Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Neuauflage der Sammlung ›Alarm – Manifeste aus 20 Jahren‹ von Erich Mühsam aus dem Jahr 1925. Der Band enthält Gedichte, Reden, Zeitschriftenbeiträge und das idealistische Manifest. Mühsam war Anarchist, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 81
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Alarm
Manifeste aus 20 Jahren
© 1925 by Erich Mühsam
© Lunata Berlin 2020
Aus »Wüste – Krater – Wolken«
Euch, Kameraden meiner frohen Bünde
Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst
Nun bin ich ganz allein
Wo der Schlangenweg der Bäche
Ich wollt' das Lied des Herzens nicht verschweigen
Lumpenlied
Weltjammer
Von meiner Hoffnung laß ich nicht
Es schwillt die Kraft
Der Revoluzzer
Es schwillt die Kraft
Mein Gefängnis
Aus »KAIN – Zeitschrift für Menschlichkeit«
Appell an den Geist
Der bunte Rock
Parteitagsrede
Idealistisches Manifest
Im Geiste Bakunins
Aus »Brennende Erde«
Weckruf
Testament
Dichter und Kämpfer
An die Soldaten
Wiegenlied
Soldatenlied
Kriegslied
Trutzlied
Rebellenlied
Lied der Jungen
Räte-Marseillaise
Der Gefangene
Aus »KAIN – Zeitschrift für Menschlichkeit«
Gegenrevolution
Ein Ende und ein Anfang
Aufruf
Aus dem Kerker
Trostspruch
Mahnung der Gefallenen
Gesang der Arbeiter
Streit und Kampf
In memoriam August Hagemeister
Herz in Not
Die Pflicht
Predigt
Appell
Marschlied der Zwölfjährigen
Das Volk der Denker
Euch, Kameraden meiner frohen Bünde,
Euch leg ich lachend meine Beichte hin,
Daß ihr als Richter meinen Wert ermeßt
Und prüft, ob ich des Lebens kurzes Fest
Im Kampf bestehe, oder ob der Sünde
Des trägen Gottvertrauns ich schuldig bin.
Ihr wägt gerecht. Und was ihr auch erkennt,
Ob ihr mich selbst in Not und Tod verdammt –
Als Wahrwort soll mir eure Meinung gelten.
Ihr mögt mich einen heiligen Kauzen schelten
Und einen, der in Mondsuchtsträumen brennt:
Ein Pflock der Weisheit sei der Spruch gerammt!
Um eins nur, meine Freunde laßt euch bitten,
Eh ihr des Urteils Schicksalskind gebärt:
Aus allen Zonen töne euer Ruf!
Denn ich, als ich mein Werk aus Qualen schuf,
Hab tausend Seligkeiten durchgelitten ..
Verzweifeln müßt ich, wenn ihr einig wärt.
1914
Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst. –
Es ist zwölf Uhr und Mittagsruh. –
Sie fluchen und schreien. – Der eine schmeißt
Dem ändern lachend die Flasche zu,
Die heizend von Mund zu Munde reist, –
Und keiner weiß es, wie arm er ist. –
Ich komme des Weges. Und einer erblickt
Den lässigen Gang, die groteske Gestalt:
»Halloh! ein Kerl, dem es oben tickt!« –
Und wildes Gelächter ans Ohr mir schallt.
Ich sehe nicht auf. – Die wissen ja nicht,
Daß dem, um den ihre Rohheit lacht,
Ihr Schicksal klagend zum Herzen spricht, –
Sie fragen auch nicht, ob er Verse macht.
Und ich geh' weiter. Da kommen mir zwei
Verlebte Dirnen kreischend vorbei.
Aus ihren Augen starrt freudlose Gier,
Am Munde frißt wüster Nächte Lust, –
Nur Leiber, nur seelenloses Geschlecht, –
Die armen Wesen, die nie gewußt,
Daß sie arm und verlassen sind, – und nicht schlecht.
Da stößt eine die andere an: »Du, hier!
Der dürfte mir nicht für ein Goldstück ins Bett!«
Und sie kichern frech. – Sie können nicht wissen,
Daß ich mein Herzblut gegeben hätt',
Wüßt' ich sie in treuer sorgender Hut –
Wüßt' ich ihrem Frieden ein weiches Kissen, –
Auch nicht, wie weh ihr Lachen tut.
Und ich geh' meines Wegs. Aus der Schule kommen
Erblühende Mädchen, halbwüchsige Knaben,
Die eben vom schrulligen Lehrer die frommen
Gelehrsamkeiten empfangen haben,
Mit denen die Menschen die knospenden Seelen
Verkümmern, unmerklich zu Tode quälen.
Doch mit der Jugend schnellem Erspähn
Hat mich ein Dutzend Augen gesehn.
Da machen sie höhnisch die Zungen breit
Und richten spottend auf mich die Finger. –
Ahnen sie denn, daß ein Mensch in der Näh',
Der sinnt, wie man aus dem Geisteszwinger
Die werdenden jungen Geschlechter befreit? –
Fragen sie: tut unser Spott nicht weh? – –
Und endlich bin ich, wohin ich gewollt:
Am Kinderspielplatz – bei den Kleinen.
Hei, wie es mir da entgegen tollt!
Es hängt mir am Hals, an den Armen, den Beinen.
Ach – hier sind doch Menschen, die menschlich fühlen,
Die kleinen Kinder, die sorglos spielen,
Die wissen, wer ihnen Freund, wer Feind,
Wer mit ihnen lacht und mit ihnen weint.
Hier bin ich glücklich – hier wo ich fand
Die ich suchte, die Heimat: mein Kinderland!
1902
Nun bin ich ganz allein, und immer lauter
Vernehm' ich meines eignen Herzens Schlag –
Stets nur mein Herz, und weiß, daß kein Vertrauter
An meinen stillen Leiden leiden mag.
Und Menschen gehen mir vorbei und lachen,
Und Menschen weinen in der Liebsten Schoß.
An wessen Lager darf ich liebend wachen?
Wer teilt mir mit von seinem Leidenslos?
Ich will der ganzen Welt Gebresten heilen,
Will aller, aller Arzt und Helfer sein, –
Doch, wo ich nahe, seh' ich flink enteilen
Die kranken Menschen – und ich bleib allein.
So will ich träumen, daß von meinen Salben
Die Wunden schwänden, aller Not und Qual, –
Und meine Träume, mit dem Flug der Schwalben,
Sie werden Leben sein und ewiges Mal.
1911
Wo der Schlangenweg der Bäche
Sich durch braune Felder klemmt,
Ist ein Wetter dreingefahren, –
Und wo Gras und Sträucher waren,
Ist die weite Erdenfläche
Grau und trübe überschwemmt.
Niedre Hütten, kalt umflossen,
Ragen traurig aus dem See.
Abgerissne Bäume schwimmen.
Tränenfahle Frauenstimmen,
Auf das Wasser hingegossen,
Klagen Gott ihr Menschenweh.
Wo ein Hügelfeld den Fluten
Trotzig ihre Schranke baut,
Knien menschliche Gestalten,
Welche Rosenkränze halten.
Christus mag noch einmal bluten,
Daß das Wasser rückwärts staut...
Doch die Arbeit ist vernichtet,
Welche Menschenhand verrichtet.
Ehe Gott die Schwüre hört,
Hat er Fleiß und Glück zerstört.
Mögen sie nun neu beginnen:
Bauen, karren, ernten, pflügen;
Mag der Schweiß von neuem rinnen ....
Wenn die Früchte wieder reifen,
Wird der Reiche danach greifen
Und den Armen drum betrügen. –
Menschen! Wollt ihr denn nicht fühlen?!
Wo der Schlangenweg der Bäche
Sich durch braune Felder klemmt,
Laßt doch Wetter drüber spülen!
Freut euch, wenn die Frucht der Schwäche
Wasserflut von hinnen schwemmt!
Obs euch Gott nimmt, ob der Reiche –
Menschen, ist's denn nicht das Gleiche?
1901
Ich wollt' das Lied des Herzens nicht verschweigen.
Ich wollt' es jubelnd zu den Menschen schmettern,
Die bleich am Baume der Erkenntnis klettern,
Das Glück vermutend in den kahlen Zweigen.
Ich wollt' sie rufen zu den breiten Küsten,
An die des Meeres Wellen silbern schlagen.
Ich wollt' sie lehren, leichte Schultern tragen
Und freien Sinn in übermütigen Brüsten.
Ich stoß ins Horn. Noch einmal. – Doch ich staune:
Die Menschen lachen, die ich wecken wollte,
Als ob ein Mißton in die Lüfte rollte. –
Es muß ein Sandkorn sein in der Posaune.
1912
Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack.
Wir sind ein schäbiges Lumpenpack,
Auf das der Bürger speit.
Der Bürger blank von Stiebellack,
Mit Ordenszacken auf dem Frack,
Der Bürger mit dem Chapeau claque,
Fromm und voll Redlichkeit.
Der Bürger speit und hat auch recht.
Er hat Geschmeide gold und echt. –
Wir haben Schnaps im Bauch.
Wer Schnaps im Bauch hat, ist bezecht,
Und wer bezecht ist, der erfrecht
Zu Dingen sich, die jener schlecht
Und niedrig findet auch.
Der Bürger kann gesittet sein,
Er lernte Bibel und Latein. –
Wir lernen nur den Neid.
Wer Porter trinkt und Schampus-Wein,
Lustwandelt fein im Sonnenschein,
Der bürstet sich, wenn unserein
Ihn anrührt mit dem Kleid.
Wo hat der Bürger alles her:
Den Geldsack und das Schießgewehr?
Er stiehlt es grad wie wir.
Bloß macht man uns das Stehlen schwer.
Doch er kriegt mehr als sein Begehr.
Er schröpft dazu die Taschen leer
Von allem Arbeitstier.
O, wär' ich doch ein reicher Mann,
Der ohne Mühe stehlen kann,
Gepriesen und geehrt.
Träf ich euch auf der Straße dann,
Ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,
Ihr Lumpenvolk, ich spie' euch an. –
Das seid ihr Hunde wert!
1909
Wie sie heulen, wie sie flennen,
Wie sie sich geschäftig rackern!
Leben heißt den armen Knackern
Jammern und nach Gelde rennen.
Schätze haben, meint der Reiche,
Macht nicht glücklich und zufrieden.
Nur die Gründe sind verschieden,
Doch die Sorge bleibt die gleiche.
Keine haben, meint der Arme,
Schafft erst recht Verdruß und Trauer!
König, Dame, Magd und Bauer –
Alles stöhnt, daß Gott erbarme.
Ich nur lache. Gräßlich öde
Dünkt mich Welt und Mensch und Leben.
Muß denn alles wimmern, beben?
Gott ist doch ein Erztragöde!
Derweil ich erhaben gähne
Ob dem Jammern und dem Weinen,
Kugelt mir aus meinem einen
Äuglein eine dicke Träne.
1906
Von meiner Hoffnung laß ich nicht,
Ich ließe denn mein Leben,
Daß einmal noch das Weltgericht
Ein Lächeln muß umschweben.
Und kann es nicht durch Gott geschehn,
Daß sich die Menschheit liebe.
So muß es mit dem Teufel gehn,
Dem sich die Welt verschriebe.
Der Teufel hol' Gesetz und Zwang
Samt allen toten Lettern!
Er leih' dem Geiste Mut und Drang,
Die Tafeln zu zerschmettern!
Am Anfang trennte Gottes Rat
Die Guten von den Bösen.
Am Ende steht die Menschentat,
Den Gottesbann zu lösen.
Stumm starrt der Weltengeist und friert,
Wo wild Begriffe toben.
Wenn einst das Wort die Tat gebiert,
Wird er uns lächelnd loben.
1902
Es schwillt die Kraft.
Mein Blut drängt vor durch Rauch und Schlacht,
Steht auch die ganze Welt verschworen
Mit Satans ganzer Höllenmacht.
Des Feinds vergiftete Geschosse
Umschwirren meine Seele wild.
Jedoch der Mut ist mein Genosse,
Und meine Liebe ist mein Schild.
Und ruht der Kampf in fernen Stunden,
Und Friede kehrt ins Herz mir ein,
Dann werden meine heiligen Wunden
Das Mal beglückter Menschheit sein.
1912
War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: »Ich revolüzze!«
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen