Die spinnen, die Deutschen - Thomas Baumann - E-Book

Die spinnen, die Deutschen E-Book

Thomas Baumann

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Beschreibung

"´Die spinnen, die Deutschen´ ist ein ebenso amüsantes wie lehrreiches Handbuch zum Ist-Zustand unseres Landes und ein Muss für jeden Leser mit ständigem Wohnsitz im Wahnsinn." Tommy Jaud Thomas Baumann ist durch die Republik gereist, um vor Ort zu erfahren, ob wir nicht doch etwas neben der Spur laufen. Neugierig-kritisch betrachtet er die Deutschen und ihr Selbstverständnis, denn die Welt vermutet seit Jahrhunderten zu Recht: Die spinnen, die Deutschen. Eine vergnügliche, schräge Wundertüte mit rund fünfzig entwaffnenden Expeditionen zu deutschen Tugenden – von »Wetten, dass …« bis Poetry Slam, von Aldi bis Liz Mohn, von neuer deutscher Rechtschreibung bis Stiftung Warentest. Selbstironisch blicken wir mit ihm in den Spiegel und verfolgen amüsiert sein gekonntes Spiel mit den Vorurteilen, Gemeinplätzen und Schablonen, die sich die Deutschen selbst an den Hals geholt haben...

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Inhalt

Einleitung

Eigenschaften – Werwiewas-wiesoweshalbwarum denn nicht?Nur noch im Sport dürfen offen "deutsche Tugenden" gefordert werden. Schade eigentlich, denn ansonsten sind sie praktisch schon ausgestorben.

Schwarzkehlchen – Rotkehlchen – GoldkehlchenHaben Hammer- und Zirkel-Hersteller umgesattelt auf die Herstellung von Bundesadlern? Oder sind sie hymnesingend in Eichenwälder geflüchtet? Das Nationalsymbol Nr. 1 sind aber eh Fiberglastiere in Fußgängerzonen – Fahne hoch!

So sehen uns die anderen – 1. Teil (Briten, Türken, Lonely Planet, Chinesen)Was in ausländischen Reiseführern über Germanija, l’Allemagne und Saksa an Erstaunlichem, Blödsinnigem und Erkenntnisbringendem zu lesen ist.

Deutsche Siedlung MoskauExkurs in die deutsche Siedlung Prospekt Wernadskogo 103 nach Moskau. Gesucht: Persil-Familienpackung.

Bürokratie – Operation am offenen HerzenWo gibt es schon Kirchensteuer? Was stellen Gleichstellungsstellen gleich? Und wieso bezahlen wir für den Regen, der vom Himmel fällt?

Guck – daaa war’n wir!Den Südzipfel Kretas kennen Sie, Hammerfest sowieso, aber wer besucht schon den östlichsten Punkt Deutschlands?

Kampf der Tragedy-WelleHumor haben wir angeblich nicht. Aber Comedy im Überfluss. Auch im Kino laufen seit Jahren erfolgreich Komödien. Wieso exportieren wir unseren Humor nicht? Ein ernstes Problem!

Schattenparken, Radarfallen und ParkkrallenADAC – die mit 15 Millionen Mitgliedern größte Organisation Europas, deren Vereinsheftchen größere Auflagen hat als Stern, Spiegel und Bravo zusammen, und warum bei uns alle 28 Meter ein Verkehrsschild steht.

Kunst – Ars ChtrittWie trennt man eigentlich U von E? Und warum? Wer entscheidet, dass Opernkarten subventioniert werden? Derselbe Abenteurer, der Cindy & Bert Black Sabbath covern ließ? Schöne Fragen, nur wird hier keine beantwortet.

Parole StammtischDie Stammtischparole "Do hogg’n die, die wo immer do hogg’n" gibt’s nicht nur in Bayern. Trip zum deutschen Stammtisch in London.

Liz MohnRaucht ihren Nachnamen natürlich nicht. Aber man könnte meinen, die Vorständlerin der Bertelsmann-Stiftung täte es. Das größte Medienunternehmen, mehr als ein Buchclub.

Landeskunde – HaßlochStatistisch gesehen sind Sie Haßlocher. Und wenn Sie mal dort waren, gönnen Sie den Leuten diesen Ortsnamen.

Der SchwerstbelastungskörperDas dickste Ding von ganz Berlin. Sollte man sich ansehen, bevor die Berliner es doch noch schaffen, es zu sprengen.

Innerdeutsche StädtepartnerschaftenGibt es naturgemäß nur in Deutschland. Aber wer pflegt die Freundschaft zwischen Saarbrücken und Cottbus, Mannheim und Gera, Hannover und Leipzig? Und warum?

Stunde 0 – based on a true storyGermanischer Mythenirrsinn für Hektiker. Und eine gemütliche Ausflugsfahrt zur echten Walhalla.

Leihcte SrpachströunegnÄ-ö-ü und Missss Germany, nur hier, wo es "Fremdwörterbücher" gibt, Reform-Reformen und großgeschriebenes Substantiviertes.

Ey, Alder, bissu Integrassion?Die Regierung hat dafür eigens eine Beauftragte, die im "Handbuch für Deutschland" erklären lässt, wie man eine Gemüsewaage im Supermarkt bedient.

Der erste AldiEin Besuch in der ersten Filiale des Ladens, der nur ein Kriterium kennt: billiger als die anderen sein. Als alle anderen.

ÜberversicherungSind Deutsche die größten Angsthasen? Oder ist der Rest der Welt leichtsinnig? Wieso gibt es das Wort "Brillenversicherung" nicht auf Englisch? Fragen an einen ganz besonderen Club.

