Fahrschein zum Tod - Callum M. Conan - E-Book

Fahrschein zum Tod E-Book

Callum M. Conan

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Beschreibung

Colin Fox ist der attraktivste, talentierteste und auch erfolgreichste Student seines Jahrgangs. Sein gesamtes Leben verläuft absolut nach Plan, bis eines Tages, wenige Wochen vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, zwei Männer in einem Hörsaal der University of Oxford stehen und mit ihm sprechen wollen. Nachdem er sich darauf einlässt, findet er sich wenig später in den Büroräumen eines im Auftrag der Vereinten Nationen neu gegründeten Geheimdiensts wieder. Als er das Angebot, eine Probezeit beim ESS zu durchlaufen, annimmt, ahnt er noch nicht, dass er in den folgenden Wochen einem Verbrecher-Trio hinterherjagen muss, das die gesamte Energieversorgung der Welt kontrollieren will und bei seinem Plan nicht einmal vor dem Mord an etlichen Menschen zurückschreckt…

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Im Geheimauftrag von Callum Conan (1)

Zum Inhalt:

Colin Fox ist ein überdurchschnittlich begabter Student. Sein Leben verläuft erfolgreich und sorgenfrei, er hat mit einundzwanzig Jahren bereits vier Studiengänge in Oxford und Cambridge absolviert und hofft nun auf eine Karriere als gutbezahlter Manager irgendeines Medienkonzerns oder in der Politik.

Alles erscheint wie aus einem Traum, bis plötzlich eines Tages zwei Männer in der Universität mit ihm sprechen wollen. Als er einwilligt sich mit ihnen zu unterhalten, findet er sich kurzerhand in den Büroräumen eines vor wenigen Jahren im Auftrag der Vereinten Nationen neu gegründeten Geheimdiensts wieder.

Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass der Entschluss, sich diesem Geheimdienst als Agent zu verpflichten, ihn in den nächsten Tagen nicht nur nach Sydney, sondern rund um den Globus führt und er dabei einigen Gefahren ausgesetzt wird...

Die erste Gefahr lauert recht bald, als er in Sydney angekommen Zeuge eines Mordes wird. Ab diesem Moment beginnt für ihn der Wettlauf gegen die Zeit.

Zum Autor:

Callum Conan ist achtzehn Jahre alt und besucht ein Gymnasium im westfälischen Arnsberg. Das Euro-Attentat ist bereits sein zweites Werk mit Colin Fox als Protagonisten und ein drittes Buch der Reihe ist derzeit in Planung. Wie genau das aussehen wird ist aber offen, denn die Reihe war von Anfang an Figuren-unabhängig konzipiert.

Geprägt von großen Autoren wie allen voran Ian Fleming, aber auch Robert Ludlum, Tom Clancy, Colin Forbes und deren Romanverfilmungen sind Conans Thriller mit bewährten Zutaten ausgestattet, aber durch die Einflüsse einer neuen Generation gezeichnet.

Nach dem Abitur strebt Callum Conan ein Studium im Bereich Medienmanagement an. (Stand 3/2014)

Callum M. Conan

Fahrschein zum Tod

Ein Agententhriller aus der

Im Geheimauftrag von Callum Conan-Reihe

EnglischerTitel: Ticket to Death

ePubli-Verlag

Alle Charaktere sind frei erfunden und beziehen sich auf keine lebenden Personen. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und in keinster Weise beabsichtigt.

Impressum:

2. Auflage

Copyright © 2015 Callum M. Conan

Umschlaggestaltung by ML

Lektorat: Susanne Schmidt-Lepski

Lektorat: Ilona Schmidt

Überarbeitung durch Bernd und Mathis Lepski

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-7375-2771-2

Arnsberg, 9.11.2010

Mit Überarbeitungen zum 2.1.2012 und zum 22.01.2015

Für meine leider viel zu früh verstorbene Oma Margret!

Prolog

Selbst in den Ausbildungscamps des MI6 war sie bei ihren zahlreichen Trainingsstunden bisher niemals so schnell gelaufen. Und nun ging es bereits um Alles oder Nichts: Bridget Henderson rannte um ihr Leben.

Sie rannte über den kleinen Parkplatz des Eilean Donan Castle und über die schmale Brücke auf den unebenen Trampelpfad, der in das angrenzende Wäldchen führte, um die Verfolger endlich abzuschütteln. Doch der Landrover-Jeep ließ sich auch von dem engen Parcours zwischen den Bäumen hindurch nicht aufhalten. Während Bridget über die schmalen Pfade hechtete, schossen ihr Bilder des gerade Erlebten durch den Kopf.

Sie war mit einigen ihrer Kollegen im Eilean Donan Castle gewesen, wo der MI6 seit einiger Zeit eine schottische Kontaktstelle eingerichtet hatte. Nachdem die Sonderkommission, zu der Bridget gehörte, in den letzten 72 Stunden den Plan eines größenwahnsinnigen neuseeländischen Unternehmers größtenteils aufgedeckt hatte, wollten sie nun MI6-Chef John Sawers in London über ihre Ergebnisse informieren. Bridget war gerade auf dem Weg von der Wohnküche, wo sie und ihre Kollegen gemütlich beisammen gesessen hatten, in ihr Arbeitszimmer um die MI6-Zentrale zu verständigen, als ein lautes Klirren sie aufhorchen ließ. Verzweifelte Schreie drangen durch die Gänge. Schüsse, vermutlich von einem Maschinengewehr, übertönten die angsterfüllten Stimmen. Dann war eine plötzliche und beunruhigende Stille eingetreten. Ihr war sofort klar gewesen, dass dies eine Gefahrensituation der Stufe drei darstellte. Während ihrer kurzen Abwesenheit waren vermutlich alle ihre Kollegen von irgendwelchen Eindringlingen erschossen oder zumindest überwältigt worden. Ihr Gewissen hätte ihr vermutlich geraten nachzusehen und ihren Kollegen, von denen einige überdies auch noch gute Freunde waren, zu helfen. Aber an der Stelle, wo andere Menschen ein Gewissen haben, hatte sich durch ihre Ausbildung beim Britischen Geheimdienst etwas entwickelt, das ihr in dieser Situation befahl, ihre Pflicht zu tun und alles andere zu vergessen.

Schnell und mit den eleganten Bewegungen einer Katze schlich sie in ihr Büro und wählte die Nummer des MI6-Headquarters. Das heißt, zumindest die Londoner Vorwahl. Weiter kam sie nicht, denn eine maskierte Gestalt war plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht und kam bereits mit bedrohlich schnellen Schritten auf sie zu. Entsetzt sah Bridget sich um. Wie konnte sie sich retten? Ihr Blick wanderte abschätzend durch das Büro. Da sah sie das offene Fenster hinter dem Eindringling. Riskant, aber einen Versuch war es allemal wert. Bridget nahm all ihren Mut zusammen, rannte blitzschnell auf ihn zu, nutzte das Überraschungsmoment und schwang sich geschmeidig aus dem Fenster.

Nun rannte sie also, gefolgt von dem Jeep, durch das kleine Wäldchen am Loch Ashmore. Die Situation wurde immer auswegloser. Der Wagen kam trotz der riesigen Schlaglöcher immer näher – Bridget sah jetzt flüchtig die maskierten Gestalten darin. Sie würde dieses Rennen nicht mehr lange durchhalten, so viel stand fest. Sie musste einen Ausweg finden, um jeden Preis… Plötzlich kam ihr die Idee: In ihrer linken Hosentasche ergriff sie das Handy, in dem auch die Nummer der MI6-Zentrale gespeichert war. Bridget würde zwar nur die Zentrale des MI6 erreichen, aber Sawers könnte sofort einen Trupp Polizisten aus dem Nachbarort rüberschicken lassen. Sie musste nur etwas Zeit gewinnen um wählen zu können. Doch während sie noch über einen letzten Selbstrettungsversuch nachdachte, wurden all ihre Hoffnungen zunichte gemacht: Sie stolperte über eine große Wurzel und fiel auf den feuchten Waldboden.

Jetzt ist es aus.

Der Jeep hielt neben ihr. Die Gestalten stiegen aus dem Wagen, ihre Gewehre im Anschlag. Bridget wusste nicht, was sie tun sollte. Sie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Aufspringen und Wegrennen würde nichts nützen, nach zwei Metern wäre sie bereits von einem Kugelhagel durchlöchert. Aber es musste doch eine letzte Möglichkeit geben, dem Tod zu entkommen. Dies durfte nicht das Ende sein…

Die beiden Gestalten richteten die Gewehrläufe auf sie und entsicherten ihre Waffen. Eine unendlich lange Sekunde verstrich, danach hörte Bridget zweimal kurz hintereinander ein lautes Knallen.

Der erwartete Schmerz blieb aus. War sie schon tot? Ihr Gefühl verneinte. Sie öffnete die Augen einen Spalt breit und sah sich um. Die beiden Gestalten fielen rückwärts zu Boden, sie waren blutüberströmt.

Ohne über den Grund ihrer Rettung nachzudenken, nahm Bridget entschlossen das Handy und öffnete die Kontaktliste während sie aufstand. Hinter einem Baum vernahm sie ein Geräusch. Hastig blickte sie sich um. War es denn immer noch nicht vorbei? Da kam ein Mann auf sie zu; er musste ihr Retter sein. Langsam trat er ins Mondlicht und nun erkannte Bridget ihn:

-„Du?“, fragte sie überrascht.

Weiter kam sie nicht, denn da hatte bereits die Kugel einer Heckler und Koch USP ihre linke Herzkammer durchbohrt. Bridget fiel neben den beiden Gestalten auf den schlammigen Waldboden. Ihr Kopf allerdings berührte genau die Wahlbestätigungstaste ihres Handys. Sie war in der Kontaktliste nicht bis M wie MI6 gekommen, nur bis E wie ESS…

Währenddessen in der ESS-Zentrale in Deutschland:

Das Telefon klingelte. Es klingelte ein zweites Mal. Und ein drittes Mal. Keiner nahm ab. Dass Miss Maytree sich ausgerechnet heute ihren freien Tag genommen hatte, passte Rebecca Lavoir gar nicht. Es half allerdings nicht, sich darüber aufzuregen, denn ihre zuverlässige Sekretärin würde heute nicht mehr erscheinen. Also nahm die Chefin des European Secret Service missmutig den Hörer ab.

-„Rebecca Lavoir am Apparat, was kann ich für Sie tun?“

Am anderen Ende der Leitung meldete sich niemand.

-„Hallo? Wer ist denn da?“

Dass man sich jetzt auch noch einen Scherz mit ihr erlaubte, war für Rebecca Lavoir die Höhe. Als sie gerade wutentbrannt auflegen wollte, hörte sie ein Geräusch am anderen Ende der Leitung. Es war ein kratzendes Knistern; eben genau so ein Geräusch, das man vernimmt, wenn man einen alten Weihnachtsbaum durch den Garten zum Komposthaufen schleift. Dann erklang plötzlich ein lautes Scheppern, auf das ein dumpfer Knall folgte. Dann wieder ein Knall, diesmal allerdings weniger dumpf, eher wie das Zuschlagen einer Tür. Das letzte Geräusch das Rebecca Lavoir vernahm, war ein Motorengeräusch. Danach herrschte unendliche Stille.

Für einen Scherzanruf klangen die Geräusche selbst und vor allem ihre Abfolge zu realistisch. Außerdem hatte sie in ihrem Ärger ganz vergessen gehabt, dass die Nummer der ESS-Zentrale in keinem Telefonbuch zu finden war. Nachdenklich lehnte sie sich in ihrem Bürosessel zurück und überlegte.

Rebecca Lavoir konnte es drehen und wenden, aber ihr fiel einfach nichts zu diesen mysteriösen Geräuschen ein. Allerdings wurde sie das dumme Gefühl nicht los, dass es sich bei diesem „Telefonat“ um etwas Entscheidendes gehandelt haben musste.

Also beauftragte sie das Rumpfteam der Abteilung Gamma, das „Gespräch“ einmal zu untersuchen. Vielleicht wurden sie ja schlau daraus. Die Abteilung bestand derzeit immerhin noch aus rund dreißig Mitarbeitern. Allerdings fehlte ihnen ihr genialer Cheftechniker Opal Gamma. Und so war die Produktivität dieser Abteilung doch stark eingeschränkt. Rebecca Lavoir würde ihrem Kollegen vom Ausrüstungsstab aber bestimmt nicht unter die Nase reiben, wie wichtig er für ihre Organisation war, sonst würde er ihr monatelang damit in den Ohren liegen und das wollte sie um jeden Preis vermeiden. Vorerst ging es nur darum, dass seine Mitarbeiter auch ohne ihn etwas Produktives zustande brachten. Und die Methode dazu war ihr so ziemlich egal.

1

Colin Fox

Oxford ist eine allseits bekannte englische Industriestadt an der Themse, etwa neunzig Kilometer von London entfernt, deren Gründungsdatum weit ins achte Jahrhundert nach Christus zurückgeht. Seit dem Jahr 1542 trägt sie den Titel City of Oxford und beherbergt mittlerweile rund hundertfünfzigtausend Einwohner. Das wohl bekannteste Wahrzeichen der Stadt ist die University of Oxford, die in den Top Ten der führenden Universitäten der Welt vertreten ist und bereits seit 1167 besteht. Neben einigen kleineren privaten Teams sind die Ruderer der Universitätsauswahl die wohl schärfsten Konkurrenten des Cambridge-Teams. Trotz dieser offensichtlichen und seit einigen Jahrhunderten bestehenden Rivalität zwischen den beiden Hochschulen, gibt es immer mal wieder Studenten, die an beiden akademischen Institutionen studieren.

Colin Fox war einer von ihnen. Als Sohn eines deutschen Akademiker-Ehepaares hatte er schon früh sein Talent im Umgang mit so gut wie allem und jedem unter Beweis gestellt. Trotz seiner offensichtlichen Hochbegabung hatte er nie ein Problem damit gehabt in den angesagtesten Cliquen mitzumischen und beendete aufgrund der Solidarität zu seinen Freunden, wie er es nannte, erst mit siebzehn die Schule, wobei keiner seiner Lehrer je daran gezweifelt hätte, dass er sein Abitur problemlos bereits einige Jahre früher mit der Bestnote hätte abschließen können.

Mit siebzehn Jahren meldete er sich also an der Cambridge University an und schaffte bereits zwei Jahre später einen Postgradual-Abschluss in den Fächern Sprachen und Medienkulturwissenschaften. Sein darauffolgender Wechsel an die University of Oxford wurde anfänglich von einigen Schwierigkeiten im Bezug auf die Sympathie der Kommilitonen überschattet, doch nachdem er zweimal als Sieger aus spontan angezettelten Duellen hervorgegangen und ein wichtiges Mitglied des Ruderteams geworden war, galt er schnell als mehr oder weniger unantastbar.

Man konnte also meinen, nachdem Colin Fox auch in Oxford bereits nach dreieinhalb Jahren einen Postgradualabschluss in den Fächern Politik und Wirtschaft gemacht hatte (Naturwissenschaften hatten ihn nie besonders interessiert, wobei auch in diesen Bereichen sein Talent mindestens zu einem gehobenen Abschluss ausgereicht hätte), wäre sein Leben ein reines Freudenspiel. Und es stimmte auch in gewisser Weise: Dem Traum von einer Karriere in der Filmwirtschaft schien so gut wie nichts im Wege zu stehen. Doch den Enkel eines schottischen Großvaters (daher das Fox) bedrückte etwas.

Wie bereits erwähnt, war Colin Fox durchaus nicht nur auf das Ausleben seiner Fähigkeiten im akademischen Bereich fixiert. Seit jeher war er auch ein angesehenes Mitglied in den Amüsier-Bereichen des Lebens; soll heißen: Auch auf Partys war er ein gern und vor allem häufig gesehener Gast. Nicht nur sein gutes Aussehen hatte ihm außerdem bei Mädchen und Frauen einen guten Ruf eingebracht; es war vielmehr sein Charisma, sein Talent im Umgang mit Menschen. Sein galantes, vornehmes und kultiviertes Auftreten machten ihn zu einem idealen Frauenverführer.

Das Problem allerdings war recht einfach zu beschreiben, es hatte sogar einen Namen: Lavinia Lichtsteiner. Schon seit er sie das erste Mal auf dem Schulhof seines Heimatgymnasiums gesehen hatte, wusste er, dass er mit genau diesem Mädchen würde zusammenleben wollen. Kein anderes Mädchen, das er bisher kennengelernt hatte, hielt einem Vergleich mit ihr stand und er war sich sicher, auch in Zukunft würde keine Andere je eine Chance bei ihm haben. Das Problem war, dass ihm bei diesem Mädchen sein durch und durch attraktives Äußeres wie Inneres nichts half. Nicht seine maronenbraunen kurzen Haare, nicht sein freundliches Gesicht, das genau an den richtigen Stellen kantig war, nicht seine grau-blauen Augen, nicht seine Größe von einem Meter dreiundachtzig und nicht sein makelloses Auftreten; kurz gesagt: rein gar nichts.

Nun könnte einem schnell der Gedanke kommen, dass das Leben des mittlerweile Einundzwanzigjährigen, der an einem Samstagmorgen nach den Geschehnissen in Schottland in einem Hörsaal der Oxforder Universität saß und einer Lesung beiwohnte, die in Zusammenhang mit einem Ferienprojekt, für das er sich vor den Semesterferien angemeldet hatte, stattfand, in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren relativ problemlos und unspektakulär ablaufen würde. Dem war allerdings nicht so. Mit dieser Vermutung läge man sehr schief. Und eine romantische Lovestory sollte sein Leben auch nicht werden.

Colin nahm sein iPhone aus der Jacketttasche. Die Zeitanzeige teilte ihm mit, dass sein erstes Date mit Lavinia seit längerem noch eine ganze Zeit auf sich warten lassen musste. Er hoffte inständig, dass seine Nachricht, in der er ihr mitgeteilt hatte, wann sein Flieger in Düsseldorf ankommen würde und was er mit ihr heute Abend vorhatte, sie bereits erreicht hatte. Er erkannte an diesem wunderschönen Augustsamstag die Chance seines Lebens. Endlich würde er die Insel wieder einmal hinter sich lassen. Der Duft von Freiheit lag in der Luft. Auf dem Kontinent war es doch deutlich angenehmer als bei den spießigen Briten mit ihrem Royalistenquatsch. Er wusste, dass sein Großvater diese Gedanken lieber nicht hören sollte. Dieser hatte es nie verwunden, dass seine deutsche Frau ihn als stolzen Schotten dazu verpflichtet hatte, in ihre Heimatstadt Dortmund zu ziehen. Aber Colin hatte das Leben auf der Insel so langsam satt. Da bot sich der Trip in seine westfälische Heimat geradezu an.

Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als er an den wundervollen Abend dachte, der vor ihm lag. Er hörte gerade noch, wie der Professor ihn mit der Frage: -„Was meinen Sie denn dazu, Fox?“ aus seinen Gedanken riss, als zwei Männer durch die Schwenktüren des Hörsaals traten. Beide trugen schwarze Kleidung, die aus Cordhose, langem Mantel und einem Hut mit breiter Krempe bestand. Unvermittelt gingen sie auf den Professor zu. Die drei Männer wechselten ein paar Worte miteinander und nach kurzem Zögern winkte der Professor Colin zu sich.

-„Sie sollen kurz etwas mit diesen beiden Herren klären. Es geht um ein nicht uninteressantes Angebot. Tun Sie das aber bitte vor der Tür. Ich werde meinen Vortrag derweil fortsetzen.“

Colin Fox folgte den beiden Männern nach draußen.

-„Also, meine Herren, um was für ein Angebot handelt es sich denn genau?“ Er versuchte seine aufkeimende Neugierde zu verbergen. Wenn der Professor von einem „nicht uninteressanten“ Angebot sprach, dann musste es zweifelsohne lukrativ sein. Der eine der beiden Männer schlug vor, ein paar Schritte zu gehen. Colin stimmte zu und ging voraus in Richtung Ausgang. Es dauerte nicht lange und sie waren im Universitätspark angekommen. Während Colin zwischen den Männern über die breiten Wege des Parks schlenderte, begannen die beiden mit ihrem Vortrag. Nach den üblichen einleitenden Floskeln, die zumindest einen der beiden Männer als Amerikaner auswiesen, kamen sie zur Sache:

-„Die Harvard-Universität bietet Ihnen die Möglichkeit ihre Abschlüsse ideal einzusetzen. Sie können sich mit einem Forschungsprojekt Ihrer Wahl auf eine Professur vorbereiten und dann eine entsprechend dotierte Stelle übernehmen. Geld spielt dabei keine Rolle. Die Universitätsleitung wird alle anfallenden Kosten tragen.“

Colin war skeptisch. Mal abgesehen davon, dass er nicht vorhatte ein solches Angebot anzunehmen, zumal für ihn spätestens nach diesem Ferienprojekt die Zeit der Universitätsbesuche zu Ende sein sollte, sprach die Darstellung dieses Angebots nicht gerade für die Überzeugungskraft der beiden Abgesandten. Während er sich bereits eine höfliche Absage zurechtlegte und der Amerikaner die Vorzüge der Harvard-University anpries, nahm der andere Mann plötzlich ein kleines Gerät aus der Tasche, das Colin nur aus dem Augenwinkel wahrnahm. Er bemerkte gerade noch, wie ihm das Gerät gegen den Hals gedrückt wurde und wollte etwas unternehmen, aber da war er bereits bewusstlos.

Ein leichtes Schaukeln ließ ihn eine ganze Zeit später wieder zu sich kommen. Anfangs interpretierte er die Bewegung als Nachwirkung des elektrischen Schocks. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Vorerst orientieren! Wo war er? Ein kurzer Blick nach rechts und links gab ihm die Antwort: Colin befand sich in einem Kleinbus, dessen Fahrersitz von den restlichen Passagieren durch eine Scheibe getrennt war. Außer ihm befand sich niemand in dem Fahrzeug. Colin blickte aus dem Fenster. Der Kleinbus war eingekeilt zwischen Dutzenden von anderen Vehikeln. Rechts eine Reihe und links zwei Reihen mit Autos, Bussen und Lastkraftwagen. An die äußeren Reihen angrenzend konnte Colin eine riesige Glasfläche erkennen, die den Blick auf das Wasser freigab. Erst jetzt realisierte Colin, wo er sich wirklich befand: auf einer Fähre mitten auf dem Meer. Auf dem Meer? Dafür war das Ufer auf beiden Seiten eigentlich zu gut zu erkennen. Aber eine andere Erklärung hatte er vorerst nicht. Wie war er überhaupt hierhergekommen und warum? Er erinnerte sich vage an eine Unterhaltung mit zwei Männern in schwarzer Kleidung. Was dann geschehen war, wollte ihm nicht einfallen.

Unterdessen war der Fahrer des Kleinbusses an seinen Platz zurückgekehrt. Colin klopfte an die Scheibe, doch der Mann zeigte keinerlei Reaktion. Bei einem Blick aus der Frontscheibe erkannte Colin den Fährhafen, der nun lediglich noch wenige Meter vor ihnen lag. Langsam fuhr das Schiff an den Anleger. Neben ihnen startete gerade eine weitere Fähre, allerdings deutlich älteren Datums. Keine riesige Fensterfläche. Keine Designerlampen an der Unterkante des oberen Decks. In schlichtem Weiß und Hellblau gehalten, außerdem mit etlichen Rostflecken versehen, wirkte sie reichlich heruntergekommen. Als die schwimmende Brücke direkt neben ihm war, konnte er den Namen der Fähre lesen: „Konstanz“ stand in großen Lettern auf der Außenwand des Schiffes. Aber natürlich, dass er nicht sofort darauf gekommen war! Das Gewässer, das er gerade überquert hatte, war der Bodensee. Und der Fährhafen, in dem sie soeben anlegten, war der des Konstanzer Vorortes Staad. Ein Ruck ging durch das Schiff, als sie an den Anleger andockten und die Fahrrampe in die Verankerung einrastete. Der Fahrer des Kleinbusses startete den Motor und löste die Handbremse.

Kurze Zeit später fuhren sie in einer langen Schlange von der Fähre auf das Konstanzer Festland. Dann ging es im Eiltempo in Richtung Stadtzentrum. Vorbei an den wartenden Fahrzeugen im Hafen, vorbei am Klinikum und über die alte Rheinbrücke in Richtung Laube. Noch einmal bogen sie rechts ab, um kurz darauf abermals rechts abzubiegen und dann fuhren sie geradewegs auf die Fahrradbrücke über den Rhein zu. Kurz davor, neben einem gelblichen Sandsteingebäude mit roter Backsteinverzierung hielten sie an. Der Fahrer stieg aus und öffnete die hintere Tür. Mit einer Handbewegung wies er Colin an, ihm zu folgen. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde. Sein Verstand riet ihm allerdings, den Anweisungen dieses Mannes zu gehorchen. Colin folgte dem Mann um das Haus herum, zum Haupteingang des Gebäudes. Zwischen zwei großen Handwerkerstatuen aus Stein gingen sie ein breites Treppenportal hinauf zu einer Tür, neben der ein Schild angebracht war, auf dem stand:

Handels- und Handwerkskammer Konstanz

Webersteig 3

Geöffnet an Werktagen von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr

Sie betraten das Gebäude und im Innern wurde Colin von einem Mann in Hausmeisterkleidung zu einer Treppe gebracht, die vermutlich in den Keller führte. Er stieg die wenigen Stufen hinab und fand sich in einem hell erleuchteten Gang wieder. Der Innenarchitekturstil passte so gar nicht zu der äußeren Fassade der Handels- und Handwerkskammer: helle Fliesen, nobel wirkende Lampen, edle Wandfarben in rot und weiß und an der Treppe moderne Geländer.

-„Die erste Tür links“, sagte der Mann in Hausmeisterkleidung, der noch immer auf der obersten Treppenstufe stand. „Sie werden bereits erwartet.“

Colin drehte sich nicht einmal um, sondern ging geradewegs auf die erste Tür links zu. Wer oder was mochte ihm darin entgegenblicken? Immerhin wurde er selbst bereits erwartet – von wem auch immer. Als er nur noch einen halben Meter von der Tür entfernt war, öffnete sie sich automatisch. Auch dieses Einrichtungselement passte nicht zu dem äußeren Stil des Gebäudes. Eine Metallschiebetür mit Bewegungssensor – Hightech statt Handwerkskunst. Als die Tür zur Seite geglitten war, trat Colin in den Raum dahinter. Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, aber so einen hochmodernen Konferenzraum hatte er definitiv nicht erwartet. Ein vierzig mal zehn Meter großer Raum mit einem ovalen Tisch in der Mitte, an dem zwanzig bequeme Bürosessel standen; vor jedem Platz ein Touchscreen, in der grauen Ledertischplatte eingelassen. Im Zentrum des Tisches war ein zusätzlich eingebautes und in diesem Fall vermutlich auch ausfahrbares Modul zu erkennen. Außerdem weitere Bildschirme an den Wänden, eine große Weltkarte, mehrere Videoprojektoren und eine ausfahrbare Leinwand. Des Weiteren noch ein Fax-Gerät, mehrere Telefone und ein Kaffeeautomat. Colins Blick wanderte zum Ende des Raums, wo gerade eine Verbindungstür geöffnet wurde. Eine Frau in den Fünfzigern trat in den Raum und kam auf ihn zu. Colin fiel sofort die Anstecknadel am Jackenrevers des Hosenanzugs der Frau auf, in die ein Opal eingearbeitet war.

-„Willkommen“, begrüßte sie ihn. „Freut mich, dass ich Sie jetzt hier bei uns begrüßen darf.“ Die Stimme der Frau klang freundlich. Colin wusste allerdings nicht, was er sagen sollte, denn der Grund und die Umstände dieser Zusammenkunft waren ihm noch vollkommen unklar. Eine einfache Entführung war dies jedoch in keinem Fall.

-„Ich merke schon, dass ich Ihnen eine Erklärung schulde. Aber dazu sollten wir uns setzen. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee? Diese Elektroschocker können ja doch eine gewisse Nachwirkung mit sich bringen, was die Konzentrationsfähigkeit angeht. Ein Muntermacher ist da sicher nicht schlecht.“ Colin bejahte die Frage und setzte sich in einen der Bürosessel. Auf dem Touchscreen vor ihm bewegte sich ein Bildschirmschoner in Form des UNO-Wappens. Als die Frau den Kaffee auf den Tisch gestellt und sich ebenfalls gesetzt hatte, begann sie aufs Neue:

-„Ich muss mich vor allem erst einmal für diese etwas rustikale ‚Einladung‘ entschuldigen. Wir wussten ja nicht, ob Sie einer formellen Einladung gefolgt wären.“

-„Eine Entführung ist ja nicht weniger formell“, bemerkte Colin. Die Frau lächelte amüsiert.

-„Jetzt sollte ich mich vielleicht doch einmal vorstellen. Und dann sollen Sie natürlich wissen, warum diese Zusammenkunft hier überhaupt stattfindet. Also vorerst zu mir: Mein Name ist Rebecca Lavoir und meine Aufgabe als Vorsitzende des European Secret Service, kurz ESS, ist die Koordinierung dieses Geheimdienstes.“ Sie tippte etwas auf ihrem Touchscreen, daraufhin fuhr die Leinwand an der einen Seite des Raumes herunter und einer der Videoprojektoren warf ein scharfes Bild der Internetseite der Vereinten Nationen auf das Leinen. „Ich schätze, Sie haben bislang nichts vom ESS gehört. Das macht aber nichts, uns gibt es erst seit 2008. Ich will Ihnen jetzt auch gar nicht die ganze Entstehungsgeschichte unserer Organisation erzählen, aber nur um Sie von der realen Existenz des European Secret Service zu überzeugen, hier einmal die Internetseite der UNO. Wenn Sie auf den Button Sicherheitsrat klicken und dann nach den eingesetzten Geheimdiensten sehen, dann steht hier alles über uns, was man als normaler Besucher dieses Web-Portals wissen darf.“ Sie scrollte zu einem Bild, unter dem ein kurzer Informationstext stand. Ohne Zweifel, das war eine Beschreibung des ESS. Die Frau sagte also die Wahrheit. „Die Vereinten Nationen haben 2002 einen Weltgeheimdienst in Auftrag gegeben: die WSIO – World Security Intelligence Organisation. Seitdem sind kontinentale Ableger dieser Organisation eingerichtet worden – so auch der ESS für Europa. Unser großer Vorteil gegenüber anderen Geheimdiensten wie der CIA oder dem MI6 besteht vor allem in unserer Unabhängigkeit. Keine Regierung schreibt uns unser Programm vor. Für die Gewährleistung der Weltsicherheit ist das ein erheblicher Faktor. Um jetzt einmal auf Ihre spezielle Einladung zu kommen: Eigentlich ist das alles recht einfach. Bei uns läuft seit unserer Gründung ein Headhunter-Programm, mit dem wir versuchen die geeignetsten Personen für eine Agentenanstellung bei uns ausfindig zu machen. Na ja, und da Sie allein durch Ihr Durchsetzungsvermögen an zwei Universitäten in England und Ihre überragenden Qualitäten, die Ihre Abschlüsse beweisen, grundsätzlich in unser Profil passen, wurden Sie letztendlich ausgewählt, um von uns diese Einladung und ein Angebot zu erhalten.“

Rebecca Lavoir lächelte ihn freundlich an. Interessant war die ganze Geschichte natürlich schon. Ein Geheimdienst, von dem er noch nie etwas gehört hatte, der als oberstes Gremium die Vereinten Nationen hinter sich wusste, würde in der heutigen Zeit eine echte Bereicherung für die Weltsicherheit bedeuten. Allerdings leuchtete ihm die Begründung, warum ausgerechnet er in dieses Metier einsteigen sollte, noch nicht ganz ein, wenn sie ihm auch schmeichelte. Grundsätzlich freut sich wahrscheinlich jeder Mann über ein solches Angebot. Es ist ja kein Zufall, dass die wenigstens Schauspieler nein sagen, wenn sie die Rolle eines Ethan Hunt, Jason Bourne oder James Bond angeboten bekommen.

-„Um zum Punkt zu kommen: Wir bieten Ihnen an, ein dreiwöchiges Training bei uns zu absolvieren. Sie haben danach die Möglichkeit auszusteigen und wir haben auf der anderen Seite ebenfalls die Möglichkeit, wenn wir Sie nicht für gut genug befinden. Zusätzlich zu dieser Anstellung, die Ihnen in dieser Zeit selbstverständlich wie eine volle Stelle vergütet wird, halten wir für Sie eine Wohnung in der Nähe unseres Hauptquartiers bereit, in dem wir uns gerade befinden. Bei einer Festanstellung nach Ablauf der drei Wochen können Sie die Wohnung übernehmen, wobei Sie ab diesem Zeitpunkt die Kosten dafür selbst tragen müssten. Das Jahressalär von rund fünfundsiebzigtausend Euro sollte dies allerdings möglich machen.“

Colin überlegte eine Weile. Nachdenklich blickte er immer wieder auf das projizierte Bild des UNO-Internetportals. Er wusste, dass er sich nun schnellstens entscheiden musste, ob er all seine Pläne der letzten Jahre einfach so begraben wollte. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass er nach den drei Wochen mit Erinnerungen an ein spannendes Training und frohen Mutes in seine Welt zurückkehren konnte. Aber was, wenn während des Trainings etwas passierte, dass er niemals vergessen würde? Oder wenn er das Angebot am Ende annähme? Bis auf das Summen der Computer war nichts zu hören. Colin schloss die Augen um sich zu konzentrieren. Die Lust, sich einfach auf diesen Job einzulassen, war riesengroß. Doch war es auch risikolos? Die Antwort kannte er bereits.

Als er seine Augen wieder öffnete, hatte er sich entschieden. Er würde das Angebot annehmen. Schiefgehen würde es schon nicht, er würde aus der Sache mit heiler Haut herauskommen – das war er bis jetzt immer, warum also nicht auch dieses Mal? Die drei Wochen konnten ihm ungeahnte Perspektiven verschaffen. Also erwiderte er:

-„Also gut, überredet. Sie können auf mich zählen. Ich hätte allerdings gerne noch ein paar genauere Informationen über meinen neuen Job. Das können Sie ja möglicherweise in den nächsten Tagen nachholen. Wann soll ich denn anfangen und womit überhaupt? Ich hoffe doch, dass es sich nicht um Briefkastenwühlen und Telefonabhören handelt.“

-„Nein, darum nun wirklich nicht.“ Rebecca Lavoir lachte. „Wir sind nicht nur ein Nachrichtendienst im herkömmlichen Sinne, verdeckte Operationen gehören zum Tagesgeschäft. Der ESS ist also durchaus auch Exekutive der Auftraggeber, in diesem Fall der Vereinten Nationen. Aber wir wollen nicht in Bürokratie verfallen. Für Sie gilt in den nächsten drei Wochen eigentlich nur, Ihren Ehrgeiz und Ihr Können unter Beweis zu stellen. Morgen werde ich Ihnen dann alles Weitere über die nächsten Tage vorlegen können. Sie müssen nur noch hier unterschreiben – damit verpflichten Sie sich, die drei Wochen inklusive Anschlussvertrag, wenn Sie keine andere Vereinbarung über einen Ausstieg mit uns treffen, zu absolvieren und die Geheimhaltung der Geheiminformationen von denen Sie erfahren, zu gewährleisten.“ Colin kritzelte seine Unterschrift unter die Verträge und legte den Füllfederhalter zurück in das kleine Kästchen, aus dem er ihn entnommen hatte. „So, das war’s schon“, fuhr Rebecca Lavoir fort. „Sie haben jetzt bis morgen Zeit alles zu verarbeiten und sich auf die nächsten drei Wochen vorzubereiten. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, befindet sich unser Hauptquartier derzeit im Gebäude der Konstanzer Handels- und Handwerkskammer. Die zentrale Lage in Europa und die Nähe zur Schweiz, machen diese Stadt zur idealen Steuerungszentrale für unser Agentennetz. Das Dossier über Sie verriet uns, dass Sie sich in Konstanz auskennen. Es dürfte also kein Problem für Sie sein, Ihre Wohnung zu finden. Rausgehen wie Sie gekommen sind, dann über die alte Rheinbrücke und in den Grüngang einbiegen, direkt neben dem Casino ist das Haus Nummer elf. Sie bewohnen die Wohnung Nummer sieben mit Seeblick und Balkon im zweiten Obergeschoss. Wir haben uns erlaubt, Ihr Gepäck schon mal aus Ihrer Studentenwohnung in Oxford zu holen.“

Colin war froh, dass jetzt erst mal Ruhe einkehren würde, nachdem ihn die letzten Stunden doch reichlich beansprucht hatten. Nach den Strapazen der Fahrt und vor allem der Bewusstlosigkeit schrie sein Körper nun nach einer Ruhepause. Und es sollte nicht das letzte Mal bleiben in den nächsten Wochen.

Der European Secret Service schien auf seine Ankunft bestens vorbereitet gewesen zu sein und es verwunderte ihn auch nicht, dass sein Gepäck bereits hier war. Nur: Was hätten sie gemacht, wenn er nicht zugestimmt hätte? Alles sah wie ein harmloses Angebot aus, aber möglicherweise hatte er gar keine Wahl gehabt. Er schob diesen Gedanken beiseite, da er nur unzählige andere Fragen aufwarf. Er war zufrieden mit dem, was ihn demnächst als Trainings-Agent so alles erwarten würde.

-„Morgen um acht Uhr erwarte ich Sie dann wieder hier.“ Die Stimme seiner neuen Vorgesetzten klang überaus freundlich. „Leben Sie sich jetzt erst mal gut ein und genießen Sie das wunderbare Wetter am See.“

-„Wie spät ist es denn jetzt?“

Der Mann, der ihn hergefahren hatte, stand plötzlich in der Tür und sah nun auf seine Uhr. Es musste eine Omega sein.

-„Halb neun“, antwortete der Mann kurz. Es war das Erste, das er sagte, seit Colin ‚Bekanntschaft‘ mit ihm gemacht hatte.

Während Colin aus der geöffneten Schiebetür trat, begann der Mann bereits angeregt mit seiner Chefin zu sprechen. Colin drehte sich noch einmal kurz um und nickte Rebecca Lavoir zu. Sie lächelte und wandte sich wieder dem Fahrer zu.

Colin folgte Rebecca Lavoirs Wegbeschreibung und war blitzschnell vor dem Haus Nummer elf im Grüngang. Er betrat den Hausflur durch die geöffnete Tür, neben der ein Schild darauf hinwies, dass das Haus erst vor einer Woche fertiggestellt worden war und man doch bitte alle Anschlüsse kontrollieren solle und entschied sich, die Treppe anstelle des Aufzuges zu nehmen. Wenig später stand Colin in der Diele seiner Wohnung, sein Gepäck, wie von Rebecca Lavoir bereits angedeutet, zu seiner Rechten. Colin sank erschöpft in einen Sessel und warf seine Schuhe von sich. Er atmete tief durch und schloss die Augen. Eine wunderbare Aussicht war das. Drei Wochen bezahlter Urlaub. Das würde er genießen. Durch das halb geöffnete Fenster drang Musik ins Zimmer. Im Casino schien irgendetwas los zu sein. Colin entschied sich, seinen neuen „Nachbarn“ gleich noch einen Besuch abzustatten und vielleicht sogar an der einen oder anderen Pokerrunde teilzunehmen. Aber vorher würde er noch jemanden anrufen, den er bislang fast ganz vergessen hatte.

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Miss Maytree

Nach einer kurzen Nacht wachte Colin am nächsten Morgen, noch bevor sein Wecker geklingelt hatte, mit den ersten Sonnenstrahlen in seinem Schlafzimmer auf. Nachdem er seine morgendlichen fünfzig Liegestütze absolviert hatte, ging er ins Bad. Er duschte, rasierte sich, kleidete sich an und betrat den Balkon. Der Blick auf die Reede und den Hafen von Konstanz war herrlich. Die Sonne spiegelte sich im Wasser und der zweite Katamaran aus Friedrichshafen an diesem Tag fuhr gerade an Imperia vorbei, der schönen Kurtisane aus Honoré de Balzacs Erzählung La belle Imperia, deren Statue seit 1993 die Hafeneinfahrt der Stadt ziert.

