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Wulf Kirstens Gedichte entziehen sich jeder Strömung, sie strömen selbst wie die Elbe durch das Gebirge und bahnen sich ihren Weg in das Empfinden der Leser, erzählen von der Sehnsucht, evozieren längst vergangene Kindheitstage, sind erdverbunden und haben zugleich Worte für die Leere, für die Stille, für die Gegenden, wo nur noch die Erinnerung haust und die Natur übernimmt. »Erdanziehung« versammelt seine Gedichte aus den Jahren 2011 bis 2018.
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Seitenzahl: 35
Wulf Kirsten
erdanziehung
Gedichte
FISCHER E-Books
luziferische lichtträger & armleuchter,
wahnanschauung als weltanschauung
drapiert, vom wahn zum wahnsinn,
lichtwärtsgestalten, von erleuchtung
beseelt: lichtgebete zu beten,
gesprochen von höhenmenschen,
Luzifer und Balder verpflichtet,
sehnsüchtig ausposaunt in käseblättchen
für eine schwach besetzte sektierer-
gilde, erleuchtete empormenschen,
die ihre philosophatschereien
für aller weistümer letzten schluß
ausgeben, sich selbst, keine frage,
natürlich auserwählt, dünkelhaftes
dunkelmanngemunkel, plattfußdaleminzer,
aufgenordet, die dem werdandikult
huldigen, gottverwerdandibus.
blankgeriebene felswände,
natur pur vor Jena belassen,
an die sich perückenbäume krallen
hoch hinauf in rot getaucht,
auf den höhenzügen drehn sich
die mühlen der stromerzeuger,
die auf wind setzen, soll
nur wehen, woher und wohin
er will, eilfertig in die
laubfärbung hinein und schon
wieder hindurch radfahrer
im konvoi, selbst der flußlauf
stromab demnächst kostspielig
asphaltiert, weit und wüst
verstreut kaufhallen
im gelände, supermärkte
für heimwerker, die den herbst
festnageln wollen, heimwärts
schwankend-wankend alte weiblein,
erdwärts gebeugt, an einen hacken-
porsche gehängt, schritt für schritt
im wechselsüchtigen licht
herbstwärts das leben hinab,
stapfen tapfer dahin.
am grundfaden hängend, vernetzt,
wie ihn die spinne zu ziehen beliebt,
wirst du wohl oder übel mit deiner
hauteigenen geschichte leben müssen,
wenn auch demnächst aller leiblichen
beschwerung entrückt, gespaltenes bewußtsein
abgewickelt, die wende rückwärts,
wie von turnvater Jahn vorexerziert,
lebensrettend das perfekte anpassungs-
konzept, schon immer vorsichtshalber
zutiefst überzeugt gewesen, sieh selbst,
es gibt keinen anfang und kein ende,
außer dem einen, das dich und nur dich
unabweislich betrifft, licht und schatten
als bizarre formgestalter, wahr aber ist,
die zukunft gehört eindeutig der ellipse,
ein vertrackter corpus aus falsifikaten,
imitaten, denaturiert vom schütteln
in der kruden gemengelage, schöne worte
und nichts dahinter, schönheit sei
eine figur der wahrheit, daß ich
nicht lache, vielleicht, wenn es hochkommt,
eine notgedrungne erscheinung, zum abbild
ihrer selbst verflacht, wer kann wissen
bei so viel fehlgeschlagenen verheißungen,
nun im trugschlußverkauf, gekarrt
auf die erinnerungsschuttablage,
personelle altlasten erkennungsdienstlich
korrekt erfaßt hergebrachtermaßen,
augenscheinlich deformalitäten,
wie haarstäubend auch immer aufgetischt,
status quo vadis, eklatanter geht nicht,
brotlose künste, indoktrinierte
aller länder bekennt euch angesichts
konjunktureller abschwünge, gramgebeugte
jasager und abnicker koriphäen,
lumperei und lauserei (siehe Goethe
an Herder anno 1790), seither etwelche
epochenumbrüche, wie waghalsig
auch immer subversive elemente
aufgetrumpft, falschzüngler und falschmünzer,
auch skandalnudeln hoch im kurs,
vertrauensschwindsucht bei sozialer schieflage,
wolltest du nicht eine welt aus sprache
zimmern? gib das wort! wirf auch das deine
auf die waagschale, kultur degeneriert
zur sättigungsbeilage, bedenkenträger, mach
keine menkenke, du hast wohl nicht alle
tassen im schrank? hörst du zu? du sprichst
unentwegt in dich hinein, so stehst du
am ende mit deinem latein auf verlorenem
posten, ach, freunde vergangener zeiten,
wo seid ihr abgeblieben? entsorgt
die krumme wahrheit des raums, wie schon
von Ernst Meister prophezeit, wohin gehen wir,
brandfackelsätze im ohr? ist dir bange
vor der abgottschlange?
ins licht der geschichte gehoben,
über versteinerten meeresboden hinweg,
bewaldete steilstufen im unteren muschelkalk,
felsbänder, fossiliengespickt, auf denen
berglauch sein kümmerlich fortkommen findet,
hufeisenklee als irrläufer inmitten
aufrechter trespe, hangauf ästige graslilie
in reichen beständen, hier regiert
unerbittlich ausschließlich, widerständig
gegen alle verwerfungen im relief
die morphologische situation mit all
ihren endogenen kräften, inkrustiert,
was grusig aufgesattelt, nachträglich
in schutt und karst verkieselt,
aufgeschüttet grundmoränen
mit resten vom letzten steppennashorn,
flachgeböschte sockel, alle kegel
abgestumpft, aufgewölbte schmale riedel,