Judas - Erich Mühsam - E-Book

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Erich Mühsam

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Beschreibung

'Judas - Ein Arbeiterdrama in fünf Akten', ein Stück aus der Sammlung revolutionärer Bühnenwerke von Erich Mühsam. In einem revolutionären Massenstreik wendet sich ein einfacher Arbeiter von seinen Mitstreitern ab und wird entgegen seinem Willen zum Verräter, zum Judas. Mühsam war Anarchist, Publizist und Antimilitarist. Als politischer Aktivist war er 1919 maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde, aus der er nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam.

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LUNATA

Judas

Arbeiterdrama in fünf Akten

Erich Mühsam

Judas

Arbeiterdrama in fünf Akten

Entstanden 1920 in der Haftanstalt Ansbach

Erstdruck: Berlin (Malik-Verlag) 1921 – als vierter Band der »Sammlung revolutionärer Bühnenwerke« Uraufführung im Mannheimer »Volkstheater« unter der Regie von G. L. Kupfer

© 1921 Erich Mühsam

© Lunata Berlin 2021

ISBN: 9783752877908

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

MARTIN ANDERSEN-NEXÖ

dem Dichter, dem Freund, dem Genossen

Geschrieben im Gefängnis zu Ansbach April 1920

Personen

Mathias Seebald

Raffael Schenk, Setzer

Frau Schenk, seine Mutter

Flora Severin, Studentin

Stefan Klagenfurter, Eisendreher

Maria Klagenfurter, seine Frau

Trotz Dietrich

Braun, Arbeiter

Färber, Arbeiter

Fischer, Arbeiter

Ernst Lassmann, Kriegsblinder

Mathilde Lassmann, seine Frau

Rosa Fiebig, Arbeiterin

Fritz Rund, Soldat Fedor

Wladimirowitsch Lecharjow

Rudolf Tiedtken, Literat

Strauß, sozialdemokratischer Redakteur

Tessendorff, Polizeirat

Werra Adler, geschiedene Frau

Klara Wendt

Dr. Bossenius Präzold, Gastwirt

Dr. Karfunkelstein, Journalist

Ein Trambahnführer

Eine Trambahnschaffnerin

Ein Leutnant

Ein Unteroffizier

Eine Kellnerin

Arbeiter, Arbeiterinnen, Herren, Damen, Soldaten,  Sanitäter, Volk.

Die Handlung spielt am 28., 29. und 30. Januar 1918 in einer deutschen Großstadt.

Erster Akt

Wohnung Stefan Klagenfurters. Großes Zimmer. Rechts zwei Fenster. In der Mitte der Hinterwand die Tür. Zwischen Tür und der Fensterwand Herdofen, daneben links Wasserleitung. Zwischen den beiden Fenstern einfache Kommode, darauf ein paar Photographien und ein niedriges Bücherbord. Unter dem vorderen Fenster größerer Koffer. Über dem Herd Gestelle für Teller, Gewürzbüchsen usw. In der Ecke rechts Küchenschrank, an dem Hand- und Tellertücher hängen. Links vorn schwarzes Sofa mit Deckchen. Davor runder überdeckter Tisch und zwei schwarze Stoffstühle. Links an der Hinterwand steht das Doppelbett ins Zimmer hinein, daneben rechts Nachttisch und Stuhl, links primitive Waschgelegenheit (Blechgestell) und Spiegel. In der Mitte des Zimmers großer Küchentisch mit Wachstuchdecke, dabei eine Nähmaschine und ein paar Küchenhocker. Unter dem Sofatisch einfacher Teppich. An der linken Wand und über dem Sofa eine Telleruhr mit Gewicht. In der Mitte der Wand Öldruckporträts von Marx und Bebel. Weiter zurück gerahmte Photographien. Über dem Bett ein Haussegen. Die Fenster haben leichte Tüllvorhänge; ein paar Blumentöpfe davor. Über dem großen Tisch hängt von der Decke herunter eine Petroleumlampe. Im Herdofen ist Glut. Auf dem Küchentisch ist Leinenzeug ausgebreitet.

