Einfach mal FUCK sagen - Stephanie Drönner - E-Book

Einfach mal FUCK sagen E-Book

Stephanie Drönner

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Beschreibung

Fluchen gehört sich nicht, das bekommen wir von unseren Eltern beigebracht. Und die meisten von uns halten ein Leben lang an diesem Grundsatz fest. Daher staunte die wohlerzogene Autorin dieses Buches nicht schlecht, als sie während einer Taxifahrt in Berlin erlebte, wie ungeniert der Fahrer einen Fluch nach dem anderen ausstieß – und wie entspannt er danach wirkte. Sie probierte es selbst aus und merkte, was für eine Wohltat herzhaftes Fluchen sein kann. Ob beim Autofahren oder nach dem Meeting mit dem Chef – alles ist plötzlich so viel leichter, wenn man sich traut, aus vollem Herzen "FUCK!" zu brüllen, wenn die Dinge mal wieder nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hatte. Dabei geht es nicht darum, anderen Menschen Beleidigungen an den Kopf zu werfen, sondern darum, Wut und Ärger rauszulassen, statt in sich hineinzufressen und krampfhaft zu versuchen, "positiv zu denken". Würden Sie auch gern mal so richtig Dampf ablassen? Da noch kein FUCK-Meister vom Himmel gefallen ist, hat Stephanie Drönner in diesem unterhaltsamen Ratgeber ihre Erkenntnisse aus dieser Art, mit Stress, Aggression und Ärger umzugehen, zusammengefasst. Die ultimative Anleitung für ein entspanntes Leben!

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Seitenzahl: 257

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
 
Originalausgabe, 1. Auflage 2017
 
© 2017 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Redaktion: Antje Steinhäuser, München
Umschlaggestaltung: Karen Schmidt, München
Umschlagabbildung: Paket/Shutterstock, Borja Andreu/Shutterstock
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-86882-803-0
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-060-2
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-061-9
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:
www.mvg-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Einleitung
Kapitel 1: (Don’t) Fuck me
Abschied vom idealen Ich
Verfickte Feigenettigkeit
Welcher Fluch-Typ sind Sie?
Fuckten-Check Kapitel 1
Kapitel 2: Fuck im Alltag
Auf der Straße der Neandertaler
Leben in der Warteschlange
Bedient im Restaurant
Technik, die nicht begeistert
Stimmungskiller Steuer
Fuckten-Check Kapitel 2
Kapitel 3: Fuck-Bekannte & Fucking Freundschaften
Die doofe Ziege aus der Sportgruppe
»Kannst du mal, hast du mal«-Typen
Time to say goodbye
Freundschaft to go
Auch die Besten haben Fehler
Fuckten-Check Kapitel 3
Kapitel 4: Fucking Family
Verfluchte Verwandtschaft
Das Mutter-Schutz-Programm
Mama 2.0 – die Schwiegermutter
Nein, wir kommen nicht
Kinder, Kinder
Fuckten-Check Kapitel 4
Kapitel 5: Fuck-Jobs
Mund auf im Meeting
Ey, du Opfer
Prima Klima vs. dicke Luft
Weihnachtsfeier
Die Chefsache
Fuckten-Check Kapitel 5
Kapitel 6: F... na ja, Sie wissen schon – Partnerschaft
Der Fluch (in) der Beziehung
Kreative Geschenke? Geschenkt!
Das Schweigen der Männer
Der Weg ist nicht das Ziel
Gemeinsame Projekte
Fuckten-Check Kapitel 6
Zum Ausklang
Schimpfwortknobeln
Schimpfwörter
Erläuternde Adjektive
Quellen

Einleitung

»Du Arschkrampe! Haste deinen Führerschein inne Lotterie jewonnen?! Du abjehalfterter Armleuchter, verfatzda, aber janz flotti karotti!«

Diesen Moment meiner Erleuchtung werde ich wohl nie vergessen. Zu verdanken habe ich sie einem Helden in verwaschenen Jeans und ausgelatschten Sneakers, der zu diesem Zeitpunkt schon seit einer geschlagenen halben Stunde in schöner Abwechslung Kupplung, Bremse und Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten hatte. Mit dem zweifelhaften Erfolg, dass der Flughafen Tegel, unser Startplatz, jetzt ganze zwei Kilometer hinter uns lag.

Ich hatte noch zehn Minuten, um pünktlich zu meinem Interviewpartner in Kreuzberg zu kommen und war mir ziemlich sicher, dass das niemals klappen würde. Meine Unterkiefer mahlten vor Anspannung so stark aufeinander, dass sich bereits ein unschöner Kopfschmerz in der linken Schläfe bemerkbar machte. In meinem Magen klumpte sich eine diffuse Angst vor dem, was kommen würde, zusammen: ein vermutlich mies gelaunter, weil wartender Promi und nur noch drei Minuten Zeit für einen zweieinhalb DIN-A4-Seiten langen Fragenkatalog. Mein Herz legte vor lauter Nervosität Extrasystolen ein. Und bei all dem Ärger hatte ich auch noch einen Taxifahrer erwischt, der seinen Frust so beherzt rausbrüllte, als leide er unter Tourette und ich unter Schwerhörigkeit. Der Tag hätte nicht besser laufen können.

