Ex & Hopp - Horst Eckert - E-Book

Ex & Hopp E-Book

Eckert Horst

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Mit diesem Crime-Medley beweist Horst Eckert, dass er auch die Kunst der hervorragenden Kurzgeschichte beherrscht. Ob humorvoll, melancholisch oder voller Thrill - in seinen sechzehn zum Teil preisgekrönten Storys zeigt er die Bandbreite seines Könnens.

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Seitenzahl: 336

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Ex & Hopp

16 meisterhafte Storys

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-041-1

MOBI ISBN 978-3-95865-042-8

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Kurzinhalt

Mit diesem Crime-Medley beweist Horst Eckert, dass er auch die Kunst der hervorragenden Kurzgeschichte beherrscht. Ob humorvoll, melancholisch oder voller Thrill – in seinen sechzehn zum Teil preisgekrönten Storys zeigt er die Bandbreite seines Könnens.

Der Minister und der Bär

Sie hörte den Krach und hielt inne. Kurz darauf roch es ganz ähnlich wie manchmal unten im Tal, wenn die Bauern des Dorfs ihren Müll verbrannten. Doch dieser Geruch kam von weiter oben, wo dichter, menschenleerer Wald den Großteil des Bergs bedeckte.

Gab es vielleicht dort oben etwas zu Essen, wie manchmal im Abfall der Bauern?

Ihre Jungs blickten sie an. Noch waren die beiden auf ihre Milch angewiesen, doch die war rar zurzeit. Sie selbst spürte Hunger – in den letzten Tagen hatte es nur Kräuter und Wurzeln, Blüten und junge Triebe gegeben. Beeren reiften noch nicht, Pilze wuchsen hier keine. Und die Jagd auf Fleisch war erfolglos gewesen, seit einer der Bauern ihr in die Schulter geschossen hatte und ihre Beweglichkeit eingeschränkt war. In die Nähe des Dorfs hatte sie sich bislang nicht mehr gewagt.

Aber irgendwann würde sie ins Tal hinabsteigen müssen.

Eine Ziege oder ein Schaf wären nicht schlecht.

Die Kleinen gaben Klagelaute von sich.

Sie hielt die Nase in den Wind. Schließlich beschloss sie, es in Richtung des Gipfels zu versuchen, wo der Wald dichter und unwegsamer wurde und der Geruch seinen Ursprung hatte.

„Wie schaut’s aus, Walter?“, fragte Henning Petzold. Der Besucherstuhl knackte unter seinem Hintern, als er sich vorbeugte. „Komm doch mit!“

Ministerpräsident Castorp schüttelte den Kopf. Ihm war unwohl bei dem Gedanken an die allzu häufigen Lustreisen des Dicken, und er bedauerte es sehr, dass er zwei oder drei Mal teilgenommen hatte. Er fand, dass Henning zu weit ging, wenn er sich regelmäßig von der Landesbank einladen ließ. Immerhin war er als Finanzminister oberster Aufseher des staatlichen Geldinstituts und sollte seine Unabhängigkeit bewahren.

„Die Morgenpost ...“, begann Castorp seinen Einwand.

„Vergiss das Käseblatt, Walter.“

„Aber angeblich hat sich bereits ein Reporter nach deinen Flügen erkundigt.“

„Unseren Flügen, schon vergessen?“ Petzold lachte. „Nein, mein Lieber, mach dir keine Sorgen. Der Verleger hat gerade um einen Kredit der Landesbank ersucht. Zeitungskrise, verstehst du, die Anzeigenerlöse brechen der Morgenpost weg. Wir sitzen am längeren Hebel. Das Käseblatt haben wir hundertprozentig im Sack, der Reporter ist bereits so gut wie kaltgestellt.“

Castorp wusste, dass er Henning Petzold die Gratisreise nicht einfach verbieten konnte. Er wollte die Freundschaft nicht riskieren, der Dicke war zu einflussreich. Die Partei war ihm hörig. Und keiner im Kabinett fuhr solche Sympathiewerte ein. In der Öffentlichkeit galt er als eiserner Sparer, unbestechlich und gewissenhaft, zugleich volksnah. Einer, der seine Wurzeln als Arbeitersohn nicht vergessen hatte.

Immer, wenn Henning bei ihm im Büro saß, waren die wichtigsten Köpfe des Landes versammelt, und Castorp hatte das Gefühl, insgeheim nur die Nummer zwei zu sein.

„Dir entgeht etwas“, sagte Petzold und zwinkerte. „Drei Tage Entspannung pur. Alles vom Feinsten. Und schon beim Hinflug beginnt die Hasenjagd.“

Castorp wusste, welche Sorte Hasen der Finanzminister meinte.

Neben ihnen deckte die Bedienung einen frei gewordenen Tisch ein. Das Grüne Schaf war neu und angesagt. Trotzdem hatte Petzold nie ein Problem, auch kurzfristig einen Platz zu bekommen.

Nach dem Dessert ging es unter vier Augen ums Geschäft.

„Eine Razzia?“, entfuhr es Vorderwühlbecke.

„Nicht so laut, Manni“, raunte Petzold und unterdrückte hinter vorgehaltener Hand einen Rülpser. Wachtelbrust, Rehfilet und Crème Brulée – ein mittägliches Dreigängemenü im sterngekrönten Edelschuppen wollte ordentlich verdaut sein. Die Aufregung seines Freundes amüsierte ihn.

Der Vorstandsvorsitzende der Landesbank blickte sich um, dann senkte er die Stimme. „Wer hat sich denn so etwas Blödes ausgedacht? Was erzählst du? Beihilfe zur Steuerhinterziehung? Dass ich nicht lache! Wenn man das streng sehen will, besteht unsere gesamte Vermögensverwaltung aus nichts anderem. Als nächstes geht es womöglich unseren Kunden an den Kragen! Versteh mich richtig, Henning, ich rede hier nicht von Lieschen Müller und ihren Spargroschen.“

Petzold zuckte mit den Schultern. „Du verstehst sicher, dass es blöd aussehen würde, wenn ich als Finanzminister die Steuerfahndung stoppen würde.“

„Klar, aber ...“

„Beruhige dich, Manni. Der Informationsvorsprung wird dir helfen, nichts anbrennen zu lassen. Vor nächster Woche tut sich da nämlich nichts. Versprochen.“

Vorderwülbecke leerte seinen 96er Château Belgrave. „Wenn das so ist ...“

„Natürlich habe ich die Razzia dir gegenüber nie erwähnt. Nicht heute und bei keiner anderen Gelegenheit.“

„Nein, natürlich nicht. Danke, Henning. Du rettest die Bank und ihre Kunden.“

„Und dich, mein Lieber.“ Petzold winkte die Bedienung heran, ein hübsches, blondes Ding von höchstens Mitte zwanzig, und bestellte einen Verdauungsschnaps. „Für dich auch einen?“

Vorderwülbecke schüttelte den Kopf. „Danke, lass mal.“

„Nur einen, Fräulein.“ Er zwinkerte ihr zu. „Und die Rechnung bitte.“

Die Bedienung schob ab.

Der Vorstandsvorsitzende der Landesbank neigte sich Petzold zu. „Für die Warnung hast du natürlich etwas gut bei mir.“

„Nicht nötig, Manni.“

„Diese blöden Steuerfahnder!“ Vorderwülbecke hatte sich noch immer nicht ganz eingekriegt.

„Höchstens um eine Kleinigkeit würde ich dich gerne bitten“, sagte Petzold.

„Nur zu.“

„Unser Pfingsturlaub. Lieber Karpaten als Ibiza, wenn’s geht. Ich würde nämlich gerne einen Bären schießen.“

„Kein Problem.“

„Schädel, Decke und Penisknochen als Trophäe. Und auf dem Rückflug setzt du mich und Tatjana in Split ab. Wir hängen noch ein paar Tage auf meiner Jacht dran. Der Flieger kann uns dann am Zwanzigsten abholen.“

„Tatjana?“

„Ein süßes Ding. Hatte ich noch nicht erwähnt, dass eine Freundin mitfliegen wird?“

„Kein Problem, Henning. Wir kriegen alles zu deiner Zufriedenheit...“

Die kleine Blonde kam mit dem Schnaps und der Rechnung. Das Feuerwasser brannte wohlig in Petzolds Kehle. Er schob den Teller mit der Rechnung seinem Kumpel zu und erhob sich ächzend, dem Fahrer am Nebentisch ein Zeichen gebend.

Bevor er ging, tätschelte er dem Landesbankchef die Schulter. „Übernimmst du das Bezahlen? Hab meine Brieftasche im Ministerium vergessen. Und deine Bank setzt das ohnehin von der Steuer ab.“

Jaschinski wartete, bis seine Frau das gemeinsame Büro verlassen hatte, dann griff er in die Schublade, nahm einen Schluck aus der Cognacflasche und wählte Sonjas Nummer.

„Escortservice Alexa“, meldete sich eine einschmeichelnde Stimme.

Jaschinski hatte nie verstanden, warum Sonja sich einen Künstlernamen zugelegt hatte. Ihm gefiel Sonja viel besser.

„VIP-Air-Charter“, antwortete er. Auch nicht mehr als ein Pseudonym, denn die Firma bestand nur aus ihm, seiner Frau und einem alten Learjet, gebraucht gekauft und noch lange nicht abbezahlt.

„Ach du bist’s, Jaschinski.“

Er dachte an die bevorstehenden Feiertage und malte sich aus, was Sonja bei ihren Dienstleistungen tragen und, vor allem, wie sie die Sachen ausziehen würde. Dabei wurde ihm ganz warm ums Herz.

Jaschinski räusperte sich. „Wir bräuchten wieder eine Stewardess.“

„Wer ist wir?“

„Vier hohe Herren aus Wirtschaft und Politik. Den einen oder anderen wirst du aus dem Fernsehen kennen. Am Telefon kann ich natürlich keine Namen ...“

„Ich allein mit vier geilen Böcken?“

Plus Pilot macht fünf, dachte Jaschinski, und es wurde ihm noch wärmer. „Bring deine Freundin mit“, sagte er leise, denn seine Frau konnte jeden Moment zurückkommen.

„Du kennst den Tarif.“

„Kein Problem, Sonja.“

„Und wann soll das sein?“

„Über Pfingsten. Es geht nach Sibiu.“

„Sibi-was?“

„Hermannstadt, Siebenbürgen in Rumänien. Drei entspannte Tage auf einer Jagdhütte.“

„Drakula-Land? Das kostet Aufschlag.“

„Kein Problem.“ Die Landesbank hatte bislang immer gezahlt, ohne zu meckern. Sehr großzügig, selbst für Flüge, die kurzfristig abgesagt wurden und die er dennoch in Rechnung stellte. Dafür garantierte VIP-Air-Charter hundertprozentige Verschwiegenheit. Wenn es doch nur mehr Kunden wie die Landesbank gäbe!

„Wer fliegt?“, fragte Sonja. „Ich meine, wer wird der Pilot sein?“

„Ich selbst.“

„Das ist gut. Mit diesem schmierigen Bornemann will ich nämlich nie wieder etwas zu tun haben. Der hat den Flugschein doch im Lotto gewonnen!“

Jaschinski beschloss, seiner Lieblingsstewardess nicht unter die Nase zu reiben, dass Bornemann sein Copilot sein würde. So kurzfristig hatte er keinen anderen bekommen. Zumindest keinen, dem er nur die Hälfte von dem bezahlen musste, was er von der Landesbank für den Copiloten bekam. Detlef Bornemann war ständig klamm und nahm praktisch jeden Job an.

Seine Frau kam zurück. Jaschinski beendete rasch das Gespräch, legte auf und schloss die Schublade mit der Cognacpulle.

„Wer war das?“

„Irgendein Telefonanbieter. Ich hab die Callcenter-Tussi abgewimmelt.“

„Das wollte ich dir auch geraten haben!“

Bornemann spähte durch den Türspion. Jürgen, der Buchmacher, stand im Treppenhaus. Und jemand, der versuchte, sich im toten Winkel zu verstecken. Bornemann hatte kein gutes Gefühl.

„Mach auf, Detlef, wir müssen reden.“ Jürgen klingelte wieder. „Ich weiß, dass du da bist!“

Bornemann sah ein, dass es keinen Zweck hatte, zu hoffen, dass Jürgen einfach wieder abzog. Eher würde der Kerl die Nachbarschaft zusammenschreien. Bornemann hatte schon genug Zoff mit seinem Vermieter.

Er öffnete, ließ aber die Kette vorgelegt.

„Ich zahle nach Pfingsten“, erklärte er durch den Türspalt. „Oder, pass auf, Jürgen, ich hab noch eine viel bessere Idee: Ich wette auf einen Sieg der Fortuna am letzten Spieltag. Drei Tore in der zweiten Halbzeit. Und vom Gewinn ziehst du meine Schulden ab.“

„Wenn du aber verlierst?“

Bornemann fiel keine Antwort ein.

Plötzlich bewegte sich die andere Person aus dem Winkel hervor, ein riesiger Bolzenschneider schob sich in den Türspalt, und mit einem kurzen Geräusch war die Kette entzwei geknipst.

Ein Stoß schleuderte Bornemann gegen die Wand. Der Buchmacher und sein Begleiter traten ein.

„Das ist Jewgeni“, sagte Jürgen und drückte die Tür von innen ins Schloss.

Ein Muskelprotz baute sich vor Bornemann auf, sein Lächeln entblößte zwei Reihen goldüberkronter Zähne. Der Kerl hielt den Bolzenschneider in seinen Pranken wie ein Mordwerkzeug.

„Angenehm“, sagte Bornemann und versuchte, den Harndrang zu unterdrücken, den er plötzlich spürte.

Der Muskelprotz sprach ihn an: „Du fliegen Rumänien?“

„Zu Pfingsten, ja.“

„Auf Rückweg du bringen Paket für mich.“

Bornemann sah Jürgen an.

„Nur ein paar Kilo“, erklärte der Buchmacher. „Der Inhalt geht niemanden etwas an. Dafür wird dir die Zahlung der Schulden ...“

„Erlassen!“

„Bin ich Krösus? Nein, gestundet, mein Lieber. Bis Ende Juni lassen wir dich dann in Ruhe.“

Jewgeni hielt Bornemann die Rechte hin. „Ist abgemacht?“

Bornemann überlegte einen Gegenvorschlag, doch er konnte nichts bieten, was seine Besucher überzeugen würde.

Fast hätte er sich beim Handschlag in die Hose gepisst.

Die Bärin vergewisserte sich, dass die Kleinen ihr folgten. Immer wieder fingen sie an zu spielen oder nach Blumen zu schnappen. Aber schneller hätte sich die Bärin den Weg durch das Unterholz ohnehin nicht bahnen können. Ihre Schulter schmerzte, sobald sie die linke Tatze belastete.

Allmählich wurde es dunkel.

Und wenn sie hier oben nichts zu fressen finden würde? Dann hätte sie keine andere Wahl mehr, als es im Tal zu versuchen, trotz der Bauern. Am besten noch vor Tagesanbruch.

Wind frischte auf und der Brandgeruch wurde intensiver.

Die Bärin erreichte eine Schneise. Äste waren gebrochen, Gestrüpp abrasiert, kleinere Bäume entwurzelt. Weiter oben am Hang lagen qualmende Trümmer. Für einen Moment loderten Reste eines Feuers auf.

Metallteile, verstreut im weiten Kreis, die größeren davon verkohlt.

Taschen, zum Teil zerrissen. Kleidung und Gewehre.

Eine geborstene Kiste. Die Bärin bog sie auf. Flaschen und Papierservietten.

Eine Schublade mit belegten Brötchen, Schinken und Käse.

Futter – endlich!

Sie wartete, bis ihre zwei Jungen herbeiliefen, dann ging sie mit gutem Beispiel voran und grub ihre Schnauze in die Schublade, um sich ein Brötchen zu schnappen.

Pfingstsamstag, gegen Mittag, war es so weit. Henning Petzold verabschiedete sich mit einem Schmatz von seiner Frau. Für sie fuhr er zu einer Tagung mit seinem rumänischen Amtskollegen, und tatsächlich würde sich Bazil Munteanu für einen Tag der Jagdgesellschaft aus Deutschland anschließen.

Der Chef der Landesbank holte Petzold ab. Tatjana würde mit dem Taxi zum Flughafen kommen – Petzold nahm meistens sein eigenes Callgirl mit, denn er hatte keine Lust, sich die sogenannten Stewardessen mit den anderen Teilnehmern des Ausflugs zu teilen.

Petzold verstaute sein Reisegepäck und die Futterale mit den Jagdgewehren. Dann nahmen die beiden Männer im Fond der Dienstlimousine Platz. Als der Fahrer losfuhr, wandte sich Petzold um und winkte seiner Frau, bis das Haus außer Sicht war.

Mit einem Ächzen machte er es sich bequem und rieb in Vorfreude seine Hände. „Die Hütte hat auch eine Sauna, sagtest du?“

„Sauna, Fitnessraum und jeglicher Schnickschnack, den du dir denken kannst. Sie gehörte einst dem Chef der Securitate. Noch vor Sonnenuntergang sind wir da.“

„Erzähl das mit der Securitate bloß nicht weiter, Manni!“

Vorderwülbecke räusperte sich. „Ich habe die Abschusslizenz für den Braunbären bekommen“, sagte er, als erwarte er Lob dafür.

„Und was macht der Kredit für die Morgenpost?“

„Ich dachte, wir reden die nächsten Tage nicht übers Geschäft.“

Petzold schlug sich auf den Bauch. „Du kennst mein Motto, Manni. Fressen und gefressen werden. Dass ich dabei auf der richtigen Seite stehe, erkennt man schon am Körperbau, haha! Aber bei unserem Ministerpräsidenten bin ich mir wirklich nicht sicher. Ein Schisshase, wie er im Buche steht. Castorp stirbt fast vor Sorge um die Medien. Du kennst seine heimlichen Ambitionen auf den Posten des Bundespräsidenten. Weiß der Geier, warum Castorp so scharf darauf ist. Jedenfalls ist ihm sein Image heilig, und alle zehn Minuten will er von einem hören, dass man sämtliche Medien im Griff hat.“

„Die Morgenpost ...“

„Ja, Manni?“

„Die haben wir nicht im Griff.“

„Was soll das heißen?“

„Der Verleger ist wegen des Kredits zur Deutschen Bank gegangen.“

Petzold brauchte eine Schrecksekunde, um sich zu sammeln. Dann fiel ihm ein, dass er Munteanu mit auf die Pirsch nehmen würde, den rumänischen Finanzminister. „Macht nichts“, sagte er.

Zweifellos war das eine Dienstreise.

Und Tatjana würde er als seine Dolmetscherin ausgeben.

Ein ungutes Gefühl blieb.

Sie erreichten den Executive Terminal im Westen des Flughafens. Dort empfing sie Jaschinski, der Pilot. Die Uniformjacke hing ihm zwei Nummern zu groß um die Schultern. Er kaute Kaugummi und roch nach Pfefferminz. Hoffentlich nicht, um eine Alkoholfahne zu verbergen, dachte Petzold.

Tatjana traf ein und fiel ihm um den Hals. Sehr luftig gekleidet – ihr Dekolletee ließ bis zum Bauchnabel fast alles sehen.

Hoffentlich hatte sie auch seriöse Klamotten in ihrer Reisetasche.

„Kannst du Rumänisch?“, fragte Petzold.

„Nein, aber Russisch“, antwortete das Mädchen. „Und in Französisch, da bin ich Spitzenklasse!“

„Ich weiß“, brummte Petzold und walzte hinaus zur Maschine, deren Triebwerke bereits warmliefen.

„Wie geht’s dir?“, fragte Bornemann den Piloten, als sie aufs Rollfeld fuhren.

„Frage nicht.“

„Du siehst beschissen aus.“

„Danke.“

„Im Ernst, Jaschinski, was ist los?“

„Gestern musste ich einen Thyssen-Manager kreuz und quer durch Europa fliegen. Von morgens um fünf bis fast um Mitternacht. Der Typ schien kein Glück zu haben bei seinen Terminen und ließ es an mir und der Crew aus. Um runterzukommen, musste ich drei Flaschen Rotwein trinken. Und nach weniger als vier Stunden Schlaf klingelt schon wieder der Wecker. Also, richtig wach bin ich immer noch nicht.“

Der Tower gab die Starterlaubnis. Jaschinski gab Gas, und der alte Learjet hob nach langem Anlauf ab. Bornemann fiel auf, dass die beiden Triebwerke unterschiedliche Geräusche machten. Er musterte die Anzeigen vor seinen Augen. Alles schien okay zu sein – soweit er es beurteilen konnte.

Der Eigner der VIP-Air-Charter gähnte. „Ich glaube, Detlef, du musst die Landung in Sibiu übernehmen.“

„Nee, mein Lieber. Dafür fehlt mir die Praxis, ehrlich gesagt.“

Jaschinski sah ihn an. Bornemann zuckte mit den Schultern.

„Schöner Kopilot.“

„Immer noch der Beste, den du für meine Gage kriegen kannst. Aber ich kann dir eine Prise Koks spendieren, das hilft. Ehrlich. Macht einen Toten wieder wach.“

„Lass mal. Beim letzten Mal hab ich von dem Zeug Herzsausen gekriegt.“

Die Felder, Straßen und Häuser unter ihnen gewannen an Distanz. Der Learjet ließ das mäandernde Band des Rheins hinter sich. Bald war die Reiseflughöhe erreicht.

Bornemann drückte den Knopf, der die Anschnallzeichen in der Kabine ausgehen ließ.

Die Party konnte beginnen.

Er tastete nach der kleinen Kamera in seiner Jackentasche. Zur Sicherheit hatte er frische Batterien eingelegt. Der Typ von der Morgenpost hatte ihm fünf Riesen versprochen, falls die Fotos gelingen würden. Damit würde er seine Schulden bezahlen können. Und zuvor noch ein wenig zocken.

„Die Mädels müssten mit der Erläuterung der Sicherheitsbestimmungen fertig sein“, sagte sein Chef. „Mach dich schon mal bereit, den Schampus zu servieren.“

„In Ordnung, Käptn.“

Jaschinski gähnte wieder.

Bornemann holte die flache Blechschatulle aus der Hosentasche, klappte sie auf und tupfte sich eine Prise Schnee in die Nase. Dann hielt er dem Piloten den Stoff hin. „Na, willst du nicht doch?“

Jaschinski betrachtete die Schatulle, schließlich griff er zu.

Bornemann nahm den Champagner und den Korb mit den Gläsern und machte sich auf den Weg nach hinten.

„Die Notausgänge sind mit ‚Exit’ gekennzeichnet“, erklärte Sonja alias Alexa.

Henning Petzold genoss das Ritual. Eine Mischung aus Parodie und Striptease. Wie die Stewardess wirklich hieß, hatte er nicht mitbekommen.

Ihre Kollegin versuchte, sich möglichst synchron zu entkleiden. Und auch in gebückter Haltung grazil zu wirken – die kleine Maschine war nun mal kein Jumbo.

„Im Fall eines Druckverlustes ...“

Petzold spürte Tatjanas Hand auf seinem Bauch, ihre Lippen an seiner Wange. Es kam ihm vor, als sei das Mädel eifersüchtig auf die Stewardessen. Petzold erwiderte Tatjanas Kuss, dann widmete er sich wieder der Show im Kabinengang.

„Die Schwimmwesten befinden sich unter Ihren ...“

Mit einem laut vernehmbaren Klick löste Tatjana Petzolds Gurt, um sich gleich darauf an seiner Hose zu schaffen zu machen.

Die Stewardessen waren jetzt nackt bis auf etwas Spitze um die Hüften und halterlose Strümpfe. „VIP-Air-Charter wünscht Ihnen einen entspannten Flug mit unserem besonderen Inflight-Entertainmentprogramm.“

Die Männer applaudierten begeistert. Petzold schloss die Augen und legte den Kopf zurück.

Tatjana führte ihre Französischkenntnisse vor.

Ein Knall schreckte Petzold auf.

Aber es war nur der Schampus, den der Kopilot entkorkt hatte und in das erste Glas schäumen ließ. Petzold nahm es entgegen und schloss erneut die Augen.

„Was soll das?“, hörte er eine Frauenstimme – Alexa alias Sonja.

Petzold sah sich um und bemerkte, wie der Kopilot wieder im Cockpit verschwand. Bereits beim Einsteigen hatte Petzold mitbekommen, dass die Stewardess den Mann nicht leiden konnte.

„Was war denn?“, fragte Vorderwülbecke, auf dessen Schoß Alexa saß.

„Hast du das nicht mitgekriegt? Der Kerl hat den Herrn Minister fotografiert!“

Petzold wusste sofort, was zu tun war. Er schob Tatjana zur Seite und zog den Reißverschluss zu. Er zwängte sich aus dem engen Sitz. Im Kabinengang stieß er sich den Kopf.

Na warte, Bürschchen!

Mit drei Schritten war Petzold an der Tür zur Pilotenkanzel.

„Jaschinski!“

Bornemann rüttelte an der Schulter des Piloten, dessen Kopf auf dem Steuerhorn lag.

„Mach keinen Scheiß, Jaschinski!“

Offenbar war sein Chef trotz des Kokains eingeschlafen. Oder er hatte den Stoff nicht vertragen.

Beim letzten Mal hab ich von dem Zeug Herzsausen gekriegt.

Bornemann versuchte, Jaschinskis Puls zu fühlen.

Hinter ihm krachte die Tür auf, der Finanzminister schob sich herein und brüllte: „Rück sofort die Kamera heraus!“

Bornemann versuchte, den Dicken zu ignorieren. Ganz schwach pochte es in der Halsschlagader des Piloten. Oder bildete er sich das nur ein? Bornemann tastete auf der anderen Seite der Kehle.

Im gleichen Moment riss ihn der Finanzminister hoch und verpasste ihm einen schweren Schlag. Bornemann sackte gegen die Instrumente, suchte Halt an irgendwelchen Hebeln, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

„Bleib ruhig, Henning!“, rief Manfred Vorderwülbecke aus der Kabine. „Wir regeln das, sobald wir angekommen sind.“

Zu spät, dachte Petzold. Funken schlugen aus der Armaturentafel. Der Kopilot stöhnte leise, regte sich aber nicht. Auch sein Nebenmann schien bewusstlos zu sein. Dabei hatte Petzold ihn gar nicht angerührt.

Die Stimme von hinten: „Lass gut sein, Henning!“

„Schnauze!“, schrie Petzold.

Das Flugzeug war führerlos.

Petzold tätschelte die Wange des Piloten. Dann watschte er den anderen, der die Fotos gemacht hatte.

Nichts.

Es ist wie in der Politik, dachte Petzold. Die anderen bauen nur Mist, und du musst das Ruder übernehmen. Fressen und gefressen werden.

