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Vom Flüchten und Ankommen, von Sehnsüchten und Hoffnungen: das neue Stück von Peter Turrini. Das "Fremdenzimmer" muss frei bleiben Das fordert Herta Zamanik, Mindestrentnerin, 62 Jahre alt, zum Leidwesen ihres Mannes Gustl, dem frühpensionierten Briefträger. Denn Hertas Sohn ist seit Jahren verschwunden, und sie will und kann die Hoffnung auf eine Rückkehr des verlorenen Jungen nicht aufgeben. Doch auch sonst führen die beiden ein eher tristes Dasein in einer kleinen Wohnung in der Peripherie von Wien. Sie haben sich auseinandergelebt über die Jahre, von gegenseitiger Liebe und Geborgenheit ist nicht mehr viel übrig geblieben. "Dass einer, der unsere Sprache nicht versteht, mich versteht, das versteh ich nicht." Eines Tages steht plötzlich der 17-jährige Samir im Wohnzimmer des Rentnerpaares, ein syrischer Flüchtlingsjunge, der offenbar auf der Flucht vor der Polizei ist und Unterschlupf sucht. Zunächst begegnet das Paar ihm mit Argwohn und den verbreiteten Vorbehalten. Bald schon aber scheint es, als würde Samirs Anwesenheit Herta und Gustl einander wieder näher und Wärme in das Leben der beiden bringen. Subtile Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik In seinem neuesten Stück schreibt Peter Turrini über das Fremdsein im eigenen Haus und das Vertrautwerden mit der Fremde. Auf subtile Weise greift er die Flüchtlingsthematik auf - und zeigt, dass man sich oft besser versteht, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht. Und wie schließt man die kulturelle Kluft zwischen Wien und Syrien? Am besten mit einer Partie Bauernschnapsen!
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Seitenzahl: 67
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Peter Turrini
Fremdenzimmer
Ein Volksstück
Heute und jetzt.
Ein leerer Raum. Der hintere Teil des Raumes ist eine kahle Mauer. Der Boden ist betoniert. Der Beton hat Risse, vereinzelte Grasbüschel wachsen zwischen den Rissen. Es sieht aus wie ein verlassenes Flugfeld. Die wechselnden Schauplätze dieses Stückes spielen immer in diesem leeren Raum und werden nur durch Licht und unterschiedliche Requisiten markiert.
Herta Zamanik, Mindestrentnerin (62 Jahre)
August „Gustl“ Knapp, frühpensionierter Briefträger (60 Jahre)
Samir Nablisi, Flüchtling (17 Jahre)
(Der leere Raum. Die Sonne geht auf, ihre Strahlen fallen auf die hintere Mauer. Musik erklingt.)
(Ein Junge, der 17jährige Samir, kommt mit einem Ball und schlägt ihn immer wieder gegen die Mauer. Sein Oberkörper ist entblößt, sein Kopf ist zur Hälfte rasiert. Man hört eine Polizeisirene und das Geräusch eines schnell näherkommenden Wagens. Der Wagen bremst mit quietschenden Reifen. Man hört das Öffnen von Autotüren und laute Stimmen von Menschen. Samir läuft davon. Musik.)
(Im Wohnzimmer von Gustl Knapp und Herta Zamanik. Die 62jährige Mindestrentnerin Herta Zamanik steht im Morgenmantel an der Mauer. Sie singt einen Schlager von Helene Fischer: „Und morgen früh küß ich dich wach“.)
Herta:
Du gehst und sagst so nebenbei
Heut’ Nacht, da wird es spät
Du weißt, wir wollten tanzen geh’n
Ich weiß, daß es nicht geht.
Und irgendwann, da werd’ ich fragen
Sag mir, wann komm endlich ich
Du mußt mir nicht ganz gehören
Doch manchmal brauch’ ich dich …
(Im Schlafzimmer von Gustl Knapp. Der 60jährige Gustl Knapp sitzt auf einem Stuhl vor der Mauer. Am Boden um ihn herum stehen selbstgebastelte Modellflugzeuge: vom B-52-Bomber bis zur einmotorigen Cessna 172. Gustl schaut vor sich hin. Musik.)
(Im Wohnzimmer. Herta und Gustl sitzen nebeneinander auf Stühlen vor der Mauer. Sie starren vor sich hin. Musik.)
(Im Wohnzimmer. Der Raum ist leer. Samir kommt in den leeren Raum und schaut sich vorsichtig um, an der Mauer stehen Stühle. Er schaut immer wieder nach links und rechts, als würde ihn jemand verfolgen. Herta kommt im Morgenmantel in den Raum. Sie sieht Samir und starrt ihn an.)
Herta:
(laut)
Schau Gustl, was da ist.
(Sie starrt Samir an. Er zieht sein Smartphone aus der Tasche und zeigt auf eine Steckdose an der Wand. Von draußen hört man das Schließen einer Türe und Schritte.)
Herta:
(laut)
Wo bist du denn so lang?
Gustl:
(von draußen)
Ich hab das Fahrrad in den Keller getragen.
(Gustl kommt in den Raum und sieht Samir, er starrt ihn an.)
Gustl:
Wer ist denn der?
Samir:
Samir.
Gustl:
Was? Wie? Was hat der gesagt?
Herta:
Irgendwas mit Samen.
Samir:
Samir Nablisi. Syria.
(Schweigen.)
Gustl:
Ein Wahnsinn. Da bringt man kurz ein Radl in den Keller und schon steht ein Ausländer in der Wohnung. Hat der was mit die Polizisten zu tun, die draußen im Hof herumrennen?
Herta:
Frag ihn.
Gustl:
Was will der?
Herta:
Frag ihn.
Gustl:
Kann der Deutsch?
Herta:
(zu Samir)
Deutsch?
Samir:
Deutsch.
Gustl:
Der soll was sagen.
Samir:
Österreich super. Neun Bundesländer.
Gustl:
Weiter.
(Schweigen.)
Gustl:
Der kann net Deutsch.
Herta:
(zu Samir)
Englisch?
Samir:
Yes.
Gustl:
Yes, was?
(Samir schweigt.)
Gustl:
Englisch kann er auch nicht.
Herta:
Du vielleicht?
Gustl:
Sag ihm, er soll verschwinden. Aber subito.
Herta:
(zu Samir)
Er will, daß du gehst. Jetzt, gleich. Also geh.
Gustl:
Ich kann sowas in meiner Wohnung nicht brauchen.
Herta:
Was soll das heißen, deine Wohnung? Das hör ich in letzter Zeit immer öfter. Ich wohn genauso da wie du. Also ist es auch meine Wohnung.
Gustl:
Die Wohnung läuft auf meinen Namen, ist das klar?
Herta:
Jeder Mensch braucht einen Platz auf der Welt, nicht nur du! Außerdem zahl ich den Einkauf unter der Woche.
Gustl:
Saufst du eigentlich schon zu Mittag? Du riechst dementsprechend.
Herta:
Ich trink, wann ich trink. Das geht dich einen Dreck an.
Gustl:
Wenn dir was nicht paßt, kannst jederzeit aus meiner Wohnung verschwinden. Und den Ausländer nimmst gleich mit.
Herta:
Der bleibt!
Gustl:
Der geht!
Herta:
Der bleibt. Wir werden ja sehen, ob du in der Wohnung alles bestimmen kannst und ich nix.
(Gustl geht schnell aus dem Raum.)
Herta:
Jetzt geht er Flieger basteln, ich kenn ihn ja. Nachher riecht der ganze Mann wieder nach Klebstoff. Widerwärtig. Wenn sie wenigstens fliegen könnten, seine Flieger. Da könnten sie ja ab und zu abheben. Aber bei dem hebt nichts mehr ab. Alles nur Papier und Klebstoff.
(Herta geht aus dem Raum. Samir ist allein im Raum und schaut sich um. Er steckt sein Smartphone an eine Steckdose an. Er geht zum Fenster und lauscht. Aus dem Hof hört man die entfernten Rufe von Männern. Herta kommt zurück in den Raum.)
Herta:
So nackert kannst du da nicht herumrennen. Ich hab dir ein Leiberl von meinem Sohn gebracht.
(Sie zieht ihm ein T-Shirt über. Auf dem T-Shirt steht: „Franz Klammer. Olympiasieger 1976“.)
Herta:
So, du bleibst da. Ich mach mich herzeigbar und geh dann kurz weg. Du rührst dich nicht aus der Wohnung. Er wird eher nicht auftauchen, weil er sich mit seine Flieger meistens stundenlang einsperrt. Aber wenn er kommt und dich aus der Wohnung schmeißen will, dann hör nicht auf ihn. Er ist hier nicht der Kapo, er ist ein alter, verklebter Scheißer, auch wenn er zwei Jahr jünger ist als ich. Hier herinnen spielt er den Starken, aber draußen ist er ein Versager.
(Sie geht aus dem Raum. Gustl kommt in den Raum.)
Gustl:
Aha, sie ist weg. Den Lurch hat sie nicht aus der Wohnung entfernt.
(Gustl beobachtet Samir.)
Gustl:
Franz Klammer. Olympiasieger 1976. Sie hat dir sicher gesagt, daß das Leiberl von ihrem Sohn ist. Es gibt keinen Sohn. Sie spinnt.
(Gustl beobachtet Samir. Schweigen.)
Gustl:
Das ist schon was anderes, wenn man so einen wie dich einmal nicht im Fernsehen oder auf der Straßen sieht, sondern in der eigenen Wohnung. Eine Frisur hast du wie ein Sträfling.
(Langes Schweigen. Samir schaut verlegen zu Boden. Gustl sieht, daß Samirs Smartphone angesteckt ist.)
Gustl:
Ich werde dir jetzt was sagen, junger Mann. Ich habe in der Zeitung auf der Gesundheitsseite gelesen, welche Impfungen man haben muß, wenn man hinunter nach Afrika auf Urlaub fahren will. Angefangen von Tetanus bis ich weiß nicht was. Weil die so viele Krankheiten haben, vor denen wir nicht geschützt sind. Aber was bitte is, wenn solche wie du von unten heraufkommen und ihre ansteckenden Krankheiten mitbringen? Ich kann dir sagen, was sein wird. Ihr steckts uns an und wir sterben aus. Langsam, aber unaufhaltsam. Früher haben die Weißen den Indianern die Krankheiten gebracht und die sind alle ausgestorben. Und jetzt kommen die Syrer, die Afrikaner zu uns und besiegen uns mit ihre Seuchen. Bist du gegen Tetanus geimpft?
(Samir schweigt.)
Gustl:
Bist du gegen Tetanus geimpft, frag ich dich.
Samir:
Österreich super. Neun Bundesländer.
Gustl:
Nix verstehen, was? Wenn ich der Herta sag, sie soll sich gegen Zecken impfen lassen, weil sie sonst eine Hirnhautentzündung kriegt, dann stellt sie sich auch blöd, wie du. Vermutlich hat sie die Krankheit schon, weil sie immer verrückter wird. Jeden Tag ein bißchen mehr.
(Schweigen.)
Gustl: