe, die an seiner Seite angelegt hatten und ihm ihre Ladung durch über der Wasserlinie geöffnete Stückpforten einschütteten, sahen neben dem Great-Eastern wie winzige Barken aus. Ihre Schornsteine reichten nicht einmal bis zu der ersten Reihe seiner im Rumpf befindlichen Luken; ihre Bramstengen gingen nicht über seine Schanzbekleidung hinaus. Der Riese hätte sie mit seinem ungeheuren Krahn als Dampfschaluppen aufhissen können.

Inzwischen näherte sich unser Lichterschiff; es fuhr unter den rechten Vordersteven des Great-Eastern, dessen Ketten sich gewaltsam unter dem Drängen der Flut spannten; dann wendete er leewärts und hielt unter der mächtigen Treppe, welche sich auf beiden Seiten emporschlängelte. In dieser Stellung streifte das Verdeck unseres Schiffes eben nur die Wasserlinie, welche der Riesendampfer bei vollständiger Ladung erreichen sollte, und die jetzt noch mehr als zwei Meter über dem Wasserspiegel emporragte.

Indessen stiegen die Handwerker eiligst aus und erklommen die zahlreichen Stufen, die in verschiedenen Absätzen bis zu der Erhöhung am Hinterdeck hinaufführten. Ich selber schaute mir noch immer mit zurückgebogenem Haupt und Oberkörper die Räder des Great-Eastern an, wie etwa ein Tourist irgend ein hohes Gebäude betrachtet hätte.

Von der Seite gesehen, schienen diese Räder dünn und schlank, obgleich die Länge ihrer Schaufeln vier Meter betrug; von vorn gewährten sie indessen einen förmlich monumentalen Anblick. Ihr zierlicher Beschlag, die Einrichtung der soliden Radnabe als Stützpunkt des ganzen Systems, die sich durchkreuzenden Streben, welche dazu bestimmt waren, den Abstand der dreifachen Felge zu erhalten, diese Krone roter Strahlen, dieser halb im Schatten der großen Radkasten verlorene Mechanismus – das ganze Ensemble wirkte auf den Geist mächtig ein und rief den Gedanken wach, als arbeite hier eine wilde, geheimnisvolle Macht.

Mit welcher Energie mussten Schaufeln, die in dieser Weise solide mit Bolzen befestigt waren, das Wasser peitschen, das in diesem Augenblick noch seine Wogen an ihnen brach! Welch' ein Brodeln und Sieden musste entstehen, wenn diese mächtige Maschine Schlag auf Schlag den flüssigen Wasserteppich durchfurchte! Was für ein Donner würde in der Höhle der Radkasten erdröhnen, wenn der Great-Eastern sich mit voller Dampfkraft unter den Drehungen dieser Räder vorwärts bewegte, die dreiundfünfzig Fuß im Durchmesser und Hundertundsechsundsechzig Fuß im Umfange maßen, neunzig Tonnen1 wogen und sich in der Minute elf Mal drehten.

Das Lichterschiff hatte seine Passagiere ausgesetzt, und auch ich betrat jetzt die eisernen, gerieften Stufen, um nach wenigen Minuten die Erhöhung am Hinterdeck des Dampfschiffes zu überschreiten.

Zweites Kapitel. Vorbereitungen zur Abfahrt

Das Verdeck konnte man gegenwärtig einer ungeheuren Werft vergleichen, auf der ein ganzes Heer von Arbeitern beschäftigt war; nichts erinnerte daran, dass man sich an Bord eines Schiffes befand. Mehrere tausend Mann, darunter Handwerker, Schiffsmannschaft, Maschinenbauer, Offiziere, Arbeiter und Neugierige gingen so dicht aneinander vorüber, dass sie sich mit den Ellenbogen berühren konnten. Die Einen machten sich auf dem Verdeck, die Anderen an den Maschinen zu tun; diese liefen an den Deckzimmern entlang, jene saßen hie und da im Mastwerk verstreut, Alle in einem unbeschreiblichen, wirren Durcheinander. Hier hoben Dampfkräne große Stücke Gusseisen empor, dort wurden schwere Eisenbohlen mittelst großer Winden in die Höhe gezogen; über dem Maschinenraum schwebte ein eiserner Zylinder wie ein riesiger Stamm von Metall. Vorn stiegen die Segelstangen ächzend längs der Marsmasten empor; hinten erhob sich ein Gerüst, das zweifellos ein in der Errichtung begriffenes Gebäude verbarg. Man baute, takelte, malte, richtete und zimmerte inmitten einer unbeschreiblichen Verwirrung.

Mein Gepäck war mit an Bord geschafft worden, und ich fragte jetzt nach Kapitän Anderson. Der Kommandant war indessen noch nicht angekommen; einer der Stewards übernahm es, für meine häusliche Einrichtung zu sorgen, und ließ meine Effekten nach einer der hinteren Kajüten bringen.

