Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Autobiographie des großen bayrischen Humoristen und Satirikers. Ludwig Thoma wurde durch seine ebenso realistischen wie satirischen Schilderungen des bayerischen Alltags und der politischen Geschehnisse seiner Zeit populär.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 270
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Erinnerungen
Ludwig Thoma
Inhalt:
Ludwig Thoma – Biografie und Bibliografie
Erinnerungen
Kinderzeit
Schuljahre
Im Berufe
Erinnerungen, Ludwig Thoma
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849637514
www.jazzybee-verlag.de
Geb. am 21. Januar 1867 in Oberammergau als fünftes Kind des Försters Max Thoma und dessen Ehefrau Katharina, gest. 26. August 1921 in Tegernsee. Mit 7 Jahren Umzug nach München-Forstenried und Tod des Vaters. Schon als Schüler war Thoma immer wehrhaft gegen die damalige Doppelmoral und besuchte bis zum Abitur 1886 insgesamt 5 Gymnasien. Es folgte ein Jura-Studium und eine Anstellung als Rechtspraktikant von 1890 bis 1893. Nach dem Tod der Mutter 1894 beginnt er in Dachau als Rechtsanwalt zu arbeiten und entdeckt alsbald seine literarische Ader. 1899 widmet sich Thoma mehr und mehr der Zeitschrift "Simplicissimus" und wird im folgenden Jahr dessen Chefredakteur. Es folgte seine produktivste Zeit, die 1906 in der Herausgeberschaft der Zeitschrift "März", zusammen mit Hermann Hesse, gipfelte. Im Ersten Weltkrieg dient Thoma als Sanitäter, erkrankt aber selbst an der Ruhr. Er stirbt 1921 an Magenkrebs in seinem Haus in Tegernsee.
Wichtige Werke:
1897: Agricola1899: Die Witwen1901: Die Medaille1901: Assessor Karlchen1902: Die Lokalbahn1904: Der heilige Hies, illustriert von Ignatius Taschner1905: Lausbubengeschichten1906: Andreas Vöst1907: Tante Frieda1907: Kleinstadtgeschichten1909: Moral1909: Briefwechsel eines bayrischen Landtagsabgeordneten1910: Erster Klasse1911: Der Wittiber1911: Lottchens Geburtstag1911: Ein Münchner im Himmel1912: Magdalena1912: Jozef Filsers Briefwexel1913: Die Sippe1913: Das Säuglingsheim1913: Nachbarsleute1916: Die kleinen Verwandten1916: Brautschau1916: Dichters Ehrentag1916: Das Kälbchen1916: Der umgewendete Dichter1916: Onkel Peppi1916: Heimkehr1916: Das Aquarium und anderes1917: Heilige Nacht1918: Altaich1919: Münchnerinnen1919: Erinnerungen1921: Der Jagerloisl1921: Der Ruepp1921: Kaspar Lorinser (Fragment)Die Vorfahren meines Urgroßvaters waren Klosterjäger bei den Zisterziensern in Waldsassen; einer von ihnen wird um 1618 im Pfarrbuche als Venator regius aufgeführt und war demnach ein Jagdknecht des böhmischen Winterkönigs Friedrich, der als Kurfürst von der Pfalz das schon im Jahre 1560 säkularisierte Kloster Waldsassen mit seinem riesigen Waldbesitze von seinen Vorgängern übernommen hatte. Erst nach einem vollen Jahrhundert, um 1669, wurden die Zisterzienser wieder in ihre Rechte eingesetzt, und die Klosterjäger Thoma fanden wohl genug Ursache zu Verdruß und Streit mit den rauhhaarigen Hintersassen, die sich nur langsam an Gesetz und Recht gewöhnten. Schon 1525 hatte der Pfälzer Kurfürst mit grobem Eingriff in die Machtsphäre der Abtei den Bauern die Jagd freigegeben, die sie wie überall und immer mißbräuchlich ausnützten.
„Die Äcker lagen brach, auf den Wiesen flog der Wald an, und die Bauern taten nichts mehr als jagen“, erzählt der Chronist.
Allmählich mag’s wieder besser geworden sein, denn als am 4. September 1786 Herr Wolfgang von Goethe auf seiner Fahrt nach Italien von Karlsbad her durchreiste, fand er in dem Stifte Waldsassen ein „köstliches Besitztum der geistlichen Herren, die früher als andere Menschen klug waren“. Vielleicht stand unter irgendeinem Torbogen der noch nicht zwanzigjährige Sohn des Joseph Adam Thoma und sah die Eilkutsche vorüberrollen, in der der Olympier saß und sich freute, daß ihm die heimliche Abreise so wohl gelungen war.
Die Begegnung ließe sich einbilden, denn mein Urgroßvater hielt sich dazumal in Waldsassen auf.
Über ihn, den Geheimen Oberforstrat Joseph Ritter von Thoma, besitze ich genauere Nachrichten aus Familienpapieren und aus dem Buche von Dr. Heß: „Lebensbilder hervorragender Forstmänner.“
Er wurde in Waldsassen im Januar 1767 geboren – genau hundert Jahre vor mir –, trat 1791 in kurbayrische Dienste, kam 1799 nach München als Rat der Landesdirektion Bayerns und trat 1817 an die Spitze der bayrischen Forstverwaltung.
