Einfach Einstein! - Rüdiger Vaas - E-Book
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Rüdiger Vaas

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Beschreibung

Albert Einstein hat vor über 100 Jahren das Weltall neu erfunden. Seine Relativitätstheorie ist noch immer topaktuell, wie der Nachweis von Gravitationswellen gegenwärtig gezeigt hat. Doch was genau hat der Popstar der Physik eigentlich entdeckt, wie wurden seine Theorien bestätigt und warum würde ohne sie kein Navigationsgerät funktionieren? "Einfach Einstein!" entführt in die wundersame Welt von Zeitreisen, sonderbaren Quanteneffekten und dem verbogenen Universum und erklärt die genialen Gedanken des kauzigen Jahrhunderttalents so pfiffig und einfach wie möglich. Mit witzigen Illustrationen und spielerischem Wissensquiz.

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Seitenzahl: 135

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GENIALER GEDANKENSCHMIED

„Wichtig ist, dass man nicht aufhört zu fragen. Neugier hat ihren eigenen Seinsgrund. Man kann nicht anders, als die Geheimnisse von Ewigkeit, Leben oder die wunderbare Struktur der Wirklichkeit ehrfurchtsvoll zu bestaunen. Es genügt, wenn man versucht, an jedem Tag lediglich ein wenig von diesem Geheimnis zu erfassen. Diese heilige Neugier soll man nie verlieren.“

Schwerer Start

Es war nicht einfach, denn Albert Einsteins Aussichten im Frühjahr 1902 erschienen wenig erquicklich: arbeitslos, mittellos und sein Kind los. Dazu noch akademisch gescheitert.

Seine Hoffnung auf eine Assistentenstelle am Züricher Polytechnikum, wo er Physik und Mathematik studiert hatte, erfüllte sich nicht. Auch Anfragen in Deutschland, Holland und Italien blieben erfolglos. Und seine Doktorarbeit wurde abgelehnt. Damit erschien eine akademische Zukunft aussichtslos. Eine Anstellung im Lehramt glückte ebenfalls nicht. So musste er sehen, als Haus- und Nachhilfelehrer wenigstens etwas Geld zu verdienen. Auch sein Vater konnte ihn nach mehreren Firmenpleiten kaum mehr unterstützen und starb wenig später. Schon als Student hatte Einstein seiner Schwester gegenüber bedauert, er sei „nichts als eine Last für meine Angehörigen. Es wäre wahrlich besser, wenn ich gar nicht lebte.“

Hinzu kam eine menschliche Tragödie. Einsteins Kommilitonin und Geliebte Mileva Marić rasselte zum zweiten Mal durchs Examen und war schwanger. Seine prekäre berufliche und finanzielle Unsicherheit sowie der vehemente Widerstand seiner Eltern machten eine Heirat zunächst unmöglich. Mileva Marić gebar im Haus ihrer Eltern bei Novi Sad eine Tochter, die Einstein niemals gesehen hat. Das Kind blieb in Ungarn, und es ist wohl früh gestorben oder zur Adoption freigegeben worden.

Revolution im Patentamt

Doch dann wendete sich das Schicksal. Einstein erhielt im Juni 1902 am Patentamt in Bern eine Stelle als „ehrwürdiger eidgenössischer Tintenscheißer“ (wie er selbst sagte). Er konnte eine bessere Wohnung mieten, Mileva heiraten – und sich wieder der Physik widmen. Sehr förderlich war dabei der Gedankenaustausch mit seinen Freunden Maurice Solovine, Conrad Habicht und Michele Besso.

Auch ohne akademische Meriten veröffentlichte er bis 1904 bereits fünf Fachbeiträge in den angesehenen Annalen der Physik. 1905 – von Wissenschaftshistorikern sein „Wunderjahr“ genannt – schrieb der damals 26-Jährige dann innerhalb von sechs Monaten fünf weitere Artikel. Sie sind im Rückblick fulminante Paukenschläge, die gleich drei Bereiche der Physik für immer verändert oder sogar mitbegründet haben.

Einstein wies nach, dass die Materie aus winzigen Bestandteilen (Atome und Moleküle) aufgebaut ist, was damals heftig umstritten war. Er erkannte, dass Strahlung und Energie nicht kontinuierlich, sondern in Portionen aufgeteilt vorkommen – das Einzige, was er selbst als „radikal“ empfand. Und er schuf mit der Speziellen Relativitätstheorie einen neuen Rahmen aller physikalischen Theorien, revolutionierte damit die alltäglichen und physikalischen Auffassungen von Raum und Zeit und entdeckte, dass Masse und Energie nicht grundverschieden, sondern wesensverwandt und gewissermaßen zwei Seiten derselben Medaille sind. Niemand sonst hatte jemals die Physik so schnell und umfassend erweitert sowie auf eine neue – und bis heute äußerst tragfähige – Grundlage gestellt.

Dieses Buch

... berichtet über Einsteins Abenteuer der Erkenntnisse. Das soll möglichst voraussetzungslos und etwas augenzwinkernd geschehen. (Wer sich für mehr Details interessiert, für die aktuellen Forschungsfronten der Grundlagenphysik und Kosmologie sowie für Einsteins bis heute nicht eingelöstes Vermächtnis einer „Weltformel“, kann beispielsweise in den anderen Büchern des Autors fündig werden.) Dabei bleiben auch die geschichtlichen Zusammenhänge und Einsteins Persönlichkeit im Blick.

Einstein war ein Sprachkünstler, davon zeugen seine geistvollen Bonmots. Es gibt sogar Bücher voller Einstein-Zitate. Doch das ist nicht alles. Auch nicht die Hauptsache. Vielmehr hat Einstein die menschliche Sprache präzisiert und erweitert – nämlich die Sprache zur Beschreibung des Universums. Und die mit mathematischer Schärfe formulierte Sprache der Physik ist ein mächtiges Werkzeug, um durch Beobachtungen und Experimente entdeckte Eigenschaften und Regelmäßigkeiten der Naturvorgänge verallgemeinert, verdichtet und so exakt wie möglich zu erfassen, am besten quantitativ. Es ist keine einfache Sprache; man muss sie erlernen wie jede Sprache. Und sie ist auch nicht in Stein gemeißelt, sondern ändert sich und wird neuen Anforderungen angepasst. Dazu gehören Übersetzungsleistungen. Tatsächlich machen diese viele von Einsteins wichtigsten Erkenntnissen erst verständlich. Sie haben das Gebäude der Physik erschüttert und die Vorstellung von Raum, Zeit, Materie, Energie und Schwerkraft für immer verändert.

Die Spezielle Relativitätstheorie kann als Übersetzung und Vereinigung zweier bis dahin unversöhnlichen Sprachen der Physik verstanden werden; damit verbunden sind neue Bedeutungen der scheinbar so vertrauten, in Wirklichkeit aber äußerst seltsamen Begriffe von Raum und Zeit, Simultanität und Gegenwart, Energie und Masse (ab hier). Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie, die zu den bedeutendsten Leistungen des menschlichen Geistes überhaupt zählt, hat Einstein dann die Sprache der klassischen Physik völlig umgewälzt, aber zugleich auch präzisiert und vollendet (ab hier). Seitdem ist die Weltbühne nicht mehr getrennt von den Schauspielen in ihr zu verstehen. Und erstmals kann das Universum als Ganzes beschrieben werden – eine ungeheuere Horizonterweiterung (ab hier). Das alles sind aber nicht nur Worte und Formeln, sondern hat sich auf dem Prüfstand im Kreuzfeuer der Kritik und dem Härtetest der Experimente glänzend bewährt. Tatsächlich ist die Relativitätstheorie inzwischen die genaueste und insofern beste Theorie in der Geschichte der Menschheit (ab hier) – und sogar im Alltag angekommen. Umso mehr verwundert es, dass ihre Sprache nicht kompatibel ist mit einer anderen, die Einstein ebenfalls geprägt hat, und mit der das Reich des Allerkleinsten erschlossen wird: die kuriose Quantenwelt (ab hier). Einstein hat bis zu seinem Lebensende daran geforscht, eine Art Universalvokabular zu entwickeln – doch sein Vermächtnis konnte bis heute noch niemand erfüllen.

