Sieben Sekunden Ewigkeit - Peter Turrini - E-Book

Sieben Sekunden Ewigkeit E-Book

Peter Turrini

4,9

Beschreibung

Hedy Lamarr: auf der Suche nach der Unsterblichkeit der weiblichen Schönheit. Einst galt sie als die schönste Frau in Hollywood – die sieben Sekunden, für die sie als erste Frau nackt auf einer Kinoleinwand zu sehen war, brachten ihr Weltruhm ein. Doch als Hedy Lamarr nun die Bühne betritt, ist sie alt und verwahrlost, ein halbleeres Glas Whisky in der Hand. In einem berührenden Monolog erzählt sie von verschiedene Stationen ihres Lebens: Von ihrer jüdischen Familie, ihrer Ehe mit einem Waffenfabrikanten, ihrer erfolgreichen Karriere als Erfindern – und davon, wie ihr Leben doch stets auf diese einzige Filmszene reduziert wurde. Peter Turrini, einer der bedeutendsten Dramatiker Österreichs, gibt in seinem neuesten Stück der Hollywoodikone eine Stimme: Er gewährt Einblicke in ein mögliches Leben der Schauspielerin und Erfinderin, das von der Öffentlichkeit zeitlebens auf sieben Sekunden reduziert wurde. -das neue Stück von Peter Turrini -ein berührendes Porträt der Hollywood-Ikone Hedy Lamarr -Uraufführung am 12. Jänner 2017 im Theater in der Josefstadt

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Peter Turrini

Sieben Sekunden Ewigkeit

Ein Spiel

Peter Turrini

Sieben Sekunden Ewigkeit

1.2016WIEN HÖHENSTRASSEKILOMETER 21

Die vollkommen leere Bühne. Man hört das Geräusch des Windes, ein heftiger Herbstwind. Eine große Leinwand fährt vom Schnürboden auf die Bühne. Ein Film wird auf die Leinwand projiziert: Die Kamera fährt von der Höhenstraße, bei Kilometer 21, auf eine Wiese neben der Straße. Die Sträucher auf der Wiese wiegen sich im Wind, trockene Blätter werden aufgewirbelt.

2.1937HOLLYWOODFOUR STARS THEATRE

Ein Hollywood-Star der 30-iger Jahre erscheint: strahlend und unnahbar, eine Göttin des Zelluloids. Ihr Auftritt wird erleuchtet von hunderten Blitzlichtern und begleitet vom Jubel der Menge.

3.1996ALTAMONTE

Auf der Leinwand sieht man eine nackte junge Frau über eine Wiese mit Sträuchern laufen, von links nach rechts. Die Einstellung dauert sieben Sekunden und wiederholt sich immer wieder. Eine Frau, etwas über achtzig, ziemlich verwahrlost, kommt von links auf die Bühne. Sie hat ein halbleeres Whiskyglas in der Hand und geht etwas unsicher. Sie spricht einen Menschen an, den man nicht sieht. Sie zeigt auf die Leinwand.

DIE FRAU

Geil, was? Das bin ich. Die Einstellung dauert sieben Sekunden. Sie hat mich weltberühmt gemacht. Ich wurde zur schönsten Frau der Welt erklärt und ein paar Millionen Männer haben auf mich onaniert. Das muß mir erst jemand nachmachen.

Schweigen.

Jim O’Connor, Dreckscop, Polizistenschwein, du hast mich im Straßengraben der Second Street aufgelesen und nicht auf die Wachstube gebracht, sondern in deine Wohnung. Weißt du eigentlich, wen du dir da eingefangen hast? Ich bin ja nicht nur die schönste Frau der Welt, sondern auch die klügste. Ich habe bedeutende Erfindungen gemacht. Schön und gescheit, macht dich das geil, Jim O’Connor, Police Sergeant von Altamonte, oder ist das zuviel für dein kleines irisches Polizistenhirn? Ich war immer zuviel für die Männer, nicht nur für die Iren.

Schweigen.

Ich kann alles erfinden, wenn du mir noch einen Whisky gibst, Jimmy, dann erfinde ich die Unsterblichkeit der weiblichen Schönheit und wenn meine Erfindung fertig ist, werde ich immer so schön sein wie auf diesen Bildern. Immer und ewig. Und dann werden alle diese Schweine, die in den letzten Jahren hinter meinem Rükken getuschelt haben, was für ein Wrack ich geworden sei und wie furchtbar ich aussehen würde, beim Anblick meiner ewigen Schönheit tot umfallen, vor Schreck. Tot umfallen werden sie und diejenigen, die nicht tot umfallen, werden ihren Hosenschlitz öffnen und sich beim Anblick meiner ewigen Schönheit einen runterholen. Halleluja!

Schweigen.

Jimmy, ich brauche was zu trinken, bitte. Wenn du eine betrunkene Lady in deine Wohnung mitnimmst, weil du ein guter Mensch bist, dann kannst du sie hier nicht verdursten lassen. Du kannst ihr nicht ständig sagen, daß sie mit dem Trinken aufhören soll. Das gehört sich nicht. Gutsein allein ist zu wenig. Einen guten Menschen erkennt man nicht nur an seinen Ermahnungen, sondern auch daran, daß er einen Whisky spendiert.

Schweigen.

