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Wien, 1848 – ein Theaterstück inmitten der Revolution Die Suche nach einem Moment Unbeschwertheit Eine Schauspielbesetzung probt für die Aufführung des Ferdinand Raimund-Stücks "Der Bauer als Millionär". Es ist ein Versuch, der Realität zu entfliehen, die draußen vor den Mauern des Theaters in Wien herrscht, denn: Die Revolution ist im März 1848 ausgebrochen, und von draußen dringen Schüsse und Kampfgeschrei zu den verängstigten Darstellenden, die sich verzweifelt bemühen, ein Stück Normalität zu schaffen, einen sicheren Ort, weitab von Gewalt und Tod. Doch der Aufstand und die Geschehnisse gelangen über die Zeit unweigerlich ins Innere des Theaters und beherrschen schon bald die Bühne und die Personen, die auf ihr stehen. Ein Blick hinter die Kulissen in eine dramatische Vergangenheit Eine Vergangenheit, die von Zukunftsängsten und Ungewissheit geprägt ist: Peter Turrini beweist erneut seine Kunstfertigkeit bei der Figurenzeichnung, indem er in feinen Schattierungen die Schicksale der Menschen erschafft, ihre Träume und Wünsche für die Zukunft bunt malt. Er gibt seinen Charakteren im einen Moment Hoffnung, um sie im nächsten mit Karacho in die Hoffnungslosigkeit stürzen zu lassen.
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Peter Turrini
Peter Turrini
Theaterstück
Ich danke Silke Hassler für ihre Unterstützung beim Schreiben meiner Stücke.
Inhalt
1. Szene
2. Szene
3. Szene
4. Szene
5. Szene
6. Szene
7. Szene
8. Szene
9. Szene
10. Szene
Uraufführungen bei den Raimundspielen Gutenstein und im Theater in der Josefstadt
Das Theater ist eine gemeinsame Kunst, bisweilen
Zum Autor
Impressum
PERSONEN DER HANDLUNG
Der Erzähler Adam Holzapfel:
50 Jahre. Er führt durch dieses Theaterstück und schlüpft zwischendurch immer wieder in verschiedene Rollen. Er lässt sich von den Kaiserlichen als Füsilierer in einem Hinrichtungskommando anwerben. Er arbeitet als Hausmeister beim Theater, er ist ein verschmähter Liebender, ein Familienvater, ein Philosoph, ein Überlebenskünstler, ein Anarchist. Er ist vom Leben gezeichnet und wirkt dennoch alterslos. Die Aristokratie verachtet er und er sagt spöttisch, dass er aus dem Geschlecht der Holzäpfel stamme.
Der Schauspieler Nepomuk Ludel:
58 Jahre. Er besteht auf der französischen Aussprache seines Namens „Lüdell“. Die Kollegen im Ensemble nennen ihn „Nepo“ oder „Nepperl“. Er spielt in dem Stück den Fortunatus Wurzel. Er beschimpft ständig den Regisseur, verlässt unter Getöse die Probe und kommt nach einiger Zeit wieder zurück. Später erfährt man, dass er in den Burggarten geht, dort Metternich’sche Spione trifft und sie über revolutionäre Umtriebe im Theater informiert.
Die Schauspielerin Katharina Glück:
52 Jahre. Ihr Vater hat bei der Herrschaft als Wagner gearbeitet und ist unter die Räder gekommen. Sie ist in einer „Besserungsanstalt“ aufgewachsen und hat sich später einer vazierenden Theatertruppe angeschlossen. Mit Männern hat sie nie Glück gehabt, mit dem Theater schon. Dort kann sie alles sein, was sie im Leben nie sein konnte. Sie will unter keinen Umständen das Theater verlassen und zur „Revolution“ gehen. Sie spielt die Fee Lacrimosa. Als im Theater die Stimmung gegen das Kaiserhaus umschlägt, ist sie wie verwandelt. Sie stiftet das Ensemble dazu an, eine Schneiderpuppe in Kaisergewänder zu stecken und im Theater aufzuhängen.
Die Schauspielerin Zäzilie Wagner:
20 Jahre. Alle nennen sie im Theater „Zäzi“. Sie ist die Jüngste im Ensemble und die Fröhlichste. Sie spielt „Die Jugend“. Als Baby wurde sie vor dem Tor des Ordenshauses der „Schwestern zur Ewigen Entsagung“ abgelegt. Sie war bis zu ihrem zwölften Lebensjahr im Kloster. Eine der Klosterschwestern, die man dorthin abgeschoben hatte, sang mit ihr nächtens in der Zelle heimlich das Stundenlied und die beiden tanzten dazu. Als dies aufflog, landete Zäzilie auf der Straße und verdingte sich später als Dienstmädchen. Sie wurde missachtet, geschlagen und missbraucht. Sie floh und schloss sich einer Theatertruppe in der Vorstadt an. Sie sagt, dass es ihr Traum sei, einmal mit einem Heißluftballon über Wien zu fliegen, darauf spare sie. Im Prater gab es damals eine französische Firma, die Flüge im Heißluftballon, einer sogenannten „Montgolfière“ anbot. Nicht die Revolution soll ihr die Freiheit bringen, sagt sie, sondern der Heißluftballon. Sie will einmal die Welt von oben sehen.
Der Schauspieler Waldemar Bunzl:
35 Jahre. Ein melancholischer, schweigsamer Mensch, ein Trinker. Er spielt den Lorenz, den ersten Kammerdiener von Fortunatus Wurzel. Er ist ein hochtalentierter Schauspieler, aber er scheint bei den Proben zunehmend abwesend zu sein. Wenn der Regisseur die Geduld mit ihm verliert und ihn anschreit, dass er endlich aufwachen soll, antwortet er, ob man denn nicht spüre, dass der Tod ganz in der Nähe sei. Eines Tages verlässt er wortlos die Probe. Man hört vom Erzähler, dass er zu den Aufständischen gegangen sei und dass er – mitten in einer Schießerei – mit einer Fahne auf die Barrikade gestiegen sei und diese wild geschwungen habe. Wie durch ein Wunder sei er unverletzt geblieben. Er sei zum mutigsten Barrikadenkämpfer von Wien ausgerufen worden. Plötzlich taucht er wieder bei der Probe auf und fragt, an welcher Stelle er einsteigen soll.
Der Schauspieler und Regisseur Ferdinand Tassié:
38 Jahre. Bruder des Dichters Franz von Tassié. Als sich die Revolution in der Stadt immer mehr ausbreitet und die Theaterproben immer schwieriger werden, hält er es im Theater nicht mehr aus und will zu den Aufständischen. Er will das Leben nicht nur als Theaterspiel nachstellen, sondern in der Wirklichkeit erfahren. Er kommt wieder ins Theater zurück, als Toter. Der Erzähler Adam Holzapfel schleift seine Leiche auf die Bühne. Unter den Schauspielern entsteht Aufruhr, der schließlich zur Erhängung der Kaiserpuppe führt.
Kajetan Kammerlander sen.:
50 Jahre. Bürgerlicher Tuchhändler. Er hat sich aus kleinsten Verhältnissen hochgearbeitet und betreibt einen Tuchhandel mit angeschlossener Färberei. Er zählt sich zum liberal gesinnten Bürgertum. Er ist für „Press-Freiheit“ und sympathisiert mit einigen Ideen der Revolutionäre, sofern sie sich nicht gegen das Kaiserhaus wenden. Er lässt seinen Sohn studieren und wünscht sich, dass dieser eines Tages ins Geschäft eintrete. „Ein akademisierter Junior hebt das Ansehen unserer Firma, da wird aus einem umgefärbten Lumpen schnell einmal ein feines englisches Tuch“, sagt er lachend.
Karl Kammerlander:
22 Jahre. Sohn des Kajetan Kammerlander. Er ist Student der Jurisprudenz und nimmt mit anderen revolutionär gesinnten Studenten an der Erstürmung des niederösterreichischen Landhauses teil. Er wird verhaftet, soll standrechtlich erschossen werden, entkommt und versteckt sich im Theater. Er verliebt sich in die junge Schauspielerin Zäzilie Wagner, sie sich in ihn. Er versucht ihr die Revolution zu erklären, sie ihm das Theater.
ORT DER HANDLUNG
Ein Theater in Wien. Auf der Bühne finden die Proben von Ferdinand Raimunds Stück „Der Bauer als Millionär“ statt, in der Stadt eine Revolution.
ZEIT DER HANDLUNG
März bis Oktober 1848.
1.
(Die Bühne: Ein großer leerer Raum. Im Hintergrund eine Säule, an die ein Mann gekettet ist. Er trägt eine rote Hose, über seinen Kopf ist eine schwarze Kapuze gestülpt. Vorne an der Rampe sitzt der Erzähler Adam Holzapfel. Er hat den Uniformrock der Kaiserlichen Soldaten an, neben ihm liegt ein Gewehr. Er verzehrt mit Hingabe ein Schnitzel und redet zwischendurch mit dem Publikum.)
Der Erzähler Adam Holzapfel:
Guten Abend! Buona sera! Dober večer! Jó estét! Wenn ich Sie jetzt in allen Sprachen der österreichischen Monarchie begrüßen tät, wär kein End abzusehen. Also nehme ich eine Abkürzung ins Viennesische und sag: Grüß Sie!
(Er isst mit Hingabe das Schnitzel.)
Mein Name ist Adam Holzapfel, ich hab mich freiwillig zu die Kaiserlichen Füsilierer gemeldet. Die sind für standrechtliche Erschießungen zuständig. Dieses exzellente Schnitzel, das ich gerade mit höchster Freud verzehr, ist eigentlich die Henkersmahlzeit von dem da.
(Er zeigt nach hinten auf den Delinquenten.)