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In 'Erich Mühsam: Verse eines Kämpfers' präsentiert der Autor eine Sammlung von 151 Gedichten, die einen tiefen Einblick in seine politischen Überzeugungen und seinen Kampfgeist bieten. Mühsam, ein bekannter Anarchist und Dichter der Weimarer Republik, verwendet eine kraftvolle und provokative Sprache, um seine Gedanken über Freiheit, Gerechtigkeit und Widerstand auszudrücken. Seine Werke sind geprägt von einer starken Ablehnung von Autorität und einer klaren Forderung nach sozialer Veränderung. Dieser Band reflektiert den politisch aufgeladenen Zeitgeist, in dem Mühsam lebte, und liefert eine bedeutende literarische Darstellung des sozialen und politischen Umbruchs in Deutschland.
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Dem treuesten Kameraden, dem tapfersten Kampfgenossen, der Gefährtin in Glück und Not meiner Zenzl zugeeignet.
(Geleitwort zu Gustav Landauers Zeitschrift „Der Sozialist") Januar 1909
Wollt ihr die Freiheit, so seid keine Knechte! Wollt ihr das Glück, so schaffet das Rechte! Wollt ihr die Früchte, so ackert die Saat! Wollt ihr das Leben, so leistet die Tat!...
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Pestluft lagert über der Welt; um das Große drängt sich die Kleinheit; trübe Dünste verfinstern die Reinheit, und der Mensch ist vom Haß entstellt. Um das Daseins armselige Brocken
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sind alle Fäuste wütend geballt. Denn die Not schleicht auf leisen Socken, – und Not ist hungrig und krank und kalt. Gute Menschen sind Räuber geworden, Denn sie haben, was andere entbehren.
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Gute Menschen sengen und morden, denn sie schützen, was andre begehren. Friedliche Menschen sind tobende Horden, freie Menschen sind Sklaven geworden, – und Gottes gepriesenes Ebenbild
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ward zum reißenden Tier, raubgierig und wild. Blutend am Boden wimmert der Geist. Denn die Fäuste haben die Macht, – und unter den Hieben der Fäuste zerreißt das Licht des Geistes – und sinkt in die Nacht.
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Und um die Stirne schlingt sich ein Netz und schnürt dem Denken den Atem zusammen und tötet der Seele flackernde Flammen und fesselt das Fühlen – und heißt Gesetz. Und die da stöhnen in tausend Wunden,
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die sie einander im Hasse geschlagen, und die einander vor Gott verklagen, – sie werden von einer Kette gebunden... Und doch sehnt sich der Mensch nach Glück, und sehnt sich nach Freiheit und sehnt sich nach Leben,
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und möchte als Freund zum Menschen zurück, und möchte den Geist zur Freude erheben! –
Möchtet ihr, Menschen? Wohl! Reckt eure Köpfe! Öffnet die Augen! Dehnt eure Brust! Fühlt euch als freie, als eigne Geschöpfe!
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Wollet die Freiheit! Wollet die Lust! Alles Geschehens Geheimnis ist Wollen. Wollt euer Glück! Erwacht! Erwacht! Die Wellen nur fließen, die Steine nur rollen, die eine Kraft zur Bewegung gebracht.
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Menschen! Besinnt euch auf eure Kraft! Zur Arbeit, die Frieden und Freude schafft! Eine Welt der Freiheit ist zu gewinnen, – und der erste Schritt zum Glück heißt: Beginnen!
1909
Die Augen auf! Erwachen aus Druck und Zwang und Staat! Ihr Armen und ihr Schwachen, besinnt euch auf die Tat!
5
Die ihr dem Herrn den Spaten führt, die Häuser baut, das Feuer schürt, – sehnt ihr euch nicht nach Brot und Land? Den eignen Spaten in die Hand! Fort mit der Fessel, die euch band!
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In Reihen, Kameraden! Die ihr die Arbeit haßt, mit der man euch beladen, – werft von euch eure Last! Werft sie, wohin sie fallen mag!
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Schafft selbst euch euern Arbeitstag! Pfeift auf des Herren Dienstgebot! Nicht ihm – euch selbst backt euer Brot! Nicht ihn – euch selbst helft aus der Not!
Ans Werk! Die Kinder schreien
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nach Brot und Bett und Kleid! Ans Werk, sie zu befreien Aus ihrem Weh und Leid! Ans Werk ihr Männer und ihr Frauen! Den Kindern gilt’s die Welt zu bauen!
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Mensch, fühl dich Mensch und sei kein Hund! Freiheit auf freiem Ackergrund! Dem Volk den Boden! Schließt den Bund!
1910
Es schwillt die Kraft. Der Arm greift aus. Die Sense schwingt sich übers Feld. Der Schweiß quillt aus der Stirn heraus. Doch nicht erlahmt die die starke Hand
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des Arbeitsmanns. Es denkt der Held: Freiheit und Land!
In Schwaden liegt das Korn gemäht. Der es geackert, fährt es heim. Noch einmal schweift sein Auge, späht,
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wo hoch und stolz die Ähre stand. Noch einmal formt sein Mund den Reim: Freiheit und Land!
Die Sonne überstrahlt die Flur, die sich nach neuem Samen sehnt.
15
zum Menschen flüstert die Natur, zum Menschen, der die Garben band, dem Sehnsucht alle Muskeln dehnt: Freiheit und Land!
1910
Wo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit? Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn. Ein wirres Stimmentosen hör ich weit, weit hinter mir und kann es nicht verstehn.
5
Ich ruf euch zu, doch euer Echo fehlt den Laut, der rein aus meiner Stimme klingt. Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt, horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt.
Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift
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mißtönig euer ärgerlicher Spott. Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift? Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?
1910
Von meiner Hoffnung laß ich nicht, ich ließe denn mein Leben, daß einmal noch das Weltgericht ein Lächeln muß umschweben.
5
Und kann es nicht durch Gott geschehn, daß sich die Menschheit liebe, so muß es mit dem Teufel gehn, dem sich die Welt verschriebe.
Der Teufel hol Gesetz und Zwang
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samt allen toten Lettern! Er leih dem Geiste Mut und Drang, die Tafeln zu zerschmettern!
Am Anfang trennte Gottes Rat die Guten von den Bösen.
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Am Ende steht die Menschentat, den Gottesbann zu lösen.
Stumm starrt der Weltengeist und friert, wo wild Begriffe toben. Wenn einst das Wort die Tat gebiert,
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wird er uns lächelnd loben.
(am 20. November 1910)
Die Liebe ist verwaist. Ihr stärkster Hort, ihr Schützer, ihr Prophet, ihr Held, ihr Sohn, die menschgewordne Liebe selbst ging fort. Das Herz der Welt erbebt in seinen Festen,
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erschüttert von des Worts Posaunenton, vom Testament des Weisesten und Besten. Er ging, wie nie ein Mensch noch sterben ging, nicht müde flüchtend, nicht mit Todesbeben; er sprengte seines Daseins goldnen Ring,
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zu einen seines Herzens mächtigen Schlag mit dem der Welt. – An seinem Sterbetag grüßt ihn der Sieg des langen Kampfs: das Leben... Noch schläft die Sonne hinter Reif und Frost; vereiste Wege, nur vom Schnee erhellt,
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durchkreuzen bleich und lang erfrorne Gründe. Durch den Novembermorgen pfeift und gellt, wie Atemstöße roher Menschensünde, von Schmerz und Wollust heulend der Nordost. Da trappeln Pferde. Eine Wagenspur
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spult flimmernd sich im schneeigen Boden ab. Ein Greis verläßt sein Weib, sein Gut, sein Haus. Hinaus in Gottes einsame Natur! Die Hufe schlagen auf im scharfen Trab, – in Rußlands stillste Einsamkeit hinaus.