Ein großes, ewiges Rätsel

Bei allem Bescheidwissen ist Einstein immer bescheiden geblieben und war sich den Grenzen seiner Erkenntnisse deutlich bewusst. „Es ist mir genug, diese Geheimnisse staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen“, meinte Einstein. Und musste sich eingestehen, bei allem Vertrauen in eine rationale Grundstruktur des Kosmos: „Das Unverständlichste am Universum ist im Grunde, dass wir es verstehen.“ In einem Brief von 1951 meinte er sogar:

„Eines habe ich in meinem langen Leben gelernt, nämlich, dass unsere ganze Wissenschaft, an den Dingen gemessen, von kindlicher Primitivität ist – und doch ist es das Köstlichste, was wir haben.“

Einstein war nicht nur ein genialer Gedankenschmied, sondern auch hartnäckig bis störrisch und ein Individualist (er bezeichnete sich oft als „Einspänner“), der das zurückgezogene Denken liebte. Er hasste Wichtigmacherei und Mittelpunktswahn – und den Rummel um ihn selbst, als er schließlich weltberühmt wurde. „Alles, was irgendwie mit Personenkult zu tun hat, ist mir immer peinlich gewesen“, meinte er in einem Brief noch in seinem letzten Lebensjahr. Schon in früher Jugend hatte er versucht, sich „aus den Fesseln des ‚Nur-Persönlichen‘ zu befreien, aus einem Dasein, das durch Wünsche, Hoffnungen und primitive Gefühle beherrscht ist“, erinnerte er sich 1946 in seinen autobiographischen Aufzeichnungen:

„Da gab es draußen diese große Welt, die unabhängig von uns Menschen da ist und vor uns steht wie ein großes, ewiges Rätsel, wenigstens teilweise zugänglich unserem Schauen und Denken. Ihre Betrachtung winkte als eine Befreiung.“

Dass nicht jeder für die Alltagspraxis, (a)soziale Klüngelei und Geselligkeit gleichermaßen geeignet ist, hat Einstein ganz deutlich empfunden. Andererseits hatte er sich ein Leben lang öffentlich engagiert, auch politisch. Dabei zeigt sich, dass die individuelle Flucht ins Objektive sehr konkret die Welt bereichern und verbessern kann. Einstein drückte es 1920 so aus:

„Der wichtigste Beitrag der Intellektuellen zur Versöhnung der Völker und zur dauernden Verbrüderung der Menschheit liegt, meiner Meinung, in ihren wissenschaftlichen und künstlerischen Schöpfungen, weil diese den Menschengeist über die persönlichen und national-egoistischen Ziele erheben.“

„Wenn man mit dem Mädchen, das man liebt, zwei Stunden zusammensitzt, denkt man, es ist nur eine Minute; wenn man aber nur eine Minute auf einem heißen Ofen sitzt, denkt man, es sind zwei Stunden – das ist die Relativität.“

Das Ende des Äthers ...

Die Spezielle Relativitätstheorie, die Einstein am 30. Juni 1905 zur Veröffentlichung einreichte, war die Antwort auf zwei große Probleme der damaligen Physik. An ihnen arbeiteten bereits andere Wissenschaftler und kamen der Lösung zum Teil recht nah. Doch keinem gelang der radikale Perspektivenwechsel, mit dem Einstein den vertrackten Knoten durchschnitt, weil ein geduldiges Aufdröseln auf herkömmlichem Weg nicht möglich war. Übrigens war Einstein mit dem Begriff „Relativitätstheorie“ nicht besonders zufrieden. „Ich gebe zu, dass dieser nicht glücklich ist und zu philosophischen Missverständnissen Anlass gegeben hat“, schrieb er 1921 in einem Brief. Denn die Theorie erwies keineswegs alles als „relativ“; sie zeigt auch, was in allen Bezugssystemen gilt, also nicht von den subjektiven Perspektiven oder Koordinaten abhängt.

Das eine Problem war ein direkter Widerspruch zwischen Theorie und Erfahrung (oder Realität). Das andere Problem bestand in einem Widerspruch zwischen zwei in der experimentellen Erfahrung gut bewährten Theorien. Solche fatalen Schwierigkeiten sind Gift für eine einheitliche, überzeugende Weltbeschreibung – und zugleich der stärkste Antrieb für die Suche nach einer besseren.

Das erste Problem betraf die Existenz eines den ganzen Weltraum ausfüllenden Mediums: den Äther. In ihm sollte sich die elektromagnetische Strahlung – beispielsweise Licht und Radiowellen – ähnlich ausbreiten wie der Schall in der Luft. Das legte die damals schon gut etablierte Theorie des Elektromagnetismus nahe.

Wenn es einen ruhenden Äther gäbe, an den das Licht und andere elektromagnetische Wellen gebunden wären, dann müsste er sich als Ätherwind in Präzisionsexperimenten bemerkbar machen.

Wenn die Äther-Annahme stimmt, müsste sich die Geschwindigkeit von Lichtstrahlen auf der Erde unterscheiden – je nachdem, in welcher Richtung sie den Äther durcheilen. Denn die Erde müsste bei ihrem rund 30 Kilometer pro Sekunde schnellen Umlauf um die Sonne ja durch den Äther sausen, und das Licht würde sich mal mit der Bewegungsrichtung der Erde ausbreiten, mal senkrecht dazu und dann wieder entgegengesetzt. Doch raffinierte Experimente seit 1881, vor allem von den Amerikanern Albert Abraham Michelson und Edward William Morley, konnten diesen Effekt nicht nachweisen. Und laut Spezieller Relativitätstheorie darf das ätherische Medium auch nicht existieren; „die Einführung eines Lichtäthers wird sich insofern als überflüssig erweisen“, formulierte es Einstein in seiner bahnbrechenden Arbeit; sie war also auch eine Art physikalische Todesanzeige für den Äther.

Falls sich die Erde relativ zu einem absolut ruhenden Lichtäther bewegt, besitzen zwei Lichtstrahlen, die senkrecht zueinander laufen, eine unterschiedliche Geschwindigkeit. Das hat ein Experiment mit dem Michelson-Morley-Interferometer überprüft. Dabei wurde ein Lichtstrahl mittels eines halbdurchlässigen Spiegels „gespalten“ und auf zwei verschiedene Wege gelenkt, dann jeweils an einem anderen Spiegel reflektiert und schließlich wieder im Detektor zusammengeführt. Durch eine Drehung der Apparatur lässt sich diese in verschiedenen Winkeln zum hypothetischen Ätherwind ausrichten. Der Lichtstrahl in Bewegungsrichtung der Erde sollte aus der Sicht eines ruhenden Beobachters etwas langsamer sein als der senkrecht dazu. Die Folge wäre, dass die gleichzeitig ausgesandten Wellenberge und -täler der vertikalen und horizontalen Lichtstrahlen nicht simultan auf dem Detektorschirm eintreffen, wenn der Äther existiert. Diese Interferenz würde zu einem charakteristischen Streifenmuster führen – doch davon und also vom Äther zeigte sich keine Spur.

... und ein elektrisierender Widerspruch

Das andere Problem war theoretischer Natur. Es klingt wie die abstrakte Sorge eines Bilanzbuchhalters, hat seine Wurzeln aber durchaus in der Alltagserfahrung. Manchmal weiß man nämlich nicht, ob man in Ruhe oder in Bewegung ist. Das ist kein Grund, sich über seine psychische Gesundheit Sorgen zu machen. Wer häufig mit der Bahn unterwegs ist, kennt das Phänomen: Blickt man versonnen aus dem Fenster – oder auf eine spiegelnde Fensterscheibe – dann sieht man zuweilen den Zug auf dem Nachbargleis im Bahnhof abfahren … und fährt doch selbst los. Oder umgekehrt. Diese Täuschung lässt sich zwar ausschließen, wenn man Beschleunigungskräfte spürt, doch manchmal ist man einfach zu schläfrig oder in ein gutes Buch vertieft, sodass die Bewegung nur im Augenwinkel wahrgenommen wird.

Einstein hat die Relativität von Bewegungen gern anhand von Beispielen mit Zügen erläutert. So schrieb er:

„Wenn sich jemand in einem gleichmäßig in gerader Linie fahrenden Eisenbahnwagen befindet, dessen Fenster verhängt sind, so ist es ihm unmöglich, darüber zu entscheiden, in welcher Richtung und mit welcher Geschwindigkeit der Wagen fährt; wenn von dem unvermeidlichen Rütteln des Wagens abstrahiert wird, so ist es nicht einmal möglich zu entscheiden, ob der Wagen fährt oder nicht. Abstrakt ausgedrückt: Mit Bezug auf ein gegen das ursprüngliche Bezugssystem (Erdboden) gleichförmig bewegtes System (Wagen) sind die Gesetze des Geschehens die nämlichen wie mit Bezug auf das ursprüngliche System (Erdboden); wir nennen diese Aussage das Relativitätsprinzip der gleichförmigen Bewegung.“

Dieses Prinzip kam schon in der Klassischen Mechanik von Galileo Galilei und Isaac Newton zur Anwendung. Relativ zueinander gleichförmig bewegte Beobachter können ihren absoluten Bewegungszustand nicht bestimmen; beide Perspektiven sind gleichberechtigt, es gibt kein privilegiertes Bezugssystem. Daher lassen sich Ereignisse, die in einem System beschrieben werden, in ein anderes System übertragen. Dabei muss lediglich von einem Koordinatensystem in ein anderes „übersetzt“ werden. Und dafür gibt es eine Umrechnungsregel: die auf Galilei zurückgehende Galilei-Transformation. Sie gilt für alle Inertialsysteme der Klassischen Mechanik – das sind Bezugssysteme, die ruhen oder sich gleichförmig bewegen.

Züge, die auf dem Abstellgleis stehen oder mit konstanter Geschwindigkeit aneinander vorbeifahren, sind Beispiele für solche Inertialsysteme. Macht man in ihnen physikalische Experimente, kommt man zu denselben Ergebnissen und kann daraus dieselben Naturgesetze ableiten.

Konsistente Koordinatentransformationen – also die Existenz eindeutiger Umrechnungsregeln – sind von großer Bedeutung. Denn Naturgesetze hängen nicht von den zufälligen Befindlichkeiten der Wissenschaftler ab. Daher forderte Newton eine absolute Zeit und einen absoluten Raum als Grundlage der Physik: Uhren und Längenmaßstäbe müssten somit überall im Universum und aus den Perspektiven aller Beobachter unabhängig von deren Geschwindigkeit dieselben Verhältnisse anzeigen. Ob sich also beispielsweise jemand beim 100-Meter-Lauf fast die Lunge aus dem Leib rennt oder aber bewegungslos am Badestrand liegt, sollte keinen Einfluss auf die physikalischen Gleichungen haben.

Zeit vergeht Newton zufolge für sich selbst, absolut und ohne Beziehung zu etwas Äußerem; Zeit und Raum bilden eine Art starre Weltbühne mit einem genau festgelegten Schauspiel; Zeitspannen und Momente der Gleichzeitigkeit sind demnach unabhängig von Bezugssystemen und Perspektiven. Und genau diese Annahmen hat die Spezielle Relativitätstheorie widerlegt.

Das zweite und für Einstein entscheidende Problem war nämlich eine Unvereinbarkeit der Klassischen Mechanik mit der Theorie des Elektromagnetismus. Das Zentrum dieser Theorie sind die Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik. James Clerk Maxwell hatte sie in London bis 1864 nach Vorarbeiten anderer ausformuliert – „das Tiefste und Fruchtbarste, das die Physik seit Newton entdeckt hat“, wie es Einstein 1931 anlässlich der 100. Jährung von Maxwells Geburtstag ausdrückte.

Doch die Beschreibung physikalischer Vorgänge aus unterschiedlichen Perspektiven von Beobachtern, die sich relativ zueinander konstant bewegen, ist in der Klassischen Mechanik und im Elektromagnetismus nicht deckungsgleich! Für die Maxwell-Gleichungen gilt eine andere Umrechnungsvorschrift als für die Mechanik: die Lorentz-Transformation, benannt nach Hendrik Antoon Lorentz.

Dass zwei verschiedene Umrechnungsregeln für Koordinatensysteme verwendet werden müssen, ist eine geradezu schizophrene Situation. Das würde die Beschreibung von Ereignissen spalten, obwohl die Welt doch als eine Einheit erscheint, zumal elektromagnetische Phänomene auch auf mechanische wirken können und umgekehrt. Diesen fundamentalen Widerspruch zwischen zwei experimentell gut bestätigten physikalischen Theorien fand Einstein „unerträglich“. Das war der Ausgangspunkt seiner revolutionären Überlegungen. Er wollte nicht akzeptieren, dass für die Natur zwei verschiedene Regeln nötig seien: die Galilei- und die Lorentz-Transformation von Koordinatensystemen.

Obwohl dieses abstrakte Problem etwas lebensfremd und langweilig anmutet, hat es Einstein und einige seiner Zeitgenossen förmlich elektrisiert. Und es war ja auch die Elektrodynamik, die ihnen Kopfzerbrechen machte (ebenso beim Äther-Problem). Nicht zufällig trägt Einsteins epochaler Artikel zur Relativitätstheorie den Titel Zur Elektrodynamik bewegter Körper