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In "Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers" präsentiert der bedeutende Dichter und Sozialrevolutionär Erich Mühsam eine Sammlung von 151 Gedichten, die nicht nur lyrische Ausdrucksformen seiner Zeit sind, sondern auch als kraftvolle Prosa der politischen und sozialen Kritik fungieren. Die Gedichte spiegeln Mühsams einzigartigen literarischen Stil wider, der tief mit Expressionismus und sozialdemokratischem Gedankengut verwoben ist. Vor dem Hintergrund des turbulentesten Zeiten in der Weimarer Republik, fängt er das Ringen um Freiheit und Gerechtigkeit ein und gewährt Einblicke in die seelischen Kämpfe eines Mannes, der sich gegen autoritäre Strukturen auflehnt und für eine bessere Gesellschaft kämpft. Mühsam, geboren 1878 in Berlin, war nicht nur ein produktiver Dichter, sondern auch ein aktiver politischer Widersacher. Seine Erfahrungen als jüdischer Intellektueller, seine Verhaftung und Inhaftierung während der NS-Zeit sowie seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem sozialen Ungerechtigkeiten prägten sein Schreiben. Diese Sammlung vereint unveröffentlichte und bekannte Werke und zeigt, wie eng Mühsams Leben und seine Poetik miteinander verbunden sind. Dieses Buch ist nicht nur für Liebhaber der Lyrik von besonderer Bedeutung, sondern spricht auch Leser an, die ein Interesse an der historischen und politischen Dimension der Dichtung haben. Die Gedichte laden dazu ein, sich mit den Fragen von Freiheit, Identität und Widerstand auseinanderzusetzen, und stellen eine wertvolle Zeitzeugin des künstlerischen und politischen Geists ihrer Epoche dar.
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Glaubt ihr mich wert, für künftige Studenten im Namensalmanach »Wer war's?« vermerkt zu stehn – ich lächle schon – doch mag's geschehn: die Manen zehren gern von Ruhmesrenten. Laßt die Magister literarischer Seminare der Verse Rhythmen metrisch spalten, Symbol-Metaphern unters Prisma halten und Rühmens machen von der Dichterware, die Zeugnis gibt poetischen Charakters, wie sie teils griechisch-schlicht, teils in getragner Gotik serviert wird – wenn auch leider die Erotik oft recht obszön scheint, daß so leicht nichts Nackters sich findet in der deutschen Lit'ratur; dies ist betrüblich – andrerseits lockt doch auch dieser Muse Formenreiz und führt bisweilen gar auf ernster Liebe Spur. Da sieht man, wie aus Herzverdruß sich des Poeten echte Seufzer ringen, beziehungsweise, wie Humore schwingen (zwar häufig bittre) aus der Liebe Ungenuß. – – So mag, was mein intimes Sein bewegte, bei Hörern und bei Hörerinnen, mein Lieb- und Leiden Sympathie gewinnen, wie auch, daß mir der grelle Mondschein Furcht erregte ... Nun aber räuspern sich die Professoren: De mortuis nihil nisi bene! Doch – tief bedauerlich – es geben jene ein Quantum wieder meines Ruhms verloren: Der Dichter, von des Tages Eitelkeit verblendet, hat manchmal sein beachtliches Talent – kopfschüttelnd rügt es der Privatdozent – auch an der Gosse Mobinstinkt verschwendet und hat in solchen trüben Sphären mit übeln Kampfgesängen Triebe aufgerührt, die, hätte sie die Hetze nicht verführt, dem Bürger nie zur Pein geworden wären ... Statt poesievoll alle Menschen zu versöhnen, schürt er – dies hüllt sein Licht in Schatten – den Haß des Hungerpöbels auf die Satten, die Kunst entweihend mit politischen Tönen. So traf – der Wahrheit sei die Ehre! – ihn, den wir gern als Zierde des Parnasses nennten – und ein umflorter Blick streift die Studenten –, die Strafe der Justiz mit wohlverdienter Schwere. In den Annalen der politischen historia wird drum, als Schädling unsres Staats, der Name aufbewahrt – der eines Herostrats; ein Warnungsmal: sic transit mundi gloria! Hingegen wir, wir unpolitischen Ästheten, wir kennen und verdammen freilich seine Schmach – doch unser Musenalmanach vermerke immerhin den lyrischen Poeten ...
Soll das der Nachruhm sein, der mir beschieden? – Es sei: Mein Name gilb in Listen form- und gemütbegeisterter Seminaristen, mit einem Schandkreuz angemerkt. – Ich bin's zufrieden. Sonst sei er ausgelöscht im Weltgedächtnis. Auch sei, was ich von Mond und Mädchen je gedichtet, für Dissertationen im Archiv geschichtet: das Tote ist dem Leben kein Vermächtnis! ... Doch, blieb aus meinem Freiheitsruf ein Reim, ein einziger, lebendig bei Rebellen – gelang ein Wort mir, Dumpfheit zu erhellen, so kehr mein Name gern zum Lethe heim. Denn: färbt ein weißes Blütenblatt sich rot vom Blute meiner Leidenschaft – ein einziges auf dem Feld, wo junge Kraft
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt; der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt; vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.
Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt; der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt; der das Erwachen flieht, auf das er harrt.
Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt; der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt; der einst in fahle Ewigkeiten fällt.
Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt; das tauentströmt in Wolken sich ergießt; das küßt und fortschwemmt – weint und froh genießt.
Wo ist, der meines Wesens Namen nennt? Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Die hohen Türme haben mich gegrüßt, die über meinen Kinderträumen ragten, und ihre unbewegten Mienen fragten, wie ich des Lebens wachen Ernst verbüßt. Des Waldes Blätter haben mir gerauscht, wo meine Schmerzen erste Reime fanden. Ich habe ihre Frage wohl verstanden: ob ich beglücktes Dichten eingetauscht.
Doch, als ich kam zu meines Meeres Flut, da stürmten alle Wellen, mich zu grüßen, und drängten zärtlich sich zu meinen Füßen
Stimmt eure Seelen zu festlichen Klängen, füllt eure Herzen mit jauchzendem Wein! – Denn die Jahre der Jugend drängen, und das Alter bricht polternd herein. – Noch strahlen uns Sonnen, noch blinken uns Gläser – noch lachen uns Lippen und Brüste heiß – noch blühen die Blumen, noch grünen die Gräser – aber eilt euch: was rot ist wird weiß!
Rasch ziehen vorüber die glücklichen Stunden. – Hält uns nicht die Jugend – wir halten sie nicht! Wehrt euch der Würde! – Der ist überwunden, den fromme Sitten plagen und Pflicht! Nieder mit dem, den Sorgen bedrücken – denn der weiß nicht, was Leben heißt: Lebend genießen, lebend beglücken – aufs Leben trinken, bis es zerreißt!
Trinken! Trinken! Auf Leben und Sterben! Leben! Leben! Auf Blut und Kuß! Leert den Pokal, dann keilt ihn in Scherben! Lebt euer Leben – und dann ein Schuß! Trinken ist Leben, und Leben ist Trinken! Nieder der Schwächling, der trunken fällt! Wein her! – Wir wollen im Leben versinken!
Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack. Wir sind ein schäbiges Lumpenpack, auf das der Bürger speit. Der Bürger blank von Stiebellack, mit Ordenszacken auf dem Frack, der Bürger mit dem Chapeau claque, fromm und voll Redlichkeit.
Der Bürger speit und hat auch recht. Er hat Geschmeide gold und echt. – Wir haben Schnaps im Bauch. Wer Schnaps im Bauch hat, ist bezecht, und wer bezecht ist, der erfrecht zu Dingen sich, die jener schlecht und niedrig findet auch.
Der Bürger kann gesittet sein, er lernte Bibel und Latein. – Wir lernen nur den Neid. Wer Porter trinkt und Schampus-Wein, lustwandelt fein im Sonnenschein, der bürstet sich, wenn unserein ihn anrührt mit dem Kleid.
Wo hat der Bürger alles her: den Geldsack und das Schießgewehr? Er stiehlt es grad wie wir. Bloß macht man uns das Stehlen schwer. Doch er kriegt mehr als sein Begehr. Er schröpft dazu die Taschen leer von allem Arbeitstier. Oh, war ich doch ein reicher Mann, der ohne Mühe stehlen kann,
Fest zugeschnürt der Hosengurt. Der Darm ist leer, der Magen knurrt. Auf morschem Rock glänzt Fleck bei Fleck. Darunter starrt das Hemd von Dreck. Aus Pfützen schlürft das Sohlenloch. Wer pumt mir noch? Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir einen Taler noch?
Kein Geld, kein Schnaps, kein Fraß, kein Weib. In mürben Knochen kracht der Leib. Die Nacht ist kalt. Es kratzt das Stroh. Die Laus marschiert, es hupft der Floh. Die Welt ist groß, der Himmel hoch. Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir noch? Wer pumpt mir einen Taler noch?
Noch einen einzigen Taler nur: für einen Schnaps! Für eine Hur! Für eine Hur, für eine Braut! Das Leben ist versaut! versaut!
Hopla, hopla, hop – juhö! Um die Wette mit die Flöh! Um die Wette mit die Wanzen! Hopla, Schickse, laß uns tanzen!
Hopla, hopla, hop – juhei! Flöh und Wanzen in die Reih! Und die Beine in die Luft! Hopla, Schickse, das ist duft!
Hopla, hopla, hop – juhu! Hopla, komm doch, Rindvieh du! Kunde, Schickse, Floh und Wanz!
Immer noch die dürftigen Nöte! War mir doch das Geld vergönnt, daß ich eine neue Flöte meinen Liedern kaufen könnt! Eine Flöte, drauf ich bliese kummerfreie Melodein. Die mich heut begleitet, diese Knarre sargt ich sorglich ein. Schön von Holz, doch nicht von Pappe sei mein Instrument gebaut, und aus edler Silberklappe ströme meines Atems Laut. Sammelt für den Dichter, sammelt, daß aus Gelde Freude sprießt! Haltet nicht das Tor verrammelt, das des Dichters Lied verschließt! Hätt ich erst die neue Flöte, Denkmal eures Opfersinns – der Gesang, den ich euch böte, wäre mehr als Dank und Zins.
Der gute Saft ist im Gehirn erfroren, der sich in Verse zu ergießen pflegt. So Blei wie Feder stecken unbewegt, von Haaren überflutet, an den Ohren. Heiz mir die Seele, liebe Sonne du! Blaublümlein, weh mir Düfte in die Nase! Umsäusle mich, o Zephirwind, und blase mir Jamben oder Anapaeste zu! Warum, ihr Tränendrüsen, wahrt in steifer Verstocktheit ihr das Naß in den Gehäusen? Die Wimper klappt. Nun öffnet eure Schleusen, und spritzt mir salzige Fluten an den Kneifer! Sehnsucht und Liebe, himmlische Geschwister, packt mich beim Schopf! Ergreift mich, Todesschauer! ... Doch weh, das süße Ahnen all ward sauer, geschlossen bleibt das Leidenschaftsregister. Oh, teure Muse, stimme mich ekstatisch: Enthülle deine Reize mir verführerisch, und laß mich dichten – episch oder lyrerisch, und, wenn's nicht anders sein kann, auch dramatisch! Du hast mir, Muse, manches Kind geboren:
Mein Heimweg ist nicht lang. Er läßt mir grade Zeit zu einem Lobgesang auf meine Tüchtigkeit. Ich saß beim Alkohol und schwatzte angenehm von Kunst und Menschenwohl: ich weiß nicht mehr zu wem. Jetzt aber geh ich heim und lobe meinen Fleiß,
Wenn Gott mich so verstände, wie ich sein Werk versteh, er gab in meine Hände den Segen für das Weh.
Ich seh auf Feld und Weide das Glück der Welt gedeihn. Für mich wächst kein Getreide, am Rebenstock kein Wein.
Ich möcht die Menschen lehren, wie man das Leben lebt; kann selbst mich nicht erwehren des Leids, das an mir klebt. Ich bete zu den Frauen: seid schön, seid stark, seid frei! An meiner Liebe schauen die Herrlichsten vorbei.
Wär mir der Blick verschlossen und kennt die Schönheit nicht – ich stände hell umflossen von Sonne und von Licht.
Weiter, weiter – unermüdlich! Westlich, östlich; nördlich, südlich. Suche, Seele, suche! Suche nur, kannst doch nichts finden! Sonnen strahlen, Sonnen schwinden. Fluche, Seele, fluche!
Nördlich, südlich; westlich, östlich. Such das Glück. Das Glück ist köstlich. Suche, Seele, suche! Suche, daß die Sterne stieben! Wird dich doch die Welt nicht lieben. Fluche, Seele, fluche!
Südlich, nördlich; östlich, westlich, Himmel, Erde, schmuck und festlich. Suche, Seele, suche! Schönheit, Freuden, Räusche, Frieden sind dir, Seele, nicht beschieden. Fluche, Seele, fluche!
Mit dem Fahrschein bahnbehördlich
Ich sah durch ein hohes, großes Loch. Ist nichts darin? – Doch! scholl es. – Doch! Und ich suchte und suchte und grub nach dem Nichts. Da quoll aus dem Loch eine Garbe Lichts. – Ich habe das Nichts gefunden – und mir um die Stirn gewunden.
Das sind die Nächte, die mir Furcht erregen, wo sich der Mond an meine Seite schmiegt und kranke Schatten führt an meinen Wegen, entschleiernd, was am Grund des Grauens liegt.
Oh, hassenswert sind diese hellen Nächte. Ich will im Dunkeln meine Straße gehn. Ich dulde nicht, daß unbekannte Mächte mit scheelem Blick in meine Seele sehn.
Verhaßter Mond, der feil und unverschwiegen mir in mein innerstes Geheimnis bricht!