Es ist gegen ½ 4 Uhr am Nachmittag. Frau Marie Klagenfurter arbeitet an der Nähmaschine, hält inne und reißt den Faden ab. Sie hebt das Kinderjäckchen, das sie genäht hat, lächelnd vor sich gegen das Licht. Dann steht sie auf. Man sieht deutlich die Merkmale vorgeschrittener Schwangerschaft. Sie sieht auf die Uhr, schüttelt den Kopf, geht nervös zum Fenster, stochert dann im Herdfeuer und blickt in den Wassertopf, der darauf steht. Plötzlich horcht sie auf. Schritte werden draußen hörbar. Die Tür wird energisch geöffnet. Stefan Klagenfurter tritt ein, in Hut und Überzieher.

MARIE (an seinem Hals): Endlich! Sie haben dich ja schrecklich lange festgehalten.

KLAGENFURTER (küsst sie): Miezl! – warst recht ungeduldig?

MARIE: Sag doch: Wie war’s? Haben sie dich genommen?

KLAGENFURTER: Wirst schon hören. – Pack!

MARIE: Mein Gott! – Nun leg nur erst ab. (Hilft ihm aus dem Überzieher.) Komm, gib! Ich trag's hinaus.

KLAGENFURTER: Das wäre! – Du schonst dich in deinem Zustand, verstanden? Und läufst nicht mir nichts, dir nichts aus dem warmen Zimmer. Ich kann mein Zeug schon selber in den Kasten hängen. (Geht hinaus, lässt die Tür offen.)

MARIE: Sag, Steffi, aber doch nicht K. V.?

KLAGENFURTER (zurück ins Zimmer): Nur keine Aufregung Schatz. Ich bin noch nicht im Schützengraben. (Setzt sich.)

MARIE: Aber, so erzähl doch!

KLAGENFURTER (zerrt sich den Gummikragen vom Hals): Bloß erst den Hals freikriegen. War überhaupt recht überflüssig, sich extra fein zu machen, um vor den Hanswursten den nackten Adam herzuzeigen. – Da, nimm den Kragen. Bis Sonntag reib ihn noch mal ab.

MARIE (legt den Kragen in den Tischkasten): Also Steffi – wie ist's gegangen?

KLAGENFURTER: Na ja, sie haben mich beglotzt und befühlt. – Krieg ich einen Kaffee, Miezl?

MARIE: Gewiss. Er ist fertig. (Macht sich am Herd zu schaffen und nimmt Geschirr aus dem Küchenschrank.) Aber du quälst mich, Liebster. Lass mich doch endlich wissen!

KLAGENFURTER: Ach so. – Na, gut: Wissen musst du's ja doch. Also – felddienstfähig.

MARIE (zu ihm): Steffi!

KLAGENFURTER: Nur ruhig, Kind! Nur nicht aufregen, – du weißt schon. – Und dann ist's ja noch nicht so weit. Sie werden mich ja nicht gleich holen. MARIE: Meinst du? – Aber denk mal, solange konnten sie dich nicht brauchen – und jetzt auf einmal: – trotz deinem Herzfehler.

KLAGENFURTER (lacht): Ja, der Krieg ist noch wundertätiger als die Muttergottes von Lourdes. Der macht mit der Zeit aus dem lahmsten Krüppel einen Helden.

MARIE (schenkt Kaffee ein): Ich hab jetzt besseren Kaffee-Ersatz. Da ist Süßstoff. Wie schmeckt er dir?

KLAGENFURTER: O ja, – er geht an. Ob wir einmal wieder Bohnenkaffee mit Zucker und Milch erleben werden? Wenn wir weiter so »durchhalten« wie bisher, dann wird unser Kleiner mal meinen, vor seiner Geburt wäre Deutschland das Schlaraffenland gewesen.

MARIE: Schau, Steffi, was ich gemacht hab. (Zeigt ihm das Jäckchen.) Steckkissen sind fertig, Häubchen auch. Morgen fang ich mit dem Stricken an: Schuhe und Strümpfe.

KLAGENFURTER (auf sie zu): Was wir glücklich sein könnten! – Und jetzt die Schweinerei. (Küsst sie.) – Wenn man noch an den Schwindel glaubte, – aber mit dem Ekel vor dem allen! – Der alte Trotz baut schon an der Wiege, – und ich soll mein Kleines womöglich gar nicht mehr darin schaukeln können!

MARIE (ihn umklammernd): Steffi! Mein Steffi! – Vielleicht gibt es bald Frieden – ?