»Guter Freund«, redete ich ihn an, »die Abreise des Great-Eastern war auf den 20. März festgesetzt, aber selbstverständlich können all diese Vorbereitungen nicht in vierundzwanzig Stunden beendet sein. Wissen Sie mir vielleicht zu sagen, wann wir Liverpool verlassen werden?«

Über diesen Punkt wusste mir jedoch der Steward keine Auskunft zu geben, und so verließ er mich. Ich beschloss nun, alle Löcher dieses kolossalen Ameisenhaufens zu durchstöbern, und begann meinen Spaziergang, wie ein Tourist die Rundreise in einer ihm noch unbekannten Stadt antritt. Überall auf dem Verdeck sah man den eigentümlichen schwarzen Schmutz, den man in allen britischen Städten findet; übelriechende Bäche schlängelten sich hier und da entlang, und man hätte fast glauben können, dass man sich auf einer der schlechtesten Passagen in der Upper-Thames-Street an den Zugängen der Londoner Brücke befände. – Ich ging weiter und streifte an den Deckzimmern hin, die sich auf dem Hinterteil des Schiffes erstreckten. Zwischen ihnen und den Schanzverkleidungen zeigten sich auf beiden Seiten zwei breite Promenadenwege, auf denen eine zahlreiche Menschenmenge hin- und herging. Endlich gelangte ich zum Mittelpunkt des Fahrzeuges und zu den durch ein System von schmalen Brücken vereinigten Radkasten.

Hier öffnete sich der Schlund, welcher die Organe der Rädermaschine umschloss, und das bewunderungswürdige Lokmotionswerk lag vor meinen staunenden Blicken. Einige fünfzig Handwerker waren über die Öffnungen des gusseisernen Rahmengestelles verteilt; diese klammerten sich an die langen, unter verschiedenen Winkeln geneigten Zugstangen, jene hingen an den Pleuelstangen, andere richteten die Exzenter, und wieder andere zogen mit ungeheuren Schlüsseln die Muttern der Zapfen an. Der Stamm von Metall, welcher langsam durch die Verdeckluke nach unten ging, war eine neue liegende Welle, die dazu bestimmt war, den Rädern die Bewegung der Kurbelwelle mitzuteilen. Aus diesem Abgrunde drang ein scharfes, disharmonisches Geräusch empor.

Nachdem ich auf diese Regulierungsarbeiten einen schnellen Blick geworfen hatte, nahm ich meinen Spaziergang wieder auf und gelangte bald auf das Vorderteil des Schiffes. Hier waren Tapezierer damit beschäftigt, ein ziemlich großes, mit dem Namen »Smoking-room« bezeichnetes Deckzimmer zu dekorieren; es sollte dies die eigentliche Tabagie dieser schwimmenden Stadt werden, ein prächtiges, durch vierzehn Fenster erhelltes Kaffee, mit einem in Weiß und Gold prangenden Plafond und zitronenfarbenen Feldern getäfelt. Nachdem ich sodann einen kleinen, dreieckigen Platz überschritten hatte, der den anderen Theil des Verdecks bildete, erreichte ich den Vordersteven, der sich nach der Oberfläche des Wassers neigte.

Von diesem äußersten Punkte des Verdecks aus sah ich, als ich mich umwandte, durch einen nebelfreien Strich der Atmosphäre das Hinterteil des Great-Eastern in einer Entfernung von über zwei Hektometern liegen. Das kolossale Bauwerk verdient wohl, dass man, ihm zu Ehren und um seine Dimensionen abzuschätzen, derartige Maße anwendet.

Ich machte mich nun auf den Rückweg, indem ich dem Steuerbordgeländer folgte, zwischen den Sälen und den Schanzbekleidungen hinging und achtsam hier einen Flaschenzug, der in der Luft schwebte, dort den Peitschenhieb eines Arbeiters vermied, jetzt den Stößen eines Krahns auswich und mich dann wieder den Funken entzog, die wie ein feuriger Sprühregen von einer Schmiede entsendet wurden. Kaum konnte ich den Gipfel des zweihundert Fuß hohen Mastes aus all dem Nebel und dem dunkeln Rauch herauserkennen, mit welchem die diensttuenden Dampfer die Luft verdichteten. Nachdem ich an dem großen Shine-Light (Oberlicht, nach dem Verdeck zu) der Rädermaschine vorbeigegangen war, bemerkte ich zu meiner Linken ein kleines Hotel, dann die lange Seitenfassade eines Palastes mit einer vorspringenden Terrasse, deren Geländer soeben poliert wurden. Endlich erreichte ich das Hinterteil des Dampfschiffes und kam an dem von mir bereits erwähnten Gerüst an. Dort waren Maschinenbauer damit beschäftigt, zwischen dem letzten Deckzimmer und dem mächtigen Gräting, über welchem sich die vier Räder des Steuerruders erhoben, eine Dampfmaschine einzurichten. Dieselbe bestand aus zwei horizontalen Zylindern und bildete ein System von Triebrädern, Balanciers und Druckfedern, das mir außerordentlich kompliziert vorkam. Ich begriff zunächst nicht, wozu die Maschinerie bestimmt war, aber auch hier schien es mir, als seien die Vorbereitungen noch sehr fern von ihrer Vollendung. »Warum, fragte ich mich, all diese Verzögerungen? Warum all diese neuen Einrichtungen an Bord des Great-Eastern, eines verhältnismäßig noch neuen Schiffes?« Als Antwort auf diese Frage sei es uns gestattet, hier einige Worte einzuschalten.

Nach etwa zwanzig Fahrten zwischen England und Amerika, deren eine sich durch schwere Unfälle auszeichnete, hatte man die Verwendung des Great-Eastern vorläufig aufgegeben. Das kolossale Transportschiff war somit außer Kurs gesetzt und fand sich von den Seereisenden verschmäht und zur Ruhe verdammt. Als dann die Versuche, das transatlantische Kabel zu legen, gescheitert waren, ein Misserfolg, der größtenteils an der Unzulänglichkeit der dazu benutzten Schiffe lag, dachten die Ingenieure zuerst wieder an den Great-Eastern. Er allein hatte die erforderlichen Dimensionen, um die 3400 Kilometer Metalldraht im Gewicht von 4500 Tonnen zu lagern, und nur er konnte, dank seiner Indifferenz gegen die Gefahren des Meeres, diesen enormen Greling abrollen und versenken. Um das Kabel im Schiffsraume zu stauen, bedurfte man jedoch besonderer Vorrichtungen, und so ließ man zwei der vorhandenen sechs Dampfkessel und einen der drei Schornsteine springen. An ihrer Stelle entstanden ungeheure Rezipienten, um das Kabel aufzunehmen, welches seinerseits durch eine Wasserfläche vor den Luftveränderungen geschützt wurde. Der Draht konnte auf diese Weise ins Meer gehen, ohne der Berührung atmosphärischer Luft ausgesetzt zu sein.

Der Plan gelang, und die Legung des Kabels ging mit Erfolg von Statten; nach diesem Resultat jedoch schien man die Tätigkeit des Great-Eastern abermals als beendet anzusehen, und er wurde von Neuem in seine kostspielige Dienstuntätigkeit versetzt. Sodann zog die Weltausstellung von 1867 am Horizont der epochemachenden Ereignisse herauf, und es bildete sich eine Gesellschaft mit beschränkter Verantwortlichkeit, »Société des Affréteurs du Great-Eastern«2genannt, die mit einem Kapital von zwei Millionen Franken das Riesenschiff zum Transport der überseeischen Besucher verwenden wollte. Aus diesem Grunde wurde es notwendig, den Dampfer großen Veränderungen zu unterwerfen, die Rezipienten auszufüllen, die Kessel wieder herzustellen, die Salons, die mehreren Tausend Personen zur Wohnung dienen sollten, zu vergrößern, und die Deckzimmer, welche zu Dependancen des Speisesaales bestimmt waren, zu bauen; außerdem mussten mit möglichstem Komfort 3000 Betten platziert werden, und hierzu sollten die Seitenteile des riesenmäßigen Schiffsrumpfes dienen.

Der Great-Eastern wurde zum Preise von 25,000 Franken pro Monat gemietet, und infolgedessen zwei Kontrakte mit G. Forrester u. Comp. in Liverpool abgeschlossen. Der erste auf den Betrag von 538,750 Franken lautend zur Einrichtung neuer Kessel für die Schraube; der zweite auf die Summe von 662,500 Franken für allgemeine Reparaturen und sonstige Einrichtungen auf dem Schiffe.

Der Board of Trade verlangte, dass, ehe diese letzteren Arbeiten unternommen würden, das Schiff auf den Helgen gebracht würde, damit sein Rumpf genau untersucht werden könnte. Nachdem diese sehr teure Operation vorgenommen war, wurde ein langer Riss des äußeren Bordes mit großen Kosten sehr sorgfältig repariert, und dann schritt man zur Einfügung der neuen Kessel; auch mussten die Triebradwellen, welche sich während der letzten Reise verbogen hatten, gerichtet werden. Diese Welle, in der Mitte doppelt gekröpft, um die Lenkstangen der Pumpen aufzunehmen, wurde durch eine mit zwei Excentern versehene Achse ersetzt, wodurch die Solidität dieses wichtigen Theiles, auf welchem die ganze Kraft ruht, als gesichert anzusehen war. Endlich sollte, und zwar zum ersten Mal, das Steuer durch den Dampf bewegt werden. Diese heikle Aufgabe hatte die vorher erwähnte Maschine zu lösen, welche die Maschinenbauer am hinteren Ende des Schiffes einrichteten. Der Untersteuermann, auf dem Steg des Centrums zwischen den Signalapparaten für die Maschinen der Räder und der Schraube stehend, hatte vor seinem Auge einen mit beweglicher Nadel versehenen Quadranten, der ihm in jedem Augenblick die Stellung des Ruderbaumes angab. Um ihn zu modifizieren, brauchte er nur ein kleines Rad von kaum einem Fuß im Durchmesser, das im Bereich seiner Hand vertikal aufgerichtet war, zu bewegen. Sofort öffneten sich Ventile; der Dampf schoss aus den Kesseln durch lange Leitröhren in die beiden Zylinder der kleinen Maschine, die Kolben bewegten sich mit großer Schnelligkeit, die Übertragungen spielten, und das Steuer gehorchte augenblicklich den unwiderstehlich fortgezogenen Steuerreepen. Bewährte sich dieses System, so konnte man mit dem Druck eines Fingers die kolossale Masse des Great-Eastern regieren.

Fünf Tage lang wurden die Arbeiten mit rastloser Tätigkeit fortgesetzt, und obgleich diese Verzögerung den Unternehmern keinen geringen Schaden brachte, konnten diese doch nichts tun, um die Instandsetzung des Great-Eastern noch mehr zu beeilen. Die Abreise wurde auf den 26. März festgesetzt, und am 25. März war das Verdeck des Schiffes noch von dem gesamten Herstellungsgerät eingenommen.

Endlich wurden während dieses letzten Tages die Laufbretter, die Stege, die verschiedenen Deckzimmer allmählig freier; die Kräne verschwanden; die Aufstellung der Maschinen wurde als beendet erklärt; die letzten Bolzen saßen fest, und alle Schrauben taten ihre Schuldigkeit. Die glatten Stücke waren mit einem Anstrich von Bleiweiß und Talg bedeckt, der sie unterwegs vor dem Oxydieren durch das Seewasser schützen sollte; die Ölbehälter hatten ihre Füllung erhalten; die letzte Platte ruhte auf ihrem metallenen Lager, und endlich machte sich der Oberingenieur an die Probe mit der Maschine. Eine ungeheure Dampfmenge flutete in den Maschinenraum und hüllte mich, der ich über das Shine-Light gebeugt stand, so vollständig ein, dass ich Nichts ringsumher mit meinen Augen erkennen konnte; aber ich hörte die langen Kolbenstangen durch ihre Stopfbüchsen hindurchächzen und die dicken Zylinder geräuschvoll auf ihren soliden Zapfen oszillieren. Ein lebhaftes Plätschern entstand unter den Radkasten, als die Schaufeln langsam das dunkle Wasser der Mersey schlugen; am hinteren Ende des Schiffes peitschte die Schraube mit ihrem vierfachen Flügel die Flut, und beide Maschinen, gänzlich voneinander unabhängig, waren bereit, ihre Funktion zu beginnen. Gegen fünf Uhr abends legte eine Dampfschaluppe an, die gleichfalls für den Dienst des Great-Eastern bestimmt war. Ihre Dampfmaschine wurde gelöst und vermittelst der Gangspillen auf das Verdeck gehisst; die Aufnahme der Schaluppe selbst aber bot unübersteigliche Hindernisse dar. Ihr Eisenrumpf hatte ein so enormes Gewicht, dass die Stangen, auf welche man die Taljen geschlagen hatte, sich unter der Last bogen, was indessen jedenfalls zu vermeiden gewesen wäre, wenn man sie mit Schwingseilen unterstützt hätte. Genug, man musste es aufgeben, die Schaluppe mitzuführen, doch blieben dem Great-Eastern noch sechzehn Boote, die bequem vermittelst Kranes aufgehisst waren.

An diesem Abend wurden so ziemlich alle Vorkehrungen beendet; die Promenadenwege glänzten in Sauberkeit und Schöne, als das Heer der Straßenfeger darüber hingegangen war; und in den Kombüsen, dem Schiffsraume und den Kammern lagerten Waren und Lebensmittel. Noch war jedoch der Dampfer nicht bis zu seiner Wasserlinie eingesunken, denn er ging bis jetzt nicht die ihm bestimmten neun Meter tief. Es stellte sich hierdurch ein großer Übelstand für seine Räder heraus, deren ungenügend eingesenkte Schaufeln natürlich nur eine geringere Geschwindigkeit äußern konnten. Trotzdem war unter diesen Bedingungen ein Aufbruch möglich, und ich durfte mich mit der Hoffnung niederlegen, dass wir anderen Tages in See gehen würden. Am folgenden Morgen, bei Sonnenaufgang, sah ich die amerikanische Flagge an dem Fockmast, die französische am Hauptmast, und die englische Flagge an der Besanstange wehen.

Drittes Kapitel. Die Bewohner der schwimmenden Stadt. – Hauptmann Mac Elwin

Der Great-Eastern schickte sich zur Abfahrt an; der Rauch begann spiralförmig seinen fünf Schornsteinen zu entströmen, ein heißer Brodem durchzog die tiefen Räume, welche unmittelbar zu den Maschinen führten; einige Matrosen putzten an den vier mächtigen Kanonen, mit denen wir Liverpool im Vorbeifahren salutieren sollten, und die Matrosen gingen auf den Raaen einher und machten Tauwerk frei. Man zog die Wanten straff auf ihren dichten, an das Innere der Verschanzungen angehakten Jungfern, und gegen elf Uhr schlugen endlich die Tapezierer den letzten Nagel ein, und die Maler waren mit dem Anstrich fertig. Dann begaben sich die Handwerker auf das Lichterschiff, um auf ihm wieder zur Stadt zurückzukehren.

Sobald genügender Druck vorhanden, wurde der Dampf in die Zylinder der das Steuerruder bewegenden Maschine gelassen, und die Maschinenbauer konstatierten, dass der sinnreiche Apparat regelmäßig arbeite.

Das Wetter war ziemlich gut; die Sonne brach hie und da in mächtigen Streiflichtern durch die Wolken. Auf dem Meere musste heute eine kräftige Brise wehen; ein Umstand, der den Great-Eastern glücklicherweise nur wenig zu kümmern brauchte.

Alle Offiziere waren an Bord und auf die verschiedenen Punkte des Schiffes verteilt, um das Lichten der Anker vorzubereiten. Das Offiiziercorps bestand aus einem Kapitän, dem Obersteuermann, zwei Untersteuermännern, aus fünf Lieutenants, von denen einer, M. H..., ein Franzose war, und einem Freiwilligen, gleichfalls Franzosen.

Kapitän Anderson genießt als Seemann im englischen Handelsverkehr einen großen Ruf; ihm hat man auch die Legung des transatlantischen Kabels zu verdanken, wenn man hierbei auch in Erwägung ziehen muss, dass er unter bei Weitem günstigeren Verhältnissen, als seine Vorgänger, das Unternehmen antrat, da ihm der Great-Eastern zur Verfügung stand. Wie dem jedoch sein möge, sein Erfolg in dieser Operation hat ihm den Titel »Sir« eingebracht, der ihm nach seiner Rückkehr von Ihrer Majestät der Königin verliehen wurde.

Ich fand in Kapitän Anderson einen sehr liebenswürdigen Befehlshaber. Es war ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem Haarwuchs von fahlblonder Farbe, die den Vorzug hat, ihre Nuance bis ins hohe Alter nicht zu verändern; seine Gestalt war hoch und kräftig, sein Gesicht breit, ruhig und lächelnd von durchaus englischem Schnitt; er pflegte ruhig und gleichmäßig, mit blinzelndem Auge einherzuschreiten und mit sanft gedämpfter Stimme seine Befehle zu erteilen. Immer elegant in einen mit dreifachen, goldenen Tressen besetzten Überrock gekleidet, machte er sich nie des Vergehens schuldig, mit den übrigens jederzeit fein behandschuhten Händen in den Taschen umherzuschlendern. Als besonderes Kennzeichen mag noch erwähnt werden, dass stets ein Zipfelchen seines weißen Taschentuches aus dem blauen Rocke hervorlugte.

Zu Kapitän Anderson bildete der Obersteuermann einen eigentümlichen Kontrast. Man denke sich ein kleines, lebhaftes Männchen mit auffallend gebräunter Hautfarbe, etwas geröteten Augen, schwarzem Vollbart und bedenklich einwärts gekrümmten Beinen, die allen Überraschungen des Rollens Trotz boten. Ein tätiger, in allen Einzelheiten wohl bewanderter Seemann, gab er rasch mit abgebrochener Stimme seine Befehle, die der Bootsmann dann mit dem heiseren Löwengebrüll wiederholte, das der englischen Marine erb- und eigentümlich ist. Ich hielt diesen Obersteuermann namens W..... für einen Marine-Offizier, der sich besonderer Erlaubnis zufolge an Bord des Great-Eastern befand; er war durch und durch, was man »einen alten Seebären« nennt, und stammte jedenfalls aus der Schule jenes heldenmütigen, französischen Admirals, der seinen Leuten beim Kampfe zurief: »Jungens, aufgepasst! Ihr wisst, dass ich mein Schiff in die Luft zu sprengen pflege!«

Von diesem Offizierkorps abgesehen, standen die Maschinen unter dem Commando des Oberingenieurs, der von acht bis zehn Maschineningenieuren unterstützt wurde. Unter seinem Befehle manövrierte ein Bataillon von zweihundertundfünfzig Mann, unter ihnen Assistenten, Oberheizer, Heizer und Kohlenzieher, die die Tiefen und Abgründe des Schiffes fast nie verließen.

Dieses Bataillon hatte die Aufgabe, die Feuer der zehn Kessel – ein jeder hatte zehn Feuerungen – also im Ganzen hundert Feuer zu beaufsichtigen und zu unterhalten.

Die eigentliche sogenannte Bemannung des Schiffes, wie Proviantmeister, Zahlmeister, Untersteuermänner, Bootsmänner, Matrosen, Schiffsjungen u. s. w., umfasste etwa hundert Mann, natürlich exklusive der zweihundert Stewards, die zur Bedienung der Passagiere engagiert waren.

Jeder befand sich jetzt auf seinem Posten; der Lotse, welcher den Great-Eastern aus dem Fahrwasser der Mersey herausbringen sollte, war bereits seit dem vorigen Abend an Bord. Außer ihm bemerkte ich noch einen französischen Lotsen von der Insel Molène bei Ouessant, der mit uns von Liverpool nach New-York fahren und bei der Rückkehr das Dampfschiff in die Rhede von Brest einlotsen sollte.

»Ich beginne nach und nach daran zu glauben, dass wir heute noch abfahren werden«, bemerkte ich gegen den Lieutenant H. ...

»Wir warten nur noch auf unsere Passagiere antwortete dieser.«

»Ist ihre Zahl bedeutend?«

»Zwölf bis dreizehnhundert, immerhin die Bevölkerung eines großen Marktfleckens.«

Um halb zwölf Uhr signalisierte man das Lichterschiff, welches, über und über mit Passagieren beladen, herankam. In den Kajüten eingepfercht, auf den Stegen lehnend, auf Bergen von Collis thronend, auf dem Radkasten ausgestreckt, kamen sie näher und boten unseren Blicken ein buntes Bild wirren Durcheinanders. Es befanden sich, wie ich später erfuhr, unter ihnen Kalifornier, Kanadier, Yankees, Peruaner, Südamerikaner, Engländer, Deutsche und zwei oder drei Franzosen. Unter ihnen zeichneten sich aus der berühmte Cyrus Field aus New-York, der sehr ehrenwerte John Rose aus Kanada, der sehr ehrenwerte Mac Alpine aus New-York, Herr und Frau Alfred Cohen aus San-Francisco, Herr und Frau Whitney aus Mont-Réal und der Kapitän Mac Ph... nebst Gemahlin. Unter den Franzosen befand sich der Gründer der Société des Affrétteurs du Great-Eastern, Herr Jules D. als Vertreter der Telegraph construction and maintenance Company, die zu dem Geschäft eine Beisteuer von 20,000 Pfund geliefert hatte.

Das Lichterschiff legte am Fuß der Steuerbordtreppe an, und nun begann der Act des Umsteigens von dem Lichterschiff auf den Great-Eastern, der sich jedoch so ruhig und ohne alle Hast vollzog, wie dies der Fall ist bei Leuten, die einen kleinen Umzug in ihrem eigenen Hause vornehmen. Franzosen hätten unter diesen Umständen jedenfalls geglaubt, sie müssten die Treppe wie im Sturm nehmen und sich hierbei wie richtige Zuaven gebärden.

Sobald ein Passagier den Fuß auf Deck des Great-Eastern gesetzt hatte, war seine erste Sorge, in die Speisesäle hinabzusteigen und hier einen Platz zu belegen, indem er ihn mit seiner Karte oder sonst einem Stückchen Papier mit darauf gekritzeltem Namen bezeichnete. Da gerade jetzt ein Gabelfrühstück aufgetragen wurde, hatten sich in wenigen Augenblicken die Reisenden um die Tische niedergelassen und lieferten den Beweis, dass Angelsachsen es aus dem Grunde verstehen, die Langeweile einer Seefahrt mit guter Klinge zu bekämpfen.

Was mich betrifft, so war ich auf dem Verdeck geblieben, um allen Einzelheiten der Aus- und Einschiffung folgen zu können. Um halb ein Uhr war das Gepäck endlich an Bord geschafft, und Tausende von Collis aller denkbaren Größen und Formen lagen rings umher aufgetürmt. Hier Kisten von der Größe eines Eisenbahnwaggons, die vollständige Meublements enthalten konnten, dort kleine zierliche Reisepäckchen, Säcke, mit den wunderlichsten Zipfeln und Ecken, und dann wieder die so leicht an ihrer luxuriösen Sattlerarbeit kenntlichen Koffer und Köfferchen mit blanken Schnallen, glänzenden Kupferplatten und soliden Leinwandbezügen, von denen sich zwei oder drei große Initialen von weißem Metall abhoben. Bald war dieses ganze Chaos in den Magazinen, oder vielmehr in den Ausladestellen des Zwischendecks geordnet und untergebracht, und die Arbeiter und Träger stiegen wieder auf den Dampfer zurück, der unterdessen mit seinem schmutzigen Rauch die Beschläge und Schilder des Great-Eastern geschwärzt hatte.

Ich wandte mich, um jetzt nach dem Vorderteil zurückzukehren, stand aber gleich darauf überrascht still, denn ich sah plötzlich denselben jungen Mann vor mir, der mir bereits auf dem Kai von New-Prince aufgefallen war.

»Fabian! Du hier?«, rief ich überrascht.

»Ich bin's, mein lieber Freund.«

»So habe ich mich also nicht getäuscht; ich glaubte, Dich vor einigen Tagen bei der Abfahrt am Ufer zu erkennen.«

»Wohl möglich«, antwortete er, »ich habe Dich nicht bemerkt.«

»Und Du willst nach Amerika?«

»Gewiss! kann man einen mehrmonatlichen Urlaub besser benutzen, als sich die Welt anzusehen?« - »Welch' glücklicher Zufall, dass auch Du den Great-Eastern zu Deiner Reise gewählt hast!«

»Es ist dies kein Zufall, Kamerad; ich hatte aus der Zeitung ersehen, dass Du Dich auf dem Great-Eastern einschiffen würdest, und da wir seit mehreren Jahren nicht zusammengekommen sind, habe ich mich gleichfalls an Bord begeben, um die Reise in Deiner Gesellschaft zu machen.«

»Du kommst direkt von Indien?«

»Mit dem Godavery, der mich vorgestern nach Liverpool gebracht hat.«

»Und Du reisest, Fabian?«, fragte ich von Neuem, den schwermütigen Ausdruck seines bleichen, traurigen Gesichts bemerkend.

»Um mich zu zerstreuen, wenn dies überhaupt möglich ist«, antwortete der Hauptmann Fabian Mac Elwin und reichte mir mit trübem Blick die Hand.

Viertes Kapitel. Ankerlichten. – Böses Omen

Fabian hatte mich verlassen, um das Unterbringen seiner Sachen und seine häusliche Einrichtung auf Kajüte 73, deren Nummer auf seinem Billet eingetragen war, zu überwachen. In diesem Augenblick wirbelten dicke Rauchsäulen aus den großen Schornsteinen des Schiffes, und man hörte die Kessel bis in die Tiefen des Schiffes erzittern. Der betäubende Dampf verbreitete sich durch die Dampfauslassrohre und fiel in feinem Regen auf das Verdeck nieder. Einige geräuschvolle Gegenströmungen verkündeten, dass die Maschinen geprobt wurden. Der Ingenieur hatte richtigen Dampfdruck, und man konnte abfahren. Zunächst mussten die Anker gelichtet werden. Die Flut war noch im Steigen, und der Great-Eastern bot ihr, als er unter ihrem Stoßen gewendet hatte, das Vorderteil: er war jetzt bereit, den Fluss abwärts zu fahren.

Der Kapitän hatte diesen Augenblick wählen müssen, um sich segelfertig zu machen, denn die Länge des Great-Eastern gestattete ihm nicht, in der Mersey Evolutionen zu machen. Wenn er nicht von der Ebbe fortgezogen wurde, sondern der raschen Flut entgegenfuhr, war er seines Schiffes mehr Herr und konnte mit größerer Sicherheit zwischen den zahlreichen Schiffen, die den Fluss durchfurchten, hinweg manövrieren. Der geringste Zusammenstoß mit diesem Koloss wäre unheilvoll gewesen.

Es erforderte beträchtliche Anstrengungen, unter diesen Umständen die Anker zu lichten. In der Tat spannte das Dampfschiff, von der Strömung getrieben, die Ketten, auf denen es festsaß, an. Außerdem wurde die ungeheure Masse von einem heftigen Südwestwind erfasst, der seine Kraft mit der Flut verband. Man musste demzufolge mächtige Maschinen anwenden, um die gewichtigen Anker aus ihrem schlammigen Grunde emporzureissen. Das »Anchorboat« ein zu dieser Operation bestimmtes Boot, hatte sich auf den Ketten gestoppt; aber seine Gangspillen genügten nicht, und man musste sich der mechanischen Apparate bedienen, die dem Great-Eastern zur Verfügung standen.

Auf dem Vorderteil war eine Maschine von siebenzig Pferdekraft zum Aufhissen der Anker aufgestellt. Man brauchte nur den Dampf aus den Kesseln in ihre Zylinder zu lassen, um sofort eine bedeutende Kraft zu erhalten, die direkt auf das Gangspill übertragen werden konnte, um die Ketten aufzuwinden. Dies geschah; aber so mächtig die Maschine auch arbeitete, sie bewies sich als unzureichend; man musste ihr auf irgendeine Weise zu Hilfe kommen. Kapitän Anderson ließ die Spillspaken anlegen, und etwa fünfzig Leute von der Mannschaft wurden am Gangspill angestellt.

Das Dampfschiff fing an, auf seine Anker zu treiben, aber die Arbeit ging langsam von Statten. Die Laufknoten klirrten nicht ohne Mühe in den Klüsgaten des Vorderstevens, und meiner Meinung nach hätte man die Ketten, um sie leichter anzuholen, durch einige Radumdrehungen erleichtern können.

Ich stand in diesem Augenblick mit einigen anderen Passagieren auf dem Deckzimmer des Vorderteils. Wir beobachteten alle Einzelheiten des Vorganges und die Fortschritte des Ankerlichtens. Ein Reisender, der dicht neben mir stand, zuckte, wahrscheinlich ungeduldig über die Verzögerung, häufig mit den Achseln und ließ Spöttereien über die Machtlosigkeit der Maschine hören. Es war ein kleiner, magerer, nervöser Mann mit fieberhaft hastigen Bewegungen, dessen Augen man unter ihren gesenkten Lidern kaum gewahrte. Ein Physiognomiker hätte von vornherein erkannt, dass die Vorkommnisse dieses Lebens solchem Philosophen aus der Schule Demokrits nur von ihrer scherzhaften Seite erscheinen mussten, denn die für die Action des Lachens notwendigen Jochbeinmuskeln konnten bei ihm keine Ruhe halten. Im Übrigen war er, wie ich mich später überzeugte, ein liebenswürdiger Reisegefährte. »Mein Herr«, redete er mich an, »bis jetzt bin ich der Meinung gewesen, dass die Maschinen den Menschen helfen sollten, und nicht die Menschen den Maschinen!«

Gerade als ich auf diese sehr richtige Beobachtung etwas erwidern wollte, ertönte ein lautes Geschrei; der Kleine wie auch ich stürzten aufs Verdeck und erblickten hier die sämtlichen, an den Spillspaken aufgestellten Männer auf dem Boden hingestreckt. Nach und nach erhoben sich einige von ihnen, andere jedoch blieben unbeweglich liegen. Ein Rädchen der Maschine war zerbrochen, und so hatte sich das Gangspill unter dem vehementen Zuge der Ketten unaufhaltsam rückwärts gedreht. Die Menschen, welche von hinten erfasst worden waren, hatten außerordentlich heftige Schläge und Stöße an Kopf und Brust bekommen. Die von ihren gerissenen Seilen befreiten Spillspaken ließen ein förmliches Kartätschenfeuer um sich her los; vier Matrosen wurden sofort getötet, und zwölf andere, unter denen ein Schotte, der Bootsmann, schwer verletzt.

Die Verwundeten wurden sofort in die nach hinten zu gelegene Krankenstube gebracht, während die vier Toten ausgeschifft wurden. Übrigens herrscht bei den Angelsachsen eine solche Gleichgültigkeit gegen das Leben der Leute, dass dies Ereignis keinen besonders tiefen Eindruck an Bord hervorrief. Die Unglücklichen, ob getötet oder verwundet, waren nur Zähne eines Räderwerks, die mit geringen Kosten ersetzt werden konnten. Man gab dem bereits eine tüchtige Strecke entfernten Lichterschiff ein Zeichen zurückzukehren, und wenige Minuten später legte es von Neuem am Great-Eastern an.

Ich begab mich nach dem Fallreep (am Hinterdeck), wo die Treppe noch nicht wieder eingezogen war; die vier in Decken gehüllten Leichen wurden hier hinuntergeschafft und auf dem Verdeck des Lichterschiffs niedergelegt. Einer der Ärzte, die mit an Bord waren, begleitete die Toten bis Liverpool, nachdem ihm noch anempfohlen war, sobald wie irgend tunlich zum Great-Eastern zurückzukehren. Dann entfernte sich das Lichterschiff, und die Matrosen machten sich daran, die Blutlachen fortzuwaschen, die den Fußboden des Verdecks befleckten. Noch muss ich bemerken, dass ein Passagier, der bei dem Unglücksfall durch einen Spillspakensplitter leicht verletzt worden war, die Gelegenheit benutzte, mit dem Lichterschiff nach Liverpool zurückzukehren; er hatte schon jetzt genug von der Fahrt mit dem Great-Eastern.

Als ich dem kleinen Boot, das sich mit voller Dampfkraft entfernte, nachsah, hörte ich in spöttischem Ton hinter mir die Worte sagen:

»Die Reise fängt gut an! wie soll das enden?«

Als ich mich umwandte, stand der Reisende mit dem ironischen Gesichte vor mir; er hatte die Bemerkung jedenfalls an mich gerichtet.

»Es war allerdings ein böser Unfall«, antwortete ich; mit wem habe ich die Ehre?«

»Ich bin der Doktor Dean Pitferge.«

Fünftes Kapitel. Die Mersey hinaus und durch den St. Georgs-Kanal

Die Arbeit war wieder aufgenommen. Mit Hilfe des Anchorboats gelang es jetzt, die Ketten in die Höhe zu winden, und als die Turmuhr in Birkenhead ein Viertel auf zwei Uhr schlug, rissen sich endlich die Anker aus dem zähen Boden los. Die Abfahrt konnte nicht länger verschoben werden, wenn man die Flut dazu benutzen wollte; Kapitän und Lotse stiegen auf die Brücke, ein Lieutenant nahm bei dem Signalapparat der Schraube Stellung, ein anderer neben dem Signalapparat der Radschaufeln. Der Untersteuermann hielt sich zwischen ihnen bei dem kleinen, zur Bewegung des Steuerruders bestimmten Rade. Aus Vorsicht wachten vier andere Steuerleute auf dem Hinterdeck, um für den Fall, dass die Dampfmaschine ihre Schuldigkeit nicht tun sollte, die großen Räder über dem Gräting zu lenken. Der Great-Eastern, der jetzt dem Strom die Spitze bot, war ganz klar gemacht und hatte nur noch der Flut entgegenzufahren, um auf die hohe See zu gelangen.

Der Befehl zur Abfahrt wurde gegeben, die Radschaufeln schlugen langsam auf das Wasser, die Schraube brachte dasselbe am Hinterteil in wallende Bewegung, und das ungeheure Schiff fing an, sich vorwärts zu bewegen.

Die meisten Passagiere, welche auf die Hütte des Vorderdecks gestiegen waren, schauten nach den auf beiden Ufern liegenden Städten Liverpool und Birkenhead; überall, wohin der Blick reichte, begegneten Fabrikschornsteine dem Auge. Die Mersey, auf der eine große Menge Schiffe teils vor Anker lagen, teils stromauf- oder abwärts fuhren, bot unserem Dampfer nur gewundene Durchfahrten; aber unter der Hand unseres Lotsen und genau den geringsten Andeutungen seines Steuers nachgebend, glitt er geschickt auf den engen Pfaden dahin, wie das lange, schmale Boot eines Wallfischfahrers unter der Leitung eines kräftigen Steuermannes. In einem Augenblick glaubte ich, dass wir mit einem Dreimaster zusammenstoßen würden, der dwars gegen den Strom hielt, und dessen Luvbaum dicht an dem Rumpfe des Great-Eastern hinstreifte; aber der Anprall wurde vermieden, und als ich mir dies Schiff, das nicht weniger als sieben- bis achthundert Tonnen Last trug, von den Deckzimmern herab ansah, erschien es mir gegen den Great-Eastern als ein unbedeutender kleiner Kahn, wie ihn die Kinder auf den Bassins in Green-Park oder am Serpentine-River auszusetzen pflegen.

Bald befand sich unser Koloss den Einschiffungsrampen von Liverpool gegenüber; die vier Kanonen, welche die Stadt salutieren sollten; schwiegen aus Achtung für die Toten, die das Lichterschiff eben jetzt ans Land setzte, aber ein lautschallendes Hurra ersetzte den Donner, der an Bord als Ausdruck nationaler Höflichkeit gilt. Zugleich vollführte man ein so heftiges Händeklatschen, so lebhaftes Winken mit Armen und Taschentüchern, wie dies eben nur bei Engländern gebräuchlich ist, wenn sie sich zu Schiffe verabschieden, gleichviel ob ihr Fahrzeug ein simples Kähnchen, auf dem sie eine Spazierfahrt unternehmen, oder ein großartiges Segelschiff.

Mit welchem Enthusiasmus wurden aber auch diese Grüße erwidert! Welch' ein Echo riefen sie auf den Kais hervor! Tausende von Neugierigen hatten sich auf den Mauern von Liverpool und Birkenhead eingefunden, mit Zuschauern beladene Boote schwammen massenhaft auf der Mersey umher, die Bemannung des »Lord Clyde«, eines vor dem Binnenhafen ankernden Kriegsschiffes, war auf die hohen Raaen gestiegen, und begrüßte von hier aus den Riesen mit jubelndem Zuruf. Hoch oben, von den Hütten der Schiffe ließen Musikchöre ihre Harmonien zu uns herüberklingen, soweit sie nicht von dem Lärm der Hurras und sonstigen geräuschvollen Grüßen übertönt wurden. Dabei wehten unaufhörlich Flaggen und Wimpel zu Ehren des Great-Eastern. Bald jedoch begann das Geschrei schwächer zu werden und allmählig in der Entfernung zu ersterben. Unser Dampfschiff segelte am Tripoli, einem zum Auswanderertransporte bestimmten Paketboot, vorbei, das trotz einem Gehalt von 2000 Tonnen, einen sehr winzigen Eindruck auf mich machte; dann wurden die Häuser auf beiden Ufern immer seltener, der Alles schwärzende Rauch verschwand mehr und mehr, und das ebene Feld stach grell gegen die Backsteinmauern ab. Jetzt zeigten sich noch einige lange, einförmige Reihen von Arbeiterwohnungen, dann erblickte man hier und da eine Villa, und ein letzter Gruß, ein letztes Hurra tönte von der Plattform des Leuchtturms und von der Mauer der Bastei zu uns herüber.

Um drei Uhr hatte der Great-Eastern das Fahrwasser der Mersey hinter sich und lief in den