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Was arme Menschen Wohlstand dünkt und Glück: Bequemlichkeit und festliches Geschmeide und Zärtlichkeit und liebende Betreuung, – der flüchtige Greis wirft keinen Blick zurück. Die Seele, eingekrustet im Genuß,
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sehnt sich nach Reinigung und nach Erneuung. Sie wäscht sich rein von aller Menschheit Leid Und aller Menschheit weiht sie ihren Kuß. – Sucht nicht den Gatten, sucht den Vater nicht, der ohne Abschied ging, um Gott zu finden;
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in seiner Sterbestunde für die Blinden Gott anzuflehn um Stab und Mut und Licht. Der euch verließ, gehört euch nicht allein. Stört nicht sein Tun, so ihr die Menschheit achtet! Wenn ihr barmherzig seid, tränkt nicht mit Wein
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den Sterblichen, der nach Erlösung schmachtet! –
Der Tag steigt auf. Die helle Sonne leuchtet ins herbstliche Gefild mit heller Glut, daß rings vom Tau und Schnee sich funkelnd feuchtet, und daß des Greisen welke Brust sich dehnt,
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noch einmal sich zurück zur Jugend sehnt, noch einmal rascher rieseln fühlt das Blut. Dann sinkt der Leib zusammen siech und schwach. – Nur rasch ihn betten unters nächste Dach! – Und die ihn lieben, kommen, ihn zu pflegen,
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noch einmal seine bleiche Hand zu küssen und zu empfangen Scheidegruß und Segen. Er wehrt sie ab. Schon dorren seine Lungen, schon jagt in irrem Schlag der Puls des Kranken: In dieser Stunde nicht bedrängt sein müssen
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von Zärtlichkeiten und Erinnerungen. Nur noch zu Gott die Worte und Gedanken! –
Da draußen liegt die weite weiße Erde, das Schlachtfeld, wo Millionen Menschen leiden, wo Haß und Kampf und Kriege und Beschwerde
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das Menschenherz von seiner Gottheit scheiden. Liebt euch! Seid Freunde, Brüder! Haltet Frieden! Seid gut und widerstehet der Gewalt! – – Der Sterbende hat an die Bahnstation die ganze Menschheit vor sein Bett beschieden,
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befiehlt ihr, Gottes Odem einzusaugen. Er atmet auf. Ein Todeshauch weht kalt um Herz und Stirne, – und der Menschensohn erkennt den Gott und seufzt und schließt die Augen. Sein Herzschlag hat sich dem der Welt vereint. –
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Die Liebe ist verwaist. – Die Menschheit weint.
1911
Eure geballten Fäuste schrecken mich nicht, noch eure strengen, satzunggebundenen Ruten. Ihr – ich erkenn’ es – seid die Gerechten und Guten, und nur euch strahlt lächelnd das Sonnenlicht.
5
Speit mich an! Verachtet mich! Werft mich mit Steinen! Zeigt euern Kindern mein häßliches Gottesmal! Lehrt sie, daß ich ihn erschlug, den vortrefflichen Abel, meinen Bruder, erkeimt an dem nämlichen Nabel! Lehrt sie mich hassen, um meine Niedrigkeit greinen!
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Heißt sie Gott fürchten und seinen Rachestrahl! . . .
Ach, wie war er so fromm, so zufrieden und brav! Betend kniet’ er inbrünstig vor Gottes Altar, dankend des Herrn allumfangender Güte. Aber ich, ein Zweifelnder ganz und gar,
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sah, wie der Blitz in ragende Bäume traf, sah junges Leben zerknicken in hoffender Blüte, wanderte einsam und sann allem Werden nach. – Und ich sah, wie der Bruder Reiser vom Strauche brach, junge grünende Reiser vom sprießenden Strauch;
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wie er sie zärtlich zum Scheiterhauf schichtete, wie er ein unschuldig Lamm zur Opferstatt trug, sah, wie aus Steinen ein Funk in das Reisigwerk schlug. Auf zum Himmel stieg säulengrade der Rauch, rot von der Glut, die zitternd die Erde belichtete.
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Gräßlich hört’ ich des Lamms Blöken und Angstgeschrei. – Abel, mein Bruder, sang freudige Lieder dabei. „Sieh, wie mein Opfer gefällt!“ rief er mir zu.„Aufrecht lodert die Flamme zum Himmel. Sieh! Siehe den Lohn! Dem Herrn sei ewiger Dank!
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Sieh meine fetten Weiden, mein munteres Vieh! – Deine Früchte sind welk, deine Lämmer krank. Spende dem Schöpfer! Kain, opfre auch du!“ – – Da sah ich Abels Feld üppig in Ähren stehn und seine Herde lustig im Grünen weiden.
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Aber mein Acker war kahl und trocken und steinigt. Dürsten sah ich mein Vieh und Entbehrung leiden. Kann es – so dacht ich – durch Gottes Ratschluß geschehn, daß sich der Boden entsteint, daß das Wasser sich reinigt,
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soll meines Feuers Rauch gleichfalls zum Himmel steigen. Kann Gott Gnaden verleihen, mag er sie zeigen! – Und ich sammelte mürbes Holz von der Erde, weil ich den lebenden Zweigen nicht wehtun wollte;
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und dann wählt ich aus meiner armseligen Herde ein vom Leben zerbrochenes krankes Rind, daß es der Schöpfer als Opfer empfangen sollte. Schlafend lag es und träg. So stach ich es nieder, trug’s zum Altar und entflammte die trockenen Scheite.
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Aber in meiner Kehle stockten die Lieder. – Knisternd bog sich das Holz. Da erhob sich ein Wind, fauchte mit boshaftem Zischen hinein in den Qualm. Unförmig wälzte der dicke Rauch sich zur Seite und erstickt meines Ackerlands dürftigen Halm. –
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Abel, mein Bruder, stand nahe und sah mich knien, sah, wie mein glühendes Auge im Zorn sich weitete, weil das Opfer, das ich dem Herrn bereitete, nicht wie seines hinauf in den Äther drang, sah den schlängelnden Rauch sich kriechend verziehn.
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„Kain," rief er, „mir ist um deine Seele bang. Bessere Opfer mußt du dem Gotte bringen! Lieder des Danks und der Freude mußt du ihm singen! Junge Zweige mußt du vom Strauche brechen! Junge, gesunde Lämmer mußt du Gott schlachten!
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Junges, warmes Blut muß himmelwärts dampfen! Aus deinem Reichtum mußt du zu opfern trachten! Wenn sich die Menschen dem Herrn zu trotzen erfrechen, wird er sie richten und ihre Saaten zerstampfen!“ Auf sprang ich da und griff an die Gurgel dem Spötter.
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Winselnd wand sich der Qualm im Sturmesgeheule. „Junges Blut will dein Herr? – So soll er es haben! Folge du nach deinen wohlgefälligen Gaben! Grüß mir mein armes Rind! – und grüß Deine Götter!“ – Und ich erschlug den Bruder mit wuchtender Keule. –
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Mächtig dehnte sich meine Brust und ich hob gegen den Himmel die Faust und schwenkte sie drohend. Doch aus der Opferglut, die gewirbelt stob, riß der Sturm einen Splitter und jagte ihn lohend mir an die Stirn. Ich sank mit furchtbarem Schrei,
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daß ich im weiten Umkreis die Menschen weckte, nieder. Es schrieen die Rinder. Der Himmel dröhnte donnernd, während im Staube die Glut verreckte. – Aber schon eilten jammernde Menschen herbei. Ich entfloh, von Schmerzen gehetzt, daß ich stöhnte.
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Hinter mir gellten die Racheflüche der Hirten. Alle verlangten den Brudermörder zu steinigen, mich zu entsetzlichem Tode langsam zu peinigen. Vorwärts stürzte mein Fuß, daß die Felsen klirrten . . .Immer noch flieh ich dem Zorn der Menschengemeinde.
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Unstet und rastlos irr ich von Ort zu Ort. Doch mein Mal an der Stirn, vom Scheite gebrannt, allüberall verrät’s mich dem lauernden Feinde. Allüberall treibt mich sein Racheruf fort. Von den Stätten der Menschheit bin ich verbannt.
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Darbend fahr ich durchs Land, vogelfrei. Doch, wo ein Rauch sich senkrecht zum Himmel hebt, wo zufriedene Menschen sich dankbar beugen, – ah! – da schleich ich mit krummem Rücken vorbei, kralle die Hand, die vom Blute des Bruders klebt,
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heiße mein Feuermal gegen die Menschheit zeugen! – Opfert ihm nur, dem Gott der Gerechten und Guten, der eure Hütten mit köstlichen Früchten füllt, der euern Leib mit wärmenden Fellen umhüllt! Junge Lämmer laßt ihm zum Preise bluten!
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Danket für euern Reichtum dem Gotte der Reichen! Und verschließt vor dem Hunger des Armen die Scheuer! Wen Gott haßt, den mögt ihr richten als Schlechten! Was euer Gott auf den Feldern gedeihen laßt, ist euer! Ihr nur seid wert, dem Ebenbild Gottes zu gleichen!
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Aber auf mich ergieß sich der Zorn der Gerechten! – – Kommt! Ich fürcht mich nicht mehr! Hier steh ich zum Kampf!
Eure geballten Fäuste schrecken mich nicht! Brudermörder ihr selbst – und tausendfach schlimmer!
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Aus euerm Scheiterhauf raucht meines Herzbluts Dampf. Trag ich so gut als ihr nicht Menschengesicht? Aufrecht steh ich vor euch und fordre mein Teil! . . . Gebt mir Freiheit und Land! – und als Bruder für immer kehrt euch Kain zurück, der Menschheit zum Heil!
1911
Gebeugte Menschen mit stumpfem Blick hocken in dumpfen Spelunken. Den Neid im Auge, die Not im Genick, von elendem Fusel trunken.
5
Da tönt eine Stimme von außen herein: „Kopf hoch! Ihr seid nicht verloren. Ich füll eure Becher mit goldenem Wein. Auch euch ist der Heiland geboren. Heraus ins Freie und folgt mir nach,
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wo Schätze liegen!“ Die Stimme des Mannes, die also sprach, hat plötzlich geschwiegen, Ein Scherge führt ihn gefesselt fort. Den Menschen aber da drinnen
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Klingt seiner Rede lockendes Wort wie ferner Traum in den Sinnen. Sie senken den Kopf auf des Tisches Brett und trinken mit heiserem Lachen . . .
Ein Jude zog aus von Nazareth,
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die Armen glücklich zu machen.
1912
Sauft, Soldaten! daß das Blut heißer durch die Adern rinnt! Saufen macht zum Sterben Mut.
5
Sauft! Die Zeit der Heldentaten fordert saftige Teufelsbraten. Sauft! Der heilige Krieg beginnt.
Sauft und betet! Gott erhört
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liebvoll der Gläubigen Ruf. Wünscht, daß er den Feind zerstört! Wenn ihr über Leichen tretet, dankt dem Herrn, zu dem ihr flehtet, daß er euch zu Mördern schuf.
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Feindeskissen bettet weich. Wo des Feindes Witwe weint, ist des Siegers Himmelreich. Fremde Weiber – Leckerbissen –
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Schnaps, Gebet und kein Gewissen – Krieg ist Krieg und Feind ist Feind.
Tapfrer Krieger, der vergißt, daß ein Herz im Leibe schlägt,
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daß er Mensch gewesen ist, eh er Kämpfer war und Sieger. Edler Held, der gleich dem Tiger blutige Beute heimwärts trägt.
Heldenscharen
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kehrt ihr heim, fielt ihr nicht von Feindeshand. In der Brust den Todeskeim, Krüppel mit gebleichten Haaren, sucht, wo eure Stätten waren
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im zerwühlten Vaterland.
Qual und Lasten sind der Dank. Weib und Kind in bittrer Not. Euer Heldentum versank.
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Darben lernt ihr nun und fasten. Bettelnd mit dem Leierkasten winselt ihr ums Gnadenbrot.
1912
Nein, ich will nicht eher zu Grabe, eh ich nicht auch die letzten Sprossen irdischen Glückes erstiegen habe, eh ich das Leben nicht ganz genossen;
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eh ich nicht alle Frauen umschlungen, die mich durch meine Träume begleiten, eh ich nicht alle Lieder gesungen, die sich in meinem Herzen bereiten; eh ich nicht alle Werke gestaltet,
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die sich dem schaffenden Geiste entbinden, eh ich der Führerpflicht nicht gewaltet, daß die Menschen ihr Wegziel finden; eh ich nicht fröhliche Augen sehe, die von Erhebung und Stolz verjüngt sind,
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eh ich nicht über Äcker gehe, die statt mit Tränen mit Freude gedüngt sind. Nimmt der Erlöser dann und Vernichter von meinen Tagen die lastenden Ketten, sollt ihr den seligsten Menschen und Dichter
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tief in befreites Erdreich betten.
Januar:
Das Jahr beginnt um Mitternacht, wenn Luft und Land vor Kälte kracht. Der Mensch grüßt froh den Neujahrstag und ahnt doch nicht, was kommen mag.
Februar:
Der Sturm zerbricht den kahlen Ast. Auf tobendem Meere birst der Mast. Eis treibt zum Meer, Schnee stürzt zu Tal. Die Menschen feiern Karneval.
März:
Die Welt erwacht aus Wintersnot. Wild kämpft das Leben mit dem Tod. Im Freiheitssehnen schwillt das Herz. Der Mensch erfleht sein Heil vom März.
April:
Heut Regen, Wind und Hagelschlag und morgen strahlender Sonnentag. Der Menschheit Schicksal muß geschehn Durch Kreuzigung und Auferstehn.
Mai:
Zur Paarung drängt’s die Kreatur und neuer Samen schwängert die Flur. Verkündend schwebt der heilige Geist zum Menschen, der dies Liebe heißt.
Juni:
Das Licht der langen Tage glänzt auf grüne Lande bunt bekränzt. Im warmen Sonnenschein gerät, was für den Herrn der Knecht gesät.
Juli:
Die Luft liegt glühend überm Land. Dumpf gähnt der Himmel Sonnenbrand. Die Berge und die Wasser ruhn, – der Mensch muß seine Arbeit tun.
August:
Gewölk reißt donnernd und zündend entzwei. Gelähmte Lüfte atmen frei. Sternschnuppen fahren den Himmel entlang. Der Herr der Erde nur seufzt im Zwang.
September:
Der Boden saugt neuen Regen ein. Die Saat trägt Früchte. Es reift der Wein. Was weise Allmacht den Menschen gab, der Reiche nimmt es dem Armen ab.
Oktober:
Der Herbst folgt der Natur Gebot. Die Blätter färben sich gelb und rot. Die Vögel fliegen mittagwärts. Den Menschen faßt ein Abschiedsschmerz.
November:
Der Sturm entlaubt den Wald und gellt. Das Meer braust auf, das Schiff zerschellt. Den Armen beugt die Sorgenlast, der Hunger kommt bei ihm zu Gast.
Dezember:
Die Erde kleidet sich in Schnee. Die ganze Welt ist kalt und weh. Vor Gott sind alle Menschen gleich. Sie träumen vom ewigen Friedensreich.