In dieser Stellung verblieb er bis 1849.
Er heiratete Sabina Freyin von Heppenstein und führte mit ihr eine glückliche, mit Kindern gesegnete Ehe.
„Er starb“, heißt es bei Heß, „an demselben Tage, an welchem der König das Dekret über die von ihm erbetene Versetzung in den Ruhestand unter Anerkennung seiner großen Verdienste durch Verleihung des Komturkreuzes des Verdienstordens der bayrischen Krone unterzeichnete.
Am 7. Mai 1841 hatte er unter großer und freudiger Teilnahme der Forstbeamten im ganzen Königreiche sein 50jähriges Jubiläum begangen.“
Als sein hervorragendes Werk wird ihm die Forstorganisation von 1822 nachgerühmt, durch welche erst die Einheit der bayrischen Forstverwaltung geschaffen wurde, und die in ihren Grundzügen bis 1885 erhalten blieb. Auch als Jäger genoß er ein hohes Ansehen, und als um 1841 die Verhältnisse in der Leibgehegsjagd zu starken Klagen Veranlassung gaben, wandten sich die Revierförster und Jagdgehilfen vertrauensvoll an meinen Urgroßvater, der Abhilfe schuf.
Der König verlangte von ihm ein Gutachten über einen passenden Vorstand der Hofjagd-Intendanz. Es handelte sich um zwei Bewerber, Forstmeister Kaltenborn von Freising und Forstmeister Reverdys von Berchtesgaden, die beide ihre Laufbahn als königliche Leibjäger begonnen hatten, dann Revierförster und Forstmeister geworden waren.
Nach der in unserer Familie erhaltenen Überlieferung war mein Urgroßvater ein stattlicher Mann von würdevollem Wesen, gütig, wortkarg, doch geselligen Freuden nicht abgeneigt, ein eifriger Jäger bis ins hohe Alter und ein geschätzter Musiker.
Ich besitze eine nach der Natur gezeichnete Lithographie von ihm, die von der hohen Porträtkunst jener Zeit ein sprechendes Zeugnis ablegt.
Das kräftig geschnittene Gesicht, an dem die hohe Stirn und ein Paar kluge, versonnene Augen auffallen, zeigt keinen bürokratischen Zug und ließe in ihm, wenn die Unterschrift fehlte, einen Künstler vermuten.
Sein ältester Sohn, mein Großvater Franz Thoma, war viele Jahre Forstmeister in Schongau und hatte ausgedehnte Jagdreviere, die vor dem Jahre 1848 sehr wildreich waren; ein alter Jagdgehilfe von ihm, der in Oberammergau im Ruhestand lebte, erzählte mir davon Wunderdinge, und wenn auch einiges Latein gewesen sein mag, so blieb noch genug Wahrheit übrig, um mir zu zeigen, daß damals das goldene Zeitalter der Jäger war. Bei den Treibjagden mußten die Bauern noch Dienste leisten, und die Beute war so groß, daß man etliche Leiterwagen zum Heimschaffen brauchte. Das berühmte Freiheitsjahr brachte das große Schinden und die Vernichtung des Wildstandes auf lange Zeit hinaus; es war kaum mehr Übertreibung, wenn die „Fliegenden Blätter“ einen Förster zeigten, der im Tiergarten den letzten Rehbock im Käfig betrachtete.
Die Verwüstung seiner Jagd griff meinem Großvater ans Herz, und er mochte nicht mehr in den ausgeschossenen Revieren bleiben.
Er gab um Versetzung ein und kam nach Kaufbeuren, wo der spätere Ministerialrat August von Ganghofer, der Vater Ludwig Ganghofers, sein Aktuar wurde.
Meine Mutter wußte mir viel Freundliches von ihrem Schwiegervater, der sie sehr geschätzt haben muß, zu erzählen. Er war ein temperamentvoller Herr, und meine Neigung zum Jähzorn soll ich von ihm geerbt haben, aber für gewöhnlich zeigte er eine gewinnende Fröhlichkeit, und ein Schreiben der Bürger Schongaus, die ihrem Forstmeister zum 25jährigen Jubiläum gratulierten, rühmt ihm besonders Herzensgüte gegen Arme nach.
Meine Mutter hieß ihn einen Kavalier von der alten Schule, ohne mir den Unterschied zu der neueren zu erklären, und meine Tante Friederike, die als „königliche Forstmeisterstochter älterer Ordnung“ erst vor einigen Jahren im Damenstifte Neuberghausen starb, rühmte ihrem Vater peinliche Akkuratesse in der äußeren Erscheinung nach.
Im Jahre 1862 starb er. Seine Witwe, Henriette Thoma, lebte bis 1871 in Lenggries, treu und liebevoll behütet von ihrem ältesten Sohne Max, der in der nahen Vorder-Riß als Oberförster hauste.
Er war mein Vater.
Aus seinen Zeugnissen und Briefen entnehme ich, daß er im November 1842 die Universität München bezog. Dort hat sich der „lange Thoma“ einen guten Namen als Schläger gemacht und Proben einer ungewöhnlichen Körperkraft abgelegt, sonst aber sich so geführt, daß ihm Anno 1845 der Rektor Dr. Döllinger urkundlich bestätigen konnte, „es liege hierorts nichts Nachteiliges gegen ihn vor“.
