Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Radikal, schonungslos, zornig: Hans Haids letztes Romanprojekt. Aufrüttelnd und intensiv: Literatur, die irritiert und in den Bann zieht. In den Fragmenten seines letzten Romanprojektes sinniert Hans Haids Protagonist, "der Alte vom Berge", über das Bergbauerndasein mit all seinen Entbehrungen: Kritisch und ohne romantische Verklärung hadert er mit seiner Position, ist wütend, manchmal sentimental, verliert sich in seinem eigenen Gedankengewirr und greift doch wieder alle Fäden auf. Dabei verschmelzen in seinem inneren Monolog Beschreibungen der alpinen Mythen- und Sagenwelt mit einer zornigen Anklage der Missstände, mit welchen er sich konfrontiert sieht: die immer weiter voranschreitende Naturzerstörung, der Massentourismus im Alpenraum, kapitalistische Machenschaften sowie Widerstand und Mitläufertum in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Versuch, der Geschichte habhaft zu werden. Hans Haid ist einer der außergewöhnlichsten Schriftsteller und engagiertesten Volkskundler Österreichs: In seinem literarischen Schaffen setzte er sich mit den matriarchalen Frauengestalten der alpinen Kulturgeschichte, der Geschichte des Ötztals und mit der zunehmenden Zerstörung des Kultur- und Naturerbes auseinander. Als unermüdlicher Kritiker beklagte Hans Haid seit jeher die Landverbauung und forderte einen ökologisch vertretbaren Tourismus. In Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck wird sein Wirken nun mit diesem zweiten Band der Werkausgabe gewürdigt, ergänzt durch ein Nachwort von Christine Riccabona und Anton Unterkircher.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 248
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Hans Haid
es kann sein, dass dann die schatten kommen
Romanfragment
Herausgegeben und mit einem Nachwort von
Werkausgabe Hans Haid
Band 2
herausgegeben von Ulrike Tanzer
*
In einer schrecklichen, traumschweren Nacht hat es mich wieder erwischt. In der Nacht. Im Traum. Wie im Traum. Diese Nacht, die putzdunkle stockdunkle Nacht. Und die Erinnerungen. Die Andeutungen meiner Mamma. Sie hat im Nachbarhaus gearbeitet. Näherin, Wäscherin, Aufräumerin. Eine Tafel hat sie machen und bemalen lassen: Wäscherei und Büglerei Stippler. Müde geworden. Und immer noch wartet sie auf den Tatte. Sie sucht ihn in den Todesanzeigen der Zeitungen. Sie sucht ihn im hintersten Winkel der Kirche. Überall. Dann kommt das erste Gespräch mit dem Sommergast im Haus nebenan zustande. Eine fremde Frau, die unentwegt herumzieht, alte Leute fotografiert, eine schwere Fotokamera umgehängt und die schwarze Ledertasche. Die Erna von nebenan. Ich bin dabeigewesen. Gut ein Jahr alt. Habe nur die vertraute Stimme der Mamma gehört. Und die fremde Stimme einer fremden Frau. Nebenan auf der Bank. Die beiden Frauen: die Bäuerin und Büglerin und Wäscherin und die Fremde mit dem schweren Fotoapparat. Wo sie denn diese Männer und Frauen finden würde: „Deutsches Volksgesicht“ anno 1939. Ich bin ein Jahr und sechs Monate. Ich weiß von nichts. Die Fremde daneben auf der Bank. Vielleicht will sie mich in die Arme nehmen. Vorsichtig unerfahren kinderlos. So als ob sie selbst das eigene Kind in die Arme nehmen wollte. Das sie nicht hat und nicht bekommen kann. Sie hat die Leidenschaft für Menschenköpfe. Sogenannte urige Charakterköpfe. Das „Deutsche Volksgesicht“. Aus allen Teilen des Reiches zusammengetragen. Die Fremde im Tal. Jetzt neben mir. Neben der Mamma. Mit einer süßen Schleckerei. Vielleicht habe ich das Zeug ausgespuckt.
Sellamool wöll keemen di schaatne. di zoachn. sellamool di nachte und is schreien. in zuuzl / es kann sein, dass dann die schatten kommen und die zeichen in solchen nächten / und die fremde Frau als superwichtige Nazifrau entdeckt wird. Hinausgejagt aus dem Tal. Dass sich alle schämen.
Mamma schaukelt mich. Die Fremde will mich schaukeln. Dann will sie wiederkommen, will uns alle fotografieren. Auf der alten Hausbank vor dem alten Bauernhaus und dem über die alten Mauern gespannten Geflecht des Wilden Weines und dazwischen drinnen versteckt eine Madonna, hinaufgemalt, zugedeckt, wieder freigemacht beim Fensterputzen im oberen Stockwerk. Wo denn die urigsten Köpfe zu finden wären. Meine Mamma würde ja alle Leute in der Gemeinde kennen. Meine Mamma kennt alle Leute in der Gemeinde. Auch ihre Namen und ihre Geschichte. Eine alte Frau am besten mit vielen vielen Kindern und den Runzeln und dem gebeugten Rücken und dem Rosenkranz um den Bauch gebunden und mit dem stillen Strahlen einer Dulderin. Eine solche solle es sein. Sieben Kinder. Dann sind zwei gestorben. Dann sind fünf dazugekommen. Diese Frau wolle sie fotografieren. Das Adlar-Madle oder eine andere und den von der enderen Seite, den Alten mit dem Bart und dem beständigen Funkeln der Augen. Ja, der würde recht sein. Der Schnurrbart, der Schnauzer. Gerade richtig in Länge, Farbe, im Hinaufgebogensein. Stattlich sowieso und vielleicht urdeutsch. Am Sonntag nach der Messe will sie schauen, wenn die Mander und Weiber aus der Kirche kommen. Dann will sie Gesichter sehen. Mamma soll wissen, wie sie heißen, wo sie wohnen.
Die noble Frau aus der Nachbarschaft will ein Buch machen. „Deutsches Volksgesicht“ hat sie immer gesagt. Das Nachbarhaus ist eine nobel eingerichtete Herberge. Touristen aus vielen Ländern kommen, werden beherbergt, werden sorgsam betreut und gefüttert. – Es ist eine edle Herberge. Sie gehört zum alten Hotel sechzig Schritte weiter. Auch ein gutes Hotel dieser Zeit. Gastwirt und Wirtinnen sind Musikanten, Sänger, Geiger, Kirchenchorleiter, Paulamamma, Tantedit und solche aus dem Dorf, die an Festtagen die erbauliche Musik machen. Mit lateinischen Messen und dem Leo am Cello. Alles fromm und bravchristkatholisch. Sapperlott und da darf kein Zweifel aufkommen.
Es hat das unselige Unheil angefangen. Auf der Steinbank vor dem Eltern- und Geburtshaus. Ohne mein Wissen die beginnende Veränderung in diesem Tal und anderswo: und meine Mamma und der Tatte mittendrin und ich vor dem Haus auf der Hausbank. Geschaukelt und angestaunt, gefüttert und gestreichelt. Die Fremde aber möchte näher herankommen. Mamma richtet in der Früh, wenn die Fremde außer Haus gegangen ist, die Betten. Immerwährend fotografierend, die Fremde, und die Namen notierend, im noblen Haus beherbergt. Sie zahlt gut. Mamma schüttelt die Betten aus, hat sie vorher über das Fensterbrett gelegt, streicht und streift über das Leinen. Es darf keine Falten geben. Den Nachttopf ausgeleert. Die Handtücher erneuert. Mamma nimmt die benutzten Leintücher und Handtücher und nimmt sie mit. Sie wäscht und bügelt im eigenen Haus, in dem ihres Vaters, geerbt und übernommen. Der Neene, der Großvater, der Opa, der Opapa lebt noch in diesen verschwundenen Jahren. Die Omama lebt noch. Die alte Tante, die Boosa, lebt noch. Immer fromm und geduldig und gottergeben keusch und ledig und kinderlos geblieben und allesamt Sonntag für Sonntag und oft zweimal in der Kirche zum Gottesdienst. Ich sage es noch einmal und schreibe es nieder: die wohl frömmsten Leute des Dorfes. In beinahe jeder Generation hat es einen Geistlichen aus der Sippe gegeben, eine den Kranken dienende Klosterschwester. Immer nahe der Kirche. Einen Steinwurf weit. Nicht weiter. Mamma betet den Rosenkranz. Auch während der Messe wird unaufhörlich vorne kniend Rosenkranz gebetet, immer wieder Vaterunser um Vaterunser und dann zehnmal Gegrüßet seist du Maria und Ehre sei Gott dem Vater und dem Sohn und Heiligen Geist. Wer auch da von der Decke baumeln soll. Wohl an einem heiligen Strick hängend. Jahr für Jahr dieselben Gesetzchen, Anrufungen, Beschwörungen und nach zehn Mal unterbrochen mit Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Amen. Und alles ohne Unterbrechung bis zur Heiligen Wandlung und dann mühsam für den Empfang der Heiligen Kommunion aus der engen Bank heraus in den Mittelgang geklettert, gestolpert, im Kirchengang die Kleider gerichtet, schnell daran gezupft. Vorsichtig links und rechts geschaut, alles wahrgenommen rundum. Die Frau dort wieder schwanger. Sieht ja jeder. Nicht ganz sicher, wer der Vater sein könnte, etwa der vom Brand oder der von Astlehn. Vorne gestanden, gewartet, den Mund aufgemacht, die Zunge heraus. Gelobt sei Jesus Christus. In Ewigkeit Amen und die alten Gebete und der Pfarrer vorne und die spätere Erinnerung an mein Ministrantendasein als zeitweiliger Oberministrant. Alle wieder zurück in ihre Bänke, niedergekniet, den Rosenkranz zwischen die Finger, die Gesetzchen auswendig gelernt, heruntergeleiert. Aber mitgedacht, wie der Pfarrer es uns beigebracht hat, immer mitdenkend wie es geheißen hat: der für uns Blut geschwitzt hat, der für uns gegeißelt worden ist, der für uns das schwere Kreuz getragen hat, der für uns am Kreuz gestorben ist. Und immer wieder durcheinander. Das wird der Herr wohl derleiden. Amen.
Und ich muss Jahrzehnte später erfahren, wer die Fremde mit dem Fotozeug gewesen ist. Ich kaufe das Buch „Das deutsche Volksgesicht. Tirol und Vorarlberg“. Ich finde meinen Großvater, den Neene. Aber das sagen die Kinder heute nicht mehr. Immer nur Opa und Oma und Mutter statt Mamma und Papa statt Tatte. Sie haben angefangen, alles zu verdrängen und zu vergessen. Die immerfort auch während der Heiligen Messe Rosenkranz betenden Frauen sind ausgestorben, sind am Nahezuaussterben. Die Erinnerung daran ist mir noch geblieben. Den anderen im Tal nicht mehr. Ich gehöre zu den Älteren und habe diese Erinnerung bewahrt. Ich zähle und suche dann in der Kirche die Rosenkranz-Frauen.
Auch an die Fremde kann sich niemand mehr erinnern. Ich bin älter geworden und schaue zurück. Ich habe es versäumt, früher, schon 1960 und 1965 und 1970 danach zu fragen und wie sie ausgeschaut hat und wie sie geredet hat. Diese Deutsche aus Berlin. Und ich habe herumgefragt und habe Eintragungen in den Gästebüchern des Hotels und des dazugehörigen Nebenhauses gesucht und nichts gefunden. Alles verschwunden. Vielleicht bewusst oder unbewusst verdrängt. Zu den alten Geschichten vom Sterben und Traurigsein dazugerechnet und gleichzeitig abgerechnet.
Da hat ein spannendes Leben angefangen.
Mamma ist 89-jährig verstorben. Sie hat mir viel erzählt. Vieles hätte ich sie nachträglich noch fragen wollen. Ich habe es versäumt. Jetzt hole ich mühsam und beschwerlich Stück für Stück aus der Erinnerung heraus. Das Dunkel wird immer dunkler. Die Finsternis der auch in diesem Tal wütenden Seuche und dem Dahinschlachten wird immer dunkler; je mehr ich herausgraben kann. Ich kann keine Glut mehr anfachen, kein Feuer löschen, keine Zeitzeugen finden, die Kraft ihres Alters, ihrer politischen Neigung und Leidenschaft gemäß auspacken könnten. Wenn sie könnten, dann wollen sie nicht. Über diesem dunklen Tal der Ferner, der Muren, der Lawinen und der Überschwemmungen, so könnte es sein, kann diese andere Seuche nur eine der vielen sein, die geduldig und gottergeben, wenn auch fluchend und zürnend ertragen werden müsse. Jetzt, so habe ich mir in reifen Jahren als beinahe Mittsiebziger vorgenommen, ein wenig Licht in diese dunklen Löcher zu bringen, hineinzubohren in verborgene, in versteckte Lebensgeschichten. Deutsch-fromme Kalendergeschichten vom Reimmichl, dem reimenden Michl. Wenn es Teil meiner eigenen Lebensgeschichte ist, soll es mir und anderen recht sein. Wenn ich das Schicksal der anderen Dorf- und Talbewohner miteinbeziehen will, dann kann es heiß oder sehr kalt werden für mich.
Ich will ab meinen ersten Tagen und Monaten und Jahren meines Tal-Lebens meine Geschichte suchen. Wenn ich wieder ein Bündel beisammen habe, kann ich jetzt in die kleine Talkirche gehen, kann dort niederknien und fluchen. Oder um Verzeihung bitten. Irgendwo vorne hängt auch einer, den sie gemartert und gequält haben. Das könnte mich eher ablenken als beruhigen. Die Wut steigt von Bündel zu Bündel: Ich meine die gesammelten Nachrichten, die Botschaften, beispielsweise diese aus dem fernen Berlin, die mir, dem Forschenden und Ungeduldigen immer wieder zugeschickt werden. Wenn ich sie dann geöffnet habe, mühsam Seite für Seite des OETZTALER BERGBOTEN, zusammen mehr als tausend ausgedruckte Seiten, packt mich das Grauen. Dann wird es eiskalt. In „meinem“ Tal. Trotz Sonne und zeitweiliger Geborgenheit.
Das ist in meiner Zeit entstanden und gewachsen. Ab dem Frühjahr 1938. Als einer der Stippler-Abkömmlinge, vorausbestimmt zum Nachdenken und Forschen und Schreiben. Wie es vor mehr als 250 Jahren ein uralter Onkel, ein Vetter mütterlicherseits, getan hat mit der ersten Aufschreibung des Tales von Wasser- und Lawinenschäden, von schrecklichen Muren und Gletscherseeausbrüchen. Immer ein Tal der Muren, Lawinen und Gletscherseeausbrüche. Etliche davon, ein Urururgroßvater als Anwalt, wie sie den Bürgermeister genannt haben, den Vorsteher und auch den Streitschlichter, auch den ersten Blasmusikanten und Chorleiter. Und allesamt fromm und Kirchendiener und auch Gemischtwarenhändler, in allen Generationen kleine Dreihektar-Bauern und der andere, der Prediger und der Wallfahrtskaplan von Trens.