KLAGENFURTER: Ja, Frieden! – Wir kämpfen ja »bis zum letzten Blutstropfen«, – bis zu unserm nämlich. Die Proletarier können verbluten – und die großen Herren machen das feinste Geschäft dabei. Da hör! (Von der Straße ertönt Soldatengesang, man versteht die Worte: »Siegreich wollen wir Frankreich schlagen«.) – Pfui Teufel! Da kann man doch alle Hoffnung verlieren, wenn die Soldaten selbst noch –. Na ja, sie müssen singen. Auf Kommando.

MARIE: Steffi! Meinst du nicht, dass die Fabrik dich reklamieren könnte?

KLAGENFURTER: Hab' schon dran gedacht. Bloß wird sie's nicht tun. Dreher kriegt sie noch genug. Und mir sind sie sowieso nicht grün, sie kennen meine Ansichten zu gut. Übrigens – Reklamationen von K. V.-Leuten haben fast nie Zweck.

MARIE (in Tränen): O, Liebster! – ich hab' so Angst!

KLAGENFURTER: Unsinn, Schatz! Tapfer sein! – Wird schon alles noch gut werden Die Einberufung ist noch nicht da. (Er zieht eine Holzpfeife aus der Tasche.) – Von 10 Uhr in der Frühe haben sie mich da rumstehen lassen, viele sind noch nicht fertig.

MARIE: Rauch doch lieber eine Zigarre heute – nach der Quälerei.

KLAGENFURTER: Hast recht. Ist schon mal blau gemacht, kann's ganz wie Sonntag sein. (Nimmt aus der Kommode eine Zigarre und zündet sie an.) Schändlich: 35 Pfg. für das miserable Kraut. Dafür hab' ich früher die ganze Woche täglich eine Zigarre gehabt.

MARIE: Das Brot schlägt auch wieder um 2 Pfg. auf. Und Nähfaden ist kaum mehr zu kriegen. Es ist schrecklich, wie alles teuer wird! (Es klopft.)

KLAGENFURTER: Herein! (Es tritt ein Raffael Schenk. Rothaarig, bleich mit hektischen Flecken, hinkt etwas.)

SCHENK: Tag, Stefan! Servus, Frau Klagenfurter! (Reicht beiden die Hand.)

KLAGENFURTER: Grüß dich, Schenk! – Zieh aus!

SCHENK (legt ab).

MARIE: Legen Sie's nur aufs Bett. – Steffi, die Zigarre!

KLAGENFURTER: Ach so! (Legt die Zigarre fort auf einenBlumenuntersatz am Fenster.)

SCHENK: Unsinn! Rauch nur weiter! (Hüstelt.)

KLAGENFURTER: Ist nicht wichtig. Der Rauch ist nichts für dich. Die Zigarre geht mir nicht verloren.

SCHENK: Wie ist's gegangen?

KLAGENFURTER: Wie es gehen musste: K. V.

SCHENK: Donnerwetter! Also doch. – Und dein Herz?

KLAGENFURTER: Das Herz! Der Doktor meinte: Für ein paar Sturmangriffe hält's noch.

MARIE: Das hat er gesagt? Pfui, wie roh! (Weint.)

KLAGENFURTER: Ruhig, Kind! Denk doch an deinen Zustand! Und noch stürme ich ja nicht. Bis dahin kann noch manches anders kommen.

SCHENK: Du wirst doch nicht gehen, Stefan?

KLAGENFURTER: Wieso – nicht gehen?

SCHENK: Ich meine, wenn die Einberufung kommt.

KLAGENFURTER: Ich muss mich noch besinnen. Schließlich werd' ich wohl müssen.

SCHENK: Hängt davon ab, ob du willst.

KLAGENFURTER: Ja, ja – nach der Theorie –

SCHENK: Theorie? Ich denk doch, wenn eine Sache praktisch wird, geht's an die Anwendung von Theorien.

KLAGENFURTER: Du meinst also im Ernst, ich soll mich weigern?

SCHENK: Ich tät's.

MARIE: Um Gottes willen. Dann sperren sie ihn ja ein!

SCHENK: Wahrscheinlich. – Wollen Sie Ihren Mann lieber im Schützengraben haben als im Gefängnis?

MARIE: Aber wenn sie ihn erschießen!?

SCHENK: Auch das geht draußen schneller als drinnen. – Oder fürchten Sie die Schande?

MARIE: O Gott, nein. – Aber ich weiß doch nicht. – O Steffi!

KLAGENFURTER: Still, Schatz! Die Sache muss überlegt werden.

SCHENK: Was gibt es da noch zu überlegen? Auf der einen Seite steht das Kapital und macht Ansprüche auf dich, auf dein Leben, deine Gesundheit, dein Glück und deine Überzeugung, – auf der andern Seite stehst du, deine Frau und das Kind, das ihr haben werdet. –

KLAGENFURTER: Herrgott, ja, ja.

SCHENK: Und was noch wichtiger ist: deine Gesinnung, deine proletarische Ehre, Stefan! Du bist doch ein Kämpfer und weißt, wogegen wir zu kämpfen haben. Da willst du dir vom Feind ein Gewehr geben lassen und auf sein Kommando gegen dein eigenes Gewissen und gegen deine Klassengenossen losgehen?

KLAGENFURTER: Es ist alles richtig, was du sagst. Hab's ja auch oft genug gehört – von dir, von Seebald und mir auch selbst gesagt. Aber –

SCHENK: Ich möchte dein Aber kennen.

KLAGENFURTER: Sie werden mich zwingen.

SCHENK: Zwingen? Man kann mich zwingen, etwas zu unter lassen, wenn man mich gewaltsam dran hindert. Aber man kann mich nicht zwingen, etwas zu tun, was ich nicht tun will.

KLAGENFURTER: Sie werden mich in die Kaserne schleifen.

SCHENK: Das werden sie tun. Und was weiter?

KLAGENFURTER: Nun, dann werden sie mir den grauen Rock anziehen.

SCHENK: Wenn du still hältst.

MARIE: Wie schrecklich! – Nein, sie werden dich binden, wenn du dich wehrst.

SCHENK: Wenn sie ihn binden, können sie ihn nicht exerzieren lassen.

KLAGENFURTER: Du hast recht, Schenk, es ist das kleinere Übel.

MARIE: Aber ich hab' so Angst vor dem allen. – Sie werden dich quälen.

SCHENK: Keine Aufregung vor der Zeit, Frau Marie. Zunächst haben sie ihn noch gar nicht.

MARIE: Wie meinen Sie das?

SCHENK: Sehr einfach. Wenn der Wisch kommt, verschwindet Stefan von der Bildfläche.

MARIE: Und ich? – Und … und … wenn es soweit ist?

KLAGENFURTER: Sind ja noch zwei Monate hin, Liebling. Bei dir sein kann ich dann doch auf keinen Fall. Entweder sie holen mich, dann bin ich nach vier Wochen Abrichtung vorn; oder sie sperren mich ein, – oder ich drück mich eben. Nur – wovon sollst du leben?

SCHENK Dafür lass uns sorgen. Wovon soll sie denn leben, wenn du Soldat bist? Was Vater Staat ihr an Unterstützung gäbe, das bringen wir im »Bund Neuer Menschen« im Handumdrehen zusammen.

KLAGENFURTER: Abgemacht, Schenk. – Ich nehm's auf mich.

SCHENK (drückt ihm die Hand): Du nimmst weniger auf dich, als alle die Millionen, die es nicht auf sich nehmen mögen.

MARIE: Mir ist schrecklich bange.

SCHENK: Dazu haben Sie gar keinen Grund. Übrigens rechne ich bestimmt damit, dass sich die Arbeiter doch endlich rühren werden.

KLAGENFURTER: Ist was Neues?

SCHENK: Russland macht Eindruck. Denk doch –, die sind raus aus dem Krieg.

KLAGENFURTER: Aber teuer erkauft haben sie den Frieden.

MARIE: Wenn sie aber doch Frieden haben!

SCHENK: Scheint mir auch. Nur dürfen wir sie jetzt nicht im Stich lassen.

KLAGENFURTER: Du meinst wegen der Friedensbedingungen?

SCHENK: Ja, und wegen des Vormarsches in das wehrlose Land.

KLAGENFURTER: Es ist schändlich. Nur fürchte ich, wir kriegen die Massen deswegen nicht auf die Beine.

SCHENK: In Berlin soll etwas bevorstehen. Hier muss es Seebald machen. Das ist der einzige, auf den sie hören. – Die andern müssen übrigens bald kommen.

KLAGENFURTER: Welche andern?

SCHENK: Nun: Trotz, Dietrich, die Severin, Rosa und die übrigen.

MARIE: Hierher, – zu uns?

SCHENK: Ja doch, ich glaubte, ich hätt's schon gesagt. Ich hab' sie hierher zusammenbestellt.

MARIE: Da muss ich mir rasch eine andere Schürze vorbinden.

(Nimmt eine weiße Schürze aus der Kommode und legt sie an.) Und das Zeug da! (Räumt das Nähzeug vom Küchentisch ab.)

KLAGENFURTER: Warum denn zu uns?

SCHENK: Weil du heut nicht bei der Arbeit warst. Die Genossen bei Wachsmann machen extra früher Schicht. Es ist schon ein bisschen Streikstimmung in der Luft.

KLAGENFURTER: Glaubst du denn, dass ein Generalstreik zustande kommt? Und wann, meinst du, kann es soweit sein?

SCHENK: In Berlin scheint es dicht vorm Klappen zu stehn. Sie wollen vor allen Dingen Liebknecht heraushaben. Vielleicht müssen wir bald kampffertig sein.

KLAGENFURTER: Du, – ich weiß nicht recht, ob Seebald zu haben wäre.

SCHENK: Ach, du kennst ihn nicht.

KLAGENFURTER: Es ist wahr: Er hat Feuer und reißt alle mit Aber jetzt ist er doch ganz in seinen Verein verkapselt mit Studenten und Künstlern. Ich habe Misstrauen gegen die Intellektuellen. Was das Proletariat angeht, davon wissen sie wenig.

SCHENK: Es gibt Ausnahmen. Denk nur an FLORA: Severin. Und die Ästheten im »Bund Neuer Menschen« sind Seebald selbst zuwider. Wenn einer Revolutionär ist, dann ist er es. Er will den Frieden.

KLAGENFURTER: Auch die Revolution?

SCHENK: Wie kann er den Frieden bekommen ohne Revolution?

KLAGENFURTER: Ja, – aber ob er das weiß?

SCHENK: Er spricht ja immer wieder davon, dass nur die Arbeiter den Krieg zu Ende bringen können, wenn sie nicht mehr für den Krieg arbeiten; – wenn sie sich weigern, Soldat zu sein; wenn sie anfangen, an sich selbst zu denken.

MARIE: Wird denn das ohne Gewalt gehen?

SCHENK: Nein, gewiss nicht. Das ist in Russland nicht ohne Gewalt gegangen, und bei uns sind die Widerstände noch größer, besonders, solange sie sich einbilden, dass sie siegen werden!

MARIE: Das gäbe ja dann den Krieg unter uns selber?

SCHENK: Ohne den wird es nicht abgehen.

KLAGENFURTER: Aber da geht Seebald eben nicht mehr mit. Sein drittes Wort ist: Keine Gewalt!

SCHENK: Er muss! – Am Ende wird auch er es einsehen. Waffen zerbrechen nur unter Druck.

MARIE: Ich glaube, sie kommen schon (man hört Tritte).

KLAGENFURTER (öffnet die Tür): Nur herein alle! (Es treten auf Braun, Fischer, Rosa Fiebig und Dietrich. Hinter ihnen in Feldgrau mit Stock der Kriegsblinde Ernst Lassmann am Arm von Mathilde Lassmann. Begrüßung unter Stimmengewirre, aus dem Dietrichs Organ sonor heraustönt.)

MARIE: Führ deinen Mann aufs Sofa, Mathilde. (Man macht für Lassmann Platz.)

KLAGENFURTER: So. Setzt euch, wo ihr Platz findet. Geh,

Anton, zieh mal den Koffer mit vor (zieht mit Braun denKoffer mitten ins Zimmer). Seid ihr schon alle? – Die Sachen nur immer aufs Bett.

BRAUN: Trotz und Färber konnten nicht abkommen.

SCHENK: Und Flora Severin?

DIETRICH: Die muss wohl erst ihren Dichterling aus dem Café holen.

SCHENK: Lass doch die Witze!

ROSA: Ist Rund noch nicht da?

DIETRICH: Such' mal unter dem Bett! (Lacht gewaltig.) (Man hat allmählich die Plätze eingenommen: Auf dem Sofa links Lassmann, rechts neben ihm seine Frau, auf den Stühlen am Tisch Klagenfurter und Braun. Am Küchentisch Dietrich und Fischer. Marie sitzt auf einem Schemel vor dem Herd, Rosa hat sich auf den Koffer gesetzt. Schenk steht am Fußende des Bettes angelehnt.)

KLAGENFURTER (zu Lassmann): Na, Ernst, wie schaut's immer?

LASSMANN: Mit dem Schauen hat sich's aufgehört.

DIETRICH: Diese Hunde, diese verfluchten! Andern die Augen herausschießen können sie, statt sie sich selbst aus dem Kopf zu schämen!

MARIE: Wollen Sie sich nicht setzen, Schenk?

SCHENK: Ich stehe lieber. Bei Dietrichs Gebrüll müsste ich ja doch über kurz oder lang vom Stuhl fallen.

DIETRICH: Ist es nicht wahr, was ich sage? Habt Ihr den Tagesbericht gelesen heute? 40 Lokomotiven haben sie erbeutet und über 1200 Eisenbahnwagen. Und wo? In Russland, wo sich kein Mensch mehr wehrt, wo sie den Frieden geschlossen haben – die Halunken. Erbeutet nennen sie das! Gestohlen haben sie's, ganz gemein gestohlen, diese Boches, die verdammten! Im Russland der Revolution. Im Lande der Freiheit!

KLAGENFURTER: Nicht so laut, Dietrich! Die Wände sind nicht so dick!

DIETRICH: Natürlich, alles Bruch, alles Dreck in diesem Lande des Schwindels. Aber sie sollen es nur hören, die Leute. Meine Ansicht ist kein Geheimnis. Ich hasse es, – mein so genanntes Vaterland.

SCHENK: Ist schon recht, Dietrich. Aber du bist hier nicht in einer Volksversammlung. Wir haben über sehr wichtige Ding zu reden, die die Nachbarschaft vorläufig noch gar nichts angehen. Also brüll nicht so, – tu uns den Gefallen.

DIETRICH (leiser): Es geht nun manchmal mit mir durch, die Wut. – Diese Bande! Elende –

BRAUN (zu Klagenfurter): Kretsch hat nach dir gefragt, Stefan.

KLAGENFURTER: Der Maschinenmeister? Er wusste doch, dass ich zur Musterung war.

BRAUN: Er meinte, am Nachmittag hättest du doch zur Arbeit kommen können.

KLAGENFURTER: Wann bin ich heimgekommen, Miezl?

MARIE: Es war gerade halb vier.

KLAGENFURTER: Übrigens wäre ich sonst auch nicht mehr hingegangen.

FISCHER: Ich hab's ihm gegeben.

SCHENK: Was? Du, der große Schweiger, hast dem Kerl eine Standrede gehalten?

FISCHER: Ja.

KLAGENFURTER: Was hast du ihm denn gesagt, Fischer?

FISCHER: Rindvieh! hab' ich gesagt. (Gelächter.)

ROSA: Kretsch ist ja reklamiert.

DIETRICH: So sind sie alle, diese Schufte. Um ihr bisschen Kadaver zu salvieren, treten sie auf den Arbeitern herum und machen sich vor den Direktoren in die Hosen.

LASSMANN: Mich hat ein Meister herausgedrängelt, um an meinen Platz einen Verwandten von seiner Frau reklamieren zu lassen.

FRAU LASSMANN: Und so ist er zurück, – beide Augen! Und meine sechs Kinder daheim!

LASSMANN: Und der andere ist zehn Jahre jünger und gesund und arbeitet jetzt noch an meinem Posten.

BRAUN: Ja, dich hat's am bösesten hergenommen, Ernst.

LASSMANN: Wär besser gewesen, es hätt' mich ganz zerrissen.

SCHENK: Unsinn, Lassmann; wenn's losgeht, können wir dich immer noch brauchen.

LASSMANN: Was soll ich wohl noch nützen können?

KLAGENFURTER: Es genügt, wenn du dich bloß hinstellst und den Leuten zeigst: Das ist der Krieg!

DIETRICH: Diese Hunde! (Er hat sich auf den Küchentisch gesetzt.)

MARIE: Wie geht's denn zu Hause bei dir, Tilde?

FRAU LASSMANN: Ach, frag gar nicht. Mit den paar Groschen Unterstützung da kann man ja das Nötigste nicht heranschaffen. Und dann der Mietzins. Ich kann doch nicht selbst auch noch auf Arbeit gehen, – mit den kleinen Kindern. Und wer soll Ernst führen?

ROSA: Überhaupt soviel Elend jetzt.

SCHENK (ist ein paar Mal auf- und niedergelaufen): Ja, auf der einen Seite. Aber uns Arbeitern geht es viel zu gut. Die hohen Löhne verderben alles.

DIETRICH: Sollen sie vielleicht nicht mal zahlen, die Ausbeuter?

SCHENK: Schon, aber den Arbeitern geht der Anstand zum Teufel. Sie saufen Sekt und vergessen, dass sie kein Brot haben.

DIETRICH: Da hast du recht. Sie verdienen es, dass sie für den Kapitalismus verrecken!

ROSA: Am schlimmsten ist es bei den Munitionsarbeitern.

FISCHER: Und den Weibern.

SCHENK: Das ist das Traurigste, dass sich überhaupt Frauen dazu finden, Granaten zu machen. Blutarbeit, – und jede macht einen Mann frei für den Heldentod.

KLAGENFURTER: Ob die für einen Streik zu kriegen sein werden – da hab' ich Angst. (Man hört draußen Stimmen.)

ROSA: Jetzt kommen sie. – Ich höre Runds Stimme.

KLAGENFURTER (zur Tür): Ja, – nur herein! (Es treten auf Fritz Rund, Soldat, Eisernes Kreuz-Band, Trotz, weißbärtiger Arbeiter, Färber. Begrüßung.)

DIETRICH: Auf dass das Haus voll werde!

MARIE: Legen Sie ab und setzen Sie sich. Es wird sich schon noch Platz finden.

KLAGENFURTER: Hier auf dem Sofa ist noch Platz.

ROSA (zu Rund): Komm, Fritz, setz dich zu mir auf den Koffer. (Trotz nimmt auf dem Sofa, links von Lassmann, Platz, Rund auf dem Koffer und Färber auf einem Hocker am Tisch.)

FÄRBER: Na, Schenk, hast du einen Schlachtplan entworfen?

BRAUN: Wir könnten ja jetzt anfangen mit der Besprechung.

SCHENK: Kommt denn FLORA: nicht? Auf die müssen wir warten.

FÄRBER: Doch, sie wollte nur Tiedtken abholen. Sie wird wohl bald hier sein.

KLAGENFURTER: Ich meine auch, wir sollten uns nicht aufhalten lassen.

SCHENK: Ohne Flora! Aber Stefan, wie kann dir das in den Sinn kommen?

KLAGENFURTER: Wenn sie doch bald kommt! Sie wird sich schon zurechtfinden.

SCHENK: Davon kann gar keine Rede sein. Der beste Kopf, das schärfste Auge –

DIETRICH: Und die schönste Figur – was?

SCHENK: Halt's Maul! (Hustet heftig.)

DIETRICH: Na, ist ja nicht so gemeint, Raffael! – War bloß Scherz.

SCHENK (erregt und hustend): Unterlass solche Scherze, bitte.

TROTZ: Ich meine aber auch, wir müssen auf die Severin warten. Wir können alle nicht so genau erkennen, wie es eigentlich steht. Was wissen wir? – Aus den Zeitungen!

FISCHER: Lauter Lügen!

KLAGENFURTER: Ich dachte nur, – wie es bei den Arbeitern ist, sehen wir doch besser.

BRAUN: Wie denken denn die Soldaten, Rund?

RUND: Die schon draußen waren, sind meistens gut. Aber die jungen – besonders die vom Lande – glauben noch alles.

DIETRICH: Ganz recht geschiehts ihnen, wenn sie draußen krepieren, – die Idioten!

TROTZ: Sie haben dich genommen, Stefan?

KLAGENFURTER: Ja.

TROTZ: Meinst du, dass sie dich bald holen?

RUND: Sie ziehen jetzt alles ein, und dann führen sie ja auch Listen über die Gesinnung.

MARIE: Mein Gott!

RUND: Es heißt, im Westen wollen sie durchbrechen.

DIETRICH: Können vor Lachen!

FÄRBER: Wenn sie jetzt in Russland alle Truppen frei bekommen – Millionen –

BRAUN: Aber die Amerikaner –

ROSA: Glaubst du denn, Fritz, dass sie was machen können?

RUND: Ich kann's auch nicht wissen.

MARIE: Wenn es nur dann Frieden gäbe!

SCHENK: Frieden? Dann? – Wenn sie durchbrechen, dann geht der Krieg erst an.