Esst euer Eis auf, sonst gibt's keine Pommes - Katja Zimmermann - E-Book

Esst euer Eis auf, sonst gibt's keine Pommes E-Book

Katja Zimmermann

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Beschreibung

Erlaubt ist, was funktioniert - Hauptsache, die Kinder überleben. Schwanger mit Zwillingen! Katja Zimmermann kann ihr Glück kaum fassen. Bald werden sie und ihre Jugendliebe eine richtige Traumfamilie sein. Bis Jonas ihr den folgenschweren Satz sagt: »Tut mir leid, das musst du ohne mich machen.« Seitdem schlägt sich Katja solo durchs Leben — mit Humor und Pragmatismus. Das »bisschen Haushalt«? Sieht die Wohnung halt aus wie nach Hurrikan Katrina. Selbstgekochter Babybrei? Es gibt doch Gläschen. Man muss schließlich Prioritäten setzen. Hauptsache, alle haben eine gute Zeit. Der Alltag mit Kindern ist zwar keine romantische Komödie, aber voller absurd-komischer Momente.

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Das Buch

Alleine mit Kindern? Dann sind Sie in bester Gesellschaft. Schon 2,3 Millionen Kinder wachsen in Deutschland in Ein-Eltern-Haushalten auf – Tendenz steigend. Auch Katja Zimmermann kämpft solo um Betreuung und mit ihren eigenen Ansprüchen, seit sich der Vater ihrer ungeborenen Zwillinge aus ihrem Leben verabschiedet hat. Und immer wieder hört sie diesen Satz: »Wie schaffst du das nur, alleinerziehend mit Zwillingen? Ich bin schon mit einem Kind und Mann überfordert.« Katja antwortet darauf höflich und routiniert: »Zum Glück weiß ich ja nicht, wie es mit einem Kind und Mann ist.« Und verkneift sich den anderen Teil der Wahrheit: »Ich kann es mir einfach nicht leisten, so viel Gewese um alles zu machen wie ihr.« Inzwischen sind die Zwillinge aus dem Gröbsten raus. Katja Zimmermann hatte traurige Zeiten, einsame Momente, aber auch eine Menge lustiger Erlebnisse. Sie hat erkannt: Mit Gelassenheit und sehr viel Humor ist das Leben als Alleinerziehende nur halb so anstrengend.

Die Autorin

Katja Zimmermann wurde 1972 in Westberlin geboren und arbeitet als freie Drehbuchautorin für alle Serien mit »Liebe« im Titel. Spezialität: Hochzeitsfolgen. Boshaftigkeit oder Ironie des Schicksals?

Katja Zimmermann

Esst euer Eis auf, sonst gibt’s keine Pommes

Meine Abenteuer als Alleinerziehende

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1417-4

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Umschlaggestaltung: Favoritbuero, MünchenTitelabbildung: © LenLis / www.shutterstock.com (Krake, Kinderköpfe); © K N / www.shutterstock.com (Pommes); © Anastasia_B / www.shutterstock.com(Einkaufswagen); © Adrian Niederhaeuser / www.shutterstock.com (Schuh)

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Leben ist das, was passiert, während du gerade dabei bist, andere Pläne zu schmieden.

(John Lennon)

Aber was, wenn du deine Pläne ums Verrecken nicht aufgeben willst?

(Katja Zimmermann)

Für meinen Vater

»Ich liebe mein Leben«, denke ich, als ich mit meinen lebhaften vorpubertären Zwillingen samt deren Vater im Kuppelrestaurant des Berliner Fernsehturms sitze und mir ein Stück warmen Schokoladenkuchen in den Mund schiebe. Wie wohlgeraten wir sind. Der blendend aussehende Mann an meiner Seite, ein echtes Alpha-Exemplar, für den ich nach all den Jahren und trotz allem, was wir erlebt haben, ein warmes Gefühl in mir finde. Gerade zückt er die Kreditkarte und verlangt nach der Rechnung. Meine selbstbewussten, einfühlsamen Kinder und ich selber, in den sogenannten besten Jahren, mit akzeptablen Falten, überschaubarer Angst vor dem eigenen Verfall und ebenso überschaubarer, aber immerhin existenter Karriere. Wenige hundert Meter Luftlinie entfernt die aufgeräumte Dreizimmerwohnung im nicht mehr ganz so szenigen, aber dafür umso gemütlicheren Szenebezirk in Berlins Mitte.

Nach dem Essen wird der Vater unsere Kinder dort betten, während ich meine zwei verbliebenen kinderlosen Freundinnen auf ein paar Drinks in meiner Stammkneipe treffe.

Obwohl ich schon seit vielen Jahren weiß, dass ich mich nicht um die Meinung anderer Leute scheren sollte, gebe ich mich einen flüchtigen Moment lang dem Gedanken hin, was die Menschen um mich herum wohl von uns halten. Das mittelalte Pärchen an der Bar zum Beispiel: »Ein tolles Paar, aber die Kinder könnten echt ein bisschen ruhiger sein.«

Ich kann nicht anders, als meinen Sohn zum gefühlt millionsten Mal in seinem Leben aufzufordern, leiser zu sprechen. Ich beteilige mich kurz am Kommando-Pimperle-Spiel, obwohl ich es an einem Ort, wo so mancher einen Tagesverdienst für vier Stück Kuchen und ein paar Heißgetränke ausgibt, für relativ unangemessen halte.

Dann bemerke ich den abschätzigen Blick der überschminkten Kellnerin, die sich bestimmt wundert, wie ich mich so ungekämmt auf die Straße trauen kann. Soll ich sie in meine Theorie einweihen, dass manche Menschen nie wie aus dem Ei gepellt aussehen, egal was sie tun, wohingegen andere von Natur aus ein »Gepflegt-Gen« in sich tragen? Lieber wende ich mich meiner Tochter zu, die – ganz klar mein Genpool – gerade ihren Schokomund am Ärmel abwischen will. Ich packe zu: »Stopp!« Kurzes verdutztes Innehalten, dann lachen wir los. Der Vater reicht seiner Tochter ein Taschentuch, und ich blicke hinüber zu den zwei wohlwollend blickenden Rentnerinnen am Nachbartisch. Die beiden lächeln uns zu, und ich weiß, sie sind sich sicher: »Was für eine glückliche heile Familie!«

Woher sollten sie auch wissen, dass es diese Familie in Wirklichkeit nie gab. Dass meine Kinder die kommende Nacht zum ersten Mal in ihrem Leben alleine mit ihrem Vater verbringen werden. Ich später nicht zu ihm ins Bett kriechen, mich an ihn schmiegen und ihm durch das volle Haar wuscheln werde, damit er endlich aufhört zu schnarchen. Morgen wird es kein lustiges Familienfrühstück geben, zumindest nicht in der Mama-Papa-Kinder-Konstellation.

Wir waren noch nie eine Rama-Familie, und wir werden es niemals sein. Nächste Woche wird der Vater wieder Tausende Kilometer weit weg sein, wo er die gesamte Kindheit unserer Zwillinge verbracht hat. Mit seiner neuen Familie. Ich nehme einen Schluck von meinem Crémant, um vorsorglich die leichte Wehmut wegzuspülen, die sich bei diesem Gedanken immer in mir regt, und wundere mich: Ich spüre nichts davon. Ich bin einfach nur glücklich und stolz. Ich bin alleinerziehende Mutter, und das ist auch gut so.

Wie alles begann

»Tut mir leid. Du musst das ohne mich machen.«

Jonas’ Worte kamen nicht bei mir an. Ich hatte ihn gerade vom Flughafen abgeholt, und wir saßen am Esstisch meiner Wohnung im fünften Stock mit dem spektakulären Blick auf den Alexanderplatz. Demnächst würde ich sie für eine praktischere Hochparterre-Bleibe aufgeben. Unsere erste gemeinsame Wohnung. Jonas war hier, um sie mit mir zusammen einzurichten. In den nächsten Wochen würde er seinen Job in Kalifornien kündigen und zu mir ziehen. Bald wären wir eine richtige Familie. Meine Magenverstimmung während unseres Karibikurlaubs hatte sich nämlich als – eine ungeplante – Schwangerschaft entpuppt.

So ungeplant wie eine Schwangerschaft eben ist, wenn man sich seit Jahren kennt, sich unzählige Male seine Liebe geschworen hat, über eine gemeinsame Zukunft redet und extrem lax verhütet. Vier Monate später sah der zukünftige Vater mich aber nicht vor Glück strahlend, sondern mit schlechtem Gewissen an.

Ich schaltete hormonbedingt sehr langsam: »Was?« Tiefes Durchatmen. Aufkommende Beunruhigung, aller Hormone zum Trotz.

»Ich bin mir jetzt sicher, dass ich Cherry noch liebe. Deswegen musst du die Kinder alleine großziehen.«

Es war ein Moment wie in einem schlechten Film. Schlechte Filme waren mir als Soap-Autorin definitiv ein Begriff, und ich merkte, wie sich mein Leben plötzlich in eine dieser absurden Geschichten verwandelte, die ich mir oft genug ausgesponnen hatte: Junge Heldin in den Zwanzigern durchlebt Irrungen und Wirrungen in der Großstadt. Pünktlich mit Eintritt des nicht mehr ganz so jungen Lebensalters (sprich 30) erscheinen ihr auf Unmengen Gin Tonic durchquatschte Nächte und der sinnlose Austausch von Körperflüssigkeiten plötzlich langweilig. Da taucht ihre Jugendliebe auf. Die beiden verbindet immer noch eine tiefe Freundschaft. Er gesteht auf Knien, dass er all die Jahre nur an sie gedacht hat. Nur mit ihr kann er glücklich werden. Deswegen verlässt er seine aktuelle Freundin, eine Australierin mit albernem Namen. Auch die Heldin erkennt, dass sie all die Jahre nur ihn geliebt hat, und die beiden reiten in den Sonnenuntergang.

Jeder vernünftige 90-Minüter wäre an dieser Stelle zu Ende gewesen. Seifenopern allerdings haben viele Folgen, und nichts ist langweiliger zu bespielen als Pärchenglück. Daher muss die Schwangerschaft die Jugendliebe zunächst in eine tiefe Identitätskrise und dann zurück in die Arme der Frau mit dem albernen Namen treiben.

Zugegeben, es hätte schlimmer kommen können: Zum Beispiel, wenn sich die Australierin als Psychopathin entpuppen und die Heldin aufsuchen würde, um sie aus Eifersucht die Treppe hinunterzustoßen. Diese würde daraufhin mehrere Monate im Koma liegen, um die Kinder dann womöglich noch zu verlieren. Kinder lassen sich in täglichen Serien nämlich noch schlechter bespielen als Pärchenglück.

In der Soap-Welt hätte ich es also mit »schwanger mit Zwillingen sitzengelassen« noch ganz passabel getroffen. Im realen Leben war das jedoch mein absoluter Alptraum, auf den ich in der einzigen mir möglichen Form reagierte: mit einem Lachanfall.

Wenige Monate, unzählige Tränen und Gin-Tonic-freie durchquatschte Nächte später hatte ich nicht mehr viel zu lachen. An meiner Brust hingen zwei entzückende, aber minimal schlafgestörte und maximal hungrige Babys: Nele und Luis. Jonas hatte sich immerhin zu einem zweimonatigen Berlin-Aufenthalt, inklusive gemeinsamem Babypflegekurs und Geburtsbegleitung, überreden lassen. Er zog zwei Wochen vor der Geburt bei uns ein. Eigentlich hätte jetzt alles noch gut werden können. Doch anstatt, wie von mir erhofft, über unser gemeinsames Fruchtbarkeitswunder seine Liebe für mich wiederzuentdecken, guckte er nur stur an mir vorbei und machte seine Arbeit: Kinder wickeln, einkaufen, Glühbirnen einschrauben, stillfreundliche Menüs kochen, Babys zur Fütterung anreichen und das alles zwar in verdammt unemotionaler, aber absolut tadelloser Manier. Ein Verhalten, das ihm bei meinen Freunden den Spitznamen »der Zivi« einbrachte. Mehr als einmal kam mir der Gedanke, er zeige sich extra als perfekter Vater, um mich zu quälen.

Denn bereits zwei Wochen nach der Geburt hatte er sein Versprechen zurückgezogen, mir im ersten Jahr in Berlin mit den Kindern zu helfen. Jonas wollte sich in Australien ein anderes Leben aufbauen an der Seite seiner alten neuen Freundin Cherry, weit weg von mir und unseren Kindern. Er zahlte mir nur zu gerne etwas mehr Unterhalt, damit ich ihn durch einen Babysitter ersetzen konnte.

Bevor ich mich versah, packte Jonas seine Sachen, gab Nele und Luis einen Kuss und verschwand aus unserem Leben. Nicht ohne mir alles Gute zu wünschen und die Überzeugung zu äußern, dass seine Kinder und hoffentlich auch ich ihn irgendwann verstehen würden. Hätte ich eine Schusswaffe zur Hand gehabt, ich hätte für nichts garantiert. Heute bin ich sehr froh, in einem Land zu leben, wo nichts dergleichen einfach verfügbar ist (auch wenn zwei Halbwaisenrenten einiges erleichtert hätten). Bis zu Jonas’ Abreise hatte ich mir eingeredet, dass alles noch gut werden und es ein Happy End für uns alle geben würde. Jetzt aber war es nicht mehr möglich, die Augen vor der Realität zu verschließen: Ich war alleinerziehende Mutter eines zwei Wochen alten Zwillingspärchens.

Während meine besorgte Familie und mein gesamter Freundeskreis sich vor allem um mein finanzielles Überleben sorgte, hielt sich bei mir zumindest die Existenzangst in Grenzen. Davon, was es bedeutete, Kinder zu haben und nebenbei für den Lebensunterhalt zu sorgen, hatte ich nämlich schlichtweg keine Ahnung. Ehrlich gesagt, hatten mich Kinder bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Teststreifen mit dem blauen Strich in der Hand hielt, auch nicht besonders interessiert. Eins war für mich aber ganz sicher, verhungern würden wir in dem Land mit Schusswaffenverbot und immerhin noch rudimentärem Sozialsystem nicht. Mich trieb etwas ganz anderes um, und zwar ein fettes Image-Problem. Alleinerziehende waren in meiner Vorstellung bemitleidenswerte Geschöpfe ohne gescheite Schulbildung und Perspektive, die von verantwortungslosen Typen ungewollt schwanger wurden. Ich hingegen war eine attraktive Akademikerin Anfang 30 und hatte mein Leben lang auf der Gewinnerseite gestanden. Die Vorstellung, dass ich selber jemals alleinerziehend sein würde, war mir folglich nie in den Sinn gekommen.

Okay, meine bisherige Beziehungsbiographie lief nicht wirklich Richtung Rama-Familie. Ich hatte in meinen Zwanzigern viele Männerbekanntschaften, aber wenig dauerhafte Beziehungen. Allerdings war ich stets überzeugt gewesen, dass nicht ich, sondern die Männer, die ich traf, die Verantwortung dafür trugen. Das war auch die einhellige Meinung meines Freundeskreises, der meinen Eroberungen meistens rein gar nichts abgewinnen konnte. Hatte einer der Kandidaten dann mal das Thumbs up, machte ich sicher in den nächsten Wochen Schluss mit ihm. Ich ahnte inzwischen, dass Beziehungsarbeit anders aussieht, und war mit Jonas endlich bereit gewesen, sie zu leisten. Doch ausgerechnet jetzt, wo es um die Zukunft meiner Familie ging, spielte die andere Seite nicht mit. Wäre ich nicht mit einer tiefen Abneigung gegen jede Esoterik ausgerüstet, ich hätte an schlechtes Karma geglaubt.

Obwohl ich zwei wundervolle Kinder zur Welt gebracht hatte, war mein ständiger Gedanke: Ich bin gescheitert! Was hatte ich nur falsch gemacht? Irgendetwas musste es doch sein. Denn Alleinerziehende waren in meiner Vorstellung selbst schuld. Meine Schwangerschaft war zwar kein Produkt eines unbedarften One-Night-Stands, schließlich kannte ich Jonas seit zehn Jahren. Hätte ich trotzdem ahnen müssen, dass ausgerechnet dieses pflichtbewusste, zugewandte Exemplar von Mann einer der verantwortungslosen Typen war, die schwangere Frauen sitzenließen? Anscheinend schon, denn selbst Teile meines aufgeklärten Umfeldes schoben mir die Verantwortung für meine Situation zu. Zwar war die spontane Reaktion immer: »Oh Gott, was für ein Arschloch.« Aber danach ließ die Relativierung nicht lange auf sich warten.

»Na ja, ihr wart ja noch nicht so lange wieder zusammen.«

»Hast du ihn denn eigentlich wirklich geliebt?«

»Du hast einfach nicht gut genug hingeguckt.«

Kaum einer fragte ernsthaft, wieso Jonas plötzlich so ein Totalausfall war. Selbst seine Eltern befanden, sie könnten sein Verhalten nicht verstehen und hätten keinerlei Einfluss darauf. Immerhin boten sie mir und ihren Enkelkindern ihre uneingeschränkte Unterstützung an. Ein Versprechen, das sie bis zum heutigen Tag halten. Mein Vater traf sich sogar zum Gespräch mit Jonas, nachdem dieser ihn darum gebeten hatte. Offensichtlich verspürte Jonas das Bedürfnis, ihm zu erklären, wieso er seine Tochter sitzenließ. Die Details des Austauschs habe ich nie erfahren, wahrscheinlich wollte mein Vater mich schonen, sein Urteil fiel allerdings so eindeutig wie niederschmetternd aus: »Vergiss Jonas! Der weiß selber nicht, was er will, und ist total konfus. Das Beste, was er tun kann, ist zu zahlen und so weit weg wie möglich zu verschwinden.« Das hatte er ja zum Glück auch vor. Ich war maßlos enttäuscht. Insgeheim hatte ich doch in meinem kindlichen »Papa wird’s schon richten«-Glauben gehofft, mein Vater würde ihn umstimmen.

Ich wünschte mir die Zeiten zurück, wo Schurken wie Jonas zur Heirat gezwungen oder wenigstens auf immer von der Gesellschaft verstoßen worden waren. Doch nichts dergleichen geschah hier. Sah denn niemand außer mir die sichere Katastrophe, auf die ich und vor allem meine vaterlosen Kinder zusteuerten? Wo blieb der moralische Aufschrei? Zugegeben waren die meisten unserer gemeinsamen Freunde und Bekannten perplex und bescheinigten mir, dass sie das niemals von Jonas erwartet hätten. Aber richtig böse war ihm keiner, denn er hatte offensichtlich eine zeitgemäße Entschuldigung gewählt: die romantische Liebe zu einer anderen. Wenn jemand nicht mehr liebt, kann man ihn zwingen zu bleiben?

Die Selbstverwirklichung als höchstes Gut meiner Generation trug dazu bei, dass viele Jonas’ Verhalten irgendwie nachvollziehbar fanden. Er hatte eben plötzlich festgestellt, dass sein Lebensplan ein anderer war. Konnte man ihm dafür wirklich einen Vorwurf machen? Dass mein Schicksal durch sein Handeln eine ungewünschte Richtung einschlug, war dagegen ein unvermeidlicher Kollateralschaden.

Nachdem Jonas sich endgültig verabschiedet hatte, saß ich in unserer Wohnung und betrachtete meine ahnungslos schlummernden Kinder. In mir wütete ein Sturm von Gefühlen, aus Wut, Angst, Hass und Verzweiflung. Aber da war noch etwas anderes: Dankbarkeit, Liebe und die Freude über das doppelte Geschenk, das mir buchstäblich in den Schoss gefallen war. Ich wusste intuitiv, dass ich mich an diesen Gefühlen festkrallen musste, um weitgehend unbeschadet aus der Sache herauszukommen. Jonas hatte dieses Geschenk abgelehnt. Eine Entscheidung, die er irgendwann bereuen würde, da war ich mir ganz sicher. Ich aber würde es aus vollem Herzen annehmen und das Bestmögliche daraus machen. Ich hatte keine Ahnung, was die Zukunft bringen würde. Nur eines wusste ich genau, ich würde mich die nächsten Jahre bestimmt nicht langweilen.

Der Masterplan

»Wie schaffst du das nur, alleinerziehend mit Zwillingen? Ich bin schon mit einem Kind und Mann überfordert.« Diese Frage bekomme ich heute noch bestimmt einmal pro Woche gestellt. Tja, Mrs Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? Meine höfliche Routineantwort lautet stets: »Zum Glück weiß ich ja nicht, wie es mit einem Kind und Mann ist.«

Das ist natürlich nur ein Teil der Wahrheit. Ich verkneife mir den anderen Teil, der nach Neid und der Durchhaltemoral meiner schlesischen Großmutter klingt: »Ich kann es mir einfach nicht leisten, so viel Gewese um alles zu machen wie ihr.«

Obwohl ich in den Baby- und Kleinkindjahren meiner Sprösslinge unzählige Euros in überteuerte Latte macchiatos investierte, zählte ich mich aufgrund meines Alleinerziehenden-Status nicht zu den ebenso belächelten wie verhassten Müttern meiner Generation, denen vorgeworfen wurde, rücksichtslos nur das Glück der eigenen Kinder zu verfolgen. Ich wollte selbstverständlich auch das Beste für meine Zwillinge, musste das aufgrund begrenzter Ressourcen jedoch mit dem geringstmöglichen Aufwand erzeugen. Deswegen war ich auch viel sympathischer! Fand ich jedenfalls.

Der wertvollste Rohstoff in meiner neuen Familie war meine Kraft. Die musste unbedingt eingeteilt werden. Ich brauchte einen Masterplan.

Never disturb a happy baby, lautete einer meiner Grundsätze. Störe niemals ein zufriedenes Kind. Leicht fiel es mir nicht, mich daran zu halten. Wie oft wollte ich in den ersten Wochen meine freudig glucksende Nele oder den eifrig in die Luft boxenden Luis vom Boden pflücken und knuddeln. Jedes Mal verbat ich mir derartiges Benehmen. Nicht etwa, weil (wie ich zu meiner Enttäuschung herausgefunden hatte) Babys gar nicht kuscheln. (Puh, wie lange dauerte das, bis man endlich so ein anschmiegsames Kuschelkleinkind hatte.) Ich wollte verhindern, dass die beiden sich an irgendetwas gewöhnten, was ich ihnen später nicht mehr bieten konnte. Unmöglich hätte ich Nele und Luis ständig auf dem Arm haben können, deswegen ließ ich sie zufrieden mit sich und der Welt auf ihren zwei Fellen im Wohnzimmer liegen und beobachtete, wie sie die Ärmchen in die Höhe reckten und den Kronleuchter anstrahlten.

Stillen nach Bedarf? Pustekuchen, schließlich brauchte ich ein paar Minuten am Tag, in denen mir kein Kind an der Brust hing. Also wurde eins geweckt, wenn das andere Hunger hatte, und dann ab an meine Still-Bar, eine von Jonas konstruierte Futterstation aus Kissen.

Selbstgekochter Babybrei, selbstgeschrotetes Dinkelmüsli und eingekochte Biomarmelade? Dazu war mir meine Zeit definitiv zu kostbar. Als ich mit dem Stillen durch war, klingelte der Paketbote mehrmals die Woche und brachte Pakete mit Gläschen aus einer Drogeriekette. Meine Wohnung sah aus, als hätte Hurrikan Katrina nicht in New Orleans, sondern in Berlin-Mitte gewütet. »Das bisschen Haushalt« war für mich wirklich kein Problem, da ich nur das Nötigste erledigte. Putzen ja, aufräumen war nicht mehr drin.

Spontanität? Vergiss es! Meine Freiheit und meine Arbeitsfähigkeit hingen an einem seidenen Faden, dem strengen Schlaf-Wachrhythmus meines Nachwuchses. Ich hasse Struktur, trotzdem wusste ich, dass ich keine Chance hatte, sobald ich mich einfach so treiben ließ. Die Folge waren strenge Stillzeiten mit rigoroser Buchführung: linke Brust, rechte Brust, jeweils die Kinder im Wechsel. Mittagsschlaf erfolgte nach Uhr. Ich brauchte meine Inseln der Ruhe in diesem Meer von Anstrengung. Außerdem wäre sonst keinerlei Planung möglich gewesen.

Ich war eine Muttermaschine, und zwar eine perfekt funktionierende. Darauf war ich auch ein bisschen stolz. Was hatte ich schon vorzuweisen? Ein Einser-Abi und einen Studienabschluss, einen super Freundeskreis und einen Job in den Medien. Angesichts dieser zwei Wunderwesen, die ich in meinem eigenen Körper produziert hatte und nun nährte, war das alles nichts!

Wenn ich durch die Straßen ging, erntete ich bewundernde Blicke und musste so manchem Unbekannten Rede und Antwort stehen: Ja, Zwillinge, Junge und Mädchen, nein, zweieiig, eineiig würde bedeuten, sie sind genetisch identisch, können also nur gleichgeschlechtlich sein. Dann entspann sich meist folgender Dialog: »Oh, wie süß, ist aber viel Arbeit, oder?«

Ich so: »Ach was, ist mir die reinste Freude.«

Ein anerkennender Blick. »Respekt.«

Da sollte noch mal jemand sagen, die Deutschen wären nicht kinderfreundlich. Ich stolzierte weiter, mit einem Lächeln auf den Lippen. Wie schön war mein Leben! Vergessen die Qual, sich mitten in der Nacht aus dem Bett zu schälen, um schreiende Babys zu beruhigen, die Trauer über die Trennung und die Ängste, wenn ich allein neben einem fiebernden Kind wachte. Die Welt war rosarot und ich eine Heldin.

Irgendwann wollte ich wie die meisten Eltern mein Erwachsenenleben zurück, aber das war nicht so einfach. Von der langgehegten Vorstellung, als junge, hippe Mutter die Kids mit auf jede Party zu schleppen, hatte ich mich da längst verabschiedet. »Kein Babysitter – kein Spaß.« Denn der männliche Arm, auf dem ich meine Goldstücke guten Gewissens hätte abladen können, während ich an einem Prosecco-Aperol nippte und mit meinen Freundinnen lachte, war einige tausend Kilometer entfernt damit beschäftigt, ein besserer Mensch zu werden.

Das Beste ist gut genug, oder: »Habe keine Angst vor der Perfektion. Du wirst sie nie erreichen!« (Salvador Dali)

Ich hatte den anderen Müttern vor allem eine Sache voraus. Auf den Riesenanspruch, den Frauen mit Kindern in unserem Land ausgesetzt sind und den sie sich vor allem selber bescheren, konnte ich als Alleinerziehende mit Zwillingen zum Glück pfeifen.

Ich wusste von Anfang an, dass ich es nicht schaffen würde, eine perfekte Mutter für zwei kleine Kinder zu sein, wieso sich also selber quälen? Das Rollenbild Mutter war für mich sowieso auf ungewöhnliche Weise besetzt. Ich eiferte niemandem nach. Meine eigene Mutter hatte meinen Vater, meinen Bruder und mich verlassen, als ich drei war. Knapp ein Jahr später heiratete mein Vater, ich bekam eine Bonusmutter (ich liebe Jesper Juul für diese Wortschöpfung) und nach einiger Zeit noch eine Halbschwester. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu der Frau meines Vaters. Meine Eltern, das sind ganz klar sie und mein Vater, obwohl ich später auch zu meiner leiblichen Mutter und ihrem Mann Kontakt hatte. Dank der Ironie des Schicksals oder des transgenerationalen Risikofaktors Scheidung würden nun meine Kinder ohne Vater aufwachsen.

Mein Mutterbild bastelte ich mir selber. Oberstes Gebot war, es uns allen gutgehen zu lassen. Wenn es mir nicht gutging, würde ich unfähig sein, meinen Kindern die Aufmerksamkeit und Liebe zu geben, die sie verdienten. Da ihr Vater ihnen das nicht geben konnte, war der Druck natürlich ungleich größer. Ich musste eine Schippe drauflegen.

Auch wenn herkömmliche Perfektion für mich nicht drin war, wollte ich meinen zwei Wunderwesen die beste Mutter sein, die ich ihnen in meiner Situation eben sein konnte. Hilfreiche Faktoren für diese Mission waren mein natürliches Phlegma, das sich bei der Aufzucht von äußerst lebhaften Zwillingen als Gelassenheit interpretieren ließ, sowie gesunder Optimismus gepaart mit exorbitanter Naivität. Letztere Charaktereigenschaften hatten wahrscheinlich nicht unwesentlich zu meiner Lage beigetragen. So war es nur gerecht, dass sie mich jetzt vor allzu großen Existenzsorgen schützten. Unterstützend waren selbstverständlich auch meine Hormone am Werk. Ich liebte diese Wesen, die ich mit meinem eigenen Körper geschaffen hatte, von der ersten Sekunde an, und dieses Gefühl half mir durch die anstrengenden Nächte. Die Nächte, in denen ich stundenlang erst den einen, dann die andere durch die Gegend getragen, gestillt und gewickelt habe, bis ich fast im Stehen einschlief. Wenn ich am Morgen danach mit bis zu den Knien reichenden Augenringen an ihre Betten trat, wo die beiden fröhlich strampelten, waren all die Qualen vergessen. Ich war einfach nur noch glücklich. Eine postnatale Depression wäre in meiner Situation aber auch nicht fair gewesen.

Ich will Teil einer Jugendbewegung sein – oder so ähnlich …

Ich war eine Heldin, die sich mit Zwillingen durch Berlin schlug. Den Doppelkinderwagen nicht etwa angstvoll umschlungen wie die anderen Helikoptermuttis, sondern lässig schiebend, das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Hoppla, hier komm ich, seht her, wie gut ich das mache! Seht her, wie glücklich ich bin! Ich wollte allen beweisen, dass ich nicht die bemitleidenswerte, sitzengelassene alleinerziehende Mutter war, wollte ums Verrecken keine Schwäche zeigen.

In Wahrheit schämte ich mich oft für meinen Zustand und hasste die mitleidigen Blicke und Bemerkungen, die ich erntete, sobald ich uns als Ein-Eltern-Familie outete. Erst viel später, meine Kinder gingen zu dem Zeitpunkt schon in den Kindergarten, begriff ich, wie sehr ich mit meinem selbstbewussten Auftreten mein Umfeld täuschen konnte. Eine Mutter, deren Tochter in dieselbe Einrichtung wie Nele und Luis ging, fiel aus allen Wolken, als sie erfuhr, dass ich keinen männlichen Versorger hatte. Sie hatte mich immer fürchterlich gefunden, weil sie dachte, ich hätte diese perfekten Zwillinge und einen gutverdienenden Mann, dessen schier unendliche Ressourcen es mir ermöglichten, meine Tage mit der Kinderaufzucht zu verbringen: »Jetzt bist du mir gleich viel sympathischer.« Ich war baff, aber auch zufrieden und stolz, dass meine Scharade funktioniert hatte. Obwohl ich einen Hammerjob hinlegte und das von allen Seiten bestätigt bekam, wollte ich nämlich nur eins sein: eine Mutter wie alle anderen.

Als Scheidungskind hatte ich immer gehofft, es einmal besser zu machen als meine Eltern. Ich war mir sicher, ich würde einmal die perfekte Familie haben. Das saß tief. Während ich also tagsüber alles im Griff hatte, weinte ich nächtelang aus Liebeskummer und Trauer darüber, dass Nele und Luis ohne Vater aufwuchsen. Ich malte mir aus, wie sie wegen ihrer schlechten Schulnoten und einem dicken Dachschaden von ihren Altersgenossen ausgegrenzt würden. Vor allem sorgte ich mich um Luis. Jungs brauchen doch ein männliches Vorbild! Das arme Kind. Und wer war schuld an all dem Unglück? Ich, weil ich den Mann nicht hatte halten können.

So selbstbewusst ich auch daherkam, hatte ich all die Klischees, die es über Alleinerziehende gab, tief in mir verinnerlicht. Ich überlegte unaufhörlich, was ich hätte besser machen, wie ich Jonas zum Bleiben hätte überreden können, und ich ärgerte mich über meine Ohnmacht. Nachts fraßen mich diese Gedanken förmlich auf. Tagsüber strahlte ich jedoch, bestrebt dazuzugehören und zu beweisen, wie mühelos ich alles hinbekam: auf dass die Rama-Muttis vor Neid erblassten. Ziemlich unsolidarisch und unauthentisch erscheint mir mein Verhalten heute, als Überlebensstrategie funktionierte es aber super.

Natürlich ist es für keine Mutter leicht: die Doppelbelastung in Beruf und Haushalt, die unbezahlte Erziehungsarbeit auf der einen Seite, der verständnislose Arbeitgeber und die genervten Kollegen auf der anderen. Wir Frauen, auch die verheirateten mit Einzelkindern, haben es schwer, solange das Patriarchat uns immer noch im Griff hat. All das unterschreibe ich sofort. Auch unser Sozialsystem ist zutiefst konservativ, worunter besonders Alleinerziehende leiden. Und ich selber habe mit meinem Verhalten reichlich wenig dazu beigetragen, das zu ändern. Wahrscheinlich hätte ich die Ungerechtigkeit lauter herausschreien sollen, anstatt Generation-Ally-mäßig emsig zu sein, zu lächeln und mein Bestes zu geben. Meine Entschuldigung? Ich wusste es nicht besser. Ja, ich fühlte mich unzulänglich ohne Mann. Ich wollte keine Randgruppe sein, sondern Teil einer Jugendbewegung. Oder so ähnlich.

Machen wir uns nichts vor. So à la mode, wie manchmal behauptet, ist das Alleinerziehen nicht. Es ist fast immer eine Notsituation, wenn auch für viele die bessere Wahl. Einige meiner Freundinnen zum Beispiel mussten erkennen, dass sie ohne den Erzeuger ihrer Kinder besser dran sind. Im Gegensatz zu mir haben sie versucht, das traditionelle Familienmodell zu leben, und sind daran gescheitert. Aber selbst wenn sie davon überzeugt sind, dass ihre Kinder glücklich und zufrieden aufwachsen, propagiert keine von ihnen ihre Lebensform.

Egal, ob erfolgreiche Anwältin, Lehrerin oder Drehbuchautorin – den Alleinerziehenden-Status hängen wir nicht an die große Glocke, denn wir fürchten die Nachteile: Im Job wird man als Risikokandidatin, bei der Partnersuche als »leicht zu haben« eingestuft. Viele Frauen mit Mann sehen einen als Mahnmal oder potentielle Gefahr und wahren die Distanz. Auf echtes Verständnis für die eigene Situation können, so unsere Erfahrung, Alleinerziehende in den seltensten Fällen hoffen.

Das Leben der anderen

»Mein Mann arbeitet so viel. Ich bin praktisch auch alleinerziehend.« Das erste Mal hörte ich diese Behauptung im sechsten Monat. Eine Bekannte wollte mich wohl trösten, als sie erfuhr, dass der Vater meiner Kinder alles andere als begeistert von unserem Fortpflanzungserfolg war. Obwohl damals noch nichts endgültig entschieden war und ich keinen Schimmer davon hatte, wie hart mein Alltag später werden würde, spürte ich Widerwillen in mir aufsteigen. Das konnte man doch nicht vergleichen!

Hätte ich da schon gewusst, wie oft ich in den kommenden Jahren mit einer Aussage dieser Art konfrontiert werden würde. Heute muss ich mich beherrschen, mein Gegenüber nicht zu schütteln und zu rufen: »Du hast doch keine Ahnung, wovon du redest!«

Stattdessen atme ich tief durch und stelle richtig, dass sich meine Probleme nicht auf Engpässe bei der Kinderbetreuung reduzieren lassen. Ich führe zum Beispiel geduldig aus, dass Doppelverdiener sicher weniger Existenzsorgen haben und sich das Leben stressfreier gestaltet. Ich versuche verständlich zu machen, wie anstrengend es ist, jede kleine Entscheidung selbst zu treffen. Wie emotional aufreibend, Kinder, die ihren Vater vermissen, zu trösten. Ihnen zu erklären, dass man selber nicht weiß, wieso Papa sich nur einmal im Jahr zeigt, und nur er ihre Fragen beantworten kann. Ich berichte von meinem ewig schlechten Gewissen, dem beschissenen Gefühl, nachts alleine mit einem kranken Kind zu sein und sich zu fragen, ob man das andere jetzt aufweckt, um gemeinsam in die Notaufnahme zu fahren. Kurzum, ich präsentiere eine endlos lange Liste von Erfahrungen, die mein Gegenüber mit ihrem Mann, der »nur« zu viel Zeit im Büro verbringt, hoffentlich nie machen wird.

Ich frage mich oft, wie diese Frauen dazu kommen, zwei komplett verschiedene Lebenssituationen zu vergleichen. Ist es der ungelenke Versuch von Solidarität oder pure Ignoranz? Wieso haben so viele Menschen offensichtlich keine Ahnung davon, was es bedeutet, alleinerziehend zu sein? Wollen sie es etwa gar nicht so genau wissen?

Bei vielen Müttern spielt sicher die Angst mit, selber alleinerziehend zu werden. Ich beschäftige mich auch nur ungern mit Dingen, die ich fürchte. Bei der aktuellen Trennungsrate stehen die Chancen, dass es einen trifft, schließlich gar nicht schlecht. Oder sind diese Frauen so frustriert über ihre Beziehung und die mangelnde Unterstützung ihres Partners, dass sie ihr Schicksal wirklich als genauso hart empfinden?

Eine weitere Vermutung, mit der ich oft konfrontiert werde, ist, Alleinerziehende würden mit staatlicher Hilfe verwöhnt: »Dafür bekommst du doch wenigstens gut Geld vom Staat und musst kaum Steuern zahlen. Na ja, und die Kinderbetreuung ist doch für dich auch umsonst.«

Woher kommt dieser Mythos? Meine Theorie ist, dass die Menschen einfach ein naives Bild von unserem Sozialstaat haben. Bei uns wird Menschen in Not geholfen, wie könnte es anders sein. Ist doch logisch, oder? Unzählige Male musste ich aufklären, dass ich als ledige Frau mit Kind mehr Steuern zahle als Eheleute ohne Nachwuchs, die vom Ehegattensplitting profitieren.

Obwohl die Situation der Alleinerziehenden vor allem in den letzten Jahren in der Presse immer häufiger thematisiert wird, scheint die Botschaft nur langsam bei den Bürgern anzukommen und noch langsamer bei den konservativen Politikern. Mit 2 Euro mehr Kindergeld für alle ist für sie das Thema erledigt.

Ansonsten habe ich das Gefühl, die Wahrnehmung alleinerziehender Frauen changiert irgendwo zwischen Mitleid und Neid. Ich hätte es selber nicht geglaubt, aber aus unerfindlichen Gründen werden wir auch beneidet. Davon zeugt ein weiterer Standardspruch bemannter Bekannten, den ich und meine alleinerziehenden Freundinnen viel zu oft zu hören kriegen: »Du kannst froh sein, dass du alleine bist. So sparst du dir den ständigen Streit um die Kindererziehung.«

Ja, danke, denk ich da als alleinerziehende Mutter. Ich streite mich gerne ein wenig mit deinem Mann für dich, wenn du ihn mir dafür für Sex, Babysitting und das Bezahlen unserer Rechnungen vorbeischickst.

Friends with kids

Ganz so alleine war ich bei der Alleinerziehung meiner Kinder übrigens gar nicht. Ich hatte das Glück, neben sehr engagierten Großeltern über einen Freundeskreis zu verfügen, in dem mein Zustand eine enorme Welle der Hilfsbereitschaft auslöste.

Vorausschauend und entgegen aller üblichen Nestbauinstinkte hatte ich für meine neue Familie eine zentrale Innenstadtwohnung als Bleibe ausgesucht. Natur befand ich, selber ein Stadtkind, war bei der Aufzucht des Nachwuchses sowieso überbewertet. Ich wollte mittendrin sein, den Anschluss nicht verlieren und möglichst viel Besuch und Unterstützung bekommen. Dieser Schachzug erwies sich nach Jonas’ Flucht als genial. So konnte ich mühelos einen Tipp beherzigen, der in quasi jedem Erziehungsratgeber stand, und übrigens der einzige war, den ich wirklich ernst nahm: Nimm jede Hilfe an, die du angeboten bekommst! Wenn du keine angeboten bekommst: Fordere sie ein! Ich fragte also nach Hilfe, was das Zeug hielt, und bekam sie auch von vielen Seiten angeboten.

Nachdem Jonas sich endgültig verabschiedet hatte, organisierte ich mir jeden Abend Besuch, der mich bekochte oder eins der Kinder herumtrug, wenn sich die Zwillinge pünktlich um 21 Uhr für zwei Stunden von zufrieden lallenden Engeln in einen Fall für den Exorzisten verwandelten. Ohne diese Retter in der Not wäre ich verzweifelt. Hierbei erwies es sich auch als glücklicher Umstand, dass ich eine der Ersten war, die mit der Vermehrung angefangen hatte. Meine Babys verfügten somit über einen gewissen Neuigkeitswert und meine Freunde über eine Ressource, die mit der Elternschaft so richtig wertvoll und knapp wird: Zeit.

Als sie dann wenige Jahre später selbst Nachwuchs bekamen, tauchten die meisten von ihnen nämlich monatelang, manche gar jahrelang ab und waren beim Auftauchen oft nicht wiederzuerkennen. Jan, der früher pausenlos filterlose Zigaretten geraucht hatte, betete einem ungefragt die Testberichte sämtlicher Babynahrungshersteller herunter. Meine Freundin Hanne, die immer so stolz auf ihren Flohmarktstyle gewesen war, trug plötzlich Jack-Wolfskin-Jacken und kutschierte ihr Kind in einer Karosse umher, die viermal so teuer war wie ihr erster Kleinwagen.

Kinderlose sind irritiert über das ständige Gejammer ihrer Freunde, die eine Familie gegründet haben. Alleinerziehenden geht es ähnlich. So richtig empathisch stimmen einen die Erzählungen der befreundeten Normaleltern nicht.

»Max und Charlotte haben Windpocken, und jetzt hat sich Andreas vielleicht auch noch angesteckt. Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht,« klagte Hanne während eines besonders harten Kita-Winters. Ich nickte zwar mitleidig, musste mir aber die Bemerkung verkneifen, dass ich meine Kinder durchgeimpft hatte, um mir Ähnliches zu ersparen.

Als Verfechterin eines pragmatischen Erziehungsstils wunderte ich mich des Öfteren über die Angewohnheiten befreundeter Normaleltern. Meine Freundin Nora zum Beispiel ließ sich erst nach dem x-ten Anlauf endlich zum Ausgehen überreden, obwohl ihre Kleine längst aus dem Gröbsten raus war. Statt wie verabredet um 20.30 Uhr tauchte sie erst um 22 Uhr auf, weil die Kleine nicht von Papi, sondern nur von Mami ins Bett gebracht werden mochte. Unwillkürlich dachte ich an meine eigenen Kinder, die ausgelassen mit dem 20-jährigen indonesischen Mann einer Freundin getobt hatten, als ich das Haus verließ. Und wie froh ich gewesen war, für ein paar Euros wenigstens das leidige Einschlafritual abzugeben.

Für manche Mütter mag das Zubettbringen ihrer Kinder zu den magischen Stunden des Tages gehören. Für mich war das nicht so. Vielleicht wäre es anders gewesen mit einem Partner, der die Aktion dann und wann mal übernahm oder mit dem ich mich gar über dieses Privileg hätte streiten können. Aber wie bei allem, was Kinder und Haushalt betrifft, sind Alleinerziehende auch beim Zubettbringen täglich gefordert. Nele und Luis waren noch nie gute Schläfer gewesen, aber seit ihrem zweiten Lebensjahr artete unser Abendritual jedes Mal gewaltig aus: Gab es einen Vorlesestopp, wurde lauthals die Fortsetzung der Gutenachtgeschichte gefordert. Ich hielt Händchen, brachte den Kindern Wasser, während ich gegen die eigene Müdigkeit kämpfte, um noch ein wenig freie Zeit zu erhaschen. Nach einem langen Tag mit den Kindern war ich froh, wenn ich den Job mal anderen überlassen konnte.

Ich rechnete es Nora schon hoch an, dass sie sich überhaupt außerhalb der eigenen vier Wände mit mir traf. So manche Verbündete von früher war jetzt nämlich nur noch für ein Dinnerdate in ihrer Wohnung zu haben. Essengehen war, nicht erst seit ich Kinder habe, meine am wenigsten favorisierte Ausgehoption. Was war aus der guten alten Bar geworden? Ich wollte mich nicht gepflegt unterhalten, sondern etwas erleben!

Die Tatsache, dass ich bereits um 19 Uhr pappsatt war, weil ich zu Hause die Reste des jeweiligen Kindergourmetmenus (alternierend gab es bei uns Fischstäbchen plus Tiernudeln und Brokkoli, Milchreis mit Zimt und Zucker, Pfannkuchen) in mich reingestopft hatte, erhöhte die Attraktivität eines Abendessens bei einem befreundeten Pärchen nicht unbedingt. Darüber hinaus war ich am Ende solcher Abende zwar etliche Babysitter-Euros ärmer, aber nicht unbedingt besser informiert über das Leben meiner Freunde. Ein wirkliches Gespräch kam selten in Gang. Kein Wunder, verschwand doch meist zunächst der eine, dann der andere Gastgeber stundenlang im Kinderzimmer, um den Spross in den Schlaf zu geleiten. Ich begnügte mich dann damit, mich mit dem exquisiten Rotwein zu betrinken, den der Herr des Hauses ausgesucht hatte.

Ich verstehe bis heute nicht, warum sich die Pärcheneltern so stressen, hüte mich aber, ihnen mit gut gemeinten Tipps aus dem eigenen Erfahrungsschatz zu kommen. Damit habe ich mich nämlich nicht besonders beliebt gemacht. Noras Mann zum Beispiel reagierte fassungslos auf meinen Vorschlag, zu telefonieren, während er seine Tochter im Kinderwagen schob: »Ich kann doch nicht telefonieren, wenn ich mit der Kleinen draußen bin! Sobald ich mich nicht mit ihr beschäftige, schreit sie los.«

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