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In einer postapokalyptischen und dystopischen Welt stehen übernatürliche Kreaturen an der Spitze der Nahrungskette. Der Waisenknabe Elio wächst in einer der wenigen menschlichen Gemeinschaften auf, die in jener Welt noch existieren. Von ihren Bewohnern wird sie das Lager genannt. Als seine einzigen Freunde Lias und Theo tragischerweise durch den Angriff der furchterregendsten Bestie ums Leben kommen, wird Elio von einem tapferen Krieger des Lagers gerettet. Von Schuldgefühlen getrieben beginnt er, in seinem Retter einen Mentor zu sehen und erwägt sogar, in dessen Fußstapfen zu treten. Jetzt liegt es an ihm, herauszufinden, ob der mysteriöse Mann, den die Bewohner den großen Krieger nennen, wirklich der ist, der er vorgibt zu sein oder bloß eine trügerische Fassade aufrechterhält.
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Seitenzahl: 637
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1. KAPITEL- RACHEGELÜSTE
2. KAPITEL- DAS BLUTBAD IM FERNEN SÜDEN
3. KAPITEL- EIN NEUER FREUND UND EIN FEIGLING
4. KAPITEL- DER FLUCH DES SANDMEERS
5. KAPITEL- TÄNZELNDE FLAMMEN
6. KAPITEL- DER ANFANG VOM ENDE
7. KAPITEL- DER WALDBRAND UND DAS BLUTBAD HINTER GITTERN
8. KAPITEL- EIN ALPTRAUM VOR DEM WEG DES KRIEGERS
9. KAPITEL- EINE LETZTE HÜRDE
10. KAPITEL- DIE SCHMIEDE
11. KAPITEL- DER FEDERSCHWEIF
12. KAPITEL- VERLETZTE SCHMETTERLINGE
13. KAPITEL- BLUTIGE AUGEN
14. KAPITEL- EIN TÖDLICHER ALBTRAUM
15. KAPITEL- DER SANDTÜMPEL
16. KAPITEL- AARON
17. KAPITEL- DAS ERWACHEN
18. KAPITEL- LICHTER IN DER DUNKELHEIT
19. KAPITEL- AUF DEN SPUREN DER MICROCHILUPUS
20. KAPITEL- DIE HÖHLE
21. KAPITEL- DANIEL
22. KAPITEL- NORA
23. KAPITEL- DER URSUSLUPUS
24. KAPITEL- HOFFNUNGSSCHIMMER
25. KAPITEL- BLICKE IN DIE STERNE
26. KAPITEL- DER STURM DER BESTIEN
27. KAPITEL- SCHIMMER EINER FREMDEN WELT
An einem Tag hatte Lias seinem besten Freund Elio anvertraut, dass seine Eltern durch einen Angriff der schrecklichsten Bestie ihrer verlorenen Welt ums Leben gekommen waren. Das blutige Trauma hatte sich ereignet, als er noch ein kleines Kind gewesen war. Gemütlich saßen die beiden am Feuer des Lagers. Erschreckend detailliert beschrieb Lias, wie er sich damals gefühlt hatte. Seine Erzählung war so lebendig, als würde er diese Zeit noch einmal erleben:
„Ich lebte in einer anderen Wohngemeinschaft, welche dem Territorium der Bestie um einiges näher war. Dort gab es viel weniger Bewohner, vor allem die Ausrüstung der wenigen Krieger ließ zu wünschen übrig.
In der besagten Nacht war ich von qualvollen Schreien und einem scharfen Fauchen von draußen geweckt worden. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass meine Eltern, die mich zuvor liebevoll in den Schlaf gewiegt hatten, verschwunden waren. Ich bekam schreckliche Angst. Hektisch warf ich die dicke Wolldecke beiseite, um zu dem geöffneten Spalt des Gemachs zu krabbeln. Meine Angst stieg noch mehr an, weil dieser nicht verschlossen war. In der Regel achtete meine Mutter darauf, das zu tun, bevor sie mich allein ließ. Die Schreie wurden immer lauter. Als ich auf allen vieren zu dem offenen Spalt kroch, spielte sich etwas vor meinen Augen ab, was meine Sicht auf das Leben drastisch veränderte.
Die Zelte, die mir schon immer Sicherheit und Geborgenheit geboten hatten, waren in grellen Flammen aufgegangen. Ich sah viele vertraute Menschen, die durch die nackte Angst in ihren blutverschmierten Gesichtern kaum noch wiederzuerkennen waren.
„Lauf weg, mein Kind!“, rief mir eine Frau zu, die bereits seitdem ich denken konnte, eine Freundin meiner Mutter war. Benommen taumelte sie in verschiedene Richtungen. Plötzlich fiel sie hin, ihr Gesicht war auf einen Stein geprallt. Durch den Schock, der in all meinen Gliedern steckte, war ich wie versteinert stehen geblieben. Panisch beobachtete ich, wie aus ihrem Kopf dunkles Blut geströmt kam, welches sich auf der Erde verteilte. Es war auf mich zugekommen.“
Seine Augen waren aufgerissen, als sähe er genau den Moment noch einmal vor sich. Zu Elio sagte er:
„Es hat meine Hände überschwemmt.“
Eine Gänsehaut überzog Elio, es musste schrecklich gewesen sein. Voller Spannung klebte er an Lias Lippen, als dieser weitersprach:
„Einen Augenblick später erblickte ich erstmals die furchteinflößende Bestie, die auf ihren sechs gewaltigen Pranken inmitten der schreienden Menschen über die Trümmer der Zelte gestapft kam. In jener Nacht sah ich die gelb-funkelnden Augen, die von nun an meine schlimmsten Albträume prägten. Schließlich musste ich mitansehen, wie die giftigen Saugnäpfe sich an immer mehr panische Bewohner hefteten. Diese waren winselnd in sich zusammengesackt. Die langen Fühler suchten nach weiteren Zielen. Das gewaltige Maul riss Fleischfetzen aus den regungslosen Menschen. Die Zähne waren mit Blut getränkt. Immer wieder glaubte ich, auf dem Tigerkopf mit dem weit aufgerissenen Maul ein dämonisches Lächeln zu sehen. Doch zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass mich dies für den Rest meines Lebens begleiten würde.“
Der Teil, der jetzt kam, bewegte Elio am meisten. Ein Kind sollte so etwas nicht mit ansehen müssen. In allen Einzelheiten erzählte Lias:
„Plötzlich schimmerte ein Funken Licht durch das Blutbad zu mir hindurch. Ich sah, wie meine Mutter aus der aufgewühlten Menschenmenge auf mich zu gerannt kam. Nachdem sie mich entdeckt hatte, war sie noch schneller als zuvor durch die schreienden Bewohner, die sie immer wieder versuchten zurückzuziehen, hindurch gestürmt. Aus der Entfernung konnte ich das Glitzern der Tränen in ihren Augen sehen. Ihr langes braunes Haar flatterte völlig zerzaust im Wind. Ohne Rücksicht stieß sie alle ringsherum gewaltsam zur Seite, um mich zu erreichen. Noch nie zuvor hatte ich meine Mutter so verzweifelt gesehen. Es schien, als hätte mein hilfloser Anblick sie mehr als die Angst um das eigene Leben gequält.“
Das konnte Elio sich gut vorstellen, sie hatte Lias geliebt. Dies hatte sein Freund ihm bereits unzählige Male erzählt. „Was ist dann passiert?”, drängte er, weil er das Reden unterbrochen hatte. Lias Blick war gesenkt. Wie gefesselt starrte er auf die tänzelnden Flammen, als sähe er in ihnen Bilder der besagten Nacht. Kurz sah es so aus, als kämpfte er mit den Tränen. Dann schluckte er schwer, um anschließend seine Erzählung fortzuführen:
„Ich sah ihr weiter in die Augen. Auch ich spürte den tiefen Schmerz in ihrem Inneren. Schon immer hatte ich durch die warme Aura hindurch in ihre Gefühlswelt hineinblicken können. Ich erinnere mich nicht daran, jemals mit ihr gestritten zu haben. Harmonie herrschte zwischen uns. Doch in diesem Moment war nicht nur furchtbare Angst, sondern auch eine tiefe Trauer in ihren geweiteten Augen zu sehen, die ich noch nie zuvor wahrgenommen hatte.
Elio starrte seinen Freund entgeistert an. Obwohl dieser den Blick nicht erwiderte, konnte er seine inneren Schmerzen durch die verkrampften Gesichtszüge hindurch sehen. Eine einzelne Träne floß an seiner Wange hinunter. Der sonst unerschütterliche Junge wirkte auf einmal verletzlich. Elio hatte keine Freude daran, ihn leiden zu sehen, aber zugleich wollte er unbedingt wissen, wie die Geschichte weiterging.
„Ich nehme an, sie hat dich nicht erreicht.”, raunte er, sein Blick schweifte auch zu dem Feuer.
Lias stieß einen langen Seufzer aus.
„Nein”, erwiderte er leise. „Mit enormer Wucht rempelte ein taumelnder Mann sie an. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel zu Boden und kippte nach vorne. „Nein, Mama!“, schrie ich mit Tränen in den Augen. Vergeblich versuchte sie, zurück auf die Beine zu kommen. Offenbar war sie von ihren Kräften verlassen worden. Ihre dünnen Arme konnten sie nicht mehr hochdrücken. Es dauerte nicht lange, bis sie aufgab.
Nur noch ihr Kopf war leicht nach oben gerichtet, damit sie mich anschauen konnte. Ich sah ihre stark blutende Stirn. Die Hälfte ihres Gesichts war mit schwarzer Erde bedeckt. Trotz der Tränen in ihrem Gesicht lächelte sie mich liebevoll an. Ein letztes Mal in meinem Leben spürte ich jene heimische Wärme, die mich bereits seit der Geburt umgeben hatte.
Ich weinte furchtbar laut, als sich die beiden Fühler der Bestie an ihren Rücken saugten. In diesem Moment verließ mich der Wille, weiterzuleben. Sie legte ihr warmes Lächeln nicht ab, bis sich ihre müden Augen auf ewig geschlossen hatten. Dies sah ich in meinen Albträumen immer wieder. Doch es waren nicht bloß grausame, sondern auch schöne Träume, in denen mir das Lächeln meiner Mutter wieder begegnete. Ich bewunderte sie immer für ihre Lebensfreude und Warmherzigkeit gegenüber anderen Menschen. Niemals fühlte ich mich an ihrer Seite unwohl.”
Abermals unterbrach er das Reden, um tief einzuatmen. Seine Augen waren noch wässriger geworden.
„Wie konntest du der Bestie entfliehen?”, fragte Elio, der jetzt auch Trauer in seinem Inneren verspürte.
„Ein Mann, der mir bereits lange vertraut gewesen war, stürmte aus der wilden Menschenmenge heraus. Hastig nahm er mich auf den Arm”, erwiderte Lias. „Er hat mich fest an die Brust gedrückt, sodass die Sicht auf das grausame Blutbad verdeckt war. Dann rannte er mit mir in die Wälder hinein. Sein Name war Ludwig, einst war er mit meinem Vater befreundet gewesen. Doch kurze Zeit später überreichte er mich kaltherzig an die Wächter vor den Grenzen des Lagers. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, da war er bereits verschwunden.
In den folgenden Jahren erfuhr ich, dass mein Vater bei dem Angriff der Bestie ebenfalls ums Leben gekommen war. Offenbar hatte der feige Ludwig nicht den Mut dazu aufgebracht, mir dies persönlich zu sagen. Angetrieben von ungewollten Schuldgefühlen und einer Wut, die nicht zu bändigen war, schwor ich mir, dass ich den Tod meiner Eltern eines Tages rächen würde.” Das war Lias Geschichte.
Elio hatte noch einen weiteren Freund, auch seine Lebensgeschichte brannte sich in sein Gedächtnis ein. Lias und Elio lernten ihren zukünftigen Gefährten Theo unerwartet beim großen Mahl kennen.
Bereits seit unzähligen Generationen wurde das Mahl im Lager täglich vor dem Sonnenuntergang abgehalten. Alle Bewohner versammelten sich an den großen Tafeln, die zuvor mit langen hölzernen Sitzbänken von den obersten Hausfrauen und einigen ihrer Mädchen im Herzen des Lagers aufgebaut worden waren. Ausschließlich an Ruhetagen unterließen sie wegen des riesigen Feuers auf dem Gestein das Aufbauen der Tafeln, wodurch die Menschen sich mit den Bänken zufrieden geben mussten. Dann wurden die riesigen Metalleimer um das wärmende Feuer herum aufgestellt. Einer von ihnen wurde mit rohem Fleisch gefüllt, der andere mit unzähligen spitz geschliffenen Stöcken. Auf diese Weise konnten die Bewohner das Fleisch aufspießen, um es über dem Feuer brutzeln zu lassen.
Diese Art der Nahrungsverteilung mochte Elio mehr als jene, die sich während des großen Mahls ereignete, weil sie in der Regel um einiges friedlicher ihren Lauf nahm. Das rohe Fleisch in den Eimern wurde ständig von den Hausfrauen nachgefüllt, wodurch jeder genug Essen bekam. Es kam selten zu Streitigkeiten. Während des großen Mahls hingegen wurden Raufereien unter den Bewohnern häufiger gesehen. Das Fleisch wurde gründlich durchgegart, bevor es in Eimern vor die Tafeln gestellt wurde. Dadurch dauerte es um einiges länger, bis alle Bewohner versorgt waren. Es geschah sogar oft, dass einzelne von ihnen nichts bekamen, denn die Hausfrauen bauten die Tafeln nach dem Sonnenuntergang wieder ab, woraufhin auch kein Fleisch mehr nachgefüllt wurde.
Dies musste auch Theo erfahren. Es lag nicht daran, dass er zu spät war, sondern ein Junge sorgte dafür, dass er keinen Bissen abbekam. Lias und Elio saßen wie üblich an der hintersten Tafel, die etwas weiter von den anderen entfernt war. So mussten sie nicht an der verschwitzten Haut der anderen Bewohner sitzen. Die Holzbänke waren häufig von hungrigen Bewohnern überlaufen. Diesmal teilten sie ihre Sitzbank bloß mit zwei Familien, die sich am entgegengesetzten Ende der Tafel niederließen. Der einzige Nachteil war, dass sie an ihrem Stammplatz zuletzt mit gegartem Fleisch versorgt wurden. Elio und Lias beobachteten, wie die Menschen an den übrigen Tafeln sich wie ausgehungerte Tiere auf die Eimer stürzten.
Bei dem Mahl gab es Rangordnungen. Die Wächter, Jäger und Krieger hatten, wie die Ältesten, als Oberhäupter des Lagers eigene Tafeln. Diese wurden durch verschiedenfarbige Bemalungen gekennzeichnet. In ihren Kreisen ereignete sich die Nahrungsverteilung immer deutlich gesitteter. Aufgrund der gemeinsamen Vorgeschichten respektierten sie sich. Für Kaltblüter, Schmiede, einfache Handwerker und alle anderen Bewohner gab es keine eigenen Tafeln. Sie mussten mit den Frauen, Jungen und Mädchen zusammensitzen, wodurch sie sich oft benachteiligt fühlten und ihren Unmut zum Ausdruck brachten.
Wie gewöhnlich war es besonders laut an den langen Tafeln. Elio und Lias warteten gelangweilt auf ihr Fleisch. Neugierig schielten sie zu der Tafel hinüber, die in der Mitte des Herzens aufgestellt worden war. Laut schreiende Jungen saßen neben wenigen Mädchen, deren eingeschüchterte Blicke gesenkt waren.
Elio sah, wie ein kleiner, schmächtiger Junge mit einem auffällig gekrümmten Rücken auf die Meute zugelaufen kam. Womöglich hatte er Theo zuvor schon einmal gesehen, durch dessen nichtssagendes Erscheinungsbild erinnerte er sich bloß nicht an ihn.
Heute stach ihm der unsicher durch die Gegend taumelnde Junge ins Auge. Theo zitterte am ganzen Leib.
„Wovor hat er denn Angst? Wenn du mich fragst, hat er gerade einen Serpenstigris gesehen“, spottete Lias hämisch grinsend.
„Keine Ahnung, aber er zeigt es zu offensichtlich, seine Schwäche rieche ich bis hierhin“, murmelte Elio nachdenklich. Dieser ließ seinen Blick nicht von Theo abschweifen, der inzwischen eine freie Stelle der Sitzbank erreicht hatte. Kaum berührte sein Hintern das Holz, setzte ein dicker Junge sich neben ihn. Ohne Vorwarnung rammte dieser ihm den Ellbogen in die Hüfte, sodass Theo mit einem lauten Schnappen nach Luft zu Boden auf den Rücken fiel. Ein quälender Schmerzensschrei entfloh seiner Kehle. Tränen schossen in seine Augen.
Elio spürte, wie sich in seinem Inneren die Wut zusammenbraute. Seitdem er denken konnte, verachtete er Menschen, die sich auf Schwächere stürzten, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Auch Lias starrte den Peiniger zornig an. Das Grinsen in seinem Gesicht war verschwunden. Die Jungen und Mädchen an der Tafel zuckten erschrocken zusammen, aber danach aßen sie seelenruhig weiter. Offenbar brachten sie nicht den Mut auf, einzuschreiten. Die Menschen an den anderen Tafeln schauten kaum auf.
Der dicke Peiniger erhob sich.
„Du dürrer Schwächling gehörst auf den Boden! Dort kannst du wie eine Made die Erde ablecken, bis bloß noch Knochen von dir übrig sind!“, grölte er. Gehässig presste er seinen verschmutzten Fuß in Theos Gesicht. Verzweifelt umklammerte dieser das fleischige Bein, aber vergeblich versuchte er, sich zu befreien. Kläglich winselte er vor sich hin, bis der dicke Junge von ihm abließ, um anschließend in sein verheultes Gesicht zu spucken. Er zitterte noch viel stärker als zuvor. Die Tränen rannen weiter über sein Gesicht. Der Peiniger lachte bloß laut, der ihm den Rücken kehrte und gierig in ein Stück Fleisch hinein biss. Theo rappelte sich langsam auf, taumelte zügig davon, um geradewegs auf Elio und Lias zuzugehen.
„Habt ihr noch einen Platz frei?“, fragte er. Elio warf ihm einen verblüfften Blick zu. Noch nie in seinem Leben war ihm eine so zerbrechlich wirkende Gestalt vor die Augen getreten. Er hatte Mitleid, doch zugleich war ihm bewusst geworden, dass Theo den feigen Angriff durch sein verletzliches Auftreten selbst verursacht hatte. Menschen wie er waren ein gefundenes Fressen für Peiniger, die sich an den Schwächen anderer ergötzten.
„Setz dich ruhig“, erwiderte Lias. Theo lächelte nur. Zwei Hausfrauen stellten gerade einen großen Eimer vor ihrer Tafel ab.
„Sei nicht so schüchtern. Ich sehe doch, dass du Hunger hast“, sagte Lias schmatzend, der dem mageren Jungen ein Stück aus dem Eimer reichte. Sofort begann dieser, sich den Mund vollzustopfen, als hätte er das letzte Mal vor Wochen etwas gegessen.
„Warum lässt du dich von dem Fettwanst so erniedrigen?“, fragte Elio, der ebenfalls einen großen Fetzen aus dem Fleisch riss.
„Er ist viel stärker als ich. Gegen seine Kraft werde ich niemals ankommen. Das habe ich schon oft genug versucht“, stotterte er missmutig mit gesenktem Kopf.
„Er ist nur stärker, solange du es erlaubst“, erwiderte Lias sofort mit einem scharfen Ton in der Stimme.
Schweigend sah Theo ihn an. Offenbar hatten die Worte etwas in seinem Inneren ausgelöst.
„Wie soll ich ihm nur verbieten, stärker zu sein?“, fragte er verblüfft.
Schmunzelnd griff Elio erneut in den Eimer.
„Von nun an wirst du jeden Tag mit uns essen, Bruder“, sagte er. Gutmütig reichte er ihm ein weiteres Stück Fleisch.
Von jenem Tag an verbrachten die beiden viel Zeit mit ihrem neuen Freund, wodurch sie immer mehr über sein bisheriges Leben erfuhren. Seitdem Elio Theo kannte, war dieser schreckhaft. Er hatte bisher vermutet, es hätte daran gelegen, dass er den meisten anderen Jungen körperlich unterlegen war. Die Monate vergingen, mit der Zeit fand Elio die wahren Ursachen seiner Schwäche heraus. Nachdem sie Vertrauen zueinander aufgebaut hatten, legte Theo ihm einen aufschlussreichen Einblick in seine Gefühlswelt dar. Lias hatte sich bereits schlafen gelegt, als die beiden noch am Lagerfeuer saßen und gemeinsam den Sternenhimmel beobachteten.
„Wieso hast du keine Eltern?”, fragte Elio, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. „Du kennst meine Geschichte schon. Doch ich frage mich bereits seit geraumer Zeit, wieso es niemanden gibt, der in deinem Zelt auf dich wartet.”
Theo holte tief Luft, der sagte:
„Meine Eltern selbst brachten mich als kleines Kind ins Lager, anschließend verschwanden sie spurlos. Mein Vater war wohl ein kräftig gebauter Mann und meine Mutter eine zierliche Frau mit langem schwarzem Haar. Irgendwie war ich schon immer allein. Bevor ich auf Lias und dich traf, hatte ich die anderen Jungen im Lager gemieden und nie Freunde gehabt. Wahrscheinlich wegen meiner Angst, durch die ich anderen Menschen gegenüber sehr verschlossen war.”
Nachdenklich schaute Elio zum Sternenhimmel hinauf. „Verstehe”, sagte er. „Ich kenne diese Angst. Sie gibt einem ständig das Gefühl, anders zu sein. So, als wäre man nicht dazu bestimmt, auf dieser Welt zu leben. Auch ich habe mich oft allein gefühlt, bis Lias zu meinem Freund wurde.”
Theo nickte schmunzelnd, er erwiderte:
„Das Blatt hat sich auch für mich gewendet, als ihr in mein Leben getreten seid. Ihr habt mir das Jagen beigebracht. Vor dem ersten heimlichen Ausbruch aus dem Lager war ich noch ängstlich, denn ich malte mir aus, was passiert wäre, wenn uns jemand erwischt hätte. Doch nachdem ich mich an den Nervenkitzel gewöhnt hatte, machte es mir sogar Spaß, etwas Verbotenes zu tun. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich meine Angst überwinden kann. Trotzdem war ich entsetzt, als ihr mir von eurem Vorhaben, einen Serpenstigris zu erlegen, erzählt habt. Ich dachte, dass ihr bloß lebensmüde seid. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, euch auf die Reise zu begleiten.”
Jetzt musste Elio lachen.
„Ich kann mich daran erinnern, wie du uns angeschaut hast, als wir dir von dem Plan erzählt haben. Wir dachten, dass du uns verstehen würdest, aber das war ein Trugschluss”, erwiderte er grinsend. „Warum hast du es dir eines Tages anders überlegt? Das habe ich noch immer nicht begriffen.”
Theo lächelte ihn an und sagte:
„Ich kann mich noch genau an jenen Tag erinnern, an dem sich meine Sichtweise für immer veränderte. Es ist noch nicht allzu lange her. Ich hatte das Gefühl, neu geboren worden zu sein.”
Neugierig starrte Elio seinen Freund an.
„Erzähl mir davon.”, erwiderte er. Theos Blick schweifte auf die tänzelnden Flammen. Dann erzählte er, was ihm vor wenigen Tagen widerfahren war:
„Alle Bewohner waren in ihren Zelten eingeschlafen. Die Nachtruhe lag über dem Lager. Am Vortag hatten wir wie gewöhnlich eine Grube unter die abgelegene Stelle des Zauns gegraben.
Nachdem ich als Letzter den Zaun überwunden hatte, fühlte ich mich frei. Meine Zehen badeten im weichen Sand, meine Brust spürte den kühlen Wind, der leise durch die Weiten der Steppe zog.
„Beweg dich mal!“, hast du in meine Richtung gezischt, denn ich stand noch am Zaun, obwohl ihr bereits am Waldrand wart. Aufgeschreckt huschte ich zu euch hinüber. Ich sehe Lias noch vor mir, er hatte geflüstert:
„Heute erlegen wir uns zartes Wild.“ Ein breites Grinsen zog über sein Gesicht. Etwas kramte er aus seiner Ledertasche, das einem kleinen Speer ähnelte. Ein spitzer Stein war mit dünnen Fäden aus Leder um einen dicken Stock gebunden.
„Worauf hast du es denn damit abgesehen?“, hast du gefragt. Dann warf Lias die Waffe mit einer stolzen Miene in die Luft, fing sie auf und verkündete:
„Damit gehen wir auf Wildschweinjagd. Ich wollte schon immer eines dieser kleinen Biester erlegen. Du hast heute die Ehre, den Anfang zu machen, Bruder. Heute kannst du beweisen, was in dir steckt.“
Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, drückte Lias mir den Speer in die Hände.” Abermals grinste Elio.
„Daran kann ich mich auch noch erinnern. Wie hat es sich angefühlt, als er dich ins kalte Wasser geworfen hatte?”, fragte er.
Theo zog die Augenbrauen hoch, der erwiderte:
„Plötzlich war mir mulmig zumute, ich begann, zu zittern. Bisher hatte immer einer von euch die erste Beute gemacht. Außerdem hatten wir sonst nur Jagd auf kleines Wild gemacht. Das Zittern wurde stärker. Doch mittlerweile war mir bewusst geworden, dass diese bedrückende Angst mir schon immer im Weg gestanden hatte. Es war jene Angst, die einen schwach und verletzlich macht. Ich wollte euch auf keinen Fall enttäuschen. Also betrachtete ich den kleinen Speer in meinen Händen, um schließlich den Entschluss zu fassen, auf der Jagd mein Bestes zu geben.
Nach einem kurzen Marsch erreichten wir eine weitreichende Wiese, die von zahlreichen dichten Gebüschen unter den Baumkronen umkreist war. Sie schimmerte im blassen Mondlicht.
„Hier sehe ich häufiger mal ein Wildschwein. Sie lieben diesen Ort“, flüsterte Lias. Sein Blick schweifte über das Laub am Waldboden. „Spuren sehe ich hier leider keine. Wir legen uns auf die Lauer“, fügte er hinzu. Bereits einen Herzschlag später warfen wir uns in ein großes Gebüsch. Mit der schwarzen Erde unter dem Laub rieben wir uns ein.
„Ruhig bleiben“, flüsterte Lias, nach einer Weile fügte er hinzu. „Das könnte eins sein.“ Tatsächlich tauchte zwischen den Sträuchern eine dicke Schnauze auf. Das Wildschwein bewegte sich behutsam aus dem Schutz des dunklen Waldes auf die schimmernde Wiese hinaus. Es war größer als die meisten seiner Art. Aus dem Maul ragten zwei gewaltige Stoßzähne. „Ein großer Keiler“, flüsterte Lias. „Du musst ihm das Gestein in die Schädeldecke rammen.“
Ich versuchte, gleichmäßig zu atmen, um meine Aufregung im Zaum zu halten. Der Keiler trottete seelenruhig über das Gras. Offenbar suchte er nach etwas Essbarem. Dem Gebüsch, in dem wir lauerten, kam er immer näher. Schließlich machte er bloß wenige Meter davor Halt.
Als der Keiler die Schnauze in das Gras steckte, schoss ich ohne weitere Anweisungen aus dem Gebüsch heraus. Meine Hände umklammerten den Speer fest, alles ringsherum vergaß ich. Nur noch der Keiler war in meinem Blickfeld. Seine Schnauze schnellte blitzschnell nach oben. Doch es war zu spät. Ich hatte ihn bereits erreicht und stieß ihm das spitze Gestein, ohne zu zögern, zwischen die Augen. Er gab ein klägliches Quieken von sich. Das Blut floss aus seiner Schädeldecke auf meine zitternden Hände. Langsam sackte er in sich zusammen, um auf das Gras zu kippen. Allmählich beruhigte ich mich, meine Hände hörten auf, zu zittern. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich mich so schuldig und zugleich so lebendig gefühlt.
Ich beugte mich, um den Speer mit einem kräftigen Ruck aus der Beute herauszuziehen. Das geschliffene Gestein war blutgetränkt. Die dunkelrote Flüssigkeit tropfte auf meine Füße. Ein erleichterter Seufzer entschlüpfte meiner Kehle. Es fühlte sich so an, als wäre ich am Ende einer beschwerlichen Reise angelangt. Inzwischen standet ihr auch an meiner Seite. Lias legte mir seine Hand auf die Schulter.
„Du hast es geschafft, Bruder. Du hast deine Dämonen bezwungen und ihnen nicht erlaubt, stärker zu sein“, raunte er. Dadurch stieg unendlicher Stolz in meinem Inneren auf. So, als erhellten Sonnenstrahlen eine ewige Nacht. Die Worte haben mir einiges bedeutet. In diesem Moment entschloss ich, dass ich euch begleiten werde.”
Elio lächelte zufrieden. Jetzt verspürte er auch Stolz, denn er hatte dazu beigetragen, dass sein Freund Selbstvertrauen entwickelt hatte.
„Es ist wahr”, sagte er. „Du hast deine Dämonen besiegt.”
Eine Weile lang starrten die beiden Freunde noch schweigend auf die Flammen. Dann rappelten sie sich auf, um ihre Zelte aufzusuchen. Schon bald würden sie die Reise in den fernen Süden antreten.
Mit sanften Schritten bewegten sich die drei Jungen auf eine Lichtung zu. Am Himmel strahlte die Mittagssonne mit all ihrer Kraft auf den kahlen Fleck Erde, welcher von einem Waldstück umringt war. In der Nähe vernahm man das klägliche Gezwitscher der Vögel, das dem ohrenbetäubenden Geschrei neugeborener Säuglinge glich. Wahrscheinlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihre Art auf ewig verstummen würde. Mittlerweile war jeder Zentimeter des Waldes mutiert. Alle Geräusche, die keine Furcht zum Ausdruck brachten, klangen trotzdem bedrohlich, als müsste man auf der Hut sein. Das schien der Grund für das Leid der verlorenen Wesen an diesem Ort zu sein.
Ein Gemisch aus Zischlauten, einem Knurren und den Quicklauten sterbender Beutetiere schwebte in der Luft. Eine erdrückende Atmosphäre verbreitete sich in der schwülen Hitze, die den Gefährten selbst im Schatten der Bäume Schweißperlen von der Stirn tropfen ließ.
„Hier hatte es seinen Mittagsschlaf gemacht!“, flüsterte Lias mit zittriger Stimme. Er war etwas größer und kräftiger gebaut als die anderen. Um seinen Leib trug er eine Ledertasche. Abgesehen davon war sein einziges Kleidungsstück eine halb zerfetzte Stoffhose, die ihm bis zu den Knien reichte. Sein kahlrasierter Kopf drehte sich in die Richtung der beiden anderen. Krampfhaft versuchte er, sein Grinsen aufrechtzuerhalten, als wollte er ihnen Mut zusprechen. Doch in seinen hellgrünen Augen ließ sich ein Hauch von Furcht erkennen.
Der Kleinste von ihnen trat behutsam zwei Schritte zurück. Er trug keine Ledertasche, aber ansonsten glich seine Kleidung der des größten Jungen. Wie seine Gefährten hatte auch er keine Haare auf dem Kopf. Seine aufgerissenen Augen strahlten pure Panik aus. Vor Angst zitterte er am ganzen Körper.
„Willst du es wirklich stören? Noch können wir ins Lager zurückkehren“, stammelte er leise und drehte seinen Kopf hektisch von links nach rechts.
Der dritte von ihnen schlich auf leisen Zehenspitzen auf ihn zu. Seine hellblauen Augen starrten ins Leere. Von der Brust bis zu den Schultern zogen sich tiefe Narben über seine Haut. Mit einer sanften Bewegung legte Elio die linke Hand auf die Schulter seines Gefährten und schaute diesem tief in die Augen, bevor er begann, ruhig auf ihn einzureden: „Theo, ich weiß, was für eine Angst du hast. Ich kenne sie nur zu gut. Dieses Gefühl frisst dich auf, es wirft tausende Zweifel auf. Es lässt sich nur schwer unterdrücken, aber du hast dich mit uns hierfür entschieden, somit ist es deine Pflicht, dich deiner Angst zu stellen. Du musst für uns einstehen, zugleich kannst du dich darauf verlassen, dass wir hinter dir stehen werden.“
Theo stieß einen langen Seufzer aus, sie begannen, sich in der Hocke immer näher an die Lichtung heranzupirschen. Nun trennte sie nur noch ein etwa zwei Meter hohes Gebüsch von der unbewachsenen Erde, die im Schein der Sonne glänzte. Durch einzelne Lücken zwischen den dichten Blättern hatten sie freie Sicht.
Plötzlich verstummten die bedrohlichen Laute. Es schien, als würde der gesamte Wald den Atem anhalten. Einen Augenblick später erklang aus den gegenüberliegenden Gebüschen ein lautes Knirschen, als würden die am Boden liegenden Äste dort zerstampft werden. Die Gefährten starrten gebannt auf die Stelle, ohne auch nur einen Finger zu regen. Die Blätter raschelten, begannen sich ruckartig zu bewegen, als würden sie von enormen Windstößen umhergerissen werden. Dieses gewisse Etwas hinter ihnen schien von einer beängstigenden Kraft geleitet zu werden.
Auf einmal tat sich inmitten des Raschelns ein Loch auf, eine gewaltige Schnauze erschien. Zwischen langen, spitzen Reißzähnen schoss eine gespaltene Zunge hervor, die einer Giftschlange glich. Mit einem scharfen Zischen tauchte sie auf, bevor sie wieder in der Mundhöhle verschwand. Die Bestie bewegte sich immer weiter aus dem Dickicht hervor. Ihr gewaltiger Rumpf drückte alles unter ihr platt.
Der riesige Kopf ähnelte dem einer Raubkatze. Anstelle von Ohren ragten links und rechts zwei lange Fühler heraus, welche durch ihre kreisenden Bewegungen den Anschein erweckten, als würden sie eigenständig die Umgebung untersuchen. Der massive Hals hatte augenscheinlich denselben Umfang wie der Schädel selbst. Sein in etwa zehn Meter langer Rumpf glitt wie der einer Schlange über die Erde. Die dunkelgrüne Haut, die einer felsenfesten Rüstung ähnelte, war mit unzähligen Schuppen bedeckt. Aus ihr ragten sechs behaarte Beine mit Pranken heraus, die den Waldboden nicht berührten, sondern in der Luft baumelten. Bloß diese und der Kopf waren von orangenem Fell umringt. Es waren jene Merkmale, die auf die Abstammung eines Tigers hinwiesen. Nachdem die Bestie sich auf den Mittelpunkt der Lichtung geschlängelt hatte, stieß sie ein erschöpftes Schnaufen aus.
Im Dickicht hielten die drei Gefährten den Atem an, als fürchteten sie, die Bestie könne ihre rasanten Herzschläge wahrnehmen. Lias fand zuerst seine Sprache wieder:
„Wie ich es euch gesagt habe. Ein echter Serpenstigris.“
„Jetzt glaube ich dir, Lias. In meinen Vorstellungen war dieses Biest nicht ansatzweise so riesig und kräftig“, raunte Elio mit bebender Stimme, als könne er nicht glauben, was er vor sich sah. Allmählich wurde er nervöser. Fassungslos mit aufgerissenen Augen starrte Theo auf den Serpenstigris. Jetzt zitterte er noch stärker als zuvor. Ein Zittern, welches verriet, dass jedes einzelne seiner Glieder sich danach sehnte, sofort aufzuspringen und das Weite zu suchen. Offenbar erkannte er zum ersten Mal, wofür er sich entschieden hatte, als er seinen Gefährten leichtsinnig versprochen hatte, sie in den fernen Süden zu begleiten. In einer ruckartigen Bewegung warf der Serpenstigris sich auf den Rücken. Die mächtigen Pranken streckte er den Sonnenstrahlen entgegen.
Leise kramte Lias in seiner Ledertasche herum, der einen kleinen Dolch mit einer spitz geschliffenen Klinge herausholte.
„Zwischen den Augen ist die Schwachstelle. Wenn wir es dort erwischen, kann es sich erst mal nicht mehr bewegen“, flüsterte er energisch.
Von Sekunde zu Sekunde schien Theo nervöser zu werden, sein Zittern nahm noch mehr zu. Sogar seine Zähne hörte man leise klappern.
„Wir sollten lieber umkehren, bevor es uns bemerkt“, zischte er sich aufrappelnd. Auf seinen wackeligen Beinen taumelte er nach hinten, als könne er die angespannte Lage nicht länger aushalten.
„Reiß dich endlich zusammen, Theo. Die anderen im Lager werden staunen, wenn sie davon hören, dass wir einen Serpenstigris erlegt haben. Außerdem bin ich es euch schuldig“, erwiderte Lias energisch, bevor er seinen Blick nach oben richtete, wo zwischen den Blättern der Baumkronen der blaue Himmel zu sehen war. Sein Blick war auf einmal verbittert. Keine Sekunde später rannte eine einzelne Träne seine Wange hinunter. Es schien so, als würde er dort oben etwas sehen, das sich nur seinen Augen zeigte.
