Ellis Baxters Tagebuch - Elias J. Connor - E-Book
SONDERANGEBOT

Ellis Baxters Tagebuch E-Book

Elias J. Connor

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ellis ist ein trauriger Junge - gefangen in seinen Tagträumen, alleine gelassen und geschlagen von seiner Familie, gehänselt und gemobbt in der Schule. Es scheint, niemand hört ihm zu und niemand hat Anteil an seinen Ängsten und seiner Traurigkeit. Eines Abends begegnet ihm das gleichaltrige Mädchen Natalie. Sie gibt ihm das Gefühl, endlich eine wahre Verbündete zu haben. Natalie nimmt Ellis mit auf Fantasiereisen und ermöglicht ihm, wieder schöne Träume zu haben und trotz seiner traurigen Situation glücklich zu sein... bis Ellis eines Tages feststellt, dass Natalie nicht echt ist, sondern nur eine imaginäre Figur. Als Ellis nach einem verheerenden Vorfall in der Familie im Heim landet, lernt er dort ein reales Mädchen kennen, welches Natalie bis aufs Haar gleicht. Sie scheint sein Leben zu verändern. Doch als er ihr tiefes Geheimnis aufdeckt, kommt Ellis an die Grenzen seiner Kräfte... Zum 10-jährigen Jubiläum von Elias J. Connors Erstveröffentlichung im Jahr 2014 präsentiert FINN Books Edition FireFly noch einmal den gefühlvollen, emotionalen Roman ELLIS BAXTERS TAGEBUCH – ein Sozialdrama, das unter die Haut geht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Elias J. Connor

Ellis Baxters Tagebuch

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1 - Traum oder Wirklichkeit?

Kapitel 2 - Ellis hat Geburtstag

Kapitel 3 - Im Schwimmbad

Kapitel 4 - Die schlechte Note in Deutsch

Kapitel 5 - Die Nacht woanders

Kapitel 6 - Warum musst du gehen, Natalie?

Kapitel 7 - Karens Freunde

Kapitel 8 - Cereon

Kapitel 9 - Ist Natalie wirklich da?

Kapitel 10 - Gedemütigt

Kapitel 11 - Herbstferien

Kapitel 12 - Natalie spricht wieder

Kapitel 13 - Der geheime Clan

Kapitel 14 - Die Flucht

Kapitel 15 - Krieg im Haus Cereon

Kapitel 16 - Gewinner und Verlierer

Kapitel 17 - Die ersten Worte nach langer Zeit

Kapitel 18 - Bei Natalie zu Hause

Kapitel 19 - Zurück auf Cereon

Kapitel 20 - Brenne, Tagebuch, brenne

Kapitel 21 - Weihnachten in Miami

Kapitel 22 - Wir bleiben Freunde für immer

Über den Autor Elias J. Connor

Weitere Bücher von Elias J. Connor

Impressum

Widmung

Für Jana.

Meine Freundin. Meine Muse.

Danke, dass du da bist und ich dir immer wieder Geschichten erzählen darf.

Kapitel 1 - Traum oder Wirklichkeit?

Der Junge stand am Abgrund eines riesigen Berges. In der Ferne hörte er, wie ein Gewitter heran rauschte. Der Horizont war verhangen von Wolken, und Blitze zuckten aus ihnen heraus.

Er hatte keine Angst. Normalerweise hatte er Angst vor dem Donner, weil der so laut war. Aber Ellis stand einfach da und sah zu, wie das Gewitter langsam näher kam. Er hatte keine Ahnung, warum es ihn nicht bange machte.

Wieder zuckte ein Blitz aus den Wolken. Diesmal war es deutlich näher, denn der Donner hallte kaum 4 Sekunden danach durch die Gegend.

Ellis stand da uns atmete aus. Als er an sich herunter sah, sah er, dass er nichts trug als eine Schlafanzughose. Er fuhr sich mit der Hand durch seine braunen Locken und schüttelte seinen Kopf.

Und eine Brise umspielte Ellis’ Haut.

„Ellis“, machte plötzlich eine sanfte Stimme.

Ellis drehte sich um.

Aber da war niemand.

Wieder ein Blitz und darauf gleich ein Donner. Jetzt war das Gewitter direkt über ihm.

Aber Ellis hatte noch immer keine Angst. Mochte der Blitz noch so stark sein. Mochte der Donner noch so laut sein.

Auf einmal bebte die Erde. Ellis merkte, dass der Berg, auf dem er stehen musste, anfing zu wackeln. Einige Steine bröckelten den Abgrund hinunter, vor dem Ellis stand.

Ellis sah hin.

Aber er hatte noch immer keine Angst.

„Flieg, Ellis, flieg“, sagte wieder diese Stimme, die er eben schon hörte.

Ellis drehte sich erneut um… und dann sah er auf einmal in das Gesicht eines Mädchens. Sie hatte lange, braune Haare, trug ein weißes Nachthemd und hatte große, braune Augen, mit denen sie Ellis lächelnd ansah.

„Flieg, Ellis, flieg“, hauchte sie wieder.

Und dann mit einem Mal krachte es gewaltig, und ein Blitz schlug in den Berg ein, der daraufhin in tausend Teile zersprang, und ehe sich Ellis versehen konnte, schwebte er mit dem Mädchen zusammen in der Luft, und unter ihnen erstreckten sich die Ausläufer von Frankfurt, der Stadt, in der Ellis wohnte.

„Was geschieht hier?“, fragte Ellis. „Träume ich?“

„Wer weiß?“, meinte das Mädchen.

Und dann nahm sie Ellis an die Hand, und beide flogen wie Superman über die Stadt.

„Warum können wir fliegen?“, wollte Ellis wissen.

„Wir können alles, was du dir wünschst“, sagte das Mädchen ruhig.

„Wohin fliegen wir?“, fragte Ellis.

„Wohin möchtest du?“, fragte das Mädchen zurück.

Ellis blickte über die Dächer der Häuser.

„Da vorne ist meine Schule“, sagte er dann auf einmal.

„Gut“, sagte das Mädchen. „Sehen wir sie uns mal an.“

Ellis und das Mädchen landeten dann schließlich auf einem großen Hof, in dessen Mitte eine alte Eiche stand, um diese mehrere Sitzbänke angebracht waren. Das Gebäude war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Es war geformt wie ein U und erstreckte sich um den Hof herum und war offen nach der Seite, wo die Parkplätze waren.

„Wer bist du?“, fragte Ellis dann das Mädchen.

Das Mädchen lächelte ihn an, aber sie wollte nicht auf seine Frage eingehen. „Es ist niemand hier“, sagte sie stattdessen. „Sollen wir mal reingehen? Ich würde gerne mal deinen Klassenraum sehen.“

Ellis lief dann mit dem Mädchen zum Eingang, der in den hinteren Trakt des Gebäudes führte. Als er versuchte, die Türe, die er abgeschlossen vermutete, zu öffnen, ging sie tatsächlich auf.

„Es ist so dunkel hier“, sagte Ellis. „Ich sehe nichts.“

„Kein Problem“, sagte das Mädchen. „Ich kann machen, dass es morgens ist.“

Mit einem Mal… ging in Sekundenschnelle die Sonne auf. Das Unwetter, welches längst schon verschwunden war, war nicht mehr zu spüren, und das Tageslicht leuchtete in den großen Innenraum, der zu den anderen Fluren führte, wo die Klassenräume waren.

„Wie hast du das gemacht?“, wollte Ellis wissen. „Es war doch eben noch Nacht…“

Das Mädchen lächelte.

„Du musst eine Fee sein oder so was“, stellte Ellis fest.

„Vielleicht deine Fee“, hauchte das Mädchen.

Und auf einmal ertönte die Schulglocke. Es war große Pause.

Und dann, in der nächsten Sekunde… huschten zig Kinder – sicher Hunderte – aus den Klassenräumen heraus in den großen Flur.

Ellis zitterte, denn er hatte ja nur eine Schlafanzughose an. Was, wenn die anderen ihn so sehen würden?

„Hab keine Angst“, sagte das Mädchen, als sie Ellis an die Hand nahm. „Sie können uns nicht sehen. Zeigst du mir jetzt deine Klasse?“

„Es ist die 6 a“, sagte Ellis.

Dann führte er das Mädchen in den unteren Flur. Dort gab es drei Türen. Die hinterste, das war der Klassenraum von Ellis’ Klasse.

Er und das Mädchen gingen hinein.

Im Raum waren zwölf Tische so gestellt, dass sie alle zum Schreibtisch und der Tafel zeigten. Schultaschen standen unterhalb der Tische. Und Mäppchen und Schreibhefte lagen auf den Tischen.

„Wo sitzt du?“, sagte das Mädchen.

Ellis lief zu seinem Platz in der vorletzten Reihe.

„Sitzt jemand neben dir?“, fragte das Mädchen dann.

Und Ellis schüttelte seinen Kopf.

Und schließlich entdeckte das Mädchen etwas, was an der Tafel stand. Sie las: „Ellis Baxter ist eine Schwester. Keiner vermisst dich, also verpiss dich.“

„Ellis, was bedeutet das?“, wollte das Mädchen wissen.

Und mit einem Mal klingelte es wieder… und in der nächsten Minute kamen die Kinder wieder herein in den Klassenraum.

„Komm“, sagte das Mädchen.

Und gerade, als sie zur Türe gehen wollten… sah Ellis sich selbst. Er und das Mädchen schienen nur Beobachter zu sein, und der richtige Ellis lief langsam mit gesenktem Kopf zu seinem Platz und setzte sich hin.

„Mädchen“, sagte ein Junge zu ihm. „Alice im Wunderland“, sagte ein anderer Junge, der Ellis gleich darauf ins Gesicht schlug.

Ellis wehrte sich nicht. Er blieb still sitzen und schaute nach unten.

„Ich bin ein Außenseiter“, flüsterte der Ellis in Schlafanzughose zu dem Mädchen, mit dem er hier war. „Sie mobben mich.“

„Das dachte ich mir“, sagte das Mädchen mitfühlend. „Komm, gehen wir nach draußen.“

In der Morgensonne war es relativ warm, fast zu warm für Ende Juni.

„Morgen ist mein Geburtstag“, sagte Ellis traurig. „Keiner von ihnen wird kommen.“

„Bist du sicher?“

Ellis schnaufte aus. „Vielleicht kommt Alexander“, sagte er. „Er ist neben mir der Zweit-Unbeliebteste der Klasse. Aber er wusste noch nicht, ob er kommen kann.“

„Wer kommt sonst noch?“, fragte das Mädchen.

„Meine Schwester hat noch ein paar ihrer Freundinnen eingeladen“, antwortete Ellis. „Aber eigentlich hab ich gar keine Lust auf eine Feier.“

„Komm“, sagte das Mädchen. „Sehen wir uns mal dein Zuhause an.“

Daraufhin nahm sie Ellis wieder bei der Hand, und sie flogen hoch in die Lüfte. Sie flogen über die Dächer der Innenstadt hinweg, flogen über die Hügel von Seckbach, bis sie an Ellis’ Wohnsiedlung in Bergen-Enkheim ankamen. Dort gab es an den Hängen ein seltsam geformtes, gelbes Terrassenhaus.

„In der obersten Etage wohne ich“, sagte Ellis.

Sie landeten auf Ellis’ Balkon. Die Türe zum Inneren von Ellis’ Zimmer stand offen, und er und das Mädchen gingen hinein.

In Ellis’ Zimmer standen ein Einzelbett, ein Schreibtisch, und ein Nachtschrank, auf dem eine kleine Musikanlage war. An der Wand waren zwei Regale mit Büchern und Disney-Comicheften, die Ellis so gerne las.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte das Mädchen schließlich, nachdem es den Raum ansah. „Aber ich komme gerne wieder.“

Daraufhin legte die Fremde ein kleines Buch auf den Schreibtisch, bevor sie sich zum Balkon begab.

„Warte“, sagte Ellis. „Ich weiß doch nicht, wie ich dich nennen soll. Wie ist dein Name?“

Das fremde Mädchen lächelte und flog dann los.

Und in der nächsten Sekunde wurde es Ellis kurz schwarz vor Augen. Als er seine Augen wieder öffnete, merkte er, dass er in seinem Bett lag.

Er atmete heftig.

Er sah auf die Uhr, die auf seinem Nachtschränkchen stand. Sie zeigte den 24. Juni an, morgens um halb sieben.

Ellis zitterte.

„Heute habe ich Geburtstag…“, flüsterte er leise zu sich selbst.

Langsam stand er auf und ging zu seinem Schreibtisch… und dort lag das kleine, schwarze Buch, welches das fremde Mädchen eben dort hingelegt hatte.

Ellis schlug es auf…

Und er las, was drin stand: „Alles Gute zum Geburtstag wünscht dir deine Freundin Natalie.“

„Natalie“, flüsterte Ellis leise. „Dann war es kein Traum…“

Kapitel 2 - Ellis hat Geburtstag

Ellis klappte das Buch zu und legte es in seine Tasche, die für die Schule schon fertig gepackt war. Dann stapfte er langsam die Treppe hinauf, die zum Esszimmer führte. Als er die Türe aufmachte, saßen seine Mutter Meredith und sein Vater Joseph schon am Esstisch. Karen, seine Schwester, war noch im Badezimmer und blockierte es, wie jeden Morgen, bis fünf Minuten vor der Abfahrt in die Schule, so dass Ellis nur Minuten hatte, sich zu waschen, zu bürsten und die Zähne zu putzen.

„Herzlichen Glückwunsch, Ellis Baxter“, sagte Joseph.

„Oh, mein Kleiner hat Geburtstag“, sagte Meredith und stürmte auf Ellis zu. Dann begann sie, ihn im ganzen Gesicht abzuknutschen und überhäufte ihn mit Küssen. Angewidert wandte Ellis sich ab.

„Nicht!“, rief er aus.

„Du bist jetzt 13 Jahre alt“, sagte Meredith. „Aber du wirst nie groß. Du musst mir versprechen, dass du für immer mein kleiner Junge bleibst, und dass du für immer hier wohnen bleibst. Weißt du, deine Schwester ist 11, und sie zieht sicherlich in einigen Jahren aus. Aber du bleibst für immer hier bei Mama wohnen, mein Kleiner.“

Ellis schnaufte aus.

Es wunderte ihn schon nicht mehr, dass sein Vater nichts gegen die Attacken seiner Mutter machte. Vielleicht hatte er sie schon aufgegeben. Ellis wusste, dass seine Mutter sehr sonderbar war, seit sie immer diese Tabletten nahm. Er wusste auch, dass sie ihn immer schlug, wenn er nicht parierte oder sich gegen seine anscheinend überfürsorgliche Art stellte. Und er wusste, dass Meredith ihm die Schuld dafür gab, dass sie so war wie sie war.

Karen.

Immer war es Ellis, wenn Karen weinte oder ihn ärgerte oder ihn sonst wie drangsalierte. Karen drehte es immer so, dass Ellis am Ende als der Schuldige da stand. Und dass seine Mutter sich dann überfordert fühlte und Tabletten nahm und Ellis schließlich dafür die Schuld gab.

In seiner Familie – weder bei seinem Vater, noch bei seiner Schwester oder bei seiner sowieso überforderten Mutter, die ihn grenzenlos an sich binden wollte, so sehr, dass es Ellis Weh tat – hatte er einen Ansprechpartner. Bei keinem konnte er sagen, wenn ihm etwas nicht passte oder er Probleme hatte. Und das war so, seit seine Familie vor sieben Jahren nach Deutschland zog und sein Vater dieses Haus kaufte, in dem sie jetzt wohnten. Seit sie hier waren, war der Vater nicht nur der Vermieter von allen anderen Wohnungen in diesem Terrassenhaus am Hang in Bergen-Enkheim, er war auch noch ein angesehener Geschäftsmann, der von morgens um Sieben bis weit in den Abend herein im Büro war. Und Ellis fragte such manchmal, ob er überhaupt mitbekam, was hier in der Familie tagtäglich passierte. Ellis glaubte manchmal sogar, dass er wirklich Schuld an allem hatte – Schuld daran, dass seine Mutter Tabletten nehmen musste, Schuld daran, dass seine Schwester ihn bis aufs Blut drangsalierte und mobbte.

Aber das war ihm heute egal. Denn er hatte ein Geheimnis. Und dieses Geheimnis stand in seinem kleinen, schwarzen Buch.

Als Karen raus kam, machte sie keine Anstalten, Ellis zu gratulieren. Sie setzte sich wortlos an den Tisch und aß das Marmeladenbrötchen, was ihr Vater ihr zuvor schmierte.

„Ich hab doch gesagt, keine Butter“, sagte Karen dann.

Ellis lief daraufhin ins Badezimmer und machte sich schnell fertig. Als er wieder herauskam – so nach fünf oder zehn Minuten – standen der Vater und Karen bereits abfahrbereit.

„Was trödelst du so lange?“, sagte er zu Ellis.

Ellis packte wortlos seine Schultasche.

„Mama bereitet einen süßen Kindergeburtstag vor“, sagte Meredith. „Karen hat ein paar Freunde eingeladen. Du hast ja keine. Du brauchst ja keine. Es wird ein schöner Geburtstag, du wirst sehen.“

„Ha!“, frotzelte Karen. „Mamas Liebling.“ Sie stieß Ellis in die Seite. „Wenn ich 12 werde, werde ich eine rauschende Party mit Jungs und ohne Eltern machen, und zwar bei meiner Freundin, die sturmfrei haben wird an dem Tag.“

„Du bist ja auch schon erwachsen“, sagte Meredith zu Karen. „Aber Ellis ist ein kleiner Junge.“

„Hallo?“, wollte Ellis sagen. „Ich bin zwei Jahre älter als Karen. Sie ist 11, ich bin 13, sieht das denn keiner?“

Aber er sagte nichts.

Im Auto holte Ellis das kleine geheime Buch aus seiner Tasche. Und dann holte er einen Stift heraus. Und dann schrieb er etwas.

Ich weiß nicht, was letzte Nacht geschehen ist, aber es ist etwas ganz Besonderes geschehen. Und heute ist ein ganz besonderer Tag. Denn es ist der erste Tag, an dem ich eine Freundin habe. Ich hatte noch nie eine Freundin. Aber heute habe ich eine.

Ihr Name ist Natalie. Sie ist mir gestern Nacht das erste Mal begegnet. Und ich dachte erst, es war ein Traum, aber es war wahr. Ich habe dieses Buch – das hat sie mir gegeben – auf meinem Schreibtisch gefunden. Wenn es nicht wahr gewesen wäre, dann wäre das Buch ja nicht da. Aber es war da.

Natalie, wo immer du bist, ich hoffe, du kommst bald wieder.

Ellis klappte das Buch dann zu und tat es in seine Schultasche zurück.

Zuerst ließ Joseph Karen an ihrer öffentlichen Schule heraus, dann fuhr er Ellis zu seiner. Zur privaten Beklopptenschule, wie Karen und ihre Freundinnen immer sagten.

Die Schule, in die Ellis ging, war keineswegs eine Sonderschule, nur war neben der Schule ein Haus angeschlossen, in dem nach dem Montessori-System unterrichtet wurde, welches für lernschwache und behinderte Kinder gedacht war. Aber die Schule, in die Ellis ging, war eine ganz normale Privatschule. Diese hatte nach außen hin aber wegen der angeschlossenen Sonderschule den Ruf einer ebensolchen.

Ellis stieg aus dem Auto und schlenderte über den Hof zum Eingang des Gebäudes, in dem seine Klasse war. Als er vor der Klasse ankam, wurde er schon von zwei Jungs angeraunt.

„He, da kommt Alice im Wunderland“, sagte der eine Junge.

„Na, wo ist denn dein Kleidchen, Schwuchtel?“, fragte der andere.

Sie stießen Ellis etwas herum, bis dann der Biologielehrer, Dr. Fabian, ankam.

„Schluss jetzt!“, rief Dr. Fabian. „Wir gehen in den Filmraum. Aus gegebenem Anlass will ich euch heute einen Film zeigen.“

„Stark“, sagte ein Mädchen, das ebenfalls zur Klasse gehörte und auf der Fensterbank saß. „Film. Kein Unterricht.“

Die Klasse ging dann geschlossen in den Filmraum, und dann stellte sich Dr. Fabian vorne hin.

„Wer von euch raucht bereits oder hat schon einmal geraucht?“, fragte er.

Natürlich zeigte keiner auf. Alle wussten, dass Tom, der Insider der Klasse schlechthin und der beliebteste Junge, schon rauchte. Aber keiner verpetzte ihn.

„Ich meine, ich hätte Ellis neulich auf dem Hof mit einer Zigarette gesehen“, stellte Dr. Fabian fest.

Plötzlich gab es ein Riesengelächter. Alle lachten Ellis aus.

„Herr Fabian“, meinte Tom dann lakonisch. „Da müssen Sie sich irren. Ellis würde nie rauchen, so mutig ist er nicht. Er ist viel zu schwach, um so cool zu sein.“

Die Klasse lachte weiter.

Natürlich hatte Fabian sich geirrt. Ellis hatte nie geraucht, und tatsächlich hätte er sich das nie getraut.

„Nun, wie auch immer, dies ist genau der Grund, warum ich euch den folgenden Film zeigen will. Viele meinen, Rauchen sei cool. Aber in Wahrheit ist es der Gruppenzwang, der Jugendliche zu Rauchern macht. Und wie gefährlich Rauchen ist, das sehen wir jetzt.“

Der Lehrer machte dann den Film an, und die Klasse erfuhr alles über die Gesundheitsrisiken des Rauchens und über den Gruppenzwang.

Aber es schien ihnen auch nach dem Film egal zu sein. Rauchen war cool, und wer in war, der rauchte. So wie Tom.

Ellis hasste Tom.

Als am Mittag die Schule zu Ende war, wurde Ellis von seinem Vater abgeholt. Alexander, der Junge, der auf Ellis’ Fete kommen sollte als Einziger aus seiner Klasse, fuhr tatsächlich mit.

Zu Hause hatte die Mutter die große Tafel im Wohnzimmer bereits gedeckt. Karen und drei ihrer Freundinnen aßen bereits Kuchen.

„Ihr hättet wenigstens warten können, bis ich da bin“, maulte Ellis dann.

„Sie hatten Hunger“, stellte Meredith klar. „Hier, sieh mal, was ich meinem Kleinen zum Geburtstag schenke.“

Ellis machte ein Päckchen auf – und drin war eine echte Digitaluhr, so wie man sie in den Achtzigern trug.

„Wow“, machte Ellis. „Danke.“

Er hatte sich diese Uhr schon lange gewünscht. Eine richtige Digitaluhr, überhaupt nicht modern, ganz nach Ellis’ altmodischem Geschmack.

Ellis bekam noch CDs von seiner Lieblingsband ABBA geschenkt – auch eine Gruppe aus den späten 70ern und frühen 80ern. Dass Ellis auf so altmodischen Kram stand, das war mit einer der Gründe, warum er in der Schule und von seiner Schwester so gehänselt wurde.

„Abba!“, machte Karen. „Schwuchtelmusik. Ich höre Bushido und Sido“, sagte sie.

Nachdem Ellis und die anderen dann Kuchen gegessen hatten und Kakao getrunken hatten, schlug der Vater vor, dass sie einen kleinen Spaziergang machen sollten. Also gingen sie dann los über einen Weg, der in ein nahe gelegenes Waldstück führte.

„Ellis“, sagte dann Kerstin, eine von Karens Freundinnen. „Hast du schon mal geküsst?“

„Sie meint ein Mädchen“, sagte Karen. Dann wandte sie sich ihrer Freundin zu. „Ellis ist viel zu unreif. Er hat noch nie geküsst. Er kriegt nie eine Freundin.“

„Du hast aber“, sagte Kerstin zu Karen.

Karen nickte. „Ich hab sogar schon mehr als das. Und das mit meinen elf Jahren.“

„Wow, du bist echt cool“, meinte Kerstin zu Karen.

„Viel cooler als Ellis. Der ist gar nicht cool“, meinte Karen, so dass Ellis es hören konnte. „Baby, Baby, Baby“, sang sie dann. „Ellis ist ein Baby.“

Daraufhin sangen ihre drei Freundinnen mit. „Baby, Baby, Baby. Ellis ist ein Baby.“

Auf einmal drehte Ellis sich um. Er stürmte auf seine Schwester zu und schlug sie ins Gesicht.

„Ellis, Schluss!“, sagte Joseph und ging dazwischen.

„Sie hat mich Baby genannt“, weinte Ellis.

„Niemand hat dich Baby genannt“, mahnte der Vater ihn. „Karen ist nun mal reifer als du.“

Ellis war wütend. Er war so wütend, dass er seine nagelneue Uhr vom Arm nahm und sie auf den Steinboden schmetterte. Sie zerfiel zugleich in tausend Teile.

„Ellis, was tust du?“, schrie ihn Meredith an. Sofort packte sie ihn am Arm und schüttelte ihn heftig. „Musst du mich immer zur Weißglut bringen? Du bist Schuld. Was tust du mir an?“

Dann schlug sie ihn in die Rippen und lief dann weg. „Wegen dir muss ich Tabletten nehmen“, rief sie hinterher. „Du hast die Uhr kaputt gemacht. Du machst die Familie kaputt. Immer ärgerst du deine Schwester. Du bist Schuld.“

Meredith lief dann den Weg zurück und ging dann ins Haus, wo sie sich direkt ins Badezimmer begab und ihre Drogen nahm.

Joseph packte Ellis am Arm und ließ ihn nicht mehr los, bis sie zu Hause ankamen.

„Geh auf dein Zimmer und mache dir Gedanken über das, was du angerichtet hast“, sagte Joseph dann, und Ellis ging zugleich auf sein Zimmer.

Nach kurzer Zeit kam Alexander herein.

„Tut mir leid das mit eurem Streit“, sagte er.

Ellis nickte nur.

„Dein Vater sagte, er bringt mich jetzt nach Hause. Also, wir sehen uns morgen in der Schule“, warf Alexander hinterher.

Dann verließ er das Zimmer.

Ellis setzte sich auf sein Bett und weinte leise. Er weinte nicht um die Uhr. Nun, das war schade, dass er sie kaputt machen musste. Aber er weinte nicht um die Uhr. Er weinte, weil sein Geburtstag so verhunzt geworden ist. Und weil seine Schwester es wieder so hat aussehen lassen, dass er Schuld an allem hatte. Schuld daran, dass der Tag so wurde wie er wurde.

Ellis saß da und weinte.

Auf einmal streichelte ihn jemand über seinen Kopf.

Ellis schaute auf…

„Natalie“, hauchte er.

Natalie umarmte ihn.

„Ich hab so gehofft, dass du wieder kommst“, flüsterte Ellis.

„Ich habe es dir ja gesagt“, meinte Natalie dann.

„Du weißt nicht, was heute los war“, hauchte Ellis leise.

„Doch, ich weiß es“, sagte Natalie. „Warum gehen sie nur so mit dir um? Du kannst doch gar nichts dafür, wie deine Schwester zu dir ist. Und deine Mutter gibt dir die Schuld für ihre Tablettensucht.“

„Bin ich Schuld, Natalie?“, fragte Ellis.

Natalie schüttelte den Kopf.

„Eines Tages gehen wir weg“, sagte sie leise. „Und dann nehme ich dich mit.“

„Können wir irgendwohin fliegen, so wie letztens?“, fragte Ellis.

„Heute nicht“, sagte Natalie dann. „Komm, wir feiern deinen 13. Geburtstag.“

Daraufhin holte sie eine Kerze heraus, die sie dann in einen leeren Kerzenständer steckte, der bei Ellis auf dem Schreibtisch stand. Dann zündete Natalie die Kerze an.

„Erzähl mir mehr von dir“, forderte sie Ellis dann auf. „Jetzt, wo wir Freunde sind, möchte ich alles von dir wissen.“

Ellis kuschelte sich mit Natalie auf dem Bett zusammen.

---ENDE DER LESEPROBE---