Unauffällig rieb ich mir mit Mittel- und Zeigefinger die Nasenwurzel – ich hatte mal gehört, dass das beruhigend wirken solle. Als aber die Ampelphase zum dritten Mal von Rot auf Grün auf Rot wechselte, ohne dass wir auch nur einen Meter vorwärts gekommen waren und auf dem Fahrersitz mittlerweile Lautstärken erreicht wurden, die unters Lärmschutzgesetz fielen (und auch auf diverse andere Arten rechtlich bedenklich waren), konnte ich nicht mehr.

»Verdammt noch mal, können Sie diese Scheiß-Flucherei vielleicht mal lassen?!«, schrie ich entnervt und verspürte unmittelbar danach zwei Effekte: Der Druck unter meiner Schädeldecke ließ augenblicklich um einige Bar nach. Und ich wurde knallrot vor Scham. Mein Chauffeur lachte nur und schob seine Mütze in den Nacken. »Und? Besser jetze? Nix für ungut, wissen Se. Ick kann den Verkehr nich ändern. Aber ick muss mir nich och noch n’ schlecht bezahltet Majenjeschwür einhandeln. Und wenn ick mal n’ bisschen Dampf ablassen kann, entspannt mich dit enorm.«

Kurz darauf löste sich der Stau auf, und die restliche Fahrt verlief fast verstörend schweigend. Als er endlich in Kreuzberg hielt, gab ich ihm aus Verlegenheit ein fürstliches Trinkgeld. »Wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja noch mal, wenn ich das nächste Mal in Tegel lande«, erklärte ich bemüht versöhnlich zum Abschied – und über meinem Kopf blinkte derweil neongelb die Gedankenblase »bloß nicht, bloß nicht« auf.

»Det wünsch ick ihnen nich«, gab Mr. Ich-bin-mit-dem-Düsenjet-durch-die-Kinderstube-gebraust zurück. »Da werd ick nämlich als Assistenzarzt im Virchow-Klinikum arbeiten. Hab vor zwei Wochen Examen jemacht.« Er grinste, legte zum Gruß den Zeigefinger an die Stirn und fuhr davon.

Im Rückblick muss ich sagen, dieser Tag änderte für mich – erst mal gar nichts. Das Einzige, was mein Taxiheld ins Wanken gebracht hatte, war meine Meinung über Fluchende; bis dahin hatte ich sie eher für einfach gestrickte Underdogs gehalten. Macht man ja nicht. Wird einem als Kind beigebracht. Und doch hatte mein wohlerzogenes Weltbild durch Dr. Arschkrampe, wie ich ihn bis heute in Ermangelung seines Namens immer noch liebevoll nenne, erste Risse bekommen. Ich konnte das herrliche Gefühl der Euphorie nach meinem Ausbruch nicht vergessen. Der nachlassende Kopfschmerz. Das Gefühl von Freiheit im Bauch, wo vorher noch ein dicker Knoten gesessen hatte. Ich hatte einen kleinen Happen vom Baum der derben Erkenntnis kosten dürfen, jetzt wollte ich mehr: den ganzen verfluchten Apfel! Aber dafür musste ich erst mal raus aus meinem Schrank.

Den Schrank habe ich Lisabeth zu verdanken. Lisabeth ist die kleine Schwester von Madita in dem gleichnamigen Kinderbuch von Astrid Lindgren und hatte für damalige Zeiten (geschrieben wurde das Buch in den 1960er-Jahren) schon fast anarchistische Züge: Wenn sie keinen Bock auf etwas hatte, schüttelte sie wild den Kopf und sagte entschieden »tu ich apselut nicht«. Diesen Satz habe ich mir seit Kindertagen zu eigen gemacht und nutze ihn noch heute regelmäßig, inklusive der charmanten orthografischen Fehler. Um darüber hinaus auch noch nach Herzenslust schimpfen, fluchen oder andere Kraftausdrücke kultivieren zu können, kletterte sie häufig in ihren Schrank, um sie dort ungestört aufzusagen, ohne Angst, dafür von Mama getadelt zu ­werden.

Als ich klein war, schien mir das Konzept total schlüssig. So schlüssig, dass ich mich gefühlt Jahre meiner Kindheit in vermutlich asbestverseuchtem Pressspan-Furnier aufhielt.

Und zum Zeitpunkt meiner legendären Taxifahrt war ich immer noch eine mentale Schrank-Flucherin.

Der Schrankausstieg erfolgte letztlich schleichend. Es war nicht so, dass ich eines Morgens aufgewacht wäre und den anständigen Pyjama gegen das trikotage Pendant von Catwoman getauscht hätte, versehen mit dem Schriftzug »Fuck you all«, auf ewig im Kampf gegen gute Manieren. Das ging schon deshalb nicht, weil ich in Latex leider eine deutlich schlechtere Figur mache als Halle Berry. Aber mir wurde immer mehr bewusst, dass die Schranklösung irgendwie feige ist. Also hab ich mein regulierendes Über-Ich öfter mal in den Kurzurlaub geschickt. Beim Autofahren etwa. Das funktioniert super, denn da haben Sie alle fünfhundert Meter einen perfekten Anlass, Broca und Wernicke – den Arealen im Gehirn, die für unsere Sprachbildung zuständig sind – vollkommen freien Lauf zu lassen.