In diesem Augenblick machte Theo eine hektische Bewegung. Versehentlich trat er auf einen dünnen Ast, der daraufhin mit einem lauten Knacken unter seinem Fuß zerbrach. Mit einem Mal gab keiner von ihnen mehr einen Mucks von sich.
Der Ernst der Lage schien ihnen rasch bewusst zu werden. Langsam drehten sie die Köpfe zurück zur Lichtung. Der Serpenstigris hatte sich wieder auf den Bauch gerollt. Seine gelb-funkelnden Schlitzaugen waren wachsam aufgerissen. Die Fühler kreisten noch schneller als zuvor durch die Luft. Aus seiner Mundhöhle kam nicht nur ein Zischen, sondern auch ein bedrohliches Knurren.
Lias befahl seinen Gefährten mit dem Zeigefinger vor dem Mund, von nun an still zu sein. Sie waren kreidebleich geworden und starrten ihn hilfesuchend an. Durch eine Handbewegung befahl er ihnen, den Rückzug anzutreten. Auf Zehenspitzen begannen sie, sich behutsam von der Lichtung weg zu pirschen. Jedem von ihnen war die blanke Panik ins Gesicht geschrieben. Der Serpenstigris blickte geradewegs in ihre Richtung. Zischend schlängelte er sich über die Erde und kam ihrem Versteck langsam näher.
„Verdammt, es hat unsere Witterung aufgenommen“, zischte Lias rückwärtstaumelnd. Keine Sekunde später stieß die Bestie ein scharfes Fauchen aus. Blitzschnell schoss sie nach vorne.
„Lauft!“, schrie Lias. Mit den Händen stieß er seine Gefährten vorwärts.
Augenblicklich traten sie kräftig in den Erdboden und rannten so schnell wie möglich. Plötzlich nahmen sie keine Rücksicht mehr darauf, ob ihre Schritte Lärm verursachten, denn der Serpenstigris preschte mit voller Wucht durch das Gebüsch, in dem sie zuvor gekauert hatten. Ohne jeden Zweifel hatte er sie entdeckt. Von der nackten Panik getrieben, rannten die Gefährten weiter. Das beängstigende Fauchen hinter ihnen wurde immer lauter.
„In welcher Richtung liegt das Lager?“, keuchte Theo verzweifelt. Seine Beine schienen müde zu werden, er wurde immer langsamer.
„Lauf einfach!“, rief ihm Elio zu, der sein Tempo keineswegs verlangsamte, sondern noch schneller wurde. Auch Lias, der dicht neben ihm rannte, schien nicht erschöpfter zu werden. Doch Theo schossen die Tränen in die Augen, da der Abstand zu seinen Gefährten immer größer wurde. Es schien so, als hätte er bereits sein Leben aufgegeben.
„Ich kann nicht mehr!“, schrie er keuchend in ihre Richtung. Zu seinem Schreck stolperte er über eine dicke Wurzel. Sein rechtes Knie prallte auf einen Felsbrocken.
Die Bestie war nur noch wenige Meter hinter ihm. Schreiend wälzte er sich über die matschige Erde. Die beiden anderen Jungen wirbelten herum. Elio machte einen Schritt auf ihn zu, aber Lias packte ihn fest am Arm und zog ihn zurück.
„Elio, es ist vorbei“, flüsterte er mit bebender Stimme. Elio hielt kurz gegen den Widerstand an, bevor er nachgab, denn er wollte es nicht wahrhaben. Sein rasendes Herz drängte ihn mit allen Kräften dazu, seinem panischen Freund zur Hilfe zu eilen. Doch sein Verstand musste feststellen, dass Lias recht hatte. Es war zu spät.
Mit geweiteten Augen starrte er auf den Serpenstigris, dessen Fühler auf Theos Bauch zuschossen. An ihren Enden saßen glitschige Näpfe, die sich fest an die dünne Haut seines Gefährten saugten. Seine schrillen Schreie machten deutlich, dass er schreckliche Schmerzen erlitt. Furchtbare Schmerzen hatten auch Elio und Lias, während sie mit ansehen mussten, wie sehr er sich quälte. Das trieb ihnen die Tränen in die Augen. Es dauerte nicht lange, da gab er keinen Mucks mehr von sich. Er regte sich nicht mehr. Seine bleiche Haut färbte sich bläulich, unzählige rote Pusteln bildeten sich. Seine Augen waren nach wie vor aufgerissen, aber es schien nicht so, als spürte er noch etwas. Schließlich ließen die Fühler von ihm ab, die gewaltige Schnauze riss einen großen Fetzen Fleisch aus seinem Rücken heraus. Theos Reste lagen in einem riesigen Blutbad verteilt. Die bleichen Gesichter seiner Gefährten waren wie versteinert. Machtlos sahen sie mit an, wie das blutverschmierte Maul der Bestie sein Fleisch mit schmatzenden Geräuschen kaute und herunterwürgte. Das Tränenmeer hatte sich inzwischen auf ihren Wangen ausgebreitet. Wie angewurzelt standen sie dort, als hofften sie darauf, schon bald aus einem schrecklichen Albtraum zu erwachen. Doch es geschah nicht. Das Blutbad ihres Freundes war Teil der grausamen Wirklichkeit, in der sie lebten. Tief im Inneren hatten sie Theo geliebt. Doch nach außen hin hatten sie es nie gezeigt. Sie würden es weiterhin tun, obwohl er von jetzt an nicht mehr unter den Lebenden verweilte.
Lias kam zuerst wieder zu sich. Abermals griff er nach dem Arm seines Gefährten, um diesen zu sich zu ziehen. Kräftig schüttelte er ihn durch. Mit einem leeren Blick sah Elio geradewegs durch ihn hindurch, als könne er ihn nicht sehen oder hören. Er bekam den grausamen Anblick nicht aus seinem Kopf.
„Wir müssen weiter, Bruder! Sein Opfer darf nicht umsonst gewesen sein!“, schrie Lias ihm mitten ins Gesicht. Heftig zerrte er ihn mit sich, abermals rannten sie um ihr Leben. Der Wald ringsherum wurde rasch dichter, das Fauchen der Bestie immer gedämpfter, bis es vollkommen verstummt war.
Keuchend machten die Gefährten Halt. Ihre panischen Blicke schweiften herum. Trotz der Abwesenheit des Serpenstigris wirkte der Wald nicht weniger bedrohlich. Die Zischlaute drangen aus jedem Winkel.
„In welcher Richtung liegt das Lager?“, krächzte Elio schnaufend.
Unbeholfen taumelte Lias über den Erdboden. Sie beide hatten jeglichen Orientierungssinn verloren. Bevor sie sich sammeln konnten, dröhnte erneut das Fauchen der Bestie durch den Wald. Es schien, aus dem Dickicht hinter ihnen zu kommen, aber im nächsten Augenblick erklang es aus einer anderen Richtung. Die beiden Gefährten drehten sich Rücken an Rücken im Kreis, während sie vergeblich versuchten, die Bestie ausfindig zu machen. Lias zückte seinen Dolch und Elio hielt einen spitzen Stock in den Händen, den er vom Waldboden aufgehoben hatte. Ihnen war klar, dass sie der Bestie nicht mehr entkommen konnten. Beide zitterten am ganzen Leib. Einen Moment lang verstummte das aggressive Fauchen. Eine bedrohliche Stille legte sich über die Gegend.
„Bei mir!“, rief Lias panisch. Blitzschnell wirbelte Elio herum. Geradewegs blickte er in die funkelnden Augen des Serpenstigris, der nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt war. Doch die Bestie hatte sich verändert, denn sie lag nicht mehr platt auf dem Erdboden, sondern stand auf ihren sechs gewaltigen Beinen. Offenbar standen sie etwas weiter aus dem Rumpf, der nun über ihnen schwebte. Aus ihrem Maul tropfte noch immer Theos Blut.
Lias stieß einen lauten Schrei aus und stapfte einige Schritte in ihre Richtung. Mit seinem Dolch fuchtelte er wild durch die Luft. Das bedrohliche Knurren wurde dadurch nur noch lauter, aber er machte keinen Halt, sondern bewegte sich weiter nach vorne. In einer beängstigenden Geschwindigkeit schnellten die beiden Saugnäpfe auf ihn zu und hefteten sich an seine Brust. Ohne zu zögern, durchtrennte er diese mit seiner scharfen Klinge. Mit einem lauten Zischen lösten sie sich von seiner Haut und fielen auf die Erde. Die Bestie stieß ein schmerzerfülltes Brüllen aus. Die Fühler schienen ihre Schwachstelle zu sein. Lias drehte kurz den Kopf zu seinem Gefährten.
„Wenn es näher kommt, ziele zwischen die Augen!“, rief er keuchend. Hastig wandte er seinen Blick wieder der fauchenden Bestie zu. Diese schien sich rasch von den Schmerzen erholt zu haben. Ihre langen Beine beugten sich, als würden sie gleich angreifen. Die beiden Gefährten wichen zurück. Sie schienen nicht den blassesten Schimmer davon zu haben, was der Serpenstigris als nächstes vorhatte. Noch bevor sie darüber nachdenken konnten, machte dieser einen gewaltigen Sprung in die Luft.
„Zurück!“, brüllte Lias seinem Gefährten zu. Mit den Handballen verpasste er ihm einen kräftigen Stoß.
Elio taumelte einige Meter nach hinten, er musste mit ansehen, wie die Bestie auf Lias zuflog. Ihre beiden vorderen Pranken bohrten sich tief in dessen Schultern und rissen ihn zu Boden. Sein Gefährte brüllte vor Schmerz, die scharfen Krallen nagelten ihn auf der Erde fest. Der Serpenstigris saß auf ihm. Ein lautes Knirschen erweckte den Anschein, als würden seine Knochen von der Last zertrümmert werden.
„Lias!“, schrie Elio, der den Stock über seine Schulter hob und auf die Bestie zustürmte.
„Renn weg“, krächzte Lias leise, schon bald fielen ihm die Augen zu. Sein Kopf knickte zur Seite. Er schien den Kampf gegen die unnatürliche Kraft aufgegeben zu haben.
Mit einem lauten Schrei rammte Elio die Spitze seines Stocks zwischen die Augen der Bestie, die sich ein kleines Stück in ihren Schädel hineinbohrte. Kurz darauf zog er sie ruckartig heraus. Blut tropfte aus dem haarigen Kopf. Er schien tatsächlich eine weitere Schwachstelle getroffen zu haben, die Bestie riss mit einem kläglichen Jaulen die Schnauze in die Luft. Zu seinem Glück ließ sie von Lias ab. Schnell griff Elio nach seinen Armen, um ihn wegzuziehen, aber der Serpenstigris fletschte die Zähne. Mit einer enormen Wucht biss er in Lias Hüfte. Elio schrie verzweifelt auf, dabei versuchte er, seinen Gefährten aus den tödlichen Reißzähnen zu befreien, aber ihm wurde bewusst, dass es keinen Zweck hatte. Verbittert ließ er los. Unter Tränen sah er mit an, wie die Beine vom blutigen Leib abgerissen und im Maul zerfleischt wurden. Wenige Meter vor seinen Füßen breitete sich das größte Blutbad aus, welches er jemals gesehen hatte. Ein grausamer Anblick.
Er fiel auf die Knie und ließ den Stock fallen. Bis auf das Tränenmeer, das seine Wangen hinunterfloß, war sein Gesicht wie versteinert. In seinen hellblau leuchtenden Augen verbreitete sich eine Leere, die nur in einem Menschen herrschen konnte, der nichts mehr zu verlieren hatte. Er senkte langsam den Kopf, er schien nur noch auf den unvermeidbaren Tod zu warten. Seine Augen fielen zu. Doch plötzlich dröhnte von hinten ein lauter Schrei. Sofort riss er die Augen auf und wirbelte herum.
Zwischen den dichten Bäumen sah er einen Mann, der geradewegs auf die fauchende Bestie zustürmte. Die Spitze eines langen Speeres war auf sie gerichtet. Wie Elio selbst trug er als einziges Kleidungsstück eine kurze Hose. Um seinen Hals hing eine Kette, die mit Steinen, dazu winzigen Knochen bestückt war. Der kräftig gebaute Rumpf unter seinem kahlen Kopf war mit unzähligen Bemalungen in schwarzen und roten Farben verziert, die darauf hinwiesen, dass er ein Krieger aus dem fernen Lager war. Er rannte unfassbar schnell.
Bereits nach wenigen Schritten machte er neben Elio Halt. Ohne ein Wort zu verlieren, packte er ihn unter den Achseln. Mühelos warf er ihn ein Stück nach hinten, sodass er unsanft auf dem Rücken landete, außer Reichweite der Bestie. Die Überreste von Lias beachtete der Krieger nicht. Stattdessen setzte er das rechte Bein rasch hinter das andere und ging leicht in die Knie, mit dem Speer in seiner rechten Hand holte er weit aus. Er zielte geradewegs auf das Maul der fauchenden Bestie. Bis auf die dünne Haut schien sein gesamter Körper bloß aus zäher Muskulatur zu bestehen. In seinem erstarrten Gesichtsausdruck war nicht der geringste Hauch von Emotionen sichtbar. Die leicht zusammengekniffenen, braunen Augen wichen keine Sekunde vom Ziel ab. Er schien nichts anderes in seinem Kopf zu haben.
Der Serpenstigris stieß ein gewaltiges Brüllen aus, bevor er ein kleines Stück nach hinten sprang. Keine Sekunde später warf der Krieger den Speer mit kräftigem Schwung in seine Richtung. Dieser schoss pfeifend wie ein starker Windstoß durch die Luft. Blitzschnell bohrte er sich in die Wunde, die Elio dem Serpenstigris zugefügt hatte. Ein noch größeres Loch zwischen seinen gelbfunkelnden Augen entstand. Das Blut strömte nur so hervor. Der Speer fiel zu Boden.
Die Bestie stieß ein schrilles Kreischen aus. Ihre Schnauze schwenkte panisch umher, sie stampfte wild über den Matsch. Offenbar hatte sie ihren Orientierungssinn verloren. Hastig kramte der Krieger eine Handvoll Sand aus seiner zerfledderten Hosentasche heraus. Im richtigen Moment warf er ihn mitten in ihre dämonischen Augen hinein. Das schmerzerfüllte Kreischen wurde noch lauter. Die Bestie taumelte auf zittrigen Beinen nach hinten. Schreiend kam er bedrohlich auf sie zu. Mit einem leisen Winseln zuckte der Serpenstigris zusammen, der in den Schutz des hohen Dickichts hineinsprang. Sein triefender Schädel hinterließ einen riesigen Blutfluss auf der Erde. Es dauerte bloß einen Wimpernaufschlag, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war.
Der Krieger griff nach seinem Speer, regungslos stand er dort. Sein hektischer Atem beruhigte sich wieder. Langsam drehte er sich um und blickte Elio in die tränenden Augen. Schweigend reichte er ihm die Hand, um ihn zurück auf die Beine zu ziehen. Er hatte Lias noch immer keines Blickes gewürdigt und ging an ihm vorbei.
„Schau ihn wenigstens an!“, schrie Elio, der auf das Blutbad seines gefallenen Gefährten starrte und am ganzen Leib zitterte. Krampfhaft gelang es ihm, seinen Blick von Lias abschweifen zu lassen. Der Krieger war bereits einige Meter in den dichten Wald hineingelaufen. Dieser machte Halt und warf einen Blick über die Schulter.
„Das hilft ihm auch nicht mehr. Komm jetzt, Jungspund. Es wird schon dunkel“, raunte er, bevor er sich umdrehte, um weiterzugehen. Elio setzte sich langsam in Bewegung, um ihm zu folgen. Er blickte nicht mehr zurück, mit der Hand wischte er sich über das verheulte Gesicht. Von jenem Tag an waren seine einzigen Freunde nicht mehr an seiner Seite.
Schweißgebadet wachte Elio auf. Er hatte wieder einen dieser Träume gehabt, in denen er an einem Pfahl gefesselt zusehen musste, wie Lias sich schreiend durch eine Blutlache vor seinen Füßen wälzte. Sein Freund blickte ihm jedes Mal tief in die Augen. Vergeblich flehte er um Hilfe, bevor der fauchende Serpenstigris aus der schwarzen Leere herausgeschossen kam und sich auf ihn stürzte. Dies war für gewöhnlich der Moment, in dem Elio aus dem Schlaf gerissen wurde, der keineswegs erholsam, sondern ernüchternd war. Für ihn fühlte es sich an, als verdroschen ihn seine tiefsten Ängste Nacht für Nacht.
Immerhin hatte er im Gegensatz zu anderen Jungen und Mädchen im Lager ein eigenes Zelt. Er wurde nicht von den lästigen Geräuschen der anderen geweckt. Doch dieser kleine Trost verblasste im Angesicht der unangenehmen Lebensbedingungen. Das Lager diente unter anderem als ein Aufenthaltsort für elternlose Kinder, die von Jägern oder anderen Bewohnern in den naheliegenden Wäldern aufgefunden und hergebracht wurden. Immerhin war dieser Ort besser als der Tod, der sie alle früher oder später in der offenen Wildnis einholen würde. Elio selbst konnte sich nicht an seine Eltern erinnern. Auch die Menschen, die ihn einst aufgefunden und ins Lager gebracht hatten, kannte er nicht. Das große Areal voller Zelte, welches ein mit Stacheldraht ummantelter Eisenzaun umringte, war das Einzige, das er jemals seine Heimat genannt hatte.
Auch die Kaltblüter des Lagers konnten ihm nichts über seine eigentliche Herkunft verraten. Sie waren Menschen, die sich mehr oder weniger liebevoll um die heranwachsenden Jungen und Mädchen kümmerten. Trotz des ständigen Zuflusses an Neuankömmlingen schien die Auffangkraft der riesigen Gemeinschaft durch das unaufhaltsame Sterben der Bewohner nie überlastet zu werden. Bereits oft hatte Elio sich darüber den Kopf zerbrochen, dass vor ihm unzählige andere Menschen auf der abgenutzten Matratze in seinem Gemach geschlafen haben mussten. Ihre Lebenslichter waren aufgrund von unheilbaren Krankheiten, Vergiftungen oder Angriffen der Bestien auf ewig erloschen.
Die Kaltblüter hier schienen zwar warmherzig zu sein, aber sie legten ihre ernsten Mienen nie ab. Zu viele emotionale Bindungen wurden unter den Bewohnern als ein Indiz für Schwäche angesehen. Jedem musste bewusst sein, dass hier alles vergänglich, vor allem nicht beeinflussbar war. Die Kaltblüter waren demnach damit beauftragt worden, ihre mentalen Fähigkeiten und Überlebenskünste bestmöglich an die Heranwachsenden weiterzugeben, damit diese ihren Nutzen eines Tages selbstständig unter das Volk bringen konnten. Bezüglich der Geschlechter gab es bedeutende Unterschiede zwischen den Kaltblütern. Die Frauen brachten den jungen Mädchen Zubereitung von Nahrung, Näherei, dazu andere Tätigkeiten einer erfahrenen Hausfrau näher, während die Männer hingegen mit ihren Schülern auf die Jagd gingen. Sie brachten ihnen die Grundlagen verschiedener Waffenhaltungen bei, dazu wiesen sie ihnen den Weg zu mentaler Unerschütterlichkeit. Entscheidend war hierbei, seine Emotionen zu jeder Zeit unter Kontrolle zu haben, ohne sich von ihnen leiten zu lassen.
Plötzlich wurde Elio von einem ohrenbetäubenden, tiefen Klang aus seinen Gedanken gerissen. Wie jeden Morgen dröhnte es in seinen Ohren. Spätestens jetzt musste jeder Einzelne innerhalb der Grenzen des Lagers hellwach sein. Das Horn diente dazu, die schlafenden Bewohner zu ihren Pflichten zu rufen. Elio wachte bereits seit Tagen vor dem Weckruf auf. Doch aufgrund der belastenden Albträume wurde er nicht weniger sanft aus dem Schlaf gerissen als die anderen. Nach dem Klang des Horns sollten sie sich so schnell wie möglich für den Tag vorbereiten und anschließend ihre Gemächer verlassen.
Es kam nicht selten vor, dass Jungen, die verschlafen hatten, von den Kaltblütern fest an ihren Ohren gepackt wurden, um aus den Zelten hinausgezerrt zu werden. Im Lager wurde nicht nur viel Wert auf Zusammenhalt, sondern auch auf Durchhaltevermögen und Pflichtbewusstsein gelegt. Bequemlichkeit wurde hier keineswegs geduldet.
Elio rappelte sich also eilig von der Matratze auf. In einem mit Wasser gefüllten Krug, der in der Mitte seines Gemachs im Sand lag, wusch er sich. Er nahm ein kleines Stück Seife aus einem hölzernen Schälchen und begann damit, seine nackte Haut abzureiben. Beim Berühren der zahlreichen blauen Flecken und Kratzer biss er mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck die Zähne zusammen, davon abgesehen beachtete er seine Wunden kaum. Mit einem Lappen, der im Krug schwamm, wischte er sich die aufgeschäumte Seife vom Körper. Nachdem er sich die Stoffhose angezogen hatte, öffnete er die Knöpfe, die den dünnen Spalt seines Gemachs geschlossen hielten. Das vertraute Licht der Morgensonne stach in seine Augen.
Blinzelnd drehte er den Kopf. Immer mehr Öffnungen der dicht aneinander stehenden Zelte wurden von innen aufgeknöpft. Nacheinander schlüpften die Bewohner hinaus ins Freie. Sie hielten in die Richtung Ausschau, aus der der Weckruf erklungen war. Wie immer war das ein sonderbarer Anblick, denn sie warfen sich kaum Blicke zu und sprachen nur vereinzelt miteinander. Niemand bewegte sich mehr als ein oder zwei Schritte von seinem Gemach weg. Alle hatten die Blicke Richtung Norden gewandt, sie schienen geduldig auf etwas zu warten. Elio wusste genau, was als nächstes geschehen würde, denn an den Tagesablauf hatte er sich mit den Jahren gewöhnt. Es gab nicht viel Abwechslung im Lager.
Ein zweites Mal erklang das Horn über ihren Köpfen. Es war das Zeichen dafür, dass sie den Weg zu ihren alltäglichen Pflichten antreten sollten. Die Heranwachsenden hingegen mussten sich zu den zugehörigen Kaltblütern begeben. Gleichzeitig setzten sie sich alle in Bewegung, auch Elio schloss sich einer Gruppe Jungen an, die er bereits durch ihr gemeinsames Kaltblut kannte. Sie marschierten Richtung Süden. Aufgrund der klaren Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern bildeten sich keine gemischten, sondern ausschließlich Jungen- oder Mädchengruppen.
Im Laufe ihres Lebens wurden die Heranwachsenden ihrer Reifung zufolge verschiedenen Kaltblütern im Lager zugewiesen. Doch diese Zuweisung geschah eher auf Grundlage ihres Aussehens. Sie orientierte sich nicht an ihrem tatsächlichen Lebensalter, was daran lag, dass der Großteil von ihnen das eigene Alter gar nicht kannte.
So war es auch bei Elio. Er kannte weder den Zeitpunkt, an dem er geboren worden war, noch seinen Geburtsort. Tagtäglich grübelte er verbissen über seine Herkunft nach, was die innere Leere vergrößerte. Seitdem er denken konnte, war sie ein Teil von ihm. Ständig suchte er vergeblich nach Antworten, die ihm keiner geben konnte. In seinem Kopf ging er unzählige Ursachen durch, die sein Dasein im Lager begründen könnten. Auch heute rasten ihm diese Gedanken durch den Kopf.
In einer großen Traube aus anderen Jungen marschierte er über den Sand zu dem Ort, an dem das Kaltblut sie erwartete. In seinem Leben hatte er bereits sechs verschiedene Kaltblüter gehabt, die er im Laufe der Jahre durch die Reifung seines Körpers immer wieder gewechselt hatte. Manche von ihnen waren tragischerweise an Altersschwäche gestorben oder in der offenen Wildnis verschollen. Auf alle Fälle war die Art, wie sie ihn behandelten, mit den Jahren kühler geworden. Auf diese Weise war er mit ihren strengen Maßnahmen auf immer härtere Prüfungen seiner mentalen und physischen Verfassung vorbereitet worden.
Dies hatte damals anders ausgesehen, als er noch ein Kleinkind gewesen war. Da hatten sie ihn sanft aus dem Zelt getragen. Mit ihnen oder anderen Jungen hatte er sich durch aufregende Spiele die Zeit vertrieben. Daran konnte er sich kaum noch erinnern. Wahrscheinlich hatten ihn damals weniger Sorgen geplagt, was eine Erkenntnis war, die hier zum Heranwachsen dazu gehörte, denn im Verlauf der Reifung wurde jedem der Ernst des Lebens bewusst.
Mittlerweile war er mit den anderen auf einer weiten und leeren Fläche aus Sand angekommen. Sie befanden sich an einer abgelegenen Stelle des Lagers, außerhalb des Komforts der unzähligen Zeltreihen. Ringsherum erstreckte sich die trockene Wüste. An einzelnen Stellen wurde sie mit den Streifen grüner Wälder umrahmt. In der Ferne waren die Spitzen der Zelte noch zu erkennen, in der anderen Richtung öffnete sich in weiter Ferne ein Spalt in dem Eisenzaun, der das Lager umschloss. An jenem Punkt standen zwei mit Speeren bewaffnete Gestalten, um deren Köpfe Tücher gewickelt waren.
Dies waren zwei der Wächter, die das Lager tagsüber und nachts vor unerwünschten Eindringlingen schützten. Diese Stellung und die eines stattlichen Kriegers waren die höchsten, die man nach Vollendung seiner Reifung erreichen konnte. Früher hatte Elio davon geträumt, einmal Wächter zu werden, um mit Stolz und Ehre für die anderen Bewohner einzustehen, aber heute war er sich nicht mehr sicher, was seine Bestimmung für die Zukunft sein würde.
Als die Jungen auf dem leeren Sandmeer Halt machten, begannen sie schweigend, sich in einer Reihe aufzustellen. Elio stand nun in der Mitte. Vor ihm ragte der Kopf des Kaltbluts in die Luft. Im Lager kannten sie ihn alle unter dem Namen Olaf. Er war ein muskulöser Mann, dessen braune Haut durch bunte Bemalungen herausstach, die jenem Krieger ähnelten, der Elio vor dem Serpenstigris gerettet hatte. Wie jeder der Jungen hier hatte auch Olaf einen haarlosen Kopf, dazu trug er bloß eine kurze Stoffhose. In der rechten Hand hielt er ein scharf geschliffenes Beil.
Mit langsamen Schritten ging er die Reihe entlang. Jeden Einzelnen von ihnen musterte er mit einem grimmigen Blick, als würde er nach ihren Schwächen suchen. Als er vor Elio Halt machte, musterte er ihn von Kopf bis Fuß. Einige Sekunden lang starrte er ihm eindringlich in die Augen. Elio hielt dem eisernen Blick stand, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er spürte, wie sein Herz von innen wie ein Hammer gegen seinen Brustkorb schlug. Ihm war bewusst, dass die heutige Prüfung seiner mentalen Stärke bereits begonnen hatte. Doch Olaf ließ schnell wieder von ihm ab. Ohne ein Wort zu sagen, ging er weiter die Reihe entlang. Vor einem Jungen, der etwa einen Kopf kleiner als die meisten anderen war, machte er Halt.
Dieser war schmächtig, der eindringliche Blick des stämmigen Mannes schien ihn einzuschüchtern. Keine Sekunde hielt er stand, sondern starrte beschämt auf den Sandboden. Olaf baute sich vor ihm auf. Mit der vernarbten Hand drückte er sein Kinn nach oben, sodass der Junge ihn ansehen musste.
„Für dich ist die heutige Maßnahme vorbei. Du bist noch nicht bereit, Kleiner“, raunte er leise. Schon begann er, den nächsten in der Reihe zu begutachten. Ohne einen Mucks von sich zu geben, senkte der abgemagerte Junge seinen Blick. Schnell trat er nach hinten, sein Nachbar klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Beschämt kehrte er ihnen den Rücken zu und trottete zurück in die Richtung der Zeltreihen. Dies war kein Einzelfall. Es geschah in der Regel, wenn die Reifungsmaßnahmen der Kaltblüter ein gewisses Risiko mit sich trugen.
Allen anderen gelang es, dem Starren standzuhalten. So ging es weiter, Olaf forderte sie dazu auf, ihm zu folgen. Er lief in die Richtung der Wächter. Gehorsam hefteten sie sich an seine Fersen, bis sie den Spalt im Zaun erreicht hatten. Durch die roten Tücher, die um die Köpfe der Wächter gewickelt waren, waren ihre Augen nur schwer erkennbar. Eine der vermummten Gestalten nickte Olaf zu und führte sie schweigend zu einer kleinen Holzhütte, die bloß wenige Meter von dem Zaunspalt entfernt war. Der Wächter kramte einen Eisenschlüssel aus der Hosentasche, mit dem er die Tür aufschloss. Das Gehäuse war so klein, dass Olaf sich ducken musste, um hineintreten zu können.
Von diesen Hütten gab es noch viele andere im Lager. Sie wurden hier Arsenale genannt. In ihnen waren alle möglichen Variationen von Waffen und Jagdwerkzeugen gelagert, die von Kriegern, Wächtern, Jägern, aber auch von Kaltblütern gebraucht werden durften. Doch einzig und allein die Wächter hatten Zugriff auf die Arsenale. Keinem Bewohner war es gestattet, diese ohne die Genehmigung eines Wächters zu betreten.
Für eine kurze Zeit verschwand Olaf in der Hütte. Mit zwei weiteren Äxten in den Händen trat er wieder nach draußen.
„Schlange bilden!“, rief er den Jungen zu, die sich in einer großen Traube vor dem Arsenal versammelt hatten.
Hastig bildeten sie eine lange Reihe. Olaf reichte die beiden scharfen Äxte an die Ersten von ihnen, bevor er sich wieder in das Arsenal hineinstreckte, um nach Nachschub zu greifen. So bekam nacheinander jeder Junge eine Waffe in die Hand gedrückt. Abgesehen von den Äxten kramte das Kaltblut noch Speere, Macheten, dazu Schwerter heraus. Niemand wagte es, sich darüber zu beschweren. Alle mussten mit der Waffe zurechtkommen, die ihnen zugewiesen wurde.
Als Elio an der Reihe war und Olaf ihm eine Axt in die Hände drückte, bemerkte er sofort, wie schwer sie war. Noch nie zuvor hatte er das Gewicht einer Axt in den Händen gehalten. In den vorherigen Reifungsmaßnahmen waren ihm höchstens Pfeil und Bogen oder ein kleiner Dolch zugewiesen worden. Es würde sicher nicht leicht werden, diese Last die ganze Zeit lang mit sich zu schleppen. Einige Jungen, die größer, dazu kräftiger als er waren, schienen sich darüber keine Sorgen zu machen. Einer von ihnen schwang seine riesige Machete sogar gekonnt über den Kopf. Mit Leichtigkeit fing er sie wieder auf. Elio konnte die Waffe nur mit Mühe aufrecht halten, aber es gab auch Jungen, die nicht einmal dazu die Kraft hatten und die Lasten an ihren schlaffen Armen baumeln ließen.
Nachdem jeder von ihnen bewaffnet worden war, trat Olaf aus dem Türrahmen heraus und gab dem Wächter ein kurzes Handzeichen. Dieser lief zügig zu ihm zurück, der das Arsenal wieder verriegelte. Elio war bewusst, dass es von nun an ernst wurde. Bald würden sie den Schutz des Lagers hinter sich lassen. Sein Herz pochte schneller, aber Olaf machte einen vollkommen ruhigen Eindruck. Gelassen bewegte er sich auf den Spalt im Zaun zu. Mit einem Kopfnicken in beide Richtungen verabschiedete er sich von den Wächtern und forderte die Jungen dazu auf, ihm zu folgen. Nacheinander zwängten sie sich ins Freie.
Es dauerte nicht lange, bis sie alle auf der anderen Seite des Zaunes angelangt waren. Staunend blickten sie in die endlosen Weiten des Sandmeeres. Einige von ihnen flüsterten aufgeregt miteinander. Elio starrte schweigend in die Ferne. Ein etwas größerer, dazu stämmiger Junge, der bereits öfter neben ihm gestanden hatte, wandte sich ihm zu. Dieser hatte einen felsenfesten Blick. Die runden Schultern neben seinem breiten Nacken ähnelten zwei gewaltigen Hügeln.
Er beugte sich etwas zu Elio hinunter und flüsterte leise:
„Ich habe von deinen Freunden gehört. Es tut mir leid.“ Seine Worte klangen aufrichtig und ehrlich. Elio musste feststellen, dass ihn die ruhige Stimme, dazu die physische Verfassung seines Gegenübers, stark an Lias erinnerten. Ihm huschte ein Schmunzeln über die Lippen. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Sie beide waren gute Menschen. Einen so frühen Tod hat keiner von ihnen verdient.”, sagte der Junge.
“Wie ist dein Name? Woher weißt du, was im fernen Süden geschehen ist?“, erwiderte Elio verblüfft.
„Mein Name ist Liam. Im Lager reden sie über dich, Elio. Du bist jener, der sich dem Schrecken des Serpenstigris entgegengestellt hat. Die meisten hier wissen davon, auch wenn sie es nicht zugeben“, flüsterte der Junge mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Hastig drehte er den Kopf zurück in Olafs Richtung.
Kurz fühlte Elio sich geschmeichelt, denn er hatte bisher nicht gewusst, dass die Reise in den Süden sich im Lager rumgesprochen hatte. Dies war ein geringer Trost, wenn er daran dachte, welches tiefe Loch der Verlust seiner Freunde in sein Herz gerissen hatte. Von den Albträumen und Schuldgefühlen, die ihn seitdem quälten, hatte mit Sicherheit keiner gesprochen.
„Reihe nach außen bilden!“, rief Olaf energisch, um die Aufmerksamkeit der aufgewühlten Truppe wieder auf sich zu lenken. Sogleich verstummte das Geflüster, alle starrten ihn ehrfürchtig an. Rasch bildeten sie eine lange Zweierreihe. Ihre Blicke richteten sich nach außen, ihre Rücken waren aneinandergepresst. Sie zückten die Waffen, sodass sie sich im Ernstfall verteidigen konnten.
„Ab!“, schrie Olaf über die Schulter, der sich in Bewegung setzte. Die seitwärtslaufenden Jungen folgten ihm eilig. Er selbst ging als einziger von ihnen nicht seitwärts, sondern hatte den Brustkorb nach vorne gerichtet, wodurch sie auf unerwartete Angriffe aus den meisten Richtungen vorbereitet waren. Der einzige Schwachpunkt jener Aufstellung war das offene Ende. Es wurde von niemandem geschützt. Die Truppen aus dem Lager reihten sich vor Aufbruch in die Wildnis immer auf diese oder andere Weise auf, damit in möglichst viele Richtungen aufmerksame Augen gerichtet waren.
Olafs Trupp bewegte sich zügig über den Sandboden in die Richtung eines dicht bewachsenen Waldstücks. Elio marschierte Rücken an Rücken mit Liam, darum bemüht, das Tempo der anderen aufrechtzuerhalten. Schließlich erreichten sie das Dickicht, welches in den Wald hineinführte. Mit einer Handbewegung forderte Olaf den Stillstand ein. Das Stapfen durch den Sand verstummte. Nur noch die eindringlichen Geräusche des Waldes waren zu hören. Ein buntes Gemisch aus Vogelgezwitscher, scharfem Zischen, schrillen Pfiffen und unzähligen anderen Lauten, die für Elio um einiges aufregender waren als der Klang der Wüste, welcher bloß aus dem Umherziehen einsamer Böen bestand.
Ohne zu zögern, zerhackte Olaf mit seiner Axt ein kleines Gebüsch. Ein Pfad in die Tiefen des Waldes tat sich auf. Er machte einen Schritt in das durchwachsene Dickicht hinein und forderte die Truppe dazu auf, ihm zu folgen. Elio zögerte, in seinem Kopf schwirrten immer noch die grausamen Bilder seiner blutenden Freunde und der furchterregenden Bestie herum. Ihm wurde rasch bewusst, dass er diese Gedanken verdrängen musste, wenn er seine Konzentration während der Reifungsmaßnahme beibehalten wollte. Also atmete er tief ein, gab sich einen letzten Ruck und folgte den anderen in die Schatten des Waldes.
Olaf führte sie an klaren Flüssen vorbei, aber auch durch matschige Sumpfgebiete, in denen aufgeschäumtes Matschwasser brodelte. Stechende Düfte stiegen ihnen in die Nasen. Die sonderbaren Laute, der mutierten Natur dröhnten in ihren Ohren. Die Gefährten ließen sich von nichts ablenken, sie folgten ihrem Kaltblut durch die fremde Umgebung.
Nach einer Weile erreichten sie eine von Baumkronen umringte Lichtung, die in den Strahlen der Mittagssonne badete. Olaf stellte sich in die Mitte der Wiese, dem Trupp gab er den Befehl, näherzutreten. Alle gehorchten ihm und stellten sich erneut in einer dichten Reihe auf.