Emily Brontë, Sturmhöhe - Emily Brontë - E-Book

Emily Brontë, Sturmhöhe E-Book

Emily Bronte

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Beschreibung

Auf einer Anhöhe inmitten der rauen Landschaft des englischen Yorkshire liegt das Anwesen »Wuthering Heights«, dem Wind schutzlos ausgesetzt, der hier strenger als anderswo weht. Sein Besitzer, der herzensgute Mr Earnshaw, nimmt den Findling Heathcliff zu sich, in den Earnshaws Tochter Cathy sich bald schon heftig verliebt. Doch ihre Liebe endet im Unglück, und ein Gespinst aus Rache und Verrat liegt fortan über dem Landgut. Emily Brontës einziger Roman gehört als eines der außergewöhnlichsten Werke des viktorianischen Zeitalters längst zum Kanon der Weltliteratur. Die Übersetzung Alfred Wolfensteins wurde für diese Ausgabe komplett überarbeitet.

  • Das Meisterwerk jetzt im Dark-Academia-Outfit
  • »Ein Buch wie ein Naturereignis!« NDR
  • Nur einen Roman hinterließ Emily Brontë, aber der ist dafür weltberühmt und vielfach verfilmt
  • »Trotz aller romantischen Züge besitzt Emily Brontës Roman eine enorme realistische Kraft und psychologische Modernität.« NDR, 2015

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Seitenzahl: 578

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Emily Brontë

Sturmhöhe

Roman

Aus dem Englischen von Alfred Wolfenstein, überarbeitet von Jochen Veit

Anaconda

Titel der englischen Originalausgabe: Wuthering Heights (London 1847). Die Übersetzung von Alfred Wolfenstein erschien zuerst 1941 bei der Büchergilde Gutenberg in Zürich unter dem Titel Umwitterte Höhen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2025 by Anaconda Verlag München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten.

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Umschlagmotiv: Adobe Stock / standa_art

Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad Honnef

Satz und Layout: Achim Münster, Overath

ISBN 9-783-641-33200-6

www.anacondaverlag.de

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

1. Kapitel

1801. Soeben bin ich von einem Besuch bei meinem Verpächter zurückgekehrt. Dieser einsame Gutsnachbar wird mich noch manche Aufregung kosten. Aber die Landschaft ist schön! In ganz England hätte ich mich in keiner Gegend niederlassen können, die so vollkommen abseits vom gesellschaftlichen Treiben liegt. Ein echter Himmel für Menschenfeinde – und Mr Heathcliff und ich sind das richtige Paar, um diese Einöde miteinander zu teilen. Ein Prachtmensch! Er ahnte kaum, wie ich mich für ihn erwärmte, als seine schwarzen Augen bei meinem Heranreiten argwöhnisch unter den Brauen verschwanden und als sich beim Hören meines Namens seine Hände mit abweisender Gebärde tiefer in seinem Wams vergruben.

»Mister Heathcliff?«

Ein Nicken war die Antwort.

»Mr Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich gestatte mir, sogleich nach meiner Ankunft bei Ihnen vorzusprechen. Es hat Ihnen hoffentlich keine Unannehmlichkeiten bereitet, dass ich mich so hartnäckig um Thrushcross Grange beworben habe. Gestern hörte ich, Sie wollten –«

»Thrushcross Grange ist mein Eigentum, Sir«, unterbrach er mich zusammenzuckend. »Ich wüsste es schon zu verhindern, wenn jemand mir Unannehmlichkeiten bereiten wollte. Treten Sie ein.«

Dieses »Treten Sie ein« sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und es hieß in Wahrheit: »Gehen Sie zum Teufel!«. Sogar das Gattertor, auf das er sich lehnte, machte zu seinen Worten nicht die mindeste einladende Bewegung. Ich glaube, gerade dieser Umstand überzeugte mich davon, dieser Einladung folgen zu müssen: Ein Mann, der noch so viel reservierter auftrat als ich selbst, versprach interessant zu sein.

Als er sah, wie mein Pferd mit der Brust gegen den Zaun zu drücken begann, streckte er endlich die Hand aus und löste die Kette des Tors. Verdrossen ging er vor mir her und rief beim Betreten des Hofs: »Joseph, nimm das Pferd von Mr Lockwood und bring Wein herauf.«

Bei dieser umfassenden Anordnung dachte ich: Da haben wir wohl das gesamte Gesinde beisammen! Kein Wunder, wenn Gras zwischen den Steinen wächst und nur das Vieh für das Stutzen der Hecken sorgt.

Joseph war ein ältlicher, nun, eher ein alter oder sogar sehr alter Mann, doch sehnig und kräftig. »Gott steh uns bei!«, brummte er, während er mir vom Pferd half. Dabei sah er mir so trübe und missvergnügt ins Gesicht, dass ich großzügig schloss, er könne wohl sein Essen nur mit dem Beistand Gottes verdauen und sein frommer Seufzer beziehe sich nicht auf meine unerwartete Ankunft.

Wuthering Heights nennt sich Mr Heathcliffs Besitztum – »Umwitterte Höhen«. Der mundartliche Ausdruck »Wuthering« bezeichnet sehr klangvoll das Luftgefühl, das sich hier bei stürmischem Wetter entwickelt. Reine, kräftigende Luft gibt es hier oben immerzu. Mit welcher Gewalt der Nordwind um die Ecke bläst, lässt sich an den paar armseligen schiefen Föhren am Rand des Hauses erkennen. Auch die Reihe kahler Dornbüsche sieht aus, als bitte sie mit ihren nach einer einzigen Richtung gestreckten Armen die Sonne um ein Almosen. Doch der Baumeister hat mit aller Voraussicht das Haus solide errichtet. Die Fenster liegen tief in der Mauer, die Ecken sind geschützt durch vorspringende, breite Steine.

Bevor ich die Schwelle überschritt, bewunderte ich noch rasch die vielen grotesken Schnitzereien an der Vorderseite, besonders über der Eingangstür, wo mir in einem Gewimmel von Figuren, zerbröckelnden Greifen und lustig-nackten Putten die Jahreszahl 1500 und der Name Hareton Earnshaw auffiel. Gern hätte ich von dem wortkargen Eigentümer eine kurze Geschichte seines Anwesens erfahren. Aber seine Haltung an der Tür forderte meinen unverzüglichen Eintritt oder endgültigen Abzug und ich wollte seine Ungeduld nicht reizen, noch bevor ich das Heiligste besichtigt hatte.

Ohne Diele, ohne Flur führte eine Stufe unmittelbar in den Wohnraum der Familie, von ihr wunderbar »Das Haus« genannt. Ein solches enthält gewöhnlich auch Empfangszimmer und Küche; aber in Wuthering Heights musste sich die Küche in einen anderen Teil des Gebäudes zurückgezogen haben: Zumindest hörte ich tief aus dem Innern das Geklapper von Küchengeräten und ein Gewirr von Stimmen. An der mächtigen Feuerstätte des Wohnraums sah ich kein Anzeichen, dass man hier auch briet und buk, an der Wand glänzte keine kupferne Pfanne, kein zinnenes Sieb. Licht und Glut spiegelten sich mit starken Schimmern nur in den Reihen gewaltiger Zinnschüsseln, die sich abwechselnd mit silbernen Kannen und Krügen auf der eichenen Anrichte Schicht über Schicht bis zum Dach auftürmten. Unter diesem Dach war nie eine Zimmerdecke eingezogen worden; man sah sein nacktes Gerippe, von einer Stelle abgesehen, wo es sich hinter einem hölzernen Regal verbarg, das mit Haferkuchen und mit Riesenmengen von Hammel-, Rindskeulen und Schinken beladen war. Über dem Kamin hingen alte Räuberflinten sowie ein paar Reiterpistolen. Die drei grell bemalten Blechbüchsen auf dem Sims sollten wohl eine Art Schmuck sein. Der Fußboden war glatter weißer Stein. Hinter den einfachen, grün gestrichenen Lehnstühlen lauerten noch schattenhaft einige dunkle Sessel. Unter der Anrichte ruhte eine mächtige Hündin, ein leberfarbener Pointer, rings um sie quiekten ihre Jungen; in anderen Verstecken des Raums spukten weitere Hunde umher.

Zimmer und Einrichtung hätten zu einem einfachen Landwirt des Nordens gepasst, zu einem Mann mit grobem Gesicht, für dessen derbe Glieder Kniehose und Gamaschen die richtige Tracht sind. Solche Leute, in ihrem Lehnstuhl sitzend, den Krug mit schäumendem Ale vor sich auf dem runden Tisch, sind im Umkreis von fünf, sechs Meilen rings um diese Anhöhen überall anzutreffen, insbesondere wenn man sie im rechten Moment nach dem Mittagessen aufsucht. Mr Heath­cliff jedoch steht in merkwürdigem Gegensatz zu seiner Behausung und Lebensart. Er sieht mit seiner dunklen Haut wie ein Zigeuner aus, aber Anzug und Umgangsform sind die eines Gentleman, nämlich in dem Sinn, wie mancher Landjunker ein Gentleman ist: etwas unordentlich, dennoch in der Erscheinung angenehm, weil vortrefflich gewachsen, dabei immer etwas mürrisch. Vielleicht vermuten manche bei ihm einen gewissen ungebildeten Hochmut. Bei mir aber schlägt eine verwandte Saite an, daher glaube ich so etwas nicht. Ich weiß instinktiv, dass seine Reserviertheit in einer Abneigung davor begründet liegt, die eigenen Gefühle zur Schau zu stellen und wechselseitig Liebenswürdigkeiten kundzutun. Er liebt und hasst genauso, aber im Verborgenen, und vielleicht hielte er es für eine Anmaßung, wollte man ihn wiederlieben und wiederhassen.

Aber ich gehe wohl zu weit, indem ich ihm allzu sehr meine persönlichen Eigenschaften unterlege. Mr Heathcliff kann ganz andere Gründe haben, wenn er vor demjenigen, der seine Bekanntschaft sucht, seine Hand versteckt. Besser sollte ich hoffen, dass mein Charakter eine Absonderlichkeit ist: Meine gute Mutter pflegte zu sagen, ich würde niemals ein gemütliches Zuhause besitzen. In der Tat habe ich mich erst im letzten Sommer als eines solchen nicht würdig erwiesen. Als ich bei herrlichem Wetter einen Monat an der See verbrachte, lernte ich eine ganz wundervolle Frau kennen, eine wahre Göttin in meinen Augen – solange sie mich nicht beachtete. Ich tat nie meine Liebe kund, wenigstens nicht in Worten. Doch meine Blicke sagten jedem beliebigen Menschen, dass ich grenzenlos verliebt war. Allmählich verstand sie mich und antwortete mir mit den süßesten Blicken, die man sich vorstellen kann. Und was tat ich? Mit Scham muss ich gestehen, dass ich mich kalt in mich selbst zurückzog wie eine Schnecke; dass ich bei jedem neuen Blick frostiger und fremder wurde. Schließlich zweifelte die arme Unschuld an der Gültigkeit ihrer eigenen Gefühle, und ganz niedergeschlagen von ihrem scheinbaren Irrtum, drängte sie ihre Mama zur Abreise. Durch solche unnatürliche Anlage habe ich mir den Ruf bewusster Herzlosigkeit erworben. Wie unverdient dieser Ruf ist, weiß ich allein.

Ich nahm an der anderen Seite des Kamins Platz, gegenüber dem Stuhl, auf den mein Wirt zuging. Um einen Moment des Schweigens auszufüllen, versuchte ich, die Hündin zu streicheln. Sie hatte ihre Brut verlassen, schlich sich wie ein Wolf von hinten an meine Beine heran und bleckte die weißen Zähne. Meine Liebkosung rief ein langes, dumpfes Knurren hervor.

»Lassen Sie den Hund lieber in Ruhe«, bemerkte Mr Heathcliff in sozusagen gleichfalls knurrendem Ton und er unterband weitere Liebesbezeigungen des Tiers mit einem Fußtritt. »Sie ist nicht gewohnt, dass man sie wie einen Schoßhund behandelt. Ist kein Haustier.«

Dann schritt er nach einer Seitentür hin und rief erneut: »Joseph!«

Undeutlich in der Tiefe des Kellers brummte Joseph, ohne heraufzukommen. Daher stieg sein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der scharfen Hündin und einem Paar struppiger Hütehunde, die grimmig an der allgemeinen Bewachung meiner leisesten Bewegungen teilnahmen. Ich hatte keine Lust, mit ihren Reißzähnen Bekanntschaft zu machen und saß still. Allerdings bildete ich mir leider ein, stumme Beleidigungen würden sie kaum verstehen, und zwinkerte und schnitt dem Trio Fratzen und irgendeine Grimasse brachte die Hundedame in solche Wut, dass sie auf meine Beine lossprang. Ich schleuderte sie zurück und rückte hastig den Tisch zwischen sie und mich. Das zog mir die ganze Meute auf den Hals. Ein halbes Dutzend vierpfotiger Unholde von verschiedenstem Wuchs und Alter sprang aus ihren verborgenen Lagern hervor. Sie griffen zunächst meine Fersen und Rockschöße an und während ich die gefährlichsten Kämpfer mit dem Schüreisen auf Abstand hielt, blieb mir nichts übrig, als lauthals ins Haus hinein um Hilfe bei der Wiederherstellung des Friedens zu rufen.

Mit aufreizender Ruhe stiegen Mr Heathcliff und sein Diener die Kellertreppe herauf. Sie bewegten sich tatsächlich um keine Sekunde rascher als sonst, trotzdem die Kaminecke zu einem Tumult heulender, herumsausender Bestien geworden war. Zum Glück beeilte sich eine Bewohnerin der Küche etwas mehr: Mit aufgeschürztem Kleid, bloßen Armen und vom Feuer glühenden Wangen rannte eine rüstige Person die Bratpfanne schwingend herein. Sie führte ihre Waffe und ihre Zunge so zielbewusst, dass der Sturm wie durch Zauber beschworen wurde. Nur sie selbst wogte noch wie die See nach dem Gewitter, als der Hausherr endlich den Schauplatz betrat.

»Was zum Teufel ist hier los?« Er betrachtete mich bei diesen Worten in einer Weise, die ich nach der ganzen unwirtlichen Behandlung nicht auch noch hinnehmen konnte.

»Was zum Teufel – allerdings!«, murrte ich. »Die biblische, vom bösen Geist besessene Schweineherde wird nicht schlimmer gewesen sein als Ihr Rudel, Sir! Ebenso gut können Sie einen Fremden mit einer Brut von Tigern allein lassen.«

»Die greifen niemanden an, der nichts angefasst hat.« Er stellte die Flasche Wein vor mich hin und rückte den Tisch an seinen Platz. »Die Hunde haben recht, wenn sie wachsam sind. Ein Glas Wein?«

»Nein, ich danke.«

»Sind doch nicht gebissen worden?«

»Wenn mich einer verletzt hätte, wäre es ihm schlecht bekommen.«

Sein Gesicht entspannte sich, er grinste. »Aber, aber, Sie sind aufgeregt, Mr Lockwood. Hier, trinken Sie. Gäste sind in diesem Haus so selten, dass ich und meine Hunde sich nicht recht auf ihren Empfang verstehen. Auf Ihre Gesundheit!«

Ich verbeugte mich und trank ihm zu. Es wäre doch unsinnig gewesen, weiter wegen des Fehlverhaltens seines Köterrudels zu grollen. Ich wollte dem Mann auch keine Gelegenheit geben, länger über mich zu spotten; er hatte Lust genug dazu. Andererseits war ihm klar, dass man einen guten Pächter nicht zu sehr beleidigen sollte; so wurde seine abgehackte, harte Redeweise etwas weicher und er wandte sich einem Gegenstand zu, der mich immerhin anging, nämlich den Vorzügen und Nachteilen meiner neuen Heimstätte. Auf diesem Gebiet empfand ich ihn als äußerst klug und hatte beim Abschied den Mut, für den nächsten Tag meinen erneuten Besuch anzusagen.

Er hingegen hatte offensichtlich genug von dem Eindringling, dennoch werde ich wieder hingehen. Es ist zu erstaunlich, wie gesellig ich mir im Vergleich zu ihm vorkomme.

2. Kapitel

Gestern Nachmittag wurde es neblig und kalt. Lieber wäre ich am Feuer meines Arbeitszimmers geblieben, statt durch Moor und Lehm zu waten. Ich esse zwischen zwölf und ein Uhr – die Haushälterin, eine ältere Frau, die ich zugleich mit dem Haus übernommen habe, konnte oder wollte auf meinen Wunsch, erst um fünf Uhr zu speisen, nicht eingehen. Als ich nun nach dem Mittagessen hinaufstieg, um es mir bequem zu machen, kniete im Arbeitszimmer ein Dienstmädchen zwischen Bürsten und Eimern: Sie wirbelte einen höllischen Staub auf, während sie mit Aschehaufen das Feuer erstickte. Bei diesem Anblick drehte ich mich schleunigst um und nahm meinen Hut.

Nach einem Marsch von vier Meilen erreichte ich Heathcliffs Gatter, gerade als ein Schneegestöber einsetzte. Der schwarze Boden auf der kahlen Höhe war völlig gefroren; ich schauderte in dieser Luft am ganzen Körper. Da ich die Kette nicht aufhaken konnte, sprang ich über den Zaun, lief zwischen den Stachelbeersträuchern zum Eingang und klopfte, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten.

›Jämmerliche Bande!‹, fluchte ich für mich, ›eure elende Ungastlichkeit müsste euch gelohnt werden, indem ihr bis in alle Ewigkeit gemieden würdet! Wenigstens am Tag würde ich meine Tür offen halten! Aber ich will auf jeden Fall hinein!‹ – Ich rüttelte heftig an der Klinke.

An einem runden Scheunenfenster zeigte sich das saure Gesicht Josephs: »Was wollen Sie? Der Herr ist unten auf dem Feld. Gehen Sie ums Haus herum, wenn Sie mit ihm reden wollen.«

»Ist niemand im Haus, um aufzumachen?«

»Nur die Frau des Hauses. Die macht nicht auf, und wenn Sie bis in die Nacht hinein brüllen.«

»Warum? Sie können ihr sagen, wer da ist.«

»Ich nicht! Ich will nichts mit ihr zu tun haben.« Und der Kopf verschwand.

Der Schnee fiel schon dicht. Ich wollte noch einen Versuch an der Klinke machen, als vom Hof her ein junger Mann mit geschulterter Heugabel erschien und mir zurief, ihm zu folgen. Durch ein Waschhaus und vorbei an einem Kohlenschuppen, einer Pumpe und einem Taubenschlag gelangten wir aus dem gepflasterten Hof in den großen warmen Raum, wo man mich zuerst empfangen hatte. Er glänzte herrlich von einem starken Feuer, das mit Kohle, Torf und Holz zugleich unterhalten wurde. Am Tisch, gedeckt für ein reichliches Abendessen, bemerkte ich zu meiner Freude »die Frau des Hauses«. Nichts hatte bisher ein solches Wesen hier angezeigt. Ich machte ihr eine Verbeugung und erwartete, dass sie mir einen Stuhl anbieten würde. Sie betrachtete mich, lehnte sich zurück und blieb regungslos und stumm.

»Unangenehmes Wetter«, bemerkte ich am Ende. »Ich fürchte, Mrs Heathcliff, die Tür musste darunter leiden, dass Ihre Leute nicht aufpassen. Ich habe wirklich arbeiten müssen, bis man mich hörte.«

Sie machte den Mund nicht auf. Ich starrte sie an und sie starrte zurück. Jedenfalls hielt sie ihre Augen auf mich gerichtet in einer kühlen, rücksichtslosen Art, die peinlich und verwirrend war.

Der junge Mann sagte schroff: »Setzen Sie sich. Er wird bald hier sein.«

Ich setzte mich, mit einem Räuspern, und lockte die böse Juno. Bei dieser zweiten Begegnung geruhte sie, die äußerste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, zum Zeichen, dass sie sich meiner Bekanntschaft erinnerte.

»Ein schönes Tier«, begann ich von Neuem. »Planen Sie die Jungen abzugeben, gnädige Frau?«

»Die gehören nicht mir«, antwortete die liebenswürdige Wirtin und Heathcliff selbst hätte keinen gröberen Ton anschlagen können.

»Oh, dann sind diese dort Ihre Lieblinge?« Ich wandte mich nach einer Art Kissen um, auf dem so etwas wie Katzen lagen.

»Sonderbare Lieblinge habe ich mir da ausgesucht!«, meinte sie verächtlich.

Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich hustete wieder, rückte näher an den Kamin und wiederholte meine Ansicht, dass der Abend äußerst rau sei.

»Dann hätten Sie nicht ausgehen sollen.« Sie erhob sich und griff nach zwei bemalten Blechdosen auf dem Sims. Sie hatte mit dem Rücken zum Licht gesessen; jetzt erhielt ich einen deutlichen Eindruck von ihrer Erscheinung: schlank, fast noch ein Kind, entzückend gewachsen, mit einem so lieblichen kleinen Gesicht, wie ich es kaum je gesehen habe. Sehr feine Züge, flachsblonde, wie Gold schimmernde Locken, die lose über den zarten Nacken fielen. Hätten die Augen einen angenehmeren Ausdruck gehabt, sie wären unwiderstehlich gewesen. Zum Glück für mein empfängliches Herz blickte aus ihnen nur ein einziges Gefühl, das zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung schwankte, und dies wirkte bei der Schönheit dieser Augen besonders unnatürlich.

Die Dosen standen zu hoch auf dem Sims. Ich machte eine Bewegung, um ihr zu helfen. Wie ein Geizhals, dem jemand beim Geldzählen beistehen wollte, fuhr sie herum: »Ich brauche Sie nicht, ich kann das allein machen!«

»Verzeihen Sie«, beeilte ich mich zu erwidern.

»Waren Sie zum Tee eingeladen?« Sie band eine Schürze über ihr hübsches schwarzes Kleid und hielt einen Löffel voll Teeblätter über den Topf.

»Eine Tasse Tee würde ich gern trinken.«

»Waren Sie eingeladen?«

»Nein«, lächelte ich, »aber Sie könnten es tun!«

Sie warf den Tee, den Löffel und alles Übrige hin, setzte sich wieder in ihren Stuhl, runzelte die Stirn und wölbte die rote Unterlippe wie ein Kind, das weinen will.

Inzwischen hatte der junge Mann sich mit einem ausgesprochen schäbigen Rock bekleidet. Er stellte sich hoch aufgerichtet ans Feuer und starrte aus den Augenwinkeln auf mich herab, als bestände zwischen uns eine tödliche Fehde, ein ungerechter Streit. Ich zweifelte, ob er ein Knecht sei oder nicht. Kleidung und Sprache waren rüde, ganz verschieden von der gewissen Überlegenheit der Heathcliffs. Die dichten braunen Locken waren ungepflegt, der Bart bedeckte die Wangen wie ein Bärenpelz, die Hände waren sonnengebräunt gleich denen eines Landarbeiters. Dennoch wirkte seine Haltung frei und sicher, fast stolz, und er behandelte die Herrin des Hauses keineswegs mit der Unterwürfigkeit eines Dieners. Da ich mir also über seine Stellung nicht klar war, zog ich es vor, sein merkwürdiges Betragen nicht zu beachten. Fünf Minuten später befreite mich Heathcliffs Eintritt – zumindest ein wenig – aus der peinlichen Lage.

»Sie sehen, ich bin gekommen, wie ich versprochen habe«, rief ich mit künstlicher Heiterkeit. »Eine halbe Stunde werde ich durch das Wetter festgehalten werden, wenn Sie mir so lange Unterschlupf gewähren können.«

»Eine halbe Stunde?« Er schüttelte die weißen Flocken von den Kleidern. »Ich wundere mich, dass Sie sich einen Schneesturm zum Spazierengehen aussuchen. Wissen Sie nicht, dass Sie sich im Moor verirren können? Sogar Leute, die mit unserem Sumpfland vertraut sind, kommen an solchen Abenden vom Weg ab. Ich kann Ihnen versichern, dass im Augenblick keine Aussicht auf Besserung besteht.«

»Vielleicht geben Sie mir jemanden als Führer mit, der bis morgen früh in Grange bleiben kann.«

»Nein, unmöglich.«

»Tatsächlich? Dann muss ich mich auf meine eigenen Sinne verlassen.«

»Na!«

»Wirst du jetzt Tee machen?« Der im schäbigen Rock wandte seine wilden Blicke von mir zu der jungen Dame.

»Soll der Herr Tee haben?« Sie richtete die Frage an Heathcliff.

»Gieß ihn auf, los!« Sein Ton war so heftig, dass ich zusammenfuhr. Eine unverfälscht böse Natur enthüllte sich in diesen Worten. Ich war nicht länger geneigt, Heathcliff einen Prachtmenschen zu nennen. Als der Tee bereitet war, wurde ich aufgefordert: »Also, rücken Sie Ihren Stuhl heran, Sir.«

Wir alle, auch der bäurische junge Mann, setzten uns um den Tisch. Während der Mahlzeit herrschte ein schroffes Schweigen. Da ich die Wolke verursacht hatte, fühlte ich mich verpflichtet, sie zu vertreiben. Es war doch undenkbar, dass sie hier jeden Tag so grimmig und schweigsam dasaßen. So schlecht gelaunt sie sein mochten, der gemeinsame finstere Ausdruck konnte nicht ihr dauerndes Gesicht sein.

»Es ist merkwürdig«, begann ich in der Pause zwischen zwei Tassen Tee, »wie tief die Gewohnheit unsere Gefühle und Gedanken beeinflusst. Mancher könnte sich nicht vorstellen, dass man in einem Dasein von so vollständiger Weltabgeschiedenheit glücklich sein kann, wie es das Ihre ist, Mr Heathcliff. Ich aber wage es zu behaupten, dass Sie, umgeben von Ihrer Familie, mit Ihrer liebenswürdigen Gattin, deren Geist Ihr Heim und Herz beherrscht –«

»Meine liebenswürdige Gattin!« Er unterbrach mich mit geradezu teuflischem Lächeln. »Wo ist sie, die Gattin?«

»Ich meine Mrs Heathcliff, Ihre Frau.«

»Ach so, Sie wollen andeuten, dass ihr Geist den Posten eines Schutzengels angenommen hat und die Schätze von Wuthering Heights bewacht, während ihr Leib dahingegangen ist. Meinen Sie das?«

Ich hatte einen Fehler gemacht und an dem großen Altersunterschied der beiden nicht gesehen, dass sie unmöglich Mann und Frau sein konnten. Er war ungefähr vierzig, in einem Alter geistiger Kraft, in dem ein Mann sich nur noch selten der Einbildung überlässt, aus Liebe geheiratet zu werden. Dies wird wieder der Traum unserer absteigenden Jahre. Sie aber sah kaum wie eine Siebzehnjährige aus.

Plötzlich wurde mir klar: ›Der Tölpel neben mir, der seinen Tee aus dem Napf trinkt und sein Brot mit ungewaschenen Händen verschlingt, könnte ihr Mann sein: Heathcliff junior, natürlich. Dies ist die Folge davon, dass man sich hier lebendig begräbt! Sie hat sich diesem Bauernburschen an den Hals geworfen, aus lauter Ahnungslosigkeit, dass es bessere Männer gibt. Wie schade. Aber ich muss mich hüten, sie darauf zu bringen, dass sie ihre Wahl bereuen sollte.‹ Diese Überlegung war nicht so eingebildet wie sie klingt. Mein Nachbar machte einen beinahe abstoßenden Eindruck; ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich ganz anziehend wirke.

»Mrs Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, erklärte Heathcliff. Bei diesen Worten warf er ihr einen eigenartigen Blick zu. Es war ein Blick des Hasses, oder sein Gesicht hatte gewissermaßen unnatürliche Muskeln, die nicht wie bei anderen Menschen die Sprache der Seele zum Ausdruck bringen.

Ich wandte mich zu meinem Nachbarn: »Selbstverständlich, ich verstehe jetzt, Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee.«

Dies war schlimmer als alles zuvor. Der junge Mann wurde blutrot und ballte die Fäuste, als wollte er über mich herstürzen. Aber er begnügte sich mit einer lauten Verwünschung meiner Person, die ich zu überhören suchte.

»Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen«, bemerkte der Hausherr, »keiner von uns hat den Vorzug, Ihre gute Fee sein eigen zu nennen. Ihr Mann ist tot. Ich sagte, dass sie meine Schwiegertochter sei: Offenbar muss sie meinen Sohn geheiratet haben.«

»Und der junge Herr hier ist –«

»Gewiss nicht mein Sohn.« Er lächelte wieder, als sei es ein schlechter Witz, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zuzuschreiben.

»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich rate Ihnen, Achtung davor zu haben!«

»Ich habe mir nichts vorzuwerfen.« Insgeheim lächelte ich über die Würde, mit der dieser Mensch sich vorstellte.

Er starrte mich an, länger, als ich den Blick zurückgeben konnte. Denn ich fürchtete, dass ich ihm entweder hinters Ohr schlagen oder meine Heiterkeit verraten würde. Jedenfalls war ich im Kreis dieser freundlichen Familie nicht gerade am Platz. Die finstere Stimmung war stärker als die glühende Wärme des Raumes. Ich beschloss, mich kein drittes Mal in diese Behausung zu wagen.

Das Essen war vorüber und da niemand an gesellige Unterhaltung dachte, ging ich ans Fenster und sah nach dem Wetter. Ein hoffnungsloser Anblick: Es war vorzeitig Nacht geworden, der Himmel und die Hügel verschwanden in den heftigen Wirbeln des Windes und des erstickenden Schnees.

»Ja, ich kann tatsächlich nicht ohne Führer heimkommen«, rief ich unwillkürlich. »Die Wege sind schon unkenntlich, jedenfalls könnte ich sie keinen Schritt weit unterscheiden.«

»Hareton, treib die zwölf Schafe in die vordere Scheune. Sie schneien ein, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Leg eine Planke vor«, sagte Heathcliff.

»Was soll ich nur machen?«, fuhr ich mit steigendem Ärger fort. Niemand antwortete. Ich drehte mich um und sah nur noch Joseph, der einen Eimer Brei für die Hunde brachte, und Mrs Heathcliff, die sich damit vergnügte, über das Feuer gebeugt ein Bündel Streichhölzer zu verbrennen. Als Joseph seine Last abgesetzt hatte, schoss er einen kritischen Blick ab und krächzte:

»Möchte wissen, was das für eine Art und Weise ist, so faul herumzustehen, wenn alle anderen rausgegangen sind! Sie sind ja zu nichts nutze. Hat keinen Sinn, darüber zu reden, Sie werden sich niemals bessern, gehen Sie zum Teufel wie Ihre Mutter!«

Ich dachte einen Augenblick lang, diese Ansprache sei an mich gerichtet. Wütend ging ich auf den alten Lump los, um ihn zur Tür hinauszuwerfen. Aber Mrs Heathcliffs Antwort belehrte mich eines Besseren:

»Du scheußlicher alter Heuchler! Hast du keine Angst, dass dich der Teufel bei lebendigem Leib holt, wenn du seinen Namen aussprichst? Reize mich nicht noch einmal, sonst erbitte ich von ihm als besondere Gunst, dass er dich schmoren lässt! Sieh her, Joseph«, sie riss ein großes dunkles Buch vom Brett herunter, »ich will dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst gekommen bin! Bald bin ich so weit, dass ich das Haus in der Hand habe! Die rote Kuh ist nicht durch Zufall gestorben und dein Rheumatismus nicht vom Himmel geschickt worden!«

»O du gottloses, gottloses –«, keuchte der Alte. »Der Herr erlöse uns von dem Bösen!«

»Du Verworfener! Du Auswurf! Du – hebe dich hinweg oder ich mache Ernst mit dir! Euch alle will ich mir in Wachs und Ton nachbilden und der Erste, der die Zaubergrenze überschreitet – ich sage dir nicht, was mit ihm geschieht! Aber du wirst sehen! Ich habe ein Auge auf dich! Geh!«

Die kleine Hexe gab ihren Augen einen Ausdruck von spielerischer Bosheit, und zitternd, in aufrichtiger Furcht stürzte Joseph hinaus, betend und die »Gottlose« verwünschend. Ich hielt ihr Benehmen für einen etwas traurigen Scherz; als wir allein waren, versuchte ich, sie für meine Sorgen in Anspruch zu nehmen:

»Mrs Heathcliff, entschuldigen Sie, wenn ich Sie behellige, aber mit einem Gesicht wie dem Ihren kann man doch gar nicht anders als gutherzig sein. Geben Sie mir einige Andeutungen, wie ich den Heimweg finden kann. Ich weiß es ebenso wenig, wie Sie den Weg nach London fänden.«

»Gehen Sie genau so, wie Sie gekommen sind.« Sie schmiegte sich in einen Stuhl, eine Kerze und das aufgeschlagene große Buch vor sich. »Der Rat ist kurz, aber ich kann Ihnen keinen besseren geben.«

»Wenn Sie also hören werden, dass man mich im Sumpf oder in einer zugeschneiten Grube tot aufgefunden hat, wird Ihnen Ihr Gewissen nicht sagen, Sie seien daran mitschuldig?«

»Wieso? Ich kann sie nicht begleiten. Nicht einmal bis zur Gartenmauer würde man mich gehen lassen.«

»Sie selbst! Sie selbst würde ich doch nicht bitten, meinetwegen in einer solchen Nacht das Zimmer zu verlassen. Ich bitte Sie nur, mir den Weg zu beschreiben, nicht, ihn mir zu zeigen, oder Mr Heathcliff zu überreden, dass er mir einen Führer mitschickt.«

»Wen? Hier wohnen außer ihm nur Earnshaw, Zillah, Joseph und ich. Wen wollen Sie haben?«

»Sind auf dem Gut keine Knechte?«

»Nein, sonst niemand.«

»Dann bin ich gezwungen, zu bleiben.«

»Das müssen Sie mit Ihrem Gastgeber ausmachen. Ich habe damit nichts zu tun.«

»Ich hoffe, es wird Ihnen eine Lehre sein, auf diesen Höhen keine unbedachten Ausflüge mehr zu machen!«, hörte ich Heathcliffs dunkle Stimme von der Küchentür her. »Ich bin jedenfalls nicht auf Bequemlichkeiten für Gäste eingerichtet. Sie müssen das Bett mit Hareton oder Joseph teilen.«

»Ich kann auf einem Stuhl in diesem Zimmer schlafen.«

»Nein, nein. Ein Fremder ist ein Fremder, ob er reich oder arm ist. Es passt mir nicht, dass irgendjemand sich hier aufhält, solange ich ihn nicht überwachen kann!«, sagte der sittenlose Schuft.

Bei dieser Beleidigung war selbst meine Geduld zu Ende. Mit einem zornigen Ausruf drängte ich mich an ihm vorbei, zum Hof, und rannte in meiner Hast gegen Earnshaw. Es war so dunkel, dass ich den Ausgang nicht sehen konnte. Als ich mich herumtastete, erhielt ich eine neue Probe ihres schönen Benehmens gegeneinander. Zunächst schien der junge Mann kurz davor, sich meiner annehmen zu wollen:

»Ich will mit ihm bis zum Ende des Gartens gehen.«

»Bis zur Hölle kannst du mit ihm gehen!«, schrie sein Herr (oder was er für ihn sein mochte). »Wer soll inzwischen die Pferde besorgen, he?«

»Auf ein Menschenleben kommt es mehr an als darauf, dass die Pferde an einem Abend nicht versorgt werden«, bemerkte Mrs Heathcliff freundlicher als erwartet. »Jemand muss mitgehen.«

»Nicht, wenn du es befiehlst«, entgegnete wiederum Hareton. »Wenn du Wert auf ihn legst, solltest du es lieber nicht zeigen.«

»Dann hoffe ich, sein Geist wird dich verfolgen, und Mr Heathcliff soll keinen neuen Pächter finden, bis Grange eine Ruine ist!«

»Hören Sie, hören Sie, wie sie Ihnen flucht!«, flüsterte Joseph, auf den ich zusteuerte.

Er saß in Hörweite und melkte die Kühe beim Licht einer Laterne. Diese nahm ich ohne Umschweife, rief ihm zu, ich würde sie morgen zurückschicken, und stürzte zur nächsten Hintertür.

»Herr, Herr, er stiehlt die Laterne«, schrie der Alte, während er mich verfolgte. »He, Gnasher! He, Hund! He, Wolf! He, fass, fass!«

Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungetüme an die Kehle, rissen mich nieder, das Licht verlöschte, während Heathcliff und Hareton ein ungeheures Gelächter ausstießen. Das war der Gipfel meiner Demütigung. Zum Glück schienen die Bestien mehr darauf aus zu sein, die Tatzen zu strecken, mit den Schwänzen zu wedeln, als mich bei lebendigem Leib zu verschlingen. Sie ließen mich allerdings nicht aufstehen, ich musste still halten, bis ihre boshaften Herren geruhten, mich zu befreien. Ohne Hut, außer mir vor Zorn, forderte ich die Schurken auf, mich hinauszulassen. Ich drohte ihnen für jeden anderen Fall mit Wiedervergeltung, in der verwirrten und giftigen Art des König Lear. Vor Aufregung bekam ich heftiges Nasenbluten, und immer noch lachte Heathcliff und ich schimpfte weiter. Ich weiß nicht, wie der Auftritt geendet hätte, wäre nicht jemand hinzugekommen, der vernünftiger war als ich und gutartiger als mein Gastgeber. Zillah, die dicke Haushälterin, erschien und fragte, was hier vor sich gehe. Sie glaubte, jemand habe mich körperlich angegriffen, und da sie sich an ihren Herrn nicht heranwagte, schoss sie ihre Worte gegen den jüngeren Halunken ab:

»Na, Mr Earnshaw«, rief sie, »ich bin neugierig, was Sie noch anstellen! Soll in unserem Haus als nächstes jemand ermordet werden? Oh, in diese Wirtschaft passe ich nicht, seht den armen Herrn an, er ist halb erstickt! Kommen Sie, so können Sie nicht gehen, ich helfe Ihnen, halten Sie still!«

Sie goss mir mit jähem Schwung eisiges Wasser über den Kopf und zog mich in die Küche. Mr Heathcliff folgte und seine ungewöhnliche Heiterkeit ging wieder in sein mürrisches Wesen über. Ich fühlte mich schwach und schwindlig und krank und so war ich gezwungen, die Gastlichkeit seines Daches in Anspruch zu nehmen. Er ließ mir durch Zillah Branntwein geben und ging ins Innere zurück. Als mich das freundlich gereichte Getränk etwas belebt hatte, führte sie mich, indem sie seinen Anweisungen folgte, zu meinem Schlafraum.

3. Kapitel

Auf der Treppe riet sie mir, das Kerzenlicht zu verbergen und kein Geräusch zu verursachen. Ihr Herr habe eigenwillige Ansichten über dieses Zimmer und würde freiwillig keinen Menschen dort wohnen lassen. Ich fragte, warum. Sie kenne den Grund nicht, seit zwei Jahren sei sie erst hier und wolle bei den wunderlichen Leuten nicht neugierig sein.

Ich war meinerseits zu betäubt, um Neugier zu empfinden. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich mich nach dem Bett um. Die gesamte Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einer auffallend großen Eichentruhe. Aus der Seitenwand dieses Kastens waren nahe dem Deckel Vierecke herausgeschnitten, die wie Fenster eines Wagens aussahen. Ich stellte mich vor das seltsame Möbel und blickte hinein: Es bildete gewissermaßen ein kleines Kabinett für sich und enthielt eine merkwürdige altmodische Art von Lagerstätte. Das Ganze war eigentlich recht zweckmäßig ausgedacht; dadurch hatte man noch einen eigenen Raum für ein Familienmitglied geschaffen. Der breite Sims, der an einem der Fensterausschnitte entlangführte, diente als Tisch.

Ich schob die Täfelung beiseite, kroch mit dem Licht hinein und machte wieder zu. So fühlte ich mich vor Heathcliffs und jeder anderen Beobachtung sicher.

Auf dem Sims, auf den ich meine Kerze stellte, lagen einige vergilbte Bücher in der Ecke und in das Holz waren überall Buchstaben eingekratzt. Sie wiederholten einen einzigen Namen, mit allen möglichen großen und kleinen Buchstaben: Catherine Earnshaw – hier und da umgewandelt in Catherine Heathcliff – an anderer Stelle in Catherine Linton. In meiner Benommenheit lehnte ich den Kopf ans »Fenster« und buchstabierte immer wieder: Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton – bis mir die Augen zufielen. Aber nach wenigen Minuten traten aus dem Dunkel schimmernde weiße Buchstaben hervor, lebendige Gespenster. In der Luft schwebte ein Schwarm von Catherines. Ich richtete mich auf, wollte den Namen, der mich da anstarrte, verscheuchen und bemerkte, dass sich der Docht der Kerze auf einen der alten Bände gesenkt hatte. Es roch nach angebranntem Kalbsleder. Ich löschte das Licht. Da ich mich infolge der Kälte und der aufsteigenden Übelkeit aufsetzen musste, nahm ich den beschädigten Band auf meinen Schoß. Es war eine Bibel in kleinem Druck. Modriger Geruch. Das Vorsatzpapier trug die Inschrift: »Ex libris Catherine Earnshaw«, dazu ein Datum, das ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich schloss das Buch, nahm ein anderes und wieder ein anderes, bis ich alle angesehen hatte. Cathe­rines Bibliothek war recht erlesen; nach dem Zustand der Abnutzung zu urteilen, war sie oft benutzt worden, allerdings nicht immer nach ihrer eigentlichen Bestimmung: Kaum ein Kapitel war ohne Randbemerkungen, die mit Tinte geschrieben waren und jeden vom Druck frei gelassenen Raum ausfüllten. Manchmal bestanden sie in einzelnen Sätzen; an anderen Stellen ergaben sie ein fortlaufendes Tagebuch, in ungeformter Kinderhandschrift. Auf einer freien Seite, die von der Schreiberin gewiss wie ein Schatz entdeckt worden war, sah ich zu meinem Vergnügen eine ausgezeichnete Karikatur von meinem Freund Joseph, grob, aber wirkungsvoll gekritzelt. Mit einem Mal interessierte mich diese unbekannte Catherine und ich suchte die blassen Hieroglyphen zu entziffern.

»Ein furchtbarer Sonntag!«, begann der Absatz darunter. »Ich wünschte, mein Vater wäre zurück. Hindley ist ein unerträglicher Ersatz. Sein Betragen Heathcliff gegenüber ist abscheulich. H. und ich werden uns empören! Heut Abend taten wir den ersten Schritt dazu.

Den ganzen Tag über hatte es in Strömen geregnet. Wir konnten nicht zur Kirche gehen und Joseph musste eine Gemeinde in der Dachstube versammeln. Hindley und seine Frau wärmten sich vor einem angenehmen Feuer, sie taten bestimmt alles andere als in ihren Bibeln zu lesen. Heathcliff dagegen, ich selbst und der unglückliche Knecht erhielten den Befehl, mit unseren Gebetbüchern unters Dach zu steigen. Wir mussten uns in einer Reihe auf einen Kornsack setzen, vor Kälte ächzend. Wir hofften nur, Joseph würde auch frieren und zu seinem eigenen Besten nur eine kurze Predigt halten. Eine vergebliche Hoffnung! Der Gottesdienst dauerte genau drei Stunden. Dann hatte mein Bruder noch die Stirn, als er uns herunterkommen sah, zu rufen: ›Was, schon zu Ende?‹

An Sonntagabenden durften wir gewöhnlich spielen, wenn wir nicht viel Lärm machten. Jetzt genügte ein Kichern und schon mussten wir uns in die Ecke stellen. ›Ihr vergesst, dass ihr hier einen Herrn habt!‹, sagte der Tyrann. ›Den Ersten, der mich reizt, zerschmettere ich. Ich bitte mir unbedingten Ernst und Ruhe aus. Junge, warst du das? Frances, Liebling, zieh ihn an den Haaren, wenn du gerade vorbeigehst. Ich habe gehört, wie er mit den Fingern schnalzte.‹ Frances riss ihn tüchtig an den Haaren, dann setzte sie sich auf den Schoß ihres Manns. So blieben sie, wie zwei kleine Kinder, küssten sich und redeten stundenlang solchen Unsinn, dass wir uns dessen geschämt hätten. Wir drängten uns möglichst dicht in die Höhle unter der Anrichte, vor die ich unsere Kinderschürzen als Vorhang zusammengebunden hatte. Da kommt Joseph mit einem Auftrag aus den Ställen, reißt die Schürzen ab, zieht mich an den Ohren und krächzt:

›Der Herr ist eben erst begraben, Sonntag ist noch nicht vorüber, das Evangelium ist noch in euren Ohren und ihr wagt es, so zu spielen! Schande über euch! Setzt euch hin, ihr bösen Kinder! Wenn ihr lesen wollt, gibt es genug gute Bücher! Setzt euch hin und denkt an eure Seelen!‹

So schrie er und wir mussten uns so einrichten, dass uns der Schein des entfernten Feuers treffen konnte. Bei diesem schwachen Licht konnten wir die alten Bücher gerade noch lesen, die er uns aufzwang. Das ertrug ich nicht, ich schleuderte den Schmöker in die Hundeecke und rief, ich hasste gute Bücher! Heathcliff stieß das seine in die gleiche Richtung. Da gab es einen Krach!

›Master Hindley!‹, heulte unser Pfarrer, ›Master, kommen Sie her! Miss Cathy hat den Rücken von der ›Krone des Heils‹ abgerissen und Heathcliff hat den ›Breiten Weg zur Verdammnis‹ kaputt gemacht! Es ist unerhört von Ihnen, dass Sie der Bande alles nachsehen! Oh, der alte Herr hätte sie verhauen, verhauen! Aber er ist ja dahin!‹

Hindley eilte aus seinem Paradies am Kamin herbei, ergriff den einen von uns am Kragen, den anderen am Arm und schleppte uns in die hintere Küche. Joseph versicherte, der Satan würde uns von dort unmittelbar in die Hölle holen. Mit diesem Trost warteten wir auf dessen Kommen, jeder in eine andere Ecke verkrochen. Aber dann nahm ich dieses Buch und ein Tintenfass vom Wandbrett und machte die Haustür auf, um etwas Licht zu haben. Zwanzig Minuten lang vertrieb ich mir die Zeit mit Schreiben. Aber mein Leidensgefährte ist ungeduldig und meint, wir sollten den Umhang der Milchfrau nehmen und so vermummt ins Moor rennen. Ein guter Gedanke – und dann wird der grässliche Alte glauben, seine Prophezeiung habe sich erfüllt! Feuchter und kälter kann es draußen im Regen auch nicht sein.«

***

Ich nehme an, Catherine hat ihren Plan ausgeführt. Denn der nächste Satz handelte von etwas ganz anderem, sie wurde wehleidig:

»Schwerlich hätte ich es mir träumen lassen, dass Hindley mich so zum Weinen bringen würde! Mein Kopf schmerzt derartig, dass ich auf dem Kissen nicht ruhig liegen kann. Aber ich darf nicht nachgeben. Armer Heathcliff! Hindley nennt ihn einen Landstreicher, er will ihn nicht mehr bei uns sitzen, nicht mehr mit uns essen lassen. Er sagt, wir dürften nicht mehr miteinander spielen und droht, ihn aus dem Haus zu werfen, wenn wir nicht gehorchen. Wie durfte er unserem Vater vorwerfen, er habe H. zu großzügig behandelt! Hindley schwört, er würde ihn in die Stellung zurückweisen, die ihm gebühre –«

***

Ich begann über der vergilbten Seite schläfrig zu werden; meine Blicke wanderten noch vom Geschriebenen zum Gedruckten. Ich sah den roten Titel in Zierdruck: »Siebenzig Mal Sieben und die Erste vom Einundsiebenzigsten Mal. Eine Erbauliche Predigt, gehalten von Hochwürden Jabes Branderham in der Kapelle von Gimmerton Sough.« Während ich mir bei halbem Bewusstsein den Kopf zerbrach, was Jabes Branderham wohl aus seinem Thema machen würde, sank ich langsam zurück und schlief ein.

Ach, welche Wirkungen des schlechten Tees und des bösen Streites! Was sonst konnte daran schuld sein, dass ich eine so entsetzliche Nacht verbrachte! Seit ich fähig bin, zu leiden, kann ich mich keiner ähnlichen erinnern.

Ich träumte schon, als ich noch immer einigermaßen wusste, wo ich mich befand. Ich glaubte, es sei Morgen, und ich hätte mich unter Josephs Führung auf den Heimweg gemacht. Ellenhoch lag der Schnee auf der Straße. Im Dahinstapfen peinigte mich mein Begleiter mit dem unaufhörlichen Vorwurf, dass ich keinen Pilgerstab mitgenommen hätte. Nie würde ich ohne ihn ins Haus gelangen und er schwang dabei prahlerisch einen schweren Knüttel, den er als Pilgerstab ausgab. Sollte ich einer solchen Waffe bedürfen, um in mein eigenes Wohnhaus zu gelangen? Aber dann leuchtete eine neue Erkenntnis in mir auf: Ich ging gar nicht dorthin; vielmehr, wir wollten den berühmten Jabes Branderham über den Text »Siebenzig Mal Sieben« predigen hören. Aber die »Erste vom Einundsiebenzigsten Mal« war von Joseph oder von dem Prediger oder von mir verbrochen worden und wir sollten dafür an den Schandpfahl gestellt und exkommuniziert werden.

Wir kamen zur Kapelle. Tatsächlich bin ich mehrmals daran vorbeispaziert. Sie liegt in einer Senkung zwischen zwei Hügeln, bei einem Sumpf, dessen feuchter Torfgehalt die darin liegenden Toten gewissermaßen einbalsamieren soll. Das Dach des Kirchleins hat bisher gehalten; aber es findet sich kein Geistlicher, da die Besoldung nur zwanzig Pfund jährlich beträgt, nebst freier Wohnung in zwei Zimmern, die bald in ein einziges zusammenstürzen werden. Seine Gemeinde ließe ihn eher verhungern, als dass sie seinen Unterhalt nur mit einem Pfennig aus ihrer Tasche verbessern würde. In meinem Traum dagegen hatte Jabes eine vollzählige und andächtige Gemeinde. Und er predigte – guter Gott, welch eine Predigt! Sie bestand aus vierhundertundneunzig Abschnitten, deren jeder einzelne einer ganzen Kanzelrede üblichen Umfangs entsprach und jedes Mal eine andere Sünde behandelte. Woher er so viele Sünden nahm, weiß ich nicht. Er hatte seine eigene Weise der Auslegung; förderlich war es für ihn ohne Zweifel, dass sein Nächster bei jeglicher Gelegenheit mehrere Sünden beging. Es waren höchst merkwürdige Vergehen darunter, von denen ich zuvor nichts geahnt hatte.

Wie müde ich davon wurde! Wie ich mich krümmte, gähnte, einnickte und wieder auffuhr! Wie ich mich selbst kniff, mir die Augen rieb, aufstand, mich wieder hinsetzte und Joseph anstieß, um zu erfahren, wann endlich Schluss sein würde. Aber ich war dazu verdammt, alles anzuhören, bis zur »Ersten vom Einundsiebenzigsten Mal«. Bei diesem Abschnitt durchdrang mich eine jähe Erleuchtung: Es trieb mich, aufzustehen und Jabes Branderham als den Sünder mit der Sünde zu bezeichnen, die kein Christ verzeihen darf.

»Sir«, rief ich, »ohne Pause sitze ich jetzt in diesen vier Wänden und ertrage und vergebe die vierhundertundneunzig Teile Ihrer Predigt. Siebenmalsiebenzigmal habe ich meinen Hut genommen, um wegzugehen, und siebenmalsiebenzigmal haben Sie mich sinnlos gezwungen, wieder Platz zu nehmen. Das vierhundertundeinundneunzigste Mal ist zu viel. Auf, ihr Leidensgenossen! Packt ihn, holt ihn herunter, reißt ihn in Stücke, damit die Stätte, die ihn kennt, ihn nicht mehr kenne!«

»Du bist der Mann!«, schrie Jabes nach einer feierlichen Pause und lehnte sich über die Brüstung. »Siebenmalsiebenzigmal hast du dein Gesicht zum Gähnen verzogen und jedes Mal habe ich mit meiner Seele Rat gepflogen: Siehe, dieses ist menschliche Schwäche, dieses soll vergeben sein. Nun ist die Erste vom Einundsiebenzigsten Mal gekommen. Brüder, vollstreckt an ihm das Urteil, wie es geschrieben steht. Solche Ehre werden alle seine Heiligen haben.«

Bei diesem Schlusswort fiel die ganze Gemeinde mit erhobenen Pilgerstäben über mich her wie ein Mann. Vollständig umzingelt, ohne Waffe zur Verteidigung, versuchte ich, meinem nächsten und wildesten Angreifer, Joseph, den Stock zu entreißen. In dem furchtbaren Gewühl gerieten die Knüppel durcheinander, auf mich gezielte Hiebe schmetterten auf fremde Köpfe herab. Die ganze Kapelle hallte und widerhallte von Schlägen und Gegenschlägen, ein Bruder kämpfte wider den anderen. Branderham, seinerseits nicht müßig, trampelte eifervoll auf dem Boden der Kanzel herum. Es dröhnte so gewaltig, dass ich zu meiner unaussprechlichen Erleichterung erwachte.

Und was hatte den schrecklichen Lärm verursacht, wer hatte die Rolle des donnernden Jabes gespielt? Es war nur der Zweig eines Tannenbaums, der vom Wind gegen mein Fenster geschlagen wurde, sodass die trockenen Zapfen seltsam prasselten. Ich lauschte einen Augenblick, bis ich den Grund der Störung entdeckte, drehte mich auf die andere Seite und begann wieder zu träumen, unangenehmer als zuvor, falls das möglich ist.

Dieses Mal war ich mir bewusst, dass ich in dem eichenen Verschlag lag. Deutlich unterschied ich den sausenden Wind, den Schneesturm draußen; ich hörte auch das peinigende Geräusch jenes Tannenzweigs. Obwohl ich wusste, es war nur der Baum, drängte es mich, dies dauernde Kratzen abzustellen. Mir war, als stände ich auf und mühte mich, den Fensterflügel aufzuhaken. Aber der Haken war in der Krampe festgelötet. Ich hatte es im Wachen bemerkt, doch im Traum wieder vergessen. Dies Geräusch muss aufhören, sagte ich mir. Ich stieß meine Faust durch das Glas der Scheibe und streckte den Arm aus, um den Zweig zu erreichen.

Stattdessen schlossen sich meine Finger um die Finger einer kleinen eiskalten Hand!

Das heftige Entsetzen des Albdrucks überkam mich. Ich wollte meinen Arm zurückziehen, aber die Hand draußen klammerte sich daran fest. Eine todtraurige Stimme schluchzte: »Lass mich herein – lass mich herein!«

»Wer bist du?«, fragte ich und versuchte verzweifelt, mich frei zu machen. »Catherine Linton«, antwortete es bebend. Warum dachte ich nur an Linton? Viel öfter als Linton hatte ich in der Bettlade Earn­shaw gelesen.

»Ich bin wieder da, bin wieder daheim, hatte mich im Moor verirrt.« Als es so sprach, nahm ich dunkel das Gesicht eines Kindes wahr, das durch die Scheibe schaute.

Das Entsetzen machte mich grausam. Da ich das Geschöpf nicht abschütteln konnte, drückte ich sein Handgelenk gegen das zerbrochene Glas. Ich rieb es hin und her und das Blut floss herunter und befleckte die Betttücher. Immer noch klagte es:

»Lass mich herein! Lass mich herein!« Mit zähem Griff hielt es mich fest und machte mich vor Schrecken fast wahnsinnig.

»Wie kann ich das? Lass mich los, wenn ich dich einlassen soll!« Die Finger lockerten sich. Ich zog meinen Arm durch das Loch zurück und türmte die Bücher davor auf. Dann hielt ich mir die Ohren zu, um das jammervolle Flehen nicht zu hören.

Eine Viertelstunde lang wartete ich so. Kaum aber horchte ich wieder hin, wimmerte und weinte es weiter. »Fort mit dir!«, schrie ich, »ich lasse dich niemals herein und wenn du zwanzig Jahre bettelst!«

»Zwanzig Jahre ist es her«, flüsterte die Stimme, »seit zwanzig Jahren bin ich heimatlos!« Ein schwaches Kratzen wurde hörbar. Der Bücherstapel bewegte sich, als wollte er hereinstürzen. Ich konnte nicht aufstehen, konnte kein Glied rühren. Gellend schrie ich auf.

Da merkte ich, dass mein Schrei nicht geträumt war. Schritte hasteten auf meine Tür zu, jemand öffnete sie mit einem heftigen Stoß und ein Licht schimmerte durch die Fenstervierecke meines Betts. Schaudernd saß ich da und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Der Hereingekommene zögerte, sagte halb flüsternd, als erwarte er keine Antwort: »Ist jemand hier?« Ich erkannte Heathcliffs Stimme und wollte mich lieber melden, damit er nicht überall herumsuchte. Ich schob die Täfelung auseinander und nie werde ich die Reaktion vergessen, die ich damit auslöste:

Heathcliff stand in Hemd und Hose an der Tür, die Kerze tropfte über seine Finger, sein Gesicht war weiß wie die Wand hinter ihm. Das erste Knarren des Eichenholzes, das ich verursachte, durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag. Das Licht flog ihm aus der Hand und seine Erregung war so groß, dass er sich kaum danach zu bücken vermochte.

»Ich bin es nur, Ihr Gast!« Ich wollte ihm die Demütigung ersparen, mich noch länger zum Zeugen seiner Schwäche zu machen. »Leider habe ich im Schlaf geschrien, da mich ein schrecklicher Albdruck aufregte. Ich bedaure sehr, Sie gestört zu haben.«

Er antwortete mit einem Fluch und stellte die Kerze, die er nicht ruhig halten konnte, auf einen Stuhl: »Wer hat Sie in dieses Zimmer gewiesen, Mr Lockwood?« Er bohrte seine Nägel in die Handflächen und biss die Zähne zusammen, um das Zucken seiner Kiefer zu unterdrücken. »Wer war das? Ich werfe ihn auf der Stelle aus dem Haus!«

»Es war Ihre Magd, Zillah.« Eilig erhob ich mich und suchte meine Kleider zusammen. »Ich hätte nichts dagegen, sie verdient es reichlich. Mir scheint, sie wollte auf meine Kosten wieder einmal beweisen, dass es an diesem Ort spukt. Allerdings! Hier wimmelt es von Geistern und Gespenstern! Sie haben ganz recht damit, ihn verschlossen zu halten. Für einen Schlaf in solcher Höhle wird Ihnen niemand Dank wissen.«

»Was meinen Sie damit? Was machen Sie da überhaupt? Legen Sie sich hin und bringen Sie die Nacht hinter sich, da Sie einmal hier sind. Aber seien Sie still, um des Himmels willen! Ein solches Geschrei wäre nur zu entschuldigen, wenn Ihnen jemand die Kehle durchschnitte!«

»Die kleine Unholdin hätte mich wahrscheinlich erwürgt, wäre sie durchs Fenster hereingekommen. Ich will die Verfolgungen Ihrer gastlichen Ahnen nicht noch einmal erdulden. Sagen Sie, war nicht der hochwürdige Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und diese Hexe Catherine Linton oder Earnshaw oder wie sie hieß, muss ein Wechselbalg gewesen sein, das kleine sündige Ding. Sie hat mir erzählt, seit zwanzig Jahren finde sie keine Ruhe auf Erden. Gerechte Strafe, vermutlich, für ihre Sünden in dieser Welt.«

Die Worte waren mir kaum entfahren, als ich mich erinnerte, wie eng Heathcliffs und Catherines Namen in jenem Buch miteinander verknüpft waren. Seit ich erwacht war, hatte ich das vollkommen vergessen. Ich errötete über meine Unüberlegtheit, ließ mir aber die Reue nicht anmerken und fuhr hastig fort: »Tatsächlich, mein Herr, habe ich den ersten Teil der Nacht damit zugebracht –«, wieder hielt ich inne, denn ich hatte sagen wollen: – in den alten Büchern dort zu lesen. Dann hätte ich verraten, dass ich den Inhalt, auch den geschriebenen, kannte. Ich fügte also lieber hinzu: »– den Namen zu buchstabieren, der immer wieder in den Fenstersims eingeritzt ist. Eintönige Beschäftigung, um mich einzuschläfern, ebenso wie durch Zählen oder –«

»Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?«, donnerte Heath­cliff. »Unter meinem Dach wagen Sie das? Herr im Himmel, er ist verrückt, dass er so redet!« Und er schlug sich wie rasend vor die Stirn.

Ich wusste nicht, ob ich eine solche Sprache meinerseits übel nehmen oder meine Erklärung fortsetzen sollte. Aber er war noch so stark bewegt, dass ich auf jeden Fall weiter reden musste. Ich versicherte ihm, dass ich den Namen Catherine Linton nie zuvor gehört hätte. Da ich ihn allenthalben las, habe er offenbar Gestalt angenommen, und schließlich sei meine Vorstellungskraft nicht mehr in meiner Gewalt gewesen. Während dieser Worte zog sich Heathcliff immer mehr in den Schatten des Betts zurück, setzte sich und war fast dahinter verborgen. An seinen unregelmäßigen Atemzügen merkte ich, dass er gegen einen furchtbaren Ausbruch ankämpfte. Um ihm nicht zu verraten, dass ich seine Gemütsbewegung wahrnahm, kleidete ich mich geräuschvoll weiter an und hielt nach einem Blick auf die Uhr ein Selbstgespräch über die Länge der Nacht:

»Noch nicht drei! Ich hätte geschworen, es sei schon sechs. Die Zeit steht hier still. Wir haben uns doch schon um acht hingelegt.«

»Um neun, im Winter. Um vier stehen wir auf«, sagte er, ein Stöhnen unterdrückend. Der Schatten seines Arms bewegte sich, als wischte er eine Träne aus dem Auge. »Mr Lockwood, Sie können in mein Zimmer gehen. In der Frühe würden Sie uns nur im Weg sein und Ihr kindischer Aufschrei hat meinen Schlaf verjagt.«

»Meinen auch«, antwortete ich. »Ich will im Hof umhergehen, bis zur Dämmerung, und dann abziehen. Sie brauchen nicht zu befürchten, dass ich hier nochmals eindringen werde. Jetzt bin ich von meinem Wunsch geheilt, Umgang zu suchen, sei es auf dem Land oder in der Stadt. Ein vernünftiger Mensch sollte Gesellschaft genug an sich selbst haben.«

»Herrliche Gesellschaft!«, murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie die Kerze und verfügen Sie sich, wohin Sie wollen. Den Hof vermeiden Sie besser, die Hunde sind nicht angekettet, und auch im Haus – da stellt Juno die Wächterin. Sie können sich nur im Treppenhaus und in den Gängen aufhalten. Weg, weg! In zwei Minuten komme ich!«

Ich verließ zwar das Zimmer, blieb aber draußen stehen, weil ich nicht wusste, wohin der schmale Flur führte. So wurde ich unfreiwillig Zeuge einer Anwandlung von Aberglauben, der in auffallendem Gegensatz zum sonstigen Gehaben meines Wirtes stand. Ich hörte ihn den Fensterflügel aufstoßen. Er brach in leidenschaftliche Tränen aus und schluchzte: »Komm herein, komm herein! Cathy, komm doch! Oh, komm nur noch ein einziges Mal! Oh, Liebste! Catherine! Diesmal endlich höre mich!«

Das Gespenst zeigte sich launisch, wie Gespenster sind. Es gab kein Zeichen seines Daseins, nur Schnee wirbelte herein und Wind, sogar bis zu meinem Standort, wo er das Licht erlöschte.

So viel Leid schwang in seiner Klage, dass mein Mitleid die Närrischkeit seines Gestammels übersehen wollte. Ich ärgerte mich, dass ich gelauscht, aber auch, dass ich ihm meinen lächerlichen Albtraum erzählt hatte, der solche Qual ausgelöst hatte. Warum, begriff ich freilich nicht. Vorsichtig stieg ich in die unteren Räume hinab und landete in der Küche, wo ich mit der zusammengescharrten Glut meine Kerze wieder anzündete. Nichts regte sich, außer einer grau gefleckten Katze, die aus der Asche kroch und mich mit kläglichem Miauen begrüßte. Ich streckte mich auf einer der Bänke aus, die den Herd im Halbkreis umschlossen; das Tier sprang auf die andere.

Wir schlummerten beide, als uns Joseph in unserm Unterschlupf aufstörte. Schlurfend kam er eine Holzleiter herunter, aus einer Dachluke, die vermutlich der Ausgang seiner Dachkammer war. Er warf einen schiefen Blick auf die Flamme, für deren Erhaltung ich gesorgt hatte, stieß die Katze von der Bank, setzte sich an ihre Stelle und begann, eine dreizöllige Pfeife mit Tabak zu stopfen. Meine Anwesenheit in seinem Heiligtum galt ihm offenbar als eine zu schmähliche Aufdringlichkeit, um sie auch nur zu bemerken. Schweigend schob er die Pfeife zwischen die Lippen, kreuzte die Arme und paffte vor sich hin. Ich gönnte ihm diesen Genuss bis zum letzten Zug, den er mit einem tiefen Seufzer begleitete. Dann erhob er sich und verschwand ebenso weihevoll, wie er gekommen war.

Leichtere Schritte näherten sich und traten ein und ich wollte schon »Guten Morgen« sagen, unterließ es jedoch, denn Hareton Earnshaws Morgengruß äußerte sich sotto voce durch eine Reihe von Flüchen gegen jeden Gegenstand, den er berührte. Er suchte nach Spaten oder Schaufel, um den Schnee wegzuschaffen. Dabei starrte er mit geblähten Nüstern über die Lehne der Bank herüber und bedachte mich ebenso wenig mit irgendeiner Höflichkeit wie meine Gefährtin, die Katze. Aus seinen Vorbereitungen schloss ich, dass man jetzt hinausgehen dürfe. Als er bemerkte, dass ich ihm folgen wollte, zeigte er mit dem Ende seines Spatens auf eine ins Innere führende Tür. Mit einem wortlosen Knurren deutete er an, ich müsse dort hineingehen, wenn ich meinen Platz zu wechseln wünsche.

Drinnen waren die Frauen schon auf den Beinen. Mit einem mächtigen Blasebalg fachte Zillah das Feuer im Kamin an, dass die Funken sprühten. Daneben kniete Mrs Heathcliff und las beim Schein der Flammen in einem Buch, wobei sie die Augen mit der Hand schützte. Sie schien sehr vertieft in ihre Tätigkeit und unterbrach sie nur, um die Magd zu schelten, wenn die herumfliegenden Funken sie beim Lesen störten, oder um einen Hund wegzustoßen, wenn der ihr zu dicht am Gesicht herumschnüffelte. Zu meiner Überraschung war auch Heath­cliff da. Er stand am Feuer, mit dem Rücken zu mir, und kam gera­de zum Ende der stürmischen Szene, die er Zillah gemacht hatte. Sie unterbrach einige Male ihre Arbeit, hob den Zipfel ihrer Schürze und ließ einen entrüsteten Seufzer hören.

»Du nichtswürdiges –!«, brach er, bei meinem Eintritt, gegen seine Schwiegertochter los, mit einem Schimpfwort wie Gans oder Schaf, das man im Buch durch einen Gedankenstrich zu ersetzen pflegt. »Beschäftigst dich wieder mit deinem nutzlosen Zeug! Die anderen verdienen ihr Brot, du aber lebst von meiner Gnade! Leg deinen Kram weg und tu etwas Vernünftiges. Du sollst dich revanchieren für die Plage, die es heißt, dich ewig vor meinen Augen zu haben! Hörst du, schändliches Frauenzimmer?«

»Ich will meinen Kram weglegen, weil du mich dazu zwingen kannst.« Die junge Dame schlug ihr Buch zu und warf es auf einen Stuhl. »Aber sonst mache ich nur, was mir beliebt und wenn du dir die Zunge aus dem Mund fluchst.«

Heathcliff hob die Hand und das Mädchen, wahrscheinlich mit deren Wucht vertraut, brachte sich in Sicherheit. Um in diesen Kampf von Hund und Katze nicht hineingezogen zu werden, trat ich rasch an den Kamin, als wollte ich mich nur wärmen und als ahnte ich nichts von einem Streit. Sie hatten beide Takt genug, die Feindseligkeiten einzustellen. Heathcliff steckte die Fäuste lieber in die Taschen und Mrs Heath­cliff schritt mit gekräuselten Lippen auf einen entfernten Stuhl zu. Solange ich anwesend war, verharrte sie dort, ihrer Ankündigung getreu, untätig wie eine Bildsäule. Ich lehnte die Teilnahme am Frühstück ab und suchte beim Grauen des Tags die erste Gelegenheit, um in die frische Luft zu entkommen, die nun klar war und still und eisig kalt.

Bevor ich das Ende des Gartens erreicht hatte, rief Heathcliff hinter mir her und bot mir seine Begleitung durch das Moor an. Das war zu meinem Glück, denn der ganze Hügelrücken glich einem einzigen weißen Meer. Die Höhen und Tiefen entsprachen nicht mehr den Hebungen und Senkungen des Bodens. Viele Gruben waren bis obenhin zugeschneit; ganze Reihen von Hügeln, Überreste des Steinbruchs, waren aus dem Landschaftsbild, wie ich es von meinem gestrigen Spaziergang in Erinnerung hatte, hinweggewischt. Auf der einen Seite des Wegs hatte ich in Abständen von sechs bis sieben Metern aufrecht stehende Steine bemerkt, deren Linie sich durch die ganze Einöde zog. Sie waren mit Kalk angestrichen, um im Dunkeln als Führer zu dienen, oder falls starker Schneefall den Unterschied zwischen dem tiefer gelegenen Sumpf zu beiden Seiten und dem festen Weg tilgen würde. Aber außer einem hin und wieder sich abzeichnenden schmutzigen Fleck war auch von ihnen keine Spur mehr zu sehen. Mein Begleiter musste mich ständig nach rechts oder links weisen, während ich genau den Windungen der Straße zu folgen meinte. Wir sprachen wenig und am Eingang zum Park von Thrushcross kehrte er um, denn nun könne ich mich nicht mehr verirren. Unser Abschied beschränkte sich auf eine eilige Verbeugung, und da die Pförtnerwohnung noch nicht vergeben ist, ging ich weiter, mich auf mich selbst verlassend. Aus den zwei Meilen vom Tor bis Grange machte ich vier, denn ich irrte zwischen den Bäumen umher und versank bis zum Hals im Schnee, ein Zustand, den nur diejenigen wirklich zu schätzen wissen, die ihn auch einmal erleben durften. Jedenfalls schlug die Uhr zwölf, als ich das Haus betrat, was genau einer Stunde für jede Meile der tatsächlichen Entfernung von Wuther­ing Heights entsprach.

Der menschliche Teil meiner Einrichtung und ihr Gefolge rannten zu meiner Begrüßung herbei, mit großem Geschrei: Sie hatten mich schon vollkommen aufgegeben, ich musste in dieser Nacht umgekommen sein und sie hatten nur noch nicht gewusst, wie sie die Suche nach meinem Leichnam aufnehmen sollten. Ich bat sie, sich zu beruhigen, nun da ich wieder anwesend sei, und schleppte mich, vor Kälte steif bis ins Herz, die Treppe hinauf. Als ich trockene Kleider angezogen hatte und eine Dreiviertelstunde lang hin und her gegangen war, um die kreatürliche Wärme wieder herzustellen, verfügte ich mich in mein Arbeitszimmer. Ich war noch immer zu schwach, um mich von Herzen an dem lustigen Feuer und dem dampfenden Kaffee zu erfreuen, den die Dienerin mir zur Stärkung bereitet hatte.

4. Kapitel

Was für eitle Wetterhähne sind wir! Ich hatte doch beschlossen, mich von allem geselligen Umgang fernzuhalten – und meinem Stern dafür gedankt, dass ich endlich an einen Ort gekommen war, wo ich diesen Wunsch vielleicht verwirklichen konnte. Ich, unglückselig schwach wie ich bin, kämpfte bis zum Beginn der Dämmerung gegen Trübsinn und Einsamkeit an und musste die Segel streichen. Unter dem Vorwand, dass ich Auskünfte über den Haushalt benötigte, ersuchte ich Mrs Dean, die mir das Abendbrot brachte, sich während des Essens zu mir zu setzen. Inständig hoffte ich, sie würde sich als regelrechte Klatschbase erweisen und mich mit möglichst viel Geschwätz entweder aufmuntern oder schläfrig machen.

»Sie wohnen schon lange hier, sechzehn Jahre lang, sagten Sie?«, begann ich.

»Achtzehn, Sir. Als die gnädige Frau heiratete, kam ich her und als sie starb, behielt mich der Herr als Haushälterin.«

»So, so.«

Eine Pause folgte. Sie war also keine richtige Schwätzerin oder nur über ihre eigenen Angelegenheiten, die wohl kaum von Interesse für mich sein würden. Aber als sie eine Weile nachgedacht hatte, eine Faust auf die Knie gestützt, tiefes Grübeln in dem rotbäckigen Gesicht, rief sie endlich aus:

»Ach, wie sich die Zeiten inzwischen geändert haben!«

»Sie haben gewiss mancherlei Wandlungen erlebt?«

»Allerdings, und auch viel Unglück.«

Ich dachte: ›Ich werde das Gespräch auf die Familie meines Verpächters bringen. Ein guter Gegenstand für den Anfang. Und auf die hübsche, mädchenhafte Witwe; ich möchte ihre Geschichte kennen. Ob sie aus der Gegend stammt oder, weit wahrscheinlicher, ein exotisches Gewächs ist, das die beschränkten Einheimischen nicht als Verwandte anerkennen wollen.‹ Also fragte ich Mrs Dean, warum Heathcliff Thrushcross Grange verpachtet habe und warum er selbst eine so unansehnliche Wohnung und Lebensweise vorziehe. »Ist er nicht reich genug, um dieses Besitztum instand zu halten?«

»Reich, Sir?«, gab sie zurück. »Er hat wer weiß wie viel Geld und jedes Jahr wird es mehr. O ja, er ist reich genug, um in einem noch viel schöneren Haus zu leben als diesem. Aber er ist knauserig, er hält sozusagen die Taschen zu. Wäre er hierhergezogen und hätte plötzlich von einem guten Pächter gehört, es wäre ihm unerträglich gewesen, auf ein paar Hunderter verzichten zu müssen. Sonderbar, wie Leute so geizig sein können, wenn sie in der Welt allein stehen.«

»Er hatte doch einen Sohn?«

»Stimmt, den hatte er – aber er ist tot.«