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Eine Frau in Not! Mikes männlicher Beschützerinstinkt erwacht mit aller Macht. Ihr Wagen ist mitten im Nirgendwo liegen geblieben, es regnet in Strömen - wo soll die Fremde bloß hin? Er lädt die bildhübsche Savannah Grayson ein, in seinem Haus zu übernachten. Morgen ist ein neuer Tag, da kann sie hoffentlich weiterfahren … Doch das kann Savannah leider nicht, und plötzlich hat Mike ein Problem. Denn nie wieder wollte er sich verlieben! Warum lässt er sich dann zu einem so atemberaubend heißen Kuss hinreißen, der sein Herz auf eine gefährliche Probe stellt?
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Seitenzahl: 204
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2015 by Sara Orwig Originaltitel: „At The Rancher’s Request“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1957 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Monika Paul
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733724375
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Stirnrunzelnd warf Mike Calhoun einen Blick in den Rückspiegel. Nachdem er sich rasch vergewissert hatte, dass mit Scotty, seinem dreijährigen Sohn, der auf der Rückbank saß, alles in Ordnung war, konzentrierte er sich wieder auf die Fahrbahn. Eisgrauer Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe seines Trucks. Die Sichtweite betrug keine fünfzig Meter, obwohl die Scheibenwischer auf höchster Stufe arbeiteten. In der letzten halben Stunde war ihnen kein einziges Auto entgegengekommen, und auch sonst hatte Mike ein Lebenszeichen entdeckt. Deshalb atmete er erleichtert auf, als ihm ein schwach beleuchtetes Schild den Weg zu der einzigen Tankstelle zwischen seiner Ranch und der nächstgelegenen Stadt wies.
Er setzte den Blinker und hielt sich im Schutz des Daches, das sich über die acht Zapfsäulen erstreckte. Wie nicht anders zu erwarten war, hatte der Laden längst dichtgemacht. An einem stürmischen Samstagabend Ende Januar war hier draußen, im Westen von Texas, kein Umsatz zu machen.
„Wir halten hier, Scotty, und warten, bis der Regen nachlässt und die Straßenverhältnisse besser werden.“ Um nicht völlig im Dunkeln zu sitzen, ließ Mike den Motor laufen und die Scheinwerfer brennen. „Dauert sicher nicht lange.“ Er drehte sich um und befreite den Jungen aus dem Sicherheitsgurt.
„Will nach Hause …“, brachte das Kind bedrückt hervor.
Mike strich ihm über die dunklen Locken. „Mach dir keine Sorgen, kleiner Mann. Falls die Brücke über den Creek im Norden nicht passierbar ist, müssen wir halt den Umweg über die westliche Zufahrt nehmen. Das dauert zwar länger, aber keine Angst, irgendwie kommen wir auf jeden Fall nach Hause. Es wird schon nicht die ganze Nacht so schütten.“
Plötzlich tauchten zwei Lichtpunkte aus dem Regenvorhang auf, die immer größer wurden – ein Auto. „Schau mal“, sagte Mike, „wir kriegen Gesellschaft. Vielleicht ist es jemand, den wir kennen.“
Der Wagen rollte an den Zapfsäulen vorbei und hielt so, dass er gerade noch unter dem Dach stand. Dicker Rauch quoll unter der Motorhaube hervor. Die Fahrertür ging auf, und eine in einen dicken Parka gehüllte Gestalt stieg aus. Erst als der Fahrer die Kapuze zurückschlug und ein langer blonder Zopf darunter hervorkam, wurde klar, dass es sich um eine Frau handelte.
„Nein, niemand, den wir kennen“, stellte Mike fest. „Anscheinend hat die Dame ein Problem mit ihrem Auto. Scotty, du bleibst sitzen. Ich sehe mal nach, ob ich ihr helfen kann.“ Damit Scotty sich nicht alleingelassen fühlte, ließ Mike die Seitenscheibe hinunter und stellte den Motor ab. Er steckte den Autoschlüssel in die Hosentasche und stieg aus. „Guten Abend!“, rief er. „Mein Name ist Mike Calhoun. Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Die Blondine mit den großen blauen Augen inspizierte besorgt ihren Wagen. „Vielen Dank! Hilfe kann ich wohl brauchen. Keine Ahnung, was mit der Kiste los ist. Schon auf dem Highway hatte ich Angst, dass sie unter mir zusammenbricht. Erst hat sie richtig komisch geklappert, dann hat der Motor angefangen zu qualmen … Bin ich froh, dass ich Ihr Auto hier gesehen habe. Sie sind mein Rettungsanker in diesem Sturm. Übrigens, ich bin Savannah Grayson.“ Sie warf einen Blick über Mikes Schulter. „Oh, Sie haben ein Kind im Auto. Dann will ich Ihre Zeit nicht beanspruchen.“
Mike winkte Scotty zu, und Scotty winkte zurück. „Kein Problem. Der hält es schon ein Weilchen aus.“
„Ich habe wirklich keine Ahnung, woran …“
„Oha!“ Eine orangerote Flamme züngelte unter der Motorhaube ihres Wagens hervor. In Windeseile rannte Mike zu seinem Wagen, schnappte sich den Feuerlöscher und riss die Motorhaube des anderen Autos auf. Als eine Stichflamme emporloderte, stieß die Frau einen unterdrückten Schrei aus. Mike betätigte einen Hebel an dem Löschgerät, und nach wenigen Sekunden hatte weißer Schaum die Flammen erstickt.
„Ich sag es ja nicht gern, aber mit dem Wagen fahren Sie bis auf Weiteres nirgendwo mehr hin“, stellte Mike fest, nachdem er den schwelenden Motorblock inspiziert hatte. „Sind Sie zu Besuch in der Gegend?“ Er war sicher, dass die Frau nicht hier lebte, sonst wäre sie ihm aufgefallen.
„Auf der Durchreise von Arkansas nach Kalifornien. Hier kenne ich keine Menschenseele. Oje, und die Tankstelle hat anscheinend schon geschlossen.“ Bekümmert sah sie zu dem verlassenen Gebäude hinüber.
„Sobald der Regen nachlässt, bringe ich Sie nach Verity. Dort gibt es ein ganz gutes Hotel. Ich setze mich auch mit Ed in Verbindung, dem Eigentümer der Tankstelle. Sie werden den Wagen übers Wochenende hierlassen müssen. Vor Montag kann ihn sich keiner ansehen.“
„Vielen Dank.“ Sie lächelte matt.
„Kommen Sie, wir leisten Scotty Gesellschaft, bis sich das Wetter beruhigt hat. Das schüttet ja wie aus Kübeln. Nicht zu fassen: Monatelang fällt kein Tropfen Regen, und nun kommt zum Ausgleich alles auf einmal runter. Angeblich kriegen wir im Lauf der Nacht sogar Schnee.“
Mike öffnete der Frau die Beifahrertür. Sie begrüßte Scotty und stieg ein. Während Mike hinter dem Steuer Platz nahm, schälte sie sich aus dem Parka und strich ihr weites marineblaues Sweatshirt glatt. Weil das Fenster offen gestanden hatte, war es ziemlich frisch geworden im Innenraum, deshalb stellte Mike den Motor wieder an und drehte die Heizung hoch. Der matte Schein vom Armaturenbrett hüllte die Fahrerkabine in ein sanftes Licht.
„Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte“, sagte Savannah. „Wahrscheinlich hätte ich das Auto in den Regen gestellt, die Motorhaube aufgerissen, schleunigst das Weite gesucht und gehofft, dass der Regen das Feuer löscht.“
Mike lachte. Ihre blauen Augen erinnerten ihn an den tiefblauen Himmel an einem Sommertag. „Dann ist es ein Segen, dass ich da war. Woher genau aus Arkansas kommen Sie?“
„Aus Little Rock.“
Ein Geräusch ließ sie aufhorchen: Es begann zu hageln. In null Komma nichts prasselten dicke Hagelkörner auf das Dach über der Tankstelle.
„Wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt noch auf dem Highway wäre …“, murmelte Savannah. „Dem Himmel sei Dank, dass wir hier im Warmen sitzen.“
„Allerdings“, bestätigte Mike, „das sind ganz schöne Geschosse, die da runterkommen.“ Er nutzte die Zeit, um mit Ed wegen Savannahs Wagen zu telefonieren. „Montag ist geritzt“, informierte er Savannah anschließend. „Ich schlage vor, dass Sie Ihr Gepäck aus dem Wagen holen und ihn abschließen. Den Schlüssel werfen Sie einfach in den Briefschlitz an der Tür zum Kassenhäuschen.“
„Es ist mir schrecklich unangenehm, dass Sie meinetwegen noch mal nach Verity zurückfahren müssen.“
„Kein Problem.“ Der Hagel wurde dichter und heftiger, die Eiskörner tanzten über den Asphalt. Dann zuckte auch noch ein Blitz über den Himmel, Donner grollte.
„Mist, das gibt ein ausgewachsenes Gewitter. Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich muss zu Hause anrufen.“ Mike zückte erneut das Handy. Er informierte seinen Vorarbeiter darüber, dass er das Unwetter an Eds Tankstelle aussitzen würde, und ließ sich einen ausführlichen Bericht über die Lage auf der Ranch geben.
„Ich wohne nicht weit von hier“, erklärte er, während er das Handy dann wieder in der Jackentasche verstaute. „Leider schaffen wir es heute nicht mehr nach Verity. Wir müssten einen Fluss überqueren, um in die Stadt zu kommen, und der führt schon Hochwasser. Außerdem fällt die Temperatur rapide. Wenn das so weitergeht, verwandelt sich der Regen bald in Graupel, und es besteht die Gefahr von Blitzeis.“
„Das wird ja immer schlimmer.“ Missmutig starrte Savannah durch die Windschutzscheibe.
„Wissen Sie was? Sie kommen mit auf meine Ranch. Der Sheriff von Verity kann Ihnen bestätigen, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben. Sie können ihn gerne anrufen, ich habe seine Nummer. Oder Sie fragen meinen Banker oder meinen Anwalt. Die werden Ihnen auch versichern, dass Sie sich mir bedenkenlos anvertrauen können.“
„Grundgütiger!“ Sie lachte. „Das nenne ich mal Referenzen!“
„Dann verbinde ich Sie jetzt mit dem Sheriff.“
„Nein, bitte, sparen Sie sich die Mühe! Ihre beste Referenz sitzt hinter uns auf dem Rücksitz.“
Verblüfft sah Mike sie an. „Scotty?“
Ihre blauen Augen blitzten amüsiert, als sie sich zu dem Jungen umwandte. „Scotty, muss ich mich vor deinem Daddy fürchten?“
„Nein, Ma’am.“
Sie lächelte, wobei sie perlweiße Zähne enthüllte. Es war ein zauberhaftes Lächeln, das Mike die widrigen Umstände draußen beinahe vergessen ließ.
„Das sollte reichen. Ich bin überzeugt, dass ich bei Ihnen in den besten Händen bin. Kein Grund, den Sheriff zu behelligen. Aber Ihrer Frau sollten Sie lieber Bescheid geben, wenn Sie einen Gast mitbringen.“
Mike schnürte es den Hals zu. Es war lange her, seit jemand Elise erwähnt hatte, trotzdem tat es noch immer weh. „Ich bin Witwer.“
„Das tut mir leid.“
„Ich glaube, der Hagel lässt langsam nach. Wir sollten Ihr Gepäck holen und uns auf den Weg machen, solange es geht. Scotty, bleib bitte hier sitzen. Ich helfe Ms. Grayson nur rasch, ihr Gepäck rüberzutragen.“
Schnell waren die Koffer, der Laptop und zwei Rucksäcke umgeladen. Savannah schloss das Auto ab, warf die Schlüssel an der Tankstelle ein, und schon befanden sie sich wieder auf dem Highway.
„Ihr Auto ist dort ganz sicher“, meinte Mike, als Savannah sich noch einmal umdrehte.
„Das glaube ich gerne. Eine alte Karre mit ausgebranntem Motor – wer sollte es darauf schon abgesehen haben? Vielen, vielen Dank noch mal für Ihre Hilfe. Sie brauchen sich übrigens keine Umstände zu machen. Ich kann überall schlafen – auf dem Sofa, auf dem Boden, kein Problem.“
Er schmunzelte. „Das wird nicht nötig sein, ich habe Platz genug.“
Dann schwiegen sie, und Mike konzentrierte sich aufs Fahren. Es schüttete noch immer, aber der Regen war nicht mehr ganz so heftig, und die Sicht wurde allmählich besser. Nach etwa einer Stunde erreichten sie die Abzweigung zur Ranch, und Mike telefonierte noch einmal mit dem Vorarbeiter. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, warf er einen Blick in den Rückspiegel. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sein Sohn ihn an.
„Ich fürchte, wir müssen einen Umweg nehmen, Scotty. Aber keine Angst, ich verspreche dir, dass wir sicher nach Hause kommen.“ Scotty nickte.
„Mein Vormann ist zu dem Fluss rausgefahren, der durch mein Land fließt. Leider müssen wir einen Bogen um den Creek schlagen“, erklärte Mike Savannah.
„Nur zu. Alles ist besser, als mutterseelenallein in einem ausgebrannten Auto zu hocken“, sagte sie. „Ich bin heilfroh, dass ich heute Nacht ein Dach über dem Kopf habe und nicht allein sein muss.“
Plötzlich wurde der Regen wieder kräftiger. In dichten Schwaden peitschte er gegen die Windschutzscheibe, kurz darauf prallten dicke Hagelkörner auf die Motorhaube. Mike fluchte leise und drehte sich zu Scotty um, der sichtlich verstört wirkte.
„Daddy, mach, dass es aufhört.“
„Es ist gleich vorbei. Wir sind ja bald zu Hause.“
Unterdessen wühlte Savannah in ihrer Handtasche. „Sieh mal!“, rief sie plötzlich und zog eine kleine Taschenlampe hervor, die sie zwischen den Sitzen nach hinten durchreichte. „Magst du die haben, Scotty? Ich habe da nämlich auch einen Kompass. Der zeigt an, in welche Richtung wir fahren. Siehst du diesen Buchstaben? Das ist ein W. W steht für Westen. Wenn diese Nadel erst mal auf …“ Sie stockte.
„N“, soufflierte Mike.
„… auf N steht, sind wir schon fast da.“
„N heißt Norden“, sagte Scotty.
„Sehr gut! Wie alt ist er denn?“, fragte Savannah.
„Er wird drei, aber er ist den ganzen Tag nur von Erwachsenen umgeben. Was ein Kompass ist, weiß er.“
„Pass auf, Scotty. Wenn du auf den Kompass guckst, siehst du immer, wohin wir fahren. Die Taschenlampe hilft dir, die Buchstaben zu erkennen. Sobald wir die Richtung ändern, weißt du, dass wir bald da sind.“ Savannah musste immer lauter sprechen, um den Hagel zu übertönen. Sie kramte weiter in der Tasche. „Ach, und was haben wir denn da noch? Schau mal, eine Murmel! Rate, in welcher Hand ich sie versteckt habe!“
Gebannt starrte der Junge auf ihre Hände. Er war so damit beschäftigt, herauszufinden, wo sich die Murmel befand, dass er darüber seine Befürchtungen komplett vergaß. Erleichtert atmete Mike auf. Dann merkte er, wie fest er das Lenkrad umklammerte, und entspannte sich. Der Hagel ließ allmählich nach, aber immer noch schüttete es wie aus Kübeln. Es war kein einfaches Vorwärtskommen.
„Danke“, flüsterte er, als Savannah sich wieder herumdrehte.
„Gern geschehen.“
„Haben Sie Geschwister?“
„Natürlich. Wir sind vier, ich bin das Nesthäkchen. Aber ich habe insgesamt vier Nichten beziehungsweise Neffen. Mit Kindern kann ich gut, egal, wie alt sie sind.“
Gerne hätte Mike noch mehr über sie erfahren, aber vor allen Dingen wollte er sie alle sicher nach Hause bringen, deshalb setzten sie den Weg schweigend fort.
Etwa eine halbe Stunde später entdeckte Savannah ein breites, von einem hohen Metallbogen überspanntes Tor, in dessen Mitte die Buchstaben MC prangten. Immer noch strömte der Regen hernieder, die Scheibenwischer surrten ohne Unterlass. Mike hielt vor dem Tor und tippte einen Code in ein Gerät ein, das an einem Pfosten gleich daneben angebracht war, woraufhin das Tor aufschwang und sich gleich wieder hinter ihnen schloss.
„Scotty schläft“, flüsterte Savannah.
„Das hatte ich gehofft. Wir waren in der Stadt, und das war ziemlich anstrengend für ihn. Sie brauchen übrigens nicht zu flüstern. Den kriegt so schnell nichts mehr wach. Zum Glück, denn er macht sich immer gleich solche Sorgen, und wir müssen noch über den Creek, der aber Hochwasser führt. Die Brücke an der Hauptzufahrt zur Ranch steht schon unter Wasser, außerdem ist sie ziemlich alt und nicht mehr ganz so vertrauenerweckend. Daher der Umweg. Die Brücke, über die wir gleich fahren, ist neuer und auch etwas höher und breiter. Bisher sind wir hier noch jedes Mal rübergekommen.“
„Dann sollte es auch diesmal klappen. Sie haben es ihm versprochen. Scotty vertraut Ihnen. Offenbar haben Sie ihn noch nie enttäuscht.“
„Das soll auch so bleiben. Aber er weiß schon, dass es Fälle gibt, wo ich machtlos bin.“
„Dann wollen wir hoffen, dass das Überqueren dieser Brücke nicht dazugehört.“ Savannah war unendlich dankbar dafür, dass sie Mike und Scotty getroffen hatte. Andernfalls säße sie jetzt hilflos auf einer einsamen Landstraße mitten in einem Sturm fest. Der Gedanke ließ sie schaudern. Um sich abzulenken, unterzog sie ihren Retter einer ausgiebigen Musterung. Er trug einen breitkrempigen schwarzen Cowboyhut, eine dick gefütterte Lederjacke, Jeans und schwere Stiefel und strahlte eine ruhige Gelassenheit aus. Sein Sohn war eine bezaubernde Miniaturausgabe des Vaters, er hatte genau die gleichen schwarzen Haare und dunkelbraunen Augen.
Inzwischen war schon eine ganze Weile vergangen, seit sie das Tor passiert hatten, und Savannah begann, sich zu fragen, wie groß diese Ranch eigentlich war.
„Da vorne!“, sagte Mike, als hätte er ihre Gedanken erraten. Durch den strömenden Regen erhaschte Savannah einen Blick auf etwas, das einmal ein Flussbett gewesen sein musste. Jetzt war das dunkle Wasser weit über die Ufer getreten, die reißenden Fluten hatten bereits einen Teil der Uferböschung unterspült. Auf der gegenüberliegenden Seite quälten sich, vom Licht der Scheinwerfer von Mikes Wagen beleuchtet, sieben in Ölzeug gekleidete Männer aus zwei Pick-ups.
Stirnrunzelnd spähte Mike durch die Windschutzscheibe. „Mist! So viel Wasser hat er noch nie geführt, nie!“
Beklommen betrachtete Savannah die schäumende Gischt, die bereits über die Brücke schwappte. Allmählich bekam sie es doch mit der Angst zu tun. „Das Wasser steht schon auf der Brücke“, wisperte sie. „Können wir überhaupt rüber?“
„Wir müssen“, antwortete Mike. Erneut telefonierte er mit dem Vormann. „Doch, ich denke, dass wir es schaffen“, sagte er ins Handy, „aber es ist ein gutes Gefühl, euch in der Nähe zu wissen, Ray.“
Die Männer am anderen Ufer stellten Scheinwerfer auf und richteten sie auf die tosenden Wassermassen. „Vor ein paar Stunden schon haben sie Seile über den Creek gespannt und sie auf jeder Seite um einen Baum vertäut. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir ins Wasser stürzen, lassen Sie Scotty meine Sorge sein. Sie versuchen, eines dieser Seile zu erwischen, andernfalls halten Sie sich an allem fest, was Ihnen zwischen die Finger kommt. Lassen Sie sich mit der Strömung treiben, aber versuchen Sie, aufs Ufer zuzusteuern. Die Männer ziehen Sie raus. Keine Angst, ich glaube nicht, dass es wirklich so weit kommt, aber man sollte auf alles vorbereitet sein.“
„Eine grässliche Vorstellung, dass jemand sein Leben riskiert, um mich aus dem Fluss zu fischen. Das Wasser sieht richtig unheimlich aus. Ich glaube nicht, dass ich darin schwimmen könnte.“
Mike nickte. „Die Strömung ist reißend, aber noch mal: Sie lassen sich treiben, die Männer holen Sie raus. Umkehren können wir jetzt nicht mehr, hier draußen übernachten aber auch nicht. Ein Glück, dass Scotty schläft.“ Er machte eine kurze Pause. „Vertrauen Sie mir: Die Brücke wird halten.“
Er klang so zuversichtlich, dass Savannah wieder Mut schöpfte. Bis er auf einmal alle Fenster herunterließ. „Sorry“, meinte er entschuldigend, „aber so kommen wir im Notfall schneller aus dem Auto.“
„Darüber möchte ich, ehrlich gesagt, jetzt lieber nicht nachdenken.“ Beklommen starrte Savannah ins Wasser.
Dann waren sie auch schon auf der Brücke. Mike bewegte den Wagen im Schneckentempo voran. Savannah hatte die Luft angehalten und umklammerte den Türgriff, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Wilde Wellen wogten über die Brücke. Erst als sie das andere Ufer sicher erreicht hatten, stieß Savannah erleichtert den Atem aus. „Sie haben’s geschafft!“, jubelte sie.
Auch die Männer johlten und klatschten sich gegenseitig ab. Einer von ihnen kam zum Wagen. Er hatte die Kapuze seines Parkas tief ins Gesicht gezogen. „Na, das ist ja gut gegangen“, sagte er. „Ein Glück, dass ihr wieder da seid. Der Wetterbericht hat Schneeregen angekündigt, später vielleicht sogar Schnee.“
„Gutes Timing, ja.“ Auch Mike wirkte erleichtert. „Ray, das ist Ms. Grayson. Sie hatte eine Autopanne und wird bei uns übernachten. Savannah, Ray Farndale, mein Vormann.“
Savannah beugte sich vor. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“
„Nichts zu danken. Wir mussten ja nicht eingreifen. Jetzt sollten wir aber zusehen, dass wir heimkommen, bevor es richtig eklig wird. Wenn das so weitergeht, steht die Brücke morgen früh komplett unter Wasser.“
„Was ist mit dem Vieh? Braucht ihr Hilfe?“, wollte Mike wissen.
„Danke, wir kommen klar. Sieh du zu, dass du Scotty und Ms. Grayson ins Trockene bringst. Ich melde mich, falls wir dich brauchen. Wenn die Temperaturen tatsächlich in den Keller rauschen, könnten wir morgen wirklich Probleme kriegen.“
„Morgen früh komme ich raus. Ihr werdet sicher jede Hand brauchen.“ Mike ließ die Fenster hoch, winkte den Männern und fuhr los.
„Scotty hat die ganze Aufregung verschlafen“, bemerkte Savannah. „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als wir am anderen Ufer angekommen sind. Aber Sie waren ja die Ruhe selbst. Sie müssen Nerven aus Stahl haben.“
Mike schmunzelte. „Hätte es was genützt, wenn ich Panik geschoben hätte? Jetzt aber ab nach Hause!“
Nach wenigen Minuten schimmerten die ersten Lichter durch die regennasse Windschutzscheibe. Einer der Pick-ups bog ab und wurde kurz darauf von der Dunkelheit verschluckt. „Wohin fahren die?“, erkundigte sich Savannah.
„Ray und ein paar seiner Jungs sehen nach den Rindern.“
„Leben Sie eigentlich gerne auf der Ranch?“
Er lächelte. „Ja. Natürlich hat alles Vor- und Nachteile, aber normalerweise überwiegen die positiven Seiten. Jeder Morgen bringt neue Herausforderungen, und kein Tag gleicht dem anderen.“
„Und das gefällt Ihnen?“ Savannah schüttelte sich. Ein Leben, wie er es führte, war so ganz anders als alles, was sie kannte. „Bei Nacht und Nebel und mitten in einem Blizzard durch die Pampa zu fahren, das wäre nichts für mich, ehrlich!“ Fröstelnd starrte sie in die Dunkelheit, froh, dass sie im warmen Auto saß.
Sie kamen an einem geräumigen Hangar vorbei. In der Ferne entdeckte Savannah ein paar hell erleuchtete Fenster. Dann passierten sie etliche Wirtschaftsgebäude, zwei große Scheunen und mehrere Pferdekoppeln. Kurz darauf verzweigte sich die Straße, und auch der zweite Pick-up bog nun ab.
„Die Jungs fahren in ihre Unterkunft beziehungsweise zu ihren Familien, die auf der Ranch leben“, erläuterte Mike.
Weiter ging es an noch mehr Wirtschaftsgebäuden vorbei, bis sie schließlich zu einer Garage kamen, die Stellplätze für acht Autos bot, und zu guter Letzt zu einem großzügigen dreistöckigen Wohnhaus. Noch im Fahren aktivierte Mike via Handy einen Code, und sofort sprangen im ganzen Haus die Lichter an. Er fuhr die kurvige Einfahrt entlang und hielt unter einem Vordach.
„Nein, s…sieht nicht so aus, als müsste ich … äh … auf dem Boden schlafen“, stammelte Savannah, beeindruckt von der Größe des Gebäudes. „So einträglich ist die Aufzucht von ein paar Rindviechern?“
„Wenn die Familie von den ersten Rinderbaronen abstammt, ja. Und wenn alle folgenden Generationen ihr Scherflein dazu beitragen. Wir hatten ein glückliches Händchen. Und betreiben immer noch Viehzucht.“ Der Regen hatte sich inzwischen in Graupel verwandelt, und Mike fluchte leise. „Das hätte jetzt nicht sein müssen. Ich bin bloß froh, dass das Wetter bis eben gehalten hat.“
Savannah nickte stumm. Das Licht des Armaturenbretts tauchte ihr Gesicht in einen rosa Schimmer und betonte ihre rosigen Wangen, die riesigen blauen Augen und die seidige Haut. Schlagartig wurde Mike bewusst, dass sie eine Frau war, noch dazu eine sehr attraktive. Es knisterte, als wäre ein Funke übergesprungen. Plötzlich flatterten ihre Lider, und im selben Moment fühlte er ein leichtes Prickeln, einen sanften Stromstoß. Verblüfft starrte er sie an, unfähig, auch nur mit der Wimper zu zucken. Seit Elise vor fast zwei Jahren – nur ein Jahr nach Scottys Geburt – an Krebs gestorben war, hatte Mike jegliches Interesse an Frauen verloren. Umso mehr schockierte ihn jetzt diese Reaktion. Rasch wandte er sich ab und starrte in den Regen.
Savannah sah über die Schulter nach hinten. „Er schläft immer noch, der Glückliche.“
„Ich trage ihn rein, danach hole ich Ihr Gepäck“, sagte Mike.
„Nur keine Eile. Das, was ich brauche, kann ich selber tragen, alles andere hat Zeit bis morgen. Kümmern Sie sich um den Kleinen.“
„Ausgerechnet heute ist seine Nanny nicht da. Ihre Tochter hat ein Kind bekommen, und Nell, also Mrs. Lewis, ist zu ihr gefahren, um ihr unter die Arme zu greifen.“
„Kein Problem.“ Savannah schwang sich den Rucksack auf den Rücken, klemmte sich den Laptop und ihre Handtasche unter den Arm und packte einen Koffer, während Mike Scotty abschnallte und zum Haus trug.
„Er schläft wie ein Murmeltier“, flüsterte Savannah.
„Zum Glück!“ Mike schloss auf, ließ Savannah eintreten und schaltete die Alarmanlage aus, ohne Scotty abzusetzen.
„Und er hat ein wunderschönes Zuhause“, stellte Savannah fest, während sie einen breiten Flur entlanggingen, den üppige Topfpflanzen schmückten, antike Möbel und Gemälde, die Landschaften zeigten oder Szenen aus dem Wilden Westen. Immer wieder erhaschte sie im Vorbeigehen auch einen Blick in einen der Räume, zum Beispiel in ein elegantes Speisezimmer mit einem Tisch, an dem bestimmt zwanzig Personen Platz fanden, oder in eine Bibliothek mit raumhohen Leitern und massiven Deckenbalken.
„Das ist ja eine Wahnsinnsbibliothek“, bemerkte sie. „Haben Sie alle Bücher gelesen?“
„Das ist die Familienbibliothek, die ein paar richtig alte Schätze beherbergt. Zum Glück hat Scotty seine Bücher bei sich auf dem Zimmer, sodass keine Gefahr besteht, dass er sich an den kostbaren Erstausgaben vergreift.“
„Ein Wunder, dass er sich in diesem riesigen Haus nicht verläuft.“
„Es kommt Ihnen nur so groß vor, weil alles neu für Sie ist. Sie werden sich im Nu zurechtfinden.“
„Soll das heißen, dass wir ein paar Tage lang eingeschneit sein könnten?“
„Warum so entsetzt? Sie haben es doch nicht eilig, oder? Uns wird schon nicht langweilig werden.“
Sein Lächeln war so charmant, dass Savannah es einfach erwidern musste, auch wenn sie nicht sicher war, ob er nicht mit ihr flirtete.
Inzwischen waren sie in einer Halle angekommen, von der aus eine breite, geschwungene Treppe nach oben führte.
„Diese Ranch ist mein Lebensinhalt. Ich habe zwar auch ein Haus in Verity und eine Wohnung in Dallas, aber beides nutze ich nur selten. Und Sie? Leben Sie in der Stadt oder auf dem Land?“
„Ich bin definitiv ein Stadtmensch“, antwortete Savannah, während sie neben Mike eine lange Galerie entlangging. „Das Landleben ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln, ganz zu schweigen vom Leben auf einer Ranch in Texas.“