Ich lass mir diese Familien-, Dorf- und Talgeschichte nicht aus der Hand nehmen. Bevor ich nicht alles Wichtige erforscht und gesammelt und aufgeschrieben habe.
*
Ich hocke Jahrzehnte später über meinen Sammlungen und Schriften. Es packt mich regelrecht das Grauen. Ich kenne die Leute des Dorfes, der Gemeinde, des Tales. Ich erkenne in ihrer Gesinnung keine nachhaltig entscheidende Wandlung. In Vielen. In sehr wenigen einzelnen Köpfen und Hirnen erkenne ich rühmliche Ausnahmen. Einer davon, nenne ich ihn den „Kass“, ist der Polterer und der seine Meinung sagt. Nur wenn er genügend in sich hineingestülpt hat. Erst dann brechen die Wahrheiten und die Aggressionen heraus. Dann treffe ich ihn polternd und schreiend im Gasthaus. Dann nennt er Namen, solche aus Sölden und von hier. Er würde mir die nackten und die brutalen Wahrheiten sogar auf Tonband sprechen. Ich wage es nicht. Meine Scheu trifft mich an einer sensiblen Stelle. Ich müsste dann darüber schreiben. Ich müsste ein Protokoll erstellen und müsste die alten Tonbandaufnahmen zumindest auf eine CD überspielen und müsste alles dem Orts- und Talarchiv übergeben. Ich habe einen Gedächtnisspeicher des Tales aufbauen wollen. Der Kass hat mir in frühen Jahren geholfen, mit seinem alten Kleinlastwagen die von mir gesammelten Museumsstücke ins neue Museum zu transportieren. Er, der Bauer, der nicht gerade sauberste Kerl, hat vorher mit seinem Kleinlastwagen Mist geliefert und eine tote Kuh und ein paar Schafe. Bauer und Viehhändler und ein kluger Kopf. Wenn es sich ergibt, könnten wir uns austauschen. Und könnten gemeinsam zurückschauen, was ab anno 1938 geschehen ist. Und dieses ist mein Geburtsjahr. Und das Datum meiner Geburt, nämlich vor dem Einmarsch von Adolf Hitler, macht mich zum Vorkriegsprodukt. Diese Jahrzehnte ab 1930 haben die nachhaltigste und auch die brutalste Umwandlung des Dorfes und des Tales und auch des Landes erbracht, die es in dieser Region und in dieser Wucht bisher niemals gegeben hat. Nicht nur wegen des nach 1950 wieder zaghaft und dann immer massiveren Hereinbrechens des Tourismus. Ich bin damit aufgewachsen. Auch in den Jahren des Studiums beim sommerlichen Mithelfen im örtlichen Tourismusbüro, auch im Dabeisein, wenn die Musikkapelle ein sonntäglich-sommerliches Platzkonzert gegeben hat. Dann habe ich wollen direkt dabei sein. Mit meinem Bassflügelhorn und den nachträglich eingesammelten Erinnerungen. Ich rede mit der Mutter darüber. Mamma ist nicht immer einverstanden. Na, sagt sie und warnt. Mach es nicht zu grob. Schimpf nicht so. Dann haben sie mich als Nestbeschmutzer abstempeln wollen. Stattdessen habe ich dem Tourismus „gedient“. Wenn es so wäre, hätte ich keinen Ötztaler Heimatverein gegründet.
Im Notizbüchlein habe ich notiert, in klerikal-plumper Naivität, Gehässigkeit. Gleichwohl katholisch gegen Juden wie gegen Protestanten. Die mit den Hörnern auf dem Kopf. So hat es uns die Talüberlieferung beigebracht:
„Längenfeld ist gegenwärtig vollgestopft mit Fremden
darunter sind leider zahlreiche Kinder Israels,
die durch ihr freches Benehmen den Leuten nicht
immer das beste Beispiel geben.“
Jaja ich weiß. Das habe ich schon beiseite gelegt. Darüber habe ich bereits geschrieben. Lass den alten Dreck. Jetzt reiße ich den Zettel heraus, hefte ihn an die Stadelwand, reiße ihn wieder herunter, stecke alles in ein Kuvert, klebe eine Marke drauf, adressiere das Kuvert, Frau Wohlgeboren Landesrätin, 6020 Landhaus. Kulturamt. Oberste Zensurfrau. Hat es uns Anfang 2012 wieder gezeigt. Hat dann im Juni aufgerufen zur landesweiten Nazigeschichtenaufarbeitung. Sollen die Museen Gedenkabende machen. Sie zahlt. Wenn es genehm ist. Zensur muss sein. Wie denn sonst? Ha? Und sowieso? Könnte ja jeder vom Kuchen etwas abschneiden. Die frommen Ötztaler sollen kommen und Bußgebete verrichten und den Fastenpredigten der frommen Landesrätin lauschen, dem Herrn Landeshauptmann endlich wieder ein Gewehr gespendet, die toten Böcke aus den Bergen geholt.
Es ist der katholische VOLKSBOTE, Anno 1912. Das Blatt lege ich beiseite und beginne zu sammeln, was erzkatholisch-antisemitsch-generell judenfeindlich an solchen und anderen Ergüssen aus den katholischen Zeitungen und aus handschriftlichen Briefen herauszulesen ist.
*
Richard Wolfram wird in Wien bereits 1932 in die NSDAP aufgenommen. Zur damals noch illegalen Ortsgruppe Wien gehörig. Heinrich Himmler, mitten drinnen im Geschäft, bringt am 1. Juli 1935 das vorher gegründete AHNENERBE als wichtigen Teilbereich in das Kulturreferat der SS ein. Befohlen zur „Erforschung von Raum, Geist und Tat des nordischen Indogermanentums“. In klarer, einfacher Form müssen die neuen Ideale dem deutschen Volk vermittelt werden. Was liegt da näher? Der Urgrund muss erforscht und dem Volk nahe gebracht werden. Das hat es durch Jahrhunderte schon gehabt. Da ist eine neue Sprache vonnöten.
Heinrich Himmler, der SS-Reichsführer, gründet und festigt das Ahnenerbe als „Studiengesellschaft für Geisteswissenschaften“. So ein kluger Mann. So gut gewählt, was er will.
Ich suche weiter: Himmlers Vorliebe für alte Sagen ist beispielhaft. Das sollte sich positiv für Rosenberg und Wolfram & Co auswirken.
1940 wird es den Parade-Propagandafilm in der Bündelung aller geheimen Kräfte altüberlieferter Sagen in Verbindung mit der Festigung des neuen Glaubens geben. Der Geierwally-Film wird 1940 in München uraufgeführt.
Der Film wird 1938 und 1939 überwiegend im Ötztal gedreht. Die damalige Nazi-Elite kommt ins Tal. Die Edelrasse trifft sich mit den neuen Hoffnungsträgern dieser alpin-dinarischen Rasse. Rosenberg hat es erkannt, Himmler hat es weitergeführt und exekutiert, Wolfram hat es wissenschaftlich untermauernd dem Volke im Sinne Himmlers nahe gebracht. Diese Älpler mit ihrer geistigen Bedürfnislosigkeit, ihrem „unkühnen Pazifismus“ müssen sozusagen befreit und dann als neue Zucht großdeutschtauglich eine Sonderrolle spielen. Rosenberg hat die extremen Formen des erst zu Anfang der Jahre ab 2010 ausbrechenden Total- und Brutaltourismus vorausgeahnt. Nein, nein. Der berühmte Komponist Ernst Krenek, der Tscheche und dann der USA-Auswanderer von 1939, hat es vorhergesehen und dramatisch deutlich formuliert. Die von Rosenberg gefürchteten „furchtbaren Anzeichen alpiner Überwucherungen des gesamteuropäischen Lebens“ haben sich ganz klar herausgestellt:
„die geistige Bedürfnislosigkeit, der unkühne Pazifismus, verbunden mit geschäftstüchtiger Schlauheit und Rücksichtslosigkeit im Verfolgen gewinnbringender händlerischer Unternehmungen sind diese furchtbaren Anzeichen“.
Präzise gesagt und geschrieben. Das möchte ich 2012 und 2013 und 2015 und bis an mein Lebensende alljährlich in die Felswände hinaufschreien. In abertausenden und millionenfachen Vervielfältigungen möchte und müsste ich diese Botschaften im ganzen Tal, im ganzen Land verteilen, verstreuen, verkünden. In unverwüstlicher, nicht verrottbarer Form. Und wenn es möglich wäre, zusammen mit meiner über die Ötztaler Berge verstreuten Asche. Ich weiß das. Es darf und kann nicht wahr sein. Treffender und pointierter hat keiner der Tourismuskritiker (außer Ernst Krenek über Sölden) jemals die Brutal-Degeneration der heutigen Tourismusmafia dieses Tales und anderer ähnlich gelagerter Täler des Landes beschrieben. Visionär. Anno 1930 für 2020.
Das Endresultat eines alpinen Volkes, „das sich in kulturloser Wildheit, gepaart mit fürchterlichem Aberglauben, offenbarte“ (Rosenberg).
Diese in kulturloser Wildheit dahinlebende Rasse, primitiv, aber wild und „fürchterlichem Aberglauben“ verhaftet, wird ZIEL auch der Bestrebungen des Ahnenerbes sein. Alte alpine Sagen können nutzbar gemacht werden. Alte alpine Sagen sind älter als das Christentum. Besser noch: Sie müssen als gemeinsames nordisches Kulturgut eingebunden sein. Deswegen baut der Geierwally-Film gekonnt und perfekt auch auf uraltem Sagengut rund um die Kult- und Kraftplätze des Tales, vor allem mit optimaler Nutzung der alten Sagen. Jetzt passen sie bestens hinein, die Saligen Frauen, die SALIGEN FRÄULEIN.
In diesem Jahr 1938 ist ernstlich durch die massive Kraft und Allmacht und Brutalität der Nazis der Plan aufgetaucht, das gesamte Talbecken unter Wasser zu setzen und ein Monsterkraftwerk zu errichten, eines der damals größten Projekte im Deutschen Reich. Groß und deutsch und wir alle wären unter Wasser gesetzt worden. Zum Wohle des großdeutschen Reiches. Mein Vater, der Tatte, der aus dem Pitztal stammende Älteste einer vierzehnköpfigen Familie „Hoad“, der in einem prominenten Hotel des Ötztals als Knecht und erster Autobuschauffeur des Tales als Bediensteter und als sorgender Familienvater seinen Dienst tut, hat den von meiner Mamma ererbten Bauernhof übernommen und mitbewirtschaftet. Er hätte weichen müssen. Mit Kind und Kegel und hinaus aus dem Tal. Ich erinnere mich nur mehr sehr undeutlich an nachträglich wiedergegebene Gespräche, wie er sich umgeschaut hat und wie er dann einen Hof am Mieminger Plateau besichtigen hat können, eine mögliche neue Heimat und das alles in den Jahren der Naziherrschaft und wie sie ihn noch als kranken und für die damalige Zeit bereits alten Menschen zum Kriegsdienst gezwungen haben, sodass er an beiden Weltkriegen hätte teilnehmen sollen. Dann sind hintereinander die Kinder gekommen. Ich im Februar 1938, ein Bruder im Jahre 1939, dann zwei Schwestern 1940 und 1941, alles mitten im Krieg und der Vater weit weg. Alles unsicher und Mamma allein mit uns. Dann ist eine weitere Schwester gekommen und ein Nachzügler im Jahre 1951. Und das alles habe ich später zusammengeklaubt. Immer mit Hilfe der Mamma. Neben ihr in der Stube, wenn sie gebügelt hat, wenn der warme Dampf aufgestiegen ist, wenn sie dann wieder niedergehockt ist und weitererzählt hat, wenn es sie angetrieben hat, ihrem Ältesten alles zu erzählen, zu erklären, von der Seele zu reden. Da hat der Tatte nicht mehr gelebt. Er hat mit dem Hof nicht weichen müssen. Das Projekt ist nicht zustande gekommen. Aber es begleitet mein Leben. Draußen am Taleingang und mehr und mehr auch am Talende nahe den Gletschern, die wir Ferner nennen. Es begleitet unsere Geschichte und die des Tales und die vieler Familien.
Der ehemalige PAULS-Wirt hat es getan. Es ist in den radikalen Nazijahren gewesen. Die Nachbarn haben es gesehen. Das Kreuz hängt droben am Truien in der Kapelle. Hinaufgeschossen. Ein solcher Tal-Nazi wie viele andere. Von der Gasthausküche aus. Das Fenster aufgemacht. Das Gewehr auf den Fensterbalken. Die Nachbarn haben es gesehen und gehört. Nach 1945 hat es niemand mehr gesehen haben wollen. Solche vergesslichen Nachbarn und Stammgäste beim Wirt. Er hat in der Hitlerzeit auf die Kapelle oberhalb auf dem Truien geschossen, auf das dort befindliche Kreuz des Gekreuzigten. Ob er getroffen hat? Ich weiß es nicht. Mamma ist mit mir zur geschändeten Kapelle gegangen. Dort haben wir gebetet, ein solches Rosenkranzgesetzlein und den Rosenkranz mit den Perlen durch die Finger gleiten lassen. So sehr hat danach das Umdenken eingesetzt, dass altbewährte religiöse und kultische Vorstellungen sage und schreibe binnen zwei oder drei Jahren auf diese Weise zu Tode geschosssen worden sind oder zu Tode hätten geschossen werden sollen. Es hat das totale Umdenken eingesetzt. Ich habe gesammelt und weitergeforscht, was im Geburtsjahr in meiner Herkunftsgemeinde anno 1938 und in den folgenden Jahren geschehen ist, was geschrieben worden ist, wer in den Dörfern und Kirchen das Sagen gehabt hat, wer linientreu und wer abweichlerisch, lebensgefährlich abweichlerisch gewesen ist. Knapp anderthalb Monate nach meiner Geburt hat der Oetztaler Bergbote die Festansprache des Sektionsführers der Mark Brandenburg in der ordentlichen Hauptversammlung am 31. März 1938 wortgetreu wiedergegeben und „wollen wir dem Ausdruck geben, wovon allen Deutschen in diesen Tagen das Herz voll ist
Was der alten Väter Schar
höchster Wunsch und Sehnen war,
und was sie geprophezeit,
ist erfüllt in Herzlichkeit“.
*
Ich sehe meine Mamma vor dem Haus auf der mit einem dicken Brett aufgesetzten Steinbank hocken. Neben ihr auf der Bank vielleicht die Fremde, diese später berühmtberüchtigte Nazifotografin der allerersten Sorte. Mein Großvater, der Johannes, als Modell für ein Foto. Knapp eineinhalb Jahre später könnte es gewesen sein. Ich sehe und höre meine Mamma. Nananana höre ich und wie sie entsetzt ist und sich verlegen über den Kopf und die Haare streift, immer und immer glattgestrichen und unverändert durch Jahrzehnte. Wie sie lesen würde, hätte ihr jemand, vielleicht ein Nachbar oder höchstpersönlich der Ortsgruppenleiter, die Aprilnummer des Oetztaler Bergboten heimlich oder offen und demonstrativ in den Türspalt gesteckt! Schlimmer noch, meint sie, wäre es jetzt geworden. Hat man ihr und den Menschen dieses Dorfes und dieses Tales in der Schule, vom Pfarrer und von rabiaten Predigern, diesen allmächtigen „Bußpredigern“, beigebracht, die Protestanten hätten Hörner, würde sie keine weitere Steigerung erleben müssen. Immer diese Gehässigkeiten. Sind doch auch Menschen. Gelobt sei Jesus Christus.
„In vierundzwanzig Stunden war der Pesthauch der Lüge aus Österreich weggefegt und die deutschen Menschen befreit von einer schamlosen Knechtung und Folterung der Seele, des Gewissens. Mit strahlenden Gesichtern, weinend vor Freude, sahen sich die deutschen Menschen in diesen herrlichen Tagen in die Augen.“
Aufs Kreuz geschossen. Die Abweichler nach Dachau geschickt. Und erst wie es weitergeht. Mamma und der Tatte schauen später von einem der Stubenfenster zur Kirche. Dort kleben an manchen Tagen, zeitlich in der Früh, aber im Dunkel der Nacht heimlich angebracht, die Spottgedichte. Sie gehen noch im Anbrechen des Tages heimlich und vorsichtig aus dem Haus, gehen zur Kirche und finden dort – wieder einmal – eine dieser Botschaften aus der anderen Welt. Schnell abgeschrieben und geschaut, dass niemand in der Nähe ist und wieder zurück ins Haus. Dort liest sie den Text des Spottgedichtes. BUCHSTABILLER sollen sie geheißen haben. Aber das ist erst anno 1944 und 1945 geschehen. Aber Mamma gehört zu den heimlichen Widerständlern und noch viel mehr der Tatte. Hinter der Hube versteckt, in einem Heustadel, einem Pille, dort mit anderen Männern, solchen Widerständlern. Viele Jahre später will ich diese Geschichten erforschen und die Haus- und Familiennamen erkunden und aufschreiben. Zu den größten Kostbarkeiten aus meinem Elternhaus zähle ich die Sammlung der Buchstabiller, sella züig und doss olles vrpöötn. Dieses Zeug und streng verboten. Das wäre richtig gewesen für Dachau und für das standrechtliche Erschießen. Der andere hat aufs Kreuz geschossen. Ich hocke mich nieder und lese laut, was der deutsche Sektionsführer stellvertretend für viele andere in seiner Festansprache in die Runde der Fanatiker, der Getreuen, der Geknechteten und der heimlichen Widersacher hineingerufen, hineingeschrien hat.
„Und wenn wir heute einen kurzen Blick werfen auf unseren kleinen Kreis hier im Alpenverein: Was bedeutet dieses Weltgeschehen für uns? Auch für uns im Deutschen Alpenverein ist eine wichtige Epoche unserer Arbeit abgeschlossen.“ Er wiederholt, setzt ab, nimmt den Zettel in die Hand. „… Jetzt tritt aber die weitere Aufgabe in den Vordergrund, die unser Führer uns stellte, als wir in die deutsche Sportfront eingereiht wurden: Wir sollten mithelfen, den deutschen Menschen so zu ertüchtigen, zu stählen an Leib und Seele, wir sollten mithelfen, ein hartes Geschlecht zu erziehen, dessen Nerven auch schweren Stürmen standhalten können.“
Sellamool wöll ja in diesen Tagen mag es geschehen sein, dass viele Leute im Tal nichts von diesen Reden und nichts vom Treiben der Nazis mitbekommen haben. Sie haben es nicht hören wollen. Sie haben die Ohren zugestopft, ein frommes Kirchenlied gesungen, für den Führer gebetet. Ich glaube es nicht, dass die Einheimischen nichts gewusst, gehört und gespürt haben. Der Bergbote müsste ja durchs ganze Tal gewandert sein; mit den Mannen und den Pferden und den ersten Maschinen. Ich verfolge Jahre später, Jahrzehnte später den Lauf der Ereignisse. Es hat sich Jahre vorher abgezeichnet. Der Bergbote kündet es sehr deutlich bereits Jahre vorher. Schon 1933 geht es massiv los. Zumindest hätte die Schar der Bergführer von Sölden und Vent den Bergboten auf den Schutzhütten der Sektion Mark Brandenburg lesen können. Wenn sie gewollt hätten. Wenn sie, wie ich denke, des Lesens auch kundig gewesen sind. Sie hätten es wissen können, hundertfach und tausendfach im ganzen Tal, wenn alle verfügbaren Transportmittel und alle tauglichen Männer und Frauen gegen angemessene Bezahlung und Honorierung die gewaltigen Materialtransporte von der Bahnstation mehr als 60 Kilometer durchs ganze Tal durchführen haben müssen. Immer als Transporte im Dienste des Volkes, zum Bau neuer Schutzhütten. Auch in meinem Geburtsjahr 1938. Da haben sie angefangen, die damals größte Schutzhütte zu bauen, weit droben auf Samoar als gewaltiges Bollwerk der neuen ALPENFESTUNG. Genau ein Jahr nach meiner Geburt haben die Mannen der Mark Brandenburg des Deutschen Alpenvereins am „Sonnabend, den 4. März 1939 im Marmorsaal, Bankettsaal und Nebenräumen des ZOOS … die Grundsteinlegung des Hermann-Göring-Hauses“ vollzogen. Nicht in Vent haben sie gefeiert, sondern in Berlin. Zu diesem Zweck haben sie im Zoo von Berlin das „liebe alte Meran“ als Kulisse nachgebaut. Heimatlichkeit sollte vermittelt werden. „Alle Teilnehmer kommen in der Tracht der Alpenländer … Beachten Sie bitte die Trachtenvorschriften!“ Die „gesamte Bevölkerung der Berge“ ist geladen.
Ob der Namensgeber Hermann Göring dabeigewesen ist, kann nicht mehr festgestellt werden.
Immer tiefer steige ich in die buchstäblichen Höhen und Tiefen des Treibens einer unfassbar brutalen Kultur. Rundherum Zerstörung und Wahnsinn. Und unabhängig davon ziehen sie sich zum Treiben mit Tracht und Folklore in ihren Zoo zurück. Unfassbar, was geschehen hätte können, hätte die Naziherrschaft mitsamt den brutalen Projekten und dem einsetzenden Massenmorden zumindest bis zum Jahre 1950 fortgedauert. Jetzt erst mit dem teilweisen Öffnen der Archive lernen wir Weltgeschichte und zugleich Lokalgeschichte. Das „liebe alte Meran“ als Kulisse war Kulisse wie die Pflicht-Trachten und die nach Berlin transportierten Musikanten aus den Tirolischen Gauen. Bedenken wir, was der Sektionsführer Prietsch am 21. März 1938, genau 35 Tage nach meinem Geburtstag, den festlich Versammelten zugerufen, zugeschrien hat:
„Bei all unserem Tun kehren aber die Gedanken in herzlicher Liebe immer wieder zu unserem Führer, der heute die schönsten Tage seines Lebens, den schönsten Lohn für alle seine Sorgen und seine Arbeit erlebt. Wohl nie ist er uns menschlich so nahe getreten wie jetzt, da er aufs tiefste bewegt seine Heimat wiedersieht, die ihn ausgestoßen hatte, die ihm jetzt als Befreier zujubelt … Und sie alle ermessen das Gefühl meines Glückes, dass ich nicht ein Leichen- und Ruinenfeld dem Deutschen Reiche zu erobern brauchte, sondern das, dass ich ihm ein unversehrtes Land mit glücklichen Menschen zu schenken vermochte …“
Das gesunde und unversehrte Land war zum Hoffnungsgebiet ausersehen worden: Die Ötztaler Alpen als mächtigste Bastion künftiger Energie aus Wasserkraft für das große deutsche Reich, ausgestattet und verbaut mit gigantischen Wasserkraftwerken. Das Pitztal, ausgesiedelt und ausgeräumt als künftiges Edel-Jagdgebiet für Nazibosse und Repräsentanten der neuen Edelrasse. Am Beginn des Ötztales mit der weltweit größten Windkraftanlage, alles zusammen getarnt unter dem Code-Begriff ZITTERAAL, für die neueste und die zu erprobende Herstellung neuer Raketen. Sie sollten den Endsieg möglich machen. Ich denke an das unbeschreibliche Elend der Strafgefangenen und der Zwangsarbeiter, die dort zum Stollenbau und zu lebensgefährlichen Arbeiten eingesetzt worden sind. Bis zu 3.000 sollen es gewesen sein. Auf allerhöchsten Befehl von Heinrich Himmler sind im April 1945 ungefähr 6.800 Häftlinge aus Dachau in Bewegung gesetzt worden mit dem erklärten Ziel ÖTZTAL. Es heißt in den aktuellen Schriften und Forschungen, es wären aber nur etwa 400 im Ötztal angekommen.
Drinnen wie draußen hat die Alpenfestung aufgebaut werden müssen.
Hermann Göring ist als Berliner Ehrenmitglied der Sektion Mark Brandenburg gewesen. Ihm zu Ehren ist die erste und einzige Hütte des Deutschen Alpenvereins nach einem Ober-Boss der Nazis benannt worden. Irgendeinmal ist er ins Tal zu SEINER Hütte gekommen.
Der Zitteraal ist weitgehend fertiggestellt worden.
Ötztaler Bergführer und Wirte haben sich angebiedert.
Ein freundlicher Pfarrer lobt das Wirken anlässlich der Feier zum 25-jährigen Bestehen des Brandenburger Hauses der Mark Brandenburg im Jahre 1934. Es hat also auch bereits die markante Aufbauarbeit gegeben.