Erdanziehung - Wulf Kirsten - E-Book

Erdanziehung E-Book

Kirsten Wulf

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Beschreibung

Wulf Kirstens Gedichte entziehen sich jeder Strömung, sie strömen selbst wie die Elbe durch das Gebirge und bahnen sich ihren Weg in das Empfinden der Leser, erzählen von der Sehnsucht, evozieren längst vergangene Kindheitstage, sind erdverbunden und haben zugleich Worte für die Leere, für die Stille, für die Gegenden, wo nur noch die Erinnerung haust und die Natur übernimmt. »Erdanziehung« versammelt seine Gedichte aus den Jahren 2011 bis 2018.

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Seitenzahl: 35

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Wulf Kirsten

erdanziehung

Gedichte

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Inhalt

I am grundfadenlichtgebetherbstam grundfadenverwerfungen im reliefverregneter sommertagNikolai Kljujewplan de dieuvon Hottelstedt nach Zottelstedtlaubgeräuschspielplatzder dienerwas ich noch sagen wolltesagenhaftdie eskaladierwandEichendorffdurchsichtigeine augenkrankheitOstendeFriedrich Rohmer (1814–1856)stadtführungzikadengesangHerders gartenmauerseglerII poesie der landschaftzweifelblaues geflügelgoldbukowinischam ende aller tageam weidenpfadstilleIII weltbetrachteraplombunterwegs nach Absurdistanabendfriedenherbstgeschmackfachgesprächweltbetrachternachthinüberambientegeländemitspracherechtder lebensfadenphysiognomie der landschaftwindhoseperipherieGeregamorgen in Alzeyfabula rasagrauhimmeltagunter freiem himmeldie schöne else (sorbus torminalis)welthäuslichkeit

Iam grundfaden

lichtgebet

luziferische lichtträger & armleuchter,

wahnanschauung als weltanschauung

drapiert, vom wahn zum wahnsinn,

lichtwärtsgestalten, von erleuchtung

beseelt: lichtgebete zu beten,

gesprochen von höhenmenschen,

Luzifer und Balder verpflichtet,

sehnsüchtig ausposaunt in käseblättchen

für eine schwach besetzte sektierer­-

gilde, erleuchtete empormenschen,

die ihre philosophatschereien

für aller weistümer letzten schluß

ausgeben, sich selbst, keine frage,

natürlich auserwählt, dünkelhaftes

dunkelmanngemunkel, plattfußdaleminzer,

aufgenordet, die dem werdandikult

huldigen, gottverwerdandibus.

herbst

blankgeriebene felswände,

natur pur vor Jena belassen,

an die sich perückenbäume krallen

hoch hinauf in rot getaucht,

auf den höhenzügen drehn sich

die mühlen der stromerzeuger,

die auf wind setzen, soll

nur wehen, woher und wohin

er will, eilfertig in die

laubfärbung hinein und schon

wieder hindurch radfahrer

im konvoi, selbst der flußlauf

stromab demnächst kostspielig

asphaltiert, weit und wüst

verstreut kaufhallen

im gelände, supermärkte

für heimwerker, die den herbst

festnageln wollen, heimwärts

schwankend-wankend alte weiblein,

erdwärts gebeugt, an einen hacken-

­porsche gehängt, schritt für schritt

im wechselsüchtigen licht

herbstwärts das leben hinab,

stapfen tapfer dahin.

am grundfaden

am grundfaden hängend, vernetzt,

wie ihn die spinne zu ziehen beliebt,

wirst du wohl oder übel mit deiner

hauteigenen geschichte leben müssen,

wenn auch demnächst aller leiblichen

beschwerung entrückt, gespaltenes bewußtsein

abgewickelt, die wende rückwärts,

wie von turnvater Jahn vorexerziert,

lebensrettend das perfekte anpassungs-

­konzept, schon immer vorsichtshalber

zutiefst überzeugt gewesen, sieh selbst,

es gibt keinen anfang und kein ende,

außer dem einen, das dich und nur dich

unabweislich betrifft, licht und schatten

als bizarre formgestalter, wahr aber ist,

die zukunft gehört eindeutig der ellipse,

ein vertrackter corpus aus falsifikaten,

imitaten, denaturiert vom schütteln

in der kruden gemengelage, schöne worte

und nichts dahinter, schönheit sei

eine figur der wahrheit, daß ich

nicht lache, vielleicht, wenn es hochkommt,

eine notgedrungne erscheinung, zum abbild

ihrer selbst verflacht, wer kann wissen

bei so viel fehlgeschlagenen verheißungen,

nun im trugschlußverkauf, gekarrt

auf die erinnerungsschuttablage,

personelle altlasten erkennungsdienstlich

korrekt erfaßt hergebrachtermaßen,

augenscheinlich deformalitäten,

wie haarstäubend auch immer aufgetischt,

status quo vadis, eklatanter geht nicht,

brotlose künste, indoktrinierte

aller länder bekennt euch angesichts

konjunktureller abschwünge, gramgebeugte

jasager und abnicker koriphäen,

lumperei und lauserei (siehe Goethe

an Herder anno 1790), seither etwelche

epochenumbrüche, wie waghalsig

auch immer subversive elemente

aufgetrumpft, falschzüngler und falschmünzer,

auch skandalnudeln hoch im kurs,

vertrauensschwindsucht bei sozialer schieflage,

wolltest du nicht eine welt aus sprache

zimmern? gib das wort! wirf auch das deine

auf die waagschale, kultur degeneriert

zur sättigungsbeilage, bedenkenträger, mach

keine menkenke, du hast wohl nicht alle

tassen im schrank? hörst du zu? du sprichst

unentwegt in dich hinein, so stehst du

am ende mit deinem latein auf verlorenem

posten, ach, freunde vergangener zeiten,

wo seid ihr abgeblieben? entsorgt

die krumme wahrheit des raums, wie schon

von Ernst Meister prophezeit, wohin gehen wir,

brandfackelsätze im ohr? ist dir bange

vor der abgottschlange?

verwerfungen im relief

ins licht der geschichte gehoben,

über versteinerten meeresboden hinweg,

bewaldete steilstufen im unteren muschelkalk,

felsbänder, fossiliengespickt, auf denen

berglauch sein kümmerlich fortkommen findet,

hufeisenklee als irrläufer inmitten

aufrechter trespe, hangauf ästige graslilie

in reichen beständen, hier regiert

unerbittlich ausschließlich, widerständig

gegen alle verwerfungen im relief

die morphologische situation mit all

ihren endogenen kräften, inkrustiert,

was grusig aufgesattelt, nachträglich

in schutt und karst verkieselt,

aufgeschüttet grundmoränen

mit resten vom letzten steppennashorn,

flachgeböschte sockel, alle kegel

abgestumpft, aufgewölbte schmale riedel,