Du bist, was du isst? Du bist Buddhist!Kartoffelgrenze und Mehlzentrum. Klar unterscheiden sich unsere Regionalküchen zwischen Fisch und Fetthaxe enorm. Aber übersetzen Sie mal "Kaffee & Kuchen" ins Japanische!

Die deutsche Mauer – vom Mond aus unsichtbarWieso malt niemand dieses Ding auf den Gehweg? Nur deswegen kommen Touristen ja nach Berlin! Begehung des Stadtplanzipfels.

Deutsche AuslandszeitungenAuf Deutsch, aber eben für deutsche Ausgewanderte. Was tut man in Melbourne gegen das Heimweh?

Der westlichste Punkt... ist genauso miserabel zu erreichen wie sein Gegenpart. Aber auch hier wird deutschsprachig geroamt.

Dichte DenkerKeine Philosophen, keine Poeten. Nur noch Schlammpoeten. Eine denkwürdige Begegnung mit dem besten.

Tourismus – OktoberfestExpedition zum Gay Sunday und das knifflige Rätsel, wieso einem jedermann davon abrät hinzugehen.

Nicht McKinsey... sondern ein benediktinischer Unternehmensberater weiß Bescheid. Gibt es in einer globalisierten Welt – wörtlich also: in einer verweltlichten Welt – noch typisch nationale Unternehmensphilosophien und Probleme? Aber ja doch!

Übel, aber üblichEin Sittenbild: Hand drauf, Schulterklopfen, die eingetanzte Männer-Halbumarmung, die menschliche Kuhherde vor der U-Bahn-Tür und der Vordrängler-Zehnkampf.

Stiftung WarentestWie technisch präzise, öko-irre und schadensersatzgeil wir sind, beweist die gesellschaftliche Position der Stiftung Warentest. Und was beim Test nicht zu Staub verfallen ist, wird versteigert. Hingehen!

HRRDNAuch wenn es wie eine Erfindung von Douglas Adams klingt: Das unwahrscheinlichste Land der Welt gab’s wirklich. Und wir sind daraus entstanden.

Rippenbiest, Hammelswade, Schnürbein – deutsche VornamenSchall sowie Rauch. Deutsche Standesämter sind nicht in der Lage, alle Vornamen, die sie vergeben, aufzulisten. Schade.

Spiel und SportNeben Skat, Schnitzeljagd und Völkerball wären da noch Schützenfeste. Unvergessliche Eindrücke, auch in der Geranienrabatte von Kaarst.

Das 11. Gebot: Du sollst die Pfandflasche ehren und keine Einwegflasche neben ihr habenEin Heimspiel. Wir haben die grüne Partei erfunden (ehrlich, nur ganz kurz nach den Engländern), das Teebeutelproblem und die Mülltrennung zu einem Geschicklichkeitswettbewerb erhoben.

Ohio... und nicht Pennsylvania ist der deutscheste Bundesstaat der USA. Der Gouverneur erklärt, was an und in Ohio deutsch ist.

Tourismus – Loreley und DrosselgasseHeidelberg hat heute frei, aber die anderen Japaner-Classics sind geöffnet. Tolle Aussichten.

Wie viel wiegt Deutschland?Und welchen Jahresumsatz macht der Hersteller solcher potenter Waagen?

Wetten, dass..?Die mit Abstand erfolgreichste Show im Lande, sogar Europas, die überhaupt kein Konzept hat?

Ausweis fürs PersonalWie geht das denn jetzt wirklich mit der Staatsangehörigkeit? Jura für Jurahasser. Quer-Pässe.

Barbarastollen – Grüße an die Ur16-EnkelTief im Berg in dunkler Nacht, da werden Akten hingebracht. Und wenn einmal die Bombe fällt, erzähl’n sie, wer wir war’n, der Welt.

Karneval... halten viele spontan für die falsche Bezeichnung für dieses Phänomen, denn für ihr Empfinden muss es je nach Region Fasching, Fastnacht oder überflüssiger Quatsch heißen.

Druckstellen an der Nase... sind im Ausland ein noch untrüglicheres Erkennungszeichen als unsere Socks & Sandals. Weshalb tragen wir schon bei kleinsten Sehschwächen gern Brillen? Liegt es am "Kassengestell"?

Tourismus – HermannsdenkmalKeine Braunhemden, keine Postkarten auf Cheruskisch und kilometerweit deplaziert. Schnäde-räng täng, de-räng täng-täng.

AußendarstellungDAAD, Deutsche Welle und Goethe-Institute sind die Tools, mit denen wir uns im Ausland anpreisen wie sauer Bier. Und so schmecken sie auch.

Ritter Sport Kopfnuss"Mittelalterlich Spectaculum" ist kein Schreibfehler, aber auch kein Latein, sondern sind Schlumpfspiele für Erwachsene.

Sparen... tut man in Strumpf, Dose und Schwein. Aber andere können es längst besser.

Hallo, Herr Kaiser!Hotte Köhlers ärgste Gegner wollen wirklich ihren alten Kaiser Wilhelm wiederham!

Verein & LobbyGewerkschaft, Knappschaft, Burschenschaft, Genossenschaft ... Es gibt so viele davon, dass keine illegale organisierte Kriminalität nötig ist. Hausausweis genügt!

Modern(d)es WohnenDie Wohngemeinschaft, eine deutsche Erfindung. Vergesst Langhans/Obermaier – die wahre erste K1.

Japan – das 18. BundeslandGastkapitel des Japan-Korrespondenten Thilo Mardaus über das Deutschland Asiens.

Ingenieure, die wahren Heavy-Metal-FansWir sind so weit vorne in Patenten, dass "Deutsche Standards" gleich ein ganzer Verlag ist! Erst wenn der letzte Baum gerodet, die letzte Baggerwette gewonnen, werdet ihr merken, dass Bauhaus teuer ist.

Wenn einer keine Reise tut"Individualreisen" in die abgelegensten Gebiete der Erde kann niemand so straff und im großen Stil organisieren wie wir Spontaneitätsspezialisten. Aber einer streikt.

Agent null-null-aussiebenStreifschuss vom Verfassungsschutz. Was bei uns als "geheim" gilt ...

So sehen uns die anderen – 2. Teil (Russen, Finnen, Spanier)Wir als Urlaubsland für andere? Zeit, das Baströckchen umzuschnallen und die Rasseln rauszuholen.

WoesteWas wäre, wenn ... Deutschland den Auftrag bekäme, die erste Mondkolonie anzulegen?

Typisch deutschEtwas oder jemanden als "typisch deutsch" abzuqualifizieren – wieso eigentlich? – ist nur eines: typisch deutsch.

Danke fürs Mitspinnen!

Für Grete, die einzige Normale in diesem Land

Thomas Baumann

Die spinnen, die Deutschen

Edel eBooks

Einleitung

Die spinnen, die Deutschen. Die wer? Die Deutschen gibt es noch weitaus weniger als die Sowjetbürger oder die Schengenbürger oder die Nordrhein-Westfa/äl(inn)en.

Wenn wir für das Deutschsein unsere Sprache zugrunde legen, zerren uns die Österreicher, Ostbelgier und Deutschschweizer hinter die Mülltonnen und verdreschen uns, mal abgesehen davon, dass man sich auch von Deutschem zu Deutschem allzu oft kaum verständigen kann, gell, Hackl Schorsch.

Probieren wir es mit unseren Grenzen. Ihretwegen erschießt man ja auch mal Leute, also sollten sie als scharfe Trennlinie nützen. Lassen wir den ganzen alten Zampano von Karl dem Großen weg, landen wir bei den Grenzen der Reichsgründung von 1870/71. Aber dann purzeln wir ruckzuck in revisionistische Diskussionszirkel. Noch 2006 kämpfte die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach dafür, dass Angehörige von Spätaussiedlern es doch bitte schön familienfreundlich haben sollen, denn Erika Steinbach ist nebenbei die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Ja, klar war die Vertreibung schon vor über fünfzig Jahren. Was juckt das Erika Steinbach?

Aber dennoch: Wenn Sie im Urlaub ein Paar sehen, er in Socken und Sandalen, die Sonnenbrille-auf-der-Brille halb hochgeklappt, sie im Blumenkleid (Astern), die beigefarbene Handtasche fest unter den Unterarm geklemmt, im Streit darüber, ob es hier am Urlaubsort Parkscheinautomaten gibt, und sie sich am Ende noch darauf einigen, dass die Automaten zu Hause aber besser funktionieren, dann wissen Sie – Landsleute.

Ich bin groß geworden in Jahren, als Deutschland eine Latzhose tragende Atomrampe war, die sich nicht volkszählen lassen wollte in ihrem sauren Regen. Plastiktüten waren Verbrechen. "Mitbürger mit Migrationshintergrund" waren Gastarbeiter (im direkten Vergleich der viel sympathischere Begriff). Die Bild-Zeitung schrieb stur "DDR". Und Gott sah aus wie Günter Wallraff. Alles Nationale war abgrundtief verpönt. In Wimbledon siegten ein Leimener und eine Brühlerin, nicht "Deutsche".

Zurzeit ist der Nationalgedanke angeblich wieder chic, wird von kritischen Geistern gedacht und weitergedacht. Warum fällt mir frei nach Campino jetzt auf einmal kein einziger gescheiter Nationalgedanke mehr ein? Und was war noch mal die deutsche Frage? Hat die Grass-Debatte jemandem was gebracht? Worum stritten sich die Historiker? Was hatte der alte Walser für ein Problem? Reicht es, Helgoland zu verscherbeln, um den Haushalt zu sanieren? Oder müssen wir etwa MeckPomm noch drauflegen?

Wir wollen Erster sein. Wir zeigen auf, schnippen mit den Fingern und machen "Mm, mm, mm" wie hungrige Welpen, denn wir wollen nicht Spitze sein, nicht Top Ten, nein, nur die alleinige Nummer 1 ist für uns akzeptabel. Nachweislich sind wir Exportweltmeister, melden die meisten Patente im Bereich Maschinenbau an, veröffentlichen 10 Prozent der Weltsteuerliteratur (ganz ehrlich, heimlich ist man schon stolz drauf), und wir sind laut ARD Weltmeister im Murmeln, was nicht undeutliches Sprechen meint, sondern das Spiel mit den Glasmurmeln.

♦1♦ 59 Minuten Idylle, aber dann ...

Eigenschaften – Werwiewas-wiesoweshalbwarum denn nicht?

"Wir haben gewisse Eigenschaften, um die uns die Welt beneidet." Jürgen Klinsmann

Das komplette Selbstbild der Deutschen ist Unsinn. Jedes Mal, wenn eine der angeblich so typischen deutschen Tugenden zum Vorschein tritt, meldet sich jemand zu Wort und kreischt lauthals: "Da! Guck mal, wie deutsch der sich verhält! Das ist doch typisch deutsch, oder?" Und alle nicken und sagen, ja wirklich, sieh mal an, lange nicht gesehen, so was so dermaßen typisch Deutsches.

Angeblich sind wir gründlich, diszipliniert, ordentlich, fleißig, pünktlich, perfektionistisch, gewissenhaft, autoritätshörig, pflichtbewusst, ernst, kleinlich, antipartyrambazamba. Zudem erwiesen sich in einer vergleichenden Studie mit Briten und Amerikanern "die Deutschen" als härtere Diskutanten, aber auch als schneller beleidigt. Passt das in ein Klischee? Wir männlichen Deutschen wechseln öfter die Unterwäsche als Franzosen. Dabei sind es doch die Nachbarn, die behaupten, mehr der körperlichen Liebe zugetan zu sein. Oder ist das gar kein Widerspruch? Welches Klischee stimmt denn nun? (Bitte beides ankreuzen, zu Ihrer eigenen Sicherheit.)

Die Bundesbank vermisst derzeit 14 Milliarden D-Mark, die auch Jahre nach der Euro-Einführung nicht umgetauscht wurden. Nicht 14 Millionen ... 14 Milliarden!

Man muss also zweierlei trennen: Wie sind wir im Vergleich zu anderen Nationen? Und wie haben wir uns entwickelt oder verändert? All dies wissenschaftlich zu untersuchen, das sollen Wissenschaftler tun, und ich kann ihnen dabei nur viel Spaß wünschen. Na, nehmen wir doch mal Sie, liebe Leser. Sind Ihre Fingernägel gereinigt und geschnitten? Sitzen Sie in diesem Moment in einem studentischen Saustall voller anmutig gestapelter Pizzaschachteln (nach Farbe sortiert) oder in einer Katalogküche vom Otto-Versand? Blättern Sie in diesem Buch nur ziellos herum, oder lesen Sie es ordentlich von der ersten bis zur letzten Seite? Lesen Sie immer zur selben Uhrzeit? Oder haben Sie heute den Anfang verpasst, weil Sie auf dem Heimweg getrödelt haben, in irgendwelchen internationalen Spielhallen herumgehangen und heimlich mexikanisches Bier getrunken haben? Keineswegs, denn Sie sind eine Deutschlehrerin, die darauf achtet, dass ich den Konjunktiv richtig verwende, die Kommas korrekt setze; Sie machen bei Unklarheiten rote Striche an den Rand und hauen mir am Schluss pflichtbewusst die Fehler-Abrechnung um die Ohren.

Wir sind lustig, wir sind irre, wir sind unberechenbar, originell, abwechslungsreich, international, tolerant und total bescheuert ... und das Gegenteil manchmal auch – ehrlich!

♦2♦ HINWEIS DES HERSTELLERS: Hilft nicht bei defekten Klingeln!

Bei uns bekommt man in öffentlichen Automaten auf der Straße nicht nur Kaugummis und Plastikschmuck, bei uns können selbst Grundschüler recht problemlos Sachen kaufen wie Zigaretten, Kondome und Fahrradschläuche. Wozu brauchen die Fahrradschläuche?

Gestern entschuldigte sich der Kontoauszugsdrucker meiner Bank bei mir, dass er wegen Wartungsarbeiten kommenden Samstag von 12 bis 18 Uhr unpässlich sein werde, und verwies mich an seinen Kollegen drei Straßen weiter. Ich hab’s sofort in meinen Kalender eingetragen.

Wir stellen an einer normalen Kreuzung in der Stadt ein halbes Dutzend Verkehrsschilder auf. Na und? Was dagegen? Wir mögen halt Schilder. Wir haben viele verschiedene, und die meisten sehen sehr gut aus. Und wenn man sehr, sehr viele Schilder aufstellt, wird am Ende gar keines beachtet, schon aufgefallen?

Wir Deutschen bauen unser größtes Bankenviertel gleich neben die größte vorstellbare Junkies- und Drogenmeile. Oder kamen die Drogen erst mit den Bankern? Davon wollen wir mal nicht ausgehen.

Wir sind ungeheuer undiszipliniert, wenn im Supermarkt eine neue Kasse aufmacht. Wir sind alles andere als gründlich, wenn es um das Ausmisten alter Gesetze geht. Und unsere Ordnungsliebe? Suchen Sie mal nach Ordnung an der Gepäckausgabe am Flughafen, wenn ein Urlaubsbomber zurückkommt. Was sich da abspielt, heißt in anderen Kulturen Orgie.

Oder schauen Sie mal auf eine durchschnittliche Festplatte! Wie viele Ordner namens "Neuer Ordner" nebeneinander- und übereinandergestapelt sind, wie viele Dateien wie Altreifen wahllos in die Gegend gepfeffert sind mit dem Namen "Dok1". Das wird nur durch der Deutschen MP3-Sammlung übertroffen, in der es von "Track1" nur so wimmelt.

Vor die sagenhafte Pünktlichkeit hat der Deutsche die Gleitzeit gesetzt, sodass die Verspätungen einfach nicht mehr auffallen. Und wenn unser Fleiß so berauschend wäre, wie es das Klischee aus dem Preußen des 19. Jahrhunderts immer noch daherleiert, hätten uns in vielen Wirtschaftsfeldern nicht die Asiaten von der Strecke geschubst.

Wie es um den Kampfgeist der Bundeswehr bestellt ist, will man gar nicht wissen und fühlt sich dabei eigentlich umso wohler. Über Korrektheit brauchen wir nicht zu reden, wenn wir an das Verhalten beim Autoparken in der Innenstadt von München oder Frankfurt denken. Gewissenhaft handeln wir, wenn wir unsere Steuererklärung pünktlich abgeben, was wir aber an Fantasiezahlen hineingemalt haben ...

Übrigens: Der Verein für Zweitnormalität e. V. kämpft für zeitversetzt lebende, lang schlafende Menschen und gegen deren Benachteiligungen bei Öffnungszeiten, Briefträgern und frühen Telefonanrufen und räsoniert: "Ausschlafen ist ein Luxus, den sich vor allem der abhängig beschäftigte zeitversetzt und lang schlafende Mensch nur gegen seine Natur mit verfrühtem Zubettgehen erkaufen kann. Ständiges Zuspätkommen, unnötig schlechte Leistungen und permanenter Gewissensdruck sind die Folgen." Dem Sprichwort "Der frühe Vogel fängt den Wurm" entgegnen die Zweitnormalen: "Wer gern Würmer isst, muss eben morgens früh raus!"

Entsprechend sieht auch unser Verhältnis zur Obrigkeit aus, der wir längst nicht mehr so hörig sind wie zu Heinrich Manns Zeiten. Wir rufen sie nur, wenn wir unser Recht wollen, darum sprang der Song "Maschendrahtzaun" fieberhaft auf Platz 1 der Charts. Alle Eigenschaften, die als "deutsche Tugenden" subsumiert werden, dürfen nur noch an einer Stelle gefordert und gelobt werden: im Sport. Eine Fußballmannschaft kann alle denkbaren Hautfarben, Namen, Ethnien und Nabelpiercings haben, solange sie kämpft, diszipliniert aufspielt, die Ordnung hält, so lange ist sie deutsch.

Die "Steirische Völkertafel" listete vor fast dreihundert Jahren angeblich typische Eigenschaften der damals wichtigsten Völker Europas auf, und wenn man liest, dass Spanier hochmütig, ehrbar und gläubig sein sollen, Russen boshaft, dumm und verschlafen, wenn Klischees also so fest ins Gedächtnis des "Allgemein-Wissens" gebohrt sind, lohnt sich das Hinsehen auf den Deutschen: "Offenherzig, gewitzt, macht Kleidung anderen nach, verschwenderisch, liebt den Trunk, hat Gicht, Kriegstugend: unüberwindlich, braver Kirchgänger, liebster Zeitvertreib: Trinken, vergleichbares Tier: Löwe, sein Lebensende: im Wein."

Wieso Gicht, fragen Sie? Sie gilt als eine typische Folgeerscheinung der Trunksucht.

Es fehlt in dieser Aufzählung der Neid, denn kaum irgendwo wird um den Lohn so ein Staatsgeheimnis gemacht. Selbst die Hans-Böckler-Stiftung schaffte es in monatelanger Anstrengung gerade mal, 80 000 Personen zu bewegen, anonym ihr Gehalt preiszugeben, um eine Vergleichsliste zu erstellen. Das sind gerade mal 1 Prozent der DGB-Mitglieder.

Es fehlt weiterhin in dieser Aufzählung unsere Debattierfreude. Diskussionen ums Dosenpfand oder Rauchverbot, Streitereien um neue Postleitzahlen oder eine Volkszählung, die Lkw-Maut, die Pkw-Maut, der Anlass kann kaum nichtig genug sein.

Und es fehlt ... nun, ich wollte die Bundeswehr betrachten. Ich kommunizierte mit einem Oberstleutnant der Presseabteilung mit der Absicht, mich einmal in einen Offizierslehrgang hineinzusetzen und zu horchen, welche Werte dort vermittelt werden. Die entscheidenden Stellen in unserem mehrere Wochen dauernden Schriftverkehr lauten "Anfrage an den Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums weitergeleitet" und "abschließende Billigung nicht erfolgen kann" und "kann mir nur vorstellen, dass ein Übertragungsfehler vorliegt" und schließlich: "Es gibt keinen neuen Sachstand."

Wir werden die nächsten fünf Kriege verlieren, so viel ist sicher. Von Deutschland geht keine Gefahr mehr aus. Vorwarnzeit bei Anflug einer Luft-Boden-Rakete fünf Monate und drei Wochen. Wir bitten höflichst alle Nationen und/oder TerroristInnen, die gegen uns Krieg zu führen gedenken, dieses zu beachten, ansonsten kann Ihr Angriff nicht rechtzeitig und ordnungsgemäß bearbeitet werden. Hinweis: Diese Mitteilung wurde vollautomatisch erstellt und richtet sich in erster Linie an sich selbst. Vielen Dank. Der Direktor.

Die Langsamkeit ist leider real. Auch Bestatter und Fleißweltmeister Johann Heinrich Karl Thieme, der in einer Rekorddauer von 50 Arbeitsjahren 23 311 Gräber gegraben hat, ist real. Und die reinlichen 46 000 Hamburger, die zum Frühjahrsputz 350 Tonnen Müll sammelten. Leider real.

Was sagt der Fachmann in Form des Verlegersohns und Herausgebers des Buchs "Das Beste an Deutschland", Florian Langenscheidt? Er sagt: "Wir müssen den emotionalen Turnaround schaffen. Was unser Land braucht, ist Selbstliebe, nicht Selbsthiebe."

Mit emotionalen Turnarounds und anderem Mumpitz haben wir leben gelernt. Denn viel toleranter ist dieses Volk geworden, das noch nie wirklich ein Volk war. Wir sind seit langer Zeit ein Vielvölkerstaat.

Auch vor dem Ausländerzuzug waren unsere Haare rot, blond, schwarz und braun, unsere Augen braun, grau, blau, grün, unsere Körper groß, klein, untersetzt, dünn, fett und schlank, stark behaart, anämisch, gebückt, winzig, und ein bisschen gelispelt haben wir auch schon immer.

Schwarzkehlchen – Rotkehlchen – Goldkehlchen

Innerhalb der EU Öko-Grenzwerte noch strenger zu stecken als alles andere, das erfreut unser Herz. Wenn wir ein Holocaust-Mahnmal errichten, dann den Mercedes unter den Holocaust-Mahnmalen: antihakenkreuzsprayerbeschichtet, an prominentmöglichster Stelle, das teuerste und das beste und das längste und das "schönste" und mit einem Gesamtgewicht von zwanzigtausendsiebenhundertzweiundneunzig Tonnen Beton. Prall.

Beim ersten Versuch, das Land zu einigen, vor über hundertfünfzig Jahren, wurden Fahnen in Schwarz und Rot und Gold geschwenkt. Damals existierte von den heutigen Nationalsymbolen bereits die Eiche. Bei den Germanen diente diese Donnergott Thor als zeitweiliger Wohnsitz. Er war es, der von Amts wegen dafür sorgte, dass der Blitz regelmäßig einschlug.

Außerdem gab es schon den Adler und das Schloss Bellevue. Nur die Hymne und das Brandenburger Tor ließen noch auf sich warten.

♦3♦ Deutsche Nationalsymbole: Bemalte Fußgängerzonentiere

Nun ermächtigte der preußische König im Jahr 1813 einen gewissen Freiherrn von Lützow, ein Freikorps aufzustellen, um Napoleon in den Rücken zu fallen. Die armen Freischärler mussten ihre Uniformen jedoch selbst stellen. Schwarze Klamotten hatten sie schon, noch rote Aufschläge dran, goldene Knöpfe dazu – und fertig war das Zufallsprodukt unserer Trikolore!

Dass diese Farben dann über Weimar in die BRD kamen, ist altbekannt, aber wieso kam auch die DDR auf die Idee, statt irgendeines schicken Kommunistenrots genau dieselben Farben wie der Klassenfeind zu verwenden? Die Erklärung ist einigermaßen verblüffend: Der SED-Vorsitzende Otto Grotewohl argumentierte im März 1948, nur Schwarz-Rot-Gold könne wirksam den Gedanken der deutschen Einheit symbolisieren. Dies auch noch auf den Tag einhundert Jahre nach der – nationalistischen! – Märzrevolution, und das war kein Zufall.

Der Sohn von Friedrich Ebert, ebenfalls Friedrich Ebert geheißen, stellte den formalen Antrag, der DDR Schwarz-Rot-Gold zu verpassen, mit der Begründung, dies seien die alten Reichsfarben gewesen! Weiter argumentierte er, es handle sich um antipreußische Farben und nicht zuletzt um Zeichen deutscher Einheit, kurz, er redete unglaublich unsozialistische deutschnationale Dinge daher. Eberts Antrag wurde einstimmig angenommen.

Die "BRD" zockelte erst über ein Jahr später, im Mai 49, hinterher, als der Parlamentarische Rat auf die Idee kam, als "Bundesflagge" die Farben Weimars zu verwenden.

Erst 1959 stempelte die ostdeutsche Republik eine Ähre, einen Hammer und einen Zirkel auf die Trikolore. Jeweils als Zeichen für Bauern und Arbeiter und "schöpferische Intelligenz". Man wollte nicht mehr dasselbe Fähnchen schwenken wie die Verbrecher aus dem "westzonalen Separatstaat", gegen die man inzwischen die Volksarmisten einen Fahneneid schwören ließ.

Zur Belustigung der restlichen 200 Staaten der Welt schwenkten die zwei Deutschlande bis Ende der 60er dann wenigstens bei den Olympischen Spielen eine gemeinsame Fahne: schwarz-rot-gold, aber mit den olympischen Ringen darauf, diese in Weiß gehalten. Ein weiß Gott kruder Mix.

Noch mal in Kurzfassung: Weil vor fast zweihundert Jahren irgendwelche Tagelöhner, Arbeitslose und Studenten wenig Geld hatten, entstand zwangsläufig die Farbkombination Schwarz-Rot-Gold. Aus Tagelöhnern wurden Soldaten, die Studenten unter den Soldaten machten die Farben zu ihren Burschenschaftsfarben. Bei diversen Partys – Hambacher Fest, Wartburgfest – benutzte man die Farben als Deko, und wie immer kamen Politiker und nutzten dies aus.

Schwarzbrot Schwarzarbeiter Schwarzwälder Kirsch Schwarzfahrer Schwarzwurzeln Schwarzseher Schwarzkittel Schwarzbrenner Schwarzmaler anschwärzen Schwarzkonten Schwarzbier Schwarzmarkt Schwarzbunte Schwarzer Tag

Rote Socken Rotstift Rothaargebirge Rotfront Rotsünder Rotwild Rote Bete Rotkohl Roter Faden Rotationsprinzip Rotbäckchensaft Pommes-Rot-Weiß Rotarmist Rotzfahne Roth-Händle Rotkäppchen Rotphase Rot-Grün Rotwelsch

Goldmarie & Pechmarie Goldwaage Goldene Nase Goldzahn Beck’s Gold Goldbarsch Goldgräberstimmung Goldener Schnitt Goldfischbecken Goldberg-Variationen Goldener Mittelweg Goldrausch Goldtaler Rauschgoldengel Goldjunge

So sehen uns die anderen – 1. Teil

Briten

Wie wird Deutschland in ausländischen Reiseführern dargestellt, was empfohlen, wovor gewarnt, was hervorgehoben? Hierzu habe ich mir einige neue Reiseführer angesehen, die ausschließlich Originaltexte enthalten, denn was nützt einem eine präzise Darstellung, die aus "Anders reisen: Oberfranken für Oberfreaks" übersetzt ist?

"The Rough Guide to Germany" für die englischsprachige Welt leitet seinen dicken, detaillierten Deutschlandführer mit den Worten ein: "Deutschland war lange Zeit das Problemkind Europas", und erzählt, nein, nicht von Weltkriegen, auch nicht von der Teilung. Sondern erstaunlicherweise von der Kleinstaaterei bis 1871, vom Flickenteppich, auf dem Gott und die Welt kreuz und quer rumgelatscht sind.

Als touristisches Hauptcharakteristikum nennt der britische Verfasser die Romantik, von den Grimms über Schlösser und mittelalterliche Städte: "Wie immer steckt in diesen Klischees ein Körnchen Wahrheit, obwohl sich die meisten auf den Süden beziehen, vor allem Bayern, das als vorwiegend katholisches ländliches Gebiet sich stark unterscheidet vom urbanisierten städtischen Norden, der im neunzehnten Jahrhundert die Einheit des Landes herstellte und in der Folge die Staatsangelegenheiten bestimmte." Na, wenn das nicht gesessen hat. Tschüs Bayern, pfüati München, bye-bye BMW.

Im Rheinland hingegen, wo es einen "reichhaltigen Fundus an Legenden und Folklore" gebe, seien die Menschen "gekennzeichnet durch eine Lebenslust, wie man sie vom Mittelmeer kennt". Hingegen habe sich im Osten "in den Kleinstädten und ländlichen Gebieten am stärksten das Deutschland bewahrt, wie man es von vor dem Krieg kennt". Aha, auch diese Idee muss man sacken lassen: Anderswo seien einfach die ausländischen Einflüsse, die unweigerlich dem verlorenen Krieg folgten, kräftiger gewesen.

Unter den Städten sei Köln diejenige, die "an historischen Monumenten am reichsten" sei. Da kriegen viele das Hüsteln, außer freilich die Kölner, die nicht müde werden, auf ihre erhebliche Zahl an romanischen Kirchen hinzuweisen, trotz des gotischen Doms.

Frankfurt wiederum sehe sich angeblich als "wahre" Hauptstadt des Landes. Wissen das die Frankfurter?

Generell wird in der Hauptreisezeit von Juni bis September vor den "klaustrophobischen Effekten der Massen organisierter Touristengruppen" gewarnt. Man besuche daher Deutschland am besten im späten Frühling oder zu Herbstanfang.

Eigenartig erscheint in diesem Reiseführer der Aufbau nach Bundesländern. Was schon auf Touristikbörsen sinnentleert klingt – "Besuchen Sie Nordrhein-Westfalen!", da fehlt einfach eine gewisse exotische Grandezza –, offenbart hier erst die volle Sinnlosigkeit unserer Bundesländer. Urlaub in Hessen etwa kann alles heißen, von der Studienreise in den Marburger Ökokitsch über Wellness-Ödnis im Taunus bis zu Null-Sterne-Camping im Frankfurter Hafen.

Zu Recht weist dieser Reiseführer auf die Besonderheit des Verkehrsmittels namens "U-Bahn" hin. "Sie führt oft zu Verwirrungen. In Städten, wo es nur Straßenbahnen gibt, muss man überirdisch und unterirdisch nach seiner Haltestelle suchen." Und Taxis? "Fast alle Taxis sind Mercedes", stellt der Autor erstaunt fest. In einem argentinischen Weblog fand ich übrigens auch die Verblüffung darüber, dass man hier als Fahrschüler ohne besonderen Aufpreis in einem VW Golf fahren darf. Und in manchen Fahrschulen sogar BMW!

Dann wird noch das Phänomen von Mitfahrzentralen erläutert, "eine institutionalisierte Form des Trampens", und auf "women-only agencies", "Frauenmitfahrzentralen", hingewiesen, und man muss gestehen, dass hier der auswärtige Betrachter mit gutem Grund staunt.

Frustrierend sei allerdings das Wandern, denn: "Die Vielzahl an Bäumen in all den sehenswerten Landschaften bedeutet nicht nur, dass man nur gelegentlich mit einem weiten Ausblick belohnt wird, sondern sie ist auch schuld daran, dass es selten eine Chance gibt, der Reglementierung durch markierte Wege zu entrinnen."

In der Abteilung "Unterkunft" erklärt der Rough Guide eine "einzigartige deutsche Institution, den Gasthof. Meistens muss man in dem Theke-mit-Restaurant-Raum fragen, ob es Zimmer gibt. Im Restaurant sitzen die einheimischen Gäste, und hier werden die örtlichen Geschäfte abgewickelt, wobei die Fremdenzimmer nur eine Nebenrolle spielen."

Fremdenzimmer gebe es im alten Westen in den Städten nur seltenst, im Osten dafür umso öfter, da zur Wendezeit mehr Reisende kamen, als Hotelzimmer vorhanden waren. Heute seien Letztere allerdings businessorientiert und demzufolge teuer. Es fällt generell ins Auge, wie nachdrücklich der Autor die Unterschiede zwischen Ost und West hervorhebt, wobei seine Motive – Exotik? Vorurteile? Reine Neugier? – leider im Dunkeln bleiben.

Türken

Nach eingehender Recherche stellte ich verblüfft fest: Es gibt keine türkischen Reiseführer für Deutschland. Türken sind da anders als wir, sie fahren einfach irgendwohin und fragen dann, wenn es sein muss, fünfzig Leute nach dem Weg.

Es gibt anscheinend überhaupt nur 40 Reiseführer auf Türkisch, darunter einen für München. Warum gerade München? Wegen dem "ü"?

Eine Zweitegenerationsdeutschtürkin – wir haben einfach herrliche Wörter – erklärte mir dies so: "Erstens: Reisen ist nicht so verbreitet wie hier. Zweitens: In der Türkei sind Bücher an sich schon ein Phänomen."

Und erhielt ich doch noch den Hinweis auf eine einschlägige Website "almanya’nin turistik güzellileri".

Problem: Ich spreche leider kein Türkisch. Dachte ich immer.

"12 milyon yabancı turist" – heißt etwa: 12 Millionen Touristen, Mannomann.

"İki Almanya’nın 1990 yılında tekrar birleşmesiyle Dresden, Waima ve Eisennach gibi kültür" – bedeutet: Nach der Maueröffnung wurde es kulturvoller.

"Uzun yürüyüşü sevenlere Mittelgebirge ve Alpler tavsiye edilir" – sinngemäß: In Deutschland gibt es kleine Berge und große Berge.

Lonely Planet

Im "Germany"-Reiseführer von Lonely Planet, ein australisches Unternehmen, ist der Hinweis sehr hübsch, dass Deutsch im Grunde eine Art Englisch ist, nur viel leichter auszusprechen, und dass man im Übrigen gerade im Osten sehr froh sein wird, wenn Sie ein wenig Deutsch sprechen. Hier ein kleines Best-of:

"Mein Herr, gnädige Frau, kann man hier irgendwo örtliche Volksmusik hören? Ich möchte ein R-Gespräch. Oder einen Luftpostleichtbrief und eine Tratte. Können Sie den Preis reduzieren?"

Und lautschriftlich: Mir gefällt es in doych-lahnt. Dahng-keh und owf-vee-dehr-zayn.

Chinesen

Ein chinesischer Reiseführer mit dem Titel "" geriet in meine Hände, weil ein Freund eines Freundes Russe ist, dieser einen Geschäftstermin in China hatte und sein Sekretariat das Sekretariat seines chinesischen Gastgebers bat, doch einen Reiseführer auf Chinesisch für Deutschland zu besorgen, der aber bitte unbedingt von einem Chinesen verfasst sein soll. Noch heute dürfte wegen dieses Vorgangs ein namenloser chinesischer Geheimdienstler kiloweise Aspirin verzehren, um zu ergründen, was dieser irre Russe im Schilde führt.

Der Reiseführer beginnt ungefähr so: , und die ersten entzifferbaren Zeichen sind "German" und "diot". Skepsis erwacht. Auch wenn die Rückseite des Buches eine schwarz-rot-goldene Fahne ziert, könnte das Œuvre ja ein Deutschland-Dissing-Pamphlet sein. Es folgen die Zahlen 962, 1806, 1870, 1871. Alles klar, wir sind bei Geschichte. Und man nimmt das Krönungsdatum von Otto I. als Ursprung Deutschlands. Es folgen 1933, 1945, 1990. Das nenne ich mal kurz und prägnant zusammengefasst.

Das häufigste Foto ist die Siegessäule, die der Autor offenbar als stark symbolhaft empfindet.

Auf den nächsten Seiten folgen aber auch Fotos des Brandenburger Tors, der BMW-Zentrale in München und eine Aufzählung der Gewerkschaften. Aha. Wer weiß, wann ein Buch in China heute als aktuell gilt? Das Oktoberfest darf nicht fehlen. Einige Seiten weiter erläutert man Passangelegenheiten, und es folgt der Löwenanteil des Reiseführers: Erklärungen zum Studium in Deutschland, mit Abbildungen von Universitäten, "Einwohnenmeldenamt", "Zwei sudium", "Promoion", "Aufenhalszweck", irgendwo mittendrin ein Konversationsexemplar realster Sorte: "Wie viel koennen Ihre Eltern Ihnen geben? – 5000 Yuan pro Monat. Wie viel koenne Ihre Eltern verdienen? Ungefaehr 8000 Yuan pro Monat." Das heißt, über die Hälfte ihres Gehalts brauchen Chinesen gar nicht? 500 Euro pro Monat, gar nicht sooo schlimm.

Klar wird: Nein, aus China kommen keine Individualtouristen, sondern neben Wirtschaftsdelegationen allenfalls noch Reisegruppen, und eben Studenten. Und was brauchen die noch? "Funk, Mediamarkt, Saturn, Vobis, ProMarkt, Quelle ..." Funk? Daneben ist erneut der Berliner Fernsehturm abgebildet, dann kommt ein Bild eines Hauses in den Bergen, die Aufzählung üblicher Oktanzahlen und, hey, die Nummer des ADAC, na, das ist doch mal vertraut. Ganz wie der "Alexanderoplatx" und die ratzfatz Themensprünge zum Beethovenhaus nach Bonn, aber eine halbe Seite weiter ist man schon in Frankfurt/M. Neben dem Kölner-Dom-Foto steht "Drogerie", "Baby" und "Naturprodukt", und ich wünsche Ihnen, dass Ihnen im Kölner Dom nie ein besorgter Chinese seine Hühneraugen präsentiert.