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Das Wissen über die Elementarteilchen steht vor einer Revolution: Mit der größten Maschine der Menschheit wurde das legendäre Higgs-Boson entdeckt – und für dessen Voraussage der Nobelpreis verliehen. Andere Forscher fahnden nach Antiteilchen aus dem All und dem Schattenreich der Dunklen Materie. Was ist nach dem Urknall geschehen? Wie sind die Bausteine des Universums entstanden? Woraus besteht die Welt – und warum gibt es sie überhaupt? Wissenschaftsreporter und Kosmologie-Spezialist Rüdiger Vaas spannt den Bogen vom Allerkleinsten zum Allergrößten. Er analysiert den aktuellen Erkenntnisstand und berichtet über die Suche nach einer "Weltformel", die erklärt, was das Universum im Innersten zusammenhält. Eine einzigartige Exkursion vom Urknall zu anderen Universen und ins Innerste der Materie: Mikrokosmos – den Bausteinen der Materie auf der Spur Gottesteilchen – eine verwegene Annahme mit schwerwiegenden Folgen Antimaterie – die Erforschung der verschwundenen Gegenwelt Dunkle Materie – der unsichtbare Dirigent im Universum Symmetrie – ein Code der Natur, der Einheit und Vielfalt schafft Weltformel – auf der Suche nach einer "Theorie von Allem"
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Seitenzahl: 601
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© M. Brice (2008), CMS, CERN.
Kathedrale für das »Gottesteilchen«:Im CMS-Detektor am Large Hadron Collider sind bereits über eine halbe Million Higgs-Bosonen entstanden – und nach jeweils einer Trilliardstel Sekunde sofort wieder zerfallen.
Diese freudigen Worte von Rolf-Dieter Heuer, dem Generaldirektor des Forschungszentrums CERN bei Genf, bedeuten wohl den Schlussstein eines rund fünf Jahrzehnte dauernden Kapitels einer Erfolgsgeschichte ohne Beispiel: der Entwicklung, Ausarbeitung und Vervollständigung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Es beschreibt alle bekannten Teilchen und Kräfte außer der Gravitation. Und es ist zusammen mit Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie die am besten bestätigte wissenschaftliche Theorie aller Zeiten.
Nur ein Beispiel: Mit dem Standardmodell lässt sich, wenn auch mit erheblichem Aufwand, der normierte Wert des anomalen magnetischen Moments eines Elektrons sehr genau berechnen beziehungsweise voraussagen: 0,00115965218178(77) (wobei selbst die Gründe der Unsicherheiten in den letzten Ziffern bekannt sind). Und Experimentalphysiker konnten ihn äußerst präzise messen: 0,00115965218076(27) (mit einer Unsicherheit von plus/minus 0,00000000000027). Theorie und Beobachtung passen also auf zehn signifikante Stellen zueinander – und das bei einem nicht gerade selbstverständlichen Parameter eines Elementarteilchens, das kleiner als 10-19 Meter sein muss. Diese Übereinstimmung ist kein Zufall, sondern sie zeigt, dass Wissenschaftler hier ein sehr tiefes Verständnis von der Natur haben.
Am 4. Juli 2012 gaben Physiker am CERN die Entdeckung eines neuen Teilchens bekannt, die Heuer so freute. Es ist sehr wahrscheinlich das seit Jahrzehnten gesuchte Higgs-Boson – das Quant eines Felds, ohne das es keine Masse gäbe, keine Atome und kein Leben. Dieses Feld durchzieht alles, auch dieses Buch, und ist vielleicht der Schlüssel zu einer unbekannten Realität, zu verborgenen Dimensionen und einer »Weltformel«. Peter Higgs und François Englert, die die Existenz des neuartigen Felds vorausgesagt und so eine Großfahndung mit den gewaltigsten Maschinen aller Zeiten ausgelöst hatten, wurden im Dezember 2013 mit dem Nobelpreis geehrt.
Dieses Buch beschreibt die Entdeckung des Higgs-Teilchens, das Standardmodell der Materie sowie das, was Physiker heute jenseits davon vermuten, suchen, erhoffen und befürchten.
› Das erste Kapitel, Mikrokosmos, schlägt den weiten Bogen von den ersten Spekulationen griechischer Philosophen über Naturgesetze und Atome bis zum modernen Standardmodell der Elementarteilchenphysik. Obwohl sich die »reduktionistische« Erklärungsstrategie bis heute glänzend bewährt hat, wurden die Vorstellungen von der Materie und ihren Wechselwirkungen radikal umgewälzt. So richtig weiß niemand, was Materie eigentlich ist – und die Quantenfeldtheorien werfen auch diffizile philosophische Fragen auf. Ganz handfest geht das Kapitel aber weiter mit der Erfolgsgeschichte des Forschungszentrums CERN, dem globalen Zentrum der experimentellen Elementarteilchenphysik, und mit seiner grandiosen Weltmaschine, dem Large Hadron Collider (LHC) und dessen haushohen Messgeräten. Der LHC ist auch eine Art »Urknall-Maschine«, denn er erzeugt Bedingungen, wie sie weniger als eine Milliardstel Sekunde nach dem Anfang unseres Universums überall im Weltraum herrschten.
› Das zweite Kapitel, Gottesteilchen, beschreibt die abenteuerliche Suche nach dem Higgs-Boson. Seine Existenz wurde 1964 am Schreibtisch postuliert, was zunächst kaum Beachtung fand. Fast ein halbes Jahrhundert später haben es Teilchenphysiker am LHC vieltausendfach produziert und mit riesigem Aufwand akribisch nachgewiesen – ein grandioser Erfolg für die Wissenschaft! Damit ist das Standardmodell der Elementarteilchen komplett und ein echt »schweres« Rätsel gelöst.
› Das dritte Kapitel, Antimaterie, handelt von der eigenartigen Gegenwelt der Materie, die fast gleich und doch ungeheuer vernichtend erscheint – vor allem aber größtenteils abwesend. Doch am CERN werden nun erstmals in der Geschichte des bekannten Universums Antiatome erzeugt. Damit lassen sich die Naturgesetze auf eine ganz neue Weise ausloten.
› Das vierte Kapitel, Dunkle Materie, hat eine weitere »Parallelwelt« der Natur im Fokus: ein seltsames Schattenreich, das sich nur durch seinen Schwerkrafteinfluss bemerkbar macht. Der ist aber gewichtig. Die unsichtbare Dunkle Materie muss mindestens das Sechsfache der Gesamtmasse aller gewöhnlichen Elementarteilchen besitzen. Sie regiert die Galaxien, wie Astronomen inzwischen wissen. Nun sind die Teilchenphysiker gefordert, die ominösen Partikel einzufangen – oder am LHC direkt zu erschaffen.
› Das fünfte Kapitel, Symmetrien, spürt dem Geheimcode der Natur nach, der Einheit stiftet und Vielfalt schafft. Hier wird alles GUT, die scheue SUSY verzaubert und das Higgs-Boson kommt wieder zu Ehren.
› Das sechste Kapitel, Weltformel, schließlich handelt von den gleichermaßen exotischen wie faszinierenden Versuchen, eine umfassende Erklärung von Materie, Energie, Kräften sowie Raum und Zeit zu finden – die Entstehung des Universums eingeschlossen. Physiker arbeiten an einer Theorie der Quantengravitation … und verheddern sich dabei nicht selten in zusätzlichen Dimensionen, in bizarren Branen- und Hologramm-Welten, bis sie auf Abwege geraten in einer ungeheuren Landschaft, um sich zuletzt irgendwo zwischen Myriaden von Raumzeiten im Multiversum wiederzufinden. Das klingt vielleicht konfus oder abstrus – doch so verwegen das Szenario der Superstrings und ihre geheimnisvolle Erweiterung, die M-Theorie, auch anmuten: Ihre Erfolge sind beträchtlich. Sie avancierte zum führenden Kandidaten einer »Theorie von Allem«.
Willkommen in der Welt des Mikrokosmos, in physikalischen Gedankenschmieden und in fremden Universen!
Die Bausteine des Universums
Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist eine der besten, genauesten und erklärungsmächtigsten Theorien der Menschheit. Es beschreibt die gesamte Materie – oder zumindest alles, was davon bislang direkt nachgewiesen wurde.
M. Brice (2007), CMS, CERN.
Scheibchenweise zur Erkenntnis:Der riesige CMS-Detektor wurde oberirdisch gebaut und in Einzelteilen zum Large Hadron Collider hinab gelassen.
»Ein Physiker ist die Weise, in der ein Atom die Atome kennt.«
George Wald (1906 – 1997), amerikanischer Physiologe
»Wenn in einer Naturkatastrophe alles wissenschaftliche Wissen zerstört würde und nur ein Satz an die nächste Generation von Lebewesen weitergegeben werden könnte, welche Aussage hätte dann den größten Informationsgehalt mit den wenigsten Worten?«
Diese Frage hat der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman in einer seiner berühmten Vorlesungen einmal seinen Studenten gestellt. Man kann leicht und lange darüber ins Philosophieren kommen. Nach so einer globalen Katastrophe hätten die Menschen zunächst wohl andere Sorgen als die Lösung wissenschaftlicher Probleme. Doch Feynman ging es in seinem Gedankenexperiment ja um etwas anderes. Und er schlug auch gleich eine Antwort vor: »Ich bin davon überzeugt, dass dies die Atom-Hypothese ist (oder die Atom-Tatsache oder wie immer man es auch nennen mag): dass alle Dinge aus Atomen aufgebaut sind – aus kleinen Teilchen, die sich permanent bewegen, die einander anziehen, wenn sie ein wenig voneinander entfernt sind, die sich aber gegenseitig abstoßen, wenn sie aneinander gepresst werden. In diesem einen Satz steckt eine enorme Menge an Informationen über die Welt, wenn man nur ein wenig Phantasie und Nachdenken darauf verwendet.«
Tatsächlich fasst dieser Satz eine der bedeutendsten Erkenntnisse der Naturwissenschaften zusammen. Dem können wohl nicht viele andere grundlegende Einsichten Konkurrenz machen. Vielleicht noch das biologische Faktum von der Evolution des Lebens und seinem genetischen Code. Und das astronomische Wissen von der Erde als einem Planeten unter Myriaden anderen, bei einem Stern unter Myriaden anderen, in einer Galaxie unter Myriaden anderen in einem sich seit dem Urknall fortwährend ausdehnenden Universum (vielleicht unter Myriaden anderen… was erstaunlicherweise zur Teilchenphysik zurückführt).