Er zog den Piloten von seinem Platz und setzte sich hinter den Steuerknüppel, der unaufhörlich wackelte. Damit ging es rauf und runter und in die Kurven, vermutete Petzold.

So viele Uhren und Schalter. Petzold setzte seine Lesebrille auf, um die Beschriftungen entziffern zu können. Alles auf Englisch.

Über die Brillengläser hinweg lugte Petzold nach draußen. Unter ihnen wellte sich grüne Landschaft, weiter hinten ragten Berge auf. Waren das schon die Karpaten? Oder etwa der Böhmerwald, vielleicht die östlichen Alpen?

Petzold hatte keinen Schimmer.

Er riss dem Piloten den verrutschten Kopfhörer vom Haar, drückte ihn auf seine Ohren und sprach in das Mikro: „Mayday, Mayday, can you hear me?“

Leise – er wollte die übrigen Passagiere nicht in Panik versetzen.

Keine Antwort.

Er wiederholte den Spruch. Dann stellte er fest, dass die Maschine an Höhe verlor. Oder die Gipfel türmten sich höher. Er musste etwas tun.

Die Griffe des Steuerknüppels erinnerten Petzold an die Hörner eines Büffels, den er einst in Namibia geschossen hatte.

Er packte zu und zog daran. Offenbar zu heftig – Petzold wurde in den Sitz gepresst, vor ihm war nur noch Himmel. Sofort versuchte er zu korrigieren und drückte das Steuer wieder nach unten.

Schreie aus der Kabine.

Diese Schisshasen, dachte Petzold wütend.

Im Tiefflug rasten sie auf einen Berg zu. Mit Gefühl, sagte sich Petzold und hob die Hörner ganz langsam gegen seinen Bauch. Ich müsste zugleich Gas geben, dachte er. Damit die Maschine nicht abschmiert.

Er trat auf eines der Pedale, in der Hoffnung, die Anordnung sei ähnlich wie im Auto.

Das Geschrei hinter ihm hörte nicht auf.

Als plötzlich der Wald auf das Cockpit zuraste, musste sich Petzold zum ersten Mal in seinem Politikerleben einen Fehler eingestehen.

Bäume rissen die Tragflächen ab. Petzold nahm die Arme hoch, um seinen Kopf zu schützen. Ein Aufprall, er flog durch die Scheibe, dann war alles aus.

Die belegten Dinger schienen den beiden Jungen zu schmecken. Die Bärin schaute sich währenddessen nach etwas Besserem um. Die Sonne stand tief und erreichte den Grund der Schneise nicht mehr. Allmählich verblassten die Farben. Mücken schwirrten, Singvögel lärmten in den Wipfeln.

In den Trümmern entdeckte die Bärin menschliche Leichen, angeschnallt auf verbrannten Sitzen, schwarz und verschrumpelt, völlig ungenießbar.

Sollten ein paar Brötchen alles gewesen sein?

Dann kam wieder Wind auf, und die Bärin witterte den Geruch von Kot.

Sie hörte ein Knacken.

Im nächsten Moment sah sie einen Menschen, der noch lebte. Er torkelte zwischen den Bäumen, fiel hin und versuchte mühsam, sich wieder aufzurappeln. Sein Kopf blutete heftig.

Ein so fettes Exemplar hatte sie noch nie gesehen.

Die Bärin stieß ein Knurren aus, um ihre Kinder auf sich aufmerksam zu machen. Sie folgten ihr, als sie sich dem Dicken näherte.

Der Mann starrte sie an und versuchte, sich hinter einem Felsen in Deckung zu bringen. Dann änderte er sein Ziel und humpelte auf die nächste der herumliegenden Taschen zu.

Der Dicke strauchelte und kroch auf allen Vieren weiter.

Etwas Langes hatte sich durch den Stoff der Tasche gebohrt.

Der Lauf einer Flinte.

Der Mann robbte heran und streckte seine zitternde Hand danach aus.

Die Bärin holte ihn mit wenigen Schritten ein. Ein Schlag, und der Dicke lag auf dem Waldboden. Ein Biss in den Nacken gab ihm den Rest.

In den nächsten Tagen würde sie nicht ins Tal hinabsteigen müssen.

Juwelen am Hellweg

Gierig sog Rabe die morgendlich kühle Herbstluft ein, als er mit seiner Reisetasche nach draußen trat. Die Freiheit inhalieren – fünf Jahre lang hatte er diesen Moment herbeigesehnt. Dann fiel sein Blick auf Rita, die Blonde aus Unna, die ihren Opel Corsa vor den Fahrradständern geparkt hatte. Sie hatte ihn nicht enttäuscht.

Er war sich nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Ein Händedruck – er spürte, dass sie ähnlich befangen war. Rabe stieg zu seiner neuen Freundin ins Auto.

Sie startete den Motor und sagte: „Der Bewährungshelfer hat dir in Dortmund ein Apartment besorgt.“

Rita. Gewelltes Blondhaar, am Ansatz dunkel. Eine gute Figur, fand Rabe, zumindest an den Stellen, die wichtig waren. Und ein Profil, das Entschlossenheit ausstrahlte – diese Eigenschaft hatte er bereits in ihren Briefen erkannt.

„Bloß nicht Dortmund“, antwortete er.

„Wohin dann?“

„Autobahn.“

Beim Losfahren kreischte der Keilriemen der alten Karre. Rabe vermied den Blick zurück. Der Knast von Werl war kein Ort, den man in Erinnerung behalten sollte.

Erst an der nächsten Kreuzung spähte er die Straßen entlang. Kein Mensch weit und breit, der sie zu beschatten schien, doch Rabe wusste nicht, ob er dem Frieden trauen konnte. Selbst an Ritas Motiven hatte er anfangs gezweifelt. Als habe sie es auf die Steine abgesehen und nur deshalb auf seine Kontaktanzeige geantwortet.

Nichts ist sicher und auf niemanden ist Verlass – Rabes Credo seit der Kindheit.

Rita kurvte durch ein Wohngebiet, den blauen Schildern folgend. Sie sagte: „Ich hab Kuchen dabei. Selbst gebacken, mit Mangos. Ich dachte, wir weihen dein neues Zuhause ein.“

„Eins nach dem anderen. Zuerst geht’s nach Eringerfeld.“

„Klingt nach ’nem gottverlassenen Kuhkaff in Ostwestfalen.“

Er lachte. „Weißt du, dass du heute noch schöner bist als bei deinem Besuch im Knast?“

„Schmeichler.“

Als sie den Zubringer erreichten, beugte sich Rabe hinüber und küsste Rita auf die Wange. Er glaubte zu spüren, dass es ihr gefiel – das Eis war gebrochen.

Der Tag fing gut an. Und in wenigen Stunden würde er reich sein.

„Was willst du in dem Kaff?“, fragte Rita.

Sie hat keine Ahnung, stellte Rabe fest. Woher auch. In seinen Briefen hatte er nichts verraten, denn die Bullen überwachten die Post im Knast. Vor allem wenn sie einen Einbrecher hatten, nicht aber seine Beute.

„Ich bin dort aufgewachsen“, antwortete Rabe.

Im Kreuz Werl wechselten sie auf die A 44 und rauschten ostwärts Richtung Kassel. Die Landschaft wirkte trist unter dem grauen Himmel. Keine Blätter mehr im Gestrüpp längs der Böschung. Dahinter drehten sich Windräder.

Rabe bemerkte, dass seine Freundin in den Rückspiegel blickte. Sofort meldete sich seine Paranoia wieder. Ein weißer Mercedes klebte an der Stoßstange des Corsa. Endlich scherte der Bonzenschlitten auf die linke Spur und zog vorbei. Ein Mann mit Hut. Das Heck mit Sylt-Aufklebern bepflastert. Harmlos.

„Mit dem Kuhkaff liegst du richtig“, sagte Rabe. „Aber ein Kumpel von mir hat etwas für mich aufbewahrt.“

Sie warf ihm einen Blick zu. „Wenn du vorhast, rückfällig zu werden, wird das nichts mit uns.“

„Ich hab’s kapiert“, sagte er. Es freute ihn, dass sie sich um ihn sorgte.

Er legte seine Linke auf ihren Schenkel. Festes Fleisch unter dem Jeansstoff, ein gutes Gefühl. Sie wehrte sich nicht. Eine Zukunft mit ihr konnte sich Rabe noch nicht ausmalen, aber er fand, dass sie auf dem besten Weg waren.

Wieder äugte Rita in den Rückspiegel. Als fürchte sie, dass jemand mitbekam, was seine Hand anstellte. Rabe küsste ihren Hals und blickte verstohlen nach hinten. Die Luft war rein.

„Du hast mir nie etwas über diesen Kumpel geschrieben“, sagte die Frau und hielt sich am Lenkrad fest.

„Die Bullen. Postüberwachung, verstehst du? Bin gespannt, wie Kalle reagiert, wenn wir aufkreuzen. Nichts ist sicher und auf niemanden ist Verlass.“

Er befühlte ihre Brust. Sie sagte: „Willst du, dass ich einen Unfall baue?“

Rabe lachte und deutete auf ein Parkplatzschild. „Fahr hier raus.“

Rita setzte den Blinker und gehorchte. Sie rollten an weißen Bänken vorbei. Betontische, die niemand nutzte. Hinter einem Lastwagen mit holländischem Kennzeichen stoppten sie.

Als Rabe mit klopfendem Herzen Ritas BH aufhakte, rollte ein roter Passat vorbei. Typen, die herüberglotzten. Blöde Spanner. Dann war der Passat verschwunden.

Der blinkende Punkt auf dem Monitor bewegte sich nicht vom Fleck. Ein feines Gerät, das die Dortmunder Kripo da besaß, freute sich Kaufmann. Sie hatten es nicht nötig, dem Zielobjekt auf Sichtweite zu folgen. Sie konnten sogar vorausfahren.

„Und jetzt?“, ließ sich der Praktikant vernehmen, der mit glänzender Gelfrisur hinter dem Steuer saß.

„Warten an der nächsten Ausfahrt.“ Hauptkommissar Kaufmann musste aufstoßen. Nie wieder Wurstsalat, beschloss er. Zumindest nicht mit Zwiebeln.

Soest/Möhnesee meldeten die Schilder. Kaufmann dirigierte den Jungen. Sie stießen auf eine Bundesstraße, wendeten nicht ganz vorschriftsgemäß und hielten am Rand der Auffahrt. Sogar für das Einschalten der Warnblinkanlage brauchte der Praktikant eine Anweisung.

Seinen Namen hatte Kaufmann vergessen. Aus dem Burschen würde nie ein richtiger Kriminalist werden – nicht mit dieser affigen Frisur.

„Was machen die so lange?“, fragte der Praktikant.

Kaufmann wandte sich nach hinten, wo Kommissar Olschewski mit den Akten raschelte. „Ein scharfes Luder, Rabes neue Freundin. Hast du die Figur gesehen, Olli?“

Der Kollege brummte nur. Seit Tagen stellte er schlechte Laune zur Schau. Dabei traten die Ermittlungen in eine wichtige Phase. Rabe musste beim Einbruch in das Juweliergeschäft in der Dortmunder Fußgängerzone Komplizen gehabt haben. Tippgeber, Handlanger, Schmieresteher. Die Diamanten waren nie aufgetaucht – todsicher war Rabe jetzt unterwegs, um seinen Anteil einzufordern. Nur Olli schien nicht viel von dieser These zu halten.

Der Praktikant räusperte sich.

„Is’ was?“, fragte Kaufmann.

„Offenbar hat Rabe es doch nicht so eilig.“

Klugscheißer, dachte der Hauptkommissar. Er sagte: „Sobald er abgespritzt hat, stellt Rabe die Peilung wieder voll auf die Klunker ein. Was meinst du, Olli?“

Wieder nur ein Brummen, begleitet vom Rascheln der Unterlagen.

Kaufmann raunte dem Praktikanten zu: „Kollege Olschewski ist neidisch auf Rabe, weil seine Alte ihn nicht mehr ranlässt.“

„Halt’s Maul“, knurrte der Kollege auf dem Rücksitz.

Kaufmann wusste, dass Olli eine Geliebte hatte. Dass es deshalb Streit mit seiner Gattin gab. Aber er verstand nicht, warum der Kollege deshalb die Krise schob. Er selbst war seit fünfzehn Jahren Single – ohne nennenswerte Erfolge beim anderen Geschlecht.

„Es blinkt nicht mehr!“, rief der Praktikant.

Zu dritt starrten sie auf den Monitor. Kaufmann drückte Tasten, ohne zu wissen, was sie bedeuteten. Der Bildschirm erlosch, dann war die Karte wieder da. Das Signal blieb verschwunden. Kaufmann gab den aufsteigenden Gasen nach und rülpste.

„Wie kann das passieren?“, erkundigte er sich bei Olli, der den Peilsender angebracht hatte.

„Batterie leer, was weiß ich.“

Vierspurig rauschte der Verkehr vorbei. Kaufmann überlegte, wie lange die Turteltäubchen brauchen würden.

„Ein Opel, oder?“, fragte er.

„Corsa“, antwortete Olschewski und blätterte wieder.

Der Praktikant ergänzte: „Weiß, älteres Baujahr, Kennzeichen aus Unna.“

Kaufmann beschloss, dem Jungspund klar zu machen, wer hier das Sagen hatte. „Worauf wartest du? Lass schon mal den Motor an!“

Dann kniff er die Augen zusammen, um die Autobahn ins Visier zu nehmen. Seine Speiseröhre brannte. Der Staatsanwalt würde ihn zur Sau machen, wenn Rabe entwischte.

Ausfahrt Geseke. „Hier ab“, sagte Rabe in einem Befehlston, den Rita hasste wie die Pest.

Mit weißen Knöcheln umklammerte sie das Lenkrad und fragte sich, ob der Kerl ihr die Nervosität anmerkte. Auf dem Parkplatz hatte ihn seine Geilheit abgelenkt. Jetzt war es hoffentlich der Gedanke an die Diamanten. Sie beschloss, nicht darüber nachzugrübeln, was sie da tat. Das war nicht sie. Das war eine andere Rita.

Die Landstraße schlängelte sich südwärts, die Gegend wurde hügeliger. Abgeerntete Felder und umgegrabene Rübenäcker. Kaum ein Auto kam ihnen entgegen.

Ein Dorf zog vorbei. Prövenholz. Rabe zeigte auf ein Haus mit verwahrlostem Vorgarten. „Hier hab ich auch mal gewohnt.“

Sie bogen ein paarmal ab. Rita hatte keine Ahnung mehr, wo sie waren. Sie war ausgelaufen und die feuchte Stelle im Slip fühlte sich kalt an.

Plötzlich musste sie an ihre Jugend denken. An den Brief, den sie einmal geschrieben hatte, um einen pickligen Verehrer abzuweisen. Ihre Freundin hatte den Boten gespielt. Je ne t’aime pas – der Kerl ließ sich nie wieder blicken. So einfach war das damals gewesen.

Sie kreuzten ein Waldstück. Im nächsten Tal ein Feldweg. Rabe wies Rita an abzubiegen. Der Corsa rumpelte auf eine Art Baracke zu. Das Bodenblech streifte Unkraut und lose Steine, bis ein Tor die Weiterfahrt verwehrte.

„Warte hier“, raunzte Rabe. „Kalles Köter hat was gegen Fremde.“

Er stieg aus. Sofort ließ Rita das Seitenfenster herunterfahren, um den Geruch des Kerls loszuwerden.

Zweihunderttausend war die Beute angeblich wert – Rita hätte sich nie darauf eingelassen, wenn ihr klar gewesen wäre, was sie dafür tun musste.

Rabe rief nach seinem Kumpel. Niemand antwortete. Kein Hund ließ sich blicken. Neben dem niedrigen Gebäude gammelten ein Bauwagen und einige Autowracks vor sich hin.

Die Gelegenheit, die Sache ohne Risiko abzubrechen, überlegte Rita. Sich einfach aus dem Staub zu machen.

Sie beobachtete, wie Rabe am Tor rüttelte, Steine gegen die Baracke schleuderte und den Bauwagen anbrüllte.

Ihr fiel auf, dass hohes Gras die Zufahrt überwucherte. Hier gab es keinen Kalle, schoss es ihr durch den Kopf. Seit Jahren nicht mehr.

Rita stieg aus und gesellte sich zu Rabe. Sie brachte es über sich, zu lächeln und seinen Arm zu berühren. Nachdem sie so viel investiert hatte, kam ein Rückzug nicht mehr infrage.

„Ich weiß nicht, was du vorhast“, log sie. „Aber vergiss deine Kumpels von früher. Sie bringen dich nur auf die schiefe Bahn. Der Bewährungshelfer verschafft dir einen Job. Lass uns nach Dortmund fahren.“

„Gib mir dein Handy!“, blaffte Rabe.

Rita zögerte, dann sagte sie: „Das halte ich für keine gute Idee.“

„Wieso?“

„Kalle war damals dabei, stimmt’s?“

„Nein. Ich hab’s allein getan.“

„Aber er hat die Beute für dich versteckt?“

Rabe blickte sich um. Leise sagte er: „Wie kommst du darauf?“

„Ich kann mir vorstellen, dass sich die Bullen dafür interessieren. Und wenn sie die Post überwacht haben, dann wissen sie über uns Bescheid.“ Rita zog ihr Mobiltelefon aus der Jackentasche und hielt es ihm hin. „Womöglich haben die Bullen das Handy angezapft. Ruf lieber den Bewährungshelfer an. Zieh einen Schlussstrich, wenn es dir ernst mit uns ist.“

Er zeigte schief gewachsene Zähne. Seine schwielige Hand strich erneut über ihre Wange. „Du bist wirklich ein Schatz.“

Als sie ins Auto stiegen, war wieder sein Geruch in ihrer Nase.

„In den Ort“, befahl Rabe. „Da kenn ich ein Café. Das Telefon dort hört garantiert keiner ab.“

Der locker sitzende Keilriemen hörte nicht auf zu lärmen, als sie ein Altenheim passierten und ein Schloss mit gelb gestrichenen Mauern. Das Ortszentrum bestand aus einer Kreuzung.

Das Café gab es nicht mehr. Hellwegsonne stand an der Scheibe. Bräunen ab 1,- Euro.

„Warte hier“, sagte Rabe.

„Vergiss die Beute. Das ist sie nicht wert.“

Er zwinkerte ihr zu. „Mach keine Sprüche, Süße. Es mag Leute geben, für die das Peanuts sind. Aber ich gehöre nicht dazu und du auch nicht.“ Rabe sah auf die Uhr. „Der heutige Tag wird unser Leben gründlich verändern. Eine Million, verstehst du? Und glaub nicht, dass ich noch in Mark rechne, nur weil ich so lang hinter Gittern war.“

Rita rang sich ein Lächeln ab. Sie ballte die Fäuste, als er durch die Glastür des Bräunungsstudios verschwunden war. Eine Million Euro.

Wie hatte Rabe es ausgedrückt? Nichts sei sicher und auf niemanden sei Verlass. Da war etwas dran. Der schöne Scheißkerl, für den sie den Haftentlassenen ausspionierte, hatte ihr nur ein Fünftel der Summe genannt.

Rita startete den Corsa. Nichts wie weg aus diesem Intrigenspiel. Sie legte den Gang ein. Doch dann überlegte sie es sich anders und würgte den Motor ab.

Sie würde es durchziehen, jetzt erst recht. So einfach haut mich keiner übers Ohr, dachte Rita.

Der Himmel verdunkelte sich und Nieselregen setzte ein. Sie hatten erwartet, dass Rabe sich nach Dortmund fahren lassen würde. Stattdessen gurkten sie nun quer durch den Kreis Soest, unter der A 44 hindurch und nordwärts an Waldstücken und Feldern vorbei.

Kleinschmitt war es leid, die beiden Kripoleute durch die Pampa zu chauffieren. Am schlimmsten war der Dicke neben ihm – doof wie ein Gullydeckel und trotzdem den Chef markierend.

Auf einer schmalen Straße mit frisch gepflanzten Alleebäumen gondelten sie dem weißen Corsa hinterher. Nein, die Kripo war nicht sein Ding, überlegte Kleinschmitt. Noch eine Woche, dann war sein Praktikum beim Dortmunder Kommissariat für Raub und Eigentumsdelikte überstanden.

Neben ihm steckte Hauptkommissar Kaufmann das Handy weg und tat kund, was er herausbekommen hatte: „Vermutlich ist Rabe auf dem Weg zu Karlheinz Assauer, genannt Karossen-Kalle. Hat mit seiner Werkstatt in Eringerfeld Pleite gemacht und lebt jetzt in Störmede. Dort läuft zumindest ein Betrieb auf den Namen seiner Frau. Assauer und Rabe sind im gleichen Jahr geboren, vermutlich Schulfreunde. Wetten, dass dieser Kalle der Komplize ist, den wir suchen?“

„Oder auch nicht“, brummte die mürrische Stimme vom Rücksitz.

Kaufmann wandte sich an Kleinschmitt und verströmte Zwiebelgeruch. „Ollis Alte hat seit Wochen die Börse geschlossen, verstehst du? Wenn seine Aktien steigen, muss er sie unter der Hand verschleudern. Deshalb ist er so ungenießbar.“

Ein Ortsschild zeigte an, dass sie Störmede erreicht hatten. Häuser aus roten Ziegeln. Eine Kapelle, deren Turm mit grünem Blech gedeckt war und spitz wie eine Nadel aufragte. Und gerade als Kleinschmitt sich fragte, wo hier die Kneipen und Geschäfte waren, führte die Straße schon wieder aus dem Ort hinaus. Fast hätte er übersehen, dass ihr Zielobjekt auf das Gelände einer ehemaligen Tankstelle bog, von der nur die Werkstatt geblieben war. Kleinschmitt ging vom Gas und rollte langsam vorbei.

„Zügiger, sonst bemerken sie uns“, blaffte ihn der dicke Kaufmann an. „Und in der nächsten Einfahrt stoppst du.“

Der Praktikant folgte der Anweisung und steuerte bis dicht an einen Zaun. Zwischen Bäumen hindurch erspähte er Rabe und seine Freundin, die ausgestiegen waren.

Ein hagerer Kerl im Blaumann stiefelte dem Pärchen entgegen, wischte die Hände am Overall ab und reichte den Ellbogen zur Begrüßung. Ein Kind rannte herbei. Rabe nahm es auf den Arm. Dann verschwand die Gruppe in der Werkstatt.

Lange Zeit tat sich gar nichts.

Karlheinz Assauer schluckte. Der Kloß im Hals blieb. Keiner hatte ihm gesagt, dass heute Rabes Entlassungstag war. Er selbst hatte den Gedanken daran verdrängt.

„Was soll das heißen, übermorgen?“, bellte sein Kumpel ihn an und griff nach der Bedienung der Hebebühne. Mit der Linken drückte er Julian wie einen Teddy gegen seine breite Brust. Dem Kleinen war anzusehen, dass es ihm nicht gefiel.

„Oder morgen“, lenkte Kalle ein. „Im Lauf des Nachmittags.“

Rabe drückte Knöpfe. Doch weil der Hauptschalter umgelegt war, tat sich nichts. Rabe wurde noch ungehaltener. „Ich will mein Auto wiederhaben! Jetzt, verstehst du?“

„Gib mir den Jungen“, bat die hübsche Blonde, mit der Rabe aufgekreuzt war.

Kalles Schulfreund ignorierte sie. „Wo steht die Kiste?“

Der Kleine strampelte. Rabe packte ihn fester. Mit der freien Hand fegte er die Werkbank frei. Schrauben und anderer Kleinkram flogen durch den Raum.

„Komm, lass ihn los. Gib mir den Kleinen“, wiederholte seine Freundin, sichtlich nervös.

Kalle wusste nicht, wie er auf Rabe reagieren sollte. Sein Kumpel war kein schlechter Kerl. Aber er konnte durchdrehen, wenn er in Wut geriet. Kalle streckte beschwichtigend die Hände aus. „Hör zu, Alter. Dein GTI muss erst auf Vordermann gebracht werden. Er war fünf Jahre eingemottet. Ich mach das gern für dich, aber gib mir wenigstens einen Tag Zeit.“

„Nein, sofort!“, brüllte Rabe.

Julian begann zu weinen.

„Lass ihn los“, forderte die Blonde, jetzt mit Nachdruck.

„Halt’s Maul, blöde Fotze!“

Rabe legte Julian auf die Werkbank, lockerte blitzschnell die Schraubzwinge und schob den Kopf des Jungen zwischen die eisernen Backen.

„Ich zähle bis drei.“

„Morgen Mittag“, versuchte Kalle, ihn zu beschwichtigen. „Sag mir, wo ich den GTI hinbringen soll!“

„Eins.“

Rabe drehte die Kurbel ein Stück. Der Junge wimmerte. Sein Kopf war jetzt fest eingeklemmt.

„Zwei.“

Der Junge rief nach seiner Mutter. Kalle wollte nicht wahrhaben, dass Rabe imstande sein würde, dem Kleinen etwas zu tun. Unmöglich.

„Drei.“

Rabe griff erneut nach der Kurbel.

Die Blonde schrie, als sei der Teufel in sie gefahren. Zugleich kreischte Julian.

Kalle stockte der Atem.

Kleinschmitt glaubte, etwas gehört zu haben. Er öffnete das Seitenfenster. Draußen war es still.

Der dicke Kaufmann fragte: „Habt ihr im Ort einen Imbiss gesehen? Unser Praktikant könnte was zum Futtern besorgen. Wer weiß, wie lang die Observation noch dauert.“

Kleinschmitt beschloss, nicht zu reagieren. Von hinten meldete sich Olschewski: „Dieser Karossen-Kalle hat sich die Diamanten jedenfalls nicht unter den Nagel gerissen. Sonst würde es hier anders aussehen.“

Der Regen machte Pause. Licht drang durch eine Lücke in den Wolken. Der Praktikant malte sich aus, wie ein Spezialeinsatzkommando das Gelände stürmen würde. In Sekunden wären Rabe und sein mutmaßlicher Komplize zu Päckchen geschnürt.

Ein schriller Klingelton riss ihn aus den Gedanken. Der Dicke fischte sein Handy aus der Ablage, lauschte und nickte dabei.

„Was gibt’s?“, fragte Olschewski.

„Rabes Freundin telefoniert“, erklärte Kaufmann. „Die Kollegen in Dortmund zeichnen auf. Offenbar…“ Der Hauptkommissar unterbrach sich und drückte das Gerät fester an die fette Backe. „Ja?“ Sein Mund klappte auf. Er wurde blass. „Ach du lieber …“

„Was ist?“, rief Olschewski, ganz aus dem Häuschen.

„Die Lady …“

„Red endlich!“

„Sie hat den Notruf gewählt. Da drin hat’s angeblich einen Toten gegeben.“