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Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla, ist in die bürgerliche Emilia Galotti verliebt und beansprucht sie für sich. Er hintertreibt ihre geplante Verheiratung mit dem ehrenhaften Grafen Appiani. Nicht nur für Emilia endet die Intrige schließlich tödlich. - Ein Klassiker der Aufklärungsliteratur in Reclams Universal-Bibliothek, »Emilia Galotti« von Gotthold Ephraim Lessing: Das 1772 erschienene und uraufgeführte bürgerliche Trauerspiel gehört neben Lessings Dramen »Nathan der Weise« und »Miss Sara Sampsons« zu den Schlüsselwerken der Aufklärung. Als eines der ersten politischen Stücke der deutschen Literatur übt es scharfe Kritik an der Willkürherrschaft des Adels. - Eine geeignete Ausgabe für das Studium: Die Studienausgabe bietet den Text in der Fassung des Erstdrucks, abgeglichen mit überlieferten Handschriften und Drucken. Der Anhang enthält neben einem Literaturverzeichnis detaillierte Informationen zur Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte, zur Textgrundlage und Textgestaltung sowie zur Uraufführung. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
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Seitenzahl: 156
Gotthold Ephraim LessingEmilia Galotti
Ein Trauerspiel in fünf AufzügenStudienausgabe
Herausgegeben von Elke Bauer und Bodo Plachta
Reclam
2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960624-8
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019262-7
www.reclam.de
Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen.
Zu dieser Studienausgabe
Überlieferung
Handschriften
Drucke
Textgrundlage und Textgestaltung
Entstehung und Druckverlauf
Reinschrift (H1) und Druckvorlage (H2)
Erstdruck (D1)
Uraufführung
Literatur
Hinweise zu E-Book-Ausgabe
EMILIA GALOTTI.
Aeltern der Emilia.
ODOARDO GALOTTI.
CLAUDIA GALOTTI.
HETTORE GONZAGA. Prinz von Guastalla.
MARINELLI. Kammerherr des Prinzen.
CAMILLO ROTA. Einer von des Prinzen Räthen.
CONTI. Maler.
GRAF APPIANI.
GRÄFINN ORSINA.
ANGELO, und einige Bediente. |
DER PRINZ, an einem Arbeitstische, voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft.
Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! – Die traurigen Geschäffte; und man beneidet uns noch! – Das glaub’ ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden. – Emilia? (indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt, und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) Eine Emilia? – Aber eine Emilia Bruneschi – nicht Galotti. Nicht |Emilia Galotti! – Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (er lieset) Viel gefodert; sehr viel. – Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (er unterschreibt und klingelt; worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es ist wohl noch keiner von den Räthen in dem Vorzimmer?
DER KAMMERDIENER. Nein.
DER PRINZ. Ich habe zu früh Tag gemacht. – Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn rufen. (der Kammerdiener geht ab) – Ich kann doch nicht mehr arbeiten. – Ich war so ruhig, bild’ ich mir ein, so ruhig – Auf einmal muß eine arme Bruneschi, Emilia heißen: – weg ist meine Ruhe, und alles! –
DER KAMMERD. (welcher wieder herein tritt.) Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfinn Orsina.
[8] DER PRINZ. Der Orsina? Legt ihn hin.
DER KAMMERD. Ihr Läufer wartet.
DER PRINZ. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf. – Wo ist sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa? |
DER KAMMERD. Sie ist gestern in die Stadt gekommen.
DER PRINZ. Desto schlimmer – besser; wollt’ ich sagen. So braucht der Läufer um so weniger zu warten. (der Kammerdiener geht ab) Meine theure Gräfinn! (bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut, als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.) – Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann seyn, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber – ich habe!
DER KAMMERD. (Der nochmals herein tritt) Der Maler Conti will die Gnade haben – –
DER PRINZ. Conti? Recht wohl; laßt ihn herein kommen. – Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. – (steht auf.)
CONTI. DER PRINZ.
DER PRINZ. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?
CONTI. Prinz, die Kunst geht nach Brodt. |
DER PRINZ. Das muß sie nicht; das soll sie nicht, – in meinem kleinen Gebiethe gewiß nicht. – Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.
CONTI. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen, kann ihn um den Namen Künstler bringen.
[9] DER PRINZ. Ich meyne nicht vieles; sondern viel: ein Weniges; aber mit Fleiß. – Sie kommen doch nicht leer, Conti?
CONTI. Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient –
DER PRINZ. Jenes ist? – Kann ich mich doch kaum erinnern –
CONTI. Die Gräfinn Orsina.
DER PRINZ. Wahr! – Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.
CONTI. Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum malen. Die Gräfinn hat, seit drey | Monathen, gerade Einmal sich entschließen können, zu sitzen.
DER PRINZ. Wo sind die Stücke?
CONTI. In dem Vorzimmer: ich hole sie.
DER PRINZ.
Ihr Bild! – mag! – Ihr Bild, ist sie doch nicht selber. – Und vielleicht find’ ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke. – Ich will es aber nicht wiederfinden. – Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen. – Wär’ es auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen andern Grund gemalet ist, – in meinem Herzen wieder Platz machen will: – Wahrlich, ich glaube, ich wär’ es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich, so [10] ausgelassen – Nun bin ich von allem das Gegentheil. – Doch nein; nein, nein! Behäglicher, oder nicht behäglicher: ich bin so besser. |
DER PRINZ. CONTI, mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen einen Stuhl lehnet.
CONTI. (indem er das andere zurecht stellet.) Ich bitte, Prinz, daß Sie die Gränzen unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit, liegt ganz außer den Gränzen derselben. – Treten Sie so! –
DER PRINZ. (nach einer kurzen Betrachtung.) Vortrefflich, Conti; – ganz vortrefflich! – Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem Pinsel. – Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!
CONTI. Das Original schien dieser Meynung nicht zu seyn. Auch ist es in der That nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß. Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur, – wenn es eine giebt – das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht; ohne das Verderb, mit welchem die Zeit dagegen an kämpfet. |
DER PRINZ. Der denkende Künstler ist noch eins so viel werth. – Aber das Original, sagen Sie, fand dem ungeachtet –
CONTI. Verzeihen Sie, Prinz. Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe nichts nachtheiliges von ihr äußern wollen.
[11] DER PRINZ. So viel als Ihnen beliebt! – Und was sagte das Original?
CONTI. Ich bin zufrieden, sagte die Gräfinn, wenn ich nicht häßlicher aussehe.
DER PRINZ. Nicht häßlicher? – O das wahre Original!
CONTI. Und mit einer Miene sagte sie das, – von der freylich dieses ihr Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.
DER PRINZ. Das meynt’ ich ja; das ist es eben, worinn ich die unendliche Schmeicheley finde. – O! ich kenne sie, jene stolze höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! – Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt, | ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bey dieser Gräfinn. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen, – Augen, wie sie die gute Gräfinn nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.
CONTI. Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen –
DER PRINZ. Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfinn gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht. – Redlich, sag’ ich? – Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerey in sanfte Schwermuth verwandelt.
CONTI. (etwas ärgerlich) Ah, mein Prinz, – wir Maler rechnen darauf, daß das fertige Bild den Liebhaber noch eben so warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit [12] Augen der Liebe: | und Augen der Liebe müßten uns auch nur beurtheilen.
DER PRINZ. Ja nun, Conti; – warum kamen Sie nicht einen Monath früher damit? – Setzen Sie weg. – Was ist das andere Stück?
CONTI. (indem er es holt, und noch verkehrt in der Hand hält.) Auch ein weibliches Porträtt.
DER PRINZ. So möcht’ ich es bald – lieber gar nicht sehen. Denn dem Ideal hier, (mit dem Finger auf die Stirne) – oder vielmehr hier, (mit dem Finger auf das Herz) kömmt es doch nicht bey. – Ich wünschte, Conti, Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern.
CONTI. Eine bewundernswürdigere Kunst giebt es; aber sicherlich keinen bewundernswürdigern Gegenstand, als diesen.
DER PRINZ. So wett’ ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebietherinn ist. – (indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh’ ich? Ihr Werk, Conti? oder das Werk meiner Phantasie? – Emilia Galotti!
CONTI. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel? |
DER PRINZ. (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem Bilde zu verwenden.) So halb! – um sie eben wieder zu kennen. – Es ist einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf. – Nachher ist sie mir nur an heiligen Stäten wieder vorgekommen, – wo das Angaffen sich weniger ziemet. – Auch kenn’ ich ihren Vater. Er ist mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf Sabionetta am meisten widersetzte. – Ein alter Degen; stolz und rauh; sonst bieder und gut! –
CONTI. Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter. –
[13] DER PRINZ. Bey Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (noch immer die Augen auf das Bild geheftet.) O, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein Lob vergißt.
CONTI. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir gelassen. – Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner Unzufriedenheit mit mir selbst. – Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen | Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wie viel geht da verloren! – Aber, wie ich sage, daß ich es weiß, was hier verloren gegangen, und wie es verloren gegangen, und warum es verloren gehen müssen: darauf bin ich eben so stolz, und stolzer, als ich auf alles das bin, was ich nicht verloren gehen lassen. Denn aus jenem erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler bin; daß es aber meine Hand nur nicht immer ist. – Oder meynen Sie, Prinz, daß Raphael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicher Weise ohne Hände wäre geboren worden? Meynen Sie, Prinz?
DER PRINZ. (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt) Was sagen Sie, Conti? Was wollen Sie wissen?
CONTI. O nichts, nichts! – Plauderey! Ihre Seele, merk’ ich, war ganz in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen, und solche Augen.
DER PRINZ. (mit einer erzwungenen Kälte.) Also, Conti, rechnen Sie doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten unserer Stadt? |
CONTI. Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten unserer Stadt? – Sie spotten meiner, [14] Prinz. Oder Sie sahen, die ganze Zeit, eben so wenig, als Sie hörten.
DER PRINZ. Lieber Conti, – (die Augen wieder auf das Bild gerichtet) wie darf unser einer seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur allein ein Maler von der Schönheit zu urtheilen.
CONTI. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines Malers warten? – Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz: eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirn, diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein einziges Studium der weiblichen Schönheit. – Die Schilderey selbst, wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese Kopie –
DER PRINZ. (der sich schnell gegen ihn kehret.) Nun, Conti? ist doch nicht schon versagt? |
CONTI. Ist für Sie, Prinz; wenn Sie Geschmack daran finden.
DER PRINZ. Geschmack! – (lächelnd) Dieses Ihr Studium der weiblichen Schönheit, Conti, wie könnt’ ich besser thun, als es auch zu dem meinigen zu machen? – Dort, jenes Porträtt nehmen Sie nur wieder mit, – einen Rahmen darum zu bestellen.
CONTI. Wohl!
DER PRINZ. So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann. Es soll in der Gallerie aufgestellet wer-den. – Aber dieses bleibt hier. Mit einem Studio macht [15] man so viel Umstände nicht: auch läßt man das nicht aufhängen; sondern hat es gern bey der Hand. – Ich danke Ihnen, Conti; ich danke Ihnen recht sehr. – Und wie gesagt; in meinem Gebiethe soll die Kunst nicht nach Brodt gehen; – bis ich selbst keines habe. – Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf Ihre Quitung, für beide Porträtte sich bezahlen, – was Sie wollen. So viel Sie wollen, Conti. |
CONTI. Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so, noch etwas anders belohnen wollen, als die Kunst.
DER PRINZ. O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch! – Hören Sie, Conti; so viel Sie wollen. (Conti geht ab.)
DER PRINZ.
So viel er will! – (gegen das Bild) Dich hab’ ich für jeden Preis noch zu wohlfeil. – Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß ich dich besitze? – Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur! – Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur! – Am liebsten kauft’ ich dich, Zauberinn, von dir selbst! – Dieses Auge voll Liebreiz und Bescheidenheit! Dieser Mund! und wenn er sich zum reden öffnet! wenn er lächelt! Dieser Mund! – Ich höre kommen. – Noch bin ich mit dir zu neidisch. (indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird Marinelli seyn. Hätt’ | ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen Morgen könnt’ ich haben!
MARINELLI. DER PRINZ.
MARINELLI. Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen. – Ich war mir eines so frühen Befehls nicht gewärtig.
DER PRINZ. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön. – Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen. – (nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?
MARINELLI. Nichts von Belang, das ich wüßte. – Die Gräfinn Orsina ist gestern zur Stadt gekommen.
DER PRINZ. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen, (auf ihren Brief zeigend) oder was es sonst seyn mag! Ich bin gar nicht neugierig darauf. – Sie haben sie gesprochen?
MARINELLI. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter? – Aber, wenn ich es wieder von einer | Dame werde, der es einkömmt, Sie in gutem Ernste zu lieben, Prinz: so – –
DER PRINZ. Nichts verschworen, Marinelli!
MARINELLI. Ja? In der That, Prinz? Könnt’ es doch kommen? – O! so mag die Gräfinn auch so Unrecht nicht haben.
DER PRINZ. Allerdings, sehr Unrecht! – Meine nahe Vermählung mit der Prinzessinn von Massa, will durchaus, daß ich alle dergleichen Händel fürs erste abbreche.
MARINELLI. Wenn es nur das wäre: so müßte freylich Orsina sich in ihr Schicksal eben so wohl zu finden wissen, als der Prinz in seines.
DER PRINZ. Das unstreitig härter ist, als ihres. Mein Herz wird das Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf [17] sie nur zurücknehmen: aber nicht wider Willen verschenken.
MARINELLI. Zurücknehmen? Warum zurücknehmen? fragt die Gräfinn: wenn es weiter nichts, als eine Gemahlinn ist, die dem Prinzen nicht die Liebe, sondern die Politick zuführet? Neben so einer Gemahlinn sieht die Geliebte noch | immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlinn fürchtet sie aufgeopfert zu seyn, sondern – –
DER PRINZ. Einer neuen Geliebten. – Nun denn? Wollten Sie mir daraus ein Verbrechen machen, Marinelli?
MARINELLI. Ich? – O! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der Närrinn, deren Wort ich führe, – aus Mitleid führe. Denn gestern, wahrlich, hat sie mich sonderbar gerühret. Sie wollte von ihrer Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgültigsten Gespräche, entfuhr ihr Eine Wendung, Eine Beziehung über die andere, die ihr gefoltertes Herz verrieth. Mit dem lustigsten Wesen, sagte sie die melancholischsten Dinge: und wiederum die lächerlichsten Possen mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben.
DER PRINZ. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoß gegeben. – Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, | das wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr zurück zu bringen? – Wenn sie aus Liebe närrisch wird, so wäre sie es, früher oder später, auch ohne Liebe geworden – Und nun, genug von ihr. – Von etwas andern! – Geht denn gar nichts vor, in der Stadt? –
[18] MARINELLI. So gut, wie gar nichts. Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani heute vollzogen wird, – ist nicht viel mehr, als gar nichts.
DER PRINZ. Des Grafen Appiani? und mit wem denn? – Ich soll ja noch hören, daß er versprochen ist.
MARINELLI. Die Sache ist sehr geheim gehalten worden. Auch war nicht viel Aufhebens davon zu machen. – Sie werden lachen, Prinz. – Aber so geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang, hat ihn in ihre Schlinge zu ziehen gewußt, – mit ein wenig Larve: aber mit vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz, – und was weiß ich? |
DER PRINZ. Wer sich den Eindrücken, die Unschuld und Schönheit auf ihn machen, ohne weitere Rücksicht, so ganz überlassen darf; – ich dächte, der wäre eher zu beneiden, als zu belachen. – Und wie heißt denn die Glückliche? – Denn bey alle dem ist Appiani – ich weiß wohl, daß Sie, Marinelli, ihn nicht leiden können; eben so wenig als er Sie – bey alle dem ist er doch ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich hätte sehr gewünscht, ihn mir verbinden zu können. Ich werde noch darauf denken.
MARINELLI. Wenn es nicht zu spät ist. – Denn so viel ich höre, ist sein Plan gar nicht, bey Hofe sein Glück zu machen. – Er will mit seiner Gebietherinn nach seinen Thälern von Piemont: – Gemsen zu jagen, auf den Alpen; und Murmelthiere abzurichten. – Was kann er besseres thun? Hier ist es durch das Mißbündniß, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der Zirkel der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen – – |
[19] DER PRINZ. Mit euren ersten Häusern! – in welchen das Ceremoniel, der Zwang, die Langeweile, und nicht selten die Dürftigkeit herrschet. – Aber so nennen Sie mir sie doch, der er dieses so große Opfer bringt.
MARINELLI. Es ist eine gewisse Emilia Galotti.
DER PRINZ. Wie, Marinelli? Eine gewisse –
MARINELLI. Emilia Galotti.
DER PRINZ. Emilia Galotti? – Nimmermehr!
MARINELLI. Zuverlässig, gnädiger Herr.
DER PRINZ. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht seyn. – Sie irren sich in dem Namen. – Das Geschlecht der Galotti ist groß. – Eine Galotti kann es seyn: aber nicht Emilia Galotti; nicht Emilia!
MARINELLI. Emilia – Emilia Galotti!
DER PRINZ. So giebt es noch eine, die beide Namen führt. – Sie sagten ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti – eine gewisse. Von der rechten könnte nur ein Narr so sprechen –
MARINELLI. Sie sind außer sich, gnädiger Herr. – Kennen Sie denn diese Emilia? |
DER PRINZ. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er. – Emilia Galotti? Die Tochter des Obersten Galotti, bey Sabionetta?
MARINELLI. Eben die.
DER PRINZ. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet?
MARINELLI. Eben die.
DER PRINZ. Unfern der Kirche Allerheiligen?
MARINELLI. Eben die.
DER PRINZ. Mit einem Worte – (indem er nach dem Por-trätte springt, und es dem Marinelli in die Hand giebt)[20] Da! – Diese? Diese Emilia Galotti? – Sprich dein verdammtes »Eben die« noch einmal, und stoß mir den Dolch ins Herz.
MARINELLI. Eben die!
DER PRINZ