Diese Atom-Hypothese, die sich im Lauf der letzten Jahrzehnte – oder Jahrtausende – immer wieder gewandelt hat und inzwischen geradezu abenteuerliche Vorgänge im Reich des Allerkleinsten erschloss, ist in ihrer wissenschaftlichen Ausgestaltung zwar äußerst anspruchsvoll und hat sich vom Alltagsverstand inzwischen weit entfernt. Der Grundgedanke aber ist verblüffend einfach und von großer Erklärungskraft: Die ganze (sichtbare und unsichtbare) Welt besteht aus winzigen Bausteinen, von denen es nur wenige verschiedene Arten gibt, und deren vielfältige Anordnungen und Verbindungen die ganze Fülle der erfahrbaren Wirklichkeit konstituiert. So wie sich mit Sandkörnern die unterschiedlichsten Burgen bauen lassen und mit Bauklötzen ein ganzes Dorf, gelang es der Natur mit ihren bereits in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall erzeugten Elementarteilchen, die Fülle der Erscheinungen hervorzubringen. Es ist die bloße, aber unübersehbar komplexe Kombinatorik, auf die sich alles Makroskopische gründet – vom kleinsten Staubkörnchen bis zum genialsten Gehirn des größten Wissenschaftlers, der diese mikroskopischen Turbulenzen zu verstehen versucht.
Dieser Gedanke, die Atom-Hypothese, ist so einfach und schwierig, so tiefgründig und abgehoben zugleich, dass er zwar leicht gedacht und gesagt, aber nur außerordentlich schwer erwiesen werden kann. Und er mag schwärmerischen Naturen wenig erbaulich vorkommen – obwohl er doch eigentlich nichts anderes als eine Hypothese von »Bauanleitungen« darstellt –, als schnöder Materialismus, weshalb er auch fast zwei Jahrtausende lang weitgehend ignoriert wurde. Dabei haben ihn bereits griechische Naturphilosophen gedacht.
Der Theoretische Physiker Herbert Pietschmann, bis zu seiner Emeritierung Professor an der Universität Wien, hatte sich schon in den 1960er-Jahren an einer »Geschichte der Elementarteilchen in Versen« versucht. Dabei verdichtete er die altgriechischen Anfänge folgendermaßen:
Unter jenen klugen Leuten,
Welche Höhen und auch Weiten
Geist‘gen Raumes schnell durcheilten,
Gab es manche, die verweilten.
Demokrit war so ein Mann,
Welcher nicht, im eitlen Wahn,
Auf Ideen sich beschränkte;
Nein, auf die Materie lenkte
Jener seine Geisteskraft.
Und er hat es auch geschafft! [...]
Den Beweis der uns erbrachte
Vom Atom, indem er dachte,
Wenn man einen Stein halbiert
Und dann weiter dividiert
Bis mit List und auch mit Tücke
Man erhält die kleinsten Stücke!
Wenn man dann nicht müde wird,
Sondern immer noch halbiert
(Bald im Geist geschieht‘s mit Eile,
Allzu klein schon sind die Teile),
Langt man Schluss und endlich ein
Beim Atom, beim Urbau-Stein.
Niemals soll es wem gelingen
Dieses kleinste von den Dingen
Weiterhin zu unterteilen!
Nicht mit Axt und nicht mit Keilen.
Und warum ist das so klar?
»Atomos« heißt »unteilbar«.
Unter Elementarteilchen (von lateinisch »elementum«: Grundstoff, Urstoff) versteht man winzige, fundamentale und unteilbare kleinste Grundbausteine der Materie, die nicht selbst zusammengesetzt sind. Darüber wurde bereits im alten Indien sowie in der griechischen und römischen Antike spekuliert. Leukipp (5. vorchristliches Jahrhundert) und sein Schüler Demokrit (circa 460 – 380) sowie später Epikur (341 – 270) und Lukrez (97 – 55) argumentierten für die Existenz solcher einfachen, unwandelbaren »Atome« (von griechisch »atomos«: unteilbar, was nicht zerschnitten werden kann). Denn eine beliebige, unendliche Teilbarkeit der Dinge müsste ins Nichts führen, das heißt es existierte dann überhaupt keine Materie.
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