Evan - Katja Fiona Graf - E-Book

Evan E-Book

Katja Fiona Graf

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Beschreibung

Als Sarah ihre Jugendliebe Evan zufällig beim Joggen im Park trifft, tanzen sofort wieder die Schmetterlinge in ihrem Bauch und ihr Herz schlägt so laut, dass sie Angst hat, dass Evan es hören könnte. Schon immer war Sarah in den schüchternen Jungen mit den eisblauen Augen verliebt - schon immer! Aber die Vorzeichen haben sich geändert. Während Evan ein berühmter Selfmade-Millionär ist und im Mittelpunkt der Londoner High Society steht, hat Sarah den Millionen ihres Vaters und der Scheinwelt aus Glitzer und Glamour den Rücken gekehrt. Passen Sie noch in die Welt des jeweils anderen, oder ist es zu spät für die Liebe?

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Buchbeschreibung:

Als Sarah Weston, wie jeden Morgen, durch den Park joggt, trifft sie überraschend ihre Jugendliebe Evan wieder. Schon seit ihrer Schulzeit ist Sarah verliebt in den Jungen mit den eisblauen Augen. Aber die Vorzeichen haben sich geändert. Während Sarah ihrem Elternhaus und dem Geld ihres Vaters den Rücken gekehrt hat, ist Evan, der Junge aus einfachen Verhältnissen, heute ein bekannter Stararchitekt.

Die Medien und die Presse reißen sich um den smarten Selfmade Millionär, und die Paparazzi sind ihm auf den Fersen. Es scheint, als hätten Sarah und Evan die Rollen getauscht. Während Sarah schon als Kind an der Hand ihrer Mutter über den roten Teppich stolzierte, lebt sie jetzt zurückgezogen in einem kleinen Londoner Stadthaus, während Evan in einem eleganten Penthouse an den Themse wohnt und auf jeder Gala ein gern gesehener Gast ist.

Passen sie heute noch in die Welt des anderen? Oder sind die Hürden zwischen Ihnen unüberwindbar?

Über den Autor:

Katja Fiona Graf schreibt seit über 20 Jahren Romane und Kurzgeschichten. Am liebsten schreibt sie über das Meer und Geschichten die sich um Ihre Wahlheimat England drehen, wo sie eine Zeit lang gelebt hat.

Heute wohnt sie mit ihrem Mann im malerinschen Nürnberg.

Neben dem Beruf studiert sie Psychologie und betreibt ihre Praxis für Lebensfreude.

Inhaltsverzeichnis

Die Lüge

Begegnungen

Der Deal

Rendezvous

Evan

Gefühlschaos

Der Morgen danach

Heimlichkeiten

Paparazzi

Die Anweisung

Cooper

Sally

Kyle

Die Miller Gala

Im Fokus

Der Plan

Schrecksekunde

Lesestunde

Happy Birthday

Engagement

Dancefloor

November

Ein Stück vom Himmel

Die Geschichte der Evolution

Ein glamouröses Fest

Homestory

Cornwall

Back to School

Abigail

Epilog

Playlist

Die Lüge

„Das ist nicht dein Ernst?“ Ich starre Kyle mit weit aufgerissenen Augen an und versuche in seinem Gesicht zu lesen, ob er mich auf den Arm nimmt. Er verzieht keine Miene.

„Leider doch!“ Mit hängendem Kopf lässt er sich auf mein Sofa sinken, die Finger fest in einander verschränkt. Dann dreht er mir das Gesicht zu und blickt mich mutlos an.

„Scheiße, Mann!“, entfährt es mir.

„Tu nicht so erhaben! Du hast auch schon Mist gebaut“, herrscht er mich an.

„Ich hab sogar schon großen Mist gebaut! Aber gegen dich bin ich noch immer ein Waisenkind!“

„Klasse! Danke für die Hilfe! Vater bringt mich um!“

„Oh, ja! Das wird er.“, ich drehe mich zum Fenster und blicke hinaus, um mich abzulenken. Ich muss nachdenken. „Und wenn wir es ihm gar nicht sagen?“, frage ich, einer plötzlichen Eingebung folgend.

„Was? Wie soll ich das denn machen?“ Kyle funkelt mich wütend an, als wäre ich total meschugge.

„Nächsten Monat wird Dad 70. Willst du ihm echt den Geburtstag vermiesen? Dich vor der ganzen Verwandtschaft bloßstellen lassen? Den ganzen Abend nur das Gerede darüber, was für eine Enttäuschung du doch für ihn bist?“

„Danke Sarah, das hilft mir echt weiter! Ich weiß selber, dass er mich hassen wird. Enterben! An den Prangen stellen! Wenn er Twittern könnte, wäre es schon am nächsten Morgen online: Mein Sohn ist ein Versager!“, Kyle zeichnet die Headline mit den Fingern in die Luft.

„Jetzt bleib‘ doch mal sachlich! Ich meine das ernst. Wir warten bis nach dem Geburtstag. Das Semester geht noch bis Ende des Jahres. Bis dahin muss er gar nicht mitbekommen, dass du nicht mehr in die Vorlesungen gehst. Dann präsentierst du eine schlechte Note, heulst ein bisschen rum, dass der Stoff zu schwer ist und du dir die falsche Studienrichtung ausgesucht hast und jetzt erst gemerkt hast, dass es nichts für dich ist.“

„Ich bin kein Mädchen! Ich heul nicht rum. Vielleicht bist du mit der Nummer bei ihm durchgekommen, ich jedenfalls nicht!“

„Mann, du bist aber auch echt nicht kreativ! Scheiße, Mann! Echt! Du sollst nicht wirklich heulen! Du jammerst, führst ein ernstes Männergespräch in seinem Raucherzimmer und erklärst ihm bei einer testosteronschwangeren Zigarre und einem Scotch, deine Zukunftspläne!“

„Die da wären?“

„Soll ich das auch noch für dich klären, Kyle? Verdammt, du hast jetzt fast 8 Wochen Zeit. Du suchst dir ein Praktikum und bekommst hoffentlich eine geile Stelle im Vertrieb oder so. Du kannst Evan mal fragen oder Mitch, ob sie was für dich haben.“

Mein Bruder zieht interessiert eine Augenbraue in die Höhe. „Ach daher weht der Wind? Evan oder Mitch? Du bist noch immer scharf auf ihn und ich soll dein Kontaktmann sein, was?“, knallt mir Kyle an den Kopf. Sein anzügliches Lächeln drückt leider nur zu deutlich aus, was er von der Idee hält.

„Red keinen Scheiß! Ich mag Evan, ja! Er ist smart, sieht gut aus und ist erfolgreich! Und: Ja! Er könnte dir helfen! Weil er nämlich im Gegensatz zu dir schon seit drei Jahren eine eigene und obendrein erfolgreiche Firma hat“, schreie ich ihm entgegen.

„Weil er eine erfolgreiche Firma hat“, äfft mich mein Zwillingsbruder nach. Ich möchte ihn am liebsten eines der großen, festen Sofakissen um die Ohren hauen, so wütend bin ich.

„Du vergisst, dass Evan auch drei Jahre älter ist, als wir“, sagt Kyle jetzt, um unser Gespräch auf die Spitze zu treiben.

Ich werde ihm nicht den Gefallen tun und ihn darauf hinweisen, dass Evan in seinem Alter bereits einen Masterabschluss hatte und angefangen hat sein Unternehmen aufzubauen. Es würde uns keinen Schritt weiterbringen.

„Soll ich ihn jetzt fragen oder nicht!“, sage ich um Fassung bemüht.

„Du würdest sogar mit ihm schlafen, damit er mich einstellt, oder?“, grinst Kyle blöd.

Zu blöd. Er fängt an, Grimassen zu schneiden, und fuchtelt mit dem Finger belustigt vor meinem Gesicht herum. Eigentlich möchte ich sauer sein, aber er hat mich ertappt. Natürlich stehe ich noch immer auf Evan. Und ja: Ich würde mit ihm schlafen. Um jeden Preis.

Gegen meinen Willen muss ich leider auch grinsen. Und dann fall ich neben ihm aufs Sofa und lache hysterisch. Kyle stimmt mit ein. Wir können nicht mehr aufhören. Tränen fließen aus meinen Augen, ich habe einen richtigen Lachflash. Ihm geht es nicht besser, er japst, haut sich auf die Schenkel und bricht erneut in schallendes Gelächter aus. Ich brauche ganze zehn Minuten, um mich zu beruhigen. Unmöglich Kyle anzuschauen. Sobald wir uns sehen, geht es wieder von vorne los. Ich habe schon Bauchschmerzen. Die ganze Szene ist so skurril.

Unser Vater wird austicken. Aber das ist sein Problem. Kinder werden nicht geboren, um die Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Kinder müssen ihre eigenen Wege gehen und ihre eigenen Fehler machen. Ein Prinzip, das unser archaischer Vater nie anerkennen wird. Er lebt noch immer die Vorstellung einer Familie mit einem totalitären Vater als Oberhaupt. Ich hatte es als Mädchen tatsächlich leichter. Ich war seine kleine Prinzessin und sah in unserem riesigen, alten Herrenhaus wirklich so etwas wie ein Schloss. Kyle hatte es schon immer schwerer. Als Junge wurde er früh ins Internat gesteckt. Man erwartete von ihm, dass er eines Tages studieren würde, einen tollen Abschluss nach Hause bringt und erfolgreich ist. Das Studium zu schmeißen, war nicht Teil des Plans. Das hatte unser Vater bei mir schon nicht akzeptiert. Drei Monate hat er nicht mit mir gesprochen, als ich ihm sagte, dass ich das Wirtschaftsstudium nicht fortführen würde.

Eigentlich hatte er sich gewundert, dass es mir überhaupt möglich war, eine Universität zu besuchen. Ich hatte das kommunale Schulsystem durchlaufen, kein Elite Internat, wie Kyle. Als ich schließlich das Studium bereits im ersten Semester aufgab, war das für meinen Vater die Bestätigung, dass es rausgeworfenes Geld gewesen wäre, mich auf eine bessere Schule zu schicken. Mädchen waren nicht zum Studieren geschaffen. In seinen Augen sollte ich bald heiraten und meine Rolle als Frau einnehmen.

Natürlich ließ er wie immer die Fakten außer Acht, dass ich seit zwei Jahren einen festen Job hatte, hart arbeitete, eine eigene Wohnung bezahlte und zudem von Zuhause ausgezogen war, um ihm nicht länger auf der Tasche zu liegen! Es reichte ihm nicht, um stolz auf mich zu sein.