Police Sergeant, wo bist du? Versteck dich nicht vor mir. Hör zu, ich mache dir einen Vorschlag. Du holst eine Flasche Whisky, ich trinke sie in einem Zug aus und falle dann tot um. Dann bist du mich mit einem Schlag los. Wenn ich tot auf deinem Teppichboden liege, dann gehst du zwei Straßen weiter in das Beerdigungsunternehmen Durbridge & Sons. Die Engländer sind die besten Totengräber, auch als Verbrenner sind sie nicht so übel. Die besten Menschenverbrenner sind allerdings die Deutschen und die Österreicher, aber die machen das nicht mehr so gerne wie früher. Du läßt mich also bei Durbridge & Sons verbrennen und fliegst mit der Urne nach Österreich, Wien-Schwechat, und von dort fährst du auf die Höhenstraße, Kilometer 21, gehst auf die Wiese neben dem Kilometerstein und verstreust meine Asche.

Schweigen.

Höhenstraße, Kilometer 21, verstehst du? In den zwanziger Jahren hat es unter meinen Freundinnen immer geheißen, in den Büschen links und rechts der Höhenstraße kommt jedes Wiener Mädel zu ihrem Höhepunkt. Ich nicht. Aber vielleicht lag es an meinen damaligen Verehrern, lauter jüdische Jünglinge mit offenem Cabriolet und frühzeitigem Samenerguß.

Schweigen.

Ich gehe nicht mehr zurück nach Österreich, nie wieder betrete ich Wiener Boden. Ella Weinstein, eine Freundin von mir, die in Los Angeles lebt, war in Wien, auf Einladung des dortigen Bürgermeisters. Es gab Kaffee und Kuchen und er sagte, daß es ihm furchtbar leid tue, was mit den Juden passiert sei. Müssen die immer ein paar Millionen umbringen, damit ihnen etwas leid tut? Heutzutage wird man in Wien als Jude hofiert, aber darauf kann man nicht bauen, Jud bleibt Jud.

Schweigen.

In den zwanziger Jahren haben die Wiener Juden alles gemacht, damit sie als echte Österreicher gelten. Sie haben sich Villen in Bad Ischl gekauft, sie haben sich älplerische Hüte aufgesetzt und gejodelt, sie haben sich ein Jahresabonnement in der Josefstadt zugelegt und wenn es sein mußte, haben sie sich mit Heimwehrführern fotografieren lassen. Der Hofmannsthal hat solange Weihrauch geschluckt, bis ihm der Jedermann eingefallen ist. Wenn man am Sonntag in ein Innenstadtlokal gegangen ist, dann wußte man sofort, an welchen Tischen die Juden sitzen. Das waren die mit den größten Wiener Schnitzeln. Koscher sind sie erst nach dem Holocaust geworden.

Schweigen.

In Wien, lieber Jimmy, wo du demnächst mit meiner Asche hinfahren wirst, in Wien hat es immer geheißen: So schaut’s aus. Ob jemand gekränkt wurde, verletzt wurde, beraubt wurde, getötet wurde, niemals ging es um ein Mitgefühl, sondern immer fiel dieser eine Satz: So schaut’s aus. Und das bedeutete, daß es immer schon so ausgeschaut hat und immer so ausschauen wird. Nichts wird uns je berühren, nichts wird sich je ändern.

Schweigen.

1941, als die Welt so ausschaute wie sie ausschaute, nämlich voller Krieg und Verderben, da habe ich den Mechanismus für steuerbare Torpedos erfunden. Bis dahin konnte die Frequenz, mit der ein Torpedo gesteuert wurde, vom Feind gestört werden. Bei meiner Erfindung gab es 88 Frequenzen, die ständig wechselten. Frequency-Hopping. 88 Frequenzen, wie die 88 Tasten eines Klaviers.

Sie spielt auf den Tasten eines imaginären Klaviers.

Was starrst du mich so an? Geh auf das Patentamt in Washington, US Patent Nr. 2297378, 14. Juni 1941 und schau nach.

Schweigen.

Ich dachte, jetzt werden die Torpedos ungehindert die Schiffe der Feinde erreichen und der Krieg wird schneller zu Ende sein und der Frieden wird kommen und die Welt wird nicht mehr so ausschauen, wie sie ausschaut. Aber dann kam der nächste Krieg und der nächste, immer schrecklichere Waffen wurden eingesetzt, immer größere Bomber wurden aufgetankt und mir fiel keine Erfindung mehr ein. Seither, Jimmy, schaut die Welt so aus, wie sie ausschaut.

Schweigen.

Weißt du, daß ich nur ein Glas Whisky brauche, damit sie wieder ein bißchen anders ausschaut? Ein bißchen besser. Ein Glas reicht für die Verbesserung der Welt.

Schweigen. Sie torkelt.

Oh Gott, jetzt habe ich das bißchen Whisky auch noch verschüttet. Das waren die letzten Tropfen meines Whiskylebens. Ich kann sie nicht so einfach im Bühnenboden versickern lassen.

Sie kniet nieder, kriecht den Bühnenboden entlang in Richtung Orchestergraben und leckt den Bühnenboden auf.

Je näher man an den Abgrund kommt, desto weniger schmeckt es nach Whisky. Am Ende schmeckt es nur noch nach Staub.

Sie fällt in den Orchestergraben. Auf der Leinwand läuft die Nacktszene, immer wieder.

4.1932HIRTENBERGER MUNITIONSFABRIK

Es läuft die Nacktszene auf der Leinwand, immer wieder. Die Frau kommt auf die Bühne in einem wunderschönen Kleid. Sie sieht strahlend schön aus.

DIE FRAU: