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Das Schönste am Urlaub ist das Heimkommen... Wer schon immer wissen wollte, wie man durch Deutschland mit dem Pferd kommt oder wie exzessiv unsere deutschen Senioren unterwegs sind, der liegt mit diesem Buch genau richtig: Die hinreißend komischen Geschichten von Comedy-Autor Thomas Baumann erzählen zum Beispiel auch von der längsten Reise mit der Straßenbahn und vom Landweg nach Australien. Und er fragt sich, wie man eigentlich Reiseweltmeister wird und wo genau man mit einem Zufallsflug landet... Kurz gesagt: die perfekte Reiselektüre!
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Seitenzahl: 316
Thomas Baumann
Endstation Reisen
Daheimbleiben kann jeder!
Edel eBooks
EinleitungEin paar wirklich warme Worte, um Sie auf das Thema dieses Buches hängemattenschaukelnd einzustimmen.
Lass dich überraschenWenn der Weg das Ziel ist, muss man das Ziel ja nicht kennen. Ergebnis: Albanixhe Gliggsspill, ein Plastikdrache und ein Bett im Flur.
Laabs Kowalski und die Reise der Lampenschirme»Die Reise der Lampenschirme durch den Kongo«, ein literarisches Meisterwerk des deutschen Charles Bukowski.
Die zehn besten ReisebücherWas Altes, was Neues, was Geliehnes und was Bläues.
Zigeuner – im Fahren erfahrenIm Amtsdeutsch heißen sie »Personen mit häufig wechselndem Aufenthaltsort«. Und sie fahren nicht in Wellnesshotels.
Koffer – 8 Ecken, 2 Räder, 0,3 PS»Rdl-rdl-rdl«. Sag mir, was du ziechst, und ich weiß, wohin du fliechst.
Romuald und das rollende HotelMitreisende sind ausschließlich dazu da, damit man unterwegs nicht so alleine ist.
DDDDR: Durften Die Da Drüben Reisen?Die gegen die Wand laufen. Geschichtsstunde Ost.
GPS: »Sie haben Ihr Ziel erreicht.« Aber keinen Parkplatz.Wenn es nach Cook & Co. ginge, hätte das mal jemand ein bisschen früher erfinden können.
Kann Milchkaffee böse sein?Stillose Trinkgewohnheiten, Achtlos Rausgeschmissenes Bares Und Chronisch Kariöse Zähne.
Chirurgiereisen – Durchblick durch WeitblickEinmal Blinddarm komplett, fünf Zahnkronen und ’ne Fettabsaugung … die teilen wir uns aber.
FundsachenversteigerungReisen ohne Gepäck, sich vor Ort einen neuen Koffer kaufen mitsamt neuer Garderobe und Zahnbürste – nur Fundsachenversteigerungen sind schöner.
Tod auf MallorcaViele Menschen verreisen, um etwas zu erleben. Nur einer nicht, der träumt vom Ersterben.
Platz daDie Geschichte der Perry-Rhodan-Hefte muss neu geschrieben werden, wenn die erste Reisegruppe an Raumstation Alpha klopft und nur mal kurz austreten will.
Raucherreisen?Dampfloks sind abgeschafft, Auspuffe immer sauberer, aber diese Menschen und ihre Friedenspfeifen und Glimmstängel …
Die TranssibDie Mutter aller Züge, der Messias Sibiriens, die Bibel der Sockenauslüfter.
NichtreisendeNicht aus Versehen, schon gar nicht aus Trotz, sondern wohlüberlegt ist für eine exotische Minderheit das Ziel weg und der Weg weg.
DO NOT DISTURB!Unbekannte Inseln, die absolute und endgültige Form des Fremdortaufenthalts. Kein Stress, keine Termine, kein Kellner.
WinkanleitungUnsere Abschiedsrituale reichen manchem Menschen zur Qual, darum brauchen wir eine Winkanleitung – ins Bild gebracht von Frank aus Duisburg.
TV – sonnenklar?Das ganze Fernsehen quillt über vor Reisedokus … das ganze Fernsehen? Ja, das ganze Fernsehen!
Auf und ganz weit davon – Urlaubsvideoswww.myvideo und die Sehnsucht nach Erfindung der digitalen Videokamera.
»Konuk-Terraz«Eine Besucherterrasse, ein Billigflieger und ein ehrenamtlicher Stadtführer durch Köln.
KreuzfahrtschifftestertesterSchiffe dienen Fischern zum Fischen oder transportieren Menschen oder Waren von A nach B. Nur manche eiern und torkeln durchs Meer wie nach der Buddel voll Rum.
Die ReisepriesterinSind Hippies nicht ausgestorben? Ausgestopft? Nein, nur ausgewandert.
Hit the road, Jack!Wie sieht eine Stadt durch das Fenster eines Tourbusses aus, vom Rand einer Bühne, vom Fenster eines zerdepperten Hotelzimmers?
Der HandlungsreisendeSchuhbürsten, Staubsaugerbeutel und Handcremes sind out. Promoter sind in.
Südtangente, Dreiecksflug und Kegelausflug?Vor 10 000 Jahren ersannen Menschen das Reisen, vor 4000 Jahren ersannen sie die Geometrie, und erst letzten Mittwoch fügten sie beides zusammen.
Kreisverkehr mit SelbstgesprächFür den Bus gibt’s die Viererkarte, für die U-Bahn das Schülerabo. Und ein einziges Ticket für die ganze Welt.
Richtung egal, Tempo egalBallonfahren – ohne Räder, ohne Segel, ohne Motor und ohne Ruder. Reisen mit Antriebsschwäche.
Herbert FeuersteinEiner der großen Kilometerfresser unserer Zeit. »Groß« im übertragenen Sinn.
Verwirrt, verratzt, verschiedenWer zahlt eigentlich dem Honorarkonsul sein Honorar? Der kleine Mann, auf großer Fahrt.
Paranoia vor der AbfahrtSchuhe zugebunden, Blumen gegossen, die Katze tiefgefroren – aber irgendwas fehlt …
Die sich mit Geländewagen ins Gelände wagenGastkapitel von Matthias Penzel (zurzeit offroad).
Straßenbahn durchs RuhrgebietNoch nie so billig so malerisch so weit gekommen. Und dabei so ewig gebraucht.
Der unwahrscheinliche Fall eines DruckabfallsDen »Verein der Nichtflieger« gibt es nicht, aber den »Klub der Abgestürzten« erst recht nicht.
Kompass zu KompostSuchen Sie mal nach der schnellsten Route von Spanien nach Amerika – Sie werden staunen, was Kolumbus für ein schlechter Navigator war. Auch ohne Feierabendstau.
Afrika-Reporter (ein Süchtiger)Ein weißer Massai, zwei Kudu-Schnitzel und amharische Nachrichten.
New-York-VorhersageEine Landzunge mit einem zentralen Park und einem Grund null – ein Muss oder ein Mussnichtunbedingt?
Die vierte Dimension – AstralreisenGroße Distanzen für ganz kleines Geld. Nix wie weg mit nix in der Tasche. Fast ganz ohne Drogen.
Im Bahnstreik nach RusslandMan nehme: einen Mauerfall, reichlich Tarifverhandlungen und eine Tasche mit 25 Kilo Aldi-Dosen.
TortourismusmesseIn der Hoffnung, mir einen schicken neuen Touristen zu besorgen – mein alter war arg abgewetzt –, besuchte ich die Stuttgarter Tourismusmesse. Und wurde enttäuscht.
So weit die Hufe tragenKeine Anschnallpflicht, keine beschlagene Windschutzscheibe, aber kein Radio – Urlaub zu Pferd hat auch Nachteile.
Reisende in Roadmovies oder: Born to be PauschaltouristGastkapitel von Roger Schmelzer über unsere Kinolieblinge on the road.
Der Bundestourismusbeauftragte rätWenn es nach Ernst Hinsken ginge, wird jeder von uns bald drei indische und fünf chinesische Familien holidayhalber unterbringen müssen.
TiertourismusDie Wunder der Natur: Viehwaggons sind von gestern, Schweinelaster verpönt – das Tier von Welt reist mit purer Muskelkraft.
Der ReiseforscherDenken Sie bei Ihrem nächsten Glas Wodka-Gnumilch on the rocks in Daressalam bei angenehmen 44 Grad daran, dass er jederzeit hinter ihnen sitzen könnte.
Bloß nicht am Bahnhof rumstehen!Planet: Erde. Reiseziel: Deutschland: 46 000 Hotels, 5000 Autovermietungen. Kaum Strände. Einheimische: kriegerisch, haben aber noch nie einen außerirdischen Besucher verletzt.
Losfahren bis … zum Gehtnichtmehr?Abfahrt. Wuppertal. Einsteigen. Zündung. Gas. Kupplung. Ab und zu schalten und tanken. Bremsen. Ankunft. Wellington. Aussteigen. Hinlegen. Erst mal schlafen.
Nachwort & Danksagung
Für Lieselotte Baumann (1929–2008)
Die überraschendste Fernsehsendung ist die Lottoziehung, Fußball ist der vielseitigste Sport, Frauen sind die elegantesten Menschen und Männer die albernsten, aber Reisen … Reisen ist alles zusammen. Gerne alles gleichzeitig.
Und was heißt Reisen? Ganz einfach: Reisen heißt von A nach B fahren, aber nicht in B bleiben wollen. Und von C träumen.
Egal ob weitoderkurz und heißoderkalt und Bergodertal – Reisen macht süchtig. Denken wir mal an diesen Südafrikaner, der nur per Muskelkraft die Welt umrundet hat. Der musste doch einen Grund gehabt haben. Oder dieses Schweizer Paar, das seit 1984 ununterbrochen durch die Welt fährt, jeden Tag auf Reisen, 365 Tage im Jahr. Würden wir denn das Gegenteil aushalten, 25 Jahre lang nur arbeiten, 365 Tage im Jahr placken, jeden Tag »Mahlzeit« sagen?
Manchmal verreisen Leute mit sonderbaren Verkehrsmitteln, gelegentlich ist das Ziel merkwürdig, manche Reisen sind sehr, sehr kurz, und manche finden überhaupt nicht statt! Oft gibt es unterwegs ungeheure Überraschungen, manchmal unterwegs überraschende Ungeheuer.
Wir tauschen unseren ständigen Wohnort zeitweilig mit einem anderen, wir wachen in einem fremden Bett auf, und wir tun tagsüber Dinge, die uns zu Hause nicht im Traum einfallen würden. Hochseefischen, Tiefschneefahren, Sumpftouren. Die ganz Mutigen gehen sogar ins Museum.
Menschen unterwegs schlafen auch mal auf einem Stromkasten, unter einem Auto, im Wohnmobil, auf Gleis 1 am Bahnhof, in einer Tankstelle, auf einem Kartoffelacker – ich spreche aus Erfahrung (okay, das mit dem Wohnmobil ist erfunden).
Aber wieso reisen gerade Sie und ich wie besessen durch die Gegend um uns herum und rund um die Welt? Wir sind das zentralste Land Europas. Wir haben die meisten Einwohner Europas. Wir haben von allen europäischen Ländern die meisten Nachbarländer. Wir haben ein bisschen Geld übrig und die meisten Urlaubstage dazu, wir haben gar keine andere Wahl, als Reiseweltmeister zu sein!
Bei uns im Land gibt es Baustellentouristen, Leute, die in ihrer Freizeit dorthin fahren, wo Gebäude abgerissen werden. Lottospieler nennen als häufigsten Wunsch, falls sie sechsmal richtig tippen: Reisen. Und wir erheben ein Monopol auf das Wort »Individualtourismus«. Kein Mensch weiß, was das ist, aber wir können es am besten.
In diesem Land gibt es mehr Reiseexperten als Fußballnationaltrainer. Also mehr als Einwohner!
In der Marine werden die Seeleute teilweise heute noch geweckt mit den Worten: »Reise, Reise!« Nicht weil der Maat für Neckermann jobbt, sondern das alte Friesenwort »Reise!« heißt einfach: Aufstehen, erhebt euch!
Vielleicht können wir unseren Auslandsaufenthalt noch ein wenig ausdehnen. Kennen Sie Haustausch? Sie wohnen im Haus von wildfremden Leuten und die wildfremden Leute zur gleichen Zeit in Ihrem Haus. Nun gibt es 82 Millionen Deutsche, und der indische Bundesstaat Andhra Pradesh hat rein zufällig ebenfalls 82 Millionen Bewohner. Na ja, was soll ich noch sagen: Das Essen dort ist billig, es ist viel wärmer, und abends kommt nicht Beckmann. Sollen wir …?
