Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova - E-Book

Erinnerungen aus galanter Zeit E-Book

Giacomo Casanova

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Erotische Bibliothek Band 21: Erinnerungen aus galanter Zeit von Giacomo Casanova Sammlung klassischer erotischer Werke der Weltliteratur Die "Erinnerungen aus galanter Zeit" beinhalten Auszüge aus den Memoiren Giacomo Casanovas, den Schilderungen seiner ausschweifenden, unzähligen Liebschaften. Casanova bereiste ganz Europa und war in den Salons der adligen Gesellschaft ein häufig gesehener Gast. Er verkehrte mit Prominenten wie Zarin Katharina II., Friedrich dem Großen und den Päpsten Benedikt XIV. und Clemens XIII., weshalb seinen Aufzeichnungen ein besonderer kulturhistorischen Wert zugemessen wird.

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Erinnerungen aus galanter Zeit

Giacomo Casanova

Erotische Bibliothek

Band 21

Giacomo Casanova

Erinnerungen aus galanter Zeit

Aus dem Italienischen von Christian Kraus 1912

© Lunata Berlin 2019

Inhalt

Vorwort

Zum Geleit

1. Bettina

2. Lucia

3. Annita und Marietta

4. Lukrezia

5. Bellino

6. In Konstantinopel und auf Corfu

7. Christine

8. Fräulein Vesian

9. C. C. und M. M

10. Henrietta

11. Intermezzo

12. Die Frau des Bürgermeisters

13. Meine Tochter

14. Die Theologin

15. Spanien

Über den Autor

Die erotische Bibliothek

Vorwort

Ich habe diese Memoiren nicht für den Teil der Jugend geschrieben, welcher in Unwissenheit erhalten werden muß, um ihn vor dem Falle zu bewahren, sondern für diejenigen, welche viel gelebt haben und dadurch unempfindlich geworden sind, für diejenigen, welche sich viel im Feuer aufgehalten haben und dadurch Salamander geworden sind. Da die wahren Tugenden nur Gewohnheiten sind, so wage ich zu sagen, daß die wahren Tugendhaften diejenigen sind, welche die Tugend ohne die geringste Mühe üben. Diese Leute haben keine Idee von Intoleranz, und für sie habe ich geschrieben.

Giacomo Casanova

Zum Geleit

Drei Mythen gebar das christkatholische Europa, in drei grundverschiedenen Formen schwebte ihm das Bild des Mannes vor: in dem germanischen Faust, dem romanischen Don Juan und dem jüdischen Ahasver. Und es ist seltsam genug, daß der Mann, der der letzte große Lebenskünstler der alten Zeit war, alle drei Typen in sich vereinte: Casanova.

Rastlos war er, wie der ewige Jude. Trieb sich am Bosporus herum wie am Lido, war bei Kaiser Joseph zu Gast wie bei dem großen Friedrich und bei Katharina ›dem‹ Großen, fühlte sich ebenso zu Hause in Holland wie in der Schweiz, in Frankreich wie in Italien und Spanien. Überall hochwillkommen und hochgeehrt und überall zuletzt in irgendeinen Skandal verwickelt und weggejagt: wie Benvenuto Cellini, wie Austin de Bordeaux. Aber von des Florentiners Wirken zeugt sein Perseus, zeugt manches andere intime Kunstwerk; und des genialen Gascogners wildes Leben krönte die Tadj-Mahal, der wundervollste Traum in dem Wunderlande Indien und das herrlichste Werk, das je eines Künstlers Hirn entsprang. Casanova hinterließ kein Werk, das ihm in alle Zukunft bezeugen konnte: dieser Mann hatte ein Recht, anders zu Leben wie die Menge. Hinterließ nichts als – – eben die Geschichte dieses Lebens selbst. Und die Mucker, die immer wieder und in allen Ländern diese Geschichte auf den Index ihrer kleinen Moral setzten, würden recht haben, wenn eben nicht dies Leben in sich ein so vollendetes Kunstwerk gewesen wäre, und dazu eines, in dem sich eine ganze Zeit spiegelte.

Nur der Casanova, der ein Ahasver war, der ruhelos durch die Welt seiner Zeit zog und am letzten Ende nur rastete, um – am Schreibtische – noch einmal die verschlungenen Wege seines wilden Lebens zu durchwandern, konnte ein solcher Brennspiegel werden. Aber auch nur der Casanova, der zu gleicher Zeit ein Faust war und ein Don Juan.

Ein Faust war er. War ein Mensch, dem nichts entging, was dem menschlichen Geist von Interesse sein kann. Theologie, Juristerei und Medizin hatte er ebenso studiert wie Philosophie, und wenn man auch das ›heiße Bemühen‹ ihm dabei gewiß nicht recht glauben will, so bleibt doch bestehen, daß er sich um alle diese und sehr viele andere Dinge, wenn nicht als ein großer Gelehrter, so doch als ein grundgescheiter Dilettant und oft als ein Fachmann eifrig kümmerte. Er war Offizier und Diplomat, Theologe und Jurist, dann wieder Schauspieler und Violinvirtuose. Er war Dichter und Wunderdoktor, Politiker und Bibliophile, Kunstkenner und Altertumsforscher. Er sprach alle europäischen Sprachen, kannte die Systeme aller Philosophen und hat sich selbst sein eigenes zurechtgemacht. Er war Mathematiker, dazu Alchimist und Chemiker und natürlich auch Astrolog, Schatzgräber, Goldmacher und Schwindeldoktor. Und in allem und überall suchte er auf den Ursprung der Dinge zu kommen.

Freilich schürfte er nirgends sehr tief, nahm wenig oder nichts ernst. Ging heran an alles mit heißem Blute und klarem Blicke – warf es dann weg, wenn sich irgendein größerer Widerstand ihm in den Weg stellte oder wenn ein schönes Frauenauge ihn ablockte.

Denn er war auch – und mehr als alles andere – Don Juan Tenorio, war es als Kind seiner Zeit sowohl wie als Kind seiner eigenen Natur.

Das Mittelalter hatte aus der Liebe eine Religion gemacht, das Rokoko machte ein Spiel daraus. Und dieses oft frivole, oft genug tragische Spiel der Liebe hat nie wieder ein anderer Mensch zu solcher Kunst erhoben wie Giacomo Casanova. Was noch roh ist und ungeschliffen bei Benvenuto, dem ungestümen Kraftmenschen der Renaissance, wird bei ihm geistvoll, durchdacht. Jedes kleine Liebesabenteuer Casanovas ist in sich eine Probe seiner Lebenskunst. Wenn man Casanovas Erinnerungen liest und dann die Briefe der Pfalzgräfin Liselotte, so glaubt man, in zwei Welten zu blicken, die durch unendliche Zeit voneinander getrennt sind – und doch sind die beiden kaum zwei Menschenalter voneinander entfernt. Liselotte, die Schwägerin des vierzehnten und die Mutter des fünfzehnten Ludwig, lebte am ersten Hofe der Welt, galt dazu als eine der gescheitesten und mutterwitzigsten Frauen ihrer Zeit. Casanova aber war der Sohn einer verachteten Schauspielerin und der Enkel eines Schusters, begann in den niedrigsten Tiefen des Lebens. Und dennoch ist er der große Weltmann, ist die berühmte Fürstin eine manchmal amüsante, aber doch recht plumpe und brutale Bäuerin neben ihm. Bei beiden spürt man, daß das, was sie erzählen, durchaus der Wahrheit entspricht und nicht, wie bei dem manchmal etwas färbenden Cellini, der hier ein bißchen mehr, dort etwas weniger berichtet als gerade stimmt, geschrieben wurde: ad majorem autoris gloriam. Die Herzogin von Orleans erlebt alles – und was konnte man nicht erleben am Hofe des Sonnenkönigs! – wie eine kräftige Landdirne, die keine Nerven, die Eisendrähte im Leibe hat; erlebt fast wie ein Tier oder ein Phonograph. Unglaublich naiv, selbstverständlich und derb, mißt sie, was auch um sie her geschieht, nach ihrem Maße: zieht es hinab auf ihr Niveau, manchmal ins Lustige und Komische, stets aber ins sehr Bürgerliche und Kleinliche. Casanova dagegen erlebt Novellen und Geschichten, erlebt ein Kapitel und eine Episode nach der andern: schon in seinem Erleben selbst liegt die Kunst. Darum sind seine Memoiren so ungeheuer anziehend, darum wurden sie, selbst ehe noch Brockhaus vor bald einem Jahrhundert das Manuskript herausgab, ein Leckerbissen für die wenigen Künstler und Weltleute, denen das berühmte Leipziger Haus Einsicht darin gestattete. Vom Fürsten von Ligne, dem großen Mäzen aller abenteuernden Lebemänner seiner Zeit, angefangen, bis zu dem pedantischen Hebbel mit seinem allzu bürgerlichen Horizont, erkannte jeder Intellektuelle die überragende Bedeutung dieser Lebenserinnerungen an, tat das um so offener und kräftiger, je mehr immer wieder pfäffische Einflüsse die Bände zu unterdrücken suchten.

In dem ersten Kapitel seiner Erinnerungen erzählt Casanova lang und breit von dem Stammbaum seiner Familie, die aus Spanien stamme und dann nach Venedig kam. Er kennt eine ganze Reihe seiner Vorfahren genau, und sie sind alle gut katholisch, spanische und italienische Christen. Ich aber glaube kein Wort davon. Ich meine vielmehr: in den Adern dieses Mannes rollte in guter Mischung alles Blut, das die Kultur Europas schuf, germanisches, romanisches und jüdisches. Und so ward in ihm der große ›Europäer‹, der Weltmann, der ein rastloser Ahasver war, ein wahrheitssuchender Faust und – vor allem – ein Leben und Liebe schenkender und trinkender Don Juan. Don Juan freilich ist die stärkste Seite in des großen Abenteurers Wesen. Und darum mußte diese gekürzte Ausgabe seiner Erinnerungen sich hauptsächlich mit diesem Casanova beschäftigen. Eine literarisch-amüsante, künstlerisch geschmückte Auslese von Casanovas galanten Abenteuern besteht bis jetzt in deutscher Sprache noch nicht; alle bisherigen Ausgaben der ›Erinnerungen‹, die Anspruch auf literarische Bedeutung haben – so vor allem die vierzehn, bändige ausgezeichnete des Georg Müllerschen Verlags in München –, sind »vollständig«, aber für viele Tausende unerschwinglich. Von dem überflüssigen Ballast historischer Details ist die vorliegende Ausgabe befreit worden, die genußreicher Unterhaltung dienen soll. Dabei ist aber nicht etwa beabsichtigt, Casanova als reinen Erotiker hinzustellen: er zeigt sich hier als der wahrheitsliebende und schönheitsdurstige Sittenschilderer eines Zeitalters, dessen Esprit in ihm seinen glänzendsten Interpreten fanden.

Die Bilder des Marquis von Bayros scheinen mir am besten geeignet, dem Geiste des lebensfrohen Venetianers gerecht zu werden.

Miramar, im Juni 1911

Hanns Heinz Ewers

1

Bettina

Weiß Gott, was die Menschen oft zusammenführt. Hätte ich als Kind nicht an starkem Nasenbluten gelitten, nimmermehr hätte mein Auge Bettina erblickt, Bettina, die dem Knaben die ersten Äußerungen der Liebe entlockte. Dieses Nasenbluten schwächte meinen noch unentwickelten Körper überaus, so daß ich unfähig war, mich mit irgend etwas zu beschäftigen, und ganz blödsinnig aussah. Da auch der Hokuspokus einer Hexe von Murano, zu der mich meine gute Großmutter brachte, nicht imstande war, mich davon zu heilen, hörte endlich meine Mutter und mein Vormund, der Herr Grimani, auf den Rat eines Arztes, welcher eine Heilung meines Übels nur bei Luftveränderung hoffen ließ, und brachten mich nach Padua in Pension. Meine Pensionsmutter war eine alte Slavonierin, deren ganzes Wesen mich, der ich von Schönheit und Höflichkeit doch noch gar keine Ahnung hatte, anwiderte. Aber das wäre noch das wenigste gewesen: nachts fraß mich das Ungeziefer fast lebendigen Leibes, und da sich in der paduanischen Luft mit meiner Gesundheit auch ein derber Hunger einstellte, den die Kost der Slawonierin niemals stillen konnte, magerte ich entsetzlich ab. Wohl wußte ich mir manchmal Eßbares zur Genüge zu verschaffen: durch Beutezüge im Hause meiner Wirtin, die verzweifeln wollte, weil sie den Dieb nicht entdecken konnte. Auch nutzte ich mein Amt als Dekurio der Schule aus, die ich besuchte. Ich war durch Fleiß und Kenntnisse zu diesem Amte gelangt, wobei mir oblag, die Aufgaben meiner dreißig Mitschüler zu prüfen, zu korrigieren und mit der gebührenden Zensur zu übergeben. Nichts lag näher, als daß sich meine Freßlust mit allem Eßbaren von den Faulen bestechen ließ, und auch, daß ich bald mein Amt mit aller Ungerechtigkeit ausübte, was die besseren Schüler bald nicht mehr ertrugen und dem Lehrer anzeigten. Bei der Untersuchung erkannte mein Lehrer den jämmerlichen Zustand meines Unterhalts. Da er mir außerordentlich wohlwollte, setzte er es bei meiner Mutter durch, daß ich der Slawonierin genommen und in sein Haus gegeben wurde. Ach, der gute freundliche Priester Doktor Gozzi! Er liebte mich über alle Maßen und schenkte mir seine ganze Zuneigung, so daß ihn nach einem halben Jahre alle seine Schüler verließen. Er beschloß dann, ein kleines Kollegium zu errichten und junge Schüler in Pension zu nehmen. Aber erst in zwei Jahren brachte er es darin zu etwas, in der Zwischenzeit widmete er sich ganz mir, lehrte mich alles, was er wußte; auch das Violinspiel lernte ich bei ihm, welches mich später einmal in größter Not über Wasser halten sollte. Als ich nach zwei Jahren etwa, es war in der Fastenzeit des Jahres Siebzehnhundertsechsunddreißig, mit meinem Lehrer der Mutter einen Besuch abstattete, erregte ich, den alle vorher für blödsinnig gehalten hatten, durch meine Kenntnisse und Fertigkeiten, darunter nicht zuletzt meine poetischen Leistungen, die Bewunderung des ganzen Kreises meiner Angehörigen und ihrer Freunde, und der Doktor freute sich kindisch, als er sah, daß ihm das Verdienst dieser Umwandlung zugesprochen wurde. Unangenehm aber fiel meiner Mutter meine helle, blonde Perücke auf, welche in krassem Widerspruch stand mit meinem braunen Gesicht, den schwarzen Augen und Brauen. Sie fragte den Doktor, warum er mich nicht frisieren lasse? Als er antwortete, die Perücke erleichtere seiner Schwester meine Reinhaltung, erregte diese naive Ansicht allgemeines Gelächter, welches sich noch verdoppelte, als ich auf die Frage, ob seine Schwester verheiratet sei, statt seiner antwortete, Bettina sei das schönste Mädchen des ganzen Viertels und erst vierzehn Jahre alt. Da versprach meine Mutter dem Mädchen ein schönes Geschenk, wenn es mich in meinem wirklichen Haar gehen lasse, worauf der gute Doktor beteuerte, dies solle von jetzt ab geschehen. Ja, Bettina war reizend, heiter und eine große Romanleserin. Vater und Mutter waren unzufrieden mit ihr, weil sie sich zu viel am Fenster sehen ließ, und der Doktor wegen ihrer Neigung zum Lesen. Das Mädchen gefiel mir von Anfang an, ohne daß ich wußte weshalb, und sie war es, welche in mein Herz die ersten Funken einer Leidenschaft schleuderte, die später jede andere überwog. Die fünf Ellen Seidenzeug und das Dutzend Handschuhe, das Geschenk, welches meine Mutter der Kleinen sandte, weckten in ihr eine außerordentliche Zuneigung für mich, und sie nahm sich so sehr meiner Haare an, daß ich in noch nicht einem halben Jahre meine Perücke ablegen konnte. Sie kämmte mich alle Tage, und oft sogar im Bette, da sie, wie sie sagte, nicht Zeit hatte, abzuwarten, bis ich aufgestanden wäre. Sie wusch mir das Gesicht, den Hals, die Brust und erwies mir kindliche Liebkosungen, die ich für unschuldig hielt, und die mich gegen mich selbst aufbrachten, weil sie mich reizten. Ich war drei Jahre jünger als sie, so schien es mir, daß sie mich nicht ernsthaft lieben könne, und das verstimmte mich. Saß sie auf meinem Bette und sagte zu mir, ich würde fetter, wobei sie sich mit ihren Händen davon überzeugte, so versetzte sie mich in die höchste Aufregung, aber ich ließ sie ruhig machen, damit sie meine Gefühlserregung nicht gewahr würde, und wenn sie mir sagte, ich hätte eine sanfte Haut, so nötigte mich ihr Kitzeln, mich zurückzuziehen; ich war dann ärgerlich, daß ich nicht dasselbe gegen sie zu tun wagte, aber doch erfreut, daß sie nicht ahne, wie große Lust ich dazu habe. War ich angekleidet, gab sie mir die süßesten Küsse und nannte mich ihr liebes Kind; aber wie gern ich auch ihrem Beispiel folgen mochte, ich war doch noch nicht kühn genug dazu. Als später freilich meine Schüchternheit mich lächerlich machte, faßte ich Mut und gab ihr kräftigere zurück, als sie mir gegeben; aber doch hielt ich immer an, sobald ich die Lust verspürte, weiter zu gehn; ich wendete den Kopf um, indem ich tat, als ob ich etwas suchte, und sie entfernte sich. Dann aber geriet ich in Verzweiflung, daß ich nicht dem Zuge meiner Natur gefolgt war; und verwundert, daß Bettina mit mir ohne weitere Folgen machen konnte, was sie wollte, während ich mich nur mit der größten Mühe enthalten konnte, weiter zu gehen, gelobte ich mir jedesmal, mich anders zu benehmen. Da bekam im Anfange des Herbstes der Doktor drei neue Pensionäre, von denen sich der eine, ein Junge von fünfzehn Jahren, in noch nicht einem Monate sehr gut mit Bettina zu stehen schien. Diese Beobachtung brachte in mir eine Empfindung hervor, von welcher ich bis dahin keine Idee gehabt und die ich erst einige Jahre später zu analysieren vermochte. Es war weder Eifersucht noch Unwille, sondern eine edle Verachtung, welche ich nicht unterdrücken zu dürfen glaubte, denn Cordiani, der unwissend, geistlos, ohne gesellschaftliche Erziehung der Sohn eines einfachen Pächters und ganz unfähig war, sich mit mir zu messen, und der keinen andern Vorzug hatte, als den des reiferen Alters, schien mir nicht geeignet, mir vorgezogen zu werden. Eine Empfindung des Stolzes, gemischt mit Verachtung, überkam mich gegen Bettina, die ich liebte, ohne es zu wissen. An der Art, wie ich ihre Liebkosungen aufnahm, als sie mich in meinem Bette kämmen wollte, wurde sie dies gewahr: ich stieß ihre Hände zurück und erwiderte ihre Küsse nicht. Gereizt, weil ich ihr auf Befragen keinen Grund ihres Benehmens angab, sagte sie zu mir mit mitleidiger Miene, ich sei eifersüchtig auf Cordiani. Ich sagte zu ihr, ich hielte Cordiani ihrer würdig, wenn sie es seiner wäre. Sie entfernte sich lachend. Sie sann auf einen Plan, der sie allein rächen konnte, dazu sah sie sich genötigt, mich eifersüchtig zu machen. Da sie aber ihren Zweck nicht erreichen konnte, ohne mich verliebt zu machen, so ging sie dabei auf folgende Weise vor: eines Morgens kam sie an mein Bett mit einem Paar weißer Strümpfe, die sie mir gestrickt hatte. Nachdem sie mir die Haare gekämmt, sagte sie, sie müsse mir die Strümpfe selbst anprobieren, um zu sehen, ob sie Fehler gemacht, damit sie sich künftig danach richten könne. Der Doktor war zur Messe gegangen. Als sie dabei war, mir die Strümpfe anzuziehen, sagte sie, meine Beine seien schmutzig, und ohne mich um Erlaubnis zu fragen, schickte sie sich an, sie mir zu waschen. Ich würde mich geschämt haben, Verlegenheit zu zeigen; ich ließ sie also machen, ohne zu ahnen, was dabei herauskommen mußte. Bettina, die auf meinem Bette saß, trieb den Eifer für die Reinlichkeit zu weit, und ihre Neugierde verschaffte mir ein so lebhaftes Vergnügen, daß diese nicht eher aufhörte, als bis sie nicht weiter getrieben werden konnte. Als ich wieder ruhig geworden war, hielt ich mich für schuldig und für verpflichtet, sie um Verzeihung zu bitten. Sie hatte dies schwerlich erwartet, dachte einen Augenblick nach, und sagte dann mit dem Tone der Nachsicht, sie sei die Schuldige, aber so etwas soll ihr nicht wieder begegnen. Hieraus entfernte sie sich und überließ mich meinen Betrachtungen. Sie waren grausam. Es kam mir vor, als ob ich sie entehrt, das Vertrauen der Familie gemißbraucht, daß ich ein schreckliches Verbrechen begangen, welches ich nur durch eine Heirat wieder gutmachen könne. Eine Schwermut kam über mich, die immer größer wurde, da Bettina nicht mehr an mein Bett kam, und sie wäre allmählich zur vollkommensten Liebe geworden, wenn nicht ihr Benehmen Cordiani gegenüber das Gift der Eifersucht in meine Seele geträufelt hätte, obwohl ich weit entfernt war, zu glauben, sie habe mit diesem dasselbe Verbrechen begangen wie mit mir. Da ich mir sagte, sie habe doch aus freien Stücken gehandelt, und nur die Reue halte sie ab, wiederzukommen, so schmeichelte sich meine Eigenliebe: sie sei verliebt, und in meiner Einfalt beschloß ich, sie schriftlich zu ermuntern. Ich schrieb einen kurzen Brief, der sie aber hinreichend beruhigen konnte. Mein Brief schien mir ein Meisterwerk und durchaus geeignet, mir ihre höchste Liebe zu erringen und mir den Vorzug vor Cordiani zu verschaffen, dessen Persönlichkeit mir nicht so beschaffen schien, daß sie zwischen ihm und mir hätte schwanken können. Eine halbe Stunde, nachdem sie meinen Brief empfangen, antwortete sie mir mündlich, sie werde übermorgen wieder, wie vor unserer Szene, auf mein Zimmer kommen; aber ich erwartete sie vergeblich, worüber ich sehr aufgebracht war. Aber mein Erstaunen, als sie mich bei Tische fragte, ob ich wolle, daß sie mich zu dem Balle, den einer unserer Nachbarn fünf oder sechs Tage später gab, als Mädchen ankleiden solle! Da alle diesem Vorschlag Beifall gaben, so willigte ich ein. Mir schien dies eine gute Gelegenheit, uns zu erklären, uns gegenseitig zu rechtfertigen, und um geschützt gegen alle Überraschungen der Sinne wieder als gute Freunde zu leben. Ein Ereignis jedoch verhinderte die Ausführung und führte eine wahre Tragikomödie herbei. Ein alter und wohlhabender Pate des Doktor Gozzi, welcher auf dem Lande wohnte, schickte diesem, als er sich nach einer langen Krankheit seinem Ende nahe glaubte, einen Wagen und ließ ihn bitten, ohne Zaudern nebst seinem Vater zu ihm zu kommen, um bei seinem Tode zugegen zu sein und seine Seele Gott anzuempfehlen. Der alte Schuhmacher, der Vater Gozzis, welcher nur nach einigen Gläsern Wein Sprache und Vernunft fand, leerte eine Flasche, zog seinen Sonntagsanzug an und machte sich mit seinem Sohne auf den Weg. Da ich die Gelegenheit für günstig hielt und sie benutzen wollte, da überdies die Ballnacht für meine Ungeduld zu entfernt war, so sagte ich Bettina, ich würde meine nach dem Flur hinausgehende Tür offen lassen und sie, sobald alles im Hause sich zu Bett gelegt hätte, erwarten. Sie versprach mir zu kommen. Sie schlief zu ebener Erde in einem Kabinett, welches nur durch eine dünne Wand vom Schlafzimmer ihres Vaters getrennt war. Da der Doktor abwesend, schlief ich allein in dem großen Gemach. Die drei Pensionäre wohnten in einem abseits liegenden Raume, ich hatte also keine Störung zu fürchten. Ich war entzückt, daß der ersehnte Augenblick herannahte. Kaum war ich in mein Zimmer zurückgekehrt, als ich auch die Tür verriegelte und die nach dem Flur hinausgehende aufschloß, so daß Bettina sie bloß aufzumachen brauchte; dann löschte ich mein Licht, blieb jedoch angekleidet. In einem Roman scheinen solche Situationen übertrieben; sie sind es nicht, und was Ariost von Ruggiero sagt, der auf Alcina wartet, ist ein gutes naturgetreues Bild. Ich wartete bis Mitternacht, ohne mich zu beunruhigen; als aber die zweite, dritte, vierte Stunde vorüberging und sie noch nicht erschien, entflammte sich mein Blut und ich wurde wütend. Es fiel starker Schnee, aber ich litt noch mehr vor Wut als vor Kälte. Eine Stunde vor Tagesanbruch, als ich meine Ungeduld nicht mehr beherrschen konnte, beschloß ich, auf den Strümpfen, um den Hund nicht zu wecken, ins untere Stockwerk zu schleichen und mich unten an der Treppe, vier Schritte von Bettinas Tür, zu postieren, die hätte offen sein müssen, wenn sie hinausgegangen wäre. Als ich hinkam, fand ich sie verschlossen, und da sie nur von innen abgeschlossen werden konnte, dachte ich, Bettina sei eingeschlafen. Ich wollte klopfen, aber die Furcht, der Hund werde bellen, hielt mich ab, Lärm zu machen. Von dieser Tür bis zu der ihres Kabinetts waren es noch zehn bis zwölf Schritte. Gänzlich niedergeschlagen und unfähig, einen Entschluß zu fassen, setzte ich mich auf die unterste Stufe; aber gegen Tagesanbruch, erkältet, erstarrt vor Frost klappernd, und fürchtend, die Magd könnte mich finden und für toll halten, entschloß ich mich, wieder auf mein Zimmer zu gehen. Ich stehe auf, aber in demselben Augenblicke höre ich Lärm in Bettinas Zimmer. Überzeugt, daß sie kommen werde, und neugestärkt durch die Hoffnung, nähere ich mich der Tür: sie öffnet sich; aber statt Bettinas erscheint Cordiani, der mich mit einem furchtbaren Fußstoße vor den Bauch weit weg in den Schnee schleudert. Ohne zu verweilen begibt sich Cordiani in den Raum, wo er mit den beiden Feltrinis, seinen Kameraden, schlief. Ich stehe rasch auf, um mich an Bettina zu rächen, welche in diesem Augenblicke meiner Wut nicht entgangen wäre. Ich finde ihre Türe geschlossen und bearbeite sie mit kräftigen Fußtritten; der Hund fängt an zu bellen, und ich eile auf mein Zimmer, wo ich mich einschließe, um mich seelisch und körperlich zu erholen, denn ich war mehr als tot. Betrogen, gedemütigt, mißhandelt, ein Gegenstand der Verachtung für den glücklichen und triumphierenden Cordiani, beschäftigte ich mich drei Stunden lang mit den schwärzesten Racheplänen. In diesem schrecklichen und unglückseligen Augenblick schien es mir noch zu wenig, sie alle zu vergiften. Von diesem Plane ging ich zu dem ebenso unsinnigen wie niederträchtigen über, mich augenblicklich zu ihrem Bruder zu begeben und ihm alles zu erzählen. In dieser Verfassung war ich, als die rauhe Stimme von Bettinas Mutter mich rief, ich möchte doch herunterkommen, ihre Tochter liege im Sterben. Ärgerlich, ihr Tod möchte sie meiner Rache entziehen, begebe ich mich in ihr Zimmer, wo ich die ganze Familie um ihr Bett fand. Sie lag in schrecklichen Krämpfen. Ihr halbbekleideter Körper krümmte sich bald rechts, bald links, blindlings stieß sie mit Händen und Füßen um sich, daß niemand sie halten konnte. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Ich kannte weder die Natur noch die List des Weibes, und ich wunderte mich, daß ich kalter Zuschauer bleiben und in Gegenwart zweier Personen, von denen ich die eine töten, die andere entehren wollte, die Gewalt über mich behaupten konnte. Nach Verlauf einer Stunde schlief Bettina ein. Hebamme und Doktor, welche gerufen wurden, konnten sich über die Krankheit nicht einigen. Meinerseits lachte ich innerlich über beide, denn ich wußte oder glaubte zu wissen, daß die Krankheit des Mädchens mit ihren nächtlichen Beschäftigungen oder mit ihrer Angst wegen meiner Begegnung mit Cordiani zusammenhing. Aber ich beschloß, meine Rache bis zur Ankunft ihres Bruders zu vertagen. Da ich, um in mein Zimmer zu gelangen, durch Bettinas Kabinett hindurchgehen mußte und ihre Tasche auf dem Bette liegen sah, kam ich auf die Idee, sie zu durchsuchen. Ich fand ein Billett, und da ich die Handschrift Cordianis erkannte, nahm ich es mit, um es in Ruhe auf meinem Zimmer zu lesen. Ich war erstaunt über die Unbesonnenheit des Mädchens, denn ihre Mutter hätte das Billett finden können, und, des Lesens unkundig, ihrem Sohne, dem Doktor, zeigen können. Ich konnte mir nichts anderes denken, als daß sie den Kopf verloren habe; aber man male sich aus, was ich empfinden mußte, als ich folgende Worte las: ›Da Dein Vater verreist, so brauchst Du nicht, wie sonst, die Türe offen zu lassen. Wenn wir von Tische aufstehen, werde ich mich in Dein Kabinett begeben; dort wirst Du mich finden.‹ Nach einem Augenblicke der Erstarrung und des Nachdenkens überfiel mich die Lust zu lachen, und da ich sah, wie sehr ich angeführt worden war, so hielt ich mich für gänzlich geheilt von meiner Liebe. Ich wünschte mir Glück, daß ich eine so ausgezeichnete Lehre für mein künftiges Leben erhalten hatte. Ich fand nun sogar, daß Bettina recht gehabt, mir den Cordiani vorzuziehen, da dieser fünfzehn Jahre alt und ich nur ein Kind war. Trotz meiner Geneigtheit, zu vergessen, konnte ich Cordianis Fußtritt nicht vergessen und blieb ihm noch böse. Als wir zur Mittagszeit in der Küche bei Tische saßen, fing Bettinas Geschrei von neuem an. Alle eilten zu ihr, ich ausgenommen, der ruhig sein Mittagessen beendete und dann an seine Studien ging. Als ich abends zum Essen kam, sah ich Bettinas Bett neben dem ihrer Mutter stehn; aber ich blieb gleichgültig dagegen, wie gegen den Lärm in der Nacht. Trotzdem sich das Geschrei Bettinas und der Lärm um sie immer wieder erneuerte, blieb ich vollkommen gleichgültig dagegen, ich gab auch meinen Racheplan auf, als der Doktor zurückkehrte, denn die skandalöse Geschichte zu erzählen, konnte mir nur im Augenblick der höchsten Wut einkommen. Am folgenden Tage redete die Mutter dem Doktor ein, Bettina sei behext, und wußte allerlei anzugeben, so daß der Verdacht der Urheberschaft auf die Magd fiel. Sogleich unternahm es Doktor Gozzi selbst, seine Schwester zu exorzisieren; ich sah mir dies Mysterium an: alle schienen mir toll oder schwachköpfig, denn nicht ohne Lachen konnte ich an den Teufel in Bettinas Leib denken. Als hernach der Doktor wieder auf sein Zimmer gegangen war und ich mich mit Bettina allein sah, flüsterte ich ihr ins Ohr: »Fasse Mut, werde gesund und vertraue meiner Verschwiegenheit.«

Sie wandte, ohne mir zu antworten, den Kopf auf die andere Seite; aber den Rest des Tages blieb sie ohne Krämpfe. Ich hielt sie für geheilt, aber am folgenden Tage stieg ihr die Krankheit zum Gehirn und ihr Wahnsinn sprach einen solchen Wirrwarr, daß kein Mensch mehr an ihrer Besessenheit zweifelte. Sofort ließ ihre Mutter den berühmtesten Teufelsbanner von Padua kommen, einen häßlichen Kapuziner, dem das Mädchen einen solchen Spuk machte, derartige Beleidigungen an den Kopf warf, daß er sich nicht mehr anders zu helfen wußte, als dadurch, daß er mir die Schuld beimaß, weil ich ungläubig sei. Ich mußte mich entfernen, aber Bettina warf ihm nun gar ein Glas mit schwarzer Medizin an den Kopf, und mit großem Vergnügen vernahm ich, daß auch Cordiani sein Teil abbekam. Da gab's der Pater auf. Am Abend überraschte uns Bettina, als sie ruhig und gesittet bei Tisch erschien; sie wandte sich im Laufe des Gesprächs an mich, sie werde mich zu dem Balle morgen als Mädchen ankleiden. Ich dankte und riet ihr, sie möchte sich doch noch schonen. Sie begab sich darauf bald wieder zu Bett. Später fand ich in meiner Nachtmütze ein Billett: ›Du kommst als Mädchen verkleidet mit mir auf den Ball oder ich führe ein Schauspiel auf, über welches Du weinen wirst.‹ Als der Doktor eingeschlafen war, schrieb ich ihr als Antwort, ich wollte jede Gelegenheit mit ihr allein zu sein vermeiden, ich bäte sie, mein Herz zu schonen, das ihr wie einer Schwester gehöre. ›Ich habe Dir verziehn, teure Bettina, und will alles vergessen. Hier ist ein Billett, das Du gewiß gern wieder in Händen hättest. Sieh, was Du wagtest, als Du es auf dem Bette liegen ließest, und erkenne meine Freundschaft daran, daß ich es Dir zurückgebe.‹ Um sie also zu beruhigen, daß ich um ihr Geheimnis wußte, übergab ich am Morgen das Billett und meine Antwort. Das Mädchen hatte durch seinen Geist meine Achtung gewonnen; ich sah nur noch ein durch Temperament verführtes Mädchen in ihr. Sie liebte den Mann und war nur der Folgen wegen zu beklagen. So resignierte ich als vernünftiger Mensch und unglücklicher Liebhaber. Während des ganzen Tages spiegelte Bettina Heiterkeit vor, gegen Abend aber mußte sie wieder ihres Befindens wegen das Bett aufsuchen, worüber das ganze Haus in Aufregung geriet. Ich wußte alles, und so machte ich mich auf neue, noch traurigere Szenen gefaßt, denn ihre Eigenliebe konnte die Überlegenheit nicht dulden, die ich über sie erlangt hatte. Ach, ich bekenne trotz der guten Schule, die ich schon vor meiner Jünglingszeit durchgemacht, die mir als Schutz für die Zukunft hätte dienen können, bin ich mein ganzes Leben lang von Frauen betrogen worden. Ohne meinen Schutzgeist hätte ich vor zwölf Jahren in Wien noch ein leichtsinniges junges Mädchen geheiratet. Jetzt, wo ich zweiundsiebzig Jahre alt bin, glaube ich mich gegen solche Torheiten gewaffnet; aber leider betrübt mich das sehr. Am nächsten Tage tobte Bettina so, daß auch der Doktor meinte, sie müsse besessen sein, weshalb er beschloß, sie dem Pater Mancia anzuvertrauen. Als dieser an das Bett Bettinas geführt wurde, war ich ganz außer mir, nicht ohne Grund: sein Wuchs war groß und majestätisch, sein Alter etwa dreißig Jahre. Er hatte blonde Haare und blaue Augen. Seine Gesichtszüge glichen denen des Apollo von Belvedere, nur daß in ihnen weder Triumph noch Anmaßung zu finden war. Er war von blendender Weiße und bleich, aber diese Blässe schien nur dazu bestimmt zu sein, um seine korallenroten Lippen, die beim Öffnen zwei Reihen Perlen sehen ließen, desto schärfer hervortreten zu lassen. Die Traurigkeit seiner Züge verstärkte den sanften Ausdruck des Gesichts. Bettina stellte sich schlafend. Als er sie aber mit geweihtem Wasser benetzte, öffnete sie die Augen, sah sich den Exorzisten genauer an, legte sich dann auf den Rücken, ließ die Arme sinken, und, den Kopf graziös geneigt, überließ sie sich einem Schlafe, der den süßesten Anblick bot. Der Pater machte seine Zeremonien, und als nichts damit erreicht wurde, versprach er, andern Tags wiederzukommen. Entzückend erschien am nächsten Morgen Bettina. Sie begann mit den ausschweifendsten Reden, die ein Dichter nur ersinnen kann, und unterbrach diese auch nicht, als der schöne Exorzist kam; er ließ sie sich eine Viertelstunde lang gefallen, worauf er sich mit seinem ganzen Apparate wappnete und uns bat, uns zu entfernen. Wir gehorchten augenblicklich, und die Tür blieb offen; aber was tat dies, da niemand gewagt hätte, einzutreten. Während dreier langer Stunden herrschte das tiefste Schweigen. Gegen Mittag rief uns der Mönch und wir traten ein. Bettina lag traurig und ruhig da, während der Mönch sich zum Fortgang rüstete. Er entfernte sich mit der Versicherung, daß er gute Hoffnung habe, und bat den Doktor, ihm Nachricht zukommen zu lassen. Bettina speiste zu Mittag in ihrem Bette, kam abends an unseren Tisch und war am folgenden Tage vernünftig; aber folgender Umstand bestärkte mich in dem Glauben, daß sie weder toll noch besessen sei. Der Doktor bestimmte, daß wir unsere nächste Beichte bei Pater Mancia ablegen sollten. Cordiani und die Feltrinis waren bereit, ich aber wollte den Plan hintertreiben, denn ich glaubte an die Heiligkeit der Beichte und wollte nimmermehr dem Pater Mancia mein Erlebnis mit einem Mädchen anvertrauen, da er sofort Bettina erkannt hätte. Am folgenden Morgen gab mir Bettina ein Billett: ›Hasse mein Leben, aber schone meine Ehre. Keiner von euch darf morgen beim Pater Mancia beichten. Du allein kannst den Plan verhindern. Ich werde daran sehen, ob Du wirklich Freundschaft für mich fühlst.‹ Ich antwortete, daß ich wohl selbst entschlossen sei, ihrer Bitte zu genügen, aber über Cordiani vermöchte ich nichts, sie müßte sich selbst an ihren Liebhaber wenden. Sofort schrieb sie mir: ›Mit Cordiani habe ich seit jener unseligen Nacht, die mich unglücklich gemacht, nicht mehr gesprochen, und ich werde nicht mehr mit ihm sprechen. Dir allein will ich mein Leben und meine Ehre schuldig sein.‹ Sie trieb ein freches Spiel mit mir, das fühlte ich. Sie wußte sich des Erfolges sicher; aber in welcher Schule hatte sie wohl das menschliche Herz studiert? In Romanen? Es ist möglich. – Ich war entschlossen, ihrer Bitte nachzukommen. Beim Zubettgehen sagte ich meinem Lehrer, mein Gewissen nötige mich, nicht bei Pater Mancia zu beichten. Und da der gute Doktor meine Gründe ehrte, versprach er, uns alle nach einer andren Kirche zur Beichte zu führen. Als dies geschah, mußte ich einer Fußverletzung wegen das Bett hüten und war so mit Bettina allein zu Hause. Unter irgendeinem Vorwand kam sie auf mein Zimmer; da ich dies erwartet hatte und endlich den Augenblick einer Erklärung gekommen sah, empfing ich sie sehr erfreut. Sie setzte sich auf mein Bett, und nachdem ich ihr meine augenblicklichen Gefühle gegen sie auseinandergesetzt, daß meine Liebe in jener Nacht in Haß umgeschlagen, daß ich aber jetzt wegen des Geistes, den sie gezeigt, alle Achtung, ja Freundschaft für sie hege, bat ich sie, mir mit gleicher Aufrichtigkeit entgegenzukommen, alle Liebe beiseite zu lassen, meinetwegen nicht mit Cordiani zu brechen, den sie vielleicht mit denselben Mitteln eingefangen wie mich und der nun unglücklich sei. Sie antwortete: meine Ansichten beruhten auf einem falschen Schein, und erzählte mir nun eine lange Geschichte von Cordiani, der sie durch die Drohung, alles ihrem Bruder zu verraten, was sie mit mir getrieben, das er durch ein Loch in der Decke meines Zimmers, über welchem er schlief, hätte beobachten können. Sie habe ihn wohl in gebührenden Schranken halten können, aber doch sei sie gezwungen gewesen, ihm zuliebe nicht mehr an mein Bett zu kommen, ihn selbst aber öfters in ihrem Kabinett zu empfangen. So sei es auch in jener Nacht gewesen, als sie auf mein Zimmer hätte kommen wollen. Sie habe immer gehofft, Cordiani werde sie bald verlassen, und nach Mitternacht könne sie ihrem mir gegebenen Versprechen doch noch nachkommen. Aber Cordiani habe sie aufgehalten mit einem Plane, wonach er in der Karwoche mit ihr zu einem Onkel nach Ferrara fliehen wollte, wo sie sich so lange aufhalten könnten, bis sein Vater Vernunft annehme und ihr Lebensglück billige.

»Mein Herz blutete«, fuhr sie fort, »wenn ich an dich dachte; aber ich habe mir keinen Vorwurf zu machen, und es ist nichts vorgekommen, was mich deiner Achtung unwert machen könnte. Hätte ich mich zu Opfern, welche nur der Liebe gebracht werden dürfen, entschließen wollen, so wäre es leicht gewesen, den Verräter nach einer Stunde aus meinem Kabinett zu entfernen; aber eher als dieses schreckliche Mittel hätte ich den Tod gewählt. Konnte ich mir denken, daß du draußen dem Winde und Schnee ausgesetzt seist? Wir waren beide zu beklagen, aber ich mehr als du. Es war so im Himmel beschlossen, um mich um meinen Verstand zu bringen, dessen ich mich nur noch in Zwischenräumen erfreue, und ich bin keineswegs sicher, nicht wieder von Krämpfen befallen zu werden. Man behauptet, ich sei besessen und ein böser Geist sei in mich gefahren; ich weiß davon nichts, wenn es aber wahr ist, bin ich die elendste Person auf der Erde.«

Bettina schwieg und ließ ihren Tränen, ihrem Schluchzen und Seufzen freien Lauf. Ich war tief bewegt, obwohl ich fühlte, daß alles, was sie gesagt, zwar wahr sein könne, aber nicht glaubhaft sei: Forse era ver, mà non pero credibile a chi del senso suo fosse signore (Vielleicht war es wahr, aber dennoch nicht glaubhaft für jemand, der im Besitze seines Verstandes war). Nachdem ich ihre Tränen getrocknet, ließ sie ihre schönen Augen in den meinen ruhen, in denen sie die sichtlichen Spuren ihres Sieges zu entdecken glaubte; aber ich überraschte sie, indem ich auf einen Punkt kam, den sie aus List in ihrer Verteidigung unberührt gelassen hatte. Die Rhetorik gebraucht die Geheimnisse der Natur, gerade wie die Maler, die dieser nachzuahmen suchen. Das Schönste, was sie geben, ist falsch. Der verschmitzte Geist dieses Mädchens, der durch kein Studium gebildet war, gewährte ihr den Vorteil, für rein und kunstlos gehalten zu werden; sie wußte dies und verstand diese Kenntnis zu benutzen; aber mir hatte sie eine zu hohe Meinung von ihrer Geschicklichkeit beigebracht. Ich fragte sie, wie ich ihre graziöse Besessenheit, welche sich zur rechten Zeit einstellte, wohl für natürlich halten könnte. Da sah sie mich fest an, senkte dann die Augen und weinte. Das wurde mir lästig und ich fragte, was ich für sie tun könnte. – Wenn das mein Herz nicht sagte, so hätte sie nichts zu fordern. Später würde ich schon einmal bereuen, ihre Leiden, deren Ursache doch ich sei, für erdichtet gehalten zu haben. Mit diesen Worten erhob sie sich, um wegzugehn. Ich rief sie zurück, um ihr zu sagen, das einzige Mittel, meine Zärtlichkeit wiederzugewinnen, bestände darin, daß sie einen Monat keine Krämpfe bekomme und die Notwendigkeit, den schönen Pater Mancia zu rufen, vermeide.

»Das«, sagte sie, »hängt nicht von mir ab; aber warum nennst du den Jakobiner schön? Solltest du argwöhnen?«

»Durchaus nicht; ich argwöhne nichts, denn um etwas zu argwöhnen, müßte ich eifersüchtig sein; aber ich muß dir doch sagen, daß der Vorzug, den deine bösen Geister den Beschwörungen des schönen Mönchs vor denen des häßlichen Kapuziners gaben, zu Auslegungen Anlaß gibt, welche dir nicht zur Ehre gereichen. Halte es übrigens wie du willst.«

Hierauf entfernte sie sich, und nach einer Viertelstunde kehrten die andern heim. Nach dem Abendbrote sagte mir die Magd, ohne daß ich sie befragte, daß Bettina sich mit einem starken Fieberschauer zu Bette gelegt und ihr Bett in die Küche neben das ihrer Mutter habe stellen lassen. Dieses Fieber konnte natürlich sein, aber ich zweifelte daran. Ich war überzeugt, daß sie sich nie entschließen würde, gesund zu sein, denn sie wurde mir dadurch einen zu starken Grund gegeben haben, auch ihre angebliche Schuldlosigkeit gegen Cordiani für falsch zu halten. Daß sie ihr Bett in die Küche neben das ihrer Mutter hatte stellen lassen, hielt ich ebenfalls für eine List. Aber andren Tags nahm das Fieber zu, sie begann wirklich irre zu reden, und am vierten Tage bekam sie die Pocken. Cordiani und die beiden Feltrini, welche diese Krankheit noch nicht gehabt hatten, wurden unverzüglich entfernt; aber ich, der nichts davon zu fürchten hatte, durfte bleiben. Das arme Mädchen wurde so sehr von dieser Pest befallen, daß am sechsten Tage kein Teil des Körpers ihre Haut sehen ließ. Ihre Augen schlossen sich. Mund und Kehle füllten sich so sehr mit Geschwüren, daß nur noch einige Tropfen Honig in ihre Speiseröhre gebracht werden konnten. Das Atmen war sie einzige Bewegung, welche noch an ihr wahrgenommen werden konnte. Ihre Mutter entfernte sich nie von ihrem Bette, und man fand mein Benehmen bewundernswürdig, als ich mit meinem Tisch und meinen Heften mich bei ihrem Bett niederließ. Das arme Mädchen gewährte einen schrecklichen Anblick; ihr Kopf war um ein Dritteil dicker geworden, von der Nase war nichts mehr zu sehen, und es war zu fürchten, daß sie die Augen verlieren würde, selbst wenn sie mit dem Leben davonkommen sollte. Was mich am meisten belästigte, was ich aber dennoch zu ertragen entschlossen war, das war der Geruch ihrer Ausdünstung. Am neunten Tage gab ihr der Pfarrer die Absolution, salbte sie mit dem heiligen Öl und sagte, daß er ihr Geschick in die Hände Gottes lege. Ihr Zustand verschlimmerte sich von Tag zu Tag, und trotz aller Scheußlichkeit verließ ich sie nicht. Das Herz des Menschen ist ein Abgrund, denn wer würde es wohl glauben: Bettina bezeigte mir in diesem schrecklichen Zustand die ganze Zärtlichkeit, die ich ihr nach ihrer Heilung einflößte. Als am dreizehnten Tage das Fieber aufhörte, machte ihr ein unausstehliches Jucken viel zu schaffen; kein Heilmittel hätte dies in dem Grade stillen können, nur die mächtigen Worte, die ich ihr unaufhörlich zurief: »Bettina, bedenke, daß du bald gesund werden wirst; wenn du dich aber kratzest, wirst du so häßlich bleiben, daß dich niemand mehr lieben wird.«

Ich möchte alle Ärzte der Welt herausfordern, ein mächtigeres Mittel gegen das Jucken eines Mädchens aufzufinden, welches sich bewußt war, schön gewesen zu sein, und welches fürchten mußte, durch seine eigene Schuld häßlich zu werden, sobald es sich kratze. Endlich öffnete sie wieder ihre schönen Augen; aber sie mußte bis nach Ostern das Bett hüten. Ich bekam von ihr einige Pocken, von denen drei auf meinem Angesicht unauslöschliche Spuren zurückgelassen haben; aber diese gereichten mir bei ihr zur Ehre, denn sie waren ein Beweis meiner Teilnahme, und sie überzeugte sich, daß ich allein ihre Zärtlichkeit verdiene. Auch liebte sie mich in der Folge ohne alle Täuschung und ich liebte sie ebenso zärtlich, ohne daß ich daran gedacht hätte, die Blume zu pflücken, welche das Schicksal, unterstützt vom Vorurteil, der Ehe aufbewahrte. Aber welche jammervolle Ehe! Bettina heiratete später einen Schuhmacher namens Pigozzi, der sie so arm und unglücklich machte, daß ihr Bruder sie von ihm wegnehmen und für sie sorgen mußte. Als der gute Doktor fünfzehn Jahre später zum Erzpriester von Sankt Georg im Thale gewählt wurde, nahm er sie mit sich, und vor achtzehn Jahren besuchte ich sie; ich fand Bettina alt, krank und im Sterben. Sie hauchte unter meinen Augen ihren Geist aus im Jahre Siebzehnhundertsechsundsiebzig, vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft.

2

Lucia

Nachdem ich meine Studien auf der Universität in Padua beendet hatte, es war ein rechtes Sauf- und Raufleben, wie es die Studenten führen, kam ich nach Venedig zurück, wo ich auf Beitreiben meines Vormundes die vier ersten Weihen erhielt und so nun als junger Abbé in die beste Gesellschaft geführt wurde, besonders durch einen alten Senator, den Herrn von Malpiero. Dies war ein Greis, der keinen Zahn mehr im Munde hatte, weshalb er wegen seiner langsamen Eßweise stets allein aß, bis ich ihm riet, sich doch eine angenehme Tischgesellschaft dadurch zu verschaffen, daß er sich solche Personen auswähle, die für zwei äßen. Da er auch sonst Gefallen an meinen Gesprächen fand und ich ihm bewies, daß ich, wie er langsam, viel aß, zog er mich täglich zu seiner Tafel. Trotz seines Alters und seiner Gicht konnte er auf die Liebe nicht verzichten; er hatte es in seinem Leben auf zwanzig Mätressen gebracht. Damals liebte er die Tochter eines Komödianten, Therese Imer. Diese besuchte ihn täglich, aber stets in Begleitung ihrer Mutter, welche sich zwar um ihres Seelenheiles willen von der Bühne zurückgezogen hatte, aber doch noch die Interessen des Himmels mit den Werken dieser Welt vermitteln wollte. Täglich mußte ihre Tochter zur Messe und wöchentlich zur Beichte, nachmittags aber führte sie das Mädchen dem verliebten Greis zu, dessen Wut mich in Schrecken setzte, wenn sie ihm einen Kuß verweigerte, weil sie am Morgen ihre Andacht verrichtet habe und den Gott, den sie noch in sich habe, nicht beleidigen wollte. Ich, ein Fünfzehnjähriger, war der einzige Zeuge dieser erotischen Szenen. Da ich bei allen Damen, die zur Gesellschaft des Herrn Malpiero gehörten, meiner Neigung zur Eleganz wegen außerordentlich freundlich aufgenommen wurde, so daß ich sie begleiten durfte, wenn sie ihre Töchter in den klösterlichen Pensionen besuchte, fragte mich Herr von Malpiero einmal, welche Vorteile diese Bekanntschaften mir gebracht und ohne meine Antwort abzuwarten, sagte er, diese Damen seien alle die Tugend selbst und jeder würde von mir eine schlechte Meinung fassen, wenn ich etwas gegen ihren guten Ruf sagen würde. So brachte er mir die weise Lehre der Verschwiegenheit bei. Meine Eleganz brachte aber den Pfarrer auf, zu dessen Kirche ich gehörte, und er drohte mir die Exkommunikation an, wenn ich die Haare nicht anders tragen würde. Da ich aber darauf nicht hörte, schlich er sich eines Morgens mit Hilfe meiner Großmutter in mein Zimmer und schnitt mir alle Haare des Vorderkopfes ab, von einem Ohr bis zum andern. Aber er erreichte das Gegenteil dadurch: Herr von Malpiero schickte mir einen ausgezeichneten Friseur, welcher mein Haar so kunstvoll anordnete, daß ich noch zufriedener mit meinem Aussehen wurde. Ich wollte mich zwar rächen, das Gericht anrufen, vor allem aber mich einem anderen Pfarrer unterstellen, aber nach einiger Zeit bestimmte Herr von Malpiero mich zum Redner für den Panegyrikus auf das heilige Sakrament, was er als Präsident der Brüderschaft zu übertragen hatte. Ich war entzückt und machte mich gleich an die Arbeit, für die ich das Thema dem Horaz entnahm: Floravere suis non respondere favorem speratum meritis (Sie beklagten sich, daß die gehoffte Gunst nicht ihren Verdiensten entspräche). Als ich fertig, begab ich mich zum Pfarrer; da er abwesend und ich ihn erwarten wollte, so näherte ich mich seiner Nichte Angela und verliebte mich in sie. Am Stickrahmen saß sie, stickte, und als ich mich neben sie gesetzt, sagte sie, sie wünschte mich kennen zu lernen und werde sich freuen, wenn ich ihr erzählen wollte, wie mir ihr Onkel mein Toupet abgeschnitten. Diese Liebe wurde mir verhängnisvoll. Als der Pfarrer nach Hause kam, schien ihm meine Bekanntschaft mit seiner Nichte gar nicht unangenehm. Er nahm meine Predigt, las sie und meinte, es sei eine recht hübsche akademische Abhandlung, aber keine Predigt. Er wollte mir dann eine von seinen geben, die ich vortragen solle, aber ich lehnte es ab. Wir stritten nun einige Tage, bis ich mich, Herrn Malpiero zuliebe, unterwarf. Meine Predigt wurde mit Begeisterung aufgenommen, und alle weissagten mir, ich sei berufen, der erste Prediger des Jahrhunderts zu werden. Der Klingelbeutel brachte mir fünfzig Zechinen und mehrere Liebesbriefe, worüber die Frommen empört waren. Diese reiche Ernte ließ mich den Entschluß fassen, Prediger zu werden, was ich dem Pfarrer mitteilte. Da ich um seine Unterstützung bat, erhielt ich das Recht, ihn täglich zu besuchen; dies benutzte ich, um Angela zu sehen, in welche ich mich immer heftiger verliebte. Aber Angela war tugendhaft, sie wollte wohl, daß ich sie liebe, aber sie wollte auch, daß ich den geistlichen Stand aufgäbe und sie heirate. Trotz meiner Zuneigung zu ihr konnte ich mich dazu nicht entschließen, und dennoch besuchte ich sie fortwährend, weil ich ihr andre Ansichten beizubringen hoffte. Doch ein Geschick sollte mich in meinen höchsten Träumen tödlich treffen. Der Pfarrer fand Geschmack an meiner Predigt und beauftragte mich mit einer andern zum Sankt Josephstag. Als ich ihm diese vorlas, war er voller Enthusiasmus dafür. Jung und eingebildet, wie ich damals war, glaubte ich, ich hätte nicht nötig, das Manuskript auswendig zu lernen; wenn ich mir nur den Gedankengang merkte, so hoffte ich, der noch niemals in irgendeiner Gesellschaft um ein Wort verlegen war, mich leicht aus dem Stegreif weiterzubringen, wenn mich das Gedächtnis einmal verlassen sollte. Dieser Leichtsinn schlug mir zum Übel aus. Man holte mich von einem Essen in die Kirche; mit vollem Magen, erhitztem Kopfe bestieg ich die Kanzel. Zu Anfang ging alles gut, dann aber versagten mir die Gedanken vollkommen, ich stotterte dies und jenes, und die Unruhe der Gemeinde, aus der einige Male ein Gelächter an mein Ohr klang, verwirrte mich vollends. Kam nun wirklich eine Ohnmacht über mich oder rettete ich mich absichtlich hinein; ich weiß es nicht mehr, ich ließ mich umsinken und wurde so von den Kirchendienern in die Sakristei gebracht. Ohne etwas zu sagen, nahm ich Mantel und Hut, eilte nach Hause, packte mein Köfferchen und reiste nach Padua, um dort mein drittes Examen abzulegen. Nach Ostern kehrte ich als Doktor nach Venedig zurück. Es dachte niemand mehr an mein Mißgeschick, und vom Predigerberuf war keine Rede mehr. Den ganzen Sommer schwärmte ich Angela an, deren außerordentliche Zurückhaltung mich aufregte, so daß meine Liebe schon zur Qual wurde. Mein glühendes Naturell verlangte nach einer Geliebten von Bettinas Art, sie sollte meine Liebe befriedigen, aber nicht löschen. Ich war selbst noch rein, in gewissem Sinne, daher schenkte ich dem Mädchen die größte Verehrung. Höchst abweisend behandelte sie mich, so daß mich die Leidenschaft fast verzehrte. Dagegen wirkten meine glühenden Reden auf zwei Schwestern, ihre Freundinnen, welche mit ihr dieselbe Sticklehrerin besuchten, und hätten meine Blicke nicht ausschließlich an der Grausamen gehangen, ich hätte ohne Zweifel gemerkt, daß die beiden schöner und gefühlvoller waren. Aber ich war geblendet. Auf alle meine Bitten antwortete Angela höchstens, sie wolle meine Frau werden, und wenn sie einmal gestand, sie leide genau so sehr wie ich, so schien es ihr die höchste Gnade. In diesem Gemütszustand nahm ich eine Einladung der Gräfin Monte Reale nach Paseano an, wo ich bei ihr die glänzendste Gesellschaft treffen sollte, zu deren Vergnügen ich auch einen guten Teil beisteuerte. Dort vergaß ich für einige Zeit meine hartherzige Angela. In dem Schlosse war mir im Erdgeschoß ein hübsches Zimmer angewiesen worden, welches nach dem Garten hinausging. Als ich am Morgen nach meiner Ankunft aufwachte, wurden meine Augen entzückt durch den Anblick des reizenden Wesens, welches mir den Kaffee brachte. Es war ein ganz junges Mädchen, aber entwickelt wie eine Siebzehnjährige; sie war erst vierzehn Jahre alt. Ihre Haut wie Alabaster, ihre Haare wie Ebenholz, ihre schwarzen, feurigen und unschuldigen Augen, die hübsche Art, ihr Haar zu tragen, die Kleidung, die nur in einem Hemde und einem kurzen Unterrocke bestand und schöngeformte Beine und die niedlichsten Füße sehen ließ: alles dies ließ sie in meinen Augen als eine einzigartige und vollkommene Schönheit erscheinen. Ich betrachtete sie mit dem größten Interesse und ihr Auge ruhte auf mir, als ob wir alte Bekannte wären.

»Sind Sie mit Ihrem Bette zufrieden?«, fragte sie mich.

»Sehr zufrieden; ich bin sicher, Sie haben es gemacht. Wer sind Sie?«

»Ich bin Lucia, Tochter des Hausmeisters. Ich freue mich, daß sie keinen Bedienten haben; ich werde Sie bedienen und bin überzeugt, Sie werden mit mir zufrieden sein.«

Entzückt über diesen Anfang richte ich mich im Bette auf und sie hilft mir beim Anziehen des Schlafrockes, wobei sie allerlei Sachen spricht, die ich nicht verstehe. Ich fange nun an, meinen Kaffee zu trinken, ebenso verlegen, wie sie sicher ist, und geblendet von einer Schönheit, gegen die man unmöglich gleichgültig bleiben konnte. Sie hatte sich am Fuße des Bettes gesetzt und rechtfertigte die Freiheit, welche sie sich nahm, nur durch ein Lächeln, das alles sagte. Ich trank noch meinen Kaffee, als Lucias Vater und Mutter eintraten. Sie verließ ihren Platz nicht und ihre Blicke schienen einen gewissen Stolz zu verkünden. Diese guten Leute machten ihr sanfte Vorwürfe, baten mich ihretwegen um Verzeihung, worauf sich Lucia entfernte, um ihren Geschäften nachzugehen. Als sie weggegangen, sagten ihr Vater und ihre Mutter mir tausend Artigkeiten und lobten ihre Tochter.

»Sie ist«, sagten sie, »unser einziges Kind, ein liebes Mädchen, die Hoffnung unseres Alters. Sie liebt uns, gehorcht uns und fürchtet Gott: sie ist gesund wie ein Fisch und hat unsers Wissens nur einen einzigen Fehler.«

»Worin besteht dieser?«

»Sie ist zu jung.«

»Ein reizender Fehler, der sich mit der Zeit bessern wird.«

Ich konnte mich bald überzeugen, daß die Redlichkeit, die Wahrheit, die häuslichen Tugenden und das wahre Glück bei diesen Leuten zu Hause waren. Während mich diese Vorstellung auf eine angenehme Weise beschäftigte, kam Lucia wieder, lustig wie ein Vogel, gewaschen, angezogen, frisiert nach ihrer Weise und mit guten Schuhen, und nachdem sie mir eine Verbeugung gemacht, wie sie auf dem Lande üblich, küßte sie ihren Vater und ihre Mutter und setze sich dann auf die Knie des braven Mannes. Ich sagte zu ihr, sie möchte sich auf mein Bett setzen; aber sie erwiderte, diese Ehre stehe ihr nicht zu, wenn sie angekleidet sei. Die Einfachheit und Unschuld, welche sich in der Antwort aussprachen, entzückten mich und ließen mich lächeln. Ich untersuchte, ob sie in ihrer kleinen Toilette niedlicher aussehe als in ihrem Negligé, und ich entschied mich für das letzte. Mit einem Wort, ich gab Lucia den Vorzug nicht nur vor Angela, sondern auch vor Bettina. Als der Friseur kam, verließ mich die ehrbare und einfache Familie, und nachdem ich meine Toilette beendet, begab ich mich zur Gräfin und ihrer liebenswürdigen Tochter. Der Tag wurde sehr heiter verlebt, wie gewöhnlich auf dem Lande, wenn man sich in gewählter Gesellschaft befindet. Am folgenden Morgen, als ich aufgewacht, klingle ich, und siehe da, Lucia erscheint einfach und natürlich wie am vorigen Tage, und setzt mich durch ihre Reden und durch ihr Benehmen wieder in Erstaunen. Der Reiz der Unbefangenheit und Unschuld schmückte ihr ganzes Wesen. Ich konnte nicht begreifen, wie sie als tugendhaftes, ehrbares und keineswegs dummes Mädchen so vertraulich und ohne die Furcht, mich zu entzünden, zu mir kommen konnte. Sie muß, sagte ich mir, auf kleine Schäkereien keinen Wert legen und deshalb nicht ängstlich sein; ich beschloß deshalb, ihr den Beweis zu geben, daß ich ihr Gerechtigkeit widerfahren lasse. Gegen ihre Eltern, welche ich für ebenso sorglos hielt, glaubte ich mir keine Vorwürfe machen zu müssen; ich fürchtete ebensowenig, daß ich zuerst einen Angriff auf die schöne Unschuld machen und das dunkle Licht des Bösen in ihrer Seele entzünden würde: da ich mich also weder von meinem Gefühle täuschen lassen, noch ihm zuwiderhandeln wollte, so beschloß ich mich aufzuklären. Ich strecke verwegen die Hand nach ihr aus, und unwillkürlich bebt sie zurück und wird rot; ihre Heiterkeit verschwindet, und den Kopf umdrehend, als ob sie etwas suche, wartet sie, bis ihre Verwirrung vorüber ist. Alles dies war das Werk einer Minute. Sie näherte sich mir von neuem; sie schien sich zu schämen, daß sie ungefällig gegen mich gewesen war, und zu fürchten, daß sie eine Handlung, die unschuldig oder feine Sitte sein konnte, schlecht gedeutet. Ihr natürliches Lachen kehrte bald zurück, und da ich in einem Augenblick alles was ich eben geschildert, in ihrer Seele gelesen, so beeilte ich mich, sie zu beruhigen; und da ich einsah, daß ich mit der Tat zu weit gegangen war, beschloß ich, am folgenden Morgen nur mit ihr zu plaudern. Am folgenden Morgen griff ich, meinem Plane gemäß, eine Äußerung von ihr auf und sagte zu ihr, es sei kalt und sie werde die Kälte nicht fühlen, wenn sie neben mir liege.

»Aber werde ich Sie nicht inkommodieren?«

»Nein; aber deine Mutter könnte böse werden, wenn sie dazu käme.«

»Sie wird nichts Böses denken.«

»Komm also. Aber weißt du auch, welcher Gefahr du dich aussetzest.«

»Gewiß; aber Sie sind artig und was mehr sagen will, Abbé.«

»Komm also; aber vorher schließe die Tür.«

»Nein, nein, denn man könnte wer weiß was denken.«

Endlich legte sie sich an meine Seite, schwatzte fortwährend, ohne daß ich verstand, was sie sagte; denn da das sonderbare Mädchen meine Wünsche nicht erhören wollte, so hatte ich das Ansehen des unbehilflichsten Menschen. Die Sorglosigkeit dieses Mädchens, welche sicherlich nicht erkünstelt war, imponierte mir so sehr, daß ich mich geschämt haben würde, ihr Vertrauen zu täuschen. Sie sagte endlich, es hätte zehn Uhr geschlagen, und wenn der alte Graf Antonio käme und uns in der Lage fände, würde er Späße machen, die ihr unangenehm wären.

»Wenn ich diesen Mann nur sehe«, sagte sie, »so laufe ich davon.«

Hierauf verließ sie ihren Platz und entfernte sich. Ich blieb lange unbeweglich auf derselben Stelle liegen in stumpfsinniger Betäubung und dem Sturme meiner aufgeregten Sinne und meiner Gedanken preisgegeben. Da ich am folgenden Tage meine Ruhe behalten wollte, so ließ ich sie auf meinem Bette sitzen, und die Reden, zu welchen ich sie veranlaßte, überzeugten mich endlich, daß sie mit Recht der Abgott ihrer Eltern sei und daß die Freiheit ihres Geistes und ihr unbefangenes Benehmen nur aus ihrer Unschuld und Seelenreinheit entspringe. Ihre Naivität, ihre Lebendigkeit, ihre Neugierde und die Schamröte, welche ihr schönes Gesicht überzog, wenn die komischen Sachen, die sie sagte und bei denen sie sich nichts Böses dachte, mich zum Lachen brachten: alles dies zeigte mir, daß sie ein Engel, der unfehlbar die Beute des ersten besten Lüstlings, der sie verführen wolle, werden würde. Ich fühlte mich stark genug, um mir keine Vorwürfe gegen sie machen zu dürfen. Schon der bloße Gedanke daran ließ mich schaudern, und meine Eigenliebe verbürgte Lucias Ehre ihren guten Eltern, deren gute Meinung von meiner Sittlichkeit sie mir anvertraute. Es kam mir vor, als ob ich mich in meinen eigenen Augen verächtlich machen müßte, wenn ich das in mich gesetzte Vertrauen täuschen wollte. Ich beschloß also, mich zu beherrschen, und da ich sicher war, immer den Sieg zu behaupten, begann ich den Kampf gegen mich selbst und betrachtete ihre bloße Gegenwart als den Lohn meiner Anstrengungen. Ich kannte noch nicht den Satz, daß, solange der Kampf dauere, der Sieg ungewiß sei. Der Instinkt gab mir ein, zu sagen, sie würde mir einen Gefallen tun, wenn sie am folgenden Tage früher kommen und mich sogar wecken wollte, wenn ich noch schlafen sollte, und um meiner Bitte mehr Nachdruck zu geben, fügte ich hinzu: je weniger ich schlafe, desto besser ich mich befände; ich fand hierin das Mittel, unsre Unterhaltungen statt zwei Stunden drei dauern zu lassen, obwohl dieser Kunstgriff nicht hindern konnte, daß die Zeit wie ein Blitz entfloh. Ihre Mutter kam zuweilen dazu, während wir schwatzten, und wenn diese gute Frau sie auf meinem Bette sitzen sah, so glaubte sie ihr nichts mehr sagen zu dürfen, sondern begnügte sich, meine Güte zu bewundern. Lucia gab ihr hundert Küsse, und die gute Frau bat mich, sie in allem Guten zu unterweisen und an der Bildung ihres Geistes zu arbeiten; wenn sie sich entfernt hatte, betrachtete Lucia sich nicht als freier und behielt ohne alle Veränderung den alten Ton bei. Die Gesellschaft dieses Engels verursachte mir die grausamsten Qualen, während sie mir zugleich das größte Entzücken bereitete. Oft, wenn ihre Wangen nur zwei Finger breit von meinem Munde entfernt waren, bemächtigte sich meiner der Wunsch, sie mit Küssen zu bedecken, und mein Blut entflammte sich, wenn ich sie sagen hörte, sie hätte meine Schwester sein mögen. Aber ich besaß Zurückhaltung genug, um die geringste Berührung zu vermeiden, denn ich fühlte, daß ein einziger Kuß der Funke gewesen sein würde, der das ganze Gebäude in die Luft gesprengt hätte. Wenn sie weggegangen staunte ich, daß ich den Sieg hatte davontragen können, aber nach neuen Lorbeeren verlangend, sah ich seufzend dem folgenden Tage entgegen, um diesen süßen und gefährlichen Kampf zu erneuern. Die kleinen Wünsche sind es besonders, welche einen jungen Mann kühn machen; die großen zehren seine Kraft auf und halten ihn in Schranken. Da ich mich nach zehn oder zwölf Tagen in die Notwendigkeit versetzt sah, entweder mit der Sache ein Ende zu machen oder Verbrecher zu werden, so entschloß ich mich um so eher für das erste, als ich des Erfolgs im andern Falle keineswegs sicher war; denn Lucia wäre, wenn ich sie genötigt hätte, sich zu verteidigen, eine Heldin geworden, und da die Zimmertür offen war, so hätte ich Schande und nutzlose Reue zu fürchten gehabt, und diese Idee erschreckte mich. Aber ich konnte nicht länger einer Schönheit widerstehen, welche mit Tagesanbruch und kaum bekleidet fröhlichen Mutes an mein Bett kam, mich fragte, ob ich gut geschlafen, sich vertraulich meinem Gesichte näherte und gewissermaßen ihre Worte auf meine Lippen legte. In einem so gefährlichen Augenblicke wendete ich den Kopf ab, und sie warf mir mit ihrem unschuldigen Tone vor, daß ich Furcht habe, während sie sich durchaus sicher fühle, und wenn ich ihr lächerlicherweise antwortete, sie habe unrecht, zu glauben, daß ich ein Kind fürchten könne, so entgegnete sie, der Unterschied von zwei Jahren habe nichts zu bedeuten. Da ich dies nicht mehr aushalten konnte, und da das Feuer, welches mich verzehrte, sich immer heftiger entflammte, so beschloß ich, sie zu bitten, mich nicht mehr zu besuchen, und dieser Entschluß schien mir großartig und von unfehlbarer Wirkung; da ich aber die Ausführung auf den folgenden Tag verschob, so verbrachte ich eine schwer zu beschreibende Nacht; bestürmt vom Bilde Lucias wie von der Idee, daß ich sie am nächsten Tage zum letzten Male sehen würde. Ich bildete mir ein, daß Lucia nicht nur auf meinen Plan eingehen, sondern auch für ihre ganze übrige Lebenszeit die höchste Achtung gegen mich fassen würde. Kaum war am nächsten Tage der Morgen angebrochen, als Lucia mit strahlendem Gesicht, mit dem Lächeln des Glücks auf ihrem schönen Munde und mit ihrem schönen in der reizendsten Unordnung niederwallenden Haar auf mein Bett zueilt; aber plötzlich bleibt sie stehen, ihre Züge nehmen den Ausdruck der Traurigkeit und Besorgnis an, und da sie mich bleich, eingefallen und betrübt sieht, so fragt sie teilnahmsvoll: »Was fehlt Ihnen?«

»Ich habe die Nacht nicht schlafen können.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich gesonnen bin, Ihnen einen Plan mitzuteilen, der für mich sehr betrübend ist, von dem ich aber hoffe, daß er mir Ihre Achtung verschaffen wird.«

»Wenn er Ihnen meine Achtung verschaffen soll, so muß er Sie vielmehr heiter stimmen. Aber sagen Sie mir, Herr Abbé, warum Sie mich heute wie eine Dame behandeln, während Sie mich noch gestern geduzt haben. Was habe ich Ihnen getan? Ich werde Ihnen Ihren Kaffee holen; und wenn Sie ihn getrunken, sollen Sie mir alles sagen.«