Er bestand die theoretische Prüfung der Forstkandidaten und wurde zur praktischen Vorbereitung auf den höheren Forstdienst zugelassen. Drei Wochen später wurde ihm von seinem Forstmeister und Vater Franz Thoma eröffnet, daß ihm die „Praxisnahme auf dem Forstrevier Hohenschwangau“ gestattet sei, und daß er für diese Eröffnung einen Taxbetrag von 34 Kreuzern zu erlegen habe.
Im Januar 1846 wurde er zum Verweser des Gehilfsposten beim Reviere Wies mit einer „Remuneration von täglich 15 Kreuzern“ gnädigst bestimmt und avancierte dann zum wirklichen Forstgehilfen in Thierhaupten, später in Peißenberg.
Als Aktuarsverweser in Ettal bezog er bereits im Jahre 1847 eine Taggebühr von 45 Kreuzern und bewies alle Zeit die Wahrheit des Sprichwortes: Mit wenigem lebt man wohl.
Er galt als guter Jäger und Kugelschütze. Dagegen scheint er beim Trinken Zurückhaltung beobachtet zu haben. Ein Freund macht ihm brieflich diesen Vorwurf, woraus ich schließe, daß man damals den Fehler als ungewöhnlich rügen durfte.
In Tölz, wo der Forstgehilfe Max Thoma zu Forsteinrichtungsarbeiten im Jahre 1852 weilte, zeigte man mir in einer Weinstube noch zu Anfang der achtziger Jahre eine Kneipzeitung, die er mit Text und Karikaturen ausgestattet hatte.
Er lachte gerne und ließ sich keine Mühe verdrießen, um einen Spaß von langer Hand her vorzubereiten und sorgfältig durchzuführen.
Man war damals harmlos und fröhlich in Altbayern, gemessener im Ernste, derber im Scherze als heute. Bei Scheibenschießen und Jagden war lustige Neckerei nicht bloß gern gesehen, sie galt als notwendige Würze der Geselligkeit.
Der Liebreiz jener Zeit ist uns erhalten geblieben in den klassischen Zeichnungen Max Haiders, der Hofjagdgehilfe war, bevor ihm König Max die Mittel zur künstlerischen Ausbildung gewährte.
Das Sturmjahr 1848 ist, wie es mir scheinen will, an meinem Vater vorübergegangen, ohne ihn in seinen Tiefen aufzuwühlen.
Er war stark angefärbt von dem Humor, der damals die Gestalten des Barnabas Wühlhuber und des Kasimir Heulmaier in den „Fliegenden Blättern“ schuf, und seiner ruhigen, festen Art sagten die Aufläufe der Philister vor dem Hause der Lola Montez so wenig zu wie die mit Tiraden gespickten Flugblätter.
Im übrigen konnte dem jungen Forstmanne das, was er zunächst vor Augen hatte, nicht als neuer Segen erscheinen.
Anno 1857 wurde er zum Revierförster in Piesenhausen, Forstamt Marquartstein, ernannt und heiratete Katharina Pfeiffer, eine Tochter der Schwabenwirtseheleute von Oberammergau.
Die Familie Pfeiffer, früher in Oberau ansässig und begütert, stand in gutem Ansehen. Damals waren Gastwirte Respektspersonen in der Gemeinde, die ihr Gewerbe neben der Landwirtschaft trieben und sich um des Fremdenverkehrs willen nichts vergaben.
Sie hielten scharfes Regiment im Hause aufrecht und litten keine Unordnung.
Der Schwabenwirt, ein kurz angebundener Mann, galt etwas und brachte sich vorwärts, unterstützt von einer braven Frau, die zuweilen bei so hohen Gästen wie König Max Ehre mit ihrer Kochkunst einlegte.
Es war selbstverständlich, daß die Töchter bei jeder häuslichen Arbeit mithelfen mußten, in Küche und Keller, wie in der Gaststube.
Die Kinder sagten zu jener Zeit „Sie“ zu den Eltern, und der Verkehr in der Familie bewegte sich in gemessenen Formen, die keine unziemliche Vertraulichkeit oder Unbescheidenheit aufkommen ließen.
Ein Brief, in dem meine Mutter als sechzehnjähriges Mädchen ihre Eltern um Beisteuer zu einem Sommerkleide bittet, zeigt nach Stil und Inhalt so viel altväterliche, strenge Zucht, daß man versucht ist, ihn sehr viel weiter zurückzudatieren.
Sie hielt sich damals in München auf, um sich nach gutem Brauche in einem renommierten Gasthause in der Kochkunst zu vervollkommnen. Es galt als Vorzug, daß sie diese Lernzeit bei Grodemange verbringen durfte.
Was sie hier sah und lernte, trug sie säuberlich in ein dickes Heft ein. Gedruckte Kochbücher hatten damals wenig Geltung, und ich habe heute noch das stärkere Vertrauen zu jenen geschriebenen Rezepten, die ich als Erinnerungen aufbewahre.
Nach einem halben Jahre kehrte meine Mutter freudig zurück. Sie hing zeitlebens mit allen Fasern an ihrem Heimatdorfe und an ihrer älteren Schwester Marie, die in jungen Jahren den k. Posthalter und Verleger Eduard Lang heiratete, früh Witwe wurde und die auf uns Kinder durch ihre vornehme, stille Art einen unvergeßlichen Eindruck machte.
Die Schwabenwirtstöchter, deren jugendliche Anmut mir eine Daguerreotypie zeigt, fanden neben ihrer Arbeit immer noch Zeit, ihren Geist zu bilden, und wenn sie nicht allzuviel lasen, so lasen sie ganz gewiß nie einen seichten Roman.
Man ergötzte sich gemeinsam mit Gleichstrebenden an einem guten Buche, und ein studierender Jüngling konnte sich in den Ferien hohe Anerkennung erwerben, wenn er seine erst kürzlich erworbenen Kenntnisse in literarhistorischen Bemerkungen zu „Werthers Leiden“ oder zu „Hermann und Dorothea“ zeigte. Man las neben einigen Klassikern auch Stifters Studien, dies und jenes von Jean Paul, und man führte darüber empfindsame Gespräche, bei denen die Mädchen wohl nur die Zuhörerinnen abgaben.
Dies alles bewegte sich in bescheidenen Grenzen, führte nicht zu Überklugheit und förderte eine wirkliche Herzensbildung.
Wie das im lieben Deutschland üblich ist und war, mußten auch in Oberammergau gleichgestimmte Naturen einen Verein gründen zur Pflege ihrer Ideale, oder der Liebe zum „Guten, Wahren und Schönen“, wie man damals sagte.
Der Verein erhielt den Namen „Ambronia“ mit Beziehung auf den lieblichen Fluß, der sich durch das Tal schlängelt.
Hochstrebende Jünglinge, die später als Notare, Ärzte und geistliche Räte im Vaterlande wirkten, schlossen den Bund, dem auch bildungsfrohe Mädchen beitreten durften.
Wer sich geneigt fühlt, darüber zu lächeln, der lege sich die Frage vor, wo heute noch in einem kleinen, abgelegenen Dorfe eine solche Vereinigung zustande kommen könnte, und ob in diesem Streben nicht ein gesunderer Kern steckte als im Literaturklatsch und in den Moderichtungen unserer größeren Städte.
Im übrigen war Oberammergau in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein geeigneter Platz für solche Neigungen und Ziele.
Es saßen weitgereiste Leute dort, denn ein reger Handel mit Schnitzereien, nicht zuletzt mit den reizvollen Spielwaren, ging durch ganz Europa und auch über See. Mancher hatte sich tüchtig in der Welt umgetan und den Wert gediegener Bildung schätzen gelernt, aber jeder fühlte sich erst wieder glücklich, wenn er heimgekehrt war und behaglich im Ampergrunde zu Füßen des Kofels saß.
Unter den Schnitzern gab es vortreffliche Künstler, die, weil sie sich zu bescheiden wußten, Vollendetes leisteten. Sie alle haben ihr Können der gemeinsamen Aufgabe, dem Passionsspiele, gewidmet, und dieses stand damals in seiner schönsten Blüte, denn im ganzen und in jeder Einzelheit zeigte es die aus traditioneller Kunstfertigkeit hervorgegangene Eigenart, die es später im Großbetriebe mit den von auswärts bezogenen echten Dekorationen und Kostümen verloren hat.
Die Hingabe der Gemeinde an den „Passion“, den Ruhm der Heimat, war damals frei von ungesunden Spekulationen, von Hoffnungen auf unmäßigen und leichten Gewinn.
Erst der Zustrom des englischen und des noch schlimmeren amerikanischen Sensationspöbels hat das Bild verändert.
Aber jene älteren Generationen von Aposteln und Jüngern des Herrn richteten ihr Leben ein wenig nach dem Stile ihres heiligen Spieles ein und zeichneten sich durch Wohlanständigkeit aus. Sie handelten und redeten mit einiger Getragenheit und ließen sich von dem Bewußtsein leiten, daß sie auf einem Podium stünden und von vielen beachtet würden.
Im Glauben an den besonderen Beruf des Ammergauers, der das Gefühl einer engen Zusammengehörigkeit stärkte, war man glücklich und zufrieden.
Mit den kleinen, typischen Häusern, die im Erdgeschosse eine Stube hatten, von der aus hinterm Ofen eine Stiege in die obere Kammer führte, ist auch anderes verschwunden.
Ich darf einer edlen Persönlichkeit nicht vergessen, die von größtem Einflusse auf das patriarchalische Leben in der Gemeinde war und ihm ein besonderes Gepräge gab.
Ich meine den geistlichen Rat Joseph Aloys Daisenberger, der manches Jahrzehnt Pfarrer in Oberammergau war und als hoher Achtziger dort starb. Von ihm ist die gegenwärtige Fassung des Passionsspieltextes sowie eine vortreffliche Geschichte des Dorfes, die man im 20. Bande des Oberbayrischen Archives findet. Außerdem hat der würdige Herr einige vaterländische Schauspiele verfaßt, die seinen Ammergauern Gelegenheit boten, ihre schauspielerischen Talente zu üben.
Ich habe noch eines gesehen und dabei meinen Onkel Hans Lang als ritterlichen Herzog von Bayern ziemlich lange Sätze sprechen hören.
Daisenberger war das Urbild eines gütigen Priesters, über dessen Lippen nie ein hartes Wort kam, nie ein unduldsames, und der mit einem stillen Lächeln es ruhig dem Leben überließ, stürmische Meinungen zu glätten.
Er kümmerte sich nicht um Ansichten, sondern um das Schicksal eines jeden, er war Freund und Vater in jedem Hause, immer bereit, zu helfen.
Die Gemeinde hat ihm auf dem Friedhofe ein Denkmal errichtet.
Die wohlgetroffene Büste ist von dem Bildhauer Otto Lang modelliert, der als Sohn des Mühlbartl Sebastian aus einer alten Ammergauer Schnitzerfamilie stammt.
Mehr noch als das Denkmal ehrt den edlen Daisenberger die Erinnerung an ihn als den Schutzgeist Ammergaus, eine Erinnerung, die manches wohltätige Beginnen veranlaßte und ihm die rechte Weihe gab.
Ich habe den alten Herrn noch gut gekannt.
Wenn meine Mutter zu Besuch im Verlegerhause weilte, durfte ich ihm die „Augsburger Abendzeitung“ bringen, die er täglich von meinen Verwandten erhielt.
Er hatte stets ein gutes Wort für mich, den er getauft hat; ein Umstand, der meiner Mutter zur Hoffnung und Beruhigung diente, wenn es bei mir im Aufwachsen nicht immer schnurgerade nach oben ging.
Weil ich nun das Denkmal Daisenbergers erwähnte, will ich beifügen, daß auch dem Altbürgermeister Oberammergaus, meinem Oheim Hans Lang, dem viel gerühmten Kaiphas des Passionsspieles, ein solches errichtet werden soll, das wiederum Otto Lang modelliert und in München zur Ausstellung gebracht hat.
Es wird ausgeführt werden, wenn es wieder Bronze für diese Zwecke geben wird.
Der Bürgermeister Lang hat es wohl verdient um sein Heimatdorf, das für ihn die große und kleine Welt gewesen ist. Ich glaube nicht, daß irgendein Ereignis auf dem Theatro mundi, über das er sich weltklug zu verbreiten wußte, sein Inneres je so gewaltig aufregte, wie etwa die Besetzung der Rollen im Passion, und kein Eingriff in die Menschenrechte konnte ihm so verbrecherisch erscheinen wie der Versuch, den Text des Spieles zu ändern und dem modernen Empfinden anzupassen.
Ein Versuch, den eingewanderte Schöngeister mehrmals unternehmen wollten.
Aber dagegen erhob sich immer der Zorn des Volkes, und Kaiphas führte eine so drohende Sprache wie vor dem Statthalter Pontius Pilatus.
Er war ein behaglicher und braver Mann, mit einem lebhaften Temperament begabt, gescheit und bildungsbeflissen, der als Jüngling in der Ambronia aus dem Wissensquell schöpfte, als Mann jedem törichten Zwange abhold blieb und sich, während er sich gerne unterrichtete, doch nach dem Goetheschen Rezept auf das Nächste beschränkte und Tüchtiges leistete.
Ammergau darf sich glücklich schätzen, wenn es auch künftig Männer findet, denen die Heimat so viel und alles gilt wie ihm.
Den Mittelpunkt im Dorfe, wie den Mittelpunkt im Leben vieler mir teurer Menschen bildete das Verlegerhaus von Georg Langs sel. Erben.
Wie ich schon oben erwähnte, ging früher, besonders im 18. Jahrhundert, der Handel mit Ammergauer Waren durch ganz Europa, wie auch nach Nord- und Südamerika. In vielen Städten des Auslandes bestanden Handelshäuser und Niederlagen der Ammergauer, so in Kopenhagen, Petersburg, Moskau, Amsterdam, Cadix, Lima u. a., und der Ammergauer Kraxenträger ging seine Wege durch vieler Herren Länder.
Das Sterbebuch der Gemeinde weist nach, daß überall in der Welt Leute aus dem Dorf tätig waren, bis sie ferne von der Heimat starben. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege stockte der Handel, die Niederlagen im Auslande wurden größtenteils aufgegeben. Dafür wurden in Ammergau selbst Verlagshäuser gegründet, das bedeutendste von Georg Lang.
Dessen Sohn Johann Lang hat nach 1815 als rühriger und umsichtiger Geschäftsmann den Handel wieder in Flor gebracht, sich selber einen großen Wirkungskreis geschaffen und eine sichere Existenz gegründet.
Das hätte auch dem Fremden und Uneingeweihten das stattliche Haus verraten. Wie es dastand mit weit ausladendem Schindeldache, darauf die großen Steine, nur zwei Stockwerke hoch, aber in die Länge gedehnt, glich es einem behäbigen Bauernhofe, und dem Eintretenden sagten schon die prachtvolle geschnitzte Tür mit Handelsemblemen, der gewölbte Gang, die breite Treppe, daß er sich in einem ansehnlichen Bürgerhause befinde.
Gute Stiche schmückten die Wände des Treppenhauses und der in schönen Verhältnissen angelegten Zimmer und vermittelten den Eindruck, daß sich einige Generationen hier mit Geschmack wohnlich eingerichtet hatten. Zu ebener Erde waren ineinandergehend vier geräumige Läden, in denen mit Rokokoornamenten verzierte Glaskästen standen, die manches wertvolle Stück der Ammergauer Kunst enthielten.
Zwei Läden waren angefüllt mit Spielwaren, Puppen, Pferden, Botenfuhrwerken, Bogen und Pfeilen, Armbrusten, Hampelmännern und vielem anderen.
Man stelle sich einen Knaben vor, der aus der Risser Einsamkeit kommend plötzlich vor diesen angehäuften Herrlichkeiten stand, und man wird verstehen, wie heute noch der Eindruck in mir so stark nachlebt, daß für mich das Verlegerhaus der Inbegriff einer schönen Behaglichkeit geblieben ist.
Zu Anfang der fünfziger Jahre hatte Eduard Lang, der Sohn von Johann Lang, Anwesen und Geschäft übernommen und die Schwester meiner Mutter geheiratet.
Er muß ein edler, liebenswerter Mensch gewesen sein, denn noch viele Jahre nach seinem Tode – er starb schon 1859 – war die Erinnerung an ihn im Dorfe wie in der Familie lebendig. Meine Mutter hat mir oft die Redlichkeit seines Charakters und seinen feurigen, begeisterungsfähigen Sinn gerühmt.
Seine Witwe, der die Sorge für sechs Kinder oblag, blieb zeitlebens eine stille Frau, die ich immer ernst sah; sie genoß in ungewöhnlichem Grade Liebe und Verehrung, nicht zuletzt von seiten meiner Mutter. Ein verhaltener, gedämpfter Ton von Trauer blieb an dem Hause haften; nicht so, daß er störend gewirkt hätte, aber doch so, daß kein lautes Wesen aufkommen konnte.
Behaglich blieb es bei alledem, und wenn der Herr Oberförster aus der Riß zu Besuch kam und im Kreise der vielen älteren und jüngeren Damen seine lange Pfeife rauchte – eine bemerkenswerte Vergünstigung –, dann gab es auch lebhafte Fröhlichkeit.
Mein Bruder und ich haben als junge Holzfüchse erfahren, wie viele erzieherische Talente in erwachsenen Kusinen stecken, denn sie verwandten einige Mühe auf die Glättung unserer Manieren.
Aus einem anregenden Kreise, in dem sie wohl gelitten war und herzliche Freundschaft gefunden hatte, trat meine Mutter im Jahre 1857, um ihrem Ehemanne nach Piesenhausen bei Marquartstein zu folgen.
Mein Vater hatte nach Pflicht und Brauch beim König Max um eine Audienz nachgesucht, und meine Mutter erzählte mir noch viele Jahre später mit Lächeln und Erröten, daß der König ihm zur Wahl der Gattin Glück gewünscht und gesagt habe, er sehe wohl, daß seine Revierförster einen ausgezeichneten Geschmack verrieten.
Der König kam fast alljährlich nach Ammergau, und da mochte es wohl geschehen sein, daß ihm beim festlichen Willkommen die Töchter des Schwabenwirtes Blumensträuße überreicht hatten.
Daß er sich daran erinnerte und dem jungen Forstmanne diese herzliche Freude bereitete, zeigt seine Güte und seinen Takt, die ihn, wie der alte Riehl erzählt, ganz besonders auszeichneten und ihm alle Herzen gewannen.
In Piesenhausen wohnten meine Eltern mehrere Jahre in glücklicher Ehe, der zwei Kinder, mein Bruder Max und meine Schwester Marie, entsprossen.
Mein Vater fand alles Behagen am häuslichen Herd; es ist ihm treu geblieben, und er hat es wohl zu würdigen gewußt.
Ein wertgeschätzter Freund wurde ihm der Pfarrer von Grassau, der ein passionierter Jäger war und einer von den prächtigen geistlichen Herren, die Max Haider verewigt hat. Man erzählte von ihm, daß er einmal beim Messelesen die Wandlung vergessen habe, weil vor der Kirche das Jagdhorn zum Aufbruch blies. Ich habe aber die Geschichte so oft über den und jenen Pfarrer erzählen hören, daß ich sie für erfunden halte. Sie war wohl bezeichnend für den Jagdeifer der Herren.
Die schärfere Richtung, die später kam, hat den harmlosen Freuden ein Ende gemacht, und sie hat, wie mir erzählt wurde, dem geistlichen Rat in Grassau weh genug getan.
Als er schon hochbetagt war, hetzte ein junger Kooperator die Bauern gegen ihn auf, indem er seinen Eifer oder gar seine Rechtgläubigkeit in Zweifel zog, und es fanden sich wirklich Leute, die dem gütigen Manne bei einer Katzenmusik die Fenster einwarfen zum Danke für viele Wohltaten, die er den Armen erwiesen hatte.
Damals aber, in den fünfziger und sechziger Jahren, freute man sich an den Pfarrern, die fröhliche Junggesellen waren, jeden Spaß in Ehren gelten ließen und sich beim Scheibenschießen und Jagen offenbar tüchtig zeigten.
Denn in allen Darstellungen spielt der Hochwürdige niemals etwa so wie der Landrichter, Assessor oder Lehrer eine komische Figur.
Im Jahre 1861 wurde mein Vater als Revierförster nach Partenkirchen versetzt.
Er hatte darum nachgesucht, wohl auch auf Bitten meiner Mutter, die sich glücklich fühlte, als sie wieder ins Werdenfelser Land und in die Nähe der Ammergauer Heimat kam.
Während der vier Jahre, die meine Eltern in Partenkirchen blieben, gab es vornehmlich zwei Ereignisse, von denen uns später erzählt wurde. Das eine war der große Brand, bei dem die Hälfte des enggebauten Dorfes in Asche gelegt wurde, und das andere die berühmte letzte Bärenjagd im Wettersteingebirge.
Sie ist mehrmals in Zeitschriften geschildert worden, obwohl sie ohne rechten Schluß blieb. Denn Meister Petz entkam, wenn auch schwer angeschossen, und verendete vermutlich in irgendeiner unzugänglichen Schlucht.
Einem alten Förster, der mit dabei war, kam der Bär auf dreißig Schritte, aber es versagten ihm die beiden Schüsse seines Kugelzwillings; die Kapseln brannten leer ab.
Daß er Ruhm und Schußgeld verlieren mußte, verdroß den Alten so schwer, daß er wochenlang gemütskrank war und kein anderes Wort als lästerliche Flüche über die Lippen brachte.
Sobald ihm ein Bekannter begegnete, schrie er ihm von weitem zu: „Brauchst nix red’n ... woaß scho ... woaß scho ... Himmel ... Herrgott ...“ Nur durch Anwendung von Alkohol gelang es ihm nach und nach, sein seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen.
In Partenkirchen lernte mein Vater den Münchner Kunstmaler Julius Noerr kennen, der ihm in der Folgezeit ein lieber Freund geworden ist.
Noerrs Landschaften erregen neuerdings Aufsehen bei Kritikern, die jetzt die Münchner Kunst der sechziger Jahre entdecken und erstaunt über die hohen Werte sind, die sich ihnen darbieten; vielleicht können ihnen die Landschaften wie die Tierbilder Noerrs, seine reizvollen Aquarelle und Zeichnungen, seine Genrebilder zeigen, wie vielseitig dieser Künstler war, der wie kaum ein anderer die Alpenwelt kannte und in nie versiegender Freude am Malerischen jeder Spezialität abhold blieb.
Von seinen Wanderungen durch Tirol und Oberbayern brachte er Mappen voll kostbarer Studien heim. Wie er mit einfachen Mitteln in Bleistiftskizzen Stimmungen festhielt, ist bewundernswert, und keiner hat so treu und so liebenswürdig wie er Jagd und Jäger im bayrischen Gebirge geschildert.
Sein Lebenswerk kann in der Heimat kaum voll gewürdigt werden, da die meisten seiner Bilder nach England verkauft worden sind, doch vermag das, was sich bei einheimischen Sammlern vorfindet, immerhin das hohe Können Noerrs darzutun.
Ein Können, das freilich in jener Zeit mehr verbreitet und notwendige Vorbedingung war. Mit billiger Genialität durfte man sich damals nicht hervorwagen; um das zu ermöglichen, war lange Vorarbeit der segensreichen Kritik notwendig. In dem alten, noblen München, dem Pocci, Schwind, Spitzweg, Schleich, Lier, Riehl, Kobell, Lachner und manche andere das Gepräge gaben, mußte einer was können, der aus der Reihe hervortreten wollte, und sie alle, die etwas konnten, waren vornehm und hätten sich das laute Geschrei der Markthelfer verbeten.
Noerr war späterhin ein regelrechter Sommergast in der Vorder-Riß, und obgleich er sich nicht viel mit uns abgab, wurden wir Kinder ihm besonders anhänglich.
Es war eine vielbegehrte Gunst, ihm beim Malen zuschauen zu dürfen.
Seine Freundschaft hat meinem Vater viel gegolten, und seine Kunst hat ihn in bescheidenen Maßen selber zum Schaffen angeregt.
Zu einigen Zeichnungen Noerrs, die in „Über Land und Meer“ erschienen sind, hat er die Texte verfaßt.
In Partenkirchen blieb mein Vater, bis er im Jahre 1865 als Oberförster – der Titel war geändert worden – in die Vorder-Riß kam.
Die Familie war auf vier Kinder angewachsen, und der Umstand ließ meine Eltern wünschen, jene Oberförsterei, mit der Ökonomie und Wirtschaft verbunden waren, zu erhalten.
Der Posten war wegen seiner Einsamkeit nicht übermäßig begehrt, und doch wurde diese Einöde meiner Mutter wie uns Kindern zur liebsten Heimat, die wir in der Rückerinnerung erst recht mit allen Vorzügen ausschmückten.
Im Januar 1867 besuchte meine Mutter ihre Schwester Marie Lang in Oberammergau, um im Verlegerhause ihre Niederkunft abzuwarten, denn sie getraute sich nicht, in der Riß zu bleiben, weit ab von jeder Hilfe, die bei starkem Schneefalle überhaupt nicht erreichbar gewesen wäre.
Am 21. Januar gegen Mittag kam ich zur Welt, und meine Verwandten erzählen mir, ich hätte gerade, als sie von der Schule heimkamen, so laut geschrien, daß sie mich schon auf der Straße hörten.
Meine ersten Erinnerungen knüpfen sich an das einsame Forsthaus, an den geheimnisreichen Wald, der dicht danebenlag, an die kleine Kapelle, deren Decke ein blauer, mit vergoldeten Sternen übersäter Himmel war.
Wenn man an heißen Tagen dort eintrat, umfing einen erfrischende Kühle und eine Stille, die noch stärker wirkte, weil das gleichmäßige Rauschen der Isar deutlich herauftönte.
Hinterm Hause war unter einem schattigen Ahorn der lustig plätschernde Brunnen ganz besonders merkwürdig und anziehend für uns, weil in seinem Granter gefangene Aschen und Forellen herumschwammen, die sich nie erwischen ließen, so oft man auch nach ihnen haschte.
Drunten am Flusse kreischte eine Holzsäge, biß sich gellend in dicke Stämme ein und fraß sich durch oder ging im gleichen Takte auf und ab.
Ich betrachtete das Haus und die hoch aufgeschichteten Bretterlager von oben herab mit scheuer Angst, denn es war uns Kindern strenge verboten, hinunterzugehen, und als ich doch einmal neugierig über den Bachsteg geschritten war, kriegte ich vom Vater, der mich erblickt hatte, die ersten Hiebe.
Noch etwas Merkwürdiges und die Phantasie Erregendes waren die rauchenden Kohlenmeiler, gerade unterm Hause, an denen rußige Männer auf und ab kletterten und mit langen Stangen herumhantierten. Hinter Rauch und Qualm leuchtete oft eine feurige Glut auf, aber trotz der Scheu, die uns der Anblick einflößte, trieben wir uns gerne bei den Kohlenbrennern herum, die in kleinen Blockhütten hausten, auf offenem Herde über prasselndem Feuer ihren Schmarren kochten und die Kleinen, die mit neugierigen Augen in den dunklen Raum starrten, davon versuchen ließen.
Wieder andere gefährlich aussehende Riesen, die große Wasserstiefel an den Füßen trugen, fügten Baumstämme mit eisernen Klammern aneinander; wenn sie, ihre Äxte geschultert, dicke Seile darum geschlungen, in unser Haus kamen und sich im Hausflöz an die Tische setzten, hielt ich die bärtigen Flößer für wilde Männer und traute ihnen schreckliche Dinge zu.
Sie waren aber recht zutunlich und boten uns Kindern Brotbrocken an, die sie zuerst ins Bier eingetaucht hatten; allmählich gewöhnten wir uns an sie, und es mußte uns sehr streng verboten werden, im Flöz bei den Tischen herumzustehen.
Unsere besonderen Freunde waren die Jäger. Fast alle gaben sich mit uns ab, keiner aber verstand es besser, unsere Herzen zu gewinnen wie der Lenggrieser Thomas Bauer, der immer helfen konnte, wenn ein Spielzeug zerbrochen war, und der nie ungeduldig wurde, sooft wir auch mit Bitten zu ihm kamen. Gewiß waren die Geschichten, die uns Viktor erzählte, wunderschön, aber was waren sie gegen die Erlebnisse, die unser Bauer droben im Walde mit Zwergen und Berggeistern gehabt hatte! Wenn er vom Pürschgang heimkam, sprangen wir ihm entgegen und staunten ihn an, wenn er einen erlegten Hirsch oder einen Gamsbock brachte, und immer hatte er was für uns, eine seltsam geformte Wurzel, einen Baumschwamm oder eine Pfeife, die er unterwegs aus einer Rinde zurechtgemacht hatte.
In seinem Jägerstübchen war er nie vor uns sicher; kaum hatte er es sich auf seinem Kanapee gemütlich gemacht und seine Pfeife angebrannt, dann trippelten kleine Füße über die Stiege herauf und polterten gegen die Türe, deren Klinke nicht zu erreichen war.
Es half ihm nichts, er mußte die Quälgeister einlassen und viele Fragen beantworten, ob er den Zwergkönig mit dem langen Bart und dem spitzen Hut gesehen habe, und ob die Gams mit den goldenen Krickeln noch auf dem Scharfreiter herumspringe.
Er muß uns vormachen, wie die Gamsböcke blädern, und auf dem Schnecken, wie die Hirsche im Herbst schreien, und wenn er sein Gewehr zerlegte oder eine Uhr reparierte oder einen Gamsbart faßte, schauten neugierige Kinderaugen dem Tausendkünstler zu.
Vertrauen und Neigung hingen sich so fest an den Mann, daß er uns allen als Sinnbild und Verkörperung des stillen Glückes galt, das wir in der Riß gefunden hatten.
Ein gern gesehener Mann war der Lenggrieser Bote. Die allgemeine Freude über diese Verbindung mit der Außenwelt ging auch auf uns Kinder über, und der mit allerlei Gaben gefüllte Plachenwagen übte großen Reiz auf uns aus.
Man lernt nur in einer solchen Abgeschiedenheit das Vergnügen am Kleinsten kennen, und Städter vermögen es sich kaum vorzustellen, wie Zeitungen, Briefe und Pakete erwartungsvolle Spannung verursachen, oder was frisch gebackene Semmeln einmal die Woche bedeuten können.