Elsy Moore und der Teetassenmörder - Miri Smith - E-Book

Elsy Moore und der Teetassenmörder E-Book

Miri Smith

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Beschreibung

Der erste Band der neuen Cosy-Crime-Reihe rund um Elsy Moore und das schrullige Dörfchen Stricktony im Herzen von Devon. Elsy Moore, die junge Hauswirtschafterin des allseits beliebten Baron of Faun, fällt aus allen Wolken, als sie bei einem Besuch des Küsters des kleinen Dorfes Stricktony nicht auf ihn, sondern lediglich auf seine Leiche trifft. Die Hobbydetektivin, die ihr Talent bislang nur beim Lesen von Krimis ausleben konnte, ist schockiert und neugierig zugleich, denn etwas am Tatort hat ihre Aufmerksamkeit erregt. Ihr Entschluss, der Polizei bei diesem Fall unter die Arme zu greifen, ist daher schnell gefasst. Voller Tatendrang und mit der Unterstützung ihrer Freunde macht sie sich auf Spurensuche. Nicht auszudenken, Elsys Vermutung bestätigte sich und weitere Morde stünden bevor ...

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Die Autorin

Miri Smith wurde 1982 geboren. Schon als Kind begeisterten sie vor allem rätselumwobene Geschichten. Ihre Liebe zum Schreiben und Backen entdeckte sie als Jugendliche. Nach ihrem Oecotrophologie-Studium arbeitete sie viele Jahre als Rezeptentwicklerin für Kochbücher und Magazine. In dieser Zeit veröffentlichte sie ihre ersten beiden Fantasy-Romane. Mit Elsy Moore erfüllt sie sich einen Herzenswunsch und widmet sich fortan dem Cosy Crime. Weitere Informationen auf Instagram (@miri.smith.autorin).

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Prolog

Mord … Mord geschieht aus vielerlei Gründen … Manchmal geschieht Mord aus Gier, aus Neid oder aus Leidenschaft. Vermutlich selten aus reiner Boshaftigkeit. Und manchmal aus …

1

Mit einem großen Weidenkorb in der einen Hand und mit Demons Leine in der anderen spazierte Elsy Moore mit strammem Schritt zu Jos Gemischtwarenladen. Sie hatte noch einiges zu tun, für Trödeln war heute keine Zeit.

Demon, Elsys zauseliger Rauhaardackel, galoppierte neben ihr her. Er musste laufen, um mit ihr Schritt zu halten. Seine Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul und er sah aus, als würde er dabei lächeln. Er liebte Bewegung. Am liebsten hätte er den ganzen Tag getobt.

Elsy ging im Geiste ihre heutigen To-does durch. Für den Anblick des malerischen Dörfchens mit seinen kleinen Häusern, knochigen Bäumen, Ranken und Rosen hatte sie heute keine Zeit. Und sie liebte es normalerweise, das urige Dorf, ihr zu Hause, zu bewundern.

Stricktony war nicht immer ihr zu Hause gewesen, sie kam vor ein paar Jahren hierher. Sie war in Plymouth aufgewachsen, machte eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin und lebte ihr Leben, bis sie vor zwei Jahren das Jobangebot von Fred erhielt.

Fred war Frederik Smart, Baron of Faun, ein lustiger, alter Kauz, der jemanden für seinen Haushalt gesucht hatte. Er suchte jemand, der sein Haus in Schuss hielt und kochen konnte. Und das Kochen war ihm weitaus wichtiger als der Haushalt.

Elsy war über die Grenzen für ihre Kochkünste bekannt und so wunderte sie sich nicht, als sie ein Jobangebot von einem gewissen Baron von und zu erhielt, der im Nirgendwo Nähe des Dartmoor lebte. Da Elsy damals ohnehin nach einem Tapetenwechsel suchte und das Großstadtleben leid war, packte sie ihre Koffer und verließ Plymouth.

Jetzt war Elsy Hauswirtschafterin eines Barons, in einem kleinen, alten Herrenhaus, in dem es immer etwas zu tun gab: Kochen, Putzen, sogar kleinere Renovierungsarbeiten. Aber das liebte Elsy an ihrer Arbeit, die Abwechslung, die Herausforderung, selbst etwas zu reparieren. Etwas zu tun, was sie zuvor noch nie getan hatte.

Heute standen einige Besorgungen an und der einzige Laden, der alles bot, was Elsy benötigte, war Josef Millers Gemischtwarenladen.

In Stricktony gab es nicht viele Geschäfte. Es gab nur solche, welche die Menschen zum Leben brauchten. Alle verliefen entlang der Dorfstraße, ringsum und dazwischen lagen Familienhäuser. Jos Geschäft war das Zentrum des Dorfes. Hier versammelte sich Klatsch und Tratsch.

»Okay, Demon, du kennst das Spiel. Du bleibst hier. Ich gehe schnell einkaufen.« Elsy wickelte Demons Leine an einem der Pfosten der weißen Holztreppe, die hoch zum Geschäft führte, fest. »Wenn jemand kommt, den du nicht leiden kannst – Ich nenne jetzt keine Namen. – und dich streicheln will. Du hast die Erlaubnis, so viel und so laut zu bellen, wie du willst.« Elsy zwinkerte Demon zu, kraulte ihn ein letztes Mal hinter dem Ohr und stieg gleich darauf die Treppe empor.

Demon legte sich brav auf ein sonniges Plätzchen am Wegesrand und schaute seinem Frauchen aufmerksam hinterher. Er würde geduldig warten, bis sie zurückkam.

Jos Laden war ein altes, großes Haus. Neben dem Geschäft befand sich direkt seine Wohnung, die er mit seiner Frau bewohnte. Das Haus war in einem blassen Hellblau gestrichen und hatte weiße Fensterläden und Türen, die allerdings ein bisschen in die Jahre gekommen waren. Schon oft war Farbe vom Holz abgeblättert und darüber gestrichen worden.

Bevor Elsy das Geschäft betrat, erhaschte sie kurz einen Blick auf ihre Gestalt. Sie spiegelte sich in den Glaseinsätzen der Eingangstür. Elsy war ein sportlicher Typ, sie trug Jeans, Turnschuhe und ein hellgraues Shirt. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz hochgestreckt. Elsy strich sich ein paar Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, hinters Ohr. Es war mehr Reflex, als der Wunsch für die übrige Welt gut auszusehen. Elsy war kein eitler Mensch und sie war der Ansicht, dass Perfektionismus hinsichtlich Äußerlichkeiten nicht gesund für den Geist war. Niemand war perfekt und das war auch gut so. Zielstrebig betrat sie das Geschäft.

Die Türglocke, ein schrilles Relikt aus den Fünfzigerjahren, kündigte Elsy als neuen Kunden an. Kurz blickten die wenigen Gesichter im Laden zu Elsy auf, nickten und gingen dann ihren eigenen Erledigungen nach.

Elsy überblickte die Szenerie, so wie sie es immer tat. Das hatte sie schnell gelernt. Es war eines der ersten Dinge, die Elsy in Stricktony gelernt hatte. Überblicke die Situation! Lass dich nie unvorbereitet von den Klatschbasen des Dorfes überfallen!

Elsy konnte vom Eingang aus nicht alles sehen, dafür waren die Gänge des Geschäfts zu lang und zu voll gestellt, dennoch wusste sie, dass nur wenig los war und sie nicht plötzlich von einer der Klatschbasen überfallen werden würde. Klatsch war zwar hin und wieder interessant, dennoch wollte Elsy sich selbst daran nicht beteiligen. Und wie wurde sie ausgefragt über Fred. Wenn die alten Geier sie einmal in ihren Klauen hielten, gab es für sie kein Halten mehr.

»Nein, ist es nicht interessant, dass unsere liebe Miss Moore für unseren geschätzten Frederik arbeitet«, tönte die eine.

»In so einem alten Haus spukt es doch bestimmt«, stachelte eine andere.

»Heute kaufen Sie aber viel ein. Erwartet der Baron etwa Gäste?«

Elsy schauderte es bei den Erinnerungen. Ein Baron zu sein, war nicht leicht, zumindest nicht für Fred. Ständig wollten die Leute etwas von einem, waren neugierig oder erhofften sich Verbindungen zu anderen einflussreichen Persönlichkeiten. Dabei war Fred einfach nur Fred. Ein alter Mann, der zufällig einen Adelstitel trug, ein gewisses Vermögen sein Eigen nennen durfte, das er sich selbst hart erarbeitet hatte, und ansonsten ein schlichtes, ruhiges Leben bevorzugte.

Nachdem Elsy ihre Erinnerungen abgeschüttelt hatte, durchquerte sie gezielt den Laden. Jos Geschäft war bereits in die Jahre gekommen, aber stets blitzsauber. Die Regale und Theken waren eine Mischung aus Dreißigerjahre-Schick und Fünfzigerjahre-Pragmatismus. Elsy wusste genau, was sie benötigte und wo sie es fand. Sie lud alles in ihren Weidenkorb, der schnell ein beachtliches Gewicht aufwies, und stellte sich zu guter Letzt an die lange Ladentheke am Eingangsbereich, um Gebäck auszuwählen und um zu bezahlen.

Mrs Davies, eine pummelige, alte Dame, war vor ihr dran. Sie sprach gerade mit Jo. Elsy musste warten. Gedankenverloren schweifte ihr Blick durch den Laden. Die große, pittoreske Uhr über der Eingangstür erinnerte sie daran, dass sie heute nicht Trödeln durfte. Es war schon nach zehn Uhr und ihre Liste war lang. Ein weiterer Kunde saß an einem der beiden winzigen Bistrotische, die gegenüber der Ladentheke Platz fanden, und genoss ein zweites Frühstück: ein Hafercookie mit einem schwarzen Frühstückstee. Elsy leckte sich über ihre Lippen. Jos Hafercookies waren gut, sehr gut sogar. Sie hatte es jedoch auf die Zimtkringel in der Auslage abgesehen. Das sündhaft klebrige, buttrige Gebäck türmte sich ihr entgegen, rief sie förmlich. Mal ehrlich, wer konnte schon Zimtkringeln widerstehen. Elsy blickte an sich hinab. Ja, sie war schlank, aber ihr momentaner Zimtkringel-, Cookie- und Teegebäckkonsum hatte ihr ein niedliches Bäuchlein beschert, das sie liebevoll als ihre Kekswampe bezeichnete – natürlich nur im Stillen. Aber für einen flacheren Bauch auf all die Köstlichkeiten des Lebens zu verzichten, kam für Elsy nicht in Frage. Das Leben war zu kurz, um Keks-los zu leben.

»Die Tasse ist ja wie neu«, freute sich Mrs Davies überschwänglich. »Sie sind ein wahrer Künstler«, lobte sie Jo. »Was bekommen Sie dafür?«

Jo winkte ab. »Mrs Davies, das ist doch nicht der Rede wert. Ein Gefallen unter Nachbarn.«

»Sie sind ein Schatz«, schmeichelte sie Jo, der daraufhin rot anlief.

Josef Miller war ein schüchterner Mann. Er war mit seinen Anfang Fünfzig, mit dem Schicksal gestraft, kaum noch Haare zu besitzen. Lediglich ein dünner, blonder Flaum zierte sein Haupt. Wie jeden Tag trug er eine schlichte, weiße Schürze über seiner ebenso schlichten Kleidung. Elsy hatte ihn noch nie in etwas anderem gesehen als in Jeans und kleinkarierten Hemden. Und es gab noch etwas, das ihn auszeichnete: Josef Miller war herzensgut. Hatte jemand mal einen finanziellen Engpass, konnte jener bei ihm anschreiben und später bezahlen.

Elsy betrachtete die geflickte, alte Blümchentasse und nickte anerkennend. Jo war wirklich ein Experte, was die Reparatur von zerbrochenem Porzellan anging.

Nachdem Mrs Davies gegangen war, Jo hatte sie noch zur Tür begleitet, war nun Elsy an der Reihe.

»Guten Morgen, Elsy. Was darf es heute sein, drei oder fünf Zimtkringel?« Erwartungsvoll lächelte er ihr zu.

»Jo, du kennst mich einfach zu gut.« Elsys Lächeln zog sich über ihr ganzes Gesicht. »Drei Stück genügen. Danke.«

»Wie geht es dir? Alles gut bei euch im Herrenhaus« fragte er, als er die Zimtkringel eintütete. Jo war keiner der gefürchteten Klatschbasen, er war ehrlich interessiert.

»Vielen Dank, mir geht es gut. Fred auch. Heute ist viel zu tun. Man hat ja manchmal einfach so Tage, wo sich alles stapelt. Aber den Kopf in den Sand stecken hilft nicht.«

»Wem sagst du das.« Jo konnte davon ein Liedchen singen. An manchen Tagen war sein Laden so voll, es war, als tummelte sich das gesamte Dorf dort. Zum Glück half ihm Frances, sein Frau. Allein war die Arbeit nicht zu schaffen.

»Geht es euch auch gut«, erkundigte sich Elsy und schaute Jo beim Kassieren ihrer Einkäufe zu.

»Alles bestens. Ich überlege gerade, ob ich mein Sortiment anpasse. Etwas moderner gestalte, du verstehst.«

»Solange du die Zimtkringel nicht streichst, ist mir alles egal«, spaßte Elsy.

»Nie im Traum würde ich daran denken. Spaß beiseite, wenn du Anregungen für mich hast, wäre ich dir sehr dankbar.«

Jo und Elsy unterhielten sich noch eine Weile über mehr oder weniger gefragte Produkte, während Jo ihre Einkäufe wieder in ihren Korb packte. Er hatte ein Händchen dafür, die Lebensmittel richtig zu platzieren, damit nichts zerquetschte oder kaputt ging. Oben auf lag die Tüte mit den Zimtkringeln. Elsy lief bei deren Anblick das Wasser im Mund zusammen. Ihr täglicher Fünfuhrtee mit Fred würde heute mal wieder ganz besonders lecker ausfallen.

Kaum hatte Elsy den Laden verlassen, sprang Demon auf und begrüßte sie überschwänglich. Sie band ihn los und zusammen machten sie sich auf zu ihrem nächsten Ziel. Sie war an diesem Donnerstagvormittag mit Jake Hide, dem Küster der Pfarrei, verabredet, um ein Gartenwerkzeug, das sie sich ausgeliehen hatte, zurückzugeben.

Zum Cottage des Küsters war es nicht weit. Die Kirche sowie das Cottage lagen am Ende der Dorfstraße. Elsy genoss auf ihrem Weg die letzten Sonnenstrahlen des endenden Sommers auf ihrer Haut. Es war warm, eine leichte Brise zog über das Dorf hinweg. Bald würden sich die Blätter verfärben und es würde kalt werden. Aber jetzt sog sie die Wärme in sich auf und genoss den leichten Duft der Rosen, die überall in den Gärten wuchsen. Manchmal waren es wilde Rosen, die an den Häusern und Zäunen rankten, manchmal eine besondere Zucht, die einen prominenten Platz im Garten erhielt.

Die Kirche des Dorfes prangte auf einem kleinen Hügel. Egal, wo man sich im Dorf befand, die Kirche war stets zu sehen. Sie war ein altes Schmuckstück vergangener Zeit, denn obwohl sie sehr klein war und auch an so manchen Stellen einer Restaurierung bedarf, hatte sie etwas Imposantes an sich. Elsy konnte nicht anders, als sie zu bewundern.

Das kleine Cottage hingegen lag am Rande des Hügels versteckt hinter knochigen Bäumen, wuchernden Büschen und wildwachsenden Gräsern. Es war, als schließe ein winziger Wald das Haus in sich ein. Ein schmaler Stichweg, der recht zugewachsen und auch nur zu Fuß begehbar war, führte von der Straße zum jahrhundertealten Haus.

Im Schatten der Bäume wurde es von Schritt zu Schritt kühler. Allerlei Insekten tummelten sich im wilden Grün. Es zirpte, brummte und summte nur so. Demon schien der Ort zu gefallen. Sein Kopf schwang von rechts nach links und wieder zurück. Für ihn gab es dort vermutlich vieles zu entdecken.

Nach ein paar weiteren Schritten wurde das Haus sichtbar. Ein paar wenige, dünne Sonnenstrahlen tanzten auf dem Dach des kleinen Häuschens. Ansonsten lag es vollends im Schatten. Es schien so, als wollten die Pflanzen es verschlingen, und Mr Hide tat offenbar wenig, um es aufzuhalten. Elsy wunderte sich darüber. Und nicht nur darüber, für einen Küster sah Mr Hides eigenes Haus wenig gepflegt aus. Mücken tanzten um einen Eimer voll Wasser an der Eingangstür. Farbe blätterte von den rissigen Holzrahmen der Fenster und der Putz der Fassade bröselte ebenfalls hier und da ab. Ein hell- mal dunkelgrüner Moosteppich bahnte sich seinen Weg vom Boden empor zur Außenwand. Elsy schüttelte über den Anblick den Kopf. Sie würde so ein schönes Häuschen niemals so verkommen lassen. Aber wer war sie, dies zu beurteilen, Menschen waren eben verschieden. Sie streifte den Gedanken ab und betätigte den Türklopfer.

Demon setzte sich wie auf Kommando neben sie und beobachtete sein Umfeld. Er reckte seine Nase und schnüffelte interessiert umher. Etwas schien seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Erneut klopfte Elsy. Als sie nichts hörte, rief sie: »Mr Hide, sind Sie im Garten? Hallo!?«

»Was meinst du, Demon, hat uns Mr Hide versetzt …? Hm. Weißt du was. Du wartest hier! Ich gehe kurz ums Haus und sehe nach. Pass auf unsere Einkäufe auf!« Den Korb stellte Elsy neben ihn ins Gras. Sie vertraute Demon. Sie hatte ihn so gut erzogen, dass er nie über ihre Einkäufe herfallen würde, im Gegenteil er würde sie beschützen.

Rings um das Haus lief ein schmaler, buckeliger Steinweg. Als Elsy am Wohnzimmerfenster vorbeikam, versuchte sie es erneut. Sie klopfte ans Fenster, das daraufhin nachgab und sich einen Spalt öffnete. Gleich darauf entdeckte sie Mr Hide. Er saß in einem Sessel mit dem Rücken zu ihr, lediglich sein Kopf guckte seitlich ein Stück hinaus. So wie er in seinem Sessel zu hängen schien, schlief er bestimmt.

»Mr Hide«, rief sie laut. Wenn das ihn nicht weckte, wüsste sie auch nicht weiter. »Mr Hide! Hallo! Aufwachen! Ich bin es, Elsy Moore. Wir hatten einen Termin.«

Mr Hide machte keinerlei Bewegung. Er zuckte nicht einmal. Niemand konnte so fest schlafen. Sie hatte so laut gerufen, wahrscheinlich hatte man sie sogar noch im Dorf gehört. Etwas stimmte nicht. Vielleicht ging es ihm nicht gut und er brauchte Hilfe, schließlich war er ein alter Mann. Als sich Elsy weiter im Raum umschaute, sah sie, dass die Wohnzimmertür zum Garten ebenfalls offen stand. Dort wollte sie es versuchen. Zwar hielt sie nichts davon, einfach anderer Leute Häuser zu betreten, aber wenn Mr Hide wirklich Hilfe benötigte, konnte sie auch nicht weggehen.

»Mr Hide«, versuchte sie es weiter, als sie um das Haus ging. Vielleicht wachte er doch noch auf. Zaghaft steckte sie ihren Kopf durch die Tür zum Wohnzimmer.

Mr Hide saß im Dunkeln in einer Ecke. Das Wohnzimmer war so düster, dass selbst jetzt am frühen Morgen, wo der Rest der Welt im Sonnenschein erstrahlte, alles wie im dunklen Schatten lag.

»Mr Hide?« Langsam trat Elsy ein, sie näherte sich ihm zögerlich. »Huhu, Mr Hide«, flüsterte sie jetzt und kam sich gleich darauf total blöd vor. Warum flüsterte sie jetzt? Wenn ihn das Rufen schon nicht geweckt hatte, wie sollte – Elsy blieb abrupt stehen.

Blut! So viel … Blut! Ein spitzer Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Erschrocken legte sie die Hände auf ihren Mund.

Elsy wusste nicht, wie lange sie schon starrte. Vermutlich waren es nur wenige Sekunden, aber sie hatte das Gefühl, zur Salzsäule erstarrt zu sein. Ein schwerer Druck lastete auf ihrer Brust und sie bekam kaum Luft. »Atmen, Elsy … Ruhig atmen … Beruhige dich«, redete sie sich selbst gut zu und nahm langsam ihre zitternden Hände wieder hinunter.

Scheiße, in was war sie hier nur hineingeraten … Elsy brauchte einen Moment, aber dann sah sie klar. Wie von selbst zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und rief den Notruf.

2

Die Polizei war unterwegs. Das war gut. Sie würden nur wenige Minuten benötigen. Elsy verspürte den heftigen Drang, diesen Raum zu verlassen, doch wenn sie das tat, könnten wichtige Spuren am Boden vernichtet oder verunreinigt werden. Sie musste stehen bleiben und ausharren, bis die Polizei eintraf.

Zwischen Ekel, Furcht und Neugierde hin und her gerissen, sah sie sich um. Eine Leiche zu sehen, in Echt, war etwas völlig anderes, als wenn sie gemütlich auf ihrer Couch von einem Mord in einem ihrer zahlreichen Krimis las. Eine Leiche war nicht schön anzusehen. Mr Hides Körper hing schlaf im Sessel. Sein Kopf hing unnatürlich zur Seite und seine Augen blickten starr ins Leere. Seine Haut wirkte fahl. Alle Lebensgeister waren gewichen. Von der einstmals großen, kräftigen Gestalt war nichts mehr übrig. Und es war so viel Blut zu sehen. Seine Brust, sein helles, verwaschenes Hemd war blutgetränkt. Es war schrecklich furchteinflößend und traurig zugleich.

Mr Hide war durch zwei Schüsse in die Brust getötet worden. Der eine Schuss hatte in unterhalb der Lunge getroffen, der zweite auf Höhe des Herzens. Mr Hide war ermordet worden.

Es musste Mord sein, da war sich Elsy sicher. Denn ringsum war keine Waffe zu sehen, nur eine zerbrochene Tasse.

Es war ein Mord geschehen. In Stricktony. Unfassbar …

Elsy konnte es nicht glauben. Sie versuchte tief ein- und auszuatmen, um nicht durchzudrehen. Noch immer war die Polizei nicht eingetroffen. Die Zeit verging wie in Zeitlupe.

Elsy grübelte. Wer brachte bloß einen so alten Mann um? Gedankenverloren sah sie sich um. Ihr Blick blieb bei der zerbrochenen Teetasse am Boden hängen. Sie hatte ein schlichtes Dekor, vornehmlich weiß mit wenigen blauen Streublumen. Soviel konnte sie in dem dämmrigen Licht erkennen. Von der Tasse waren lediglich ein paar größere Teile abgebrochen. Wahrscheinlich konnte man sie noch reparieren. – Um Gottes willen, über was dachte sie hier nach!? Ein Mann war ermordet worden und sie dachte über die Reparatur einer Tasse nach. Aber … etwas stimmte nicht. Vermutlich lag es an ihrem Faible für Puzzle, denn Elsy erkannte, dass ein Teil der Tasse fehlte. Auch nachdem sie sich weiter auf dem Boden umsah – was schwer war, da sie sich nicht vom Fleck rühren durfte – entdeckte sie kein weiteres Stück.

Elsy blickte auf, endlich hörte sie Sirenen. Bald könnte sie diesen fürchterlichen Ort verlassen. Sie war so erleichtert.

Ein letztes Mal ging ihr Blick zu der zerbrochenen Tasse. Die ganze Szene hatte etwas Unwirkliches an sich. Kopfschüttelnd schaute sie auf, als gleich darauf etwas anderes ihre Aufmerksamkeit fesselte. Es war der kleine Holztisch, der neben Mr Hides Sessel stand. Im Dämmerlicht bemerkte Elsy helle Kratzer im Holz. Das Holz des Tisches war dunkel und so stachen die frischen Kratzer stark hervor. Jemand hatte etwas in die Tischplatte geritzt. Zwischen Unterteller und Teekanne war ein Zeichen eingeritzt worden. Das war interessant … Elsy konzentrierte sich. Heute trug sie keine Brille und sie musste sich anstrengen, um das eingeritzte Bild scharf zu stellen. Als Erstes erkannte sie Linien, es waren drei Linien. Ungleichmäßig und grob waren sie ins Holz geschnitten. Und Elsy sah noch mehr. Eine weitere Linie, kürzer als die anderen, durchkreuzte die erste der drei Linien. Was hatte das zu bedeuten …?

Noch bevor die Polizei eintraf, wusste Elsy, dass sie bald erlöst wurde. Demon bellte, er beschützte die Einkäufe.

»Miss Moore! Elsy«, rief einer der Polizisten von weiter entfernt. Elsy erkannte ihn sogleich als den jungen Constable Marty Hall.

Elsy versuchte, sich bemerkbar zu machen, und rief so laut sie konnte, »Marty, ich bin hier! Ich bin im Wohnzimmer. Du musst hinten rum.«

Noch immer bellte Demon lautstark. Sie hörte zahlreiche Schritte, das Rascheln von Sträuchern und die schrille Sirene. Es war ein Durcheinander. Sie konnte nicht sagen, wie viele Polizisten gekommen waren.

»Elsy«, fragte Marty und tauchte augenblicklich an der Tür zum Garten auf.

»Stopp«, bremste sie ihn reflexartig.

Marty trug bereits Einmalhandschuhe und öffnete weit die Tür. »Ich werde den Raum nicht betreten«, sagte er mit festem Tonfall. Seine spitzbübische Art war verschwunden, ersetzt durch einen ernsten Blick. Als er sah, wie blass Elsy war, versuchte er sie zu beruhigen, »Du kannst gleich hier raus. Keine Sorge.«

»Ich habe mich nicht bewegt. Als ich ihn entdeckt habe, bin ich sofort stehen geblieben. Ich habe auch nichts angefasst. Bis auf …bis auf die Tür.«

»Sind Sie sicher«, ertönte eine weitaus dunklere Stimme hinter Marty. »Constable Hall, ich übernehme.«

Marty trat zur Seite.

Elsy wusste sofort, wer zu ihnen gestoßen war. Sie hatte damit gerechnet. Inspektor – Ich weiß immer alles besser – Quinn stand mit finsterer Miene hinter ihr. Einerseits war sie erleichtert, andererseits wie immer leicht genervt. »Ich habe nichts angefasst«, bestätigte sie erneut. »Inspektor, darf ich bitte diesen Raum verlassen!«

Inspektor Quinn überblickte aufmerksam den Raum und nickte dann. »Gehen Sie langsam zurück. Achte Sie darauf, wo Sie hintreten. Wir unterhalten uns draußen. Die Forensik übernimmt gleich.«

Frische Luft. Sonnenlicht. Elsy war mehr als glücklich, diesen fürchterlichen Ort hinter sich gelassen zu haben. Sie kraulte Demon, der im Gras lag, und beruhigte sich so selbst. Demons struppiges Fell fühlte sich rau unter ihren Fingern an, aber daran hatte sie sich längst gewöhnt. Er lächelte sie an und genoss die Streicheleinheit. Elsy wusste nicht, warum manche Hunde so aussahen, als würden sie lächeln, vermutlich lag es irgendwie an ihrer Anatomie. Obgleich ihre wenig rationale Einschätzung eher dazu ging, dass er lächelte, weil er glücklich war. Wie dem auch sein mochte, Demon war ihr Ruhepol und umso dankbarer war sie, dass sie ihn gefunden hatte und er heute bei ihr war.

»Und sonst können Sie uns nichts sagen«, verlangte Inspektor Quinn zu wissen. Er lehnte am Haus. Mit verschränkten Armen und skeptischem Blick schaute er auf sie hinab.

Elsy verspürte den Drang, sich aufzurichten. Diesem Berg von einem Mann musste man aufgerichtet begegnen, sonst fühlte man sich klein wie eine Maus. Sie verschränkte wie er die Arme und versuchte, nicht zu genervt zu schauen. »Inspektor Quinn, ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Ich habe Ihnen beschrieben, wie ich das Haus betreten habe und wie ich mich in den Minuten, in denen ich auf Sie gewartet habe, verhalten habe. Ich wüsste nicht, was ich vergessen haben sollte. Mr Hide ist, offensichtlicher Weise, und das muss ich Ihnen ja wohl nicht sagen, schon einige Stunden tot. Als Mörderin komme ich daher vermutlich nicht in Frage. Also, wenn es Ihnen nicht allzu große Probleme bereitet, würde ich jetzt gerne nach Hause gehen. Mir ist schlecht und ich brauche eine Dusche.«

Als Inspektor Quinn sich von der Wand abstieß und sich, wie Elsy vermutete zur Einschüchterung, vor ihr aufbaute, beobachtete sie ihn genau.

Inspektor Quinn war wie sie Mitte Dreißig, so viel hatte der Dorfklatsch hergegeben, als er vor einem Jahr hierhergezogen war. Ansonsten wusste man nicht viel über ihn. Er war groß, breitschultrig und hatte ein lächerlich gut aussehendes Gesicht. Er hatte ein Grübchen am Kinn, dunkelbraune, wellige Haare und blaue Augen. Wäre er nicht so ein Besserwisser, hätte Elsy ihn vielleicht gemocht. Und es war ja nicht so, als würde sie ihn kennen. Die paar Worte, die sie bislang gewechselt hatten, sagten nicht viel aus. Letztendlich befähigten sie sie nicht wirklich dazu, eine Meinung über ihn zu haben, aber sie wusste eins mit Gewissheit: Er hatte immer recht. Zumindest dachte er das. Darüber hinaus vermutete Elsy, dass er sehr viel über die Leute hier im Dorf wusste. Bei den seltenen Begegnungen mit ihm, hatte sie ihn stets dabei ertappt, wie er andere still beobachtete. Er selbst gab nichts über sich preis. Nie sah sie ihn in Gesellschaft, im kleinen Dorfrestaurant oder bei irgendwelchen Festivitäten, zumindest nicht in der Freizeit. Niemand wusste etwas über ihn. Und in einem Dorf mit 989 Einwohnern war das schier unmöglich.

»Miss Moore …«

»Jaaa?« Elsy wollte nur nach Hause und drückte sich im Geiste selbst die Daumen. Sie lächelte ihn an, in der Hoffnung, dass dies irgendwie half.

»Sie können gehen.«

»Gott sei Dank!« Augenblicklich schnappte sie sich Demons Leine und ihren Weidenkorb.

»Miss Moore«, stoppte er sie. Es klang wie ein Befehl.

Das durfte doch nicht wahr sein, was wollte er noch? Konnte er sie nicht einfach gehen lassen! Sie ging wieder ein paar Schritte auf ihn zu und versuchte, nicht zu genervt auszusehen.

Inspektor Quinn griff in die Innenseite seines dunkelgrauen Jacketts und suchte nach etwas. »Meine Karte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an! Und zwar unverzüglich!« Angespannt reichte er ihr seine Visitenkarte. Der Mord schien ihm zuzusetzen. Natürlich tat er das. Der Mord würde das ganze Dorf in Aufruhe versetzen.

»Selbstverständlich. Guten Tag, Inspektor. Komm, Demon, wir gehen nach Hause!«

»Guten Tag, Miss Moore«, hörte sie nur noch seinen tiefen Bariton hinter sich. Elsy konnte nicht schnell genug fortkommen.

3

Frederik Smart, der Baron of Faun, liebte seine Dienstagabend-Einladungen. Fred, so wie seine Freunde ihn nannten, blühte förmlich auf, wenn er Gäste bewirtete und sich mit ihnen austauschte. Aus diesem Grund ermunterte Elsy ihn immer dazu, auch wenn er sich müde fühlte und absagen wollte und es für sie mehr Arbeit bedeutete.

Das heutige Dinner näherte sich bereits dem Ende. Elsy hatte sich schon in die Küche zurückgezogen und räumte auf. Nach dem Dessert hatte sie sich von den Gästen verabschiedet. Für Fred war es selbstverständlich, dass Elsy an den Abendessen teilnahm. Elsy war für ihn nicht nur eine Angestellte, sondern über die Zeit eine enge Freundin geworden.

Fred selbst schenkte noch Likör und anderes Hochprozentiges aus und amüsierte sich vermutlich köstlich.