Eruptionen - Benedikt Schmidt - E-Book

Eruptionen E-Book

Benedikt Schmidt

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Beschreibung

»Eruptionen« enthält zwölf Theaterstücke von Benedikt Schmidt. In diesen seziert und dekonstruiert der Autor gesellschaftliche Befindlichkeiten und gesellschaftspolitische Fragen. Die Monologe und Dialoge verhandeln unter anderem den Ausbruch des Individuums aus starren Konventionen. Es ist eine wortgewaltige, poetische, teils bitterböse Gegenwartsbewältigung und gleichzeitige Selbstbefragung.

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»Eruptionen« enthält zwölf Theaterstücke

von Benedikt Schmidt. In diesen seziert und

dekonstruiert der Autor gesellschaftliche

Befindlichkeiten und gesellschaftspolitische

Fragen. Die Monologe und Dialoge

verhandeln unter anderem den Ausbruch des

Individuums aus starren Konventionen.

Es ist eine wortgewaltige, poetische, teils

bitterböse Gegenwartsbewältigung und

gleichzeitige Selbstbefragung.

Für meine wunderbaren Freunde

Michael Rott und Michael Zwick.

Danke für alles.

Über den Autor:

Benedikt Schmidt, geboren 1981 in Bonn, ist schon seit seiner frühen Jugend dem kreativen Schreiben hoffnungslos verfallen. Wenn er keine Lyrik, Kurzgeschichten, Theaterstücke oder Erzählungen verfasst, arbeitet er freiberuflich als Texter. Darüber hinaus produziert und performt der ehemalige Rheinländer, Wahlberliner und jetzige Mallorca-Resident seit vielen Jahren elektronische Musik.

»Eruptionen« ist nach »Weltaufnahme« (2020) seine zweite Veröffentlichung bei KONZERN Buchhaltung. Weitere Werke von Schmidt sind »Welt im Nebel« (2004), »Hardmates Kochbuch« (2005) und »Stadt leben« (mit Laura Herz, 2020).

Benedikt Schmidt

www.benedikt-schmidt.biz

www.steadyhq.com/de/benediktschmidt

KONZERN

www.musikkonzern.de

Inhaltsverzeichnis

Ich weiß es doch schon

Rachel Engel fährt noch eine Tour

Im Fadenkreuz

Sozialkritik

Urbane Mythen und andere Probleme

Das Kind ist geblieben

Werktreue Räume

Die Lehren des Bob Südbach

Für morgen plane ich die Neuverschuldung

Überfall im Vollsortimenter

Kleingeisthausen ist überall

Letzte Platte

Ich weiß es doch schon

Ein Mann steht am Fenster und spricht. Seine Stimme hallt durch die fast leere Wohnung. Auf dem Boden liegen Bücher verstreut. In der Ecke eine Matratze und ein Stuhl. Von draußen dringt dumpfer Lärm herein. Immer mal wieder klopft es an der Tür.

MANN: Die Polizei setzt Tränengas ein. Sie knüppelt alles, alles nieder. Der Kommunalpolitiker stellt sich vor die Polizei. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr.

Hinter den Wänden herrscht auch Verkehr. Es ist ein Phantomschmerz. Lieber Herr, liebe Dame. Ich muss Sie nochmal an meine Rechnung erinnern, da mich andauernd irgendwer an Rechnungen erinnert. Die Polizei lässt das Blaulicht aufblitzen. Der Polizist, der morgen wieder die Autofahrer kontrollieren wird, steht jeden Abend in der Kneipe. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr.

Rigoros und Risotto. Im Kollektiv hat man das entschieden. Ich war tief im Dispo und glücklich. Der Bagger reißt die Bank ab. Die Leute stehen herum und fangen Geldscheine und Kontoauszüge auf. Sie zerbrechen gemeinsam Kugelschreiber. Wie Salzstangen. Die Polizei überprüft nur den Schwarzen.

Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Die Tram klingelt, an der Tür klingelt der Lieferservice. Im Kopf klingelt das Wort. Ich suche nach Geld, ich suche nach Kleingeld. Das verpackte Essen duftet. Im Treppenhaus eilt wer nach unten. Menschenwerk. Vielleicht liegt schon ein Nachbar verwesend hinter seiner Tür. Ich nehme das Essen in Empfang. Die Polizei marschiert in voller Montur in die Autonomendisko. Blaulichter blitzen. Plural. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Morgen wird der Müll abgeholt. Die Matratze haben wir schon heimlich entsorgt.

Im Keller sind alle Schuhe verfault. Zeitschriften sind nur noch klammes, welliges, welkes Laub. Ich renne keiner Bahn hinterher. Ich renne keinem Bus hinterher. Ich bin immer überpünktlich. Das war schon im Kindergarten so. Die Polizei drückt die Tür zur Wache auf. Das Geld des japanischen Freundes ist samt Geldbeutel und Karten weg. Der Polizist nimmt die Anzeige auf, zuckt die Achseln. Nichts Neues in der Stadt. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr.

Auf die Komparsen in meinem Lebensfilm. Auf die unbekannte Welt, ohne Namen, nur mit Lärm und Geschwindigkeit. Nachts schlafe ich. Nachts träume ich. Das Studieren lag mir nicht. Weibliche Körperwelten im Kopf.

Lästige Stechmücken im Schlafzimmerblick. Völlig durchgeschwitzte Kissen. Küssen. Die Polizei sperrt die Straße ab. Helme und Wasserwerfer. Panzer und Frieden.

Diese Chaoten wieder, brüllen die Konservativen, die BILD-Leser, die, die sich grundsätzlich aufregen. Hochroter Kopf, Herr Nachbar. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Ich umspiele das, was alle von mir denken. Ich denke an dich, mein Schatz. Ich trinke Wasser aus dem Glas, ich greife nach dem Toilettenpapier. Ich lasse Wasser in der Schüssel. Ich bin nicht der im Spiegel. In der Seele drehen sich Brötchen und Buchstaben. Ich rauche nicht. Das angerührte Schicksal bewegt sich als dröges Problem. In der Schule habe ich gelernt. Die Polizei ist 110. Ich will da nur anrufen, wenn es ein Notfall ist. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Die Nachwirkungen der Wirklichkeit blubbern jeden Tag neu. Die Suche nach dem Glück. Der Ausbruch aus dem Immergleichen. Am liebsten keine Steuern zahlen. Und raus bist du. In der Zeitung jeden Tag.

Was hast du dir denn dabei gedacht? Was treibt dich um, mein lieber Freund? Ich kann keine Antwort hören. Die Polizei locht das Schwein ein. Den Vergewaltiger, Mörder, Kinderschänder, Steuerbetrüger, Einbrecher, Erpresser, was weiß ich. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr.

Ich ahme den Sprecher der Nachrichten nach. Ich klicke jeden Tweet auf Twitter an. Ich klaue Äpfel beim Metzger.

Ich äppel wie ein Pferd und Pferde und werde. Die Perfektion der Kurgäste im Pavillon. Die Videothek muss schließen. Alles muss raus. Der Elvis-Imitator singt zum Playback. Ein Gast ist völlig hinüber, lallt laut. Die Polizei sperrt den Kiez und räumt die Kneipe. Hubschrauber knattern in der Luft. Schreie und Wut, Sprechchöre, Gewalt. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Mein Privatleben ist beruflich durchleuchtet. In der Kapelle flackern die Kerzen. Die Hausaufgaben von Freitag habe ich immer erst am Sonntagabend erledigt. Arbeitsprozesse, Abendbrot. Der Weltreisende kehrt ins Kaff zurück. Der Vogel fällt im Käfig tot von der Stange. Ich knabbere am Knäckebrot und lese die Zeitung. Ich muss immer lesen, wenn ich esse. Die Kritik nach der Premiere. Das wohlige Schlabbern der Lefzen im gefüllten Blechnapf. Eine Biene hat sich in das Zimmer verirrt. Die Ameisen wandern über die Wand. Ein schönes Spiel im Wunderkasten. Die Polizei kauft beim Bäcker und lacht über die ermittelnden Kommissare im TV. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Meine Kinder habe ich natürlich nicht gezeugt. Ich habe mir den Rücken in der Fabrik ruiniert. Im Büro habe ich Vorgänge abgeheftet und Mittagspause gemacht. Bis zur Rente bin ich den Schulbus gefahren und habe die Kinder gehasst. Beim Vereinsfest sehe ich alle wieder. Da zapfte ich Bier, da weiß ich, wer ich bin und wie ich nach Hause falle und nicht auffalle. Wie jede Woche, immerzu. Der Klimawandel macht dem Winzer nichts. Ich lasse den Rotweintropfen tropfen. Die ewige Stadt, das sterbende Land. Die Lichter der Autobahnbrücke, die das Tal brutal zerschneidet. Der Kirchturm, der Fernsehturm. Der Hund und die Katz. Glockengeläut, Weihwasserpudding. Rote Fahne. Zur Sonne, zur Freiheit. Die Polizei stellt jetzt Fragen und trennt die Kontrahenten. Nachbarn und Gaffer, was ja das gleiche ist, versammeln sich sofort auf der Straße. Gleich kommt Verstärkung. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Die politisch korrekten Schleimer. Die rassistischen Generationen. Der Aufruhr schafft die Veränderung. Macht bitte alles kaputt, was sie sich so mühsam und selbstgefällig in ihr Denken und in ihre Vorurteile gepflanzt haben. Den ganzen Hass, die Menschenverachtung und blinde Wut. Die Bierdose knackt.

Im Kühlschrank brennt noch Licht. Die Feuerwehr hat Übung, ich habe jetzt Durst. Ich bin ein notorischer Grobmotoriker. Ich mag Roboter und stottere mental. Ich tauche hinab in das dornige Dickicht des selbstbestimmten Lebens. Die Polizei drückt die Menschen hart auf den Boden, gibt dem einen oder anderen noch einen mit. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Bei den Toiletten steht die Pappfigur des Schauspielers. Beim Kanal zogen wir Lines und blickten auf rostige Container. Das Spray killt die Ameisen und riecht ganz süß. Ein Auto hupt. Leute, die gerne hupen gehören nicht hinters Steuer. Die Steiermark interessiert mich nicht. Ich wünsche mir keine D-Mark wieder. Als die Mauer fiel, hat mich das wenig interessiert.

Ich war noch ein Kind! Als der Bankmitarbeiter den Automaten aufschließt, sehe ich viele EC-Karten, auch meine. Der Punk hält die Tür auf, ein Eurostück wechselt den Besitzer. Die Polizei fragt, was wir da auf der Straße machen. Spät am Abend in der Provinz. Flunkyball? Nein, Staffelsaufen. Wissendes Grinsen, sie fahren weiter. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Ich springe aus dem Taxi und laufe davon. Ich habe Blut im Gesicht und jemand fragt mich was. Die Kaffeemaschine schnaubt und prustet ein wenig. Die Verkäuferin wünscht eine schöne Zeit. Zur Goldenen Hochzeit schmücken die Nachbarn die Straße.

Eine Mutter steht vor der Grundschule und ruft ihren Anwalt an. Am Anhalter Bahnhof halte ich nicht an. Die Türsteher fragen nach dem Wohlbefinden. Ein Auto brennt. Eine Parkbank ohne Sitz. Jemand verkauft falsche Fahrscheine. Die Polizeigewerkschaft jammert wie immer herum. Das Navi sagt: Disziplinarverfahren. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Mit überteuerten Problemimmobilien verdient der Christdemokrat sein Geld. Es fehlen Schmerzmittel und Wege. Ein Leitfaden zur permanenten Erstickungsgefahr. Alles fordert Reformen, alles formiert sich zum verschwörungsgläubigen Otto-Michel-Normalverbraucher-Verein. Firmen rufen nach dem Staat.

Augenwasser schwappt. Im Kühlhaus hängen tote Rehe. Mit dem Kopf nach unten. Frost im Hirn. Fahrtwind zerrt an meinem Shirt, wie ich die Straße hinunterjage. Bremsen quietschen. Aber nicht meine. Meine Beine zeige ich ungern in der Öffentlichkeit. Der Fischreiher hat alle Goldfische geschnappt. Dunkelgrün-glitschige Algen treiben im Teich.

Die Polizei rollt stumm und argwöhnisch glotzend durch den Kiez. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr.

Enthemmte Liberale marodieren durch den Park. Hühner flattern auf. Eier rollen. Köpfe auch. Ich quetsche die Zahnpasta heraus. Ich verweigere mich gebügelter Kleidung und Schuhen mit Schnürsenkeln. Ich liege auf dem Bett und lasse die Klimaanlage sexuelle Dienste leisten. Ich gehe in den Späti und kann mich zwar für Bier, aber nicht für die richtigen Chips entscheiden. Ich sitze in der 1. Klasse und lache über die, die nichts kapieren. Der Regenwald brennt ab.

Die Meere voller Plastik. Die Hitze bringt uns um. Ich esse ein Eis, ich beiße auf Granit. Zwischen Sportwetten habe ich mit dem Wolf gekokst. Ich bin die außerparlamentarische Abrissnummer. Die nackte Glühbirne baumelt trunken von der Decke. Im Glas ruhen die Münzen. Im Erdgeschoss werden Sexspielzeuge verpackt. Im Keller spielen sie diplomatisches Pingpong. Das Kind schlägt auf den Gong. Die Polizei warnt vor Enkeltrickbetrügern. Rentner kramen nach gebunkertem Gold. Das Gartentor ist geölt. Der Schoßhund kläfft. Ich stehe am Fenster und blicke auf den Verkehr. Als der Space-Kuchen knallt, will der Kellner gerade die Bestellung aufnehmen. Ich möchte aufspringen und mich auf die schöne grüne Wiese legen. Ich bin ein großer grauer Berg. Die Kassetten sind verstaubt. Ich glaube trotzdem an Europa. Die Hose reißt auf, als ich von der Bühne springe. Die Ampel springt auf Grün. Ich sehne mich nach Schlaf.