Elf Princess. Die Entscheidung - Ruth Omphalius - E-Book

Elf Princess. Die Entscheidung E-Book

Ruth Omphalius

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Beschreibung

***Spannungsgeladene Elfen-Fantasy mit großen Emotionen*** Valuriel ist nicht nur Prinzessin der Elfen, sondern in erster Linie Kriegerin. Die endlosen Zeremonien am Hof ihrer Mutter langweilen sie zu Tode und binden möchte sie sich schon gar nicht, obwohl sie als Thronerbin bald die Verbänderung mit dem Partner ihrer Wahl eingehen muss. Als ihr alles zu viel wird, beschließt sie kurzerhand zu ihren Freunden Vahel und Maleander zurückzukehren, die das Reich als Wachen der Feste am Magischen Tor sichern. Dort angekommen muss sie allerdings schnell feststellen, dass beide inzwischen mehr für sie empfinden als bloße Freundschaft. Doch ihre Freiheit aufgeben und sich jetzt schon festlegen? Das kommt für Valuriel nicht in Frage! Wie sollte sie sich zudem für einen ihrer besten Freunden entscheiden und damit den anderen zwangsläufig verlieren? Die Entscheidung muss warten, denn ein Komplott gegen die Königin, das sowohl das Reich der Elfen wie auch das Bündnis mit der Drachenkönigin bedroht, lässt  alles andere unwichtig werden. Während die drei für den Frieden kämpfen, drohen die Gefühle jedoch erneut übermächtig zu werden. Ist die gemeinsame Mission in Gefahr?  Prequel der "Dragon Child"-Serie von Ruth Omphalius, das  auch unabhängig davon gelesen werden kann.

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Seitenzahl: 499

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Impressum
Danksagung
Kapitel 1: In der Feste am Magischen Tor
Kapitel 2: Die Patrouille
Kapitel 3: Der Cousin aus einer anderen Welt
Kapitel 4: Die verschwundene Prinzessin
Kapitel 5: Der viereckige Kommunikationsstein
Kapitel 6: Auf unterschiedlichen Wegen
Kapitel 7: Reiter in der Nacht
Kapitel 8: Aufbruch
Kapitel 9: Wald und Steppe
Kapitel 10: Tod und Verderben
Kapitel 11: Auf der Flucht
Kapitel 12: Abakus und Turlok
Kapitel 13: Unverhoffte Unterstützung
Kapitel 14: Gefangen
Kapitel 15: Auf der Suche
Kapitel 16: Angriff auf die Feste am Magischen Tor
Kapitel 17: Das hölzerne Schicksal
Kapitel 18: Im Dunkel der Nacht
Karte der Drachenlande
Drachenwelt

Roman Digitale Originalausgabe

Impressum

digi:tales Ein Imprint der Arena Verlag GmbH Digitale Originalausgabe © Arena Verlag GmbH, Würzburg 2018 Covergestaltung: Christian Eickmanns. Unter Verwendung von Bildern von www.shutterstock.com

Drachenkarte: Anderson Farah Alle Rechte vorbehalten E-Book-Herstellung: Arena Verlag GmbH 2018 ISBN: 978-3-401-84054-3www.arena-verlag.dewww.arena-digitales.de Folge uns!www.facebook.com/digitalesarenawww.instagram.com/arena_digitaleswww.twitter.com/arenaverlagwww.pinterest.com/arenaverlag

Danksagung

Ich danke meiner wunderbaren Tochter Sarah, die mir als kritische Erstleserin sehr geholfen hat, Unverständliches auszumerzen, wenn mein Kopf mal wieder zu tief in der Drachenwelt steckte. Außerdem geht mein Dank an meine Lektorin Christina Köhl, die den Drachenlanden und ihren Bewohnern eine Chance gab und überhaupt erst die Idee zu diesem Prequel hatte. Und schließlich danke ich meinen Lesern, die Anteil an den Abenteuern von Sophie und Melissa genommen haben. Besonders habe ich mich über das Feedback gefreut, das ich über Chats, Rezensionen und Foren erhalten habe.

Kapitel 1: In der Feste am Magischen Tor

Valuriel

Wie ein trollischer Tigris stapfte Valuriel im Quartier der elfischen Offiziere zwischen dem Kamin und der Eingangstür hin und her. So hatte sie sich ihren ersten Einsatz als voll ausgebildete Offizierin der elfischen Armee nicht vorgestellt. Anstatt sie in irgendeines der Krisengebiete zu schicken, hatte ihre Mutter, die Elfenkönigin, sie direkt wieder in die Feste am Magischen Tor zurückgesandt. Hier hatte Valuriel ihre Grundausbildung absolviert und schon um einige Doppelsonnenjahre verlängert, um bei Golarian, dem besten aller Elfenstrategen und Kommandeur der Feste, mehr über die Kriegskunst zu erfahren. Valuriel hatte nur wenigen von ihrer königlichen Abstammung erzählt und wurde im Großen und Ganzen wie alle anderen Krieger behandelt: Sie schlief auf den gleichen harten Holzbetten, aß die gleichen harten Nüsse und Früchte und verrichtete die gleichen langweiligen Aufgaben. Spähdienste, Wachschichten auf der Mauer oder Grenzkontrollen, nichts war ihr zu viel. In ihrer Freizeit wurde sie von Golarian persönlich unterrichtet. Jedenfalls war das während ihrer Ausbildung so gewesen. Aber seit sie vom Hof zurückgekehrt war, schien Golarian nur noch wenig Interesse für seine königliche Schülerin aufzubringen.

Hatte ihre Mutter ihm vielleicht Anweisungen gegeben, ihr den Aufenthalt in der Feste so langweilig wie möglich zu gestalten? Zuzutrauen war es ihr. Die Elfenkönigin war es gewohnt, dass man ihrem Befehl Folge leistete, aber Valuriel hatte sich nach ihrer Ausbildung einfach geweigert, in der Hauptstadt der Elfen zu bleiben und ihren Platz an der Seite ihrer Mutter einzunehmen. Auch von der traditionellen Verbänderung mit einem Partner und Nachkommen sprach die Königin unangenehm oft. Doch Valuriel fühlte sich viel zu jung, um ein Reich zu regieren oder sich jetzt schon für ein ganzes langes Elfenleben einem einzigen Partner zu versprechen. Wieso auch? Es bestand überhaupt kein Grund zur Eile. Als Elfe hatte sie ein paar tausend Jahre Zeit und konnte alles Mögliche tun, verschiedene Berufe ausprobieren, in ferne Länder reisen, die unterschiedlichsten Wesen kennenlernen. War es da nicht völlig unsinnig, sich schon so früh an einen bestimmten Ort zu binden oder auf einen einzigen Partner festzulegen? Früher waren Elfen im Verlauf ihrer Lebensdauer von einigen tausend Jahren durchaus mehrere Partnerschaften eingegangen. Aber seit die Trennungen einiger Königinnen und Könige der Alten Zeit Kriege entfacht und das Reich fast in den Abgrund gerissen hatten, wurde zumindest vom Adel erwartet, dass man sich lebenslang auf einen Partner festlegte. Ihre Eltern hatten das getan. Und sie schienen auch glücklich damit gewesen zu sein. Genau konnte sich Valuriel aber nicht mehr erinnern. Als Elfenkind hatte sie ihren Vater nicht oft gesehen. Zu der Zeit waren die Ratchap immer wieder in die Elfenlande vorgedrungen und hatten die Königsgräber geplündert. Immer wenn ihr Vater zu Hause war, hatten sie unter einem Abakusbaum nahe des Heiligen Hains gesessen und er hatte ihr unter dem silbrig grünen Blätterdach davon erzählt, wie er dieses diebische Volk aus dem Westen gejagt hatte. Oft konnten er und seine Krieger den dürren, insektenartigen Fremden ihre Beute wieder abjagen, aber die Überfälle nahmen zu und die Ratchap wurden immer dreister. Eines Tages war ihr Vater dann nicht mehr zu ihnen zurückgekehrt. Ein vergifteter Pfeil hatte ihn in den letzten Augenblicken der entscheidenden Schlacht gegen die Ratchap getroffen. Die Bogenschützen dieses Volkes waren berüchtigt dafür, ihre Pfeilspitzen mit allen möglichen Arten von Insektengift zu bestreichen. Zwar hatten die Ratchap durch ihren Vater vernichtend geschlagen werden können, aber den Heilern seines Heeres war es nicht gelungen, sein Leben zu retten. Valuriel erinnerte sich nur verschwommen an die Feierlichkeiten, mit denen ihr Vater in den Königsgräbern inmitten der Elfenwälder beigesetzt wurde. Überhaupt verblasste die Erinnerung an ihn im Laufe der Zeit. Immerhin fand sie es tröstlich, dass vermutlich seine abenteuerlichen Geschichten der Grund waren, warum sie sich immer gewünscht hatte, Kriegerin zu werden. Gelegentlich konnte sich Valuriel durchaus vorstellen zu regieren. Später einmal, irgendwann. Die Macht, Dinge neu zu gestalten oder etwas aufzubauen, reizte sie, aber Politik mit all den langen Sitzungen und kleinteiligen Entscheidungen, die es täglich zu treffen galt, erschien ihr einfach zu langweilig. Nun, ihre Mutter würde ihr das Reich ja auch nicht gleich ganz anvertrauen. Wahrscheinlich würde sie noch hunderte von Jahren die Zügel in der Hand behalten und Valuriel nur ganz langsam an die Regierungsgeschäfte heranführen. Konkret hieß das, dass Valuriel wenig zu sagen hätte, aber alle sturzlangweiligen Empfänge und Militärparaden besuchen müsste. Nein danke!

Da blieb Valuriel lieber Kriegerin. Ursprünglich war die Militärausbildung von ihrer Mutter nur als ein erster Schritt auf ihrem Weg zum Thron gedacht gewesen, doch Valuriel hatte schon immer gewusst, dass sie zur Kämpferin geboren war. Sie wusste zwar noch nicht ganz genau, wohin sie dieser Weg führen würde, aber Kämpfen war für sie mehr, als einen Feind in seine Schranken zu weisen. Es war eine Kunst; eine Art, ihren Körper wahrzunehmen ohne etwas anderes zu sein als Bewegung. Wenn sie kämpfte, war sie nicht die Tochter der Königin, sie hatte keinen Stand und kein Geschlecht. Sie liebte den Schwertkampf mit den leichten, eleganten Klingen der Elfen, aber genauso mochte sie die kurzen, gedrungenen Messer der kleinen Völker, die sich rund um die Wälder der Elfen angesiedelt hatten. Schon einige Male hatte ihr ein solches Messer, zur rechten Zeit aus dem Stiefel gezogen, das Leben gerettet. Alle Sinne waren im Kampf aktiv und die Muskeln stets bereit, eine schnelle Bewegung ausführen. Dadurch, dass der Tod jederzeit eintreten konnte, fühlte sich Valuriel im Kampf besonders lebendig.

Neben den Hieb- und Stichwaffen, war Valuriel aber auch vom elfischen Langbogen fasziniert. Er erforderte nicht nur ihre Kraft, sondern vor allem ihre volle Konzentration. Dabei ging es ihr nicht darum zu töten. Valuriel genoss es einfach, das feine Zusammenspiel von Auge, Hirn und Arm bis zur Perfektion zu üben. Ihr Bogen war aus Abakusholz gearbeitet und mit der Sehne eines Wodnarz’ bespannt. Eine Reihe silbrig schimmernder Runen zierte das stabile und zugleich äußerst biegsame Holz und schien es gleichsam zu durchdringen. Die Runen waren so ineinander verschlungen, dass sie eine Art zartes Gewebe zu bilden schienen, das sanft glitzerte, wenn Valuriel den Bogen spannte. Diese besondere Waffe war ein Erbstück ihrer Großmutter. Angeblich hatte sie die Runen selbst gewirkt und damit die Reichweite und die Durchschlagkraft enorm gesteigert. Schon als Kind hatte Valuriel heimlich mit dem Bogen geübt und war schließlich eine so gute Schützin geworden, dass sie sich kaum daran erinnerte, je ein Ziel verfehlt zu haben. Valuriel schüttelte den Kopf. Sie war hervorragend ausgerüstet und ausgebildet. Warum musste sie nur hier am Ende der Welt Dienst tun, wo sich Wodnarz und Vampyregel „Gute Nacht“ sagten? Ausgerechnet in der Feste am Magischen Tor, wo seit Jahrtausenden nichts mehr passiert war. Da konnte man sich ja gleich ins Schlafmoos werfen und von diesen widerlichen fleischfressenden Flechten auffressen lassen.

Das einzige, was Valuriel gelegentlich aufheiterte, waren Vahel und Maleander. Die drei waren Freunde gewesen vom ersten Tag ihrer Ausbildung an. Sie hatten gemeinsam unter den strengen Ausbildern gelitten, tagsüber auf dem Kampfplatz bis zum Umfallen verschiedene Hiebe und Finten geübt und abends hatten sie sich gelegentlich heimlich mit Pilzen berauscht. Es hatte auch dienstfreie Tage gegeben, an denen sich die drei Steppenschreiter, die traditionellen Reittiere der Elfenkrieger, „ausgeliehen“ hatten und quer durch den Wald geprescht waren. Diese Zeit war durchaus hart, aber auch auf unnachahmliche Art und Weise unbeschwert gewesen. Nie in ihrem Leben hatte Valuriel sich zugleich so stark mit anderen verbunden und dabei so frei gefühlt.

Aber all das schien nun endgültig vorbei zu sein. Valuriel hatte sich fast mit ihrer Mutter überworfen, um diese Verlängerung ihres Militärdienstes zu erreichen. Irgendwie hatte sie gehofft, die Zeit zurückdrehen zu können, zu kämpfen, mit ihren Freunden Spaß zu haben und den vorgegebenen Weg als künftige Königin einfach noch ein wenig aufzuschieben. Aber nichts war wie vor ihrer Abreise. Valuriel hatte bisher weder Vahel noch Maleander länger als einen Moment zu Gesicht bekommen, seit sie wieder da war. Ständig waren die drei Freunde in verschiedene Schichten eingeteilt. Vielleicht hatte Golarian, der Kommandeur der Feste, diese Planung sogar absichtlich im Auftrag der Königin angeordnet. Valuriel wusste nicht, wie weit ihre Mutter gehen würde, um ihr den Aufenthalt hier so ungemütlich wie möglich zu gestalten. Sie traute der Königin alles zu, wenn es darum ging, Valuriel wieder an den Hof zurück zu bringen. Vielleicht war es aber auch nur Pech, dass sie die anderen so wenig sah. Jedenfalls fühlte sich Valuriel dadurch fast noch einsamer als am Hof ihrer Mutter. Dabei hatte sie sich doch so auf ihre Freunde gefreut, als sie erfuhr, dass sie wieder in der Magischen Feste Dienst tun durfte.

Ob sie die beiden heute noch zu einem kleinen Ausritt überreden konnte? Wenn sie zu sehr über die Stränge schlug, konnte es natürlich sein, dass sie sofort an den Hof zurückbeordert wurde. Andererseits vibrierte ihr ganzer Körper vor Ungeduld. Irgendetwas musste passieren, sonst würde sie vor Langeweile sterben.

Gerade als Valuriel am Kamin eine Kehrtwende machte und sich überlegte, wie sie Vahel und Maleander am besten kontaktieren konnte, trat ein junger Elf, den Valuriel nicht kannte, in das Offiziersquartier.

„Ich suche die Offiziere Vahel und Maleander“, erklärte der junge Elf sein Eindringen.

„Sie sind momentan zu verschiedenen Wachdiensten eingeteilt“, antwortete Valuriel. „Ich bin Offizierin Valuriel. Du kannst auch mir berichten.“

Der Elf druckste ein wenig herum. Wahrscheinlich war er noch neu in der Feste und wusste nicht, ob er auch einer anderen Person als den beiden genannten Auskunft geben durfte. „Es geht um das Magische Tor“, antwortete der Elf schließlich unter Valuriels eindringlichem Blick. „Golarian möchte, dass die beiden eine Patrouille anführen, die das Magische Tor überprüft.“

Valuriels Augen weiteten sich erfreut. Das war doch mal etwas anderes. Aber der Bote musste ihre Gefühle ja nicht mitbekommen. So gleichgültig wie möglich fragte sie: „Und wann soll die Patrouille aufbrechen?“

„Gleich nach Aufgang der Doppelsonne“, antwortete der Krieger.

Das war ungewöhnlich. Valuriel rechnete nach. Bis Vahel und Maleander ihre Wache beenden konnten, würde es noch einige Stunden dauern. An Schlaf war für die beiden bis zum Morgengrauen dann kaum noch zu denken. Wieso mutete Golarian ihren Freunden unmittelbar nach der Wache auch noch diese Patrouille zu? Es hätte doch wahrscheinlich keinen Unterschied gemacht, entweder andere Offiziere einzuteilen oder die Patrouille einen Tag später zu schicken. Durch das Magische Tor waren nun schon so lange keine Feinde mehr gekommen, da käme es auf ein paar Stunden mehr oder weniger sicher nicht an. Oder hatte Golarian vielleicht einen Hinweis auf fremde oder sogar feindliche Aktivitäten erhalten? Valuriel wurde immer aufgeregter. Diese Patrouille würde sie selbst anführen. Als Offizierin konnte sie schließlich jederzeit mit Gleichrangigen den Dienst tauschen und ihre Freunde wären sicher froh, sich nach der Wache etwas ausruhen zu dürfen. Sie würde ihnen eine Nachricht auf ihre Betten legen. In ihren Haarspitzen konnte sie fühlen, dass etwas Außergewöhnliches im Gange war.

Vahel

Vahel ging mit langen Schritten neben dem Wächter her, der seine Schicht am äußeren Wall der Elfenfeste teilte. Er kannte den älteren Elf nicht besonders gut und hatte auch keine Lust, mit ihm zu sprechen. Viel zu viel ging in seinem Kopf herum. Vahel hatte sich so gefreut, als er erfuhr, dass Valuriel nicht in der Hauptstadt bleiben, sondern wieder in die Feste am Magischen Tor zurückkehren würde, aber eigentlich machte das die Situation nur komplizierter. Solange Valuriel nicht da gewesen war, hatten sein bester Freund Maleander und er ein sehr entspanntes Verhältnis gehabt. Die beiden kannten sich schon als ganz kleine Elflinge. Man hatte sie in der Schule nur den schwarzen und den roten Blitz genannt. Denn sie hatten damals eine Menge Unfug angestellt und Streiche angezettelt. Und wenn es zu einem Kampf gekommen war, hatten die Gegner meist nicht viel mehr als die langen Haare der Jungelfen gesehen. Er selbst hatte sich so manchen freundschaftlichen Zweikampf mit Maleander geliefert und selbst erfahren, wie furchteinflößend sein Freund wirken konnte, wenn er kämpfte. Sein tizianrotes Haar schien dann in Flammen zu stehen und verlieh ihm eine tödliche Aura. Dieser Eindruck hatte sich mit den Jahren immer mehr verstärkt.

Vahels eigene Haare waren schwarz. Auch sie wirkten einschüchternd auf Feinde, aber der Grund war ein völlig anderer. Tatsächlich war diese Haarfarbe unter Elfen äußerst selten. Selbst in seiner Familie gab es niemanden, dessen Haare so blauschwarz waren wie seine. Als Kind hatte er deswegen viel Spott einstecken müssen. „Vampyregel“ nannten sie ihn, oder nach einem besonders schwarzen Pilz auch „Felsentintling“. Am Schlimmsten war es, wenn sie ihn damit hänselten, dass seine Mutter wahrscheinlich etwas mit einem Troll gehabt haben musste. Besonders als kleiner Elfling hatte er unter solchen Stänkereien gelitten. Einmal hatte er vor lauter Wut drei größere Elflinge angegriffen. Sie waren ihm lachend ausgewichen, hatten elegant Hiebe und Tritte verteilt und wahrscheinlich hätte Vahel am Ende dieses Kampfes blutend am Boden gelegen. Aber dann war Maleander gekommen. Wie ein wilder Wodnarz hatte er sich auf die drei Lästermäuler gestürzt und zu zweit hatten sie die Großen vertrieben und sich unbesiegbar gefühlt. Seither war Maleander Vahels bester Freund. Er teilte alles mit ihm und sie verstanden einander ohne Worte. Nach der Schule waren sie gemeinsam eine Weile kreuz und quer durch die Elfenlande gezogen.

Als bekannt wurde, dass im Norden die Übergriffe der Ratchap auf die Königsgräber wieder aufflammten, nachdem der Krongemahl der Königin die Feinde in ihrer Kindheit so erfolgreich bekämpft hatte, entschlossen sich Vahel und Maleander, dem Heer der Königin beizutreten und das Elfenreich vor derlei Übergriffen zu schützen. Die Ratchap waren widerliche Gesellen. Sie beteten gewaltige Mantis an, riesige, von ihnen gezüchtete Fangschrecken, und sahen selbst schon fast wie Insekten aus. Ihre Köpfe und vor allem die hervorquellenden Augen waren unproportional groß für die unförmigen Körper mit ihren dürren Armen und Beinen. Aber man durfte die Ratchap keinesfalls unterschätzen, sie waren nicht nur wehrhaft, sondern auch gerissen. Vahel hatte schon damals den Gedanken nicht ertragen können, dass diese Kreaturen unter anderem einige der alten Königsschwerter und Kettenhemden aus den Gräbern erbeutet hatten. Bei Maleander mochte vielleicht auch eine Rolle gespielt haben, dass er hoffte, als Krieger bei der weiblichen Bevölkerung der Elfenlande noch mehr Eindruck zu schinden. Vahel musste unwillkürlich grinsen, wenn er an seinen Freund dachte. Eigentlich war es völlig unnötig, dass er versuchte, noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Maleander sah gut aus und seine rote Haarpracht tat ein Übriges. Wahrscheinlich hatte er auf Nummer sicher gehen wollen und hoffte, die ein oder andere Zuhörerin zusätzlich durch spannende Heldengeschichten verzaubern zu können. Aber dann war Valuriel in ihr Leben getreten – oder hatte sie eigentlich überrollt wie eine Naturgewalt.

Vahel schritt weiter stumm neben dem anderen Wächter durch die Nacht. Als Krieger hatte er natürlich gelernt, seine Gefühle zu verbergen, trotzdem war er beim Gedanken an Valuriel so aufgewühlt, dass er fast Angst hatte, der andere Wächter müsse das Chaos in seinem Inneren spüren. Ein Seitenblick auf den Alten beruhigte ihn jedoch, auch er hing offenbar seinen eigenen Gedanken nach und erwartete keine Unterhaltung.

Vahel erinnerte sich nur zu gern an die erste Begegnung mit Valuriel. Ja, der bloße Gedanke daran zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Es war am ersten Tag ihrer Ausbildung in der Feste gewesen. Vahel hatte zusammen mit Maleander auf dem Übungsplatz für das Fechttraining gestanden. Schon eine ganze Weile hatte Maleander ihm von seiner neuesten Eroberung erzählt. Wie sie ihn geküsst hatte und dass er sie möglichst bald wiedersehen wollte. Er war sogar für seine Verhältnisse aufgeregt und redete ohne Unterlass. Dann begann der Fechtunterricht. Während Maleander und Vahel bereits Aufstellung genommen hatten, um miteinander zu trainieren, erschien Valuriel erst im letzten Moment. Vahel hätte fast sein rechtes Ohr verloren, weil er gar nicht mitbekam, dass Maleander bereits einen Angriff mit einem Schlag von oben versuchte. Stattdessen starrte er auf das Phänomen, das sich ihm so unvermutet darbot. Valuriel näherte sich im Schein der aufgehenden Doppelsonne. Zunächst war Vahel vom Gegenlicht geblendet, dann trat die Gestalt, die er zunächst nur als Umriss wahrgenommen hatte, neben Maleander und damit so nah heran, dass sie die noch tief am Himmel stehenden Sonnen durch ihren Körper teilweise verdeckte. Der Anblick war atemberaubend. Ihre goldenen Haare glänzten auf der ihm zugewandten Seite heller als Vahel je etwas hatte glänzen sehen, während ihr Hinterkopf vom grünlichen Licht der dunklen Sonne geheimnisvoll umrahmt war, was sie geheimnisvoll und gleichzeitig wunderschön wirken ließ. Dieser Effekt kam dadurch zustande, dass die beiden Sonnen, die den Himmel über den Elfenlanden beherrschten, in unterschiedlichem Licht erstrahlten. Während die eine warmes, helles Licht aussandte, tauchte die andere die Welt in dunkles. Auf Valuriel wirkte die allgegenwärtige Mischung der Farbeindrücke jedoch nicht nur harmonisch, sondern atemberaubend. In diesem Moment fuhr Maleanders Schwertarm nieder und Vahel war so gefangen in Valuriels Anblick, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Hätte Valuriel nicht im letzten Moment Maleanders Streich abgelenkt, indem sie ihm einen kräftigen Schubs gab, wäre Vahel an diesem Tag zweifellos zum Einohrigen geworden. Dieses Bild von Valuriel vor der Doppelsonne hatte sich für immer unauslöschlich in sein Gedächtnis eingeprägt.

Valuriel war ihnen als Übungspartnerin zugeteilt worden. Der Ablauf ihrer morgendlichen Ausbildungsstunden war von da an immer gleich. Zunächst führten zwei erfahrene Krieger einen bestimmten Schlag oder später auch eine Schlagfolge vor, dann trainierten die Dreierteams so lange, bis jeder den Schlag perfekt ausführen und abwehren konnte. Immer im Wechsel traten zwei gegeneinander an, während der Dritte Fehler korrigierte oder unerlaubte Schritte anzeigte. An diesem ersten Tag hatten Maleander und er einiges von Valuriel einstecken müssen. Zwar kämpften sie jeweils sehr überzeugend gegeneinander, aber Valuriel lenkte einfach zu sehr ab. Ihre goldenen Haare, die Vahel auf keinen Fall versehentlich mit dem Schwert kürzen wollte. Ihre Augen: moosveilchenblau, dunkel, unergründlich. Und ihre schlanke, durchtrainierte Figur, die auch durch die grünbraune, stark gepolsterte Lederrüstung nicht völlig verborgen war. Einmal erlaubte sich Vahel für einen kurzen Moment, sie sich in einem Kleid vorzustellen. Das reichte bereits aus, um zu verlieren. Blitzschnell hatte Valuriel ihm sein Schwert entwunden und die eigene Klinge an die Kehle gesetzt, bevor sein Tagtraum ganz verflogen war.

Als er dann Schiedsrichter war, bemerkte Vahel allerdings, dass es Maleander auch nicht besser erging. Schließlich läutete die Glocke zum Mittagsmahl und alle drei waren durchgeschwitzt und außer Atem. Vahel bedankte sich höflich für das gute Training, während Maleander andeutete, er habe Valuriel gewinnen lassen, um sie nicht gleich am ersten Tag zu entmutigen. Vahel wollte den Freund gerade mit den vielen Hieben aufziehen, die er sich mit dieser ach so edlen Einstellung eingehandelt hatte, da kam die Antwort schon von Valuriel, allerdings nicht mit Worten, sondern per Schwert. Schneller als einer der Anwesenden schauen konnte, zuckte die Klinge über Maleanders Lederrüstung und fand zielsicher ihren Weg zu den Bändern und Schnüren, die die Polster am richtigen Ort hielt. Einen Moment schienen alle die Luft anzuhalten, als Maleanders Lederwams in seine Einzelteile zerlegt über die Hose rutschte, aber dann zwinkerte Valuriel ihm fröhlich zu und meinte: „Wenn du meinst, mich gewinnen lassen zu müssen, dann solltest du das nächste Mal um deine Hose fürchten.“ Damit verschwand sie in die Rüstkammer, um das Schwert zurückzubringen. Immer noch perplex starrten Vahel und Maleander ihr nach, dann sah Maleander an sich herab und begann zu lachen. Vahel konnte nicht anders und stimmte mit ein, denn Maleander sah wirklich zu komisch aus mit dem dick gepolsterten Wams, das an einem letzten Lederband über seinen Hüften hing.

Seit dieser ersten Begegnung waren die Drei unzertrennlich gewesen. Vahel hatte zwar immer wieder einmal dazu angesetzt, Valuriel zu gestehen, dass er deutlich mehr als nur Freundschaft für sie empfand, aber es hatte nie den richtigen Moment gegeben. Maleander schien es ähnlich zu gehen. Zwar hatte er Vahel nicht gesagt, was er für Valuriel empfand, aber das war auch nicht nötig. Seit Valuriel bei ihnen war, gab es für Maleander keine anderen Elfen mehr. Und wie er ihr mit Blicken folgte. Für Vahel war die Sache klar. Vorher hatte es nie Geheimnisse zwischen Maleander und ihm gegeben, doch über Valuriel konnten sie nicht reden. Ohne im Entferntesten darauf vorbereitet zu sein, waren sie irgendwie zu Konkurrenten geworden. Vahel bemerkte dies mit Sorge, wusste aber auch nicht, wie er sich dem Freund gegenüber verhalten sollte.

Er schüttelte den Kopf und starrte in die Nacht. Diese Wache zog sich wirklich ewig. Ein Nachtvogel flog vorbei und sein heiserer Ruf erinnerte Vahel an einen nächtlichen Ausflug mit Valuriel, den die beiden tatsächlich einmal allein unternommen hatten. Maleander war noch auf dem Turm als Wache eingeteilt gewesen. Damals hatte Vahel endlich mit Valuriel sprechen wollen. Ganz anders als heute war damals der Wald in helles, geheimnisvolles Mondlicht getaucht. Als sie auf eine Lichtung traten, hatte er Valuriel für einen wunderbaren Augenblick nur wie gebannt ansehen können. Seine drei Herzen schlugen ihm bis zum Hals und kein Wort kam über seine Lippen. Als er sich wieder gefasst hatte, war der zauberhafte Moment vorüber. Maleander brach viel früher als erwartet durch das Unterholz und lenkte Valuriels ganze Aufmerksamkeit auf sich, weil sich ein Leuchtkäfer in seinen roten Haaren verfangen hatte. Valuriel ernannte Maleander sofort zu ihrem persönlichen Fackelträger. Als Maleander jedoch begann, schimpfend nach dem säurespuckenden Insekt zu schlagen, halfen Valuriel und Vahel schnell, das Tier aus den dunkelroten Strähnen zu entfernen.

Und so war es immer gewesen. Nie waren Vahel und Valuriel allein. Wo sie waren, war auch Maleander. Andererseits sorgte auch Vahel dafür, Valuriel nie allein mit Maleander zu lassen. Für alle anderen Elfen waren sie einfach drei Freunde, jedenfalls hoffte Vahel, dass sie so wirkten. Die Realität war komplizierter. So lange sie alle zu Kriegern ausgebildet wurden, waren Beziehungen sowieso verboten. Vahel hatte sich damals eingeredet, dass es das Beste war, einfach bis nach der Ausbildung zu warten, um mit Valuriel zu sprechen. Vorher hätte sie das nur in Schwierigkeiten gebracht. Offenbar hielt Maleander es genauso, denn irgendwie gelang es ihnen, die Ausbildung hinter sich zu bringen und zu dritt befreundet zu sein. Dass Valuriel die Tochter der Elfenkönigin war, hatte die Sache noch weiter verkompliziert. Am Anfang ihrer Freundschaft hatten Maleander und er nicht gewusst, dass Valuriel königlichen Blutes war. Sie war einfach Valuriel gewesen. Erst als ein Krieger sie nach zu viel vergorenem Saft im Wirtshaus sehr unhöflich als die Schmusetierchen der Prinzessin bezeichnet hatte, rückte Valuriel mit der Wahrheit heraus. Vahel hatte seither viel darüber nachgedacht, ob er sich alle Gefühle für Valuriel aus dem Kopf schlagen sollte. Er stammte nicht aus einer der ersten Familien im Land und der Fürstenrat musste jeder Partnerwahl der Prinzessin zustimmen. Vermutlich hatte er schon deshalb keinerlei Chancen, Valuriel für sich zu gewinnen. Aber um sich zurückzuziehen, wie es wahrscheinlich vernünftig gewesen wäre, war es viel zu spät.

Als Valuriel dann vor wenigen Monaten quasi über Nacht an den Hof ihrer Mutter berufen wurde, war sie mit einem Schlag wieder aus seinem Leben verschwunden. Er hatte fürchterlich gelitten. Ein Leben ohne Valuriel war ihm undenkbar vorgekommen. Und doch hatte er irgendwie funktioniert, sich jeden Tag zum Dienst geschleppt und seine Befehle befolgt. Er lebte, aber es war ihm so, als müsse er im Dunkeln existieren. Als hätte die helle Sonne aufgehört zu strahlen und nur die dunkle hüllte alles in ihren trüben, grünlichen Schein. Maleander ging es offenbar ähnlich. Er sah genauso schlecht aus, wie Vahel sich fühlte. Zuerst hatte sich jeder von beiden allein seinem Kummer ergeben. Maleander hatte ein paar Mal einen über den Durst getrunken und Vahel hatte sich immer häufiger grüblerisch zurückgezogen. Schließlich war es Maleander gewesen, der den ersten Schritt auf Vahel zugemacht hatte. Sie hatten nicht über Valuriel gesprochen oder über ihre Gefühle, aber sie hatten ihre Pausen wieder zusammen verbracht und waren ab und zu ausgeritten. Fast hatte es sich angefühlt wie in der Zeit vor Valuriel und das war für Vahel sehr tröstlich gewesen. Und nun? Seit einigen Tagen erst war Valuriel wieder in der Feste und Vahel hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte.

Kapitel 2: Die Patrouille

Valuriel

Pünktlich vor Sonnenaufgang traf Valuriel die Patrouille, deren Führung sie übernommen hatte, im Hof der Anlage. Die Einheit war klein, nur zehn Elfen unterstanden ihrem Befehl. Aber das wunderte Valuriel nicht. Die Feste war ohnehin nur mit der kleinstmöglichen Truppenstärke besetzt. Die meisten Krieger kämpften an den Grenzen zur Großen Ebene, wo Trolle ihr Unwesen trieben. Eingeteilt waren neben der Heilerin Aski auch Kenton und Tilgur, zwei ältere und erfahrene Kämpfer, die Valuriel sehr schätzte. Kenton war in den Augen der Krieger ein Held, vor allem die Jüngeren sahen in ihm ein Vorbild. Er hatte tapfer in den letzten großen Trollkriegen gekämpft und die Gräber der alten Elfenkönige immer wieder gegen Plünderer der Ratchap verteidigt. Dieses räuberische Volk war Valuriels Mutter wegen der heimtückischen Ermordung ihres Vaters verhasst. Die Königin hatte das Volk aus dem Westen zu Erzfeinden erklärt, die es wo immer möglich zu bekämpfen galt. Valuriel wunderte sich, warum ausgerechnet diese beiden hochkarätigen Kämpfer zu einem einfachen Patrouillendienst eingeteilt worden waren. Sollten sie vielleicht die Anführerqualitäten der jüngeren Offiziere bewerten? Daran hatte Valuriel gar nicht gedacht. Vielleicht hatte sie ihren beiden Freunden durch ihre Einmischung gerade eine gute Chance verpatzt, befördert zu werden. Andererseits hatte sie sie möglicherweise auch vor einem Desaster gerettet, denn wer konnte schon sinnvoll reagieren nach so viel Schlafentzug. Trotzdem: Hätten Kenton und Tilgur nicht besser die Grenzen des Elfenreiches gesichert und gegen die Trolle verteidigt, die immer häufiger die Siedlungen am Rande der Elfenlande überfielen? An der Art, wie die beiden Krieger ihre Gesichter verzogen, erkannte Valuriel, dass sie sich genau dieselbe Frage stellten. Auch, dass mit Aski eine Heilerin für die Patrouille eingeteilt worden war, wunderte Valuriel. Die anderen Kämpfer kannte sie nicht. Aber das war auch nicht nötig. Wer auch immer sie waren, Valuriel wollte von vorn herein keine Zweifel an ihren Führungsqualitäten aufkommen lassen. Deshalb befahl sie nach der obligaten Materialprüfung sofort zum Aufbruch. Noch war keine der beiden Sonnen zu sehen, aber die Gestirne schickten bereits ihre Strahlen voraus und die Wolken färbten sich in ihrer Laufrichtung in fröhlichen Apricot- und Orangetönen, wo sie das Licht der hellen Sonne reflektierten und leicht versetzt war der grünliche Schimmer zu sehen, der das Aufgehen der dunklen Sonne ankündigte.

Maleander

„Was, wie …“, grunzte Maleander völlig verschlafen. Jemand rüttelte ihn heftig am Arm, aber er konnte beim besten Willen nicht schneller wach werden. Er hatte gestern eine späte Wache auf dem großen Turm gehabt und war dann noch mit zwei anderen von der Spätschicht bei vergorenem Beerensaft hängen geblieben. Widerwillig versuchte er, die Augen aufzumachen, aber es drehte sich alles.

„Verdammt noch mal, steh’ endlich auf“, rief Vahel und boxte seinen Freund etwas fester in die Seite.

„Au, verflixt!“, presste Maleander empört zwischen den Zähnen hervor. Blinzelnd blickte er zu Vahel auf. „Was zum Wodnarz ist denn los?“

„Wir sollten eine Patrouille zum Magischen Tor anführen. Eigentlich hätten wir vor Sonnenaufgang aufbrechen müssen, aber ich wusste von nichts. Anscheinend sind die anderen ohne uns los.“

„Was?“, Maleander richtete sich ruckartig auf, zuckte dann aber zurück, weil ihm sein Brummschädel diese Bewegung äußerst übel nahm. Das würde Ärger mit dem Kommandeur geben, keine Frage. Fast wäre er wieder zurück auf sein Feldbett gesunken, aber er gab sich alle Mühe, Vahel weiter zuzuhören.

„Nun komm schon“, trieb Vahel ihn an. „Was meinst du, wer die Patrouille an unserer Stelle leitet?“

Maleander stellte widerwillig einen Fuß vor das Bett. „Keine Ahnung?“, brummte er. „Kann ich bitte erst mal wach werden, bevor wir Rätselraten spielen?“ Der zweite Fuß war noch nicht dazu zu bewegen, dem ersten zu folgen.

„Na, so schwer ist die Antwort auch wieder nicht“, antwortete Vahel. „Wer hat sich schon während der Ausbildung immer um Missionen gerissen? Unsere liebe Valuriel natürlich. Der Bote, der uns gestern informieren sollte, hat mir eben alles erzählt. Und hier hat sie uns auch ein Zettelchen hingelegt, das ich gestern Abend nicht gesehen und wohl versehentlich vom Bett gefegt habe. Ich habe es erst gefunden, als ich schon wusste, was los war.“

„Na, dann ist doch alles in bester Ordnung“, brummte Maleander und wollte sich endgültig wieder zurück auf sein Kissen sinken lassen. „Sie hat eben mit uns den Dienst getauscht. Das ist doch nett. Schließlich hat sie dieselbe Ausbildung gemacht und kann diesen kleinen Patrouillengang doch im Schlaf anführen.“

„Nichts ist in Ordnung“, schnaubte Vahel aufgebracht.

„Die letzten Patrouillen sind alle von Trollen angegriffen worden. Kaum einer von unseren Kriegern hat je so einen Hinterhalt überlebt. Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn Valuriel was passieren würde.“

Endlich schien auch Malenader den Ernst der Lage erkannt zu haben. Ohne weiteren Widerspruch kroch er aus dem Bett und begann, sich dienstfertig zu machen. Gerade als sie den Hof der Feste betraten, um sich auf den Weg zu machen, kam ein weiterer Bote des Kommandeurs auf sie zu. Diesmal war es ein älterer Elf mit strengem Gesicht. Er sah dem Haushofmeister ähnlich, fand Maleander, aber der wäre wahrscheinlich nicht so schlecht gekleidet herumgelaufen.

„Golarian will, dass ihr heute zusammen eine Doppelschicht im großen Turm macht. Esst noch was und dann könnt ihr direkt die Wachen ablösen“, rief er ihnen schon von weitem zu. Wegen einer alten Verletzung konnte der Elf offenbar nicht mehr so schnell laufen, deshalb schrie er die Nachricht über den Hof. Maleander fing Vahels Blick auf: Was sollte das nun wieder? Doppelschichten an sich waren schon schlimm genug. Wache und danach Patrouille, das ging ja noch, weil man sich bei der Patrouille wenigstens durch Bewegung wachhalten konnte, aber zwei Wachen hintereinander, das mutete man Kriegern nicht mal zu, wenn es um eine Disziplinarmaßnahme ging. Golarian selbst hatte ihnen während ihrer Ausbildung immer wieder eingetrichtert, wie wichtig es war, genügend Schlaf und Nahrung zu bekommen. Wieso jetzt diese Dienste in so schneller Folge? Was nützten Wächter, die total übermüdet waren? Gab es wirklich so wenig Besatzung in der Feste?

Valuriel

Valuriel und ihr Trupp waren noch nicht lange unterwegs, da hielt Kenton sie plötzlich am Arm fest und lauschte in den Wald. Die Elfen kamen alle gleichzeitig zum Stehen und Valuriel begriff sofort, was Kenton meinte. Es war still im Wald, viel zu still. Kein Vogel zwitscherte, kein Insekt zirpte, es war absolut nichts zu hören. Valuriel zog ihren Bogen vom Rücken und legte einen Pfeil ein. Auch die anderen Elfen formierten sich in Kampfstellung, bereit jeden Angreifer zurückzuschlagen, von wo immer er sich nähern würde. In diesem Moment stürzte eine Gruppe Trolle aus dem Unterholz rechts und links des Weges. Fünfzehn Trolle schätzte Valuriel, riss den Bogen hoch, zielte auf den, der ihr am nächsten war und schoss. Mit einem Röcheln brach der Troll zusammen, als sich Valuriels Pfeil durch seinen Hals bohrte. Sofort legte sie nach und traf einen zweiten Troll, diesmal ins Herz. Wie gut, dass Trolle im Gegensatz zu Elfen nur eines hatten. In diesem Moment sah Valuriel, dass Kenton gleichzeitig von zwei Angreifern bedrängt wurde. Den dritten Pfeil versenkte sie im Rücken des größeren der beiden. Sie konnte diesmal keinen Schuss ins Herz riskieren, da Kenton von ihr aus gesehen direkt hinter dem Troll stand. Würde der Pfeil den Körper glatt durchschlagen, bestünde die Gefahr, auch Kenton zu treffen. Immerhin lenkte der Schuss den Troll so weit ab, dass er kurz den Kopf in Valuriels Richtung drehte. Ein großer Fehler, denn Kenton sah seine Chance und schlitzte ihm die ungedeckte Kehle auf. Valuriel wollte gerade auf einen Troll anlegen, der Tilgur ansprang, aber dazu kam sie nicht mehr. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen weiteren Angreifer, der mit hoch erhobener Axt auf sie zu rannte. Valuriel hatte einen weiteren Pfeil bereits in der Hand, konnte ihn aber nicht mehr rechtzeitig einlegen. Zweifellos hätte der Troll ihren Kopf in zwei Teile gespalten oder gar ihren gesamten Körper, wenn sich Kenton nicht revanchiert und den Schlag nach einem bühnenreifen Salto mit einem gezielten Schwerthieb abgelenkt hätte. Der Troll wandte sich zu ihm um, aber zu langsam. Mit einer raschen, routinierten Bewegung rammte der Elfenkrieger sein Schwert in den Magen des Trolls, der sofort tot zusammensackte. Auch die anderen Elfen kämpften wendig und geschickt. Vor allem Tilgur hatte zwischenzeitlich nicht nur die zwei Gegner, die Valuriel eben noch gesehen hatte, sondern vier weitere niedergemetzelt. Und selbst die zart wirkende Aski hatte einen der Trolle mit ihrem Heilerstab niedergeschlagen. Der gewaltige Gegner war nicht tot, aber lag bewusstlos am Boden. Als nur noch fünf Trolle übrig waren, flüchteten die Angreifer und verschwanden so schnell im Wald, wie sie gekommen waren. Valuriel ließ den niedergeschlagenen Troll fesseln. Ihn würde sie zum Verhör in die Feste bringen. Vielleicht konnte der Kommandeur dem groben Kerl Informationen darüber entlocken, was die Trolle so weit entfernt von der Grenze zu suchen hatten. Aski untersuchte die Krieger sofort auf Verletzungen. Die meisten Kämpfer hatten nur einfache Schnitte und Kratzer abbekommen, die die Heilerin leicht behandeln konnte. Aber einem Elf hatte ein Troll mit seiner Axt eine Sehne am Bein zertrennt. Diese Verletzung konnte Aski hier nicht behandeln. Sie mussten die Patrouille abbrechen und in die Feste zurückkehren.

„Wie kann es sein“, fragte Valuriel, „dass sich so weit in den Elfenlanden Trolle herumtreiben? Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass die auf uns gewartet haben.“

Ihr entging Kentons besorgter Blick nicht. Nur zögerlich antwortete er: „Wir haben in letzter Zeit eine ganze Menge Krieger an solche Hinterhalt-Attacken verloren. Bisher allerdings sind sie nur in den Grenzgebieten zur Großen Ebene hin aufgetaucht. Sie gehören zu den Trolltruppen der Schwarzen Festung und unterstehen dem Hellen Herrscher. Er ist weder Elf noch Troll, hat aber sowohl Trolle als auch Kra Sh’ed in seiner Streitmacht vereint.“

„Weiß die Königin über das Ausmaß des Problems Bescheid?“ fragte Valuriel irritiert. „Als ich die Feste nach meiner Ausbildung verlassen habe, gab es den Hellen Herrscher ja auch schon und die Trolle haben an den Grenzen immer mal wieder Siedler überfallen. Aber hier sind wir schon so weit in den Elfenlanden, dass Überfälle dieser Art einfach nicht geduldet werden können.“

Kenton nickte bedächtig: „Es wird Zeit, dass die Königin neue Truppen schickt und wir die Trolle in ihre Steppen zurückdrängen, aber das ist noch nicht alles …“

Weiter kam Kenton nicht. In diesem Moment hörten sie Schritte auf dem Weg. Sofort legten alle Elfen außer der Heilerin erneut Pfeile auf und zielten in die Richtung, aus der die Schritte sich näherten. Kam etwa einer der Trolle zurück? Das laute Schnaufen sprach dafür, aber sie würden den Läufer erst sehen können, wenn er fast direkt vor ihnen stand. Der Weg, der zum Magischen Tor führte, verlief an dieser Stelle in großen Bögen. Deswegen hatten die Trolle diese Stelle vermutlich auch für ihren Überfall genutzt. Das Wesen, das jetzt schnaufend und prustend in Sicht kam, war allerdings kein Troll. Vor ihnen erstarrte ein Wodnarz, ein Nachfahre der einst aus der Menschenwelt eingewanderten Ratten. Offenbar hatte der Aasfresser im Gefolge der Trolle auf reiche Beute gehofft. Als das riesige, graue Tier jedoch so viele bewaffnete Elfen vor sich sah, drehte es ab und schlug sich erstaunlich behände für seinen massigen Körper in die Büsche.

Golarian

Golarian starrte auf den Kommunikationsstein. Das Licht war verloschen, die Nachricht beendet und doch konnte er seine Augen nicht von dem milchig glänzenden Stein lassen. Eben noch war auf seiner glatten Oberfläche ein helles Gesicht mit weißen Haaren zu sehen gewesen, vor dem es ihm immer noch graute. Golarian bedeckte den Stein mit einem Tuch aus elfischer Seide und seufzte. Was hatte er nur getan? Wie hatte er sich ausgerechnet auf den Hellen Herrscher einlassen können?

Natürlich war Golarian wütend auf die Königin. Sie hatte ihm damals, als er um sie geworben hatte, so lange Hoffnungen gemacht. Aber dann hatte sie ihn weggeworfen wie einen alten Schuh und einen anderen als Lebenspartner gewählt. Wenn er sich heute an den Moment erinnert, als sie ihm ihre Ablehnung ins Gesicht schleuderte, obwohl sie doch von seiner Liebe wusste, wurde ihm so schlecht wie damals. Wut und Verzweiflung schienen im Laufe der Zeit zu- und nicht abzunehmen. Das alles war viele Jahrhunderte her, aber je länger er hier einsam in der abgelegenen Feste am Magischen Tor lebte, desto mehr quälte ihn die Schmach.

Und dann hatte ER Kontakt mit ihm aufgenommen, dieser verdammte Helle Herrscher. Er hatte ihm geschmeichelt und mit seiner Verzweiflung gespielt, ihn manipuliert und schließlich zu seiner Marionette gemacht. Als der Helle Herrscher zum ersten Mal einen Mittelsmann zu ihm geschickt hatte, war Golarian weit davon entfernt gewesen, über dessen Ansinnen auch nur nachzudenken. Allerdings hatte er die Königin auch nicht gewarnt, wie er es hätte tun sollen. Denn es war ja mehr als wahrscheinlich, dass dieser Helle Herrscher nicht nur ihn fragen würde. Mit der Zeit war sich Golarian jedoch immer sicherer gewesen, dass die Übernahme des Elfenreiches mit oder ohne ihn stattfinden würde. War es da nicht besser, wenn er mit dem Hellen Herrscher zusammenarbeitete, um das Schlimmste für sein Volk zu verhindern? Der Helle Herrscher würde eine Armee aufstellen und gegen die Elfen ziehen. Sobald das Elfenreich erobert war, würde die Königin durch einen ihm wohlgesonnenen Regenten ersetzt werden. Wenn diese Rolle einem der ausbeuterischen Fürsten aus dem Norden zukam, dann würden die Elfenlande zugrunde gehen. Besser war es doch, wenn Golarian die Macht übernahm, zumal er sowieso Regent des Reiches hätte werden sollen. Nur weil die Königin ihn zurückgestoßen hatte, hieß das ja nicht, dass er seinen vom Schicksal vorherbestimmten Platz nicht doch einnehmen konnte. Der Plan des Hellen Herrschers sah weiterhin vor, dass die trollischen und elfischen Truppen gemeinsam das Reich der Drachen angriffen und eroberten. Der Drachenthron war seit längerem in der Obhut des Bruders der Drachenkönigin. Und der sei leicht zu überrennen, hatte der Helle Herrscher behauptet, zumal die Hauptstreitmacht mit der Königin in einen Krieg an den fernen Ausläufern des Reiches gezogen sei. Diesen Teil des Plans fand Golarian zunächst besonders wichtig, weil von Anfang an klar war, dass er über die Elfen herrschen würde und der Helle Herrscher auf dem Drachenthron. Es würde am Ende keinen Streit um die Zuständigkeiten geben - so hatte er damals zumindest gedacht. Als er den Hellen Herrscher nach langen Vorverhandlungen mit Vermittlern schließlich während einer geheimen Verabredung traf, konnte er sich dessen Visionen überhaupt nicht mehr entziehen. Der Helle Herrscher deutete an, dass er Golarian zum Herrscher über die Elfen machen würde, wenn er dafür den Feldzug des Hellen Herrschers gegen den Drachenthron unterstützte. Golarian sah schon nach wenigen Worten genau vor sich, wie er endlich seinen vorgesehenen Platz in der Gesellschaft einnehmen konnte. Wenn die Königin ihn um Verzeihung bat, würde er ihr unter Umständen sogar vergeben. Vielleicht würde er ihr erneut eine Partnerschaft anbieten, aber diesmal zu seinen Konditionen. Unrandil, der Elf, den sie ihm vorgezogen hatte, war schon vor langer Zeit in den Kämpfen um die Königsgräber unter dem Pfeil eines Ratchap gefallen. Seither lebte sie allein für ihr Reich. Vielleicht wäre sie sogar froh, wenn er an diesem Zustand etwas änderte.

Der Helle Herrscher hatte ihn in all seinen Gedanken bestärkt und für eine ganze Weile hatten ihn diese Zukunftsvisionen glücklich gemacht. Alles hatte so richtig geklungen, als würde sich sein Schicksal endlich erfüllen. Mittlerweile allerdings verfluchte sich Golarian für seine Entscheidung, denn immer wieder starben gute Elfenkrieger durch die Trollangriffe und Überfälle der Ratchap, die der Helle Herrscher überall an den Grenzen des Elfenreiches anzettelte, weil seine Armee noch lange nicht stark genug war, um dem Elfenheer in einer offenen Feldschlacht entgegentreten zu können. Als Golarian begriff, welchen Verbündeten er sich mit dem Hellen Herrscher aufgehalst hatte, wurde ihm ganz übel. Die Trolle wären ja schon schlimm genug, jetzt gehörten auch noch die Erzfeinde der Elfen, die Ratchap, zu seinen Bündnispartnern. Was der Helle Herrscher ihnen wohl versprochen hatte? Wenn sie auch nur ein Stück aus den Gräbern der alten Elfenkönige erhalten sollten, würde Golarian den Bund brechen und den dürren Insektenanbetern ihre diebischen Klauen stutzen. Natürlich waren die Ratchap mächtige Verbündete im Kampf, wie der Helle Herrscher immer wieder betonte. Diese Wesen waren wirklich erstaunliche Kampfmaschinen – gerade in Verbindung mit den Mantis - und zusammen mit den hinterlistigen Ratchap-Magiern konnten sie sogar ganze Landstriche entvölkern. Aber Golarian war einfach nicht in der Lage dazu, sie als Mittel zum Zweck zu sehen wie der Helle Herrscher. Für ihn waren sie vor allem Lügner, Diebe und Elfenfeinde.

In den wenigen Momenten, in denen Golarian ehrlich zu sich selbst war, schämte er sich mittlerweile, weil er durch das Bündnis mit dem Hellen Herrscher auch mit dem Erzfeind der Elfen kollaborierte. Dieser Moment war ein solcher. Längst glaubte Golarian nicht mehr daran, dass der Helle Herrscher sich künftig mit dem Drachenthron zufrieden geben würde. Der Wahnsinnige strebte die Macht über alle Reiche der Drachenwelt an. Sicher würde er versuchen, Golarian loszuwerden, wenn er ihn nicht mehr brauchte. Trotzdem konnte er jetzt nicht mehr zurück. Zu sehr hatten sich die Visionen von einer Zukunft als Regent der Elfen mit der Königin an seiner Seite in sein Hirn gebrannt. Vielleicht stammten diese Wunschbilder nicht einmal vom Hellen Herrscher, sondern waren schon immer da gewesen. Der Helle Herrscher hatte ein erstaunliches Talent, seine Begierden zu erkennen und immer wieder neu zu entfachen bis er schließlich an nichts anderes mehr denken konnte. Nein, er würde weitermachen, das Spiel des Hellen Herrschers noch so lange mitspielen, bis das Elfenreich erobert war. Wenn er erst einmal König wäre, würde er schon Mittel und Wege finden, den Hellen Herrscher wieder loszuwerden. Er musste einfach noch ein bisschen Geduld haben. Wenn das Elfenheer erst ganz unter seinem Kommando stehen würde, könnte er sich auch gegen den Manipulator und seinen zusammengewürfelten Haufen behaupten und all die Ratchap und Trolle in die Wüsten zurückschicken aus denen sie hervorgekrochen waren. Wenn Golarian daran dachte, was er gewinnen konnte, fühlte er sich auf dem richtigen Weg. Sobald ihn jedoch Nachrichten über den Tod weiterer Elfen erreichten, die zu seinen Truppen gehört hatten, wollte er sich am liebsten der Königin ergeben und ihr alles erzählen.

Realistisch betrachtet war es natürlich viel zu spät für diese Kehrtwende. Er konnte schon für das, was er bisher getan oder zugelassen hatte, keine Gnade erhoffen. Man würde ihn hinrichten und unehrenhaft außerhalb des Elfenwaldes begraben. Das war die schlimmste Demütigung für einen Verräter. Trotzdem überlegte er nicht zum ersten Mal, ob das nicht vielleicht das bessere Schicksal war. Oft hatte er das Gefühl, dass ihm alles aus den Händen geglitten war. In dem Gespräch, das er eben über den Kommunikationsstein geführt hatte, war er längst kein starker Verbündeter mehr gewesen, sondern vielmehr ein einfacher Befehlsempfänger des Hellen Herrschers geworden. Nie hätte er gedacht, dass dieser Emporkömmling ihm gefährlich werden konnte. Doch der Helle Herrscher hatte noch viel weitreichendere Pläne und versuchte, nicht nur das Heer der Elfen unter seine Kontrolle zu bekommen, sondern auch Völker wie die Skorr aus dem Norden. Sogar bis in die Welt der Menschen streckte er seine gierigen hellen Finger mittlerweile aus.

Das alles hatte Golarian nicht vorausgesehen. Erst als der Helle Herrscher freien Zugang zum Magischen Tor gefordert hatte, das die Drachenwelt mit der Menschenwelt verband, war ihm klargeworden, warum er von allen Elfen ausgerechnet ihn als Verbündeten ausgewählt hatte. Golarian befehligte die Feste, die eigens zu dem Zweck errichtet worden war, diesen magischen Übergang zu bewachen. Der Helle Herrscher brauchte diesen Zugang zur Menschenwelt offenbar, ließ Golarian aber völlig im Unklaren darüber, warum. Erst als er seine Unterstützung verweigerte, informierte ihn der Helle Herrscher widerstrebend, dass die Tochter der Drachenkönigin in jener anderen Welt hinter dem Magischen Tor versteckt lebte. Golarian konnte nicht anders als zu bewundern, wie gut der Helle Herrscher informiert war und welch kühne Ideen er verfolgte. Tatsächlich plante er, eine Hundertschaft seiner besten Krieger in die Menschenwelt zu schicken, um die Drachenprinzessin zu fangen und als Geisel gegen ihre Mutter zu verwenden, wenn dies nötig werden sollte.

Golarian sah ein, dass man sich, wenn man gegen den Drachenthron Krieg führen wollte, besser in alle Richtungen absicherte, aber er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Trotzdem hatte er schließlich zugestimmt, die regelmäßigen Patrouillen seiner Krieger ausgesetzt und so den Spezialeinheiten des Hellen Herrschers ungehinderten Zutritt verschafft. Allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst, wer sich da auf den Weg in die Menschenwelt gemacht hatte: ausgerechnet Kra Sh’ed. Diese geflügelten Wesen galten als exzellente Spione und tödliche Krieger. Golarian hatte zwar gerüchteweise gehört, dass der Helle Herrscher auch das Volk der Kra Sh’ed unter seine Herrschaft gebracht hatte, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sich ausgerechnet diese Bestien in dem Teil der Elfenlande herumtrieben, den er beschützen sollte. Alles in ihm wehrte sich gegen den Gedanken, dass diese fliegende Pest womöglich über seine Leute herfiel. Immer wieder hatte der Helle Herrscher ihm versichert, dass dieser Spähertrupp ausschließlich in der Menschenwelt operieren würde und die Elfenlande auf dem Weg zum Magischen Tor nur überflog.

Tatsächlich war alles so gekommen, wie der Helle Herrscher angekündigt hatte. Die Späher waren unbemerkt von seinen Leuten durch das Magische Tor in die Menschenwelt gereist und nach einiger Zeit zurückgekehrt und ebenso unbemerkt wieder in Richtung der Schwarzen Festung verschwunden. Golarian war eigens zum Magischen Tor geritten, um das zu überprüfen. Anscheinend hatten die Kra Sh‘ed die Drachenprinzessin nicht gefunden. Diese Frage beschäftigte Golarian allerdings weniger als der Rückzug der schrecklichen Kreaturen. In Sachen Kra Sh’ed hatte der Helle Herrscher also die Wahrheit gesagt, aber in anderer Hinsicht hatte er gelogen. Golarian hatte dem Hellen Herrscher Routen und Personal der Patrouillen zur Verfügung gestellt, damit die Trolle in den Grenzgebieten seinen Kriegern ausweichen konnten. Tatsächlich hatte der Helle Herrscher diese Informationen genutzt, um die elfischen Kämpfer in Hinterhalte zu locken und einfach abzuschlachten. Er hatte sein Vorgehen damit erklärt, dass es von Vorteil sei, die königlichen Truppen in die Grenzregion zu locken. Hier könnte das Elfenheer von den Trollen der Schwarzen Festung und Golarians Leuten in die Zange genommen werden, statt sich aufreiben zu lassen, wenn man etwa direkt gegen die Hauptstadt der Elfenlande zöge. Golarian war viel zu wütend gewesen, um dem Hellen Herrscher etwas zu entgegnen. Damit war er entschieden zu weit gegangen.

Als jemand an die Zimmertür klopfte, wickelte Golarian den Kommunikationsstein fest in das Tuch aus Elfenseide ein und verstaute ihn in einer stabilen Truhe. Als er seinen Haushofmeister erblickte, entspannte er sich. Der Alte wusste als einziger in der Feste von seinem Pakt mit dem Hellen Herrscher und war auch über den Kommunikationsstein informiert. Doch die Entspannung wich sofort wieder, als er in das Gesicht des Bediensteten blickte.

„Mein Herr“, begann der Alte und verbeugte sich. „Schlimme Nachrichten. Die heutige Patrouille wurde von der Tochter der Königin angeführt. Ich habe es eben erst erfahren. Ihre beiden Freunde aus der Ausbildungszeit wollten anscheinend gerade hinter der Patrouille her, was ich verhindern konnte, indem ich sie kurzfristig zu einem Wachdienst auf den Großen Turm geschickt habe.“

Golarian erblasste. Sein Haushofmeister hatte sehr umsichtig gehandelt, denn das Letzte, was sie brauchen konnten, war eine Verstärkung der Patrouille und das Überleben von Zeugen. Wenn allerdings die Tochter der Königin bei einem Trollüberfall umkam, würde die Strategie des Hellen Herrschers nicht aufgehen. Die Königin würde sicher nach den Mördern ihrer einzigen Tochter suchen – und zwar mit einem viel größeren Heer, als sein Verbündeter es sich vorstellen konnte. Zuerst würde sie die Truppen in seine Feste führen, um die näheren Umstände von Valuriels Tod zu untersuchen. Das durfte nicht geschehen. Denn sicher würde sie schnell entdecken, was hier vor sich ging, was er getan hatte. Man musste kein Seher sein, um zu erkennen, dass eine so große Zahl an Elfenkriegern an der Grenze nur deshalb gefallen sein konnte, weil die Feinde ihre genauen Positionen und ihre Befehle kannten. Vielleicht hätte er den Verdacht noch von sich abwenden können, aber die Patrouille, die Valuriel anführte, war nicht an der Grenze unterwegs, sondern weit im Herzen des Elfenlandes. Wenn es so nah am Magischen Tor Trollüberfälle gab, dann war der Kommandeur der Feste entweder ein Verräter oder unfähig. Seine Tage auf diesem Posten wären so oder so gezählt. – Was sollte er nur tun? Natürlich hatte er in seinem letzten Bericht an den Hellen Herrscher auch von dieser Patrouille gesprochen und ihren Weg beschrieben. Wahrscheinlich lagen schon Trolle auf der Lauer, um die Elfenkrieger zu überfallen. Er selbst hatte dafür gesorgt, dass einige Kämpfer eingeteilt worden waren, die die er schon lange loswerden wollte. In Kentons Fall war ihm die Entscheidung schwergefallen. Er war ein großer Krieger. Warum musste er aber auch ständig Fragen stellen und seine Augen überall haben? Oder Tilgur, der sich schon mehrfach kritisch über die Einsätze an der Grenze geäußert hatte. Er hatte diese Entscheidung mit schweren Herzen fällen müssen, obwohl beide hervorragende Krieger waren. Aber warum hatten sie sich nicht ruhig verhalten? Wieso hatten sie immerzu Fragen gestellt?

Zur Bekräftigung schlug Golarian mit seiner rechten Faust auf die linke Hand. Er hatte doch gar nicht anders handeln können. Und nun war alles umsonst! Von wegen, die Truppen des Hellen Herrschers und die Besatzung seiner Feste würden das Heer der Königin in die Zange nehmen. Jetzt saß stattdessen er in der Falle. Wenn die Königin erst mal in der Feste war, würden sich seine Leute auf keinen Fall mehr gegen sie wenden. In der Schlacht hörte ein Krieger auf den Befehl seines Vorgesetzten und wenn die Kriegsmaschinerie entfesselt war, konnte er sie gegen alles richten, sogar gegen die Königin. Aber in der Feste würde sie ihn gefangen nehmen lassen wie einen gemeinen Verbrecher. Und der Helle Herrscher – würde er ihm zu Hilfe eilen? Oder würde er sich in seiner Schwarzen Festung verbarrikadieren? Würde er möglicherweise sogar die Abwesenheit der Königin nutzen, um die Elfenhauptstadt Valduria anzugreifen? War das vielleicht sogar von Anfang an sein Plan gewesen? Und er selbst nur Teil eines Ablenkungsmanövers, das letztlich den Hellen Herrscher zum Regenten des Elfenreiches machte?

Vahel

Vahel starrte vom großen Turm herab auf den inneren Hof der Feste. Er versuchte, sich ein Bild davon zu verschaffen, welche Posten besetzt waren und welche nicht. Es musste doch einen objektiven Grund geben, warum Maleander und er jetzt auch noch den Tag über Wachdienst schieben mussten. Eigentlich sah die Lage gar nicht so schlecht aus. Die Besatzung war klein gehalten, aber es schien nirgends eine wichtige Position unbesetzt zu bleiben. Auf der Mauer, den Türmen und an den Toren patrouillierte die vorgeschriebene Anzahl von Kriegern. Und abgesehen von Maleander und ihm selbst entdeckte Vahel niemanden, den er auch schon in der vorangegangenen Nacht gesehen hatte. Das war doch merkwürdig. Waren Maleander und er bei Golarian in Ungnade gefallen? Hatten sie irgendetwas getan, um seinen Zorn auf sich zu ziehen? Vahel konnte sich nicht vorstellen, was den Kommandeur verärgert haben konnte. Selbst Maleander, der Abenteuern jeglicher Art nicht abgeneigt war, verhielt sich ziemlich vorbildlich, seit Valuriel in die Feste zurückgekehrt war. Keine unerlaubten nächtlichen Ausritte zu romantischen Treffen, keine Prügeleien. Was hatte Golarian also im Sinn mit dieser ungerechten Arbeitsverteilung? Vahel kam ein Gedanke, den er am liebsten gleich wieder aus seinem Gehirn gelöscht hätte: Was wäre, wenn Golarian aus irgendeinem Grund nicht wollte, dass sie Valuriels Patrouille folgten? Aber warum sollte ihn kümmern, wer die Patrouille anführte? Das ergab doch alles gar keinen Sinn.

Vahels Blick fiel auf Maleander, der sich am Rande der mit Zinnen gekrönten Plattform zum Schlafen zusammengerollt hatte. Obwohl es eigentlich Vorschrift war, dass innerhalb einer Wache tatsächlich alle Wächter auf ihrem Posten waren, hatten die Freunde sich die Zeiten aufgeteilt. Wenigstens ein paar Stunden Schlaf brauchten sie, um ihren Dienst sinnvoll tun zu können. Und da Maleander die Augen kaum hatte offenhalten können, hatte Vahel die erste Wache übernommen. Warum handelte Golarian gegen alle Vorschriften?

Vahel ging eine Runde um die Turmkrone und kam wieder auf der zum Burginneren gewandten Seite zum Stehen. Ein seltsam milchiges Licht im oberen Geschoss des Hauptgebäudes fesselte seinen Blick. Das Zimmer gehörte zu Golarians persönlichen Gemächern. Was machte der Kommandeur da? Welche Quelle spendete ein solches Licht?

Vahel hatte etwas Ähnliches schon einmal gesehen, aber bevor er sich erinnern konnte, in welchem Zusammenhang, hängte jemand dunkle Stoffe vor das Fenster. Was immer Golarian oder einer seiner Diener in diesem Zimmer tat, er wollte nicht, dass jemand anderes dieses geheimnisvolle Licht sah. Seltsam!

Gedankenverloren drehte Vahel eine weitere Runde auf der Plattform und diesmal erspähte er tatsächlich etwas Interessantes außerhalb der Festungsmauern: Die Patrouille kehrte zurück. Doch sie bewegte sich langsamer, als man es von trainierten Kriegern erwarten würde.

Vahel weckte schnell Maleander und gab dann das Signal, dass sich jemand der Feste näherte. Vahel starrte auf die fernen Punkte, die langsam größer wurden. Maleander stand jetzt neben ihm. „Ist Valuriel schon wieder zurück?“, murmelte er noch schlaftrunken. „Na, die kann was erleben.“

„Ich glaube, das hat sie schon!“, antwortete Vahel. „Sie laufen, als ob einige von ihnen gerade verletzt worden wären.“ „Kannst du sehen, ob mit Valuriel alles in Ordnung ist?“, fragte Maleander erschrocken und starrte angestrengt in Richtung der schemenhaften Gestalten. „Ich bin immer noch ein bisschen mitgenommen von diesem Beerenzeug von gestern – wirklich ein fragwürdiger Stoff.“

Doch auch Vahel konnte noch nicht erkennen, ob sich Valuriel unter den Elfenkriegern befand. Minutenlang starrten sie die Silhouette der Patrouille an, die viel zu langsam näher rückte. Schließlich war sich Vahel als erster sicher: „Ich glaube, sie läuft an der Spitze und ist unverletzt.“ Maleander nickte erleichtert und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. „Einer der Verletzten ist ein Troll, ich glaube, er ist gefesselt. Ob sie überfallen wurden?“ „Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Und es wird leider auch noch eine Weile dauern, bis wir von diesem verflixten Turm herunterdürfen und es erfahren.“

Kapitel 3: Der Cousin aus einer anderen Welt

Valuriel

Valuriel meldete sich beim Hauptmann der Wache zurück und verlangte, den Kommandeur zu sprechen. Doch der Hauptmann hatte noch nicht zu einer Antwort angesetzt, als schon der alte Haushofmeister des Kommandeurs herangeschnauft kam:

„Der Kommandeur … pfff … keine Zeit. Wir rufen die Prinzessin …“, schnaufte der alte Elf, der sich ganz offensichtlich zu wenig bewegte. Doch Valuriel unterbrach ihn, was nicht schwerfiel, da dem Haushofmeister der Atem fehlte, um zu widersprechen.

„Wir sind von Trollen überfallen worden“, sagte Valuriel scharf. „Der Kommandeur muss unbedingt sofort erfahren, wie weit sich diese Ungetüme bereits in unsere Wälder trauen.“ Kenton, der hinter Valuriel getreten war, nickte und funkelte den Haushofmeister an, als ob er jeden, der ihm den Durchlass verwehren wollte, sofort aufspießen würde. Doch der Haushofmeister war nicht leicht einzuschüchtern. „Der Kommandeur ist mit einer mindestens ebenso wichtigen Sache beschäftigt. Er wird euch so schnell es geht empfangen. Jetzt geht und wascht euch zunächst einmal. Ihr seht ja aus wie Strauchdiebe“, zischte der Haushofmeister und schritt so schnell er konnte wieder davon.

Valuriel war sprachlos. Wie konnte er nur? Sie würde ihn fragen, was sein Verhalten zu bedeuten hatte. Schließlich war sie eine Prinzessin! Valuriel stutzte. Eigentlich hatte sie, solange sie auf der Feste diente, auf ihre Privilegien verzichtet. Im Moment war sie eigentlich nur eine ganz normale Kriegerin und die Befehlskette war klar. Er war der Kommandeur und sie musste gehorchen – so schwer es auch fiel. Sie ging also zum zentralen Brunnenraum für die Kriegerinnen, aber kaum hatte sie in den für männliche Elfen normalerweise unzugänglichen Räumlichkeiten ihre blutbefleckten Kleider abgelegt, um sich zu waschen, klopfte ein Elf, an die dicke Holztür und rief nach ihr.

Valuriel hatte die Faxen satt. „Ich bin nicht im Dienst!“ antwortete sie mit Befehlsstimme durch die Tür. Such dir für das, was du zu melden hast, einen anderen Offizier.“

Doch der Störenfried an der Tür ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Das Holz der Tür war ziemlich dick und verschluckte einen Teil dessen, was der Elf zu sagen hatte, aber sie begriff doch, dass er einer der Torwächter vom Haupttor war und dass dort ein Elf Einlass verlangte, der angeblich ihr Cousin Silindur war. Diese Information weckte ihr Interesse. Natürlich war der Betreffende ein Betrüger, denn ihr Cousin war schon vor Jahrhunderten in die Menschenwelt gegangen, weil er dort einen Drachen hüten sollte. Trotzdem wollte sie sich diesen dreisten Lügner schon persönlich ansehen. Sie hätte nichts dagegen, ein wenig von ihrem Ärger an ihm abzureagieren. Was bildete der sich eigentlich ein?

Nur wenige Augenblicke später war Valuriel am Haupttor und traute ihren Augen kaum.

„Silindur,“ sagte sie. „Du bist es wirklich. Ich dachte schon, diese Wachen erlauben sich einen Spaß mit mir. Fast wäre ich nicht gekommen.“

Valuriel und ihr Cousin traten aufeinander zu und umfassten die Unterarme des anderen. Silindur schien völlig erschöpft und sehr aufgeregt zu sein, jedenfalls klammerte er sich an sie wie ein Ertrinkender.

„Silindur,“ versuchte Valuriel ihren Cousin zu beruhigen. „Lass uns in die Feste an einen ruhigen Ort gehen und dann erzähl mir, wie es dich hierher verschlagen hat.“

„Aber ich muss den Befehlshaber der Feste sprechen“, brach es aus dem aufgebrachten Silindur hervor. „Es ist wichtig!“

Doch Valuriel ließ sich nicht beirren und führte ihn durch den Innenhof und mehrere Gänge in eine ruhige Kammer im Offiziersgebäude. Jetzt, in der Abgeschiedenheit der Kammer, schien Silindur zunächst gar keinen Ton mehr heraus zu bekommen, daher fasste sie für ihn zusammen, wie es um die Elfenlande bestellt war. Schließlich fehlten Silindur ziemlich viele Informationen, obwohl er natürlich hin und wieder Nachrichten aus der Heimat in die von ihm gewählte Welt erhalten hatte. Dann begann er zu erzählen und als er einmal angefangen hatte, schien er kein Ende mehr zu kennen. Immer schneller berichtete er von seiner Drachenprinzessin, die viel schneller als gedacht entdeckt hatte, dass sie kein Mensch, sondern ein Drache war. Er sprach von Kra Sh’ed, die durch das Magische Tor in die Menschenwelt eingedrungen waren, obwohl doch die Besatzung der Elfenfeste das Tor scharf bewachen sollte. Immer kurioser wurde seine Erzählung, in der ein Riesenhai die Prinzessin und Silindur angegriffen hatte. Ein Menschenmädchen war anscheinend auch dabei gewesen. Valuriel brummte der Kopf. Schließlich berichtete Silindur, wie sie durch ein zweites, unbekannteres Tor vor den Kra Sh’ed in die Drachenlande geflohen waren. Hier hakte Valuriel nach. Ein weiteres Magisches Tor – das war ihr neu. Sie hatte immer angenommen, dass es nur eine Verbindung zur Menschenwelt gab. Sofort erläuterte Silindur, dass Magische Tore gar nicht so selten seien, aber die meisten seien nicht durchgehend offen. Manche funktionierten nur einmal innerhalb eines Sonnenzyklus‘, andere nur ein einziges Mal in vielen Jahrhunderten. Jetzt rauchte Valuriel erst recht der Kopf: „Wie konntet ihr denn ein zweites finden?“, fragte sie. Und als Silindur sein Doziergesicht aufsetzte, unterbrach sie ihn sofort wieder: „Nein, lass uns darüber ein anderes Mal reden. Erzähle mir jetzt zunächst, was dann in der Drachenwelt passiert ist.“

Silindurs Gesicht war jetzt von tiefer Verzweiflung gezeichnet. Er berichtete, dass er sich mit dem Menschenmädchen gestritten habe und die Prinzessin dann von einem Moment auf den nächsten verschwunden war.

Valuriel war wieder voll konzentriert. „Ist sie vielleicht weggeflogen? Habt ihr irgendetwas gehört?“, fragte sie.