Während Colin die kühle Morgenluft genoss, erinnerte er sich an den letzten Abend. Das Brummen in seinem Kopf kam nicht von ungefähr; die zahlreichen Cocktails der vergangenen Nacht mussten schuld daran sein. Er wollte vergessen. Vergessen, was Lavinia ihm wenige Stunden zuvor am Telefon erzählt hatte. Vergessen, dass sie ihm unter anderen Umständen mit ihrer Aussage, sie wolle ihm unbedingt einen jungen Mann vorstellen, den sie in den letzten Tagen an der Universität kennengelernt hatte, sicher das Herz gebrochen hätte. Den Frust, den diese Nachricht mit sich gebracht hatte, hatte er in Alkohol ertränkt. Dass seine Interpretation von Lavinias Aussage möglicherweise gar nicht zutraf, kam ihm nicht in den Sinn. Stattdessen hatte er einen Entschluss gefasst: Er würde Rebecca Lavoir schon heute mitteilen, dass man ihm die 3-Wochen-Klausel aus seinem Vertrag streichen solle und dass er sich für die nächsten Jahre fest in den Dienst des European Secret Service stellen würde. Die Sache mit diesem Typen, der es Lavinia so offensichtlich angetan hatte, wollte er schnellstmöglich vergessen. Und zwar komplett.

Nachdem Colin sein bestes Jackett übergestreift und seine Wohnung in Richtung Seestraße verlassen hatte, schlenderte er gemächlich über die Uferpromenade zur alten Rheinbrücke, vorbei an einigen Anglern, die schon früh am Morgen ihre Angeln in den See geworfen hatten und vorbei an einigen Schnapsleichen, die die zahlreichen Bänke zwischen den Bäumen am See säumten. Innerhalb weniger Minuten erreichte er das Haus Nummer drei am Webersteig und nahm die wenigen Stufen zum Eingangsportal mit beherzten Schritten. Um fünf vor acht betrat er den Konferenzraum im Keller des Handels- und Handwerkskammergebäudes. Rebecca Lavoir erwartete ihn bereits.

-„Einen schönen guten Morgen wünsche ich. Wie ich sehe, sind Sie pünktlich – das freut mich. Unser Hauptquartier ist ja ganz gut zu erreichen. Auch wenn dieses Gebäude für uns nur eine Zwischenstation darstellt, da wir spätestens Ende des Jahres ein neues Hauptquartier bekommen werden. Welches Gebäude es sein wird, ist allerdings noch relativ unklar. Fakt ist nur, dass wir dieses schöne Haus hier räumen müssen, da die Handwerkskammer des Landkreises Konstanz nach ihrer einjährigen Umstrukturierungsphase ihren alten Sitz zurück möchte. Ich kann es verstehen.“ Colin wünschte seiner Chefin ebenfalls einen guten Morgen und ließ sie fortfahren: „Wir haben heute eine ganze Menge zu klären und zu besprechen. Also sollten wir keine Zeit verlieren. Zuerst einmal sollte ich Ihnen unsere Organisationsstruktur vielleicht ein wenig genauer erläutern. Ihnen ist sicher bereits aufgefallen, dass ich einen Opal an meinem Jackenrevers trage.“ Sie wies auf den Schmuckstein, der Colin bereits gestern aufgefallen war. „Dieser Opal symbolisiert die Zugehörigkeit zum Führungsstab des ESS. Außerdem finde ich ihn recht kleidsam, weshalb ich auch von Anfang an für diese Form der Kennung geworben habe. Um für jeden Mitarbeiter unserer Organisation eine Arbeitskennung festlegen zu können, sind also alle Führungskräfte Opal-Namensträger. Meine Kennung ist beispielsweise Opal Alpha. Alle Opal-Namensträger haben entsprechend ihrer Führungsposition besondere Zugangsrechte in unserem Netzwerk und darüber hinaus in unseren Stützpunkten, dem Hauptquartier und bei Einsätzen. Natürlich können Sie in unserem Agentenrangsystem ebenfalls aufsteigen. Es gibt drei Kategorien von Agenten, die wir ähnlich den Beratern in größeren Unternehmen aufgeteilt haben. Da sind zum einen die ranguntersten Agenten, zu denen auch Sie zählen. Sie sind Nummer5. Sollten Sie in unserer Hierarchie aufsteigen, so würde sich an Ihrer Nummer nichts ändern, lediglich Ihre Vorkennung wäre eine andere. Derzeit haben wir zwei leitende Agenten. Sie haben leitende Funktionen bei Einsätzen, müssen allerdings stets die Anweisungen des Operationsleiters befolgen. Außerdem besitzen sie die Erlaubnis zu töten, die allerdings nur inoffiziell existiert. Niemand darf wirklich andere Leute umbringen, ohne dass er dafür belangt wird. Es gibt allerdings innerhalb der UN gewisse Vereinbarungen. Wenn Sie in unserer Hierarchie aufsteigen sollten, werde ich Ihnen natürlich erklären, was es genau mit Ihrer neuen Bezeichnung auf sich hat. Im Grunde ist dieses System aber rein pro forma. Wirklich entscheidend ist Ihre Kennung nicht. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja doch irgendwann einmal. Ach ja, das hier ist Opal Omega, unser Operationsleiter und Leiter der Abteilung Omega, die sich vor allem mit der Netzanalyse und Informationsbeschaffung befasst. Bei operativen Einsätzen hat er zudem meist das Sagen.“ Sie wies auf einen mittelgroßen Mann in den Vierzigern, der gerade durch die Verbindungstür getreten war; er hob kurz die Hand und lächelte. „Er wird Ihnen jetzt das restliche anwesende Team des Hauptquartiers vorstellen. Vorab vielleicht noch so viel dazu: Ihnen werden auf der ganzen Welt Kontaktpersonen und andere Mitarbeiter unserer Organisation begegnen. Jeden können Sie gar nicht kennen lernen. Doch mit der Zeit werden Sie sicher mit dem einen oder anderen zusammenarbeiten. Also, Sie haben jetzt Zeit sich mit Ihren Kollegen im Hause bekannt zu machen. Ich erwarte Sie in einer Stunde in meinem Büro. Das war’s fürs Erste.“

Colin nickte und antwortete in einem ihm angemessen erscheinenden Tonfall: