Eine sündige Lektion - Tessa Dare - E-Book

Eine sündige Lektion E-Book

Tessa Dare

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Beschreibung

Prickelnd, fesselnd und witzig: Eine unfreiwillige Reise wird zu einem sinnlichen Abenteuer.

Die junge, wissbegierige Hobbygeologin Minerva Highwood will unbedingt nach Schottland. Lebemann Colin Sandhurst muss vor allem eines: weg aus Spindle Cove. Also tun sich die beiden zusammen und beschließen, die beschwerliche und gefahrvolle Reise gemeinsam anzutreten. Da sie sich als Paar ausgeben, teilen sie sich nicht nur eine Kutsche, sondern gezwungenermaßen nachts auch ein Bett. Dies wird bald zur größten Herausforderung der ganzen Fahrt, denn die beiden sind wie Katz und Maus. Doch langsam kommen sie sich näher, und aus einem leisen Knistern wird bald zügellose Leidenschaft.

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Seitenzahl: 550

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Buch

Äußerlich eher unscheinbare graue Maus und ohne Hoffnung auf einen aussichtsreichen Ehekandidaten, widmet die begeisterte Hobbygeologin Minerva Highwood sich ganz ihren wissenschaftlichen Studien. Als sie einen sensationellen Fund macht, will sie unbedingt nach Edinburgh, um ihre Entdeckung dort einem Zirkel von Wissenschaftlern vorzustellen. Doch als Frau hat sie keinen Zutritt – um vorzusprechen, braucht sie einen männlichen Begleiter. Und so bittet sie kurzerhand Lord Payne, einen skandalumwitterten, gewissenlosen Lebemann, mit ihr nach Schottland zu reisen. Im Gegenzug will sie ihm das ausgeschriebene Preisgeld überlassen. Lord Payne, ohnehin ständig in Geldnöten, nimmt das Angebot der blitzgescheiten Lady gerne an. Doch schon bald wird aus der nüchternen Abmachung der beiden eine Reise voll stürmischer Leidenschaft …

Autorin

Tessa Dare ist halbtags Buchhändlerin und ganztags Mutter. Als Kind ist sie ständig umgezogen und hat schnell gelernt: Egal wie oft sie den Wohnort wechselt, eine bestimmte Sorte von Freunden bleibt ihr immer – die Helden aus den Romanen, die sie gelesen hat. Aus diesem Grund entschied sie eines Tages, sich ihre eigenen Freunde zu schaffen und Romane zu schreiben. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihrem Hund in Kalifornien.

Von Tessa Dare bereits bei Blanvalet erschienen:

Wirbelsturm der Liebe, Leidenschaftliche Rache, Ein verführerischer Tanz, Zwei sündige Herzen, Drei sinnliche Nächte, Süßer Sieg der Leidenschaft, Eine sündige Lektion

Tessa Dare

Eine sündigeLektion

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Beate Darius

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Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem TitelA Week to Be Wicked bei Avon Books,an Imprint of HarperCollins Publishers, New York.

1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung Februar 2016bei Blanvalet, einem Unternehmen derVerlagsgruppe Random House GmbH, MünchenCopyright © der Originalausgabe 2012 bei Eve OrtegaCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016by Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenUmschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,unter Verwendung von Motiven von Chris Cocozzaund Shutterstock.comRedaktion: Melike KaramustafaBS · Herstellung: samSatz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-17206-0V001www.blanvalet.deBesuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag.

Für all die Mädchen, die – mit einem Buch vor der Nase –herumspazieren und gleichzeitig dabei lesen können.

1

Wenn sich ein Mädchen um Mitternacht durch strömenden Regen kämpft, um an den Pforten der Hölle anzuklopfen, dann sollte der Teufel im Mindesten die Schurkenhaftigkeit – wenn nicht gar die Schicklichkeit – besitzen zu antworten. Minerva raffte mit einer Hand die Schöße ihres Umhangs zusammen und trotzte einem neuerlichen schneidend kalten Windstoß. Sie starrte verzweifelt auf das verschlossene Portal, bevor sie mit der flachen Seite ihrer Faust auf das Holz trommelte. »Lord Payne«, rief sie und hoffte, dass ihre Stimme durch die dicken Eichenpaneele trüge. »So kommen Sie doch an die Tür! Es ist Miss Highwood.« Nach einer kurzen Weile fügte sie erklärend hinzu: »Miss Minerva Highwood.« Wie unsinnig, dass sie erläutern musste, welche Miss Highwood sie war. Aus Minervas Sicht sollte dies offenkundig sein. Ihre jüngere Schwester, Charlotte, war erst ausgelassene, zarte fünfzehn Jahre alt. Und die Älteste der Familie, Diana, war zum einen mit engelgleicher Schönheit gesegnet und zum anderen dem Gedanken an eine Vermählung durchaus zugetan. Keine von ihnen war letzthin von der Sorte, nachts aus dem Bett zu schlüpfen und sich heimlich über die Hintertreppe der Gästepension zu einem Rendezvous mit einem berüchtigten Salonhelden zu stehlen. Doch Minerva war anders. Sie war immer anders gewesen. Von den drei Highwood-Schwestern war sie die Einzige mit dunklen Haaren, die einzige Brillenträgerin, die Einzige, die kräftige Schnürstiefel feinen Seidenslippern vorzog, und die Einzige, die sich sehr wohl einen Deut um den Unterschied zwischen sedimentärem und metamorphischem Gestein scherte. Die Einzige mit keinerlei Chancen, keiner Reputation, die es zu schützen galt. Diana und Charlotte werden ihren Weg aufs Ausgezeichnete machen, aber Minerva? Unscheinbar, belehrend, zerstreut, linkisch im Umgang mit den Gentlemen. Mit einem Wort, hoffnungslos. Die Worte ihrer eigenen Mutter in einem kürzlich verfassten Brief an ihren Cousin. Und um das Unglück vollkommen zu machen, hatte Minerva diese Beschreibung nicht etwa entdeckt, indem sie in privater Korrespondenz herumgeschnüffelt hätte. Oh nein. Sie hatte die Worte höchst selbst zu Papier gebracht, niedergeschrieben nach Mutters Diktat. Wirklich und wahrhaftig. Ihre eigene Mutter.

Der Wind packte ihre Kapuze und riss sie ihr vom Kopf. Kalter Regen prasselte auf ihren Nacken und machte alles noch schlimmer. Minerva wischte die nassen Strähnen fort, die an ihrer Wange klebten, und spähte zu dem alten steinernen Gefechtsturm hinauf – einer von vieren, welche die Festung Rycliff Castle umgaben. Rauch kringelte sich hoch oben aus dem Kaminabzug. Sie hob abermals ihre Faust, um mit größter Entschiedenheit auf die Tür einzuhämmern. »Lord Payne, ich weiß, dass Sie da drinnen sind.«

Scheußlicher, gemeiner Mann.

Minerva war fest entschlossen, an Ort und Stelle Wurzeln zu schlagen, bis er sie hineinließ, selbst wenn jener kalte Frühlingsregen sie währenddessen bis auf die Haut durchnässte. Sie war nicht die ganze weite Strecke vom Dorf zum Schloss hochmarschiert, in der Dunkelheit über glitschig bemoostes Geröll gestolpert und in morastige Rinnsale getreten, nur um denselben mühseligen Weg unverrichteter Dinge heimwärts zu stapfen. Indessen, nach einer weiteren geschlagenen Minute, während der sie vergebens an das Portal gepocht hatte, machten sich die Strapazen ihrer Klettertour bemerkbar. Ihre Waden verkrampften sich, ihre Muskeln erschlafften. Minerva taumelte vornüber. Ihre Stirn traf mit einem dumpfen Rums auf das Eichenholz. Sie hielt ihre Faust über dem Kopf erhoben, um in einem unablässigen, hartnäckigen Rhythmus auf die Tür einzuhämmern. Sie mochte vielleicht unscheinbar, belehrend, zerstreut und linkisch sein, aber sie war auch entschlossen. Entschlossen, wahrgenommen zu werden, entschlossen, gehört zu werden. Entschlossen, ihre Schwester zu beschützen, koste es, was es wolle. Aufmachen, flehte sie stumm. Aufmachen. Aufmachen. Aufm…

Die Tür schwang auf. Unverhofft, mit einem ohrenbetäubenden, unangenehmen Knirschen.

»Verdammter Hurensohn, Thorne. Kann das nicht bis …«

»Oh!« Aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte Minerva nach vorn, und ihre Faust prallte mit empfindlicher Wucht gegen … nicht gegen die Tür, sondern eine harte Brust. Lord Paynes Brust, um genau zu sein. Seine männliche, muskelgestählte, nackte Brust, die sich kaum weniger hart anfühlte als die Tür aus Eichenpaneelen. Ihr Hieb kam mitten auf einer Brustwarze zu landen, als wäre diese Luzifers eigener Türklopfer.

Dieses Mal wenigstens antwortete der Teufel. »Nun.« Seine tiefe Stimme vibrierte durch ihren Arm. »Sie sind nicht Thorne.«

»Sie… Sie sind nicht bekleidet.« Und ich berühre Ihre splitternackte Brust Oh … Gott. Ihr kam der entsetzliche Gedanke, dass er womöglich nicht einmal eine Hose trug. Sie sammelte sich. Derweil sie mit klammen, unsteten Fingern ihre Brille absetzte, nahm sie einen verschwommenen Fleck dunklen Wolltuchs wahr, der sich von dem fleischfarbenen Schemen seiner Körpermitte abwärts erstreckte. Das war immerhin beruhigend. Sie hauchte ihren Atem auf jedes der beiden runden messinggefassten Gläser, wischte sie mit einem trockenen Zipfel ihres Umhangs sauber und schob die Sehhilfe wieder auf die Nase. Er war nach wie vor halb nackt. Aber jetzt in hervorragender Scharfeinstellung. Gierige Zungen aus Feuerschein leckten über jede Kontur seines anziehenden Gesichts, hoben seinen Körper klar und deutlich gegen den Hintergrund ab.

»Kommen Sie herein, wenn es Ihnen genehm ist.« Er erschauerte, als ihn die frostigen Finger einer Windböe streiften. »Gleich, wie Sie sich entscheiden, ich werde nicht umhinkommen, die Tür zu schließen.«

Sie trat ins Innere. Das Portal fiel mit einem dumpfen Nachhall von Endgültigkeit hinter ihr ins Schloss. Minerva schluckte unbehaglich.

»Ich muss schon sagen, Melinda. Das ist wahrhaftig eine Überraschung.«

»Mein Name ist Minerva.«

»Aber ja, natürlich.« Er neigte forschend den Kopf zur Seite. »Ich erkannte Ihr Gesicht nicht gleich wieder – ohne das Buch vor Ihrer Nase.«

Sie atmete tief durch und versuchte, Nachsicht walten zu lassen, indem sie den seidenen Faden ihrer Geduld bis aufs Äußerste spannte. So lange, bis er straff war wie ein Drahtseil, gerade genug, sich auf einen spöttischen Bonvivant einzulassen – mit einem Gedächtnis wie ein Sieb und ausnehmend wohlproportionierten Schultern.

»Ich räume ein«, bekannte er, »es ist schwerlich das erste Mal, dass ich mitten in der Nacht die Tür geöffnet habe, um vor dem Portal eine wartende Frau vorzufinden. Aber Sie sind bis dato sicherlich diejenige, die ich am wenigsten erwartet hätte.« Er widmete ihrer unteren Körperhälfte einen prüfenden Blick. »Und diejenige, die den meisten Unrat hereinträgt.«

Mit Zerknirschung spähte sie auf ihre schmutzverkrusteten Stiefel und den klitschnassen Saum ihres Rocks. Eine mitternächtliche Verführerin war sie gewiss nicht. »Es ist nicht diese Art von Besuch.«

»Gewähren Sie mir einen Augenblick, die Enttäuschung zu verschmerzen.«

»Ich würde es vorziehen, Ihnen einen Augenblick zum Ankleiden zu gewähren.« Minerva durchquerte die rund gemauerte, fensterlose Turmkammer und strebte geradewegs zum Kamin. Sie löste umständlich die samtenen Verschlussbänder ihres Umhangs, ehe sie diesen über den einzig verfügbaren Armlehnstuhl drapierte.

Payne hatte seine in Spindle Cove zugebrachten Monate nicht in Gänze vergeudet, so schien es. Irgendjemand hatte ungemein viel Tatkraft darauf verwendet, dieses unwirtliche Steinsilo in ein warmes, nahezu gemütliches Heim zu verwandeln. Die altertümliche Feuerstelle aus Schamotteziegeln war gesäubert und für den Gebrauch instandgesetzt worden. Darin prasselte ein Feuer, heiß und heftig genug, einem normannischen Krieger zur Ehre zu gereichen. Neben dem gepolsterten Armsessel standen ein Holztisch und Stühle. Schlicht, aber sorgfältig gezimmert. Kein Bett. Eigentümlich. Sie ließ ihren Blick umherschweifen. Brauchte ein notorischer Draufgänger wie er denn kein Bett? Schließlich richtete sie ihr Augenmerk in die Höhe. Die Antwort befand sich über ihrem Kopf. Dort droben hatte er sich eine Art Schlafgemach eingerichtet, das nur über eine Leiter erreichbar war. Verschwenderische Vorhänge verbargen, wovon sie annahm, dass es sein Bett sei. Oberhalb davon verjüngte sich das Mauerwerk in ein schwarzes höhlenartiges Nichts. Minerva entschied, dass sie ihm ausreichend Zeit gelassen hatte, ein Hemd zu finden und sich repräsentabel zu kleiden. Sie räusperte sich und wandte sich zögernd zu ihm um. »Ich bin hergekommen, um zu fragen …«

Seine Lordschaft war immer noch halb nackt. Er hatte die Zeit nicht darauf verwendet, sich repräsentabel zu kleiden. Er hatte die Gelegenheit genutzt, die zur Auswahl stehenden Drinks zu inspizieren, und spähte gerade – ihr das Profil zugewandt – mit zusammengekniffenen Augen in ein Weinglas, um dessen Sauberkeit zu prüfen. »Wein?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Dank seiner ungehörigen Zurschaustellung brannte sich bereits eine heftige Röte einen Weg über ihre Haut – vom Dekolleté über die Wangen bis zu ihrem Scheitel. In diesem Sinne verspürte sie kaum das Bedürfnis, noch Wein auf die Flammen zu gießen. Als er sich selber ein Glas einschenkte, konnte sie es sich nicht versagen, ihren Blick auf seinen sehnig straffen Oberkörper zu heften, der überaus gefällig vom Licht des Feuers hervorgehoben wurde. Ihrer Meinung nach war er ein Teufel in Menschengestalt, indes hatte er jedoch den Körper eines jungen Gottes. Eine der niederen Gottheiten. Seine Konstitution war nicht die eines massigen, muskelgewaltigen Zeus oder Poseidon, sondern eher die eines geschmeidigen, athletischen Apoll oder Merkur. Ein Körper, nicht geschaffen, um zu kämpfen, sondern um zu jagen; nicht dafür, Keulen zu schwingen, sondern für die leise Pirsch; nicht, um ahnungslose Najaden bei ihrem Bad in mystischen Quellen zu überwältigen, sondern ausersehen, um zu … verführen. Er sah auf, und sie wandte schnell den Blick ab.

»Es tut mir leid, dass ich Sie aufgeweckt habe«, unternahm sie den Versuch einer Rechtfertigung.

»Sie haben mich nicht aufgeweckt.«

»In der Tat?« Sie maß ihn stirnrunzelnd. »Nun … in der langen Zeitspanne, die es brauchte, bis Sie mir aufmachten, hätten Sie sich gewiss ein paar Sachen überziehen können.«

Mit einem teuflischen Grinsen deutete er auf seine Hose. »Das tat ich.«

Herrje. Mit einem Mal brannten ihre Wangen wie Feuer. Sie sank in den Armsessel, beseelt von dem Wunsch, sie könnte durch dessen Polsternähte entschwinden.

Um Gottes willen, Minerva, nimm dich zusammen. Dianas Zukunft steht auf dem Spiel.

Er stellte den Wein auf den Tisch und ging zu einigen holzgezimmerten Borden hinüber, die ihm augenscheinlich als Kleiderschrank dienten. An der Seite, an einer Reihe von Haken, hing seine Überkleidung. Ein roter Offiziersrock, für die örtliche Miliz, die er in Abwesenheit des Earl of Rycliff befehligte. Mehrere erlesen geschneiderte, wahrhaft kostspielig anmutende Überröcke aus der Stadt. Ein Militärmantel aus graphitgrauem Wollzwirn. Er verschmähte all jene, schnappte sich stattdessen ein schmuckloses Leinenhemd und zerrte es sich über den Kopf. Kaum hatte er seine Hände durch die Manschetten geschoben, streckte er die Arme weit aus, um sich von Minerva begutachten zu lassen. »Besser?«

Nicht im wirklichen Sinne. Der auseinanderklaffende Hemdkragen enthüllte eine großzügige Ansicht seiner Brust – schon mit einem verstohlenen Blinzeln erkennbar, freimütiges Starren war nicht einmal notwendig. Wenn überhaupt, wirkte Seine Lordschaft höchstens noch anstößiger. Weniger wie ein unantastbarer, in Stein gemeißelter Gott und mehr wie ein lasterhafter Piratenkönig.

»Hier.« Er nahm den Militärmantel vom Haken und trug ihn zu ihr. »Er ist zumindest trocken.« Gleich nachdem er den Mantel über ihren Schoß gebreitet hatte, drückte er Minerva das Glas Wein in die Hand. Ein Siegelring funkelte an seinem kleinen Finger und schickte goldene Blitze durch den Stiel des Glases. »Keine Widerrede. Sie zittern so sehr, dass mir Ihr Zähneklappern nicht verborgen bleibt. Das Kaminfeuer und der Mantel sind zwar wohltuend, aber sie wärmen Sie nicht von innen.«

Minerva nahm das Glas und nippte behutsam daran. Ihre Finger zitterten tatsächlich, jedoch nicht ausschließlich von der Kälte.

Er zog einen Schemel heran, setzte sich darauf und fixierte sie mit erwartungsvollem Blick. »Nun?«

»Nun?«, wiederholte sie einfältig. In dieser Hinsicht hatte ihre Mutter recht. Minerva hielt sich für eine rechtschaffen intelligente Person, aber, gute Güte … attraktive Männer machten sie nervös. In ihrer Gegenwart war sie heillos durcheinander, wusste nie, wohin mit ihren Blicken oder wie zu antworten. Jede Erwiderung, die eigentlich geistreich und gescheit sein sollte, klang aus ihrem Munde bitter oder ungeschickt. Zuweilen reichte eine spöttische Bemerkung vonseiten Lord Paynes, um sie gänzlich in dumpfes Schweigen verfallen zu lassen. Erst Tage später, derweil sie mit einer Spitzhacke Felsgestein abschlug, wollte ihr dann die perfekte Retourkutsche in den Sinn kommen. Es war in der Tat erstaunlich. Je länger sie ihn jetzt anblickte, umso mehr fühlte sie um das Schwinden ihrer Intelligenz. Der dunkle Bartansatz eines einzigen Tages betonte aufs Trefflichste den kantigen Schnitt seiner Kinnpartie. Sein wirres braunes Haar ließ eine Ahnung jungenhafter Locken erkennen. Und seine Augen … Er hatte Augen wie Bristol-Diamanten. Kleine runde Kristalle, halbiert und auf Glanz poliert. Ein äußerer Ring, dunkel wie versteinertes Holz, umschloss kühlen Glimmer aus Quarz. Hunderte kristalliner Schattierungen von Bernstein und Graphit fanden sich darin. Sie schlug die Augen nieder. Genug der Aufregung.

»Beabsichtigen Sie, meine Schwester zu heiraten?«

Sekunden verstrichen.

»Welche?«

»Diana«, rief sie aus. »Diana natürlich. Charlotte ist erst fünfzehn.«

Er zuckte mit den Achseln. »Manche Männer bevorzugen eine junge Braut.«

»Und manche Männer haben der Ehe gänzlich abgeschworen. Sie erzählten mir, Sie seien einer von ihnen.«

»Ich erzählte Ihnen das? Wann?«

»Sie erinnern sich gewiss. In jener Nacht.«

Er starrte sie an, offenkundig war er verblüfft. »Wir hatten ›eine Nacht‹?«

»Nicht wie Sie denken.« Einige Monate zuvor hatte sie ihn im Park von Summerfield mit seinen skandalösen Indiskretionen und seinen Absichten bezüglich ihrer Schwester konfrontiert. Sie waren aneinandergeraten. Dann hatten sie sich gewissermaßen verheddert – körperlich –, bis sie mit ein paar schneidenden Bemerkungen und Bemühungen die Verstrickungen wieder lösen konnten. Unglücklicherweise war ihre wissenschaftliche Natur schonungslos analysierend. Minerva sperrte sich gegen die Details, die sie in jenen Momenten herausgefunden hatte. Was musste sie wissen, dass sein unterster Westenknopf exakt auf gleicher Höhe mit ihrem fünften Lendenwirbel war? Oder dass er schwach nach Leder und Gewürznelken duftete? Doch noch jetzt, Monate später, schien sie nicht imstande, diese Beobachtungen zu vergessen. Erst recht nicht, wenn sie unter seinen Militärmantel gekuschelt saß, umhüllt von geborgter Wärme und demselben würzigen maskulinen Duft. Natürlich hatte er die Begegnung in Gänze verdrängt. Kein Wunder. An den meisten Tagen vermochte er sich nicht einmal ihres Namens zu erinnern. Und wenn er mit ihr sprach, dann einzig, um sie zu verspotten. »Letzten Sommer«, half sie ihm, »Sie erklärten mir, Sie hätten keinerlei Pläne, Diana einen Antrag zu machen – oder einer anderen jungen Dame. Aber neuerdings besagt das Gerede im Dorf etwas anderes.«

»Tut es das?« Er drehte seinen Siegelring. »Nun, Ihre Schwester ist bezaubernd und anmutig. Und Ihre Mutter machte kein Geheimnis daraus, dass sie eine solche Verbindung begrüßen würde.«

Minerva krampfte ihre Zehen in den Stiefeln zusammen. »Das umschreibt es noch recht vorsichtig.«

Im Jahr zuvor waren die Highwoods für die Dauer der Sommerferien in diesen Seebadeort gekommen. Die Meeresluft, so hieß es, sollte Dianas angegriffener Gesundheit förderlich sein. Nun, Dianas Gesundheit war längst wiederhergestellt, und der Sommer war lange vorüber, doch die Highwoods waren noch immer hier – einzig wegen Mutters Hoffnungen auf eine Heirat zwischen Diana und diesem reizenden Viscount. Solange Lord Payne in Spindle Cove weilte, wollte ihre Mutter nichts von einer Rückkehr nach Hause hören. Sie hatte sogar einen eher ungewohnten Hang zum Optimismus entwickelt. Jeden Morgen, wenn sie ihre Schokolade umrührte, erklärte sie: »Ich fühle es, Mädchen. Heute ist der Tag, an dem er um ihre Hand anhalten wird.« Und obschon Minerva sicher war, dass Lord Payne zu der übelsten Sorte Mann gehörte, hatte sie sich nie durchgerungen zu widersprechen. Weil es ihr hier gefiel. Sie mochte nicht abreisen. In Spindle Cove hatte sie schließlich ihre Berufung gefunden. Hier, in ihrem unumschränkten, selbst ernannten Paradies, erkundete sie die an Fossilien reiche Felsküste, katalogisierte Funde, die es vermochten, Englands wissenschaftlichen Fachzirkeln Augen und Ohren zu öffnen – und das alles frei von Kümmernissen oder Kritik. Das Einzige, was die Vollkommenheit ihres Glücks trübte, war Lord Paynes Präsenz – und, welch seltsame Ironie des Lebens, selbige war wiederum der Grund, der ihr zu bleiben ermöglichte. Es schien nichts Verwerfliches daran, die Hoffnungen ihrer Mutter auf einen Heiratsantrag vonseiten Seiner Lordschaft zu nähren. Minerva war hinlänglich überzeugt, dass ohnehin kein Antrag kommen würde. Bis zum heutigen Morgen, als ihre Gewissheit zu bröckeln angefangen hatte.

»Heute Morgen war ich im All Things«, hob sie an, »für gewöhnlich ignoriere ich die Klatschgeschichten, die Sally Bright hinter der Ladentheke verbreitet, aber heute …« Sie schluckte schwer, ehe sie seinen Blick suchte. »Sie erzählte, dass Sie Anweisung gaben, Ihre Post ab der übernächsten Woche nach London weiterzuschicken. Sie meinte, dass Sie Spindle Cove zu verlassen gedenken.«

»Und daraus zogen Sie den Schluss, dass ich Ihre Schwester heiraten werde.«

»Nun, alle wissen um Ihre Situation. Wenn Sie nur zwei Schillinge in der Tasche hätten, wären Sie bereits vor Monaten abgereist. Sie sind hier gestrandet, bis Ihr Vermögen an Ihrem Geburtstag aus treuhänderischer Verwaltung an Sie übergeht, es sei denn …« Sie räusperte sich umständlich. »Es sei denn, Sie heiraten vorher.«

»Das ist alles schön und richtig.«

Sie neigte sich in ihrem Sessel vor. »Ich werde Sie im Zuge eines Herzschlags verlassen, wenn Sie nur Ihre Worte aus dem letzten Sommer wiederholen: dass Sie keinerlei Absichten gegenüber Diana hegen.«

»Aber das war letzten Sommer. Jetzt haben wir April. Ist es so unbegreiflich, dass ich mich anders besonnen haben könnte?«

»Ja.«

»Weswegen?« Er schnippte mit den Fingern. »Ich hab’s. Sie denken, dass es mir für einen solchen Sinneswandel an Verstand fehlt. Ist das der ausschlaggebende Punkt?«

Sie rückte bis an die Kante ihres Sessels vor. »Sie können sich nicht anders besinnen, weil Sie sich keines Besseren besonnen haben. Sie sind ein verachtungswürdiger, heuchlerischer Salonheld, der bei Tag mit arglosen Damen tändelt und sich des Nachts mit den Gattinnen anderer Männer einlässt.«

Er seufzte. »Hören Sie, Miranda. Seit Fiona Lange das Dorf verließ, habe ich nicht …«

Minerva hob abwiegelnd eine Hand. Sie mochte nichts hören über seine Affäre mit Mrs. Lange. Sie hatte mehr als genug von der Frau selbst gehört, die sich einbildete, eine Dichterin zu sein. Minerva wünschte, sie könnte jene Gedichte mit Scheuersand und Bürste aus den Tiefen ihres Gedächtnisses schrubben. Schlüpfrige, schwülstige Oden, die jeden nur erfindlichen Reim auf »Erbeben« und »Segen« erschöpften. »Sie dürfen meine Schwester nicht heiraten«, erklärte sie ihm, bemüht, Entschiedenheit in ihre Stimme zu legen. »Ich kann es schlicht nicht gutheißen.« So versessen ihre Mutter darauf war, es jedem zu erzählen, der es hören wollte – Diana Highwood verkörperte in der Tat den Inbegriff einer jungen Dame, die sich einen attraktiven Lord angeln konnte. Indes verblasste Dianas äußere Schönheit hinter ihrem liebenswürdigen, gutmütigen Wesen und der tapferen Gefasstheit, mit der sie zeitlebens den Widrigkeiten ihrer Krankheit getrotzt hatte. Diana könnte sich gewiss einen Viscount angeln. Doch bitte nicht diesen hier. »Sie verdienen sie nicht«, erklärte sie Lord Payne.

»Fürwahr. Wer von uns bekommt schon das, was er in diesem Leben wirklich verdient? Wo bliebe denn sonst der Sportsgeist?« Er nahm ihr das Glas aus der Hand und trank genüsslich einen Schluck Wein.

»Sie liebt Sie nicht.«

»Sie hegt keine Abneigung gegen mich. Liebe ist nicht unbedingt vonnöten.« Er lehnte sich vor und stützte einen Arm auf sein Knie. »Diana wäre zu höflich, mich abzuweisen. Ihre werte Frau Mutter wäre außer sich vor Freude. Mein Cousin würde umgehend die Sondergenehmigung schicken. Wir könnten noch in dieser Woche getraut werden. Sie könnten mich bis spätestens Sonntag Schwager nennen.«

Nein! Ihr gesamter Körper schrie es ihm entgegen. Bis zum letzten Blutstropfen. Sie warf den geliehenen Militärmantel beiseite, fuhr aus dem Sessel hoch und begann, auf dem dicken Teppich auf und ab zu laufen. Die nassen Falten ihres Rocks wickelten sich bei jedem Schritt um ihre Fesseln. »Es darf nicht geschehen. Es kann und wird nicht geschehen.« Ein leises Schnauben brach sich Bahn durch ihre aufeinandergebissenen Zähne. Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Ich habe zweiundzwanzig Pfund von meinem Taschengeld zusammengespart. Das und ein wenig Münzgeld. Es gehört Ihnen, alles, wenn Sie versprechen, Diana künftig in Ruhe zu lassen.«

»Zweiundzwanzig Pfund?« Er schüttelte den Kopf. »Ihr schwesterliches Opfer ist anrührend. Aber dieser Betrag würde mir in London nicht einmal für eine Woche reichen. Nicht bei meinem Lebensstil.«

Sie biss sich auf die Lippe. Obschon sie Derartiges befürchtet hatte, hatte sie der Hoffnung nachgegeben, dass es nicht schaden könnte, es zunächst mit Bestechung zu versuchen. Es wäre um einiges einfacher gewesen. Sie nahm einen tiefen Atemzug und reckte ihr Kinn. Hier war sie – ihre letzte Chance, ihn davon abzubringen. »Dann brennen Sie doch stattdessen mit mir durch.«

Nach einem Augenblick verdutzten Schweigens brach er in schallendes Gelächter aus.

Sie ließ die Spottkaskade über sich ergehen und harrte geduldig aus, die Arme unter ihrer Brust verschränkt, bis sein Lachanfall mit einem erstickten Husten am Ende verebbte.

»Grundgütiger«, röchelte er. »Ist es Ihnen damit ernst?«

»Absolut ernst. Schlagen Sie sich Diana aus dem Kopf und brennen Sie mit mir durch.«

Er leerte das Weinglas und stellte es beiseite. Dann räusperte er sich und sagte: »Das ist mutig von Ihnen, kleine Lady. Dass Sie sich anstelle Ihrer Schwester für eine Heirat mit mir anbieten. Aber offen gestanden bin ich …«

»Mein Name ist Minerva. Und ich bin nicht Ihre kleine Lady. Und Sie sind nicht Herr Ihrer Sinne, wenn Sie denken, dass ich Sie jemals heiraten würde.«

»Aber ich dachte, Sie sagten gerade …«

»Dass ich mit Ihnen durchbrenne, ganz recht. Aber Sie heiraten?« Sie lachte auf. »Ich darf doch sehr bitten.«

Er blinzelte sie an.

»Wie ich sehe, tragen Sie sich mit Verwirrung.«

»Oh, trefflich geschätzt. Ich hätte es selber eingeräumt, aber ich weiß, welches Vergnügen es Ihnen bereitet, auf meinen intellektuellen Unzulänglichkeiten herumzureiten.«

Sie kramte in den Innentaschen ihres Umhangs und förderte ihre Ausgabe des wissenschaftlichen Journals zutage. Sie schlug die Ankündigungsseite auf und hielt sie ihm zum Lesen hin. »Ende dieses Monats findet eine Zusammenkunft der Royal Geological Society statt. Ein Symposium. Wenn Sie sich einverstanden erklären, mich zu begleiten, sollten meine Ersparnisse reichen, unsere Reise zu finanzieren.«

»Ein Geologie-Symposium.« Er warf einen Blick auf die Magazinseite. »Das also ist Ihr skandalöses mitternächtliches Angebot. Um mir selbiges zu unterbreiten, haben Sie den mühseligen Marsch durch die kalte, regnerische Dunkelheit auf sich genommen. Sie laden mich zu einem Geologie-Symposium ein, wenn ich mich von Ihrer Schwester abwende.«

»Was dachten Sie denn, was ich Ihnen anzubieten hätte? Sieben Nächte verruchter fleischlicher Begierden in Ihrem Schlafgemach?« Minerva hatte einen Scherz machen wollen, doch er lachte nicht. Stattdessen betrachtete er ihr vom Regen durchnässtes Gewand. Sie wurde hummerrot. Verflixt und zugenäht. Dass sie aber auch jedes Mal das Falsche sagen musste!

»Ein solches Angebot hätte ich beileibe reizvoller gefunden«, bekannte er.

Im Ernst? Sie biss sich auf die Zunge, um sich daran zu hindern, die Worte laut auszusprechen. Wie erniedrigend einzugestehen, wie sehr sie seine beiläufige Bemerkung faszinierte. Er würde die Befriedigung fleischlicher Begierden mit mir einem Vortrag über nutzlosen Schutt vorziehen. Ein erhebendes Kompliment, in der Tat.

»Ein Geologie-Symposium«, wiederholte er, mehr zu sich selbst gewandt. »Ich hätte mir denken können, dass irgendwelche alten Steine dahinterstecken.«

»Hinter allem stecken Steine. Deswegen finden wir Geologen sie so interessant. Wie dem auch sei, ich will Sie gar nicht für die Fachtagung als solche erwärmen. Ich möchte Sie für die Aussicht auf fünfhundert Guineen begeistern.«

Jetzt hatte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Seine Pupillen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. »Fünfhundert Guineen, sagten Sie?«

»Ja. Die beste Präsentation ist mit einem Preisgeld dotiert. Wenn Sie mich dorthin begleiten und mir helfen, meine Erkenntnisse vor der Gesellschaft zu präsentieren, ist die Summe die Ihrige. Fünfhundert Guineen dürften auch in London genügen, um dort bis zu Ihrem Geburtstag Alkohol und Laster zu frönen, so hoffe ich doch?«

Er nickte. »Mit ein wenig geschickter Einteilung. Ich wäre vermutlich gehalten, von dem Kauf neuer Stiefel abzusehen, aber man muss schließlich auch Opfer bringen können.« Er erhob sich, sodass sie einander auf Augenhöhe begegneten. »Allerdings hat die Sache einen Haken. Wie können Sie denn sicher sein, dass Sie die Auszeichnung erhalten und das Preisgeld gewinnen?«

»Ich werde gewinnen. Ich könnte Ihnen meine Funde bis ins Kleinste erläutern, aber das würde eine Menge mehrsilbiger Begriffe erfordern. Ich weiß nicht, ob Sie dem momentan folgen könnten. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass ich mir über die Maßen gewiss bin.« Er bedachte sie mit einem forschenden Blick, und Minerva raffte die Willenskraft zusammen, diesem standzuhalten. Fest, selbstsicher, ohne ein Wimpernzucken. Einen Herzschlag darauf wurden seine Augen von einem ungewohnten Schimmer erwärmt. Eine Gefühlsregung, die sie noch niemals bei ihm wahrgenommen hatte. Sie meinte fast, es handele sich um … Respekt.

»Nun«, sagte er. »Selbstsicherheit steht Ihnen gut zu Gesicht.«

Ihr Herz verstieg sich zu einem eigentümlichen Flattern. Es war das Netteste, das er jemals zu ihr gesagt hatte. Vielleicht war es sogar das Netteste, was jemand überhaupt jemals zu ihr gesagt hatte, dachte sie. Selbstsicherheit steht Ihnen gut zu Gesicht. Seine Bemerkung hatte eine besondere Wirkung auf sie. Die Unze Wein, die sie getrunken hatte, breitete sich warm und entspannend in ihrem Magen aus. Das Linkische war wie fortgewischt. Sie fühlte sich wohl in ihrer Umgebung und zusehends selbstbewusster. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, eine mitternächtliche Konversation in einem Gefechtsturm zu führen, mit einem mehr schlecht als recht bekleideten Bonvivant. Sie ließ sich unbeschwert in den Armsessel sinken und schob die Hände in ihre Haare, fand die letzten verbliebenen Haarnadeln und zupfte sie heraus. Mit sanften, verträumten Bewegungen kämmte sie mit den Fingern durch ihre feuchten Locken und fächerte sie um ihre Schultern, allem Anschein nach, damit sie besser trockneten.

Er stand da und beobachtete sie für einen langen Moment, ehe er sich anschickte, Wein nachzugießen. Ein schwelgerisches Band rubinroter Flüssigkeit wirbelte in das Glas. »Seien Sie versichert, dass ich mich auf dieses törichte Vorhaben nicht einlassen werde. Nicht einmal in Ihren kühnsten Hirngespinsten. Nur um der geistigen Erhellung willen: Wie haben Sie sich das überhaupt vorgestellt? Eines Morgens stehen wir auf und brennen gemeinsam nach London durch?«

»Nein, nicht nach London. Das Symposium findet in Edinburgh statt.«

»Edinburgh …« Klong. Die Flasche traf mit einem harten Klirren auf dem Tisch auf. »Das Edinburgh in Schottland?«

Sie nickte.

»Ich dachte, Sie meinten die Royal Geological Society.«

»Ganz recht.« Sie winkte ihm mit dem Fachjournal. »Die Royal Geological Society of Scotland. Wussten Sie das nicht? Edinburgh ist das Zentrum wissenschaftlicher Gelehrsamkeit.«

Er trat zu ihr und warf einen Blick auf das Journal. »Heilige Mutter Gottes, das Symposium findet in weniger als zwei Wochen statt. Marietta, begreifen Sie denn nicht, was eine Fahrt nach Schottland bedeutet? Sie sprechen von einer mindestens vierzehntägigen Reise.«

»Vier Tage. Wenn wir von London aus mit der Postkutsche fahren. Ich habe das überprüft.«

»Mit der Postkutsche? Kleiner Schlaukopf, ein Viscount reist nicht in einer Postkutsche.« Kopfschüttelnd nahm er ihr gegenüber Platz. »Und wie wird Ihre geschätzte Frau Mutter die Nachricht auffassen, wenn Sie herausfindet, dass Sie in Begleitung eines skandalumwitterten Lords nach Schottland ausgerissen sind?«

»Oh, sie wird begeistert sein. Solange eine ihrer Töchter sich mit Ihnen verehelicht, wird sie es nicht so genau nehmen.« Minerva befreite ihre Füße aus den nassen, schmutzverkrusteten Stiefeln, zog die Beine unter ihre Röcke und klemmte die ausgekühlten Fersen unter ihren Allerwertesten. »Es ist genial, begreifen Sie das nicht? Wir werden es so darstellen, als wären wir miteinander durchgebrannt. Meine Mutter wird keinerlei Protest erheben, von Lord Rycliff gar nicht zu reden. Er wird über die Maßen froh sein über die Aussicht, dass Sie endlich heiraten. Wir werden nach Schottland fahren, die Ergebnisse meiner Forschungen präsentieren und das Preisgeld kassieren. Danach werden wir allen erzählen, dass es mit uns beiden nicht geklappt hat.« Je länger sie ihr Vorhaben schilderte, desto leichter gingen ihr die Worte über die Lippen, und umso aufgeregter wurde sie. Es war machbar. Ihr Plan könnte wirklich und wahrhaftig gelingen.

»Dann wollen Sie also nach Wochen der Reise mit mir unvermählt nach Spindle Cove zurückkehren? Begreifen Sie denn nicht, dass Sie …«

»Dass ich in den Augen der guten Gesellschaft ruiniert wäre? Dessen bin ich mir durchaus bewusst.« Sie spähte in das knisternde Feuer. »Ich bin willens, dieses Schicksal zu akzeptieren. Ich hege ohnehin nicht den Wunsch nach einer gesellschaftsfähigen Vermählung.« Ich hege keine Hoffnung, um genau zu sein. Der Gedanke an Skandal und Klatsch war ihr indessen zuwider. Aber wäre es wirklich so viel schlimmer, von der feinen Gesellschaft geschnitten zu werden, als sich fortwährend an ihren Rand gedrängt zu fühlen?

»Aber was ist mit Ihren Schwestern? Ein gewisser Schatten wird auch auf ihr Ansehen fallen.«

Seine Bemerkung stimmte sie nachdenklich. Aber es war keineswegs so, als hätte sie diese Möglichkeit nicht bedacht. Im Gegenteil, sie hatte sämtliche Eventualitäten sorgsam ins Kalkül gezogen. »Charlotte bleiben noch Jahre bis zu ihrem Debüt«, führte sie aus. »Sie wird einen kleinen Skandal verwinden können. Und was Diana anlangt … Bisweilen denke ich, die größte Gefälligkeit, die ich meiner Schwester erweisen kann, ist die, ihre Chancen auf eine ›gute‹ Partie zu zerstören. Dann wäre sie frei für eine Liebesheirat.«

Er nippte nachdenklich an seinem Weinglas. »Nun, ich bin froh, dass Sie alle Eventualitäten zu Ihrer Zufriedenheit gelöst haben. Sie haben keinerlei Skrupel, Ihren Ruf zugrunde zu richten, und überdies den Ihrer Schwestern. Aber haben Sie auch nur einen einzigen Gedanken an meinen verschwendet?«

»An Ihren was? Ihren Ruf?« Sie lachte. »Aber Ihr Ruf ist bereits entsetzlich.«

Seine Wangen verfärbten sich um eine Nuance ins Rötliche. »Ich weiß nichts davon, dass er entsetzlich wäre.«

Sie legte ihren linken Zeigefinger auf den rechten Daumen. »Punkt eins: Sie sind ein leichtfertiger Lebemann.«

»Jaaa.« Er ließ das Wort auf der Zunge zergehen.

Sie tippte auf ihren Zeigefinger. »Punkt zwei: Ihr Name ist bedeutungsgleich mit Zerstörung. Raufereien in Tavernen, Skandale … wahre Explosionen. Wo Sie auch hingehen, das Chaos folgt Ihnen auf dem Fuß.«

»Ich wasche meine Hände in Unschuld. Es … passiert einfach.« Er rieb sich mit einer Hand über das Gesicht.

»Dennoch sind Sie in Sorge, mein Ansinnen könnte Ihrem Ruf abträglich sein?«

»So ist es.« Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf seine Knie, mit der Hand, die das Weinglas hielt, beschrieb er eine vage Geste in der Luft. »Ich bin ein Liebhaber von Frauen, ja.« Dann hob er seine leere Hand. »Und ja, ich scheine alles zu zerstören, was ich anrühre. Aber bislang ist es mir gelungen, diese beiden Neigungen streng zu trennen, verstehen Sie? Ich beglücke Frauen, und ich zerstöre Dinge, aber ich habe noch niemals eine unschuldige Frau ruiniert.«

»Vermutlich ist das einem bloßen Versehen Ihrerseits geschuldet.«

Er schmunzelte. »Vielleicht. Aber es ist keines, das ich zu korrigieren gedenke.«

Sein Blick begegnete ihrem, offen und ernst. Und das Merkwürdige geschah. Minerva glaubte ihm. Dies war ein Aspekt, den sie niemals in Betracht gezogen hatte. Dass er aus Prinzip Einwände vorbringen würden. Sie hätte nicht im Traum gedacht, dass er sich mit Skrupeln trug, andere Menschen zu verletzen. Doch das tat er ganz offenkundig. Und er enthüllte es ihr, in einer Geste des Vertrauens. Als wären sie Freunde, und er würde sich darauf verlassen, dass sie ihn verstand. Irgendetwas hatte sich zwischen ihnen verändert – in den gerade einmal zehn Minuten, seit sie durch seine Tür getreten war. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und betrachtete ihn. »Bei Nacht sind Sie ein anderer Mensch.«

»Das bin ich«, bekräftigte er ohne Umschweife. »Sie aber auch.«

Sie schüttelte den Kopf. »In meinem Innern bin ich ein und dieselbe Person. »Es ist bloß …« Irgendwie will es mir nie gelingen, diese Person zu sein, wenn Sie in der Nähe sind.Je ärger ich mich bemühe, desto mehr stehe ich mir selber im Weg.

»Hören Sie, Ihre Einladung ehrt mich, doch es ist ausgeschlossen, dass die von Ihnen vorgeschlagene Exkursion stattfindet. Nach meiner Rückkehr würde ich wie der niederträchtigste Verführer und Schuft dastehen. Und das zu Recht. Mit einer unschuldigen jungen Dame durchzubrennen und diese dann schändlich zu verlassen?«

»Weswegen könnte ich nicht diejenige sein, Sie zu verlassen?«

Ein kleines Kichern entschlüpfte ihm. »Aber wer würde das jemals …?« Er stockte mitten in seiner Entgegnung. Einen Augenblick zu spät.

»Wer würde das jemals glauben«, beendete sie den Satz für ihn. »Wer, fürwahr.«

Fluchend stellte er das Weinglas beiseite. »Ich bitte Sie. Nehmen Sie daran keinen Anstoß.«

Zehn Minuten zuvor hätte sie noch damit gerechnet, dass er auf eine solche Bemerkung hin gelacht hätte. Sie wäre auf seinen Spott gefasst gewesen und hätte nicht zugelassen, dass er Zeuge wurde, wie er schmerzte. Doch die Dinge hatten sich geändert. Sie hatte seinen Mantel und seinen Wein akzeptiert. Mehr als das, auch seine Aufrichtigkeit. Sie hatte ihre Vorsicht abgelegt. Und nun das. Es schnitt ihr ins Herz. Ihre Augen brannten. »Es ist undenkbar. Das ist es, was Sie damit sagen wollen, nicht wahr? Was alle sagen würden. Es liegt jenseits der Kraft aller Vorstellung, dass sich ein Mann wie Sie«, sie schluckte, »zu einem Mädchen wie mir hingezogen fühlen könnte.«

»So habe ich das nicht gemeint.«

»Oh doch, das haben Sie. Es ist absurd. Grotesk. Die Vorstellung, dass Sie mich begehren und ich Sie verschmähen könnte? Ich bin unscheinbar. Belehrend, zerstreut, linkisch. Ein hoffnungsloser Fall.« Ihre Stimme brach. »In der gesamten Erdgeschichte würde das niemand glauben.« Hastig zwängte sie ihre Füße in die Stiefel. Dann sprang sie auf und griff nach ihrem Umhang.

Er stand gleichfalls auf und ergriff ihre Hand. Sie entzog sie ihm, jedoch nicht rasch genug. Seine Finger schlossen sich um ihr Handgelenk. »Sie würden es glauben«, sagte er. »Ich könnte sie das glauben machen.«

»Sie grässlicher, spöttischer Mensch. Sie können sich nicht einmal meinen Namen merken.« Sie wand sich in seiner Umklammerung.

Er verstärkte seinen Griff. »Minerva.«

Ihr Körper erlahmte in seinen Bewegungen. Der Atem brannte in ihrer Lunge, als hätte sie sich durch brusthohen Schnee gekämpft.

»Nun hören Sie mir einmal gut zu«, hob er an, seine Stimme klang weich und dunkel. »Ich könnte sie das glauben machen. Ich werde es indes nicht tun, weil ich denke, dass Ihr Plan ein höchst unsinniger Einfall ist. Aber ich könnte es. Wenn ich wollte, könnte ich ganz Spindle Cove – ganz England – davon überzeugen, dass ich Ihnen mit Haut und Haaren verfallen bin.«

Sie schnaubte. »Ich darf doch bitten.«

Er lächelte. »Nein, im Ernst. Es wäre mir ein Leichtes. Ich würde beginnen, indem ich Sie betrachte, wenn Sie es nicht bemerken. Verstohlene Blicke, wenn Sie in Gedanken versunken sind oder wenn Sie Ihren Kopf über ein Buch gesenkt haben. Ich würde bewundern, wie es jenen dunklen wilden Locken immerzu gelingt, den Haarnadeln zu entwischen und sich in Ihren Nacken zu ringeln.« Mit den Fingerspitzen seiner freien Hand ergriff er eine ihrer feuchten Strähnen und schob sie sanft hinter ihr Ohr. Dann strich er mit einer federleichten Berührung über ihre Wange. »Ich würde den warmen Schimmer Ihrer Haut wahrnehmen, dort, wo die Sonne sie geküsst hat. Und diese Lippen. Verdammt. Es steht anzunehmen, dass ich eine rechte Faszination für Ihre Lippen entwickeln müsste.« Sein Daumen schwebte über ihrem Mund, neckte sie mit süßen Verheißungen.

Sie sehnte seine Berührung herbei, bis es sie regelrecht deprimierte. Diese … vermaledeite Sehnsucht.

»Es würde nicht allzu lange dauern. Bald schon würden alle um uns herum mein Interesse bemerken«, fuhr er fort. »Sie würden meine Hingabe nicht anzweifeln.«

»Sie verspotten mich seit Monaten ohne Gnade. Keiner würde dies je vergessen.«

»Alles Teil des Zugetanseins. Wussten Sie das nicht? Ein Mann ist imstande, sich mit Gleichgültigkeit, ja sogar Verachtung auf einen Flirt einzulassen, aber er spottet niemals ohne Zuneigung.«

»Ich glaube Ihnen nicht.«

»Das sollten Sie aber. Andere würden es tun.« Er legte seine Hände auf ihre Schultern. Sein Blick streifte über ihren Körper, von den Stiefeln bis zu den gelösten Haaren. »Ich könnte die Leute samt und sonders glauben machen, dass ich von einer wilden, animalischen Leidenschaft für diese bezaubernde Lady mit Haar, schwarz und glänzend wie Rabengefieder, und den schwelgerischen Lippen verzehrt werde. Dass ich ihre glühende Loyalität zu ihren Schwestern und ihren mutigen, erfinderischen Geist bewundere. Dass sie mich mit Andeutungen auf eine tiefe, verborgene Leidenschaft betört, die ihr zuweilen entschlüpfen, wenn sie sich aus ihrem Schneckenhaus herauswagt.« Seine starken Hände glitten höher, umschlossen ihr Gesicht. Seine Bristol-Diamanten-Augen hielten ihre gefangen. »Dass ich in ihr eine seltene ungezähmte Schönheit sehe, die anderen Männern bisher scheinbar verborgen blieb. Und dass ich sie begehre. Verzweifelt. Für mich allein. Oh, ich könnte die Leute dies alles glauben machen.«

Der lange, tiefgründige Schwall von Worten hatte eine Art Zauber auf sie ausgeübt. Minerva verharrte wie hypnotisiert, unfähig, sich zu rühren oder zu sprechen. Es ist nicht real, ermahnte sie sich. Keines seiner Worte ist von Bedeutung. Doch seine Liebkosung war real. Wahrhaftig und warm und zärtlich. Es konnte zu viel besagen, wenn sie dem nachgab. Vorsicht riet ihr, sich von ihm loszureißen. Doch stattdessen bedachte sie seine Schulter mit einer leichten, bebenden Berührung. Törichte Hand. Törichte Finger.

»Wenn ich es wünschte«, murmelte er, während er sie an sich zog und ihr Gesicht an seines hob, »könnte ich jeden überzeugen, dass der wahre Grund, weshalb ich in Spindle Cove geblieben bin – eine Monate währende Zerreißprobe –, nichts mit meinem Cousin oder meinen Finanzen zu schaffen hat. Sondern dass es einzig Ihretwegen war, Minerva.« Er streichelte ihre Wange, so zärtlich, dass es ihr das Herz brach. »Dass es stets Sie gewesen sind.« Seine Augen blickten ernst, kein Argwohn war darin zu lesen. Nicht der Hauch von Ironie lag in seiner Stimme. Er schien sich annähernd selbst überzeugt zu haben.

Ihr Herz trommelte mit ungestümer Macht in ihrer Brust. Jener wilde, hämmernde Rhythmus war alles, was sie wahrnahm. Bis ein anderes Geräusch an ihre Ohren drängte. Lachen. Das Lachen einer Frau. Es sprudelte von oben herab wie eine Kaskade eisigen Wassers. Ein jäher Schwall lähmenden Entsetzens. Oh Gott.

»Teufel noch!« Er blickte zu seiner Schlafstatt hinauf.

Minerva folgte seinem Blick. Hinter den zugezogenen Vorhängen des Baldachins lachte abermals die unsichtbare Frau. Lachte über sie, Minerva. Oh Gott. Oh Gott. Wie hatte sie bloß so unbesonnen sein können? Natürlich war er nicht allein. Er hatte ihr das mit Andeutungen zu verstehen gegeben. Er hatte endlos lange gebraucht, um das Portal zu öffnen, doch hatte er noch nicht geschlafen. Er hatte in seinem Tun innegehalten, um als Erstes … eine Hose überzustreifen. Ohgottohgottohgott. Die ganze Zeit. Wer immer die Unbekannte dort oben sein mochte, sie hatte die ganze Zeit gelauscht. Minerva angelte wie betäubt nach ihrem Umhang und zerrte ihn mit fahrigen Fingern um ihre Schultern. Die rauchgeschwängerte Wärme des Feuers war mit einem Mal undurchdringlich und schwer. Erstickend. Sie musste diesen Ort schleunigst verlassen. Sie spürte eine aufsteigende Übelkeit.

»Warten Sie.« Er folgte ihr zur Tür. »Es ist nicht, wie es scheint.«

Sie warf ihm einen eisigen Blick zu.

»Nun gut, es ist mehr oder weniger, wie es scheint. Ich schwöre jedoch, mir war entfallen, dass sie überhaupt hier ist.«

Sie hielt in ihrem Kampf mit der Türklinke inne. »Was wollen Sie mit dieser Behauptung bewirken? Dass ich eine bessere Meinung von Ihnen habe?«

»Nein.« Er seufzte. »Es soll bewirken, dass Sie eine bessere Meinung von sichselbst haben. Das ist alles, was ich damit bezwecke. Dass Sie sich besser fühlen.«

Unglaublich, wie er mit dieser einen Bemerkung eine entsetzliche Situation noch ein Dutzend Mal schlimmer machte. »Ich bin im Bilde. Für gewöhnlich reservieren Sie die unaufrichtigen Komplimente für Ihre Geliebten. Aber Ihnen war daran gelegen, ein Exempel der Nächstenliebe zu statuieren.« Er hob zu einer Gegenrede an, doch sie schnitt ihm das Wort ab. Sie spähte zu der Empore hinauf. »Wer ist sie?«

»Ist das von Belang?«

»Ob das von Belang ist?« Mit einem Ruck riss sie das Portal auf. »Gütiger Himmel! Sind Frauen derart austauschbar und anonym für Sie? Sie verlieren sie aus den Augen … wie wertlose Pennys, in den Falten Ihres Bettleinens! Ich kann nicht glauben, dass ich …« Eine heiße Träne rann über ihre Wange. Sie hasste diese Träne. Hasste, dass er Zeuge ihrer Verzweiflung wurde. Ein Mann wie dieser war es nicht wert, dass man um ihn weinte. Es war bloß … in jenem Augenblick am Kamin, nach Jahren der Nichtbeachtung, hatte sie sich endlich beachtet gewähnt. Geschätzt. Geachtet. Doch es war alles eine Lüge gewesen. Ein alberner, lachhafter Scherz.

Er hüllte sich in seinen Militärmantel. »Erlauben Sie mir im Mindesten, dass ich Sie nach Hause begleite.«

»Unterstehen Sie sich! Bleiben Sie, wo Sie sind. Wagen Sie es nicht, in meine oder in die Nähe meiner Schwester zu kommen.« Sie streckte abwehrend eine Hand von sich, derweil sie rücklings durch die Tür zurückwich. »Sie sind der unausstehlichste, schamloseste, entsetzlichste, verachtungswürdigste Mann, welchen kennenzulernen ich jemals das Missvergnügen hatte. Wie können Sie nachts überhaupt ruhig schlafen?«

Seine Erwiderung kam, als sie gerade die Tür zuschlug. »Gar nicht.«

2

In dieser Nacht fand er keinen Schlaf. Nachdem Minerva Highwood in den Regen hinausgestürmt war, vermochte selbst ein zügelloser, gewissenloser Salonheld wie Colin nicht, dort fortzufahren, wo er innegehalten hatte. Er scheuchte die Witwe aufs Höflichste aus seinem Bett, half ihr beim Ankleiden und brachte sie zurück ins Dorf. Sobald er sich vergewissert hatte, dass Minerva dort wohlbehalten angekommen war– er erspähte ihre schmutzverkrusteten Stiefel draußen vor dem Hintereingang der Gästepension–, kehrte er in sein Wohnquartier im Schloss zurück und entkorkte eine weitere Flasche Wein. Dennoch schlief er nicht den Hauch eines Augenzwinkerns. Das tat er nie. Nicht nachts, nicht allein. Gott, er hasste das Landleben. Sämtlicher Sonnenschein und die Seeluft in Sussex konnten die finsteren, totenstillen Nächte nicht aufwiegen. Wenn er doch nur eine Nacht lang durchschlafen könnte. In letzter Zeit dachte Colin des Öfteren, dass er seine linke Brustwarze hergeben würde– seine Testikel blieben außen vor– für eine anständige Mütze Schlaf. Seitdem Fiona Lange das Dorf verlassen hatte, war es ihm bestenfalls geglückt, in der Dämmerung des frühen Morgens ein paar Stunden zu dösen. Die meiste Zeit des Winters hatte er sich sinnlos betrunken, bis der nächtliche Vollrausch ihn betäubt machte. Doch sein Körper, vom Schlafmangel bereits auf eine harte Probe gestellt, begann angesichts des fortschreitenden Alkoholmissbrauchs aufzubegehren. Wenn er nicht achtgab, würde er ein gewohnheitsmäßiger Trinker werden. Dafür war er zu jung, verdammt noch mal. Also hatte er schließlich nachgegeben und war der unmissverständlichen Einladung gefolgt, die Mrs.Ginny Watson mit betörendem Lächeln und aufreizendem Hüftschwung seit Längerem an ihn gerichtet hatte. Er hatte den Avancen der jungen Witwe über Monate hinweg widerstanden, nicht gewillt, sich mit einer weiteren Dorfbewohnerin einzulassen. Aber jetzt war sein Aufbruch nur noch eine Sache von wenigen Tagen. Warum sich seine letzten Nächte nicht erträglicher gestalten? Wer könnte sich dadurch verletzt fühlen?

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