Und jetzt würde Kyle mir folgen. Wir waren eben doch Zwillingsgeschwister. Wir waren keine Theoretiker. Wir wollten etwas mit unseren Händen tun, arbeiten. Wenn es sein musste, hart anpacken. Aber nicht jahrelang studieren. Die Theorie runterbeten, um irgendwann einen Titel auf eine Visitenkarte drucken zu können war uns nicht wichtig. Wir wollten etwas bewegen. Ich würde Kyle bei Evan unterbringen. Er betrieb als Architekt ein großes Planungsbüro, dass er mit zwei weiteren Freunden zu einem internationalen Konzern aufgebaut hatte. Irgendwo in seinem Unternehmen würde ich einen Platz für Kyle finden. Ich selbst hatte als Sekretärin bei Winterfields angefangen und wurde schnell zur persönlichen Assistentin von Mitch. Leider hatte Mitch seine Finger nicht von mir lassen können, sodass ich mich früh entschied, das Unternehmen zu wechseln. Zumindest hatte Mitch den Anstand gehabt, mir ein außerordentliches und gutes Zeugnis zu schreiben, obwohl ich ihm eine Abfuhr erteilt hatte. Evan, dem die ganze Aktion nicht entgangen war, hatte sich damals für mich stark gemacht und mich in der renommierten Kanzlei von Brothers & Brothers untergebracht. Dem persönlichen Anwalt von Evan Winterfield.

Schon immer hatte mir Evan gefallen. Er war in der Schule drei Klassen über mir, und ich hatte für ihn geschwärmt, seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Es war die Schwärmerei eines Schulmädchens und viel zu schnell, verließ Evan unserer Schule und studierte in Deutschland Architektur. Ich hatte ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Bis zu dem Tag im September. Als er plötzlich im Regen vor mir stand und mir einen Job anbot. Ich glaubte damals, mein Herz würde mir in die Hose rutschen. Hätte mir jemand prophezeit, dass ich einmal Tür an Tür mit Evan arbeiten würde, dann hätte ich ihm den Vogel gezeigt. Aber vielleicht wollte das Schicksal uns zusammenbringen? Vielleicht sollte es so sein? Aber am Ende war ich die Assistentin von Mitch, einem weiteren Schulfreund meines Bruders, den ich schon seit Kindesbeinen kannte. Nur dachte Mitch, dass unsere Zusammenarbeit auch Extraleistungen beinhaltete und ich ihm auch für andere Dienste zur Verfügung stehen müsste und das war dann das Ende unserer kurzen Zusammenarbeit.

Begegnungen

Der Morgen war kalt und grau, es sah nach Regen aus. Ich hatte schlecht geschlafen und mir den Kopf über Kyles Probleme zerbrochen. Mist, Mist und noch mal Mist. Er steckte in Schwierigkeiten, und wie immer, war ich es, die ihn rausboxen musste. Schon immer war Kyle für mich, wie ein kleiner Bruder. Vielleicht, weil ich die Erstgeborene war. Immerhin hatte ich satte 30 Minuten vor ihm das Licht der Welt erblickt. Kyles Geburt verlief plötzlich schwierig, während ich wie ein Korken aus unserer Mutter herausgeploppt bin und nahezu eine Sturzgeburt hingelegt hatte, steckte Kyle fest und mit jeder Minute wurde die Geburt dramatischer. Kyle war schwächer als ich und wurde von unserer Mutter immer besonders verhätschelt. Vermutlich weil er bei der Geburt die Nabelschnur um den Hals hatte und fast gestorben wäre. Wir waren zweieiige Zwillinge und offensichtlich hatte ich es mir moderater eingerichtet und meinem Bruder zu wenig Platz gelassen. Wie auch immer, ich fühlte mich von je her als die Stärkere und das war ich wohl auch. Kyle war noch immer ein verwöhnter kleiner Junge. Vater hatte in rechtzeitig auf die höhere Schule geschickt und ihn in Elite Internaten ausbilden lassen. Ich musste mich schon immer durchbeißen. In Situationen wie dieser zeigte sich, dass ich den längeren Atem hatte. Ganz im Gegensatz zu Kyle, der an jeder neuen Aufgabe zu scheitern drohte. Er war keine Schwierigkeiten gewöhnt. Wenn er Probleme hatte, lief er zu unserem Dad und der brachte alles für ihn in Ordnung. Jetzt war ich diejenige, die für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen musste. Er war mein kleiner Bruder. Was sollte ich machen? Ich konnte nicht anders, als ihm zu helfen. Und so drehte sich mal wieder alles in meinem Kopf um Kyle und dem Versuch ihn vor der Wut unseres Vaters zu beschützen, als ich meine Runden durch den Park lief.

Der Wind hatte aufgefrischt und blies mir hart ins Gesicht. Ich hatte mich für meine kuschelige, graue Jogginghose und den lachsfarbenen Kapuzenpulli entschieden, um meine tägliche Joggingrunde entlang der Victoria Tower Gardens zu laufen. Trotz des flauschigen Sweaters war es mir kalt. Ich nahm die Abkürzung über den St. John’s Smith Square und lief nicht wie sonst die große Runde über die Westminster Abbey. In der Victoria Street stellte ich mich, wie jeden Morgen, beim Bäcker an. Das „Little Pies“ war mein absolutes Lieblingscafé. Der Laden war so winzig, dass nur der Verkaufstresen Platz darin fand. Die Kunden standen deshalb schon am frühen Morgen bis auf die Straße. Im Sommer hatte Little Pies zwei große Marktschirme aufgespannt, die ein paar Stehtische überdachten. Jetzt im Herbst, wo es ständig regnete, wollte niemand mehr im Freien stehen. Man kaufte sich einen schnellen Coffee-togo und eines der leckeren Gitternetz-Pies und verschwand in Richtung U-Bahn. Ich joggte regelmäßig etwas früher los, ging am Little Pies vorbei und rannte dann nach Hause, um zu duschen. Im Gegensatz zu den meisten Menschen hatte ich den Luxus, erst um 9 Uhr im Büro erscheinen zu müssen, und konnte mir ein ausgiebiges Frühstück gönnen.

Ich stand als Dritte in der Reihe. Die Auslage kam immer näher in mein Blickfeld. Die Kirschtörtchen sahen lecker aus, aber auch die neuen Cranberry-Scoons. Ich drehte ungeduldig den Kopf hin und her, um besser sehen zu können, und stellte mich schließlich auf die Zehen um über die Köpfe der anderen Kunden in den Laden blicken zu können.

„So neugierig, Miss Weston?“

Ich fuhr herum und blicke in Evans blaue Augen. Verdammt! Verdammt sah der Kerl gut aus. Noch viel besser als ich ihn in Erinnerung hatte. Mit dem zerzausten Pferdeschwanz und dem sackartigen Sweatshirt, kam ich mir vor wie ein Penner. Evan trug einen Anzug, wie immer eine perfekt sitzende Krawatte, und hatte die Ausstrahlung des erfolgreichen Geschäftsmannes, der er nun einmal war.

Ich dagegen hatte die Ausstrahlung einer frustrierten Hausfrau am bad-hair-day und fühlte mich grauenvoll. Ich wollte im Erdboden versinken.

„Du hier?“, fragte ich ziemlich einfallslos und versuchte mir meine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen, während mir Evan links und rechts ein Küsschen über die Schulter hauchte.

„Klar! Das Little Pies ist ein Geheimtipp! Hast du mir nicht den Laden empfohlen?“, er grinste gewinnend.

Mist, stimmt. Das hatte ich. Und jetzt? Ich war ratlos.

„Sorry, dass ich aussehe, wie ein Sack Kartoffeln, das hier ist meine Joggingstrecke, normalerweise kennt mich hier kein Mensch!“ Ich blickte entschuldigend an mir herunter.

„Du siehst bezaubernd aus!“

Evan ließ seinen Blick über mein Outfit schweifen. „Ich freue mich, dich zu treffen“, sagte er herzlich.

„Ich freu mich auch, dich zu sehen“, erwiderte ich ehrlich und hoffte, dass ich nicht rot bis über beide Ohren wurde.

Ich war vor ihm an der Reihe und nahm ein kalorienarmes Aprikosenteilchen zum Mitnehmen. Evan bestellte sich einen der Cranberry-Scoons und ich war neidisch, weil ich mich nicht getraut hatte nach der Kalorienbombe zu greifen.

„Lass uns bald mal essen gehen“, bot Evan an. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen, sicher gibt es viel zu erzählen.“

„Das wäre großartig!“ Das wäre es echt, aber ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Ich war schon immer in Evan verknallt. Schon immer! Und jetzt blieben mir die Worte vor Aufregung im Hals stecken.

„Warum kommst du nicht einfach bei mir im Büro vorbei und wir machen was aus?“, hakte Evan jetzt nach.

„Ich wollte dich sowieso besuchen“, brachte ich kleinlaut hervor.

„Das trifft sich doch prima? Gibt es Probleme? Hast du irgendwelche Sorgen? Es gibt doch hoffentlich keine Schwierigkeiten mit Brothers?“, fragte er jetzt stirnrunzelnd.

„Nein, ich wollte dich um einen Gefallen bitten, aber das möchte ich nicht hier auf dem Bordstein besprechen! Passt es dir morgen um fünf?“

Der Deal

Am nächsten Tag betrat ich, pünktlich um zehn Minuten vor fünf, den Aufzug im eleganten Bürogebäude von Winterfields.

Heute überließ ich nichts dem Zufall, ich war extra beim Friseur gewesen und hatte meine langen dunkelbraunen Haare mit einer exklusiven Glanzkur behandeln lassen. Durch den frischen Schnitt fielen sie jetzt wieder wie flüssige Seide über meine Schultern. Auch wenn ich eine Reihe eleganter Kleider im Schrank hatte, so gab es doch keines, das Evan nicht schon gesehen hatte. Seinetwegen war ich in meiner Lieblingsboutique an den Victoria Gardens gewesen und hatte mein Konto beinahe ans Limit gebracht. Aber das war es wert. Mein Auftritt in Evans Büro war filmreif.

Melina McAdams saß hinter dem Empfangstresen. Ihr nahezu schwarzes Haar war zu einem festen Knoten aufgesteckt. Aufgrund der Tonnen an Haarspray, die ihre Frisur zusammenhielten, sah das Haar stumpf aus. Sie trug eine der viel zu großen, schwarzumrandeten Nerdbrillen, die gerade angesagt waren, und blickte nicht einmal hoch, als ich das kleine Vorzimmer zu Evans Büro betrat. Melina hatte erst vor einigen Monaten bei Winterfields angefangen. Wir kannten uns daher nur flüchtig. Jetzt blickte sie mich endlich an, schob genervt ihre Brille zurück und wollte mich offensichtlich schon mit ihrem unterkühlten Blick wissen lassen, dass Mr. Winterfield beschäftigt war.

„Sarah Weston, bitte melden Sie mich bei Mr. Winterfield an, er erwartet mich!“

Die Gesichtszüge der jungen Assistentin verrutschten für einen Moment. Es war ihr anzusehen, dass sie gehofft hatte, mich mit einem müden Lächeln abwimmeln zu können. Jetzt öffnete sie ihren Kalender und suchte offenbar nach meinem Namen.

„Sie wurden mir nicht angemeldet“, sagte das Mädchen triumphierend. Und setzte erneut ihren hochnäsigen Blick auf.

Ich wollte wetten, dass sie in Evan verknallt war. Alle waren in Evan verknallt. Melina bildete da sicher keine Ausnahme. Sie wollte die Konkurrenz die in einem atemberaubenden roten Kleid und in Form meiner Person vor ihr stand, möglichst schnell loswerden, und schenkte mir einen eisigen Blick.

„Ich muss Sie bitten, das nächste Mal vorher anzurufen, Sie haben keinen Termin!“

„Sie braucht auch keinen!“, sagte Evan streng, der unbemerkt die Tür geöffnet hatte und jetzt vor mir stand und mir erfreut in die Augen blickte.

Dann wandte er sich mit tadelndem Blick wieder seiner Sekretärin zu.

„Melina, das ist ein privater Termin, darum taucht er nicht in ihrem Kalender auf. Rufen Sie mich das nächste Mal bitte gleich. Ms. Weston braucht keinen Termin, bitte merken Sie sich das“, sagte er bestimmt.

Endlich kam Evan auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Ich genoss die Umarmung und Melinas stechenden Blick, den ich in meinem Rücken regelrecht spüren konnte.

Er küsste mich links und rechts zur Begrüßung. „Du siehst aus wie eine Göttin!“, schmeichelte Evan, während seine Lippen mein Ohr streiften. Irgendwo dazwischen verabschiedete sich mein Hirn. Meine Beine waren Wackelpudding und ich war froh nicht weiter reden zu müssen, als mich Evan einfach an der Hand nahm und mit sich in sein Büro zog.

„Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht gestört werden, und bringen Sie uns zwei Tassen Kaffee, Melina.“

„Du magst doch Kaffee? Oder lieber ein Wasser?“

Ich wollte vor allem vor Aufregung nicht umkippen. Mein Mund war trocken, meine Beine zitterten. Ich folgte Evan in sein Büro und nickte. „Kaffee wäre schön!“, sagte ich wohlerzogen, bevor er die schwere Mahagonietür hinter mir schloss.

Wir saßen uns einen Moment schweigend gegenüber. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte und ob Evan nur etwas Small Talk halten wollte, darum blickte ich auf die Hände in meinem Schoß und auf die glänzenden, roten High Heels an meinen Füßen. Sie waren neu, genauso, wie das atemberaubende Prinzesskleid und die dazu passende Handtasche. Der Kaffee wurde gebracht. Evan blickte derweil gedankenverloren aus dem Fenster, von dem aus er die ganze Stadt, bis hinunter zum Houses of Parliament, überblicken konnte. Die Minuten kamen mir endlos vor, bis Melina endlich die Tür hinter sich schloss, und wir wieder alleine waren.

Evan griff sich mit Zeigefinger und Daumen ins Gesicht und begann seine Nasenwurzel zu massieren. Offensichtlich hatte er einen langen Tag gehabt, er wirkte plötzlich müde und abgespannt.

„Also, was sind das für Schwierigkeiten, von denen du gesprochen hast?“, eröffnete er das Gespräch.

Ok, gleich in die Vollen. Ich zögerte, weil ich echt keinen Plan hatte, wie ich anfangen sollte. 1000 Worte hatte ich in meinem Kopf zurechtgelegt und 1000 Worte wieder verworfen.

„Kyle!“, stieß ich schließlich hervor.

„Kyle? Aber ihr seid wie....“

„Wie Zwillinge?“, half ich ihm aus.

„Ja, verdammt! Was ist los mit Euch? Kyle war doch immer dein Lieblingsbruder. Was hat der Mistkerl angestellt?“

„Er hat das Studium geschmissen!“, ich biss mir auf die Unterlippe und traute mich erst nach einer Weile, Evan in die Augen zu schauen.

„Ach, verdammt!“, Evan sah mich ratlos an. „Das ist ja ein schöner Mist! Weiß es euer Vater schon? Er wird Kyle umbringen!“

„Genau darum geht es. Dad wird ihn demütigen, wo er kann. Er wird ihn vielleicht aus der Familie verstoßen. Ich weiß es nicht.“ Ich schob mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. Eine Verlegenheitsgeste, weil ich nicht wusste, wohin mit meinen Händen.

„Und was kann ich dabei tun?“

Da war sie, die Frage, vor der ich mich gefürchtet hatte. Ich war mir sicher, dass mir Evan von selbst eine Lösung anbietet. Aber offensichtlich wollte er abwarten, bis er alle Fakten kannte.

„Nun, ich hatte gehofft, dass du Kyle bei dir unterbringen kannst. Irgendwo! Egal was. Und wenn er Toiletten putzt. Er muss erst mal weg von der Straße. Unser Dad liebt dich. Wenn Kyle bei dir arbeitet, wird er hoffentlich nicht so stinksauer, als wenn Kyle jetzt auch noch arbeitslos auf der Straße sitzt.“

„Trevor sucht einen Assistenten“, bot Evan zögerlich an.

„Das wäre mega!“

„Bist du sicher? Mehr kann ich im Moment leider nicht tun. Ich meine, ohne Studium. Aber immerhin hat Kyle Jura studiert und einen Rechtsberater im Haus zu haben, könnte nicht schaden“, jetzt grinste Evan und wirkte deutlich zuversichtlicher.

„Bist du sicher? Ich meine, du solltest die besten Leute für dein Team haben, und wenn du dich nicht wohlfühlst dabei, Kyle einzustellen, dann lass ihn wirklich das Klo putzen. Verdient hätte er es!“ Ich grinste böse.

„Er ist mein Freund und ich weiß, dass Kyle es drauf hat. Schick ihn einfach morgen mal zu mir, dann klären wir die Details. Und jetzt lass uns über unser Abendessen sprechen. Wie wäre es morgen Abend um 8 Uhr? Ich kenne ein nettes Lokal, in der Nähe deiner Wohnung, am Ufer der Themse.“

Ich konnte nur nicken. Mein Herz war in den Kniekehlen, der Verstand faktisch nicht mehr vorhanden. Sein Aftershave hing im Raum und vernebelte mir die Sinne. Die leuchtenden blauen Augen, aus welchen er mich gerade musterte, warfen mich völlig aus der Bahn.

Ja, ich will, Evan. Ich will! Schrie mein Kopf.

„Ich freue mich darauf!“, sagte mein Mund.

Rendezvous

Ich hatte erneut mein Konto überstrapaziert und ein weiteres rotes Kleid gekauft. Im Gegensatz zu dem weich fließenden Prinzesskleid mit dem V-Ausschnitt, hatte ich mich jetzt für ein kurzes Abendkleid entschieden. Der Schnitt war raffiniert und schmeichelte meiner schlanken Figur. Der eng anliegende Stoff war asymmetrisch geschnitten und auf einer Seite schulterfrei. Auf der anderen Seite ging ein breiter Träger hinauf über dem eine durchsichtige, glitzernde Schleppe aus Tüll befestigt war. Der lange Tüll umschwebte mich wie ein langer Schal, der mir bis zum Knie reichte und somit länger war, als der kurze Minirock des Cocktailkleides. Ich hatte mich für rote Peeptoes entschieden, die schwindelerregend hoch waren, und hoffte, dass wir nicht zu weit laufen würden. Jeder Schritt in den Schuhen war ein Wagnis mit unbekanntem Ausgang.

Evan stand bereits an der Anlegestelle an der Themse, als ich die Straße entlangging. Es kostete mich ziemlich viel Überwindung, nicht zu rennen, was in den Schuhen in der Tat unmöglich war. Bemüht um einen perfekten Auftritt schritt ich so elegant wie möglich auf ihn zu, während Evan sich an die Straßenlaterne lehnte und das Schauspiel beobachtete. Wir mussten beide grinsen, als ich ihn endlich erreicht hatte und er mir schließlich einen langen und intensiven Kuss in die Halsbeuge hauchte und dabei den Duft meines Parfums in sich aufsog.

„Du siehst nicht nur aus, wie eine Göttin, du riechst auch so!“, sagte er voller Bewunderung.

Mein Hirn setzte direkt wieder aus, mein Herzschlag auch. Du siehst auch zum Anbeten aus, hätte ich ihm gerne geantwortet, aber ich traute mich nicht. Ich hatte Angst, Evan zu vergraulen, wenn ich ihm zu deutlich zeigte, wie gut er mir gefiel. Wir waren Freunde, schon immer. Schon damals seit der Schulzeit. Als Kyle und Evan in der gleichen Cricket Mannschaft gespielt hatten und Evan praktisch jeden Tag bei uns war.

„Wie charmant“, gab ich lächelnd zurück, und hoffte, dass Evan nicht hören konnte, dass mir das Herz bis zum Hals schlug. Wir kannten uns schon ewig, auch wenn wir uns in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren hatten. Evan war einfach nur nett zu mir, er war ein Gentleman, ein Charmeur. Und ich wusste, dass er mir einfach nur schmeichelte, damit ich mich gut fühlte. Dennoch war mir klar, dass ich nicht in seiner Liga spielte. Evan war klug, schön und wohlhabend. Er konnte jede Frau in ganz London, und dem gesamten Vereinigten Königreich haben. Ich war eine Freundin, nicht mehr. Da machte ich mir nichts vor.

Evan nahm mich galant am Arm und wir gingen ein Stück an der niedrigen Reling entlang und bestiegen schließlich das elegante Schiff, das hier ankerte. Evan hatte uns einen Platz auf dem Oberdeck reservieren lassen, einem eleganten Wintergarten mit großen Schiebefenstern, die an diesem milden Abend weit geöffnet waren. Palmen standen an Deck und dienten als Sichtschutz zwischen den einzelnen Tischen. Unter der Decke hingen cremefarbene Sonnensegel, die bei Sonne für Schatten sorgten und es amAbend gemütlich machten. Überall glitzerten Millionen von kleinen Lämpchen wie goldene Sterne. Ich starrte fasziniert an die Decke und war unendlich glücklich, hier mit Evan sein zu dürfen. Dieser Abend war schon jetzt unvergessen.

Ein Kellner im dunklen Anzug brachte uns an unseren Tisch und rückte mir den Stuhl zurecht. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so elegant ausgegangen war. Vielleicht auf einem der Bankette mit meinem Vater. Aber von meinen privaten Dates gab es niemand, der so ein geschmackvolles und gehobenes Restaurant ausgewählt hätte. Es gefiel mir. Und es gefiel mir vor allem, weil ich es Evan wert war, mich so chic auszuführen. Ich fühlte mich geschmeichelt.

„Darf ich Ihnen einen Aperitif anbieten?“

Der elegante Kellner verbeugte sich nahezu, als er uns die Karte reichte und die Kerze auf dem Tisch für uns entfachte.

„Für mich nur ein Glas Champagner“, sagte ich, ohne in die Karte zu blicken.

„Ich schließe mich an“, entschied Evan. „Bringen Sie uns zwei Gläser Champagner und eine große Flasche Mineralwasser. Den Wein suchen wir später aus!“

„Ich mache mir nichts aus den Modegetränken“, sagte ich entschuldigend, als der Kellner gegangen war.

„Ich auch nicht!“ Evan grinste. „Ein klassischer Champagner ist sowieso durch nichts zu übertreffen“, fand er und sah mir tief in die Augen. Es machte mich nervös, also stimmte ihm zu und blickte in die Karte, bevor sich ein peinliches Schweigen zwischen uns senken konnte.

Die Auswahl an Speisen war riesig. Es gab Fisch und Fleisch in allen Variationen, eine Doppelseite Vegetarisches, vegane Küche und eine Reihe Spezialitäten, die ich nicht kannte. Ich fühlte mich überfordert. Die Preise waren erwartungsgemäß gehoben und ich wollte nicht unverschämt wirken. Evan schien meinen inneren Konflikt zu spüren und blickte mich belustigt an.

„Zuviel Auswahl?“, fragte er lächelnd.

„Und ob!“, gab ich zurück und ließ meine Augen weiter suchend über das exklusive Menü wandern.

„Darf ich dir etwas empfehlen?“

„Das würde ich sehr begrüßen“, sagte ich absichtlich affektiert und klappte die Karte zu. „Es klingt alles sehr lecker, aber ich fürchte, ich kann mich nicht entscheiden.“

„Magst du Fisch?“

Ich nickte.

„Es gibt hier eine ausgezeichnete Fischplatte. Ich habe sie einmal am Nachbartisch gesehen und bin vor Neid fast gestorben. Wir könnten uns eine Fischplatte teilen und dazu jede Menge Ofengemüse und gegrillten Kürbis mit Wedges essen.“

Meine Augen leuchteten.

„Das klingt perfekt!“

„Weißwein oder Rot?“

„Weißes Fleisch, weißer Wein, oder?“, gab ich lächelnd zurück.

„Ich wollte nicht wissen, ob du den Knigge gelesen hast, ich möchte wissen, worauf du Lust hast“, gab Evan humorvoll zurück.

„Weißwein ist herrlich. Roten mag ich nur zur Pizza oder italienischen Essen. Und Käse! Ja, zu Käse passt Rotwein auch besser, als Weißer“, dozierte ich fachmännisch, während Evan lachend meinen Ausführungen lauschte.

Der Kellner kam, brachte unseren Champagner und nahm die Bestellung auf. Evan bestellte die Fischplatte für zwei Personen, das Ofengemüse, Weißbrot, Wedges und einen großen gemischten Salat. Außerdem eine Flasche edlen Weißweins. Wir würden platzen und ich nahm an, dass man uns im Anschluss von Board rollen musste, aber das war mir egal. Ich war hier mit Evan und es war schon jetzt der schönste Abend meines Lebens. Viel besser konnte es nicht mehr werden.

Nachdem der Kellner unseren Tisch verlassen hatte, realisierte ich überrascht, dass das Boot gar nicht ablegte.

„Wir fahren gar nicht“, stellte ich fest. „Dieses Boot legt gar nicht ab, oder?“

„Nein, es ist zu einem Restaurant umgebaut und wurde fest mit dem Ufer vertäut. Wärst du gerne auf einem richtigen Schiff? Dann suche ich uns das nächste Mal eine Schifffahrt aus.“

„Nein, ich hatte mich einfach nur gewundert, weil ich tatsächlich dachte, wir würden ablegen. Ich glaube, ich bin gar nicht so seefest und von daher gar nicht unglücklich darüber an Land zu bleiben“, ich lächelte entschuldigend und fing Evans belustigten Blick auf.

Das nächste Mal? Hatte Evan tatsächlich gerade das nächste Mal gesagt? Sollte das heißen, dass sich das hier wiederholen würde? Wünschte er sich genauso wie ich, dass wir uns wieder öfter sahen. War das der Neubeginn unserer Freundschaft? Oder war das überhaupt der Beginn einer Freundschaft? Während ich bei Evan im Büro gearbeitet hatte, haben wir uns nicht besonders oft getroffen. Er steckte mitten im Aufbau seines Unternehmens und ich hatte als Mitch Assistentin jede Menge Arbeit. Die Freizeit kam irgendwie immer zu kurz.

Ich erhob mein Glas. „Auf einen wunderschönen Abend“, sagte ich und versuchte die Worte bedeutend klingen zu lassen.

„Für mich ist er das jetzt schon!“, erwiderte Evan und sah mir erneut tief in die Augen.

Ich war verloren.

***

Die Fischplatte wurde gebracht, und übertraf alle Erwartungen. Es gab alle Arten an gegrilltem Fisch, der mit feinsten mediterranen Kräutern und Zitronenscheiben garniert war. Der Duft raubte mir die Sinne und der Anblick ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Schüsseln mit Gemüse wurden auf den Tisch gestellt, dazu Dips, Kräuterbutter, Weißbrot und eine riesige Schüssel Salat. Eiskalter Weißwein wurde ausgeschenkt, der die Gläser beschlagen ließ.

„Wir sind im Paradies“, stellte ich fest und zeigte mit einer ausladenden Geste auf den Tisch.

Evan lachte.

„Das sieht tatsächlich großartig aus! Erlaubst du?“, er griff nach meinem Teller und fing an den ersten Fisch fachmännisch zu filetieren. „Möchtest du von der Rotbarbe?“, fragte Evan während er weiter routiniert den Fisch zerlegte und mir nach und nach davon auf den Teller gab.

„Ich möchte alles probieren!“, sagte ich freudestrahlend. Es roch so köstlich, dass ich glaubte, noch nie so gut gegessen zu haben. Evan reichte mir den Teller, den er mit einer Auswahl an Gemüse dekoriert hatte. Ich griff nach dem Dip und gab einen Klecks auf meinen Teller. Wir tauschten Schüsseln und reichten uns gegenseitig Brot und Gemüse. Als wir endlich den ersten Bissen kosteten, glaubte ich, dass meine Geschmacksknospen explodierten. Der Fisch zerging auf der Zunge, die scharfe Chillibutter gab ihm die das richtige Feuer, der Abgang von echter Petersilie gab mir den Rest. Ich schloss die Augen und gab ein leises Summen von mir.

„Oh. Mein. Gott.“ Ich hatte noch immer die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt. „Oh, mein Gott ist das gut!“ Ich leckte mir über die Lippen, während ich mich langsam wieder gerade hinsetzte und Evans blaue Augen sah, der mich mit seinem Blick gefangen hielt. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was ich in seinen Augen sah. Begierde. Evan blickte mich an und ließ seinen Blick jetzt betont langsam über meinen Körper wandern, dann sog er die Unterlippe ein und biss darauf.

„Sarah Weston, du bist extrem zu hübsch und ich hoffe, du weißt, dass du in der Lage bist, einen Mann völlig um den Verstand zu bringen! Mach das bitte nie wieder!“, er sah mich ernst an.

„Weil?“, ich guckte herausfordernd und griff nach meinem Weinglas.

„Weil, ich uns sonst ein Taxi bestelle und dich in mein Apartment entführe!“ Evan lachte noch immer nicht. Ich auch nicht. Wir sahen uns eine Weile schweigend an. Die Luft zwischen uns schien zu vibrieren. Ich war überwältigt und wusste nicht, was ich sagen sollte. Evan erhob schließlich auch sein Glas und ließ es gegen meines klirren.

„Sarah Weston, du weckst Gefühle in mir, für die mich dein Bruder töten, und dein Vater einen Auftragskiller bestellen würde“, er nahm einen tiefen Schluck und prostete mir erneut zu. Ich trank ebenfalls, um Zeit zu gewinnen. Meine Kehle war noch immer staubtrocken, als der Kellner kam und Wasser und Wein nach schenkte. Ein neuer Brotkorb wurde gebracht und wir wurden gefragt, ob alles zu unserer Zufriedenheit sei.

Ich konnte noch immer nicht sprechen. Ich wollte das Kribbeln zwischen uns bewahren, obwohl ich wusste, dass ich mit dem Feuer spielte.

„Kyle war heute bei mir“, eröffnete Evan unser Gespräch erneut mit einem geschickten Themenwechsel. Er nahm sich ein Stück Brot und schob es sich in den Mund. Ich war noch immer in Gedanken und wusste nicht recht, was ich sagen sollte, darum sah ich ihn nur abwartend an und nippte an meinem Glas.

„Der Junge hat Potenzial. Er und Trevor werden sicher ein gutes Team. Kyle hat heute schon einige gute Ideen eingebracht. Ich glaube, er könnte wirklich für frischen Wind sorgen. Wir sind alle schon so eingefahren, so betriebsblind. Ich freu mich wirklich darauf, mit Kyle zu arbeiten.

Er hat mir all die Jahre gefehlt. Es ist schön, ihn wieder in der Nähe zu haben. Es ist schön, euch wieder in der Nähe zu haben“, berichtigte er sich und griff über den Tisch nach meiner Hand. Ich ließ seine Finger auf den meinen liegen. Die Wärme durchströmte mich. Wenn Evan nur ahnte, was er mit seiner Berührung bei mir auslöste. Alles in mir war pures Feuer. Pures Verlangen und tiefe Qual. Ich war verloren.

Ich spießte ein Stück Kürbis auf und blickte gedankenverloren über die Themse.

„Es ist wirklich großartig, dass du Kyle eine Chance gibst. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll“, sagte ich nach einer Weile ehrlich.

„Ich habe zu danken. Kyle wird das Unternehmen bereichern. Das meine ich ernst. Er hat eine solide Ausbildung. Egal ob er die beiden restlichen Semester jetzt abgeschlossen hat oder nicht. Ich meine, er hat sein Zwischenexamen gemacht, es ist ja nicht so, als würde ihm jemand das Hirn resetten, nur weil er die Uni verlässt.“ Evan grinste breit und ich musste über seinen lockeren Spruch grinsen.