Dieses Gedankenspiel zeigt, wie wunderbar irre das Reisen in Wahrheit ist. Der Tourist sucht genau dasselbe wie zu Hause, der Reisende genau das Gegenteil.
Und Reisende finden alles Mögliche, nur nicht das, was sie gesucht haben. Lustige Länder, wüsteste Tänze, brennend scharfe Speisen aus Tieren, deren Identität man lieber nicht wissen will. Aber vor allem anderen geht es ihnen um die Menschen, um all diese wunderbaren Irren, denen man auf Reisen begegnet – dieses Buch ist voll davon.
»Reiseführer gehören verboten.«
Günter Heinzel ist Philosoph und Filmregisseur. Er muss alleine von Berufs wegen solche Sachen sagen.
»Vergiss Lonely Planet.«
Ich will einwenden, dass es ja an einem selbst liegt, wie man mit Reiseführern umgeht, werde aber scharf zurechtgewiesen.
»Vergiss Reiseführer grundsätzlich. Irgendwelche Infos brauchst du ja wahrscheinlich, das schon. Aber ich habe es an mir selber festgestellt, was auf Reisen passiert. Ich weiß zu viel! Und ich bin im Kopf unwillkürlich dabei, eine Checkliste abzuhaken: Was stimmt, was stimmt nicht, was ist ganz anders, was entdecke ich selber, was haben tausend andere vor mir entdeckt und so weiter, und so weiter. Ohne Reiseführer ist plötzlich ein ganz anderes Sehen da, ein Erfahren in der Fremde.«
Ich werfe ein, dass es aber albern ist, Wissen, das man hat, künstlich zu verstecken. Günter gibt jetzt alles:
»Nee, finde ich nicht. Du verweigerst ja nur im Vorfeld. Wenn du gar nicht verreisen würdest, weil du sagst, ich weiß zu viel, das wäre beschissen, damit fickst du dich ins eigene Knie. Wenn du aber sagst, ich will vorher so wenig wie möglich wissen, ist das gut. Das ist, wie sich keine Filmtrailer anzusehen und nur ganze Kinofilme zu sehen. Man muss sagen: Ich möchte so frisch wie möglich an was ran, was ja eh fast unmöglich ist, und dann machst du deine Erfahrungen, dann geht es wieder.«
Wieder habe ich den Beweis bekommen, dass wir alle Reiseexperten sind. Denn ich habe mir die Frage gestellt, ob es Überraschungsreisen gibt. Und Günter hat mir rein theoretisch bestätigt, dass dem so ist. Nun wollte ich den praktischen Test machen. Nein, nicht indem ich mit verbundenen Augen schlangenlinienfahrend in ein Flughafenterminal hineinbrettere und »Nehmt mich mit, egal wohin!« kreische.
Ganz offiziell gehört der Begriff Glücksreisen dem Veranstalter TUI. Auch die Begriffe Spar-, Joker-, Roulette- und Fortunareisen finden Verwendung. Hier geht es um Pauschalreisen der Kategorie »wurstegal, Strand her«. Wobei das »egal« meistens nur bis dorthin reicht, wo Verbrauchermagazine mit der Kamera auf Schimmelflecken in Duschwannen zoomen und damit komplette Vorabendmagazine füllen. Wichtig ist, nicht zu wissen, welches Idiom am Urlaubsort gesprochen wird und mit welcher Währung man seine Pommes »Bahnschranke« bezahlt.
Ich wollte herausfinden, wie es ist, an einen Ort zu reisen, von dem man gar kein Bild hat. Der Prozess war merkwürdig, kompliziert und lustig, denn wir sind bis oben hin voll mit Bildern und Klischees. Kurzum, ich kam auf Moldawien. Oder was wissen Sie über Moldawien?
Martin, ein befreundeter Computerspezialist, hatte mal erzählt, seine Großeltern stammten von dort und dass ihm jeder x-beliebige Vorwand recht wäre, sich das mal anzusehen. Martins Antwort – Antwortdepesche möchte ich fast sagen – lautete folgendermaßen:
»Grossny Baumann! Ixch Vammillien-Fatter. Albanixhe Gliggsspill niggs gebracht. Was zirrlixhe Naggen in Land von Urrgrossfatter gefärrlixhe Spill bringn? Im Ernst: sehr geehrt, große Lust, aber FC Spontan wegen Stadionumbaus gerade indisponiert. Außerdem dabei, den heißen Atem der digitalen Mittelschicht zu kontemplieren, ohne Taschentuch und ohne in Ohnmacht: eine Aufgabe, Donner nix dagegen. Luft frühestens ab 15. Juli. Und selbst dazu erst min soyten Wyb befragen.«
Vielleicht sollte ich doch mit TUI nach Kreta?
Zwischenzeitlich kam mir zu Ohren, dass in Moldawien derzeit kein richtiges Staatswesen existiert, dass Touristen weithin unbekannt seien, dass es Räuber, Freischärler und Abtrünnige gebe, und ich wollte etwas erleben, nicht ableben.
Also weiter nach Osten im Diercke-Atlas: Georgien. Es war, einige Wochen bevor der Konflikt mit Russland ausbrach!
Warum nicht? Außer dem Minimalwissen, dass es dort großartigen Rotwein und noch größerartigen Branntwein gibt, wusste ich nichts.
Ein kurzer Blick in die Reisetipps des Auswärtigen Amts: »Russland hat alle Verkehrsverbindungen von und nach Georgien unterbrochen … Die Lage im Land ist insgesamt ruhig, aber nicht in allen Landesteilen stabil. Abchasien: Sicherheitslage prekär … nicht gekennzeichnete Minenfelder … grundsätzlich für den internationalen Reiseverkehr gesperrt. Oberes Kodori-Tal: immer wieder bewaffnete Angriffe durch unbekannte Kräfte. Südossetien: Die Sicherheit von Reisenden ist nicht gewährleistet. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit Schießereien. Westmegrelien (Umgebung von Sugdidi): Hier besteht aufgrund der hohen Zahl von Vertriebenen aus Abchasien und der damit verbundenen sozialen Spannungen sowie der Nähe des Konfliktgebietes ein Risiko von Übergriffen. Besondere Vorsicht ist daher geboten. Pankisi-Tal: etwa 1500 tschetschenische Flüchtlinge. Sicherheitslage unübersichtlich. Swanetien: erhöhte Sicherheitsgefährdung durch bewaffnete Raubüberfälle. Die Sicherheitslage in dieser Hochgebirgsregion hat sich zuletzt stabilisiert. Von Erkundungen auf eigene Faust wird aber weiter dringend abgeraten.«
Und danach kam das Kapitel über Kriminalität. Okay, Georgia off my mind.
»Wir wissen nicht, welches Nettoeinkommen die Nutzer von Billigfliegern haben. Die werden sich so zusammensetzen wie beim Blind Booking. Die Art Flexibilität und auch Abenteuerlust zum, äh … Scheiße!«
Ich gebe zu, für Pressedamen, die im ersten Satz »wir wissen nicht« sagen und sich dann verhaspeln und fluchen, Sympathie zu hegen. Diese Pressedame ist von einem Billigflieger, der sogar Chancen hat, noch zu existieren, wenn dieses Buch gedruckt … Moment mal, was war das eben: »Blind Booking«?
»Blind Booking sind Überraschungsflüge zum Festpreis. 19 oder 49 Euro. Je nachdem von wo, je nachdem wohin: Party oder an den Strand oder die Kulturecke.«
Und wer macht so etwas?
»Ohne dass wir richtige statistische Daten hätten: Blind-Booking-Bucher sind Leute, die Spiel, Spaß und Spannung bevorzugen, die überrascht werden wollen. 19 Euro, das ist mit dem Auto teurer, mit dem Flieger eh, und sogar zu Fuß. Entweder ich muss früh buchen oder nehmen, was übrig ist. Wer zuerst kommt, mahlt.«
Meine Buchungsnummer heißt M791UZ. Donnerstags werde ich hinfliegen, samstags zurück, also an verkehrsschwachen Tagen. Dabei weiß ich noch gar nicht, wohin!
Ich habe mich für die Themengruppe »Stadt Osteuropa« entschieden, weil ich da wenig kenne. Für jeweils 5 Euro habe ich die Reiseziele Prag und Riga ausgeschlossen und zahle somit für Hin- und Rückflug inklusive aller Gebühren 48 Euro. Die Deutsche Bahn würde mich für diesen Preis von Erfurt nach Halle und zurückgondeln.
Es kann Zagreb sein, Sofia, Budapest, Warna, und ich öffne die E-Mail, und es ist … Katowice! Super, Katowice in Polen! Ähm, und was ist da genau?
Es ist wie ein Befehl von oben, dass ich nach Polen fliege, denn Ewa, eine polnische Bekannte, beobachtet zutreffend: »Die Daitsche fahre immer wohin und vorhäar kucken, was alläs gibt. Fir was? Musst wohin fahren und schauen, was da gibt. Ist viel schänar.«
Am Kölner Flughafen sitzt im Wartebereich am Gate ein altes Paar, das einer Nonne Schwarz-Weiß-Fotos zeigt, vermutlich von dem Ort, wo jemandes Wiege stand. Ich riskiere aber nicht zu fragen. Stattdessen sehe ich mich am Bücherstand gegenüber bei den Reiseführern um. Kattowitz kann ich nicht entdecken, aber mehrfach Kraków. Ich erinnere mich grau, dass das in der Nähe liegt, aber nein: Keine Vorinfos, die Überraschung soll ja noch ein bisschen halten.
Eine halbe Stunde bevor das Gate geöffnet wird, stehen sie wie Kühe an, trotz nummerierter Plätze. Im Fußballstadion wird eine halbe Stunde vor Anpfiff wenigstens laut und unflätig gesungen. Dafür entpuppt sich nach dem Losfliegen eine Urkölner Seniorengruppe als Ansammlung ausgewachsener Spaßgranaten. Die greise Dame direkt hinter mir leidet offensichtlich unter mittelprächtiger Flugangst, was den Rentner neben ihr anfeuert, zu jubilieren und zu krakeelen nach der Gesetzmäßigkeit: Je bleicher sie wird, desto lauter wird er. Wie ein Dreijähriger quietscht er: »Hoooo … epp-paaaa, uuund jetzt linksrum. Uuuun jetzt jeit et rückwääärts. Un jetzt jeit et abwäääärts.« Und tatsächlich bollern wir gegen dicke Wolken und sacken in kleine Luftuntiefen.
Nur etwa jeder Fünfte kauft ein Getränk oder Essen, der Beweis, dass bei der ansonsten üblichen Gratisverteilung nur aus Langeweile gegessen und getrunken wird.
Mitten im Flug, nach einer guten Dreiviertelstunde, meldet sich der Heiopei aus der Pilotenkanzel und begrüßt uns an Bord. Als wäre man mit einer flüchtigen Bekanntschaft mitten im Geschlechtsverkehr und fragt kurz vor dem Orgasmus: Zu mir oder zu dir?
Ich frage das polnisch-kaschubische Paar neben mir, was ich in Kattowitz machen soll. Und sie sagen mir: Gar nichts, weiterfahren. »Nach Częstochowa, das ist Tschenstochau, ja? Oder Auschwitz, na ja, wissen Sie. Oder Wieliczka, das ist Salzbergwerk. Oder Zakopane, ja? Oder am besten Kraków, das ist daitsch Krakau, ja?« Und sie empfehlen mir, niemanden auf Deutsch anzusprechen, sondern immer erst englisch zu sprechen.
Kattowitz ist unter den Flughäfen das Eisenhüttenstadt, nur neuer. Davor stehen zwei Kleinbusse, einer nach Kattowitz, was wohl wirklich eine passende Partnerstadt für Herne wäre, und einer nach Kraków. Vor der Abfahrt, die sich danach zu richten scheint, wann der Bus mit Fahrgästen voll ist, raucht der Fahrer noch eine, dann qualmt ein Fahrgast noch eine, dann dampft der Fahrer noch eine, dann raucht ein anderer Fahrgast noch eine, und dann fahren wir ab, nachdem wir alle noch eine gequarzt haben.
Für 15 Euro nach Kraków. Für lau ein Sitznachbar aus Griechenland, Erasmus-Student, ungeheuer gut aussehend. Er hatte die Ouzo-Idee, in Athen Deutsch zu studieren, erklärt mir auf der gut einstündigen Fahrt die Welt: Dass polnische Gastarbeiter in Griechenland (Sachen gibt’s!) durchaus einen guten Ruf hätten, nicht wie in Deutschland. Dass einige türkische Städte eigentlich griechisch sind, Konstantinopel natürlich, auch wenn es momentan Istanbul heißt, aber auch Istanbul sei ja griechisch (»eigentliß grießiß«). Dass sehr viele Deutsche nach Griechenland gezogen sind. Ich bekomme den griechischen Familienvater aus dem Film »My Big Fat Greek Wedding« als One-Man-Show in 3-D-Animation.
Und ich bekomme Erkenntnisse, auch ohne schicksalsgläubig zu sein. Hat mir etwa ein moldawienstämmiger Kumpel eine Reise abgesagt, damit mich die Fluggesellschaft »Deutschflügel« in eine polnische Stadt fliegt, in der ich aber auf keinen Fall bleiben soll, geschweige denn deutsch reden, damit mir ein griechischer Germanist erklärt, dass es die Türkei eigentlich gar nicht gibt?
Der Grieche hat klare Einsichten: Griechen rauchen mehr als Deutsche, Deutsche trinken mehr als Griechen. Und um die griechische Weltbeherrschung zu belegen, fährt prompt ein polnischer Lkw vor uns mit der Aufschrift »attik«, und mein Begleiter strahlt »wie Attika, die Gegend bei Athen«. Wieso das englische »attic« Dachspeicher bedeutet, kann er weder sich noch mir erklären. Erst bei der Ankunft betrachte ich den glutäugigen Mädchentraum in Gänze, und mir schießt durch den Kopf, dass Polen als eines der schwulenfeindlichsten Länder Europas gilt. Zum Abschied lächelt der Grieche mich an: »Iß heiße Adonis. Wie der grießiße Halbgott.« Klar, wie sonst.
Wie Kapitän Zufall mein Schiff nun mal steuert, gehe ich vom Busbahnhof los, immer schön zickzack, lande vor einem ausgebuchten Aparthotel, gehe weiter, diesmal zackzick, und stehe vor Apartamenty, die eigentlich nix frei haben.
»Nur ein Dreier-Apartment.«
»Das nehme ich.«
Da draußen über dreißig Grad sind, sehe ich keinen Sinn, weiterzusuchen.
»Na ja, das sind aber drei Zimmer.«
»Was kostet das?«
»Na ja, das sind eigentlich drei Zimmer je Apartment.«
»Ja, gottverdammt noch mal, willst du 20 000 Złoty die Nacht oder was?«
Er lacht und schämt sich für den Preis, den er mir nennen muss: 120 Złoty. Das sind 40 Euro, und jetzt schäme ich mich.
Elegant ist es nicht. Neues Ikea. Un-Möbel. Er schließt zwei Räume ab, damit ich nicht alle Betten nacheinander durchprobiere, und geht von alleine auf 100 Złoty runter. Und ich habe ein Zimmer mit Aussicht auf einen gemischten Bürokomplex. Die Lüftung dröhnt herüber. Wenn ich die Augen schließe, kann ich so tun, als rauschte das Meer vor meinem Fenster.
Da ich mit Minimalgepäck reise, suche ich einen Laden, in dem es Einwegrasierer gibt. Und der erhoffte Laden um die Ecke entpuppt sich als Shoppingmonstrum von astronomischen Ausmaßen! Die Galeria Kraków besteht aus 270 Läden, verfügt über 1400 Parkplätze und drei bis vier Millionen flanierende gazellenhafte Studentinnen in Miniröcken, die wir Normaleinkäufer alle mitbezahlen müssen. Muss das sein? Ich würde ja was sagen, aber ich bin Deutscher.
Abends strolche ich um die Ecke und mache einen veritablen Tanzsaal mit Liveband ausfindig! »Ermitaż?« präsentiert das Fieseste aus den Achtzigern, Neunzigern und von heute. Jajaja kokotschambo! Der Eintritt ist frei, dafür herrschen Sittenstrenge und Garderobenpflicht. Die Altersklasse ist im Grunde keine, etwa 30 bis 60, und keine Senioren. Auf Deutsch besonders angepriesene Gerichte: »Brennender Schüssel« und »Ei in Schinken auf einem Salat«. Stelle mir vor, wie ein ganzes Ei in Schinken eingerollt wird und einer der Kellner mit Fliege um den Hals diese Speise auf einem Salatkopf balancieren muss.
Ich frage meinen gelangweilten Thekennachbarn, ob hier jeden Abend getanzt wird, und mein Polnisch ist offenbar unbrauchbar, denn er antwortet mir leidenschaftslos: »Opole«, was vermutlich seine Herkunft meint. Er raucht die Zigarettenmarke »Tiger«, und ich erkenne den richtigen Zeitpunkt, nach Hause zu gehen.
Vor dem Zubettgehen erschlage ich noch alle Insekten an der Wand mit dem Handtuch, zappe durch alle polnischen TV-Kanäle, andere gibt es nicht, also keine Russen, kein CNN, nix. Die Lüftung des Bürokomplexes gegenüber rauscht nachts wie Motörhead beim Soundcheck, selbst bei geschlossenem Fenster, und ich beschließe, mein Bett in den Flur zu schieben. So geht’s.
Frühstück gibt es im Apartamenty-Haus natürlich nicht, aber auf dem Herweg fiel mir gestern die Bar Barcelona auf: sozialistische Bestellkultur, wie weiland in der UdSSR sind die Papierservietten in Trinkgläser gestellt auf schreiend rosa und orangefarbige Tischdecken. Der Kaffee verscheucht Bandwürmer, dafür ist der Käse aus der Packung – die Bar »Barcelona« ist so katalanisch wie Schwerin. Aber authentisch polnisch.
Mir wird bewusst, dass ich zwar erst den zweiten Tag hier bin, aber schon am dritten Tag zurückfliege, und erkundige mich am Busbahnhof nach dem Kleintransporter zum Flughafen Kattowitz. Er ist ausgebucht. Kurwa! (Die Flüche lernt man als Erstes, dann die Biersorten, der Rest steht in den Reiseführern.)
Am Bahnhof regieren wie in den sozialistischen Zeiten diese kleinen Buden, Läden, deren Fensterchen sich mitten in den Warentürmen etwa auf Kniehöhe befindet, in das man seine Bestellung hineinschreit und Geld hineinwirft. Ein Nebeneinander aus Kaugummis, Porno-CDs, Zigaretten, Shampoo, Ballerspielzeug, Corel Draw. Dann fuchtelt ein Arm heraus und lässt die Ware zu Boden fallen.
Heute wird’s heiß. Da heißt es trinken, trinken, trinken. Und dann soll man ja auch noch Wasser zu sich nehmen. Ich spaziere in die Stadt. Bereits die erste Kirche hat etwas mit dem verstorbenen Johannes Paul II. zu tun, der auf einem großen Foto laut Unterzeile augenscheinlich eine Marienstatue heiligspricht. Ich identifiziere das als Quatsch oder das Foto als Fälschung, oder aber mein Impro-Polnisch ist Quatsch. Gläubige betreten das Gotteshaus, bekreuzigen sich vor einem gemalten bärtigen wilden Mann auf einem Boot hinter dem Altar und wenden sich sofort nach links und knien sich hin, manche auf eine gepolsterte Hinknievorrichtung, andere direkt auf den Steinboden. Dieser Seitenaltar scheint wichtiger zu sein.
Im Park ist eine öffentliche Fotoausstellung mit Aufnahmen vom toten Papst und vom lebenden, wie ein Daumenkino für sehr große Daumen. Bizarr, wie sich die alten grauhaarigen Männer auf den Plakaten scheinbar gegenseitig zuwinken und sich mit ihren Goldkreuzen bedrohen.
Der Krakówer Hauptplatz ist der größte mittelalterliche in Europa, aber wie man an Boxergigant Nikolai Walujew sieht, ist der größte nicht immer der schönste.
Die Welt besteht nur aus Sonnenschirmen mit Aufdrucken von Carlsberg, Lucky Strike und Tyskie-Bier, welche diese monumentale Sonnenschirm-Installation finanzieren.
Ich steige als pflichtbewusster Kulturtourist diesen einen Turm hoch, der mitten auf dem Platz steht, ich will ja überrascht werden. Auf jedem Zwischenstockwerk ist irgendetwas Altes ausgestellt. Eine Etage befasst sich mit dem »Sachsenspiegel«. Auf Deutsch! Finanziert von Sachsen-Anhalt, erklärt man mir das älteste deutschsprachige Gesetzbuch, und schon beim Lesen des ersten Satzes klappen mir die Augen bleiern zu.
Der Cityring erinnert von der Form an Dortmund, eine Straße heißt »Westerplatte«, da, wo in Dortmund der Ostwall ist, auch der Bahnhof liegt außerhalb des Rings, in der Nähe wird Kohle abgebaut.
Endlich bewiesen: Růħřgębíęt ist polnische Exklave.
Schindlers Fabrik war hier, überhaupt viel Jüdisches. Sengend heißer Nachmittag am Weichselufer, wo selbst das Wasser zum Fließen zu faul ist.
Zur Kirchenführung im Burggelände Wawel komme ich zu spät, lese später, dass ich das wichtigste Gebäude von ganz Polen verpasst habe, denn die Kathedrale dort besteht aus vier Baustilen auf einmal, ist got., rom., bar. und ren.
Aber ehrlich, für Kirchen bezahle ich nie Eintritt. Andere Leute haben andere sinnlose Prinzipien.
Von der Wawel-Burg geht es für ein paar Złoty eine Wendeltreppe hinunter in die Drachenhöhle. Eine Farce. Verarsche mit Drachenskulptur am Ausgang.
Erst jetzt fällt mir auf, dass mein Herbergsvater der Apartamenty Maksymilian Salpeter heißt!
Der zweiundzwanzigjährige Aushilfsrezeptionist fragt am Abend schelmisch, ob ich eine freie Wohnung in Brüssel wüsste, weil ich aus Köln komme, das ja haarscharf neben Brüssel liegt (200 km). Er will da BWL studieren, um Diplomat zu werden. Ich deute an, dass ich vielleicht eine Putzhilfe kenne, die vielleicht Putzhilfen in Brüssel kennt, da praktisch die komplette EU, zumindest deren Büros in Brüssel, von polnischen Frauenhänden blank gewienert wird. Der Student lächelt unsicher, höflich und versichert mir, dass es bestimmt im Internet tausend andere Wege gibt, eine Bude in Brüssel zu finden. Die Geburt eines Topdiplomaten.
Abends setze ich mich irgendwo an der alten Stadtmauer ins Freie und genieße Sznycel Wiedeński, Wiener Schnitzel, gut und gynstych. Hinter mir quäkt eine Bontempi-Orgel ununterbrochen ein wehmütiges Heimatlied Marke »Junge, komm bald wieder«. Ich mutmaße einen musikalischen Kaugummiautomaten, beschließe, ihm nonchalant den Stecker rauszuziehen, und finde mich vor einem leibhaftigen blinden Seemann wieder! Ich bitte ihn in meinem freundlichsten Polski-Englisch, er solle wenigstens einen anderen Song spielen. Ungerührt klimpert er »Junge, komm bald wieder«, aber jetzt eine Oktave höher. Making friends …
Am nächsten Morgen keine Zeit für Sozialistenfrühstück bei Exilkatalanen, es muss schnell gehen. Also ins Paar-Sterne-Hotel um die Ecke, viel zu viel bezahlt für ein viel zu großes Büfett, aber wer keine Zeit hat, muss eben berappen.
Im Zug nach Kraków ist es heiß, und er bewegt sich sehr beschaulich. Mir zuliebe, damit ich was sehe! Dass das Taxi zum Flughafen fast so viel kostet wie Hin- samt Rückflug, muss eben so sein. Überraschung.
Ich erspare Ihnen die Geschichte des überbuchten Flugs und dass die Fluglinie deshalb ein anderes Flugzeug chartern muss und wie sich die überwiegend deutschen Fluggäste angesichts solcher Imponderabilien und ihrer Platzreservierung verhalten … Nein, viel lieber möchte ich Ihnen die schöne Geschichte des Krakauer Drachen in Kurzform erzählen.
Das war so: Der Drache mordete und brannte Häuser ab und fraß das Vieh der Krakauer. Jeden Monat bekam er als Luxushappen ein junges Mädchen vor die Höhle gelegt. Alle anrückenden Ritter barbecuete der Drache mit seinem Feueratem. Als nur noch die Königstochter Wanda am Leben war, tauchte der Schusterlehrling Dratewka auf, füllte ein totes Lamm mit Schwefel und legte es vor die Drachenhöhle. Der Drache, blöd, wie er war, fraß es. Er bekam Durst, lief hinunter zur Weichsel und trank, bis ihm der Bauch platzte. Der Rest ist Knutschen, Heiraten, König werden und so. Schön, nicht?
Wenn die Welt gerecht wäre, müsste man nicht mehr sagen als das: wie Thomas Mann, Heinrich Böll, William Kotzwinkle. Aber in dieser ungerechten Welt muss man erklären, Laabs aus Dortmund, Erfinder des Satzes »Hoëcker, Sie sind raus!«, verdienter Fernsehautor, Verfasser mehrerer Bücher, manche unter Pseudonymen wie in diesem Fall unter Brasse Hering (sic), Verleger und nicht zuletzt Veranstalter denkwürdiger Lesungen.
Nach kurzem Umherirren durch das Belgische Viertel in Köln finden wir einen Ort, wo es ein halbwegs akzeptables Frühstück gibt, wenn auch zu Laabs’ Unmut keinen Gin Tonic, und wo man nach Herzenslust rauchen kann. Als die Kirchenglocken von St. Michael am Brüsseler Platz verhallt sind, schiebt Laabs sich die letzte Scheibe Käse rein.
Ist »Die Reise der Lampenschirme durch den Kongo« dein erster Reiseroman?
»Der erste Reiseroman. Es sind aber nicht meine ersten Geschichten, die sich ums Reisen drehen. Ich habe zum Beispiel Erzählungen aus Gambia geschrieben, wo ich mit ganz anderen Größen Karten spielen musste …«
Sambia oder Gambia?
»… aus New Orleans, wo mir Schwarze den Arsch gerettet haben, weil ich durch das Black Quarter gelaufen bin, obwohl man mich davor gewarnt hatte, und ich hatte dabei so eine Malcolm-X-Mütze auf. Es war aber eine Imitation.«
Das heißt, das waren reale Reisen?
»Genau. Das Schöne bei Reiseromanen ist, dass eine Chronologie vorgegeben ist. Man muss sich nicht so einen Kopf machen um die Strukturen. Das Ziel ist schon vorhanden.«
Du hast das Ziel gewusst, bevor du mit dem Roman losgefahren bist?
»Im Fall der Lampenschirme durch den Kongo, ja. Aber das war eh eigenwillig. Das ganze Buch kam in einem Strahl vom Himmel innerhalb von vier Tagen, aus einem Guss. Und ich hoffe, man merkt ihm auch an, dass es aus einem Guss ist.«
Welche Reiseromane oder Reisebücher magst du selbst?
»Die ganzen Klassiker von Jules Verne, ob das ›Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer‹ ist oder ›In 80 Tagen um die Welt‹. Ein anderer großer Reiseroman ist natürlich ›Herz der Finsternis‹ von Joseph Conrad, den kann man gar nicht toppen. Und ›Die Reise der Lampenschirme durch den Kongo‹ ist ja die humoristische Antwort darauf.«
Ich dachte, deine Figur Alois Zauselmeyer wäre so ein Wiedergänger von Livingstone.
»Beim ›Herz der Finsternis‹ haben wir auch einen Reisevertreter, der das Kontor im Herzen des Kongo in Ordnung bringen soll. Und deswegen bringt der Zauselmeyer die Lampenschirme ins Herz von Afrika.«
Ach so, ich dachte eher, du willst den Tropenhelm und den Kochtopf der Kannibalen und all diese wunderbaren Dinge ins Jahr 2009 versetzen.
»Da unten gibt es heute noch jede Menge Kochtöpfe. Das ist wirklich so, in diesem Dreieck Kamerun, Kongo gibt es tatsächlich noch weiße Flecken, wo noch niemand war. Die sind zwar aus der Luft kartografiert und insofern keine weißen Flecken. Da war nur noch kein Weißarsch und hat das erforscht.«
Du warst zur Recherche im Kongo?
»Ich war mal in Kamerun, das ist im Osten. Das war früher mal deutsch, einige sprechen heute noch Deutsch, die heißen alle Fritz, Wilhelm und Anton.«
Das heißt, man darf auch über den Kongo schreiben, ohne jemals im Kongo gewesen zu sein.
»Jou! Hemingway hat auch nie einen großen Fisch gefangen und trotzdem einen Roman darüber geschrieben.«
Ich glaube, es gibt viele Leute, die sich wundern, wenn sie erfahren, was Karl May gemacht hat: erst darüber schreiben, Jahrzehnte später mal hinfahren.
»Karl May ist das beste Beispiel. Denn beim Schreiben geht es ja darum, dass ich zu Hause im stillen Kämmerlein sitze und meine Fantasie auf Wanderschaft gehen lasse, was auch eine wunderschöne Reise ist.«
Die »Lampenschirme« enthalten alles, was den modernen Reiseroman ausmacht: raffinierte Blondine, unfähiger Schiffskoch, blutdürstige Eingeborene, eine wertvolle Fracht, Schiffbrüchige, französisches Programmkino, homosexuelle Piraten und einen Protagonisten, dessen klügster Begleiter ein sprechender Dorsch ist.
Wenn ich die Reise in den »Lampenschirmen« real nachreisen würde, dann hätte ich spätestens bei den geheimen Höhlen von Blahla ein Problem. Wo die eine Hälfte der schlechten Bücher der Welt gelagert ist. Und die andere Hälfte ist irgendwo in Gütersloh, so schreibst du, untergebracht.
»Stimmt. Aber die Hafenstadt Banana, die gibt es wirklich. Da finden auch regelmäßig Boxkämpfe statt, wie in dem Buch.«
Man kann kaum einen erfunderen Namen erfinden als Banana.
»Das ist die größte Verladestation für Waren aller Art im Westen Afrikas, an der Kongomündung. Da war ich mal mit einem Freund, Olaf Wiedemann. Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, in den Kongo zu fliegen, um mit dem Postschiff den Fluss Kongo hochzufahren. Als wir das Postschiff gesehen haben und die Zustände … das ging nicht. Wir sind nach vier Tagen wieder zurückgereist, haben dann noch einen kurzen Abstecher auf die Kapverdischen Inseln gemacht. Aber damals wurden auch gerade alle Europäer aus dem Kongo ausgeflogen. Wir wussten das nicht, da waren große Bürgerkriegsunruhen, das hat man uns im Reisebüro nicht gesagt. Wir kamen an, und am Flughafen war schon die Hölle los. Gerade wurden die Belgier ausgeflogen.«
Wie und wohin reist du am liebsten?
»Am liebsten dahin, wo gar kein Tourismus ist, und erkunde alles auf eigene Faust. Wie damals auch Mitte der 90er in New Orleans, dahin bin ich ganz alleine geflogen. Und ich bin unglaublich naiv gewesen. Im Hotel warnte man mich davor, zu Fuß zum French Quarter zu laufen, sie hätten Shuttlebusse. Ich bin natürlich trotzdem zu Fuß gelaufen.
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Gehen Sie nicht über Los! Madrid ohne Stierkampf, Amsterdam ohne Drogen, Berlin ohne Internetcafés. Undenkbar. Demnächst kommt Rom ohne korrupte Cops aus, LA ohne Autodiebe und Münster ohne Ödnis.
Aber genau so denkt der Reiseveranstalter China Tours, der auf seiner preisgekrönten Website klar und deutlich ankündigt, was Sie »bei uns nicht finden«, unter anderem:
☺ eine Kampfvorführung im Shaolin-Kloster, denn die ist sehr kurz, und da redet dauernd jemand chinesisch.
☺ Ming-Gräber in Peking. Jaja, Weltkulturerbe, aber duster ist es da und hektisch und überhaupt.
☺ »Traditionelle Chinesische Medizin« – auf dem Niveau von Kaffeefahrten, auf denen ein paar überteuerte Kräuterli verkauft werden.
Und in vielen anderen Fällen seien hier »bis zu 60 000 Menschen« täglich, oder es sei »meist überfüllt«, wenn nicht »meist hoffnungslos überfüllt«, was »immer sehr lange Warteschlangen« bedeutet, wie im Quanjude, der Wiege der Pekingente, einem Restaurant mit »Platz für 2000 Personen«. Chinatours.de kennt gottlob genügend Alternativen … cool!
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Dort gab es einen Hutladen, ich bin da rein, und es stand nur schwarze Kundschaft drin, die wirkten auch alle ganz böse. Der Film ›Malcolm X‹ war damals in den Staaten angelaufen, und ich wollte auch so eine Mütze haben. Die kuckten mich unglaublich bedrohlich an, und ich brachte den wunderbaren Satz raus: ›Don’t mind my eyes, I’m as black as you are, brothers!‹ Dann haben die sich vor Lachen auf den Boden geschmissen und gesagt: Okay, du bist genauso schwarz wie wir, Bruder! Und haben mir die Mütze geschenkt und mich eindringlich davor gewarnt, die überhaupt aufzusetzen. Das habe ich auf dem Rückweg vom French Quarter zurück zu meinem Hotel durch dieses Viertel natürlich ignoriert. Da kamen mir schon Leute entgegen: ›Ah, the stupid friend from Germany!‹ Und die brachten mich wieder zum Hotel. Und als ich vom Hotel dann am nächsten Tag wieder ins French Quarter wollte, kam wieder ein schwarzer Getto-Freund auf mich zu: ›Ah, the stupid friend from Germany. This is a very dangerous quarter, let my help you.‹ Da haben mich tausend Engel beschützt. Ich hatte komplett alles dabei, mein ganzes Bargeld, mein Flugticket, meine Pässe …«
Das Glück des Naiven. Du versuchst also, auf eigene Faust zu entdecken.
»Wenn ich in einer ganz fremden Welt bin, dann mach ich das immer so. Ich bin ja kein Sprachgenie, also suche ich mir einen Einheimischen, der möglichst groß und kräftig ist, und ziehe die ganze Zeit mit ihm rum. Da lernt man das ganze Land viel besser kennen. In Gambia hatte ich so einen Taxifahrer, Kemo, der war schon ordentlich groß, trug eine riesige rosa Filzmütze auf dem Kopf, die war größer als die Mitra des Papstes. Der hatte auch ein Taxi mit Schiebedach, damit die Mütze nach draußen gucken konnte, und der hat mir Strände gezeigt, wo kein Mensch war. Aber als ich zurückwollte, da war Kemo vollkommen bekifft. Ich kriegte den gar nicht wach, dann habe ich ihn auf den Rücksitz des Taxis gezerrt und bin selber gefahren. Dann an einer leeren Kreuzung, wo links eine Hütte war und rechts eine Hütte, da habe ich gedacht: Stopp mal, so passieren Unfälle, mitten in der Pampa, wo es eigentlich keinen Verkehr gibt. Und in dem Moment, wo ich an der Kreuzung stoppte, trat aus der linken Hütte ein Polizist mit Maschinengewehr: Warum ich betrunken wäre, warum ich ein Taxi fahre, wer der komatöse Mann hinten auf dem Rücksitz sei. Und ich musste mit auf die Wache. Da saß ich dann vier Stunden. Die sprachen Wolof, kaum Englisch.«
Was ist Wolof?
»Eine der Landessprachen. Gegenüber war da so eine Art Kiosk, da hab ich gefragt, ob man da Zigaretten holen kann. Mein Plan war: Bring mal jedem ’ne Stange Marlboro, dann wird das vielleicht alles ein bisschen einfacher. Dann hatten die auch Kaugummi, und auf der Straße spielten so zwei verlorene Kinder. Da habe ich einen ganzen Karton Kaugummi gekauft, bin zu den Kindern gegangen, und in dem Moment – die sind aus dem Boden gewachsen, da gab es keine Hütten – war ich umringt von einer riesigen Traube von 40, 50 Kindern, die mich niederrissen, mir das Kaugummi entwanden, und die Polizisten standen vor ihrem Häuschen, hatten total Spaß. Dann hab ich denen die Zigaretten gegeben, dann haben sie mir – obwohl ich immer noch betrunken war – wieder ins Taxi geholfen und mir eine gute Weiterreise gewünscht. So was hätte ich natürlich alleine nie erleben können, dazu brauchst du jemanden, der dich auch in Ecken bringt, wo keinerlei Touristengesetze dich schützen.«
Also insofern kann man das Reisen lernen?
»Man sollte sich auf alles Mögliche einlassen. Man kann auch etwas übers Land erfahren, wenn man die Hotelanlage gar nicht verlässt. Aber halte dich ans Personal.«
Ich habe gehört, dass du unterwegs Bücher liest und dabei teilweise brutal mit ihnen umgehst.