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Wer sein Unternehmen zum Erfolg führen möchte, der findet in der Spezialisierung ein ebenso einfaches wie wirkungsvolles Instrument, um über diese Fokussierung mehr Marktanteile, mehr Gewinn und mehr Erfolg zu erreichen. In der überarbeiteten Neuauflage ihres Buches beschreibt die erfolgreiche Strategie-Expertin Kerstin Friedrich anhand von neuen Unternehmensbeispielen, wie man das richtige, passende Spezialgebiet findet und die Risiken in Wettbewerbsvorteile umwandelt. Perfekt für Freiberufler ebenso wie für Unternehmer und Manager, bietet das Buch eine Strategieanleitung, um sich am Markt zu behaupten.
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Seitenzahl: 254
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4. überarbeitete Neuauflage 2018
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Redaktion: Ulrike Kroneck, Melle-Buer
Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München
Umschlagabbildung: shutterstock.com
E-Book-Umsetzung: Georg Stadler, München
ISBN Print 978-3-86881-544-3
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-648-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-649-7
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»Alle wirklichen Unternehmenserfolge sind Konzentrationserfolge«
Fredmund Malik
»Von Spezialisten siegen lernen«
Schlagzeile im Wirtschaftsmagazin impulse
»Specialize or die«
Joanell Teague
1972 brannte in der Oberpfalz ein Erdgasspeicher. Sieben Tage lang hatten sich deutsche Feuerwehrleute erfolglos damit abgemüht, die Katastrophe in den Griff zu bekommen. Schließlich überredete man den führenden Experten für Gas- und Ölbrände, den texanischen Feuerwehrmann Paul Neal »Red« Adair, nach Deutschland zu kommen. Er kam, besichtigte den Ort des Geschehens und leitete die erforderlichen Maßnahmen ein. 18 Minuten später war der Brand gelöscht. Red Adairs Honorar betrug umgerechnet 800 000 Euro – zu damaliger Kaufkraft (und auch heute) ein schöner Batzen Geld. Die Macht des Spezialisten – es gibt kaum ein besseres Beispiel als dieses.1
Stellen Sie sich vor, Sie wären in einer ähnlichen Position: Die Auftraggeber müssten Schlange stehen, um einen Termin bei Ihnen zu bekommen, Sie könnten hervorragende Preise erzielen und würden über Problemlösungsfähigkeiten verfügen, die Sie als Einziger mit traumhafter Sicherheit beherrschten. Eine schöne Vorstellung? Ich weiß, Sie halten das für sehr weit hergeholt, sogar für völlig unmöglich. Doch schauen wir uns Red Adairs Erfolg einmal an: War es Zufall oder ein Glücksfall? Hatte er eine genetisch programmierte Begabung für das Löschen gefährlicher Brände? Verfügte er nur über eine ans Selbstmörderische grenzende Risikobereitschaft? Nichts davon trifft zu. Adair sagte von sich, er wäre nie auch nur das geringste Risiko eingegangen, ja er hielt sich selbst nicht einmal für besonders mutig. Er wisse nur immer ganz genau, was zu tun sei.
Adair war Spezialist – und zwar nicht Spezialist für irgendwas, sondern Spezialist für die Lösung eines besonders drängenden, im wahrsten Sinne des Wortes brennenden Problems. Und damit hatte er Macht bekommen. Sie werden in diesem Buch noch vielen solcher Spezialisten begegnen – großen Unternehmen wie »kleinen« Einzelkämpfern, Menschen und Unternehmen, die einen kleinen Ausschnitt dieser Welt besser beherrschen als irgendjemand sonst. Die über Fähigkeiten verfügen, die sie extrem anziehend für potenzielle Kunden machen und die ihnen die Macht verleihen, ihre Spielregeln weitgehend selbst bestimmen zu können. Und all das nicht, weil sie das Glück auf ihrer Seite hatten oder weil sie herausragende Genies waren, sondern weil sie sich bewusst für eine Spezialisierungsstrategie entschieden hatten (was an sich auch schon ziemlich genial ist).
Ja, Sie haben richtig gelesen: Es geht um MACHT! Macht ist eines der größten Tabuthemen in der Managementlehre. Wir sind derart geschädigt durch Klassenkampf-Ideologien, Gewerkschaft- oder Arbeitgebermacht, den Macht-Missbrauch der Kapitalisten und Staatsmonopolisten und Ähnliches, dass wir nicht einmal im Traum daran denken, unseren eigenen Machtanspruch zu erheben. Dabei ist Macht an sich überhaupt nichts Negatives, im Gegenteil: Macht ist nichts anderes als die Fähigkeit, jemand anderem etwas Gutes oder Böses antun zu können, oder – anders ausgedrückt – mit größter Sicherheit vorhersehen zu können, wie Menschen sich verhalten werden. 2
Wir wollen uns hier ganz und gar auf die erstere Variante konzentrieren, nämlich auf die Fähigkeit, Gutes zu bewirken. Jeder Mensch braucht ein gewisses Maß an Macht, und viele Probleme entstehen erst daraus, dass sich Menschen hilflos und ohnmächtig fühlen. Natürlich brauchen auch Unternehmen Macht, und dem Systemforscher Wolfgang Mewes verdanken wir die Einsicht, dass man die Machtposition eines Unternehmens am Gewinn ablesen kann. Diese Unternehmen bringen es nämlich offensichtlich fertig, die ihren Leistungen und Kosten angemessenen Preise durchsetzen zu können. Unternehmen, die ständig Preiszugeständnisse machen müssen, sind austauschbar und damit erpressbar. Sie sind machtlos. Wer jedoch einen deutlich höheren Nutzen bietet als alle Mitbewerber, kann sicher sein, dass der Kunde dies auch honoriert. Besonders erfolgreiche Anbieter bringen es fertig, dass der Kunde monatelange Wartezeiten in Kauf nimmt und beinahe jeden Preis zu zahlen bereit ist. Der kluge Spezialist indes nutzt seine Macht und seinen Preiserhöhungsspielraum nicht aus. Machtmissbrauch rächt sich früher oder später immer.
Dies ist ein Buch über das einfachste und wirkungsvollste Instrument zu mehr Marktmacht, Anziehungskraft und Erfolg: die Spezialisierung. Keine andere Strategie ist so umstritten wie die der bedingungslosen Konzentration auf wenige Produkte, Dienstleistungen oder Problemlösungen. Anhänger von Spezialisierungsstrategien halten sie für eine Wunderwaffe, mit deren Hilfe alle gängigen Probleme der Unternehmensführung gelöst werden können – egal, ob sie das Marketing, die Organisation, die Innovation oder das Wissensmanagement betreffen. Den Gegnern gilt sie dagegen als Strategie für Sonderlinge, überdies als gefährlich, riskant, einseitig oder langweilig. Meines Wissens gibt es keine andere Strategie, über die so viele Vorurteile, Missverständnisse und sich widersprechende Meinungen herrschen wie über die Spezialisierung.
»Früher haben wir Hungrige satt gemacht – heute müssen wir Satte hungrig machen« – in diesem einfachen Satz drückt sich die große Herausforderung aus, der sich Unternehmer und Gründer heute stellen müssen: Auf fast allen Märkten herrscht ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Um dort bestehen zu können, braucht es mehr als Durchschnittlichkeit: etwas Herausragendes. Wenn Sie über endlose Ressourcen verfügen, brauchen Sie nicht weiter zu lesen – dann können Sie sich Ideen, Märkte, Technologien und Kreativität kaufen. Wenn Sie sich den Spaß am Erfolg nicht nehmen lassen wollen und auch mit wenigen Kräften viel bewirken wollen, sind Sie hier genau richtig.
Diese Frage stellt sich in Zeiten wie diesen, die geprägt sind durch harten Wettbewerb, globale Herausforderungen und ein irrsinniges Innovationstempo, drängender denn je. Zumindest in einem Punkt scheinen sich die Strategie-Päpste einig: Nach dem Desaster, das die Diversifikationsstrategie in den 1970er- und 1980er-Jahren weltweit angerichtet hat, konnte das Thema »Alles für alle« getrost beerdigt werden. Stattdessen empfahl man unisono Erfolgsrezepte wie »Fokussierung« (das Teufelswort »Spezialisierung« wird gern vermieden), oder ein moderates »Zurück zu den Kernkompetenzen«. Mit bemerkenswerten Folgen: Seit vielen Jahren kann man täglich der Fachpresse entnehmen, dass sich Unternehmen von »unpassenden« Bereichen trennen, um das Kapital umgehend in die Akquisition von »passenden«, die Fokussierung oder Kernkompetenzen stärkenden Unternehmen zu stecken. Diversifikation ist out – um nicht zu sagen: mega-out. Jack Welch, einst CEO des weltweit erfolgreichsten Gemischtwarenladens General Electric, war eine der Ausnahmen von der Regel. Er hat es wie kein anderer vor ihm geschafft, ein weltumspannendes Imperium voneinander unabhängigem Unternehmen zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzuschweißen. Doch Führungsgenies dieses Kalibers gehören offensichtlich einer exotischen, höchst seltenen Art an. Denn erfolgreiche diversifizierte Konzerne kann man mit der Lupe suchen: An der Börse werden Allrounder mit einem »Konglomerats-Abschlag« von bis zu 25 Prozent bestraft. Die Analysten favorisieren »fokussierte« Unternehmen, die beides bieten: die Marktführer-Qualitäten eines Spezialisten mit dem »Sicherheitspotenzial« der Diversifikation. Und so versucht man es heute gern mit einer gelungenen Mischung aus »sowohl-als-auch«: breite Produktpalette, aber irgendwie einen gemeinsamen Nenner, sprich: Fokus. Doch was ist das eigentlich, diese sagenumwobene »Fokussierung«?
Schauen wir uns ein Beispiel an, nämlich die Daimler AG: ein Unternehmen, das schon so manche strategische Modeerscheinung mitgemacht hat. Als der Konzern noch unter dem Namen Daimler Benz firmierte, stellte er so etwas wie das Musterbeispiel missglückter Diversifikationspolitik dar. Anfang der 1980er rutschte der Nutzfahrzeugsektor in die roten Zahlen. Auch das Stammgeschäft, der Bau hochwertiger Automobile, wurde eher pessimistisch beurteilt. Darum investierte das Unternehmen in alle möglichen Branchen. Gekauft wurden ganz oder in Teilen die marode AEG, der Weltraumforscher DASA, der Turbinen- und Motorenhersteller MTU und viele andere. Doch das Experiment misslang: Die viel beschworenen Synergien zwischen den Bereichen wurden nicht einmal ansatzweise realisiert. Stattdessen wurde aus 2,8 Milliarden Euro Profit binnen zehn Jahren ein Defizit von drei Milliarden.
Offensichtlich war es nicht möglich, vom Toaster (AEG) über IT-Dienstleistungen (debis) bis zur Weltraumfähre (DASA) alles anzubieten, was den gemeinsamen Nenner »Technik« besaß. Daimler-Chef Edzard Reuter durfte gehen, und zur großen Freude der Anleger folgte sein Nachfolger Jürgen Schrempp alsbald dem allgemein angesagten Trend zur »Fokussierung«, und zwar zunächst auf das Kerngeschäft »Verkehr«. AEG, Fokker, Dornier und andere wurden aus dem Portfolio verbannt, später folgte die hoch-defizitäre Adtranz, die sich unter anderem der Integration von Auto und Schiene verschrieben hatte. Das Geschäftsfeld wurde nun auf das ursprüngliche Kerngeschäft, das Automobil, eingeschränkt – man könnte sagen: fokussiert. Doch sofort drohte das nächste Desaster: die Welt AG. Dahinter stand die Theorie, dass in Zukunft nur weltweit in allen Fahrzeugklassen präsente Unternehmen konkurrenzfähig bleiben werden. Die Daimler AG ist heute ein weltumspannendes Konglomerat von Autofabriken und Vertriebsstützpunkten, das vom Kleinstwagen Smart über den luxuriösen Maybach bis zum Super-Lkw aus dem Hause Freightliner weltweit alles zu bieten hat, was des Autofahrers Herz zu erfreuen vermag. Doch um welchen Preis? Die Eintrittskarte für das Spiel um die Weltherrschaft in allen automobilen Klassen erwies sich als teuer: Der Kauf und die Integration von Chrysler und Freightliner in den USA, die Beteiligung an Mitsubishi in Japan sowie Hyundai in Korea und die Aktivitäten in China zehrten an den Ressourcen – erst an den personellen, dann an den finanziellen. Chrysler, Freightliner und andere belasteten das Konzernergebnis mit Milliardenverlusten. Drei Jahre nach dem »Superdeal« DaimlerChrysler hatte sich der Aktienkurs halbiert, was einer rechnerischen Kapitalvernichtung von 40 Milliarden Euro entsprach. Scheinbar wurde auch im Rahmen der neuen Strategie das Maß des Machbaren überschritten. »Man kann nicht alles machen«, räumte DaimlerChrysler-Vorstand Eckhard Cordes freimütig in der Frankfurter Allgemeine ein.3
Den Anlegern hätte es sicherlich mehr Freude gemacht, wenn man sich auf das Spezialgebiet, den Bau hochwertiger, prestigeträchtiger Automobile, beschränkt hätte: Im deutschen Mutterhaus erfreute man sich nämlich prächtig sprudelnder Gewinne und voll ausgelasteter Kapazitäten. »Funkelnde Augen bekommen die Verantwortlichen des Stuttgarter Konzerns derzeit nur, wenn sie sich die Zahlen ihrer Vorzeigemarke Mercedes anschauen«, urteilte im November 2001 ein Analyst im Börsenportal wallstreet online.
Ist die Daimler AG ein fokussiertes Unternehmen? Sicherlich ist es heute im Sinne des Kerngeschäftes konzentrierter als noch zuzeiten des »integrierten Technologiekonzerns«. Doch ist das Unternehmen fokussiert? Natürlich nicht. Zu diesem Begriff fällt uns nur ein einziger Automobilhersteller ein, nämlich der profitabelste: Es ist die Porsche AG, ein Spezialist reinsten Wassers, der Image und Gewinn lange Zeit aus einem einzigen Modell, dem legendären 911er zog, und der seine Modellpalette äußerst behutsam innerhalb der Kernkompetenz erweiterte. Doch soll das wirklich die Alternative sein – eine Welt von Nischenanbietern? Das ist aus Gründen, über die Sie hier noch einiges lesen werden, nicht die einzige Alternative. Nach meiner Ansicht gibt es nicht die Qual der Wahl zwischen Spezialisieren, Fokussieren oder Diversifizieren – der Königsweg liegt im gelungenen »Sowohl-als-auch«. Genau darum geht es in diesem Buch: Darum, sich richtig zu spezialisieren und – wenn es denn sein soll – zu diversifizieren und zu expandieren, ohne dass die Spezialisierungsvorteile dabei komplett »flöten« gehen.
Das, was uns heute unter »Fokussierung« geboten wird, ist häufig nichts anderes als eine auf Branchen ausgerichtete Diversifikationspolitik. Diese Strategie mag für einen amtierenden oder angehenden Global Player machbar und erfolgreich sein (wobei hier und da ernsthafte Zweifel angebracht sind). Irrsinnigerweise wird sie aber auch von vielen kleinen und mittleren Unternehmen kopiert, die einen Großteil ihres Erfolgspotenzials damit in den Mülleimer werfen oder – noch schlimmer – in die Pleite gehen, weil sie sich verzetteln.
Doch nicht nur Mittelständler und Kleinunternehmen kopieren die Strategien der Konzerne – erschreckenderweise wird selbst unter Freiberuflern noch erstaunlich häufig die Meinung vertreten, ein möglichst breites Wissen (sprich: Produktspektrum) sei die sicherste Grundlage einer erfolgreichen Existenzsicherung. Denn das wird uns ja bereits in der Schule eingetrichtert: Wer viel weiß und alles kann, ist der Beste! Im völlig realitätsfernen Schonraum »Schule« mag so etwas funktionieren – im wirklichen Leben ist mit dieser Strategie nichts anzufangen. Denn schon vor 1000 Jahren konnte man nicht alle Wissensgebiete beherrschen – und heute, wo sich das Wissen alle paar Jahre verdoppelt, erst recht nicht. Selbst Gebiete, die gemeinhin schon als »Spezialisierung« gelten, sind derart umfangreich und ausdifferenziert, dass eine einzelne Person sie unmöglich in allen Nuancen bis zur Spitzenklasse beherrschen kann. In der Chirurgie beispielsweise (die selbst bereits als Spezialgebiet in der Medizin gilt), gibt es heute Spezialisten für Herztransplantationen, für plastische Chirurgie (mit Unter-Spezialisierungen für Nase, Brust, Ohren, Augen …), für Handoperationen und so weiter und so fort. Ähnlich ist es bei den Unternehmensberatern, in den Rechtswissenschaften oder bei Wirtschaftsprüfern: Kein Mensch ist heute mehr in der Lage, solche riesigen Wissensgebiete in allen Details erfassen und beherrschen zu können – geschweige denn, dort eine führende Rolle zu spielen.
Der einzige Weg, der dramatisch wachsenden Komplexität unserer Welt zu begegnen, ist die Spezialisierung – und zwar nicht die landläufig bekannte Spezialisierung in Richtung Fachidiotie und Isolation, sondern eine neue, intelligente Form der Spezialisierung, die zu überlegenen Problemlösungen und optimaler Integration in die Umwelt führt.
Ganz besonders für Mittelständler, kleine und ganz kleine Unternehmen sowie für Selbstständige und Freiberufler ist die Spezialisierung eine ideale Strategie.
Um eines vorwegzunehmen: In diesem Buch geht es nicht darum, die Großen und Berühmten wie die Daimler AG zu analysieren und aus deren Fehlern und Heldentaten zu lernen. Hier lernen Sie von Unternehmen jeder Größenordnung – von kleinen, kleinsten und mittelständischen – wie man Marktführer wird. Demzufolge gibt es auch keine universell gültigen Patentrezepte, die für jedes Unternehmen passen. Die Botschaft dieses Buches lautet, einzigartig und unverwechselbar zu sein: im positiven Sinne anders als andere. Das Schöne, aber gleichzeitig Anstrengende an Spezialisierungsstrategien ist der Umstand, dass jedes Unternehmen seinen eigenen Weg gehen muss und kann. Sie werden jedoch eine Methodik kennenlernen, mit deren Hilfe Sie diesen eigenen Weg entdecken und gehen können.
Ganz besonders werden Sie von diesem Buch profitieren, wenn Sie
• Marktführer werden wollen
• ein Unternehmen oder einen Unternehmensbereich jeder Größenordnung leiten (oder dies demnächst tun wollen)
• unter starkem Wettbewerbsdruck stehen und nach neuen Strategien suchen
• freiberuflich selbstständig sind oder es werden wollen
• mit dem Gedanken spielen, ein Unternehmen zu gründen oder zu übernehmen.
Ist Spezialisierung etwas Neues? Nein – ganz im Gegenteil: Sie ist die älteste und effektivste Strategie überhaupt. Die Spezialisierung ist der zentrale Antrieb der Evolution. Alle Arten haben sich immer wieder auf Lücken (Nahrungsgrundlagen) spezialisiert, die ihren Eigenarten am besten entsprachen, und sie entwickelten ihre Fähigkeiten in die Lücke hinein. In dieser Lücke findet das Leben den geringsten Widerstand und die günstigsten Entwicklungsmöglichkeiten.
Der große Evolutionsforscher Charles Darwin kann als der Entdecker des Spezialisierungsprinzips gelten. Als er im Jahr 1835 mit dem Forschungsschiff HMS Beagle auf die Galapagosinseln kam, katalogisierte er dort 14 offensichtlich miteinander verwandte Finkenarten, und er entwickelte dazu folgende Theorie: Die Galapagos-Finken wurden einst vom südamerikanischen Festland auf die Inseln geweht. Dort fanden sie hervorragende Lebensbedingungen und kaum Konkurrenz. Also vermehrten sie sich rasant. Dann jedoch wurden die Nahrungsgrundlagen knapp und der Wettbewerb um Nahrung so groß, dass die weitere Vermehrung der Spezies an ihre natürliche Grenze stieß. In der Folge bildeten die Finken nun verschiedene Unterarten, die sich jeweils auf andere Nahrungsquellen spezialisierten und dafür entsprechende Schnäbel ausformten: Finken mit großen, harten Schnäbeln konzentrierten sich auf Kerne, Finken mit zarteren Schnäbeln auf Insekten, andere auf Kakteen oder darauf, Parasiten von den Landtieren zu entfernen. Im Jahr 1999 haben Genforscher des Max-Planck-Instituts bewiesen, dass Darwin mit seiner Theorie Recht hatte: Tatsächlich stammen alle Finken der Galapagosinseln von einem einzigen Urfinken ab.
Ein noch drastischeres Beispiel beschreibt der niederländische Biologe Tijs Goldschmidt anhand der Cichliden (Buntbarsche) im Viktoriasee. Hier haben sich von einer einzigen Urform rund 500 Unterarten entwickelt. Einige essen Schnecken, andere Algen oder Kleinfische. Einige fischen auf dem Grund, andere an der Oberfläche. Sie haben jede nur denkbare »Nahrungsnische« entdeckt und die dafür notwendigen physischen Voraussetzungen entwickelt. Und so lebten die unterschiedlichen Arten glücklich und zufrieden nebeneinander her, ohne sich gegenseitig Konkurrenz machen zu müssen. Das Ganze ging gut, bis der Mensch den Viktoriabarsch dort ansiedelte, der binnen kurzer Zeit durch seine Gefräßigkeit das Gleichgewicht der Arten nachhaltig zerstörte.
In der Evolutionsbiologie nennt man diesen Vorgang adaptive Radiation: Eine Spezies »fächert sich auf« (Radiation), indem sie sich an unterschiedliche, neue ökologische Nischen anpasst (Adaption). In der Natur ist es für diesen Vorgang förderlich, wenn wenige Fressfeinde oder Konkurrenten sowie unbesetzte Lebensräume vorhanden sind. Sie werden später sehen, dass diese Voraussetzungen im Wirtschaftsleben das Bilden neuer Spezialisierungen ebenfalls begünstigen, jedoch nicht zwingend notwendig sind. Selbst auf scheinbar völlig besetzten Märkten ist es möglich, neue »Nahrungsnischen« über Spezialisierungen zu erschließen.
Aus der Physik können wir ebenfalls lernen, wie man Widerstände auch mit geringen Kräften leicht überwindet: indem man die Kräfte »spitz« formiert. Deshalb sind alle Werkzeuge, die der Mensch erfunden hat, um Widerstände zu überwinden, spitz oder scharf: Faustkeile, Steinbeile, Nägel, Bohrer, Laserstrahlen. Die physikalischen Gesetze gelten für jede Art von Kraft gegenüber jeder Art von Widerstand. Das Gleiche gilt für geistige oder soziale Kräfte und Widerstände. Die Frage, ob man seine Kräfte spitz formiert oder nicht, entscheidet darüber, ob man Erfolg hat, einen schnellen Durchbruch schafft oder ob man im Durchschnittlichen hängen bleibt. Hat man erst einmal Erfolg, wird alles andere leichter.
Das Spezialisierungsprinzip funktioniert nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern ganz besonders dort, wo Menschen miteinander interagieren.
Wenn Sie auf Ihrem Markt die Nummer eins werden wollen, sollten Sie es auf jeden Fall zunächst mit einer Spezialisierung probieren. Warum? Hier zunächst ein paar ganz einfache Beispiele:
Wenn Sie sich einer Herzoperation unterziehen müssten – würden Sie zur nächstgelegenen Klinik gehen, an der diese Operation ausgeführt wird, oder würden Sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um einen Termin in der besten Spezialklinik zu bekommen?
Wenn Sie Ihr Unternehmen verkaufen – gehen Sie dann zu Ihrem Anwalt um die Ecke, oder suchen Sie sich einen Spezialisten für Mergers & Acquisitions, der tagein tagaus nichts anderes tut, als sich mit Unternehmensverkäufen zu beschäftigen?
Unsere Kunden lieben Spezialisten, denn von diesen erwarten (und bekommen) sie die besten Problemlösungen. Dies gilt in allen Bereichen des Wirtschaftslebens. Doch bevor wir uns diesem Thema widmen, schauen wir erst einmal auf ein benachbartes Gebiet, den Sport. Hier herrschen nämlich ähnliche »Gesetze« wie auf den ökonomischen Märkten:
• Es geht um Wettbewerb
• um das Ziel, Nummer eins zu werden
• darum, die Gunst von Zuschauern und Sponsoren zu gewinnen
• und um permanente Leistungsverbesserung.
Auch als Unternehmer
• müssen Sie sich gegen andere durchsetzen (Wettbewerb)
• müssen Sie im Moment der Kaufentscheidung die Nummer eins im Kopf Ihres Kunden sein
• brauchen Sie die Gunst Ihrer Kunden und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
• müssen Sie permanent innovieren, also Ihre Leistungen verbessern.
Im Sport wie in der Wirtschaft gilt: Der Wille zum Sieg, die mentale Einstellung ist erfolgsentscheidend. Es gibt viele Erfolgslehrer, die gerade diesem Faktor die größte Bedeutung beimessen. Das Motto lautet: Das Leben ist allein eine Frage der richtigen Einstellung, und wenn nur die Unternehmensspitze motiviert und entschlossen zur Sache geht, kann nicht mehr allzu viel schiefgehen.
Wenn dazu noch Fleiß und Arbeitswille kommen, ist der Erfolg so gut wie sicher. Nach meiner Meinung stimmt das im Großen und Ganzen, doch es fehlt eine entscheidende Kleinigkeit: die Strategie! Wenn zur richtigen Einstellung noch die richtige Strategie kommt – dann ist man dem Optimum schon sehr nahe. Denn nur von der richtigen Einstellung allein wird man ebenso wenig erfolgreich wie mit der richtigen Strategie. Beide Seiten müssen stimmen – denn was nutzen die schönste Motivation und der größte Arbeitseifer, wenn sie auf das falsche Ziel gerichtet werden. Umgekehrt nutzt die brillanteste Strategie nichts, wenn sie aus dem Schubladenstadium nicht herauskommt oder nur halbherzig umgesetzt wird. »Sowohl-als-auch« lautet also die Devise – und was passiert, wenn mentale Stärke mit guten Strategien zusammenkommen, das zeigt der Sport wunderbar. An diesem Beispiel können wir nämlich unter anderem lernen, dass man ohne Spezialisierung im Spitzensport gar nicht erst anzutreten braucht. (Sie können die folgenden Seiten überschlagen, wenn Sie auch in der Zeitung den Sportteil überblättern.)
Bei der Olympiade 2012 in London lief der Sprintspezialist Usain Bolt aus Jamaica die 100 Meter in 9,63 Sekunden. Der beste Sprinter unter den Zehnkämpfern, der US-Amerikaner Ashton Eaton, erreichte beim gleichen Sportfest eine Zeit von 10,35 Sekunden. Mit dieser Zeit wäre er bei den Spezialisten unter normalen Umständen mit Abstand auf dem letzten Platz gelandet (der einzige ernsthafte Bolt-Konkurrent Asafa Powell verletzte sich und brauchte fast 12 Sekunden für die 100 Meter). Natürlich gilt unsere Bewunderung den Zehnkämpfern, und nicht umsonst gelten sie als die Könige der Athleten. Doch in jeder der zehn Disziplinen werden sie von den jeweiligen Spezialisten locker geschlagen.
Im Sport sieht man auch wunderbar, dass man keine herausragende Begabung mitbringen muss, um über Spezialisierung erfolgreich zu werden. Bei starker Konzentration auf ein eng umrissenes Aufgabengebiet treten so starke Lerngewinne ein, dass selbst schwere Wettbewerbsnachteile wieder wettgemacht werden können. Die Sprintlegende Wilma Rudolph (Weltrekordhalterin und mehrfache Goldmedaillengewinnerin in Melbourne 1956) litt in der Kindheit unter spinaler Kinderlähmung und konnte erst im Alter von acht Jahren ohne Krücken laufen. Andauerndes, konzentriertes Training und ein eiserner Wille machten ihr trotz dieser schweren Behinderung den Weg in die Weltspitze frei.
Steffi Graf, Boris Becker, Michael Schumacher, Sebastian Vettel – alle Ikonen der jüngeren deutschen Sportgeschichte – konzentrierten sich bedingungslos auf ihren Sport. Sie widmeten sich von frühester Jugend an ihrer Disziplin, und es ist im Grunde kein allzu großes Wunder, dass sie nach 10 bis 15 Jahren intensiven Trainings an der Weltspitze standen. Am Beispiel des berühmtesten Radrennens der Welt, der Tour de France, sieht man, dass die Spezialisierung immer weiter voranschreiten muss: Es gibt Zeitfahr-, Berg- und Sprintspezialisten; und die starken, für den Gesamtsieg infrage kommenden Allrounder konzentrieren sich voll und ganz auf wenige Großereignisse. Aber auch die Allrounder können nur dann ihre Stärken voll ausspielen, wenn ihnen ein Team von Spezialisten zur Seite steht.
Das gleiche Bild finden Sie im Tennis. Natürlich und selbstverständlich konzentrieren sich Tennisprofis auf das Tennisspielen. Darüber hinaus ist auch hier eine »Marktsegmentierung« zu beobachten. Es gibt Spezialisten für jede Art von Belag: für Asche, für Rasen, für Hartplätze. Warum ist es seit Rod Laver im Jahr 1969 keinem Mann mehr gelungen, den Grand Slam (den Gewinn der vier großen Turniere in Paris, Wimbledon, Flushing Meadows und Flinders Park innerhalb eines Jahres) zu gewinnen? Weil sich die mehr oder weniger genialen Allrounder im Ernstfall nicht gegen die Spezialisten durchsetzen können. Bei den Damen gelang dieses Kunststück zuletzt Steffi Graf. Doch Sportler ihres Kalibers sind extrem selten.
Wie weit die Spezialisierung fortgeschritten ist, sieht man in aller Deutlichkeit im Skisport: 1935 errang der Norweger Birger Ruud bei der alpinen Weltmeisterschaft 1935 eine Bronzemedaille in der alpinen Kombination (Abfahrtslauf und Slalom) und bei den Olympiaden 1932/36 jeweils eine Goldmedaille im Skispringen – eine heute undenkbare Leistung, denn der Wettbewerb hat dazu geführt, dass nur noch Spezialisten wettbewerbsfähig bleiben können: Abfahrer müssen heute die Statur eines Stiers haben, während die Skiflieger hart an der Magersucht vorbeischrammen.
»Der Brummkreisel hat ausgedient – immer mehr Bundesligaclubs nehmen Abschied vom Allrounder und setzen auf Spezialistenteams« überschrieb die Frankfurter Allgemeine am 17.4.2005 einen Artikel über das Phänomen, dass in der Fußballbundesliga heute statt eines einzelnen Trainers ein Team von Spezialisten beschäftigt wird. Es ist doch verblüffend, dass sich im Grunde simple Erfolgsrezepte verhältnismäßig langsam herumsprechen.
Das letzte, schon mehr oder weniger grenzwertige Beispiel aus dem Sport: der Golfer »Tiger« Eldrick Woods. Mit nur 21 Jahren gewann er als erster Afroamerikaner das berühmte Masters in Augusta und führte über viele Jahre unangefochten die Weltrangliste an. Ein »Jahrtausendtalent« urteilte die FAZ nach seinem fulminanten Start im Profilager. Tatsächlich? Wenig später konnte man im Spiegel nachlesen, dass der kleine Eldrick schon von Geburt an von seinem Vater Earl zum Golfstar gedrillt wurde. Dieser balancierte beispielsweise den sechs Monate alten Säugling auf seiner Handfläche – und festhalten durfte sich der Kleine an einem abgesägten Golfschläger. Kaum konnte das Söhnchen laufen, durfte es die ersten Bälle schlagen. Bereits mit zwei Jahren trat das golfende Wunderkind in US-Fernsehshows auf, und so ging es munter weiter bis zur Weltspitze. Man mag über die Perversität solcher Kinderdressur trefflich streiten. Doch eines ist unbestritten: »Talent« hatte insbesondere der Vater, dem es durch bedingungslose Liebe und Vertrauen gelang, seinen Sohn konsequent auf der Erfolgsspur zu halten, ohne dass dieser in der Pubertät auf die verwegene Idee kam, einmal nachzuforschen, ob es auch noch einen anderen Lebenssinn geben könne als den, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen. Doch warum auch einen Lebensentwurf infrage stellen, der nichts als Erfolge verspricht? Auch materiell hat sich das Ganze gelohnt: Tiger Woods gilt als der erste Einkommensmilliardär im Sport.
Fest steht: Sie brauchen kein Talent und keine angeborenen Stärken, um die Nummer eins zu werden. Sie brauchen nur den Willen zur Spezialisierung und – je nach Wettbewerbssituation – eine gewisse Hartnäckigkeit, bis die weniger konsequenten Mitbewerber überflügelt sind.
Ich könnte hier noch Hunderte anderer Geschichten aufzählen, doch mit Rücksicht auf weniger sportbegeisterte Leser will ich zum eigentlichen Thema kommen: dem Spezialisierungsprinzip in der Ökonomie.
Gerade in der Wirtschaft ist die Spezialisierung das Erfolgsrezept schlechthin. Das mag dem einen oder anderen befremdlich vorkommen, doch bei Licht betrachtet ist das keine besonders bahnbrechende Entdeckung, sondern eine eher banale Erkenntnis. Schon vor 2500 Jahren beobachtete der griechische Politiker, Feldherr und Philosoph Xenophon, dass mit der Größe der Städte der Grad der Arbeitsteilung und damit einhergehend die Qualität der Arbeit zunimmt: »Daraus folgt unweigerlich, dass derjenige, der sich mit der am engsten begrenzten Arbeit beschäftigt, diese zwangsläufig auch am besten verrichtet.«4
Im Jahr 1764 »entdeckte« der große Nationalökonom Adam Smith das Spezialisierungsprinzip auf der Suche nach den Ursachen des nationalen Wohlstandes. Er fand diese Ursache in der Arbeitsteilung – bei Licht betrachtet nichts anderes als eine Spezialisierung auf bestimmte Tätigkeiten. Am Beispiel einer Nadelfabrik schilderte Smith die Auswirkungen der Arbeitsteilung: Als man nämlich die erforderlichen Arbeitsgänge für die Herstellung einer Nadel zerlegte und diese jeweils einem bestimmten »Spezialisten« zuteilte, stieg die Produktivität gegenüber der »ganzheitlichen« Methode (ein Arbeiter stellt die Nadel komplett selbst her) um das 245-fache. Eine sagenhafte Produktivitätssteigerung! In der Tat war Smith genau auf der richtigen Spur: Die Zerlegung der Arbeitsprozesse führte im Industriezeitalter zu extremen Produktivitätssteigerungen bei sämtlichen Konsum- und Investitionsgütern. Die durch die Zerlegung der Arbeitsprozesse mögliche Mechanisierung und Automatisierung tat ein Übriges: Die Produktivität stieg gegenüber der handwerklichen Fertigung ins Unermessliche; sinkende Kosten und in der Folge sinkende Preise führten zu steigender Nachfrage und einer nie gekannten Allverfügbarkeit von Waren. Was gestern noch als unerschwingliches Luxusgut galt, war plötzlich für die breite Mittelschicht verfügbar: Es kam – mit anderen Worten – zum Massenwohlstand. Wem haben wir es zu verdanken, dass heute Fertighaus, VW-Golf, Farbfernseher und Mallorcaurlaub zur bundesdeutschen Mindestausstattung gehören? Es ist die Folge hoher Produktivität im Industrie- und Dienstleistungssektor infolge von spezialisierter Arbeitsteilung!
Schon Adam Smith vernachlässigte keineswegs die Schattenseite der Spezialisierung: zunehmende Entfremdung vom Ergebnis der Arbeit, Langeweile, Monotonie, einseitige, ja gesundheitsgefährdende Belastungen. Heute könnte man noch vieles anderes hinzufügen: Raubbau an den nicht unerschöpflichen Ressourcen der Erde, eine gigantische Umweltzerstörung, Konsumterror und vieles mehr, von dem ich nicht weiter reden möchte, damit Sie das Buch nicht sofort in die Ecke legen. Hier möchte ich nur so viel dazu anmerken: Alles in allem ist es kein Wunder, dass die Spezialisierung nicht nur bei Anhängern des humanistischen Bildungsideals als wahres Teufelswerk gilt.
Doch im Grunde richtet sich diese Kritik völlig zu Unrecht gegen die Spezialisierung als solche. Denn mit der Spezialisierung verhält es sich ähnlich wie mit einem Messer: Es ist einerseits ein überaus nützliches Instrument, andererseits kann man einen recht großen Schaden damit anrichten. Die Spezialisierung hat verheerende Zerstörungen angerichtet, aber auch extrem viel Gutes bewirkt. In diesem Buch geht es ausschließlich darum, die Spezialisierung zu Ihrem ganz persönlichen Nutzen und gleichzeitig zu dem Ihrer Mitwelt einzusetzen. Denn heute sind wir in der Lage – anders als zuzeiten von Adam Smith – das Instrument »Spezialisierung« weitaus differenzierter zu betrachten. In den vergangenen 200 Jahren hat sich nämlich allerhand getan.
Unter anderem hat ein Frankfurter Systemforscher namens Wolfgang Mewes einen erheblichen Teil seiner Lebenszeit dem Thema »sozialverträgliche Spezialisierung« gewidmet, und er hat das hervorgezaubert, was Adam Smith einst »die größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte« genannt hatte. Smith hielt nämlich die dunkle Seite der Spezialisierung für unüberwindlich; und er hielt es in der Tat für die »größte Entdeckung«, wenn es denn gelänge, die Vorteile der Spezialisierung zu nutzen und ihre Nachteile zu vermeiden. Und genau dieses Ei des Kolumbus hat Mewes gefunden (dazu mehr im Kapitel »Spezialisierungsnachteile und konstante Grundbedürfnisse«).
Wie war Mewes überhaupt auf die Idee gekommen, sich mit dem auf dem ersten Blick für ihn abwegigen Thema »Spezialisierung« zu beschäftigen? Mewes war Steuerfachmann und baute in den Nachkriegsjahren ein florierendes Fortbildungsinstitut für Betriebswirte und Bilanzbuchhalter auf. Zunächst lief alles bestens: Auf dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt fanden Mewes’ Absolventen samt und sonders eine Stelle. Doch das änderte sich nach wenigen Jahren: Plötzlich bekamen seine Schüler Konkurrenz von den Universitäten, aufgrund des Überangebotes stieg der Wettbewerb, und die Aufstiegschancen wurden schlechter. Die Frage, wie sich seine Kunden gegenüber der akademisch gebildeten Konkurrenz durchsetzen konnten, ließ Mewes keine Ruhe. Warum wurden manche seiner Schüler extrem erfolgreich, während andere, die mit allen Erfolgsgaben wie Intelligenz, Kapital, Motivation und Beziehungen gesegnet waren, kläglich scheiterten?