Mein erster ganz bewusster »Wichser« hat noch heute einen Platz in meinem Herzen. Wahrscheinlich leuchtete mein Kopf dabei roter als die Ampel, die der Typ überfahren hatte. Aber das Gefühl! Es war so befreiend, als hätte ich Houdini-gleich meine anerzogenen Ketten gesprengt. Statt wie sonst vor Wut mit den Fingernägeln Abdrücke im Lenkrad zu hinterlassen, und diese unschönen Stirnfalten zu vertiefen, breitete sich ein entspanntes Lächeln auf meinem Gesicht aus. Meine Lungen füllten sich mit einer Menge an Luft, die mich nahezu schweben ließ …

Mit der Zeit wurde ich enthusiastischer und auch kreativer, was die Wortschöpfungen anging.

Nein, tut mir leid, die werde ich Ihnen nicht verraten, denn irgendwann vereinbarte ich mit mir selbst: What happens in the car, stays in the car. Und solange die Windschutzscheibe nicht beschlägt, ist alles im grünen Bereich. Aber keine Bange, wenn Sie Ihr Vokabular noch ein wenig ausbauen möchten: Das Schimpfwort-Knobelspiel am Ende dieses Buchs unterstützt Sie bei Bedarf.

Nun ist der eigene Pkw, gerade wenn man allein darin unterwegs ist, ein ganz unkomplizierter Ort zum Fluchen. Der Dödel vor Ihnen hört Ihre Meinung ja nicht, wenn Sie nicht gerade ein Cabrio fahren. Allerdings, ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist: Ich bin nicht immer allein im Auto. Da sitzt öfter mal jemand drin, mit dem ich die guten und die schlechten Zeiten ebenso teile wie Tisch und Bett. (Und der behauptet steif und fest, die Stunden mit mir als Fahrerin gehörten eindeutig zu den weniger guten Zeiten.) Außerdem kann ich doch den einen oder anderen Moment außerhalb des Autos nicht vermeiden, zum Beispiel, um zu arbeiten. Und da fängt es an, schwierig zu werden.

Im Job akzentuiert die eigene Meinung kundzutun, ohne am nächsten Morgen die Kündigung im Briefkasten vorzufinden, das ist Kunst. Im Beisein des Partners über ihn zu schimpfen und dann am nächsten Morgen nicht den Schlüssel der bisher gemeinsamen Wohnung im Briefkasten vorzufinden, das ist Fluchen summa cum laude! Und nein, den Briefkasten zu verstecken gilt in beiden Fällen nicht.

Da noch kein Fuck-Meister vom Himmel gefallen ist, hilft nur eins: stetes Training. Denn mal ehrlich, was ist denn die Alternative? Bei Ärger die negative Energie ins Wurzelchakra zu atmen oder was weiß ich wohin? Wer hat denn eigentlich bestimmt, dass wir immer politisch korrekt, nett und verbal sauber sein müssen? Okay, die Mama. Und die hat es von ihrer Mama. Und die? Also. Jetzt vergessen wir unsere vermeintlich guten Manieren mal.

 

Würden Sie gern

• einfach sagen, was Sie wirklich denken? • ganz entspannt Sie selbst sein und nicht dauernd Anstrengungen unternehmen müssen, um besser/schlauer/schöner zu werden?• nach Herzenslust abkotzen? • »Nein« sagen, wenn Sie »Nein« meinen und nicht aus Versehen/Gewohnheit/Feigenettigkeit »Ja«?• wenn etwas misslingt, aus vollem Hals Fuck brüllen, ohne groß nachzugrübeln, was andere wohl darüber denken? • Wut und Ärger endlich rauslassen, statt alles in sich reinzufressen und wie ein beknackter Smiley debil dauerzulächeln? • dem Arschloch-Chef mitteilen, dass er sich seine SOS-Herausforderungen für besonders fähige Mitarbeiter dahin stecken kann, wo die Sonne nie scheint? • der Schwiegermutter sagen, dass ihr Nachwuchs ebenso wenig ein Gottesgeschenk an die Menschheit ist wie ihr hochgelobter Sauerbraten? • die Barbie-Zicke aus der Sportgruppe, die immer verächtliche bis mitleidige Blicke auf Ihr Hinterteil wirft, zum Teufel schicken?

 

Willkommen im Club! Genau das tun wir in den kommenden Kapiteln. Vielleicht haben Sie jetzt ein bisschen Schiss, dass Sie hinterher niemand mehr leiden mag. Und ja, es kann tatsächlich sein, dass Sie dem ein oder anderen leicht auf den Schlips treten. Aber wenn diejenigen Sie nur mögen, weil Sie im Zweifel immer nur Ja und Amen sagen, statt »Fuck, kommt überhaupt nicht in die Tüte« – wie viel ist deren Sympathie dann wert? Eben. Also, lassen Sie’s raus.

An bösen Worten, die man ungesagt hinunterschluckt, hat sich noch niemand den Magen verdorben, soll Winston Churchill mal gesagt haben. In Anbetracht seiner beträchtlichen Leibesfülle kann man allerdings davon ausgehen, dass sie zumindest schwer verdaulich sind und sich im Bauch ansammeln wie Kirschkerne im Wurmfortsatz. Ist das erstrebenswert? Nö. Ein späteres Zitat von ihm sagt denn auch folgerichtig: Besser einander beschimpfen, als einander beschießen. Na also, Sir. Sie waren ja doch ein weiser Mann. Genau wie Dr. Arschkrampe. Und der hier:

 

»Ich bin, wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich.«

Konrad Adenauer

 

Los geht’s.

 

Kapitel 1(Don’t) Fuck me

Abschied vom idealen Ich

Kennen Sie noch diese total aktive und attraktive Blondine aus der Jacobs-Dröhnung-light-Reklame aus den Neunzigern? Das ist dieser Typ Frau:

Ich wache morgens gut gelaunt auf und springe voller Motivation aus dem Bett, schlüpfe nach dem Duschen in meinen eleganten mintgrünen Hosenanzug Größe 34 und mache dann mit links und einem Lächeln fett Karriere, bis ich abends schnell eine Runde joggen gehe, bevor ich im leger-raffinierten Dress meinen gut aussehenden Lover nach dem Restaurantbesuch sexy verführe.

Haben Sie vor Augen? Prima, ungefähr so können Sie sich mich vorstellen.

Nur in kleiner und dunkelhaarig, ohne den mintgrünen Hosenanzug. Plus zwanzig Kilo und Morgenmuffel. Mein Büro ist zudem nicht ganz so repräsentativ und ich bin vielleicht nicht ganz so erfolgreich, dafür aber unsportlich. Wenn ich es genau überschlage, verbringe ich zudem nicht so viele Abende mit männlichen Models in Sterne-Lokalen wie mit Göttergatte am Küchentisch bei Pellkartoffeln und Rahmspinat. Und ziehe ich mich anschließend bis auf die Unterwäsche aus, liegt es weniger an meiner Femme-fatale-Ausstrahlung als an der Tatsache, dass man Rahmspinatflecken aus Textilien möglichst fix rauswaschen sollte, ansonsten kann man den Stoff gleich jägergrün färben. Aber bis auf diese Kleinigkeiten sind wir absolut deckungsgleich, die Jacobsdrohne und ich.

Um ehrlich zu sein, wünschte ich mir, seitdem diese Werbung irgendwann zum Ende des letzten Jahrtausends über die damaligen Röhrenfernseher flimmerte, die nicht wegzudiskutierenden Unterschiede zwischen Blondie und mir unsichtbar machen zu können.

»Du spinnst«, antwortete meine Freundin Diana fassungslos, als ich ihr vor einiger Zeit diese geheime Sehnsucht an einem schwachen Abend gestand. Ungefähr zwei Stunden, nachdem meine Wasserstoff-Blondierung in einem intensiven Karottenton endete und ich mich laut Anzeige der Waage noch zwei weitere Kilos von meinem wahren Ich entfernt hatte. Von der Karriere wollen wir jetzt gar nicht erst anfangen …

»Du spinnst sogar total.« Diana, nicht unerheblich zu wissen, ist der Prototyp einer Feministin; sie hält Germanys next Topmodel für eine Geißel der Menschheit, liest regelmäßig die Kolumne von Margarete Stokowski auf spiegel.de und wäre nach eigener Aussage für Frida Kahlo lesbisch geworden, wenn sie die Malerin denn rechtzeitig vor ihrem Ableben kennengelernt hätte. Optisch hingegen ähnelt sie nicht etwa Alice Schwarzer, sondern ist unverschämt hübsch; zudem muss sie ständig Süßes essen, um nicht zu dünn zu werden, weil sie eben so schnell verstoffwechselt. Kurz, wäre Diana nicht meine Freundin, würde ich sie von ganzem Herzen hassen, denn sie ist wahrlich eine geile Sau. Aber ich hab sie lieb, obwohl und gerade weil sie mir an diesem Abend so den Kopf gewaschen hat.

»Was magst du an dir?«, lautete ihre Frage, nachdem sie mich vor meinen großen Spiegel im Flur geschoben hatte. Und ließ dann nicht locker, bis ich ausreichend optische wie charakterliche Eigenheiten genannt hatte, die ich an mir attraktiv finde. Es kamen erstaunlicherweise gar nicht so wenige zusammen, und sie kommentierte das grinsend mit einem »siehste«. Das Grinsen verstärkte sich noch, als sie fortfuhr: »Ich wusste, es muss irgendwelche Gründe geben, warum ich ausgerechnet mit dir komischen Nudel befreundet bin, und nicht mit der Jacobs-Frau.«

Mit dieser Übung, die Sie übrigens ruhig mal selbst vor dem eigenen Spiegel ausprobieren können, war die Kopfwäsche jedoch keineswegs zu Ende.

»Jetzt schau mich an und sag ›fuck you, du dämliche Jacobsfotze, du überidealisierte Werbefigur, die nur dazu dienen soll, normale Frauen zu degradieren und einzuschüchtern‹«, forderte Diana mich auf.

Ich verdrehte die Augen und zeigte ihr einen Vogel.

»Nu mach schon«, drängelte sie.

»Ich hab nicht mal den ganzen Satz behalten«, wehrte ich ab.

»›Fuck you, Jacobsfotze‹ reicht ja schon«, lenkte meine Freundin ein.

»Das ist total albern. Aber gut, du hörst ja doch nicht auf zu nerven, also ›fuck you, Jacobsfotze‹«, leierte ich gelangweilt herunter.

Sie schüttelte beharrlich den Kopf. »Du musst das schimpfen, sei leidenschaftlich!«

»Verdammt noch mal, dann halt FUCK YOU, DU BESCHISSENE, DÄMLICHE, BLÖDE DRECKS-DUSSELIGE JACOBS­FOTZE«, fauchte ich plötzlich wütend, und wusste in dem Augenblick nicht mal so genau, ob ich nun das perfekte Weibchen aus dem Fernsehen meinte, oder das andere neben mir.

Letzteres nickte jedenfalls anerkennend, während mir der Schweiß ausgebrochen war und das Herz bis zum Hals schlug.

»Sehr gut! Du solltest öfter mal ›Fuck‹ sagen, das steht dir. Hast du eigentlich noch brünette Haar-Coloration im Haus? Dann kümmern wir uns jetzt mal darum, dass wir den Pumuckl von deinem Kopf kriegen, der steht dir nämlich nicht so gut, um ehrlich zu sein …«

Als ich am nächsten Morgen gewohnt muffelig erwachte, die dringend benötigte Kaffee-Dosis aufbrühte (wer braucht schon Light-Kaffee!) und erleichtert feststellte, dass das Orange meiner Haare wirklich verschwunden war, ließ ich den Abend Revue passieren. Fuck you, Jacobsfotze.

Statt Komplimenten hielt mir mein zähneputzendes Spiegelbild diesmal die Attribute »vulgär und primitiv« entgegen. Ich spuckte den Schaum ins Becken. Das Fuck hatte sich uneingeschränkt gut angefühlt. Primitiv hin, vulgär her. Sogar so gut, dass ich mir Dianas Ratschlag auf einen Zettel schrieb und an die Pinnwand hängte: Du solltest öfter mal »Fuck« sagen, das steht dir.

Die Jacobsfotze hingegen – hm. Die lag mir irgendwie schwer im Magen. Diana liebt das Wort Fotze, sie findet regelmäßig Gelegenheiten, es anzuwenden, und trotzdem würde sie niemand deshalb für eine Ghetto-Schlampe oder Ähnliches halten. Es passt einfach zu ihr (und liebe Diana, das meine ich total positiv!). Zu mir allerdings passte Jacobsfotze nicht, genauso wenig wie der mintfarbene Hosenanzug, in dem selbige steckte. Vielleicht würde sich das irgendwann ändern, vielleicht würde ich den Begriff eines Tages auch mit einer solch abgeklärten Attitüde verwenden, dass er in einer Aspekte-Sendung nicht unangenehm auffiele. Aber soweit war ich noch nicht (und bin es immer noch nicht, und das ist okay!). Für mich war die Jacobsfotze eben eine Jacobsmuschi. Die ist dann doch nicht so erschlagend …

Die Jacobsmuschi hatte ich längst weggesteckt, doch das Thema Kraftausdrücke ließ mich einfach nicht mehr los. Ich begann ein wenig zu recherchieren. Schnell stieß ich auf erstaunliche Informationen und die Erkenntnis, dass ich längst nicht die Erste war, die sich fürs Schimpfen und Fluchen interessiert. Immerhin gab es sogar einen eigenen Wissenschaftszweig dafür, die Malediktologie (von lat. »maledicere« für schimpfen)!

Ob Doc Arschkrampe das wusste? Dann hatte er bestimmt in den letzten Jahren genug Material für die Ehrendoktorwürde gesammelt! Zahlreichen namhaften Experten zufolge, so las ich, solle Fluchen gleich auf verschiedenen Wegen positiv wirken. Und wer denkt, kräftig vom Leder ziehen, sei ein Grund, sich zu schämen, erhält von Sprachwissenschaftlern und Psychologen großzügig Absolution. Da ist kein einziges Ave Maria nötig, schimpfen und verunglimpfen gehören zum Menschen, seit jeher – und sind z.B. dort besonders vertreten, wo menschliches Leben überhaupt erst beginnt. An kaum einem Ort soll so viel und so inbrünstig geflucht werden wie im Kreißsaal.

Das ist medizinisch auch durchaus sinnvoll, denn wer schimpft, flucht und/oder Kraftworte verwendet, schüttet dabei Endorphine aus. Und die haben tatsächlich schmerzlindernde Wirkung, wie Dr. Richard Stephens von der Universität Keele (Großbritannien) in Studien herausgefunden hat. Er untersuchte etwa, wie lange Probanden es aushalten, die Hand in eiskaltes Wasser zu tauchen. Eine Gruppe der Testpersonen durfte dabei fluchen, die andere nur neutrale Begriffe benutzen. Jetzt raten Sie mal: Genau, mithilfe von »fuck« und »shit« schafften es die Versuchskaninchen im Schnitt vierzig Sekunden länger und empfanden, wie ihre Angaben hinterher bewiesen, die Prozedur auch insgesamt als weniger schmerzhaft.

Aber Achtung: Stephens’ Untersuchungen belegten ebenfalls, dass die günstigen Effekte des Schimpfens nicht bei jedem auftreten. Als Faustregel gilt hierbei: Je öfter man flucht, desto geringer ist der Nutzen. Am meisten profitieren die Personen vom »Fuck«, die es clever dort anbringen, wo es auch wirklich gerechtfertigt ist. Wer hingegen bei jedem quersitzenden Pups lospöbelt, dem geht mit der Zeit die Luft aus – und wird die überschüssige im Bauch dadurch nicht mehr los.

Mein ganz persönlicher Kreißsaal ist die Küche. Ich bin nämlich nicht nur die Jacobsmuschi der Herzen, sondern auch die geheime Tochter von Martha Stewart und Klementine. Ja, von beiden. Es mag sich blöd anhören, aber ich hätte wirklich gern einen perfekten Haushalt. Das darf man als Frau heute eigentlich gar nicht mehr laut sagen, schließlich haben Generationen von Frauen dafür gekämpft, dass wir trotz der genetischen Schwäche von zwei XX-Chromosomen endlich selbstbestimmt leben können, einen Job haben dürfen und eigenes Geld verdienen. All das ist ja auch wirklich ganz schön, und ich verspreche hoch und heilig (und kann dafür auf Wunsch jede Menge Zeugen liefern), dass ich mich nicht über gebügelte Geschirrhandtücher definiere.

Aber ich stelle es mir halt trotzdem total erholsam vor, wenn man spontan an der Tür klingelnde Freunde/Nachbarn/Schornsteinfeger ganz relaxt reinbitten kann, statt in ADHS-artige Blitzaufräumaktionen zu verfallen, nach denen man hinterher die alten Socken im Kühlschrank wiederfindet. Oder wo man nicht drei Tage dauerputzt, bevor »liebe Gäste« (Schwiegermutter, Arbeitskollegen, Versicherungsvertreter) kommen, denen man dann sagt »entschuldigt, wie es hier aussieht, ich bin einfach nicht zum Saubermachen gekommen«.

Da ist wirklich eine tiefe Sehnsucht in mir. Ebenso wär’ ich gern ein Ass am Herd. Und es macht mich wütend, dass sich Backzutaten, -formen und die erforderliche Technik böswillig gegen mich verschwören. Die mögen mich nicht und möchten mich aus ihrer Küche rausekeln, von der nur ich denke, dass sie mir gehört. Anders ist es einfach nicht zu erklären, warum ein Kuchen, der auf dem Frauenmagazinfoto herrlich fluffig, schokoladig und rundum appetitlich aussieht, durch meiner Hände Arbeit (genau nach Rezept, ich schwöre!) zu einem Stück Holzkohle mit Puderzucker mutiert.

Hier beweist Göttergatte, dass er den Spruch »in guten wie in schlechten Zeiten« wirklich ernst nimmt: Er isst klaglos, was ich mit Liebe und Verzweiflung (zu gleichen Teilen) produziere. Danke dafür an dieser Stelle. Andere sind da weniger opferbereit: Werde ich auf eine Party eingeladen, zu der jeder etwas mitbringen soll, bekomme ich auf meine Frage, ob ich besser einen Nudelsalat oder Nachtisch beisteuere, regelmäßig zu hören »Brot wär super«. Alternativ: »Ach, kümmer dich einfach um die Getränke.« Ja, Freunde, es ist mir aufgefallen!

Doch diese negative Energie prallt an mir ab – und kurz stelle ich mir die Frage, ob ich grenzenlos optimistisch oder einfach unbelehrbar bin, als ich mich mit dem Handrührgerät, Hefe, Milch, Mehl, Ei und Zucker ausgestattet an die Arbeitsplatte stelle. Mission Butterkuchen beginnt. Zunächst mal lässt es sich gut an: Ich kreiere einen lockeren Teig, der jetzt an einem warmen Ort ruhen soll. Der einzige warme Ort gerade ist im Wohnzimmer vor dem Kamin, da ruhen aber schon die Katzen. Und die sind not amused, als ich sie zugunsten einer Teigschüssel vertreibe.

»Oh, backst du?«, fragt Göttergatte, der gerade aus dem Garten reinkommt, beim Anblick meines bemehlten schwarzen Lieblingsshirts.

»Ich höre den angstvollen Unterton«, weise ich ihn zurecht und er zuckt entschuldigend mit den Achseln. Nach einer Stunde ist der Teig nahezu, wie im Rezept beschrieben, auf das doppelte Volumen angewachsen. Na ja, vielleicht nicht ganz. Aber größer ist die Kugel schon geworden. So rund 50 Prozent. Etwa. Also, ein Viertel Zusatz ist auf jeden Fall zu sehen. Hoffe ich. Ich beschließe, die Ruhephase noch ein halbes Stündchen auszudehnen; eine optische Veränderung zeigt sich dadurch nicht. Dann gehört das wohl so.

Bei der weiteren Zubereitung erweist sich mein ehemals geschmeidiger Teig als zähes Etwas, das sich beharrlich gegen eine Auswälzung auf dem Backblech sträubt. »Grrr«, knurre ich, und meine schlechtere Hälfte steckt ahnungsvoll seinen Kopf zur Tür rein. »Stimmt was nicht?«

Nein, gar nichts stimmt, verdammter Mist, ich sollte meine Zeit und meine vielfältigen Talente nicht in einer Küche vergeuden, sondern etwas Sinnvolles damit tun!, schreie ich ihn in Gedanken an. In Wirklichkeit aber lächle ich – vielleicht ein wenig verkrampft – und erkläre »Quatsch, alles unter Kontrolle«. Nachdem ich den Mandelmatsch auf dem Teig verteilt habe, das schwarze Shirt ist mittlerweile nicht nur dalmatinerartig gefleckt, sondern auch noch Sahne-Butter-verschmiert, schiebe ich das Blech in den Ofen und ein Stoßgebet zum Himmel, dass der Teig dort zumindest noch ein wenig aufgehen möge.

»So eine verfluchte Scheiße!« Eine halbe Stunde später schreie ich dem zu braun gewordenen und steinharten Kuchen, der maximal die Dicke einer Tafel Milka (aber leider nicht deren Geschmack) aufweist, meinen ganzen Hass entgegen. Mal ehrlich, wenn das keine geeignete und berechtigte Gelegenheit zum Fluchen ist, was dann?! Immerhin habe ich mehr als zwei Stunden meines nach aktuellem Stand der Wissenschaft endlichen Lebens dafür aufgewendet, ein Blech Grillanzünder zu produzieren. »Du verfickter Dreckteig! Du verschissener Backofen! Du mieses Handrührgerät!«

Ich atme tief aus und zerteile die Teerpappe das Gebäck mit dem Brotmesser mühevoll in kleine Quadrate. Warum hat man eigentlich keine Axt in der Besteckschublade? Der Hund klemmt den Schwanz ein und trollt sich, nachdem er ein angebotenes Stück Backgut naserümpfend abgelehnt hat. Der frisst sonst alles! Göttergatte, das sehe ich ihm an, würde es dem Tier am liebsten gleich tun (also naserümpfend verzichten, nicht das mit dem Einklemmen). Aber er beißt mit Heldenmut hinein, mahlt kräftig mit Ober- und Unterkiefer und sagt dann erstaunt: »Ach komm, sooo schlecht ist es doch gar nicht. War ja immerhin dein erster Versuch, Knäckebrot zu machen, oder?«

Die Reste des Blechinhalts erhalten eine feierliche Feuerbestattung im Kamin; der Teig brennt erstaunlich gut. Ich sag’s ja, Grillanzünder. Mit jedem Stück, das ich unter leisen Flüchen hineinwerfe und das zu Asche wird, werde ich ruhiger. Zur Hölle mit Butterkuchen! Der brennt wenigstens gut! Ich mag ihn sowieso nicht gern!

»Dann versuch’s doch das nächste Mal mit Himbeertorte, die liebst du«, will Göttergatte zwischen mir und dem Backuniversum vermitteln. Ich überlege kurz. Und dann schüttele ich den Kopf.

Hat mir Fluchen geholfen, mich besser zu fühlen? Absolut. Aber kann es an der grundsätzlichen Situation, nämlich dem Umstand, dass ich leider absolut kein Talent zum Backen habe, etwas ändern? Wohl eher nicht. Die Fluch-Sause würde sich somit vermutlich in ähnlicher Art wiederholen und die befreiende Wirkung einem Dauerfrust weichen, wenn ich Butterkuchens missratene Kollegen Plunderteilchen, Schokomuffins und Himbeertorte auf den Plan rufe.

Und plötzlich sehe ich wieder Diana vor mir. Du solltest öfter mal »Fuck« sagen, das steht dir. Sie hat recht!

Fuck you, Butterkuchen!

Ich muss nicht gut backen können.

Fuck you, Klementine!

Ich bin auch ohne herausragende hausfrauliche Fähigkeiten ein liebenswerter Mensch.

Fuck you, Ihr übersteigerten Ansprüche an mich selbst!

Ich gebe die feindliche Übernahme der Küche auf. Ebenso die Hoffnung, jemals zur Haushaltsqueen des Jahres gekürt zu werden. Und ich will jetzt ein Stück Himbeertorte! Vom Konditor!

Himbeertorte tut gut (solange ich sie nicht backen muss). Aber noch besser fühlt es sich an, abstrusen Idealvorstellungen von sich selbst, denen man ohnehin nie gerecht wird, nicht länger hinterherzuhecheln. Egal wie sehr ich es mir wünsche und mich damit abquäle, aus mir wird keine blondjoggende Dröppelminna mit Latin Lover und eingebauter Vorfahrt auf der Karriereüberholspur. Es wird in diesem Leben auch nix mit mir und der begnadeten Hauswirtschafterin. Sie sind vielleicht kein Naturtalent in Fremdsprachen oder haben Probleme mit dem Satz des Pythagoras. Na und? Fuck you, Pythagoras! Klar ist das irgendwie ärgerlich, ja. Aber dafür punkten wir eben mit anderen Trümpfen. Auch die meisten Genies sind nicht in allem brillant, sondern ausschließlich in ihrem Fachgebiet. Und zwar deshalb, weil sie sich genau darauf konzentrieren, all ihre Energie dafür verwenden und sich nicht verzetteln, indem sie versuchen, in anderen Disziplinen halbwegs passabel vor sich hinzustümpern.

Verfickte Feigenettigkeit

Es gibt Sachen, die sind eigentlich vollkommen harmlos. Trotzdem fühlen sie sich irgendwie unangenehm an, und wenn man sie umgehen kann, tut man’s. Das Erstaunliche ist, dass jeder seine eigenen Hmneeliebernichts hat.

Eine Kollegin hat mir zum Beispiel mal erzählt, wie ungern sie Tampons kauft. Das findet sie irgendwie peinlich, zu persönlich, zu intim. Sie will nicht, dass jeder, der vor ihr und nach ihr an der Kasse steht, auf dem Warenband gepresste Watteröllchen mit blauem Bändchen sieht, deren Bestimmungsort eindeutig, nun ja, ihre Jacobsmuschi ist. Finde ich völlig verspleent, aber ihr ist es eben unangenehm. Als ich ihr mal in einer Mittagspause beim Lidl gegenüber einen Jahresvorrat erwarb, hat sie fast vor Glück geweint – ungelogen!

Göttergatte, dem Monatshygieneartikel naheliegenderweise ziemlich wurscht sind, hasst es dafür, beim Pizzataxi anzurufen und eine Bestellung durchzugeben. Ich wiederum telefoniere mit denen völlig ungehemmt und fordere souverän »einmal die 2 und die 6« (Margherita und Tonno) an. Allerdings nehme ich die Pappboxen nicht so gern an der Tür vom Fahrer entgegen. Womöglich ist es einer der fragwürdigen Erfolgsfaktoren unserer Ehe, dass sich diese beiden Defizite so gut ergänzen.

Selbst Diana, die Fotze so locker ausspricht wie andere Leute Kartoffelpuffer, hat so ihre Hemmungen. Sie kann zum Beispiel nicht an Menschen vorbeigehen, die sie nach Geld fragen. Egal, ob es der alte Bettler mit seinem hungrigen Hund ist, das Rote Kreuz, irgendein abstruser »Sie möchten doch auch, dass Kinder vor Gewalt geschützt werden«-Verein, der seinen Sitz wahrscheinlich entweder irgendwo auf den Cayman Islands oder direkt in den Hosentaschen der Fragenden hat. Diese Unfähigkeit, Nein zu sagen, führte in Dianas Studium dazu, dass sie bei ihren Straßenbahnfahrten in Köln nicht an der Haltestelle Rudolfplatz umgestiegen ist, was für sie der kürzeste Weg gewesen wäre. Nein, sie wechselte die Linie lieber am Neumarkt, obwohl sie das jedes Mal eine Viertelstunde mehr Zeit kostete. Der Grund: Am Rudolfplatz musste sie einen kleinen Fußweg bewältigen, der gesäumt war von »Haste mal ’n Euro«-Punks. Und bis Diana den Fuß in ihre Bahn setzen konnte, war sie pleite.

Nicht falsch verstehen, Großzügigkeit ist eine wunderbare Eigenschaft, und ich gönne zumindest dem alten Mann und seinem Tier das Geld von ganzem Herzen. Und wenn Diana ein inniges Bedürfnis hätte, Punks, NGOs oder zweifelhafte Vereine zu unterstützen, so what, ihr gutes Recht. Doch eigentlich will sie das ja gar nicht. Sie hat ihr Patenkind in Ruanda, ist Mitglied im Tierschutzverein und hängt als Erste am Telefon, wenn im Fernsehen Spendenaufrufe für »Ein Herz für Kinder« oder »Rednoseday« laufen. Allen anderen (bis auf den Alten mit Hund) würde sie gern einfach Nein sagen. Aber das ist ihr so unangenehm, dass sie stattdessen zähneknirschend ihr Portemonnaie öffnet und sich hinterher über sich selbst ärgert. Und über das Leck auf ihrem Konto, wo eigentlich ein hübsches Plus stehen sollte, von dem sie ihr Patenkind in Ruanda nämlich besuchen will.

Jeder von uns entwickelt also irgendwelche krummen Taktiken, um bestimmten Umständen aus dem Weg zu gehen. Ich habe auch so eine, noch zusätzlich zu Göttergatte-an-die-Tür-schicken-und-Pizza-annehmen-Lassen, und, ehrlich gesagt, weiß ich überhaupt nicht, woher die stammt. Weder legten meine Eltern diese Eigenschaft auffällig häufig an den Tag, noch hab ich mir die Methode von Freunden abgeschaut. Und erst recht wird sie in keinem der psychologischen Ratgeber, die ich so im Laufe meines Lebens weggeschmökert habe, empfohlen. Die Rede ist von Feigenettigkeit.

Sie können mit diesem Begriff nichts anfangen? Ich erklär’s kurz:

• Feigenett ist man, wenn man im Restaurant noch dem unfreundlichsten Kellner, nachdem man ihn in Gedanken geteert und gefedert hat, ein Trinkgeld gibt – nicht etwa, weil er es verdient hätte, sondern weil man sonst vielleicht komisch angeschaut wird. • Feigenett ist auch, bei (unbezahlten) Sonderaufgaben im Job vor Wut in die Schreibtischplatte zu beißen – sie aber weder abzulehnen, noch überhaupt zu hinterfragen, weil das vielleicht unangenehme Konsequenzen haben könnte. • Eindeutig feigenett ist es, bei einer Verabredung mit Freunden schon zehn Minuten zu früh am vereinbarten Treffpunkt im Regen zu stehen und die eine halbe Stunde zu spät Kommenden dann pitschnass und lächelnd mit »Ach, macht doch nix« zu begrüßen, während einem vor Wut das Eiweiß im Blut ausflockt.